28.2.18

Call Me by Your Name

Italien, Frankreich, Brasilien, USA 2017 Regie: Luca Guadagnino mit Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel 133 Min. FSK ab 12

Die Sonne von Kultur und großem, weitem Geist erstrahlt in diesem wunderbaren Film einer ersten großen Liebe. Die Kino-Legende James Ivory („Mein Mann Picasso" 1996, „Was vom Tage übrig blieb" 1992, „Wiedersehen in Howards End" 1990, „Maurice" 1985, „Zimmer mit Aussicht" 1985) beschenkt uns als Drehbuch-Autor mit einem puren Glücksfilm, der eine aus heutiger Sicht erstaunliche Welt ohne Hass, Neid und andere niedere Antriebe zeigt.

Ein traumhaftes Landhaus Oberitaliens beherbergt eine schon in ihrem vielsprachigen Umgang faszinierende Familie: Der Vater des 17-jährigen Elio Perlman (Timothée Chalamet) ist ein us-amerikanischer Archäologie-Professor, die Mutter Annella die italienisch-französische Erbin des Gutes. Elio selbst flirtet mit jungen weiblichen Sommergästen des Dorfes auf Französisch, schwätzt ganz entspannt mit der Bevölkerung in Italienisch und übersetzt klassische Musik in moderne Partituren. Ansonsten liest er unglaublich viel und Anspruchsvolles oder schwelgt im lauen Sommer.

Der wird etwas heißer, als mit Vaters amerikanischem Doktoranden Oliver (Armie Hammer) der diesjährige Gast der Familie auftaucht. Wie eine Verkörperung aller Werbeträume der frühen Achtziger bewegt sich der Schönling in Short und Sneakers durch die Szenen. Sein lässiges „(See you) later" wird bald zum Running Gag der Gemeinschaft. Dass Oliver in Elios Zimmer einquartiert wird und dieser seine neue Kammer nur durch das gemeinsame Badezimmer verlassen kann, sorgt anfangs für Komik bevor es immer spannender wird.

Denn Elio, der gerade noch vor den Eltern von einer Fast-Liebesnacht mit einer Freundin erzählte, ist fasziniert vom älteren Mann. Was selbst dieser unglaublich erwachsene und selbstsichere Junge erst einmal durch eine kalte Schulter ausdrückt. Doch eine gemeinsame Radtour führt zu einem sehr souveränen Liebesgeständnis.

Man kann getrost alles Drama, alle Klischees der ersten Liebe vergessen bei „Call me by your name". Auch dass eine schwule Liebe vielleicht im Umfeld für Aufregung sorgen könnte, fällt hier aufs Wunderbarste aus. Die Frage etwa, ob „Mama es wusste" kann im entspannt vertrauten Gespräch zwischen Vater und Sohn so unaufgeregt eine ganz andere, weitere Bedeutung bekommen. Und zu einem der tiefgründigsten, schönsten Kinomomente seit langer, langer Zeit werden.

Ohne Bigotterie, ohne Hass auf irgendwas ist Raum für all diese unfassbar vielen Gefühle in Gesten, Mimik, Bewegungen. Allein über die sinnlich und etymologisch prall gefüllten Aprikosen aus dem Garten der Villa, denen auch noch ganz neue sexuelle Reize zuteil werden, könnte man lange schwärmen. Und so ist nicht nur jedes Detail in diesem filmischen Kunststück liebevoll ausgeführt, es ist wortwörtlich voller Liebe.

Ivory, der viele seiner bekannten Filme mit dem Produzenten und auch privaten Partner Ismail Merchant realisierte, arbeitete als Ko-Autor an der Umsetzung von André Acimans Roman, der im us-amerikanischen Blick eine Verehrung alter europäischer Kultur feiert. Die Irritationen durch Gegenwärtiges sind minimal. Durch viel Italo-Pop auf der Tonspur (neben sehr sanfte Songs) klingt politisch der vieldiskutierte Amtsantritt des später wegen Korruption verurteilten Ministerpräsidenten Bettino Craxi. Man liest Heidegger und aus dem Garda-See werden antike Götterfiguren geborgen, die sich kongenial in die Ästhetik des Films einfügen. Dabei halten sich spannende erotische Szenen mehr zurück als die alten Bildhauer.

Sagenhaftes Schauspiel vor allem vom jungen Hauptdarsteller Timothée Chalamet vollendet diese stille, pure Liebesgeschichte aus einer Zeit und einem sozio-kulturellen Umfeld, die heutzutage utopisch wirken.

Das schweigende Klassenzimmer

BRD 2017 Regie: Lars Kraume mit Leonard Scheicher, Tom Gramenz, Lena Klenke, Jonas Dassler, Isaiah Michalski, Ronald Zehrfeld, Jördis Triebel, Florian Lukas, Burghart Klaußner, Michael Gwisdek 111 Min. FSK ab 12

Es war eine kleine Aktion, jugendlicher Überschwang bringt 1956 eine Schulklasse in der DDR-Mustersiedlung Stalinstadt dazu, wegen der Unruhen in Ungarn für zwei Minuten zu schweigen. Das gibt erst nur ein paar Fünfen, aber der kleine Akt, sein Gerechtigkeitsgefühl auszudrücken, gerät zur Staats-Affäre im Arbeiter- und Bauernstaat. Sogar der Volksbildungsminister (Burghart Klaußner) taucht auf und vermutet eine „Konterrevolution". Seine Assistentin Frau Kessler (Jördis Triebel) führt die inquisitorischen Gegenmaßnahmen durch: Die „Rädelsführer" müssen verraten werden, sonst könne die ganze Klasse das Abitur vergessen.

Regisseur Lars Kraumes neuer Film nach seinem vielfach preisgekrönten „Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015) stürzt sich direkt rein in das Dilemma einer wahren Geschichte aus dem Kalten Krieg, die Dietrich Garstka aufzeichnete - einer der insgesamt 19 ehemaligen Schüler. Gleich am Anfang wird gefragt „Wofür lässt man sich erschießen?" Ganz so dramatisch wird es in diesem Fall nicht, aber die Entscheidung „Revolution oder sich im Leben durchmogeln" liegt mehrfach an. Während die Klasse in einem System zermahlen wird, das sich schon sehr gut mit den Mitteln von Terror und Diktatur auskennt, bildet sie den Fokus der Geschichte.

