28.6.17

Die Verführten

USA 2017 (The Beguiled) Regie: Sofia Coppola mit Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning 93 Min. FSK: ab 12

Im Nebel eines ruhigen Morgens klingt der Kanonendonner nur aus der Ferne. Trotz der Kriegsgeräusche scheint man in die zeitlos schwebende Stimmung aus Sofia Coppolas „The Virgin Suicides" einzutauchen, doch zwischen den Pilzen findet das Mädchen Amy einen verwundeten Soldaten. Es ist das Jahr 1864 und Bürgerkrieg im Süden der Vereinigten Staaten. John McBurney (Colin Farrell) wird zum abgelegenen Mädchenpensionat geschleppt, in dem sich neben der Leiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und der Lehrerin Edwina Dabney (Kirsten Dunst) fünf Mädchen aus gutem Hause verstecken. Nun pflegen sie nicht nur einen Feind, vor allem ist John ein Mann, und mit so etwas hatten die Frauen seit einer Weile nichts näher zu tun. Die Frage, ob man ihn den eigenen Truppen ausliefern soll, ist fast eine rhetorische. Was mit ihm anzufangen sei, nun er einmal da ist und seine Wunde auch gut verheilt, lässt sich schwerer beantworten.

Mädchen und Frauen machen sich umgehend hübscher, kleine Aufmerksamkeiten konkurrieren eifersüchtig um die Gunst des Hahns im Korb. John selbst nutzt seine Menschenkenntnis zu subtiler Verführung, spielt mit der Situation und die Mädchen gegeneinander aus. Das altmodische Normalformat der Kamera zusammen mit unaufdringlichen Aufnahmen wie unter Naturlicht passen zu einer unspektakulären Inszenierung. Gepflegte Sprache in Wort und Bild. Das makellos gestaltete Offensichtliche verhüllt jedoch kaum das Komische dieser kleinen Abhandlung weiblichen und männlichen Rollenspiels, dieses Ringens eines Übermaß hochgeschlossener Schlichtheit puritanischer Erziehung um Fassung angesichts des knackigen Lustobjekts, das sich auch noch als geschickter Gärtner erweist. Bis die Masken am Wendepunkt fallen und sich eine hässliche Fratze von Macht, Verlangen und Zwang zeigt. Das männliche Prinzip von Gewalt und Krieg hält Einzug in das Südstaaten-Herrenhaus, allerdings tritt ihm eine ebenso klassische weibliche Selbstverteidigung entgegen.

Der Film ist eine Adaption des Romans „The Beguiled" von Thomas Cullinan und Remake eines Don Siegel-Films aus dem Jahr 1970 mit Clint Eastwood in der Hauptrolle. Dieser strotzt schon bei den Beteiligten vor purem Machismo. Sofia Coppola („Lost in Translation", 2003) realisierte nun keine radikale Neuinterpretation oder Modernisierung. Was man erwarten könnte, hat doch die 1971 geborene Tochter der Legende Francis Ford Coppola mit „Marie Antoinette" bereits das Genre des Kostümfilms auf den Kopf gestellt. Trotzdem macht das auf ruhige Weise packende Schauspiel den Blick klarer auf Mechanismen von Anziehung und Gewalt. Diese Sicht ist weder als Parabel zum Leben im Krieg - siehe „InnenLeben" - noch in der Gender-Thematik platt oder banal.

Einerseits sorgen immer wieder fein komponierte Aufnahmen aus der Distanz für einen kritischen Abstand. Andererseits zieht die exzellente Besetzung mit einer manierismen-freien Nicole Kidman („The Hours"), Coppolas Dauer-Darstellerin Kirsten Dunst („Melancholia", „Marie Antoinette", „The Virgin Suicides "), der unfassbaren Elle Fanning („The Neon Demon") und Colin Farrell („Phantastische Tierwesen") derart in den Zwiespalt aus Anstand und Leidenschaft, dass der in Cannes mit dem Regie-Preis ausgezeichnete „The Beguiled" sowohl zum Miterleben als auch zum Überdenken verführt.

27.6.17

Der Tod von Ludwig XIV.

Frankreich, Portugal, Spanien 2016 (La mort de Louis XIV) Regie: Albert Serra mit Jean-Pierre Léaud, Patrick d'Assumçao, Marc Susini 115 Min.

Nach einem Spaziergang verspürt der Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638-1715) Schmerzen im Bein. Sein Dahinsichen im Regierungsamt vom 9. August bis zum 1. September 1715 protokolliert der kunstreiche Film des spanischen Regisseurs Albert Serra mit einem langen, letzten Atem. Das ruhige Kammerspiel um den Herrscher, dessen Staat sich weiter um ihn dreht wie um die Sonne, protokolliert in naher Betrachtung die Ausübung der absoluten Macht eines Bettlägerigen. Die Leinwand-Legende Jean-Pierre Léaud, bekannt geworden durch François Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus, steht unter einer absurd riesigen Perücke im Zentrum dieses warm im Halbdunkel gefilmten, faszinierenden Totentanzes.

