28.4.06

Kino und Couch - Filme mit viel (Sigmund) Freud sehen

Zur Psychoanalyse in Kino
 
Sie sind Kinder der gleichen, wechselvollen Zeiten: 1895 kann als Geburtsjahr von Kino und auch von Psychoanalyse gesehen werden. Sigmund Freud veröffentlichte zusammen mit Josef Breuer die "Studien zur Hysterie". Die Brüder Lumière führten im Grand Café in Paris erstmals einen Film öffentlich vor. Und so verwundert nicht, dass Kino und Psychoanalyse im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Begegnungen und Anknüpfungspunkte aufweisen.
 
Zum 150. Geburtsjahr Freuds gibt es ARTE-Abende, Kinoreihen, Vorlesungen und Ausstellungen wie "Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud" in der Deutschen Kinemathek Berlin (September 2006 bis Januar 2007). Die Freud-Stadt Wien zeigt gleich 39 Filme zur "Seele und dem Versuch, dieser mit der Erzählsprache des Films habhaft zu werden". Psychoanalytiker aus Düsseldorf und Köln gehen "Mit Sigmund Freud ins Kino", sie stellen im Kölner Off-Broadway ihre Lieblingsfilme vor.
 
Psychoanalytiker, Psychopathen und Patienten
"Geheimnisse einer Seele", G. W. Pabsts Film beschäftigte sich schon 1926 mit dem Thema Psychoanalyse im Medium Film. Freud war im Gegensatz zu seinen Jüngern gar nicht davon begeistert. Doch das Kino analysierte fröhlich weiter. Eigentlich seltsam, dass so viele Couch-Szenen und -Filme bei der Komödie angesiedelt sind. Doch Ihr Analytiker kann Ihnen hier sicher was über die entkrampfende Wirkung des Lachens bei unangenehmen Situationen erzählen.
 
Erst kürzlich waren wir auf der Couch von Meryl Streep. Ihre jüdische Psychoanalytikerin Lisa Metzger musste sich als "Couchgeflüster" anhören, was die jüngere Patientin Rafi (Uma Thurman) mit Metzgers noch jüngeren Sohn anstellt - detaillierte Angaben zu Geschlechtsteilen inklusive! Eine herrliche Kombination, die zu umwerfend komischen Verwerfungen in Streeps Gesicht führen: Einerseits eine lockere, offene Psychoanalytikerin, andererseits eine sehr strenge und verklemmte jiddische Mame. Tiefenanalytische Hintergründe zur Q-Tip-Sucht vom Sohnemann werden es nicht in die psychoanalytische Fachliteratur schaffen, aber sie machen Spaß.
 
Ganz humorlos kam der Psychiater Dr. Sobel (Billy Crystal) in "Reine Nervensache" daher. Kein Wunder, wenn man den Mafiaboss Paul Vitti (Robert De Niro) analysieren muss (Originaltitel: "Analyse this!"). Wobei man sich das "muss" mit Pistole an der Schläfe vorstellen darf! Die mittlerweile schon fortgesetzte Erfolgskomödie schlägt reichlich Witz aus der kulturellen Kluft zwischen italienischem Mafioso-Macho und jüdischem Mittelklasse-Akademiker.
 
Weshalb die Psychoanalyse vor allem im amerikanischen Film ein meist jüdisches Erbe Freuds bleibt, ist sicher vielfach beantwortet worden, doch das entscheidende Wort von Woody Allen steht noch aus. Oder habe ich es in den genau 10.592 Erwähnungen des Themas in seinen Filmen überhört? Woody Allen ist auf ewig der beste Patient, den das Kino und die Psychoanalyse je hatten. Von seinen Sitzungen könnten sich ganze Psychotherapie-Kongresse ihre Couch neu beziehen lassen. Aber ob sie auch den hämischen Spott des "Stadtneurotikers" über die eigenen Neurosen mögen, ist eine andere Frage.
 
 
Der Film als Traum
"Psychoanalytiker haben mit den meisten Kinobesuchern etwas gemeinsam: sie suchen nach (Be-) Deutungen für das Gehörte, Gesehene, Erlebte. Die Technik der Psychoanalyse ist nicht auf die Behandlung von Patienten beschränkt, man kann sie - ohne ihrem Wesen Gewalt anzutun, wie Freud es seinerzeit formulierte, auch in anderen Bereichen zur Anwendung bringen, so zum Beispiel bei der Analyse eines Filmes", schrieb die Dipl. Psych. Uta Scheferling zu einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Psychoanalyse + Film".
 
