13.12.15

Unsere kleine Schwester

Japan 2015 (Umimachi Diary) Regie: Hirokazu Kore-eda mit Haruka Ayase, Masami Nagasawa, Kaho, Suzu Hirose 127 Min. FSK: ab 0

Schon dieses alte japanische Haus in Kamakura, einer Küstenstadt bei Tokio, ist ein Traum mit kleinem Garten und Pflaumenbaum, mit geflickten Pergament-Schiebetüren. Dort leben die Schwestern Sachi, Yoshino und Chika alleine, nachdem vor 15 Jahren der Vater die Familie für eine andere verlassen hat und dann auch noch die Mutter abhaute. Nun erfahren die jungen Frauen vom Tod des Vaters und erstmals von der jüngeren Stiefschwester Suzu (Suzu Hirose). Spontan bietet Sachi (Haruka Ayase) der 14-jährigen Waisen an, bei ihnen einzuziehen, was Suzu erst zögerlich, dann strahlend und dann herrlich aufblühend annimmt.

Schon in seinem ersten internationalen Erfolg „Nobody knows" ließ Regisseur Hirokazu Kore-eda 2004 eine Gruppe von Kindern selbständig ohne Erwachsene zusammen leben. Was damals dramatisch, rührend und erschreckend war. Nun ist es, wenn auch ganz leise dramatisch, pures Glück, diese kleine Gemeinschaft mitzuerleben. Das Zusammenleben ist nicht idyllisch - sie streiten sich auch gerne mal, aber wenn es drauf ankommt, halten sie zusammen. Wie bei der Riesen-Spinne in der umkämpften Dusche.

Dabei entdeckt man viele Verbindungen der anscheinend so unterschiedlichen, aber allesamt fröhlichen Schwestern, die sich dann doch in kleinen Details immer wieder sehr ähnlich sind. Da ist das Helfersyndrom bei Sachi, der Krankenschwester auf einer Palliativ-Station, und bei Suzu, die bis zuletzt für den sterbenden Vater sorgte. Und die gleichen kulinarischen Vorlieben, vor allem bei einem Film, in dem andauernd gegessen wird. Im Zyklus der Jahreszeiten wird die leichtlebige Yoshino erwachsen und Sachi, die wegen der Verantwortung für ihre Schwestern genau wie Suzu zu wenig Kindheit hatte, söhnt sich mit der verantwortungslosen Mutter aus.

Die faszinierend undramatische Folge von wunderbaren Szenen, jeweils abgeschlossen durch eine kleine Piano-Melodie (Musik: Yoko Kanno), basiert auf dem preisgekrönten Manga „Umimachi Diary" von Akimi Yoshida und dem Geiste vieler wunderschöner Familien-Filme von Altmeister Ozu Yasujirō (1903-1963). Hirokazu Kore-eda erinnert nicht nur mit Details wie den Aufnahmen in Knie-Höhe der traditionellen japanischen Sitzhaltung an sein Vorbild, er schreibt sogar seine Bücher in der Lieblings-Bar von Ozu!

Das Ergebnis ist der Glücks-Fall eines Wohlfühlfilms, der sein Wohlfühlen von Anfang an verströmt. Eine grandiose junge Darstellerin, Suzu Hirose, in der Rolle des aufgeweckten Mädchens, ein unfassbarer Kirschblüten-Tunnel, Generationen von Pflaumenwein unter dem Fußboden, ein Feuerwerk auf dem Meer, die Kimonos zum Volksfest, die Weisheit des sanften Blicks auf die Figuren und vor allem immer wieder herzerweichende Freundlichkeit und Güte zwischen den Menschen beglücken durchgehend. Dazu korreliert die typisch japanische Obacht im Leben mit der Sorgfalt einer meisterhaften Inszenierung. „Woran werde ich mich am Ende noch erinnern", fragt der Film über Abschiede und Neuanfänge. Erinnerung an Schönheit, selbst noch in der Trauer, lautet eine Antwort. Im Film und durch den Film.