14.10.10

Tati erobert Gent




Gent. Museale Präsentationen zu Film-Regisseuren bieten meist nette Details und Erinnerungen an den Künstler. Die gestern in Gent eröffnete kongeniale Ausstellung zum französischen Komiker Jacques Tati (1908–82) lässt nicht nur seine bekannten Filme wie „Die Ferien des Monsieur Hulot" oder „Tatis Schützenfest" wieder aufleben, man wird direkt in seine eigenartigen Filmwelten versetzt. „Jacques Tati: Deux Temps,Trois Mouvements" ist bis zum 16. Januar 2011 im Genter Caermersklooster zu sehen. Das Filmfestival Gent zeigt noch bis zum 23. Oktober parallel die Filme Tatis.


Die französische Theater-Regisseurin Macha Makeieff kurierte die Ausstellung und wollte vor allem erfahrbar machen, „wie modern Tati schon damals war, wie seine Filme vom Wandel in die Moderne zeugen." Makeieff ist entfernt mit dem als Jacques Tatischeff geborenen Regisseur verwandt, frühe Begegnungen mit ihm hinterließen einen großen Eindruck. Deshalb führt sie die Besucher vom fertigen Werk, den nur sechs Langfilmen, die in dreißig Jahren entstanden, zu Tatis Anfängen. Er kam von der Music Hall, tourte Anfang der Dreißiger Jahre mit seinen Sportimitationen durch Europa. Es begeistert die Kuratorin immer noch, wie er Komik aus einfachen Situationen und Gegenständen erzeugte.


„Hulot, das bin ich teilweise, aber das seit auch ihr allemal."


Nicht nur sein Monsieur Hulot ist berühmt. Sobald ein etwas hektischer oder verwirrter Postbote im Film auftaucht, ruft man schnell „Tati-Zitat!" Aber tatsächlich ist der Berufskollege in „Amélie" eine kleine Hommage. Selbst David Lynch bewundert Tati und hat in seiner ruhigen Ballade „The straight story" die Szene kopiert, in welcher der Postbote ein Feld von Radrennfahrern überholt. Lynchs Held wird in einer noch hektischeren Zeit mit seinem reisenden Rasenmäher diesmal von der Straße gedrängt. Auch Steven Spielberg verweist ausdrücklich auf den Einfluss Tatis: Die Naivität und verblüffende Findigkeit, mit der Tom Hanks sein Leben in „The Terminal" einrichtet, sei vom französischen Komiker inspiriert. Ebenso die Zweckentfremdung der Möbel.


Tatis Vater fertigte noch Bilderrahmen in Paris. Ein Rahmen, den Jacques sprengte und gleichzeitig mit neuen Inhalten füllte. Der Sohn hat den französischen Film revolutioniert, weil er im Gegensatz zu dialoglastigen Vorgängern Komödien auf die Leinwand zauberte, die ohne Sprache weltweit verstanden wurden. Sprache war in Tatis Filmen immer nur ein Geräusch unter vielen. Damit ist Tati gestisch ein Verwandter von Chaplin und Buster Keaton, müht sich aber in seinem Quixote-Feldzug an anderen Windmühlen, anderen Modernen Zeiten ab. Die spezielle Poesie der Tati-Filme, die Generation nach Generation beglückt, trägt unter der leichten Oberfläche der gefühlvollen Komödie eine klare Kritik an menschen-unfreundlichen Auswüchsen der Moderne. Schon Jahrzehnte vor den Crazy Walks der Monty Python hatte dieser verrückte Franzose einen unverwechselbar staksigen Gang, der dauernd irgendwo anzuecken drohte. Aber meist ging es gut. Und falls nicht, hatte das Chaos des Monsieur Hulot immer reinigende Wirkung.

Die Sammlung von Szenen, Requisiten, Möbeln und Momenten aus Tati-Filmen in Gent bietet mit ihrer offenen Struktur immer neue Perspektiven und Einblicke. Makeieff freut sich vor allem auf das Publikum, weil es sich in dieser Umgebung selbst in einer Art tatiesker Inszenierung zum Teil der Ausstellung macht. Schon bei der Vorbesichtigung spielten eine Reihe von übrig gebliebenen Leitern und eine Putzfrau vortrefflich bei diesem Konzept mit. Man betritt die labyrinthische Bürosituation aus Tatis spätem Meisterwerk „Playtime" (1968), die Schwingtüre, nach deren intensiver komödiantischer Benutzung man regelrecht am Boden liegt, führt in den nächsten Teil – oder auch nicht.

Die Ausstellung besteht aus einem farbigen und einem Teil in Schwarz-Weiß. Das Event Tati erschließt sich in umgekehrter Reihenfolge: Erst werden die Filme wieder ins Gedächtnis gerufen, dann erst ist der junge, akrobatische Tati zu erleben. Tati sagte selbst, sein Star seiner Filme sei vor allem das Dekor. So kann man bestaunen, wie aktuell die zivilisationskritischen Entwürfe aus den Fünfzigern bis Siebzigern heute noch sind. Die Möbel aus dem damals futuristisch unbequemen Appartement von Herrn und Frau Arpel („Mon Oncle") wurden übrigens kürzlich wieder herausgebracht. Generell lehnt sich die Ausstellung an Tatis Stil an, indem sie Text weitgehend vermeidet und visuell arbeitet. Nach diesem Erlebnis wird man einiges in unserer modernen Zeit als tatiesk erkennen.



Wie sein von amerikanischer „rapidite, rapidite" begeisterte Postbote im „Schützenfest" war auch Tati angetan von technischer Entwicklung: Er versuchte diesen Film mit einem neuen französischen Farbfilm – in Konkurrenz zum amerikanischen Material – zu drehen. Und scheiterte. Erst nach seinem Tod konnten die Negative richtig entwickelt werden. „Playtime" war der erste französische Spielfilm, der auf 70mm gedreht wurde. Und eine finanzielle Katastrophe: Die bis zur Absurdität moderne Stadt wurde komplett als Kulisse gebaut und sorgte für den Ruin des Regisseurs. Doch noch heute ist die Vision ein Lehrstück für Architektur und Design. Wie modern der Regisseur war, zeigt diese Ausstellung.



37. Ghent International Film Festival

Das A-Festival mit dem Schwerpunkt Filmmusik zeigt über 125.000 Besuchern bis zum 23.10. in Wettbewerb und Nebensektionen circa 150 aktuelle Filme aus aller Welt. Zum Abschluss werden die World Soundtrack Awards an die besten Filmmusik-Komponisten der Welt verliehen.

www.filmfestival.be




„Jacques Tati: Deux Temps,Trois Mouvements"

15/10/2010 - 16/01/2011

Caermersklooster - Provincial Cultural Centre

Vrouwebroersstraat 6, 9000 Ghent.

Tel.: +32 (0)9 269 29 10.

http://www.Caermersklooster.be