Nur ein Tag

BRD 2017 Regie: Martin Baltscheit mit Lars Rudolph, Aljoscha Stadelmann, Karoline Schuch, Anke Engelke 76 Min. FSK: ab 0

Wildschein und Fuchs campen auf Liegestühlen am See und erwarten mit gemischten Gefühlen das Schlüpfen der Eintagsfliege. Angesichts der venusgleichen Geburt wird über Leben und Tod philosophiert - was beides kein Grund zum Weinen sein soll. Deshalb machen sich die drei nun auf, den Tag zu genießen, weil der Fuchs angeblich nur einen Tag zu leben habe. Denn Wildschein (Aljoscha Stadelmann) und Fuchs (Lars Rudolph, spielt wieder Trompete!) bringen es nicht übers Herz, der liebenswerten Eintagsfliege (Karoline Schuch) zu erklären, dass sie bald sterben wird. Zum Erlebnisprogramm gehören Gänsejagd, die Heirat von Fuchs und Wildschwein, Geburt, Alter und Tod.

Martin Baltscheit inszenierte in seinem Kinodebüt nach seinem Theaterstück, dem folgenden Roman und Hörspiel „Nur ein Tag" als eine kluge, fröhliche und auch herzzerreißende Geschichte, als einen Kinderfilm, der sogar die Erwachsenen nicht unterfordert. Die Tiere der wunderbaren Fabel werden wie selbstverständlich von Menschen gespielt. Mit Swing und Jazz unterlegt gibt es etwas Klamauk, aber vor allem eine Eintagsfliege, die mit ihrem sehr sonnigen Gemüt auch das kurze Leben genießt. Diesem Spaß steht Anke Engelke als eine düstere, pessimistische Eintagsfliege entgegen, die nur die restlichen Minuten ihres Lebens runterzählt. Tolle Schauspieler, eine zeitgemäße Sprache und verblüffende Lebensweisheit im kleinen Format machen „Nur ein Tag" zur unbedingten Empfehlung.

Wilson - Der Weltverbesserer

Wilson - Der Weltverbesserer

USA 2017 (Wilson) Regie: Craig Johnson mit Woody Harrelson, Laura Dern, Judy Greer, Isabella Amara 94 Min. FSK: ab 12

Wilson (Woody Harrelson) träumt vom Glück der Kindheit, lebt aber tagsüber als unverbesserlicher Zyniker mit Hund. Der Misanthrop geht anderen Menschen tierisch aufdringlich auf die Nerven, er weiß alles und vor allem besser. Keiner seiner alten Bekannten will ihn auch nur aus sicherer Entfernung sehen. Doch in seinem asozialen Verhalten blitzen durchaus zutreffende Bemerkungen zum Zustand unserer westlichen Gesellschaften auf. Als er nach vielen Jahren Schwelgen im Gefühl verletzter Liebe doch seine Ex-Frau Pippi (Laura Dern) - auf dem Strich - sucht, entdeckt er auch, dass er Vater ist. Sehr unkonventionell lauert das schräge Pärchen dem adoptierten Teenager auf. Claire (Isabella Amara), die wegen ihres Aussehens heftig gemobbt wird, fühlt sich angesichts dieser beiden extrem seltsamen Erwachsenen plötzlich ganz normal. Doch letztlich müssen die absurden Versuche, eine „normale" Familie zu sein, scheitern. Wie Wilson sich im Knast durchschlägt, ist grandios comic-komisch. Wie das Schicksal noch mal zuschlägt, wunderbar tragikomisch.

Woody Harrelson („Planet der Affen") ist genial in der Charakter-Rolle Wilsons, der irgendwo tief in diesem Idioten ein weiches Herz versteckt. Auch Laura Dern spielt als Ex-Junkie Pippi endlich mal wieder großartig auf. Nach der gleichnamigen Graphic Novel von Daniel Clowes („Art School Confidential", „Ghost World") präsentiert dieser schöne Film eine herrliche Sammlung kaputter Typen und Einlagen, die von Altmeister Robert Crumb stammen könnten. Jemand, der zwischenmenschliche Begegnung mit dem anderen Geschlecht mit einem Auffahrunfall einleitet, hat so einen ganz besonderen Film verdient.

Sommerfest

BRD 2017 Regie: Sönke Wortmann mit Lucas Gregorowicz, Anna Bederke, Nicholas Bodeux 92 Min. FSK: ab 0

Die Nachricht vom Tod des Vaters erreicht den Schauspieler vom Münchner Residenz-Theater mitten in einer Räuber-Inszenierung. So reist Stefan Zöllner (Lucas Gregorowicz) in wilder Kostümierung und düsterer Schminke direkt mit dem Zug nach Bochum. Das ist die umgekehrte Reiserichtung wie in „Kleine Haie", mit dem 1991 flott und witzig die Karriere des mittlerweile sehr routinierten Regisseurs Sönke Wortmann („Die Päpstin", „Das Wunder von Bern", „Hera Linds Das Superweib", „Der bewegte Mann") begann.

