20.5.09

Tarantinos "Inglourious Basterds" - Kinotricks ohne Moral


Cannes. „Once upon a time…" So fangen Märchen an und Filme von Sergio Leone. „Es war ein mal im Wilden Westen" hieße „Spiel mir das Lied vom Tod" wortwörtlich übersetzt. Mit „Once upon a time" beginnt Quentin Tarantinos neuster Film „Inglourious Basterds". Ein Western, in dem die Amerikaner die Indianer und die Nazis die bösen Cowboys sind. Ein Märchen vom 2. Weltkrieg, das gut ausgeht, aber trotzdem keine Moral hat. Ein Fest für Tarantino-Fans, die schon beim Vorspann applaudierten und ein Aufreger für alle, die wissen, es gibt Geschichte auch außerhalb der Filmgeschichte. Neben Christoph Waltz als genialen Nazi-Offizier und Till Schweiger als psychotischen Nazi-Killer sind viele andere deutsche Schauspieler gut im Bild. Dass viel deutsches Geld in diesem Film steckt, wird auch für Diskussionen sorgen.

 

Und wie im Western eröffnet sich die Landschaft weit für einen Bauernhof, der überraschenderweise in Frankreich liegt. Der grimmige Kuhbauer (engl: Cowboy) widersteht dem raffinierten und ebenso endlosen wie spannenden Gesprächs-Duell mit dem Juden-Jäger genannten Nazi-Offizier Hans Landa (Christoph Waltz) nur eine Weile, dann gibt er das Versteck seiner Flüchtlinge preis, die sofort erschossen werden. Nur Shosanna Dreyfus (Melanie Laurent) kann der Ermordung ihrer Familie entkommen. Jahre später leitet sie unter neuem Namen ein Kino in Paris, in dem ausgerechnet die Heldengeschichte des deutschen Soldaten Frederick Zoller (Daniel Brühl) soll in ihrem Kino unter Anwesenheit von Hitler, Göbbels und dem Mörder ihrer Eltern uraufgeführt werden. Die Zeit der Rache ist gekommen! Das denkt auch die berüchtigte Truppe von des amerikanischen Leutnants Aldo Raine (Brad Pitt), der hinter der Front unter den deutschen Soldaten für Schrecken sorgt, indem er sie reihenweise skalpiert. Aldo Raine plant ein Bombenattentat auf die Vorführung.

 

Film-Nerd

Quentin Tarantino, der in Cannes seine Weltkarriere mit einer Goldenen Palme für „Pulp Fiction" begann, erweist sich wieder als Virtuose seiner sehr begrenzten Mittel. Denn auch ein unendliches Filmwissen ist nur ein recht beschränkter Wissensvorrat für einen Künstler. Diese Beschränktheit zeigte sich schon im letzten Jahr während einer Fragestunde vor 1500 Menschen: Tarantino ist ein  großer „Nerd", ein Fachidiot in Sachen Filmbegeisterung, der meist als einziger über seine humorfreien Witze lacht. Und bei allen so unterschiedlichen Künstlern, die sich hier tummeln, passt ihm der Smoking am wenigsten. So ist es auch mit seinem Ruhm - er ist der am meisten überschätze Regisseur unserer Zeit. Ein großer Junge, der mit den Bildern der anderen spielt, der das auch sehr gut, ja manchmal virtuos kann, weil er nie viel anders gemacht hat. Aber ihm fehlt etwas Entscheidendes im Vergleich zu anderen, richtigen Film-Autoren: Er hat nicht die große Menschlichkeit eines Almodovars. Er hat nicht das soziale Engagement eines Ken Loach. Er hat nicht diesen kreativen Geist eines Lars von Triers, der immer neue Visionen hervorbringt. Tarantino zitiert und spielt, weil er es kann, nicht weil er es muss, oder etwas sagen will.

 

 

Tatort-Kommissar Christoph Waltz spielt den Nazi-Offizier Hans Landa großartig verschlagen und spleenig. Er hat tatsächlich eine größere Show als Brat Pitt. Er ist der genial-wahnsinnige Gegenspieler, der letztendlich verliert, aber Waltz selbst wird mit dieser Rolle die Chance zu einer Weltkarriere gewinnen.

 

Tarantino schleimt sich bei  „Inglourious Basterds" mit Sätzen wie „Die Franzosen wissen Regisseure zu schätzen" beim Festival ein, er liefert mit dem Finale im Kino eigentlich auch einen perfekten Festivalfilm. Wieder spielt er mit der „Mexican situation" einer ausgeglichenen und ausweglosen, waffenstarrenden Duellsituation. Wieder inszeniert er gekonnt lange Dialog-Duelle. Doch diese billigen Tricks beiseite gelassen, ist „Inglourious Basterds" ein sehr simpler Rachefilm, der zum Glück nicht so blutig ausfiel wie Tarantinos letzte Amokfahrt "Deathproof". Es fehlt ihm nicht nur das Wissen, dass man seit vielen Jahren Hitler nicht mehr als schlecht gespielte Witzfigur darstellen muss. Es gehen ihm völlig die Skrupel ab, Hunderte von Menschen niederzumetzeln – auch wenn sie alle zum Volk der „Nazis" gehören und auch wenn „die Nazis" sich gerade auf der Leinwand ansehen, wie ein deutscher Soldat hunderte andere Soldaten erschießt. Die moralischen Bedenken beim Töten, die das jüdische Widerstandsdrama „Defiance" und selbst die Olympia-Racheaktion „München" vom Juden Spielberg thematisieren, kennt Tarantino nicht. So sind Zweifel angebracht, ob Tarantino vor diesem Projekt überhaupt wusste, was hinter der Dreyfus-Affäre steckt, nach der er seine Titelheldin benennt: So ungefähr das Gegenteil seines Films, eine öffentliche Debatte Ende des 19. Jahrhunderts mit den Mittel der Medien und der Literatur, die in Frankreich dazu führte, einen Justizskandal gegen den jüdischen Offizier Dreyfus zu korrigieren. Und nicht das Aufteilen der Welt in Gut und Böse mit dem gnadenlosen Auslöschen der Letzteren.

 

 

PS: Weitgehend unbeachtet lief in den Certain Regard mit „L'armée du crime" von Robert Guédiguian („Marius et Jeannette"), dem Franzosen mit dem großen Herz für die kleinen Leute, der bessere Film zum Thema: Er zeigt eine Gruppe von französischen Widerstandskämpfern, die sich aus Immigranten zusammensetzt.