Liegt es an dem gemeinsamen Alter, der gemeinsamen Epoche, der Kino und Psychoanalyse entstammen? Oder wollen Analytiker im Kino endlich mal richtig gute Geschichten erleben? Jedenfalls hat sich in der Filmanalyse neben biographischen, sozialkritischen oder semantischen Ansätzen auch der psychoanalytische etabliert. Man legt den Film auf die Couch, betrachtet den Traum oder das Unterbewusste und kommt zu richtig spannenden Ergebnissen. Auch in Bezug auf den "Träumenden", den wir hier der Einfachheit halber als Regisseur bezeichnen. (Dass Film in einem recht arbeitsteiligen Prozess hergestellt wird, steht auf einem anderen Blatt.) Obwohl man sicherlich nicht studiert haben muss, um zu erkennen, dass Hitchcock irgendwas Komisches mit Blondinen laufen hatte. Und wir sind schon alle viel zu sehr Freudianer, um beim sadistischen "Psycho" von "Marnie", den Quälereien von Sean Connery, nicht über das Verhältnis von Klein-Alfred zu seiner Mammi zu grübeln.
 
Ein gutes Beispiel ist vom Autor Manfred Riepe die "Intensivstation Sehnsucht. Blühende Geheimnisse im Kino Pedro Almodovars. Psychoanalytische Streifzüge am Rande des Nervenzusammenbruchs." (Bielefeld: transcript 2004, 260 Seiten, 25,80 Euro) Obwohl beim spanischen Meister die Familienkonstellationen äußerst lustvoll anti-patriarchal und klerikal aufgebrochen werden, das Ödipale Dreieck mit Hilfe von transsexuellen und schwulen Figuren zu einem Pentagramm der Multikulti-Sexualiät gerät, lässt er sich doch mit Freuden freudianisch analysieren. Väter fehlen dauernd, aber sie fehlen nicht wirklich, wie der Almodovar-Titel "Alles über meine Mutter" schon klar macht. "Umso erstaunlicher ist, dass der im Ödipuskomplex festgelegte Platz des Vaters und seine symbolische Funktion bei Almodovar keineswegs verschwunden sind", zitiert Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja in ihrer Buchrezension auf www.f-lm.de
 
Kino im Kopf
Film spielt oft mit dem Reiz, die Kinositzung mit der analytischen parallel verlaufen zu lassen: Sowohl in seinem sensationellen Erstling "Element of Crime" als auch in "Europa" hypnotisiert der Cannes-Sieger und Oscar-Gewinner Lars von Trier seinen Protagonisten, um daraufhin seine traumatischen Erinnerungen auf der Leinwand zu zeigen. Tom Cruise (und Eduardo Noriega im spanischen Original "Abre los ojos") verwirren mit einer faszinierenden Persönlichkeitsspaltung in "Open your eyes" (beide von Alejandro Amenábar und beide mit Ex-Cruise-Frau Penélope Cruz): Welche Ebene der Geschichte ist real, was ist Verdrängung? Flieht der nach einem Autounfall Entstellte in eine Traumwelt?
 
Mit einem Crash beginnt und endet auch die Verwirrung in "Stay". Ähnlich wie das dramatisch-romantische Ausradieren des Liebesgedächtnisses "Vergiß mein nicht" oder die traumhaft leichte Liebesgeschichte "The Science of Sleep" mit Gael Garcia Bernal (Start steht noch aus), eine ästhetisch wie erzählerisch brillante Reise in die Psyche oder ganz konkret in den Kopf bei "Being John Malkovich". Bei "Stay" muss sich Ewan McGregor als Psychiater in einem immer mehr verwirrenden London um ein selbstmordgefährdetes Unfallopfer kümmern. Bis die letzte Szene - vorsicht: Spoiler - alles im Kopf eines Verunglückten verortet, der sich am seidenen Faden eines Wortes am Leben hält: Stay - Bleib!
 
Lügen und Geheimnisse
Die Täuschung wird gerne kriminell, wenn das notwendige Vertrauensverhältnis um die Couch missbraucht wird: Der Psychoanalytiker Michel Durand nickt bei einer Sitzung mit der verführerische Kleptomanin Olga Kubler kurz ein. Als er aufwacht, liegt die Dame erwürgt da. Jean-Jaques Beineix ("Diva") spielte in dem erotischen Psycho-Thriller "Mortal Transfer" beißend-ironisch mit den Klischees von Psychoanalyse. Doch auch die Lüge - dreht sich nicht alles um sie? - kann zum Happy End führen: In dem stillen Meisterwerk "Intime Fremde" (Confidences trop intimes) von Patrice Leconte geht Sandrine Bonnaire statt zum Psychoanalytiker aus Versehen in das benachbarte Büro eines Steuerberaters (Fabrice Luchini). Der ist von seiner neuen Klientin so fasziniert, dass er die Verwechslung verschweigt, als er sie endlich begreift. Das wöchentliche Treffen mit der geheimnisvollen Anne führt zu intimen Geständnissen, die Farben werden heller, die Kleider leichter, so manch verklemmter Reißverschluss der Seele löst sich.
 
Wobei die wahren Traumbilder aus der Kamera anderer Meister kamen und dem großen Surrealen Luis Buñuel ("Der andalusische Hund") das Schlusswort gebührt: "Der Film ist das beste Mittel, um die Welt der Träume, Gefühle und Triebe auszudrücken. Es ist, als wäre er zum Ausdruck des Unbewussten erfunden worden, dessen Wurzeln tief in die Poesie hineinreichen."