27.6.16

High-Rise

Großbritannien, Belgien 2015 Regie: Ben Wheatley mit Tom Hiddleston, Jeremy Irons, Sienna Miller, Luke Evans 119 Min. FSK: ab 16

Oben und unten. Hell oder stickig. So ein Muster-Haus war schon immer Modell für gesellschaftlichen Auf- und Abstieg. J.G. Ballards Roman „High-Rise" ist ein Muster dieser Metaphern für den Zustand der westlichen Staaten Mitte der 70er-Jahre. Also keine Banker-Krisen, kein Populisten, keine Neuen Rechten ... ein paradiesischer Zustand? Keine Sorge, J.G. Ballard (1930-2009), den man vor allem von seinem autobiografischen, 1984 von Steven Spielberg verfilmten Roman „Das Reich der Sonne" kennt, war auch Autor von David Cronenbergs „Crash". Was die düstere Stimmung seiner dystopischen Entwürfe sehr gut charakterisiert.

Der „High-Rise", das Hochhaus, ist das erste in einem Ensemble mutiger architektonischer und gesellschaftlicher Entwürfe. Hoch über London reckt sich dieses steinerne Ausrufezeichen empor. Der 30-jährige Arzt Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) ist froh, hier nach seiner Scheidung eine Wohnung im 25. Stock zu bekommen. Die Etagen-Höhe beschert nicht nur einen immer besseren Ausblick, sie markiert auch die gesellschaftliche Stellung. Die Oberklasse hat die höchsten der vierzig Stockwerke für sich reserviert, während Familien sich mit den Untergeschossen zufrieden geben müssen. Anthony Royal (Jeremy Irons), Architekt und Schöpfer einer Hand aus Hochhäusern, die nach der Zukunft greift, residiert ganz oben.

In der Mittelschicht wohnt auch die mysteriöse Mutter Charlotte (Sienna Miller), die Laing direkt sexuell kennenlernen will. Der Fernsehjournalist Richard Wilder (Luke Evans) haust mit seinen vielen Kindern dagegen im zweiten Stock, während der Nachrichtensprecher und die ehemalige Film-Diva zur High Society gehören. Zwischen oben und unten entwickelt sich zuerst ein Wettstreit um die wilderen Partys, der Kampf um die Pool-Nutzung kommt hinzu, Stromausfälle machen alle aggressiv. Dieser Klassenkampf verläuft keineswegs zimperlich: Hier werden Frauen entführt, Gegner brutal zusammengeschlagen, Laing unter Gewalt nach oben gebeten. Ein Bild macht die immanente Menschenverachtung noch vor der ersten Begegnung mit Anthony Royal deutlich: Die Putzfrau muss die Hunde-Scheiße auf Knie aus dem Teppich wischen.

Dass Dachwohnungen oder das Penthouse beliebter als die am Straßenrand sind, ist ebenso banal wie der wenig verklausulierende Name Anthony Royal für den neuen König. So weit, so schematisch und wenig originell. Der Reiz von „High-Rise" liegt darin, wie Regisseur Ben Wheatley („A Field in England", „Sightseers", „Kill List") mit hervorragenden Darstellern den zunehmenden Wahnsinn ausspielt. Man sollte sich vom sozialen oder soziologischen Unter- und Überbau lösen, vom Geist der 70er-Jahre ebenso, und die zeitlose Zoologie menschlicher Obsessionen und Mechanismen genießen. Dies wohl nur punktuell. Leser berichten, der Film nähme nur Stücke der Entwicklung vom Musterhaus zur anarchischen Bruchbude aus Dekadenz und Bürgerkrieg auf. Das Gesamtbild aus Verrohung, Chaos, Gewalt und Wahnsinn kommt allerdings rüber.

Ben Wheatleys hippe Retro-Parabel spielt nicht nur in den 70ern und ergötzt sich an den entsprechenden Möbeln- und Tapeten-Designs, sie arbeitet auch mit den Stilen dieser Film-Epoche. Der architektonische Entwurf erinnert an Gilliams „Brazil" oder an Tatis „Playtime". Mit leicht unkonventioneller Montage, schrägen Bildern, Winkeln und Details, einem kontrapunktischen Musikeinsatz (ABBAs „SOS" von Portishead) packt die Umsetzung mehr als die eigentliche Geschichte. Der Niedergang dieser Menschen bis hin zu animalischen Zuständen schockiert trotzdem. Selbstverständlich wird der Journalist Wilder zum blutverschmierten, wilden Tier, versucht aber auch mit einer Dokumentation über die Zustände die Medien der Oberklasse zu entnehmen. Das alles ist alter Kram, in Themen und gesellschaftlicher Analyse überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Nur Wheatleys Inszenierung ist auf der Höhe der Zeit, Oberklasse des internationalen Kinos.