19.1.15

Wir sind jung. Wir sind stark.

BRD 2013 Regie: Burhan Qurbani mit Jonas Nay, Trang Le Hong, Devid Striesow, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Paul Gäbler 128 Min. FSK: ab 12

Wie aktuell doch dieser sagenhaft gute deutsche Film ist: Der hässliche Deutsche, dessen Foto bei der Menschenjagd von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 mit Fußball-Nationaltrikot, Hitler-Gruß und vollgepisster Jogging-Hose zur Ikone wurde, läuft jetzt unter dem Pegida-Deckmantel wieder durch die Straßen. „Wir sind jung. Wir sind stark.", der packende und schockende Spielfilm von Burhan Qurbani rekonstruiert in einer großartigen Inszenierung einen unglaublichen und dramatischen Tag in Rostock-Lichtenhagen.

Schon der „Morgen danach" zeigt die jungen Ausländerfeinde sehr stark: Kaum traut sich eine Polizeistreife um die Ecke, wird sie mit Steinen beworfen. Seit Tagen wird ein Ausländerheim mit hauptsächlich vietnamesischen Gastarbeitern der ehemaligen DDR von Neo-Nazis belagert, von Linken beschützt und von der Polizei bewacht. Die braven Bürger schauen mit einem Bier in der Hand interessiert zu. Stefan (Jonas Nay) ist einer der Rechten, folgt treu seinem Freund Robbie, einem geschickten, frechen und charismatischen Manipulator, der aus Spaß Stefans Vater Martin (Devid Striesow) bis zur Ratlosigkeit provoziert. Dass der ein erfolgreicher SPD-Politiker ist, macht die Situation noch tragischer. Zentral im Verlauf dieses Tages bis zum Anzünden der Ausländer-Wohnungen ist der Versuch von Martin, seinen Sohn Stefan da rauszuziehen. Viel zu spät. Striesow zeigt den rundlichen, schlaffen Politiker mit großer Verzweiflung ungeheuer eindringlich.

Auf der anderen Seite versucht die vietnamesische Arbeiterin Lien (Trang Le Hong) trotz der manifesten Drohungen, ein Leben in Deutschland aufzubauen, während ihr Bruder alles packt, um zurück zu ziehen. Sie findet es normal, dass ein kleines Mädchen der Kollegin sie „Schlitzi" nennt, „sie hat es ja nicht so gemeint". Aber es gibt auch den Moment, in dem die hilfsbereite, nette, gedemütigte Lien aus Angst um den Job ihre deutsche Kollegin nicht mehr deckt.

„Wir sind jung. Wir sind stark." zeigt mit großer Sicherheit die verschiedenen Milieus, wobei sich immer wieder Überraschungen ergeben. Sehr nuanciert, komplex in den Zusammenhängen, genau in Umfeldern und den Psychologien der Personen. Von intensiven privaten Diskussionen bis zu großen Massenszenen in historischer Kulisse gelingt dabei alles. Mehr als einmal erinnert in der Kamera-Führung von Yoshi Heimrath an die Virtuosität von Ballhaus bei Scorsese. Das Schwarz-Grau der Bilder wandelt sich am schlimmsten der fünf Belagerungs-Abende - der ist in Farbe und breitem Cinemascope, „weil hier Action ist".

Immer spielt das Verhältnis zu den Eltern oder älteren Brüdern der Jung-Nazis eine Rolle. Und auch noch eine nächste Generation stellt sich auf: Die Kinder, die in den Trümmern das Leergut suchen und Steine zum Schmeißen finden. Wobei die Schläger sind auch immer Geschlagene sind - eine Täter-Analyse, die sicher für Diskussionen sorgen wird. Doch unabhängig wie das Psychogramm einer Gesellschaft zwischen DDR und „Freiheit", zwischen Internationale und Nazi-Schlager, wie die Abfolge „Urgroßvater Faschist, Großvater Kommunist, Vater Demokrat, Sohn ..." bewertet wird, dieser ruhige Countdown zur Katastrophe ist filmisch exzellent. Und wirkt entsetzlich aktuell: Mit den Zuschauern, die den fliehenden Ausländern applaudieren und singen „Muss i denn zum Städle hinaus"