26.8.09

Der Dorflehrer


Tschechien, BRD, Frankreich 2008 (Venkovský Ucitel) Regie und Buch: Bohdan Sláma mit Pavel Liska, Zuzana Bydzovská, Ladislav Sedivý, Tereza Vorísková 110 Min.

Petr kommt vom Prager Gymnasium in ein kleines, vergessenes Dorf. So einer kommt nur hierher, wenn er ein Wahnsinniger oder ein Idealist ist. Oder was ausgefressen hat - meint der Sportlehrer, bei dem Petr ein Eckchen des Zimmers für nicht wenig Geld mietet. Doch der neue Lehrer sucht vor allem Ruhe. Auf den Wiesen findet ihn die nicht wahnsinnig attraktive, ältere Bäuerin Marie. So aufgehoben sich Petr bei ihr und ihrem Sohn Ladjo fühlt, ihren Kuss wehrt er ab. Dafür kümmert er sich um Ladjos schulische Lücken und einige Begegnungen und Enttäuschungen später wird der Dorflehrer dem schlafenden Jungen in die Hose greifen.

Der Moment, den Petr selbst eine Vergewaltigung nennt, oder die Schuld, die er auf sich nimmt, mögen in der knappen Nacherzählung den Plotpoint bilden. Doch wenn man die anderen einsamen Menschen im Dorf betrachtet, relativiert sich nicht die „Schuld“? Da ist der immer besoffene alte Sack, der Marie ununterbrochen anbaggert. Da ist Marie, die den Lehrer küssen wollte. Da ist der schmierige Freund des Lehrers, der sich an die besoffene junge Freundin Ladjos ranmacht. Was fast beschaulich anfängt mit einem schwulen Lehrer, der sein Coming Out verpasst hat, entwickelt sich zu einer gewaltigen Katastrophe des Lebens überhaupt. Irgendwann steht man mit einem ganzen Arsenal verlorener Menschen da. Doch ebenso schön wie der Film in diese Tristesse führt, findet er Hoffnung... wie Murakamis Figuren in einem tiefen Brunnen!

Was „Der Dorflehrer“ alles bewegt, ist viel zu viel für ein paar Zeilen. Diese Welt spannt sich zwischen dem Kühe hüten und Hardrock auf dem Trecker. Hier gibt es kein fließend Wasser aber Ballerspiele auf dem Rechner. Sehr ehrfürchtiger, rücksichtsvoller Umgang mit dem Nächsten trifft auf grobes Rumpoltern und gedankenloses Verletzen.

Dieser wunderbare Schatz an Menschlichkeit in Form eines Films müsste eigentlich „Das Leben an sich“ heißen. Einfach und doch vielschichtig, vor allem aber sehr glaubhaft erzählt Bohdan Sláma. Er ist nicht nur in der Figurenzeichnung ungemein sorgsam, aufmerksam und auch liebevoll. Es gibt geniale Bilder und Kamerabewegungen, die mit der erhebenden Natürlichkeit des Dorfes konkurrieren. Wenn die Kamera einen Kirschbaum umkreist, sich dann in die Äste erhebt, wo ein vorsichtiges Annähern und Abtasten stattfindet, wiederholt der sehr aufwendige Schwenk genau dieses Verhältnis von Nähe und Distanz. Das hätte von  Tarkowskij sein können,  er hätte es nur noch etwas langsamer gemacht. Es scheint die Tragik des Films zu werden, dass ausgerechnet der, der allen helfen will, schuldig wird. Sláma zaubert unglaubliche Momente, in denen der Lehrer, der meinte, er würde gerne glauben, wenn er nur wüsste wie, in der Kirche ein Gebet zu Gott schickt. Als Antwort kommt ein Mann mit Staubsauger aus der Sakristei! Daneben ist dieser Film echt wie die zahllosen Fliegen beim Essen auf dem Tisch oder die ungetrickste Geburt eines Kalbes. Aber „Der Dorflehrer“ ist vor allem unbeschreiblich gut.