Die historische Situation der DDR wird im Mikrokosmos Stalinstadt mit ein paar Schlaglichtern dargestellt: Das Verbot, den West-Sender Rias aus zu hören, die noch möglichen Grenzübertritte in den Westen mit seinen Verführungen in Geschäften und Kinos. Die phrasenhafte Selbstdefinition als antifaschistischer Staat, der sehr präsente militärische Druck der Sowjetunion auf die „sozialistischen Brüderstaaten". Und nur ganz am Rande auch etwas Hoffnung auf ein besseres Leben in einem besseren Land.

Im Gegensatz zum letzten Film von Kraume um das Verschweigen im Westen zeigen sich hier die Folgen des deutschen Faschismus in einer unmenschlich harten Haltung gegen jeden, der von der Regimelinie abweicht. Doch die Zusammenfassung des schwulen Bohemiens und erstem Opfer Edgar (DDR-Schauspieler Michael Gwisdek als authentisches Personal) ist universell: „Ihr habt euch als Freidenker zu erkennen gegeben und das mag kein System. Das Individuum muss sich fügen."

Die Erzeugung eines Denunzianten und Spions wird eindrucksvoll mit ausgezeichneten jungen und alten Darstellern in handwerklich braven Historien-Kulissen erschreckend einfach vorgeführt. Im Laufe der dramatischen Entwicklungen zeigt sich das gleiche Dilemma in den Biografien der Eltern. Doch hier lässt das Drehbuch nach: Einem fast gewaltsam linientreuen Parteipolitiker wird Selbstjustiz im KZ angehängt, der Volksbildungsminister wurde von der Gestapo gefoltert, Theos Vater (sehr präsent: Ronald Zehrfeld) hatte sich 1953 am Aufstand beteiligt und büßt nun stumm. Nur beim Schuldirektor wird genauer hingeschaut: Was machte diese Menschen zu Verrätern, Kollaborateuren und Monster?

Vieles vom Schweigen und Gehorchen rund um den kleinen politischen Akt wirkt heute schwer nachvollziehbar, macht aber dadurch umso mehr den Wert von freier Meinungsäußerung und aufrechtem Handeln klar. Stalinstadt heißt seit 1961 Eisenhüttenstadt, doch mit der Konzentration auf eine sympathisch solidarische Klasse bleiben die Konflikte zeitlos. Das letztlich „fliehende Klassenzimmer" ist historisch Teil einer Massenflucht, die schließlich zum Bau der Mauer führte. Schneeflocken kündigen eine lange politische Eiszeit an.

27.2.18

Die Biene Maja - Die Honigspiele

BRD Australien 2017 Regie: Alexs Stadermann, Noel Cleary 85 Min. FSK ab 0

Der erste neue Biena Maja-Kinofilm war für Original-Seher ein Schock und trotzdem recht erfolgreich. Auch die Fortsetzung „Die Biene Maja - Die Honigspiele" irritiert mit digital rund gemachten Figuren und grellen Farben. Zusammen mit Anleihen bei den modernen Bewegungs-Attraktionen des Kinos übertüncht das einen dünnen Handlungsfaden. Zwei Vertreter eines Volks müssen an unfairen Gladiatoren-Spielen teilnehmen, um das Überleben ihrer Gemeinschaft zu sichern. Das klingt nach „Hunger Games", aber statt Jennifer Lawrence steigt nun die Biene Maja in den Ring - und damit ist der Klau von Handlungs-Elementen noch lange nicht am Ende. Unter Führung von Maja wächst eine chancenlose Gruppe von ängstlichen Außenseitern - wie in amerikanischen Highschool-Filmen - zum Siegerteam zusammen. Und auch das allseits unbeliebte Völkerball stellt entsprechend die erste Prüfung dar. In der einfallslosen Dramaturgie eines Länder-Kampfes hangeln sich der dumme Willi, eine Emo-Spinne, der Käfer mit Schmutz-Phobie und auch eine Bettwanze mit Caruso-Stimme durch verschiedene, aufregende Spiele. Wie schon beim Libellen-Rennen zu Anfang sorgen Karussellfahrten der Kamera oder große Fallhöhen für belebende Attraktionen.

Das hat tatsächlich etwas von „The Fast and The Furious" und noch von vielen anderen „großen Filmen". Nicht dass die ganz kleinen Kino-Gänger diese Zitate verstehen würden, andersrum wird ein Schuh draus: Hier werden die Kleinen konditioniert, damit sie immer brave Kino-Bienen bleiben.

Witzige Namen und Figuren können beim großen Krabbeln jedoch nie die Charaktertiefe von beispielsweise Pixar-Filmen erreichen. Bei allen geklauten Vorbildern erstaunt, dass gerade für die Hauptfigur Maja nur eine verstaubte Mädchenrolle übrig blieb: Sie betont, dass jeder hat irgendein Talent habe, was der Film mehr schlecht als recht bebildert. Ihr selbst bleibt nur die Erziehung zur braven Arbeitsbiene. Gutmütig und impulsiv zerbricht sie eine Menge Porzellan und muss dann den Rest des Films bemüht sein, es wieder allen Recht zu machen.

26.2.18

Game Night

USA 2018 Regie: John Francis Daley, Jonathan Goldstein mit Jason Bateman, Rachel McAdams. Billy Magnussen, Sharon Horgan, Lamorne Morris, Kylie Bunbury, Jesse Plemons 95 Min.

Ein ganz besonderes Pärchen, das gerne spielt, für das Spiel aber kein Spaß ist: Max (Jason Bateman) und Annie (Rachel McAdams) fanden einander bei einem Spieleabend, in diesem Rahmen gab es auch den Heiratsantrag und das Sozialleben findet sowie nur mit Würfeln, Ratekarten und Spielbrettern statt. Eine schöne Gewohnheit, auch wenn der übermäßige Ehrgeiz von Max und Annie etwas durch den noch größeren Erfolg von seinem Bruder Brooks getrübt wird. Und dass der sitzengelassene Nachbar, ein sehr seltsamer Polizist, nie mitmachen darf, ist ein egoistischer Missklang.

Als nun Brooks mal wieder in der Stadt ist, mit dem Traumauto von Max vorfährt und den Bruder in der Spielerunde vorführt, erreicht der Spaß ein neues Niveau. Denn in der von Brooks organisierten „Murder Mystery" mit schlecht gespielten Entführern und falschem FBI-Agent mischen sich echte Gangster und kidnappen Brooks. Drei von der „tollen Inszenierung" begeisterte Paare stürzen sich nun unwissend auf die Hinweise der originalen Entführung. Da alle mehr oder wenig falsch spielen, bleiben sie den echten Verbrechern auf der Spur...

