5.12.17

Die Lebenden reparieren

Frankreich, Belgien 2016 (Réparer les Vivants) Regie: Katell Quillévéré mit Tahar Rahim, Emmanuelle Seigner, Anne Dorval, Bouli Lanners 104 Min. FSK: ab 12

Voll das Leben - sinnlich und wunderbar, wie der junge Simon mit den Freunden an die Küste fährt und morgens in der Brandung surft. Dann der Tod auf der Rückfahrt im Auto. Hirntod im Krankenhaus, aber sein Herz schlägt noch. Was es den Eltern nicht einfacher macht, den Körper zur Organspende frei zu geben. Schon in den ersten rauschhaften Minuten auf dem und unter Wasser spürt man das großartige Filmemachen von Katell Quillévéré („Die unerschütterliche Liebe der Suzanne", „Ein starkes Gift"). Sie zeigt in der Verfilmung von Maylis de Kerangals Roman „Réparer les vivants" („Die Lebenden reparieren") minutiös die Abläufe in den Krankenhäusern. Dann ungewöhnlich die Rückblende zu einem wunderschönen Verlieben, was den Verlust für Eltern und Freundin unerträglich spürbar macht.

Die heftigen Gefühle werden gelebt von außergewöhnlich guten Schauspielern wie Emmanuelle Seigner („Venus im Pelz", „In ihrem Haus") und Tahar Rahim („Heute bin ich Samba", „Ein Prophet"). Der Lütticher Regisseur und Schauspielstar Bouli Lanners spielt ungewöhnlich bürgerlich den Chefarzt, der den Eltern die Situation des Sohns vermitteln muss. Was bedeutet „hirntot"? Ist das anders als ein Koma? Dabei versucht der sensible Arzt angesichts der zusammenbrechenden Angehörigen sachlich seine Arbeit zu machen. Und dann muss sein Kollege die völlig deplatzierte Frage nach der Organspende stellen. Deplatziert, brutal, unsensibel, aber lebensrettend für jemand anderen.

Im zweiten Teil bewegt die Geschichte der Mutter Claire mit ihren beiden sehr fürsorglichen, fast erwachsenen Söhnen. Eine degenerative Herzkrankheit macht sie langsam und zur alten Frau. Die allerdings noch mal ihre ehemalige Geliebte und jetzt berühmte Konzert-Pianistin trifft. Ein Spenderherz könnte Claire retten. Das klingt wie eine sachliche Dokumentation über die Segnungen der Organtransplantation. Doch auch wenn es tatsächlich als starkes Plädoyer für den eigenen Spenderausweis wirkt, ist „Die Lebenden reparieren die Toten" vor allem ein umwerfender Film mit viel mehr und stärkeren Emotionen als laute Produktionen, die mit viel (künstlichem) Gefühl werben. Ein großer Film voller Momente zum Vergehen, starken Songs, die man direkt auf der eigenen Playlist haben will. Dabei gibt es keine Diskussion über den unendlich schweren Entschluss, nur Film und seine enormen Mittel, welche die Entscheidung vermitteln. Es sind Feinheiten wie der Wunsch der Mutter, man möge Simon seine Augen lassen, die in all dem Großartigen des Films immer wieder erneut tief treffen. Die Operationen der offenen Herzen verlaufen hier nahezu poetisch.