29.10.12

Lore

BRD, Australien, GB 2012 Regie: Cate Shortland mit Saskia Rosendahl, Nele Trebs, André Frid, Mika Seidel, Kai Malina, Nick Holaschke 109 Min. FSK ab 16

Noch spielt das Kind nur Himmel und Hölle, dabei ist die üppige Villa der deutlich deutschen Familie ein letzter Hort inmitten vom Kriegschaos. Dass Papa kaum zu Hause ist, weil er das Morden in einem KZ leitet, hat die Ehe erschüttert. Selbst bei dieser Mutter, einer strammen Nazi-Braut und dem Arier-Wahn anhängig. Jetzt rücken die amerikanischen Truppen an, man zieht sich mit zusammengerafftem Schmuck und Silber in eine Berghütte zurück. Doch als Papa endgültig wegbleibt, überlässt die Mutter in einer ungeheuerlichen Szene die vier weiteren Kinder, unter ihnen ein Baby, der ältesten Tochter Hannelore (Saskia Rosendahl). Ob sie nur abhaut, oder sich wirklich den Amerikanern stellt, bleibt offen.

Weil auch die benachbarten Bauern der Nazi-Brut nichts zu essen geben, macht sich die , 15-jährige Hannelore mit den Geschwistern auf eine Odyssee quer durch Deutschland, zur Oma an der Küste. Es ist eine durch starke Naturbilder und -Details fast märchenhafte Reise durch Wälder. Die Reste der Zivilisation sind Ruinen, in denen andere zerlumpte Flüchtlinge hausen. Leichen am Wegesrand, Hunger und die dauernde Angst vor Vergewaltigung treiben die Schar an. Thomas (Kai Malina), ein junger, schweigender Mann rettet die Kinder und nähert sich vor allem Hannelore. Doch als sie seine jüdischen Papiere sieht, will sie nicht mit dem Retter vom gleichen Tischtuch essen. Obwohl er das Essen besorgt hat! Das naive Mädchen im Rassenwahn ist völlig verwirrt, als sie den Vater auf Wandzeitungen als Kriegsverbrecher mitten im Grauen des Holocaust entdeckt. Gleichzeitig probiert sie ihre sexuelle Macht aus und schafft es, dass Thomas sogar für sie mordet. Die faszinierende Reise durch drei Besatzungszonen bis zum Wattenmeer bringt nicht die erhoffte Rettung, denn bei der Großmutter wird ein Regime autoritärer alter Frauen fortgesetzt. Doch Hannelore hat sich verändert, die scheinbar heile Welt kann sie nicht mehr akzeptieren.

Mit enorm starken (Natur-) Atmosphären und guten Schauspielern berührt dieser Kinderzug durch Wälder und abseits von Klischees. Cate Shortlands („Somersault") untypischer (Nach-) Kriegsfilm über Deutschland im Jahre Null atmet als britisch-australisch-deutsche Produktion einer australischen Regisseurin entsprechende Distanz, die sich kreativ auszahlt. So wie in dieser Verfilmung von Rachel Seifferts preisgekrönter Novelle „Die dunkle Kammer" wurde diese Zeit noch nie gezeigt, deshalb kann diese Geschichte intensiv wirken und bewegen. Der Publikumspreis auf der Piazza von Locarno war deshalb zu erwarten und verdient. Ein guter Kinoerfolg ist dem außergewöhnlichem Drama zu wünschen und danach noch der übliche Oscar für so ein Thema, der dann das einzige Klischee dieser Geschichte wäre.