5.10.10

Oskar und die Dame in Rosa


Frankreich, Belgien, Kanada 2009 (Oscar et la dame rose) Regie: Eric-Emmanuel Schmitt mit Amir, Michèle Laroque, Max von Sydow, Amira Casar 105 Min.

Der Schülerstreich macht den Lehrer rasend ... bis er den Verantwortlichen ausmacht und milde meint: „Lachen tut doch ganz gut.“ Diese besondere Rücksicht oder Gnade tut dem kleinen Oskar allerdings weh. Denn der aufgeweckte Zehnjährige mit der Glatze unter der Gangsterkappe ahnt, dass er bald sterben wird. Bei einem belauschten Gespräch seiner Eltern mit dem Oberarzt Dr. Dusseldorfer (Max von Sydow) wird Gewissheit, dass die Erwachsenen mit dem nahen Tod nicht umgehen können. Oskar redet fortan nur noch mit der Pizzalieferantin Madame Rose. Sie flucht wie ein Bierkutscher und das gefällt ihm. So wird die ruppige und anscheinend gar nicht weichherzige Dame von "Pinky Pizza" mithilfe vieler Pizzabestellungen des weisen Klinikchefs Dusseldorfer zur Vertrauten Oskars. Rose willigt nur widerwillig in den ungeliebten Kontakt mit Kranken ein und warnt: „Nächste Woche behandeln sie mich wegen Depressionen!“

Madame Rose ist nicht auf den Mund gefallen. Und sehr witzig, selbst im Kinder-Krankenhaus, wo keiner mehr lacht. „Man muss es doch rauslassen oder man bekommt Krebs,“ lautet ihr Kommentar. „Zu spät“- die ebenso schlagfertige Antwort Oskars. Doch Rose hat auch die richtigen Rezepte gegen die Traurigkeit des Jungen: Da ihm nicht mehr viele Tage bleiben, werde er von nun an jeden Tag wie zehn Jahre erleben. Was auch funktioniert. Nach den ersten, schnell verflogenen zehn Jahren und der Pubertät, die man nur einmal erleben möchte, folgen die Dreißiger, die „Zeit der Sorgen“ mit der schönen Liebe zum „blauen Mädchen“. Das Glück in Form eines Tanzes in den Schneewolken unterbricht in den Vierzigern die Midlifecrisis, bei der man „nur Mist baut, auch ohne etwas zu tun“.

Diese Entwicklung Oskars im Zeitraffer wird von Rose mit den Lebensweisheiten angereichert, die uns das Wrestling lehrt. Denn anscheinend hatte die Dame in Rosa eine Vergangenheit im Ring, von der Traumepisoden in einer Schneekugel erzählen. Stilistisch traut sich der Film einiges, vom schwindelnden Vertigo-Effekt, als Oskars Eltern ihn verlassen, bis zu surrealen Traumsequenzen. Aber das Meisterliche liegt bei „Oskar und die Dame in Rosa“ in der enormen Tiefe der Themen bei einem immer auch humorvollen und sehr unterhaltsamen Erzählton. Gespräche über den Tod mit einem Zehnjährigen, einem sehr intelligenten Zehnjährigen, sind das Eine. Aber ihn dann auch noch zu Jesus, den „Gott, der das Leiden kennt“, zu führen - das ist gewagt. Und gelingt! Vielleicht auch wegen der riesigen, bunten Geburtstagstorte für Jesus, die Rose in die Kapelle schiebt. So kann man mit Rose und Oskar dauernd lachen, auch wenn man immer wieder Tränen in den Augen hat - Tränen des Glücks und Tränen der Rührung.

Eric-Emmanuel Schmitt verfilmte seine eigene Buchvorlage und diese ungewöhnliche „Arbeitsteilung” erwies sich als Glücksfall. Der Autor schrieb die Drehbücher zu „Gefährliche Liebschaften“ (2003) und seinem eigenen Roman „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ (2003), bevor er bei „Odette Toulemonde“ (2007) auch selbst Regie führte.

Michèle Laroque, vor allem als Komödiantin bekannt, beeindruckt in der Charakterrolle der Rose. Max von Sydow spielt mal wieder den Oberarzt, aber im Gegensatz zu „Shutter Island“ ist Dr. Dusseldorf ein gütiger. Besonders lobenswert: Dieser wunderbare Film ist auch in Originalversion im Kino zu sehen.