Vor allem wie das eingespielte Pärchen Max und Annie mit Begeisterung und einer vermeintlichen Spielzeug-Pistole im „Pulp Fiction"-Stil echte Verbrecher im Schach halten und sie zum Niederknien mit Hände-Hoch-Joga zwingen, spielt vortrefflich mit dem Missverständnis zwischen Ernst und Inszenierung.

Das Spiel, das tödlicher Ernst wird, und immer wieder die Möglichkeit einer großen Inszenierung aufblitzen lässt, gab es 1997 ernsthaft mit Michael Douglas als „The Game". Nun titscht diese Idee zwischen Komödie und Action, Klamauk und Küchenpsychologie hin und her. Der psychologische Hintergrund mit Verweis auf mythische Bruderkonflikte von Kain und Abel oder den Baldwins ist im Ansatz fundiert, wird interessant und nett ausgespielt, bleibt aber auf dem Niveau „simpel und überdeutlich". Und so entscheidet sich „Game Night" bei der Entscheidung zwischen richtigem Ausspielen der reizvollen Situation und billigem Klamauk immer für die schlechtere Variante. Vor allem den Mitspielern der guten Jason Bateman („Kill the Boss", „Arrested Development") und Rachel McAdams („Spotlight", „Dr. Strange") bleiben nur die Witzfiguren.

Bei aller Uneinheitlichkeit landet „Game Night" neben kleinen, schön bescheuerten Scherzen immer wieder auch Volltreffer: Die Do it yourself-Operation einer Schusswunde mit Max und Annie ist herrlich geschriebene, getimte und gespielte Komödie. Eine Szene von Bateman mit weißem Pudel, der am Ende wie das heimlich ausspionierte Zimmer komplett in Blut getüncht ist, reicht fast an den makabren Hunde-Spaß von „Alle lieben Mary". Nur leider stören dann wieder die zu einfach gestrickten persönlichen Probleme der anderen Paare oder plötzlicher Intelligenz-Ausfall der vorher so cleveren Spiel-Champions. Schade, dass so ein Film mit seinem Potential nicht noch mal zurück in die Drehbuch-Küche geschickt werden kann. Für den vollen Eintrittspreis hätte man gerne auch einen ganz guten Film.

14.2.18

Black Panther (2018)

USA 2018 Regie: Ryan Coogler mit Chadwick Boseman, Michael B. Jordan, Lupita Nyong'o, Martin Freeman, Forest Whitaker, Angela Bassett, Andy Serkis 135 Min. FSK ab 12

Was für eine traumhafte Vorstellung: Afrika nicht als der klischeehaft katastrophale Kontinent aus Hunger, Kriegen und Diktaturen. Nein, hier versteckt sich der technisch weit fortgeschrittene Staat Wakanda: Unsichtbare Luftschiffe, kugelsichere Anzüge, die der Iron Man noch erfinden muss, eine futuristische Stadt mit Hochhäusern, Magnetschwebebahnen und afrikanische Märkte. Die Marvel-Figur T'Challa alias Black Panther kehrt nach seinem Auftritt mit den Avengers als Thronfolger dorthin zurück. Doch wie bei den alten Griechen gilt es, eine Schuld der Väter zu sühnen.

Bereits in „The First Avenger: Civil War" spielte Chadwick Boseman Black Panther und König T'Challa. Nun gibt es das erste und sicherlich nicht letzte Solo-Leinwandabenteuer des königlichen Superhelden, mit dem das sogenannte Marvel Universum eine neue Einnahme-Quelle erschließt. Nach Krönung mit rituellem Kampf geht es hinter die her, die immer noch Rohstoffe aus Wakanda klauen. Denn die Hochkultur basiert auf Jahrhunderte langer Nutzung des außerirdischen Metalls Vibranium (man denke Seltene Erden). Doch der Gegner kommt aus den eigenen Reihen und führt zum wirklich interessanten Dilemma für T'Challa: Sein Cousin Killmonger (Michael B. Jordan), amerikanischer Ghetto-Gangster, Söldner und Massenmörder, besiegt ihn und will mit der Technik von Wakanda die Welt erobern.

Schon Killmongers Vater wollte mit Vibranium die Unterdrückung der Schwarzen in den USA gewaltsam beenden. Während der alte König sein glückliches Utopia mit Schutzschirme in einem afrikanischen Entwicklungsland versteckte und eine Politik von Pazifismus und Isolationismus anwandte - wir mischen uns nicht ein. Das ist bei aller originellen, aber routiniert kurzweiligen Action, bei allen Science Fiction-Spielereien das spannende Drama für einen Black Panther, der positiv als Bedenkenträger bezeichnet werden kann. Der enorme Erfolg der sich andeutet, basiert teilweise darauf, dass Regisseur Ryan Coogler („Fruitvale Station") und sein Team den interessantesten der Avengers-Filme hingelegt haben. Was nicht viel heißt. Aber die ganz große Welle macht „Black Panther" als erster afro-amerikanischer Superheld: Gut ein halbes Jahrhundert nach seinem Debüt in den Marvel-Comics im Jahr 1966 bekommt „Black Panther" seinen eigenen Kinofilm.

Es ist ein Projekt, das Wesley Snipes noch vor „Blade" verfolgte. Damals war die Zeit (oder Hollywood) anscheinend noch nicht reif dafür. Nun sind tatsächlich fast alle Rollen dunkelhäutig besetzt. Und auch die Frauen werden mal nicht mit Nebenrollen abgespeist. Die weibliche Palastgarde haut im Grace Jones-Look richtig rein. Die Schwester des Panthers ist eine rebellische Mischung aus Bonds Q und der Gothik-Forensikerin Abby in NCIS. Nach Meinung des Regisseurs Ryan Coogler hätten die jüdischen Comic-Schöpfer Stan Lee und Jack Kirby genügend Erfahrung im Außenseiter sein, um Black Panther zu einer glaubhaften Figur zu machen.

Auch der Name der kämpferischen Widerstandsbewegung Black Panther mag vor einigen Jahren noch ein Problem für eine große Hollywood-Produktion gewesen sein. Der Streit ist noch gegenwärtig in den Polen friedlich vs gewalttätig, für die Martin Luther King und Malcolm X standen. Die Entscheidung von Black Panther ist so erfreulich wie gegenwärtig utopisch: Wir teilen Wissen und Technologie mit allen, um mit gebildeter Jugend und sozialer Gerechtigkeit eine bessere Welt zu schaffen.

