14.8.17

70. Filmfestival Locarnos vergoldet Demenz-Drama

Samstagabend wurden in Locarno die Leoparden losgelassen. Nach zehn Tagen Filmfestival mit Wetterkapriolen aber unspektakulärem Programm gingen die traditionellen Preise in Gold und Silber für beste Filme und Darsteller an einen internationalen Wettbewerb mit 18 Filmen. Mehr Bedeutung für das Tagesgeschäft Kino werden die „Piazza-Filme" haben, unter denen die amerikanische Multikulti-Komödie „The Big Sick" den Publikumspreis erhielt.

Beim Jubiläumsfestival, das vor allem durch Neuerungen auffiel, ging der Goldene Leopard für den besten Film an das chinesische Demenz-Drama „Mrs. Fang" des Regisseurs Wang Bing. Er zeigt in seiner unaufgeregten Dokumentation die letzten Lebenswochen der alten Mrs. Fang im Kreise ihrer Großfamilie. Mit Söhnen, die viel erklären, und Frauen, die still pflegen. Ein universelles, teils schwer erträgliches Thema, allerdings keine neue Kinematografie. Wang ist mit mehreren Dokumentationen und Spielfilmen ein angesehener Filmemacher, der einem breiteren Publikum noch nicht bekannt war. Er war bereits mehrere Male in Locarno, sein Sieger-Film wurde von der aktuellen Documenta 14 mitproduziert.

Die internationale Jury um den französischen Regisseur Olivier Assayas und die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr vergab den Darstellerpreis bei den Frauen an den nicht anwesenden Star Isabelle Huppert („Elle"). Sie spielt in „Madame Hyde" eine verschrobene Lehrerin, die vom Blitz getroffen wird und ihre dunkle Hyde-Seite entdeckt. Bester Darsteller von Locarno 2017 ist der unbekannte, junge Newcomer Elliott Crosset Hove aus Dänemark, der den legendären Harry Dean Stanton („Paris, Texas") in „Lucky" ausstach. Im dänisch-isländischen Drama „Vinterbrødre" (Winterbrüder) von Hlynur Pálmason gerät Hoves Figur in eine Familienfehde. Er spielte zusammen mit seinem echten Vater.

Die vielen Preisträger versprühten Samstagabend so viel Begeisterung bei der Ehrung auf der Piazza Grande dass der Funke sogar auf das klatschfaule Publikum übersprang. Festival-Präsident Marco Solari bedankte sich zwar zum Abschied beim Publikum, welches das eigentliche Festival sei. Allerdings erwies sich dies 2017 als nicht besonders cinephil, als es die 84-jährige Regie-Legende Jean–Marie Straub nur mäßig würdigte. Und auch sonst ließ die Begeisterung zu wünschen übrig: Auf der Leinwand erinnerte sich Sebastian Koch, wie der Stasi-Film „Das Leben der anderen" 2006 mit einem Meer aus Feuerzeugen gefeiert wurde. Jetzt reichte es gerade für eine billige Kommerz-Aktion mit Leuchtstäbchen für die brutalen und banalen Agenten-Action „Atomic Blond". Dringend müssen jüngere Generationen an Filmkultur und -Festivals rangeführt werden. Locarno versucht es vor allem mit jungen Events rund um den Film.