11.10.10

Goethe!


BRD 2010 Regie: Philipp Stölzl mit Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Volker Bruch, Burghart Klaußner, Hans-Michael Rehberg 99 Min.

Er war ja eigentlich ein Punk, unser Klassiker Johann Wolfgang von Goethe. Für alle die befürchten, Staublunge zu bekommen, wenn sie einen Goethe lesen müssen, gibt es hier den jungen Wilden Johann, der selbst seine Klassiker verlacht. Mitten rein in den Sturm und Trank des Straßburgs von 1772 taucht diese ebenso kräftige wie lebendige Variante der Leiden des jungen Goethe. Mit Ausrufezeichen! Gerade hat Johann Goethe (Alexander Fehling) seine Doktorprüfung vergeigt und das Götz-Zitat schon mal großformatig in den Schnee getanzt. Doch das Drama „Götz von Berlichingen“ wird vom Verleger in Leipzig abgelehnt, da schickt der Vater ihn zur Jura-Ausbildung ins provinzielle Wetzlar. Das labyrinthische, fast surreale Reichskammergericht droht als Kafka-Vorbote mit öder Langeweile, vor allem der gestrenge Gerichtsrat Kestner (Moritz Bleibtreu) geht zum Lachen in den Keller. Aber schon beim ersten Ausflug mit seinem neuen Kumpel Jerusalem (Volker Bruch) trifft Johann auf die kecke Lotte Buff (Miriam Stein). Nur kurz darauf erlebt er bei den Buffs auf dem Lande seinen (sehr entkitschten) Lotte-Moment, der Anblick der jungen Frau inmitten der kleinen Geschwister, das gemeinsame Backen und Singen reicht, um der Liebe den letzten Stoß zu geben. Nur das übliche kleine Drama - schreib ich, oder warte ich? - steht einem stürmischen Liebesakt in freier Natur im Wege.

Doch (darin erzählt „Goethe!“ die Literatursoziologie nach) das Gefühl war dereinst nicht gern gesehen, gar verachtet. Materielle Zwänge lassen den verwitweten Vater Buff seine hübsche Tochter an den unromantischen aber finanziell gesicherten Gerichtsrat Kestner geben. Das schwärmerische Fräulein willigt aus Vernunft ein. Grad als Goethe ihr ein Theatermodell des verehrten Dramas „Emilia Galotti“ bringt, findet bei Buffs die Verlobung statt. Und Kestner, der sich ausgerechnet von seinem besten Mann Goethe den Antrag formulieren ließ, erkennt gleichzeitig mit dem unwissenden Liebhaber, dass sie um die gleiche Frau buhlten.

Ein sehr großer Kino-Moment peinlicher Erkenntnis, der später noch durch Lottes kluge Verleugnung der eigentlichen Liebe übertroffen wird. Großes Kino ist „Goethe!“ also auf jeden Fall. Ein großer Spaß gewiss, denn einen Dichterfürsten, der mit riesigem Lockenwickel und rosa Umhang auf die matschige Straße stürmt und drängt, das hat man noch nicht gesehen. Zudem klingt der hervorragende Alexander Fehling, wenn er verlegen tut, wie Heinz Erhardt (der ist auch von früher). Vor allem wirkt er mit schön angeödetem Blick wie ein deutscher Heath Ledger! Und das ist voll porno - oder wie es der Film in der alten Variante sagt: „scheißig schön!“ Überhaupt sagt er oft „scheiße“ und holt das Klassiker-ferne Publikum auch mal mit einem „Hurenfurz“ erfolgreich ab. Das ist aber keineswegs aufgesetzt. Ebenso wenig wie der Stoff für Deutschkurse, wenn Johann zufällig die Werther-Farben blau und gelb anzieht, „Schönes Fräulein darf ich’s wagen...“ schmeichelt, unter Tollkirschen-Einfluss „Dr. Faustus“ sieht und weitere literarische Rätsel einstreut.

Am Ende wird dann der „Werther“ fertig und Goethes erster „Bestseller“. Wie diese literarische Verdichtung des Erlebten ist auch der Film mehr als die Wahrheit - er ist Dichtung. Unterhaltsam, romantisch, bewegend und auch mal klug. Autor und Regisseur Philipp Stölzl findet nach der fast faschistoiden Auftragsarbeit „Nordwand“ wieder zu den Qualitäten seines Debüts „Baby“ (2002). So hat auch er das Zeug zum Klassiker...