12.2.18

Die Verlegerin

USA 2017 (The Post) Regie: Steven Spielberg mit Meryl Streep, Tom Hanks, Alison Brie, Bob Odenkirk 117 Min. FSK: ab 6

Steven Spielberg, der von „Der weiße Hai" über „E.T.", „Indiana Jones" bis zuletzt „Bridge of Spies" und „Lincoln" alles kann und meistert, verfilmt mit dem Recht auf Pressefreiheit mal wieder einen Verfassungsgrundsatz unserer modernen Demokratien - und das ist so spannend wie notwendig.

Es geht um „Papers", wie in Panama Papers, wie in den NSA-Daten von Snowden. Ein engagierter Regierungsmitarbeiter hat 1971 kistenweise Papiere nach draußen geschmuggelt, die „Pentagon Papers". Darin schätzt die Regierung den Sinn des furchtbaren Vietnamkrieges ein. Ergebnis: Der Krieg ist nicht zu gewinnen. Dort sterben die Menschen nur um für die USA ein Image aufrecht zu erhalten. Erinnert auch an deutsche Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan oder Mali. Die New York Times bekommt als erstes das Material. Nach den ersten Veröffentlichungen, nachdem ein ganzes Team von Journalisten alles im Geheimen aufgearbeitet hat, bewirkt die Nixon-Regierung eine richterliche Anordnung, die Publikation einzustellen. Nun sieht die „Washington Post", damals noch eine unbedeutende, lokale Zeitung, ihre Chance. Sie kommt an die Papers und plant den Druck gegen rechtliche Drohungen. Der Kampf um die Pressefreiheit kommt vor Gericht zur Entscheidung. Das Duell zwischen Regierung und Presse spitzt sich zu.

Nun könnte Spielberg allein solch eine Geschichte mit links interessant inszenieren, doch „Die Verlegerin" ist auch ein Film über eben jene Verlegerin Katharine „Kay" Graham (Meryl Streep). Sie steht an der Spitze des Verlags, der die „Washington Post" herausbringt. Auf die erste weibliche Zeitungsverlegerin wird als Nur-Erbin herabgesehen, die den Laden von ihrem verstorbenen Mann übernahm. Dabei steht die Zeitung kurz vor dem Börsengang und kann keine Unruhe vertragen. Doch Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks), mit dem sie auf vertraulicher Basis diskutiert, will über einen gigantischen Vertuschungsskandal im Weißen Haus berichten. Dabei ist Katharine Graham auch mit Robert McNamara befreundet, der als Kennedys Verteidigungsminister mitten im Skandal steckt. Und das ist eine der großen Szenen, in denen die Soldaten-Mutter Graham McNamara ganz persönlich Soldaten mit seinen Verbrechen an der Menschheit konfrontiert.

Es geht um ein Verbrechen, einen dieser Kriege von demokratischen Regierungen, bei denen das Wahlvolk in Tausenden als Soldaten umgebracht werden. „Die Verlegerin" spielt altmodisch in einer Vor-Internet-Zeit, als man noch die Zeitung der Konkurrenz kaufen musste. Und topaktuell „herrlich" in all den zahlreichen Beispiele von mansplaining, die Spielberg in großen und kleinen Gesten wunderbar ins Bild bringt. Mit Herren in Schlips und Kragen, die Katharine Graham umringen und bedrängen. Tatsächlich geht es einfach darum, ob und dass eine Ausgabe einer Tageszeitung gedruckt wird. Mit noch von Hand gesetzten Seiten. Und auch sonst wird das Funktionieren von (Druck-) Pressen und Presse sehr sinnlich gemacht. Die Emanzipation einer Verleger-Witwe, die zur Chefin wird, ist sehr schön mit dem Kampf um Pressefreiheit verbunden. Spielberg zeigt Graham nach dem Sieg vor dem Supreme Court umringt von jungen Frauen. Sie hätte auch in „Die Unbestechlichen" von 1976 eine Rolle spielen sollen, wie das Schlussbild vom Watergate Hotel andeutet. Aber da standen noch die Herren Redakteure im Vordergrund.

Docteur Knock

Frankreich 2017 (Knock) Regie: Lorraine Lévy mit Omar Sy, Alex Lutz, Ana Girardot 113 Min.

Knock (Omar Sy), ein Gauner und Hochstapler, entdeckt auf der Flucht vor seinen Wettschulden seine Leidenschaft für die Medizin. Genauer: Für die Verdienstmöglichkeiten als Mediziner. Als Dr. Knock kommt er im verschlafenen Nest Saint-Mathieu an, um die Praxis vom Dorf-Arzt zu übernehmen. Es ist Nachkriegszeit und Knock ist ein Vorläufer der modernen Pharma-Industrie: Die quietschfidelen Menschen im Dorf sind schon krank, sie wissen es nur noch nicht! Zuerst lädt er alle zur Gratis-Konsultationen ein, dann kassiert er ab. Der besoffene Briefträger lässt die Zigaretten sein. Unverhohlen teilt er dem Apotheker mit, dass es nur ums Geldmachen geht. Mit großer Menschenkenntnis wickelt er alle im Dorf um den Finger. Fast alle, der Priester bekämpft verbissen die Konkurrenz.

Ein liebliches und nur freundliches Dorf ist Kulisse für eine harmlose bis langweilige Geschichte nach einem Theaterstück von Jules Romains aus den 1920er Jahren. Sie wurde bereits vier Mal verfilmt, diese Version soll nicht moderner als die von 1951 sein. Vor lauter trägem Bebildern über fast zwei Stunden verschläft man beinahe das Drama der letzten zehn Minuten. Erst bei einer späten Begegnung mit dem alten, überhaupt nicht geschäftstüchtigen Arzt steigert sich Knocks Methode zum Wahnsinn. Und auch die alte Geschichte mit Wettschulden kommt ihm in die Quere. Da wird es sogar mal kurz lustig, da kommen sie aus sich heraus, die kleingeistigen Menschen aus diesem kleingeistigen Film. Wobei nicht der billige Klamauk gemeint ist, dass der Priester mitsamt seiner Kanzel zu Boden kracht. Das harmlose Komödchen ist zwar überraschend gut besetzt, aber das ist halt das Potential des französischen Kinos, selbst solche Belanglosigkeiten auf hohem Niveau produzieren zu können.

