22.11.17

Aus dem Nichts

BRD, Frankreich 2017 Regie: Fatih Akin mit Diane Kruger, Denis Moschitto, Johannes Krisch, Ulrich Tukur 106 Min. FSK: ab 12

Nach einer langen Durststrecke sorgte Fatih Akin mit „Aus dem Nichts" und dem Cannes-Preis für seine Hauptdarstellerin Diane Kruger fast wie selbstverständlich für einen deutschen Festivalerfolg. Entstanden aus persönlicher Wut über die falschen und sehr voreiligen Schuldzuweisungen an die türkischen NSU-Opfer in der Kölner Keupstraße.

Das glückliche Familienleben von Katja (Diane Kruger) wird aus heiterem Himmel - oder: Aus dem Nichts - zerstört, als ihr Mann und ihr Sohn bei einem Bombenanschlag sterben. Seltsamerweise ermittelt die Polizei beim Opfer und dringt ins Privatleben von Katjas Familie ein. Die Dealer-Vergangenheit ihres Mannes wird herausgekramt, seine türkisch-kurdische Abstammung gilt als verdächtig. Dann fasst die Polizei doch die Täter, ein junges Neo-Nazi-Paar. Aber auch das Gerichtsverfahren verläuft gegen die Erwartungen, die hämischen Mörder werden freigesprochen.

Bislang zeigte Fatih Akin das Zusammenleben verschiedener Ethnien als schwierig aber auch funkenschlagend reizvoll. So war es bereits 1998 bei seinem Debüt „Kurz und schmerzlos" und besonders schön 2009 in „Soul Kitchen". Politische Probleme gerieten allerdings auch filmisch problematisch: „The Cut" (2014) über das türkische Massaker an der armenischen Bevölkerung fiel trotz einiger Qualitäten bei der Kritik durch und die ökologische Doku „Müll im Garten Eden" (2012) über das Dorf seiner Eltern ist sein schwächster Film. Wenn einer der besten deutschen Regisseure nun einen mehrfach aufgeladenen NSU-Film dreht, ist also eine gewisse Skepsis vorhanden.

Und tatsächlich hängt ein ungeheuer packendes Melodram auf dem Weg zum fein spannenden Rachethriller im Mittelteil Gerichtsfilm durch. Fatih Akin taucht, was er unglaublich gut kann, voll ins dichte Leben toller Menschen mit Ecken und Kanten und schön vielen Tattoos. Was passieren wird mit der Familie Sekerci, weiß man schnell, wenn eine blonde Frau ihr Fahrrad vor dem Laden des Mannes im Hamburger Türkenviertel abstellt. Der Schock angesichts des Verlustes von Mann und Kind ist ungeheuer - und von Diane Kruger ungeheuer gut gespielt. Das immer noch unglaubliche Verhalten der auf dem rechten Auge blinden und tauben Polizei bekommt eine Breitseite ab. Sie tappt im Dunkeln, legt falsche Fährten aus, macht eine Hausdurchsuchung beim Opfer und schnüffelt in dessen Steuerunterlagen.

Doch wie und weshalb die Justiz scheitert, bleibt völlig beliebig. Man hätte den ganzen Gerichtsteil in einer Szene abhandeln können, dann aber Ulrich Tukurs Auftritt verpasst, der als Vater des Täters mit einer Entschuldigung ein selten anständiges Gegenbild gibt. Erst als Katja eigenhändig die Mörder verfolgt, blitzten wieder Momente von Akin freiem Inszenierungsstil auf, fällt die Eindeutigkeit an vielen emotionalen und moralischen Bruchstellen auf packende Weise auseinander.

Diane Kruger, die für diese Rolle in Cannes als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, erweist sich hier wieder als sehr, sehr gute Schauspielerin, die einen Großteil der Films trägt. Sie entwickelte sich vom Modell und von „schönen" Rollen wie der Helena in Petersens „Troja" mit „Mr. Nobody" (2009) und „Barfuß auf Nacktschnecken" (2010) zur exzellenten Arthouse-Schauspielerin. Auftritte in „lauten" Filmen wie „Inglourious Basterds" komplettierten ihre Bekanntheit. Dass Kruger nach Leben und vielen Rollen wieder mal in Deutschland drehte, sorgte für Aufsehen. Wahrscheinlich letztlich für mehr Aufsehen, als „Alles aus dem Nichts" als nur streckenweise gelungener NSU-Film erzeugen wird.