4.4.17

Tiger Girl

BRD 2016 Regie: Jakob Lass mit Ella Rumpf, Maria Dragus, Enno Trebs, Orce Feldschau 91 Min. FSK: ab 16

Nein, ein Vorbild ist dieses prügelnde Girlie vom Sicherheitsdienst nicht! Aber hey, war Alex aus „Uhrwerk Orange" ein netter Kerl? Trotzdem - oder gerade deshalb - hat sich „Hier kommt Alex" als Kult-Ikone ins Hirn eingebrannt. Tiger Girl und noch mehr ihre Haudrauf-Kumpanin Vanilla haben das gleiche Potential, weil Regisseur Jakob Lass („Love Steaks", 2013) in seinem Hochschul-Abschlussfilm als deutscher Harmony Korine („Spring Breakers") seine starken Frauen-Figuren völlig unmoralisch und psychologisch kaum fassbar kräftig ins Leben treten lässt. So war „Tiger Girl" schon bei der Berlinale ein aufsehenerregendes Filmereignis.

Bei der Polizeiprüfung wird die nette Maggie (Maria Dragus) beim peinlich verpatzten Sprung übers Pferd zum „Opfer". Die alternative Ausbildung bei einem privaten Sicherheitsdienst unter lauter Voll- und Milchbärten ist für die unbedarfte Blondine ein Spaß, bis sie sich wehren muss. Und auch nachher auf der Straße kann sie weder dem übergriffigen Schönling Theo von der Polizeiprüfung noch den aggressiven Typen in der einsamen U-Bahn Grenzen aufzeigen. Im Gegensatz zu Tiger (Ella Rumpf): Die knallharte junge Frau rettet Maggie erst aus den Fängen des Jung-Bullen und schlägt sich danach heftig mit den mutmaßlichen Vergewaltigern.

Klar, das unbedarfte Reh Maggie und die schlagfertige Tiger, die von kleinen Gaunereien lebt und Leute „abzieht, die es verdient haben", sind extreme Gegensätze, aber ziehen sich mächtig an. Mit Maggies Sicherheitsdienst-Uniform sowie noch einer geklauten für Tiger machen sie die Nächte unsicher. Sie werden immer mutiger, lassen Männer bei der Leibesvisitation strippen, machen in einer Kunstgalerie mit Swarovski-Gasmasken Punk.

„Du bist nicht nett, du bist höflich. Höflichkeit ist auch eine Form von Gewalt - gegen sich selbst!" Dieser kluge Satz von Tiger würde noch in einen energischen, aber pädagogisch wertvollen Film passen. Aber Vanilla, wie Tiger die verwandelte Maggie tauft, findet richtig viel Spaß an der gewaltigen Macht. Ausgerechnet irgendein dahergelaufener „Müsli", den Vanilla auf der Straße mit ein paar Kumpels zusammenschlagen will, trifft die Sache wie die Faust aufs Auge: „Du hast zu oft eins in die Fresse bekommen und teilst nun willkürlich aus." Die hochmoderne Köpenickiade mit viel Lust an Anarchie, Wut und Zerstörung gerät plötzlich erschreckend und die Außenseiterin Tiger erweist sich als moralisch gefestigte Instanz. Und die Bieder-Frau Maggie kann man sich plötzlich als Frontfrau rechter Schlägertrupps von SA bis AfD vorstellen.

Die meist improvisierten Szenen von Jakob Lass liefern unter anderem einen klasse, fast gerappten Entwurf eines scheiternden Lebens. Schauspielerisch hat Ella Rumpf als Tiger den besseren und auch sympathischen Part, um Eindruck zu machen, und sie nutzt die Chance großartig. Allerdings ist diese Figur auch komplexer, lässt sie sich doch selbst von zwei ach so alternativen und linken Typen böse ausnutzen. Das Ergebnis ist so anarchisch wie einst die großartige Comic-Verfilmung „Tank Girl". Eine sprunghaft wilde Kamera und das gute Spiel halten die überschaubare Anordnung interessant. Bemerkens- und in vielfacher Hinsicht diskussionswert.