11.2.18

Die Grundschullehrerin

Frankreich 2016 (Primaire) Regie und Drehbuch: Hélène Angel mit Sara Forestier, Vincent Elbaz, Albert Cousi 105 Min. FSK ab 0

Französische Filme beschäftigen sich immer wieder mal mit Bildung und sind dabei kein Blödsinn - ein Hinweis auf eine wahre Kultur- und Kino-Nation! Nach dem Cannes-Sieger „Die Klasse" taucht auch „Die Grundschullehrerin" scheinbar ganz einfach in den Schulalltag einer Grundschule ein. Florence (Sara Forestier) ist eine leidenschaftliche Lehrerin. Sie arbeitet gegen die Legasthenie von Tara, fängt gleichzeitig die Streitereien und die Gehässigkeiten von Lamine und Timothée auf. Die überschwängliche Hilfe der Lernbegleiterin Madame Duru für ihre Inklusionsschülerin muss gebremst werden. Das Schulstück würde mit tollen Kostümen und Musik auch einer Theater AG gut stehen. Liebevoll behält die junge Lehrerin jeden im Blick. Nur ihren Sohn Denis, der auch in dieser 4. Klasse sitzt, nimmt sie nie dran - er weiß es ja sowieso. Als Sacha in ihrer Klasse strandet, stellt es sich heraus, dass er so stinkt, weil er alleine zu Hause lebt und das Geld der Mutter zwar für Fast Food reicht, aber die Wäsche nicht mehr frisch ist. Florence übernimmt selbstverständlich auch noch dieses Problem.

Dass die alleinerziehende Florence nie wirklich aus ihrer Schule rauskommt, macht auch ihre Wohnung im gleichen Gebäude klar. Sacha landet öfters hier, weil niemand ihn abholen kommt. Klar, dass Sohn Denis eifersüchtig wird. Der ist sowieso sauer, weil er mit seinem Vater auf Weltreise will und Mama das auf keinen Fall erlaubt. Wie sich „Die Grundschullehrerin" durch allgemeine Ambivalenz von anderen, nur gut gemeinten Filmen abhebt, zeigen auch die beiden Jungs: Man hat Mitleid mit Sacha und erschrickt, wie fies und hinterhältig er sein kann. Denis, der Junge aus besseren Verhältnissen, steht ihm dabei nicht nach.

Florence hat tatsächlich eine ganze Menge zu tragen und dann holt da auch noch dieser ganz nette Essens-Ausfahrer, der überhaupt nicht zu ihr passt, immer mal wieder Sacha ab. Sara Forestier glänzt eben nicht in dieser äußerst komplexe Rolle, sie bleibt immer völlig bodenständig und glaubwürdig. Gemäß ihrer eigenen Erkenntnis, dass auch die Lehrer lernen, erzählt der schöne Film vor allem die Geschichte, wie sie mal aus der Schule rauskommt.

„Die Grundschullehrerin" ist eine Hymne für alle engagierten Lehrer, die nicht perfekt sein mögen, aber mit großem Engagement ihren besten Job machen. Er geriet nicht so dokumentarisch wie Laurent Cantets Cannes-Sieger „Die Klasse", begeistert aber auch mit lauter Laien in den Kinderrollen (und ist ebenfalls in Grenoble angesiedelt). Dabei wirkt er bei aller Realitätsnähe mit ein paar Wundern auch mal ganz märchenhaft.

Shape of Water

USA 2017 Regie: Guillermo del Toro mit Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins, Doug Jones 123 Min. FSK ab 16

Der Goldene Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen Venedig 2017. 13 Oscar-Nominierungen, unter anderem für Bester Film (Guillermo del Toro und J. Miles Dale), Beste Regie (Guillermo del Toro), Beste Hauptdarstellerin: Sally Hawkins, Beste Nebendarstellerin: Octavia Spencer, Bester Nebendarsteller: Richard Jenkins sowie Bestes Originaldrehbuch: Guillermo del Toro und Vanessa Taylor. Das wären schon mal ein paar Argumente für den wunderbaren „Shape of Water"!

Wie so oft - „Pans Labyrinth", „Hellboy" - begibt sich Guillermo del Toro zurück in die Welten des (Alb-) Traums und der populären Mythen. Sie lauern überall, zum Beispiel genau unter der Wohnung der gehörlosen Putzfrau Elisa (Sally Hawkins) im riesigen Kino, das gerade einen monumentalen Römerfilm zeigt. Es sind die 60er-Jahre, es herrscht Kalter Krieg. Elisa putzt jede Nacht in einem geheimen Hochsicherheitslabor der US-Regierung. Ein wahrlich stilles Leben mit kleinen Freuden wie der morgendlichen Selbstbefriedigung in der Badewanne und dem väterlichen Freund, dem Werbemaler Giles (Richard Jenkins) nebenan. Bis mit einer großen Metalltruhe etwas Besonderes ins Labor transportiert wird. Da Putzfrauen für die dortigen Herren der Schöpfung nahezu unsichtbar sind, verfolgt Elisa ganz nahe, wie ein in Ketten gelegtes Wasserwesen mit Elektroschocks gefoltert wird. Sie muss auch die Sauerei wegwischen, als dem Quäler ein paar Finger abgebissen werden.

Die stumme Frau fühlt sich direkt zum geheimnisvollen Wesen hingezogen und verlegt einfach mal ihr Frühstück an den Rand des Wasserbeckens. Elisa teilt nicht nur ihr hart gekochtes Ei mit dem scheuen Aqua-Mann, sie bringt ihm auch ihre Zeichensprache bei. Eine besondere Romanze könnte beginnen, doch das Militär will das vermeintliche Monster möglichst schnell sezieren.

Der Mustermann der USA der 60er ist der Militär Strickland (Michael Shannon). Einerseits ziemlich schräg, wenn er Händewäschen nach dem Pinkeln als Schwäche empfindet oder seine Frau beim Sex am liebsten stumm mag. Aber auch ganz mörderisch als Gesicht von Militarismus und Kolonialismus. Strickland will Unbekanntes erst einmal töten. Einer der entlarvenden Sätze seiner Spezies lautet: „Wir exportieren Anstand, weil wir ihn selbst nicht gebrauchen können." Der Bezug zum Amerika von Trump ist unüberhörbar, auch wenn das Wesen vom Amazonas dort wegen irgendwelcher Ölbohrungen im Weg war. Nun will Elisa ihren neuen Freund aus dem Labor entführen. Hilfreich dabei ausgerechnet ein russischer Spion.

Monster- und Liebesgeschichte. Typisch für Guillermo del Toro, der schon früh in „The Devil's Backbone" (2001) und dann in „Pans Labyrinth" (2006) den Franco-Faschismus mit Geister-Welten zusammenbrachte. Nun kommt aus dem Kino, aus Jack Arnolds B-Monsterfilm „Der Schrecken des Amazonas" (1954), ein Fremder oder vielleicht gar ein Gott, der die einfache Putzfrau Elisa aus ihrer kleinen, wenn auch poetischen Existenz befreit. „Shape of Water" ist dabei von den ersten Bildern eines Traums der wundervollste Film seit langem. Keine Überraschung beim so einzigartig fantastischen Regisseur, Autor und Produzent del Toro. Aber jedes Mal wieder betörend und beglückend. Sally Hawkins beeindruckt erneut, nach „Maudie" oder „Happy Go Lucky", in einer dieser Rollen, die nur für sie geschaffen scheinen. Ihre Elisa ist grandios in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Dass dabei eine rassistische, frauen- und schwulenfeindliche Welt sehr exakt entlarvt und überwunden wird, macht dieses Märchen der populären Kultur zu einer gleichzeitig klug politischen Erzählung.

10.2.18

Alles Geld der Welt

USA 2017 (All the Money in the World) Regie: Ridley Scott mit Michelle Williams, Mark Wahlberg, Christopher Plummer, Romain Duris, Charlie Plummer 133 Min. FSK ab 12

Mehr, mehr, mehr! Bitte einen Oscar für das beste Gesicht des Kapitalismus an Christopher Plummer! J. Paul Getty, der „reichste Mann aller Zeiten", hat trotz der Milliarden, die er gerade am morgendlichen Ölmarkt gemacht hat, kein für seinen Enkel übrig. Obwohl die Entführer schon ein Ohr vom jungen John Paul Getty III geschickt haben.

Es war eine der aufsehenerregendsten Entführungen der Promi-Welt: 1973 wurde der 16-jährige Paul (Charlie Plummer), Enkel des milliardenschweren Öl-Magnaten J. Paul Getty (Christopher Plummer, nicht verwandt), in Rom entführt. Was die Kidnapper scheinbar nicht wissen, ist dass der junge Paul zusammen mit seiner Mutter Gail Harris (Michelle Williams) lebt und die sich schon vor Jahren von ihrem Getty-Ehemann getrennt und vom alten reichen Geizhals losgesagt hat. Für Gail ist es unvorstellbar, 17 Millionen Dollar Lösegeld aufzutreiben. Der Bittgang zum ehemaligen Schwiegervater wird mit unvorstellbarer Kälte beantwortet. J. Paul Getty empfängt sie nicht einmal. Es charakterisiert ihn dabei vortrefflich, dass er auf seinem Schloss eine Telefonzelle mit Münzeinwurf für Gäste installiert hat!

Ridley Scott, der neben seinen nicht wenigen epochalen Filmen wie „Blade Runner", „Alien", „Thelma & Louise", „Gladiator" oder „1492" auch noch eine ganze Reihe interessanter inszeniert hat, legt hier mal keinen besonders spannenden Film hin. Hochspannung und Action gibt es nur kurz im Finale. Deftig ist „Alles Geld der Welt" zwar bei der ausführlich grausamen Verstümmelung der Geisel für einen altmodischen Beweis, dass sie lebt. Vor allem reiht sich ein unglaublicher Moment von Gettys Gier und Geiz an den nächsten. Eine Rückblende über die kurzzeitige Rückkehr seines verlorenen Sohnes und großer Zuneigung zum Lieblings-Enkel Paul macht das Staunen nur noch größer.

In einer besonders gelungenen Szene taucht J. Paul Getty im Moment größter Bedrohung für den Enkel mit einem Koffer voller Geld bei einem obskuren Italiener auf. Das Millionen-Geschäft wird vereinbart, bald blickt der Öl-Magnat glückselig und sagt „Mein schönes Kind" ... zu einem Ölgemälde mit Maria und Kind! Die reale Mutter Gail Harris erleidet derweil Höllenqualen, muss die vermeintliche Leiche des Sohn identifizieren und streitet sich durchgehend mit dem ehemaligen CIA-Agenten Fletcher Chase (Mark Wahlberg), den Getty ihr zur Kontrolle mitgegeben hat. Inzwischen sorgten das Zögern bei der Familie des Entführten und dann doch endlich ein paar Bemühungen bei nicht korrupten Polizisten dafür, dass die Sache für die Entführer zu heiß wurde und dass sie die Geisel einem Mafia-Gangster „weiterverkaufen".

Das zynische und eiskalte Gesicht des Kapitalismus wird durch Christopher Plummer („Verblendung") so eindringlich dargestellt, dass man eigentlich keinen Gedanken an Kevin Spacey verliert, der Getty zuerst hinter einer extrem dicken Maske spielte und der mit einem Nachdreh aus dem Film radiert wurde. Michelle Williams legt die Ergriffenheit routiniert hin, Mark Wahlberg erweist sich erneut als Null-Nummer, sein Sicherheitsmann hätte sicher weniger Leinwandzeit vertragen können. Es ist tatsächlich Plummer, der diesen Film trägt und zum dem man sagen muss: „Mehr. Mehr. Mehr!"

8.2.18

Wer ist Daddy?

USA 2017 (Father Figures) Regie: Lawrence Sher mit Owen Wilson, Ed Helms, Glenn Close, J.K. Simmons, Christopher Walken 113 Min. FSK ab 12

Owen Wilson, Glenn Close, J.K. Simmons und Christopher Walken - diese Besetzung kann sich sehen lassen! Dieser Film absolut nicht. Close spielt in der völlig verunglückten Komödie „Wer ist Daddy?" die Mutter der Zwillinge Kyle und Peter und verkündigt ihnen, der nette Mann auf dem Foto über dem Kamin sei überhaupt nicht der verschwundene Erzeuger, sondern von ihrer Mutter nur erfunden. Mama lebte und liebte wild in den 70er und könne nicht mehr sicher sagen, wer der Vater der Brüder ist. Nun beginnt die übliche Suche und Reise, auf der sich die zerstrittenen Kyle und Peter zusammenraufen.

Dabei spielen Owen Wilson („Grand Budapest Hotel", „Die Hochzeits-Crasher") und Ed Helms („Hangover", „Wir sind die Millers") schon so nebeneinander her, dass sie unmöglich Brüder sein können. Der Trip, den „Hangover"-Kameramann Lawrence Sher in seinem Regie-Debüt hinlegt, verläuft unfassbar unausgegoren und holperig. J.K. Simmons und Christopher Walken bekommen als bescheuert überdrehte Figuren und Vater-Kandidaten kurze Szenen, können aber auch nichts rausreißen. Ein paar Unflätigkeiten gehören im Genre des verfilmten Chaos immer dazu. Alles zusammen verläuft unglaubwürdig und langweilig.

7.2.18

Licht

Österreich, BRD 2017 Regie: Barbara Albert mit Maria Dragus, Devid Striesow, Lukas Miko 97 Min. FSK ab 6

Wenn sie nur Stevie Wonder oder den am Piano summenden Glenn Gould gekannt hätten, die Eltern des 18-jährigen, blinden Klavier-Wunderkinds Maria Theresia Paradis. Aber sie hätten trotzdem an dem Mädchen rumgemeckert, das im Wien des Jahres 1777 der Gesellschaft vorgeführt wird. In feinen Stoffen stecken grobe Gestalten mit gemeinem Verhalten. Es ist eine harte und grausame Behandlung der eigenen Tochter, die wie ein Zirkusäffchen ganz vortrefflich am Klavier musiziert. Hämisch wird über die hässlichen und stinkenden Folgen der Heilungsversuche einiger Kurpfuscher getuschelt. Für einen neuen Versuch soll die im Alter von drei Jahren Erblindete zum umstrittenen Arzt Franz Anton Mesmer. Im offenen Haus der Mesmers, zwischen Rokoko und Aufklärung, im Kreise wundersamer Patienten und dem Stubenmädchen Agnes, gewinnt Maria Theresie tatsächlich langsam ihr Sehvermögen zurück. Und sie kann das erste Mal in ihrem Leben Freiheit spüren. Allerdings geht auch ihre musikalische Virtuosität verloren. Ein Problem für die Eltern, denn „wenn sie nichts kann, zählt sie nichts"!

Die sehr angesehene Autorin und Regisseurin Barbara Albert („Fallen", „Böse Zellen", „Nordrand") basiert ihren Film über Maria Theresia Paradis (1759-1824) auf den Roman: „Am Anfang war die Nacht Musik" von Alissa Walser. Dabei sind auch der sehr interessante Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815) und sein Heilverfahren vermittels „magnetischem Fluidum" historisch verbürgt. Dies und die üppig schöne Ausstattung hinterlassen jedoch nie den Eindruck verstaubter Themen und Menschen. Sowohl von den Eltern Paradis als auch von Mesmer wird Maria Theresia gnadenlos vorgeführt. Und mit ihr der „Wert" des Menschen. Während das Wunderkind von einer kaiserlichen „Gnadenpension" abhängig ist, muss Mesmer um adelige Zuwendungen betteln. Da sind die Klicks bei Youtube oder die altmodischen Zuschauerzahlen nicht weit entfernt.

Barbara Alberts kluges Drehbuch, genaue Beobachtungen sowie eine exzellente Kamera sorgen immer wieder für interessante Szenen, wie die frische Wahrnehmung der Welt der Genesenden mit einem Kaspar Hauser-Effekt für neue Unterhaltung der Gesellschaft sorgt. Die Verbeugung von Mesmer und Joseph Anton „von" Paradis, mit gegenseitiger Fixierung, damit sich keiner auch nur einen Millimeter zu sehr beugt, ist herrlich. Das „einfache" Volk im Gesinde wird nicht übersehen. Und auch die Hauptdarstellerin beeindruckt: Maria Dragus legt nach ihrem starken Auftritt in „Tiger Girl", „Das weiße Band" und der Hauptrolle in „Tod einer Kadettin" hier erneut eine eindrucksvolle Tour de force hin.

6.2.18

Dinky Sinky

BRD 2016 Regie: Mareille Klein mit Katrin Röver, Ulrike Willenbacher, Till Firit 95 Min. FSK: ab 0

Die 36-jährige Frida (36) will ein Kind in die Welt setzen. Bei der Arbeit als Sportlehrerin will sie ein Kind und notiert nicht nur den eigenen Fruchtbarkeitszyklus, sondern auch den der Schülerinnen. Beim Ausflug mit dem Freund Tobias macht sie ihm einen Heiratsantrag - weil ... sie will ein Kind und Verheirateten wird die künstliche Befruchtung von der Kasse bezahlt. Beim Sex mit dem Freund will sie vor allem - ein Kind zeugen. Frida ist begeisterte Spezialistin für Baby-Zubehör wie Kuscheltiere oder optimale Kinderwagen. Kein Wunder, dass der Freund sich nach zwei Jahren aus diesem Zeugungsprogramm verabschiedet. Zuerst für eine Pause, dann für immer.

„Dinky Sinky" kommt über ein Jahr nach der Premiere beim Saarbrücker Max Ophüls-Festival in die Kinos. Meist kein gutes Zeichen. Hier eine deutliche Warnung. Der anstrengende Film kommt so humorlos und verbissen wie die Hauptfigur daher. Überhaupt geben schon Frida und Tobias ein furchtbares Paar ohne einen einzigen guten Moment ab. Beides sind Menschen, mit denen man nicht so viel Zeit verbringen will. Ein gemeinsamer Kinofilm kann da schon lang werden. Überdeutlich wird bei tickender biologischen Uhr die Konkurrenz der Freunde und Verwandten um möglichst viel Nachwuchs dargestellt. Der Gynäkologe macht zusätzlich Druck. Als Frida zwangsläufig vom Zustand Dinky („Double Income, No Kids Yet") zum Sinky („Single Income") wechselt, quält sich der Film durch ein paar Dates, die höchstens als krachende Komödie hätten funktionieren können.

Aber wie Fridas Hamster immer in seinem Rad rennt (Symbol!) verläuft „Dinky Sinky" sehr eingleisig und nur mäßig interessant. Zwischendurch trainiert die Lehrerin eifrig für einen Marathon. Das soll wahrscheinlich auch was bedeuten, aber interessiert längst nicht mehr. Nix Tragikomödie, vor allem keine Tragik. Das ist mit wenig Esprit verfilmte Betroffenheit der Autorin und Regiedebütantin Mareille Klein. Kann auch als Beipackzettel bei Pro Familie verteilt werden, nur die gehen dort sicher klüger mit solchen Situationen um.

5.2.18

Wind River

USA, Kanada, Großbritannien 2017 Regie: Taylor Sheridan mit Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Graham Greene 107 Min. FSK: ab 16

Wenn Taylor Sheridan, der Autor von „Sicario" und „Hell or High Water", seine erste Regie-Arbeit hinlegt und damit so etwas wie eine Amerika-Trilogie fortführt, verdient das Aufmerksamkeit. Der Schnee-Western und Thriller „Wind River" um zwei Morde an jungen Frauen ist einer der interessanten Filme, die vor allem um den Handlungspfad herum zu überzeugen wissen. Der unheimlich spannende, zeitweise sehr brutale, moderne Western erweitert das Genre um lebensechte Gesellschaftseinblicke.

Der den Wolf erschießt ... kein einsamer Jäger, aber seit dem Mord an seiner Tochter weidwund und von seiner Frau getrennt lebend. Cory Lambert (Jeremy Renner) arbeitet als weißer Jäger im eingeschneiten, abgelegenen Indianer-Reservat. Er findet die tote Frau, die in der starken Eingangssequenz panisch und barfuß durch eisige Landschaft rannte. Lambert hilft der nicht nur mit leichter Jacke im brutalen Winter deplatzierten FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen). Er ist kluger Fährtenleser. Doch auch dass seine eigene Tochter vor drei Jahren ermordet und unter ähnlichen Umständen aufgefunden wurde, treibt ihn an.

Dabei gibt Jeremy Renner („Avengers") nicht den als Klischee abgenutzten gebrochenen Helden. Sein Jäger hat gerade in der Gemeinschaft des Reservats Freunde und Halt gefunden. Der knappe, trockene Umgang miteinander, der gegenüber Fremden tatsächlich noch spröder werden kann, täuscht über das große Mitgefühl füreinander. Einem verdächtigen Sohn des Freundes redet Lambert wegen dessen hoffnungslosen Lebenswandels väterlich ins Gewissen. Bei ein paar Typen, bei denen nichts mehr zu retten ist, erweist sich die Schneeschaufel als hilfreich zur Festnahme. Dabei weisen - für den Fährtenleser offensichtlich - alle Spuren zum Lager der Ölarbeiter.

Was weiter passiert und wer es war, wäre tatsächlich in ein paar Worten zu erzählen. Wie Autor und Regisseur Taylor Sheridan dies montiert, ist ebenso ein Schock wie die Brutalität der Tat. Als Stichwort für diesen gewagten Schnitt am Türknauf sei Schweigen der Lämmer erwähnt.

„Wind River" diese tragische Geschichte mit brutaler sexueller Gewalt, ist vom Handlungsrahmen her ein Western, aber mit der Zwischenmenschlichkeit eines Arthouse-Films. So machen die Figuren ebenso viel Eindruck wie die Landschaften. Doch wer „Sicario" kennt, weiß dass man hier auch mit intensiver Action rechnen kann. Bestes Handwerk beschert sehr viele gute Momente, einige davon sind grausam. Die Situation im Grenzbereich der us-amerikanischen Zivilisation zeichnet so auch ein Porträt des Lebens im Indianer-Reservat - von den chaotischen rechtlichen Verhältnissen bis zu den intensiven zwischenmenschlichen.

Freiheit

BRD, Slowakei 2017 Regie: Jan Speckenbach mit Johanna Wokalek, Hans-Jochen Wagner, Inga Birkenfeld, Andrea Szabová, Ondrej Koval 100 Min.

Das Beschauen von Bildern löst etwas aus - im besten Falle. So auch bei Nora (Johanna Wokalek), die nach der Ansicht von ein paar Caravaggios in Wien ziellos mit einem Bus bis zur Endstation fährt, sich von einem Klein-Casanova abschleppen lässt und dann ganz altmodisch rüber nach Bratislava trampt. Ihr unbestimmtes Ziel stellt sich langsam heraus: Nur weg!

Freiheit steht in Großbuchstaben auf der Leinwand. Doch so einfach ist es nicht mit ihr. Das reflektiert der außergewöhnliche Film auf verschiedene Weisen, inhaltlich und formal: Am Anfang spiegelt die Seite des Busses, in dem Nora ziellos fährt, die Außenwelt nahezu ununterscheidbar. Und dann der große Clou des Films, der sich nicht mit der Beobachtung eines für sich banalen Ausbruchs zufrieden gibt. Noras Ehemann muss parallel plötzlich Kinder und Karriere ausbalancieren. Sein aktueller Fall eines fremdenfeindlichen Schlägers erfährt neue Dimensionen. Während der Anwalt mit sozialem Gewissen immer öfter ausrastet, scheint Nora im ungebundenen Leben ganz bei sich zu sein.

Nun ist „Freiheit" kein Caravaggio, der zweite Spielfilm des Berliner Regisseurs Jan Spreckenbach nach „Die Vermissten" bewegt aber durchaus etwas. Die schon im Titel angekündigte Freiheit wirkt zuerst wie Berliner Schule - viel erklärt wird nicht, wir können auch ganz bei Nora sein. Wohlgemerkt nicht bei ihren Emotionen eher bei den Abläufen und Wegen. Die sie in eine Erotik-Bar führt und dann - wie auf die andere Seite eines Spiegel - wieder an einen Familientisch. Nur in anderer Position.

Doch die Strenge wird mehr und mehr aufgebrochen. Es wird spannend, als ihr Ehemann Philip in einer Talkshow wegen Noras Verschwinden und vermutlicher Verbrechen befragt wird. Als er mit seiner Kollegin schläft, schwebt Noras Gesicht über ihm und es folgen noch weitere Überraschungen. Die zwei Seiten des Rätsels um ein Verschwinden sind raffiniert konstruiert. So sehen wir den Anfang erst am Ende. Es sind die letzten Stunden in Job und Familie von Nora, bevor sie „Zigaretten holen geht" und nicht wiederkommt.

„Bevor die Seelen der Verstorbenen wiedergeborenen werden, müssen sie aus dem Fluss Lethe trinken, um ihre Vergangenheit zu vergessen", lautet der den Film prägenden Satz im Vorspann. Und der Vorname verweist überdeutlich auf Ibsens „Nora", eine andere Frau, die den Ausbruch aus ihrem „Puppenheim" versuchte. So was aus Deutschland zeigt man gerne auf Festivals, oft kommt es nicht beim Kino-Publikum an. Doch „Freiheit" nimmt sich die Freiheit, leicht und mit Humor zu erzählen. Eine packende Bildgestaltung hebt „Freiheit" von gleich gerichteten Geschichten ab. Johanna Wokalek („Der Baader Mainhof Komplex", „Barfuss") gehört sowieso zu den Schauspielerinnen, denen man von der Terroristin bis zur Päpstin alles abnimmt.