Mit Frank Goosens Roman und Zungenschlag stürzt sich Wortmann nun mitten rein in das Ruhrpott-Leben: Stefan trägt wegen der überstürzten Abreise die Klamotten vom Vater, was hier weitab von irgendeiner modischen Stadt nicht sonderlich auffällt. Die „Omma" vom Büdchen begrüßt ihn herzlich, vom Bismarck-Turm gibt es einen Rückblick über die Geschichte Bochums. Die Bestandsaufnahme bleibt vorerst nüchtern: „Schön sieht es ja nun wirklich nicht aus hier: Keine Berge, keine Arbeit, keine Landschaft." Mit der trotzigen Grundhaltung: „Woanders isset auch Scheiße!"

Das Motto von Stefans Kumpel und von Frank Goosen lautet: „Storys gibt es hier, das glaubst du nicht. Liegen überall rum, man muss sie nur aufheben". Aber wirklich toll sie sind die Geschichten in diesem Film nicht. Sie sind an sich nicht sehr attraktiv, eher grau oder gar tragisch, wie der letzte Auftritt der großen Fußball-Hoffnung bei seinem alten Verein, dessen Karriere mit Beinbruch nach brutalem Foul endet. Bis Stefans alte Liebe, die großartige Charlie (Anna Bederke) auftaucht und so richtig sagt, was Sache ist. Sie hat sogar noch ein Plan und er soll bei dem für die Kultur in einer wiederbelebten Kneipe sorgen. Nun muss sich der träge Stefan zwischen seinem Münchener Leben, das ihn nicht besonders begeistert, und den alten wie neuen Verführungen Bochums entscheiden.

Mit B1-Poetik im Stau und melancholischer Gitarrenbegleitung geht „Sommerfest" mitten rein ins idyllische Ghetto. Alles wie aus dem Film: Die aggressive Anmache unter Freunden, während Fremde wie Stefan wirklich ruppig behandelt werden. „Sommerfest" ist teilweise eine sehr deftige Sozialstudie, dann Liebes- und immer Heimatfilm. Auch wenn Wortmann auf jeden Fall gut inszenieren kann und das mit einer langen Plansequenz im Theater im Stile des Oscar-Überfliegers „Birdman" zur Schau stellt, so richtig toll ist erst die Schlussszene, wenn Stefan und Charlie als Kinder mit den Texten der Erwachsenen gespielt werden. In diesem Sinne und Gefühl ist denn auch der Film allen Jugendlieben gewidmet.

Die nächste Verfilmung eines Romans von Frank Goosen („Liegen lernen", „Radio Heimat"), der selber als Ansager im Fußballstadion zu erkennen ist, reüssiert nach „Radio Heimat" von Matthias Kutschmann und Adolf Winkelmanns „Junges Licht" nicht als der beste Ruhrpott-Film der letzten Monate. Sehr statisch, mit der Melancholie der Ü40er und fast 50er feiert er den Bergbau symbolisch im Museum. Man lacht dumm über Geschichten, die nicht lustig sind, und so - nicht ganz Hymne, nicht ganz Spott - wirkt auch dieser Wortmann oft uninspiriert wie ein Auftragsfilm, obwohl er doch selbst das Buch geschrieben hat.

Girls' Night Out

USA 2017 (Rough Night) Regie: Lucia Aniello mit Scarlett Johansson, Kate McKinnon, Jillian Bell, Ilana Glazer, Zoë Kravitz 101 Min. FSK: ab 12

Wer zu spät kommt, den bestraft hoffentlich die Kinokasse: „Girls' Night Out" (der nur in Deutschland so englisch heißt!) ist ein Trittbrettfahrer des Genres „Ordinärer Frauenfilm", der ein paar Jahre zu spät kommt: Fünf Freundinnen wollen in Miami Junggesellinnenabschied feiern. Entgegengesetzte Lebens-Klischees und unterschiedliche Vorstellungen für dieses Wochenende prallen schnell aufeinander: Eine extrem überqualifizierte Scarlett Johansson gibt die frustrierte, gestresste Karrierefrau und Braut Jess mitten in einer Wahlkampagne. Die unausweichliche „lustige Dicke" Alice (Jillian Bell) ist eifersüchtig auf alle anderen Freundinnen von Jess. Zwei ehemals lesbische Freundinnen können die Augen nicht voneinander lassen, dazu kommt eine Kiwi genannte Australierin, die allein wegen ihres Dialekts doch schon lustig ist.

Der freundliche Gruppendruck zwingt dann ganz „freundschaftlich" alle, direkt zum Nachtisch Kokain zu schnauben, was dann Grund reichen muss, dass die nächste Saufszene lustig sein soll. Also mit einem ganzen Koffer von Penis-Scherzartikeln alles bereit für die üblichen Eskapaden in „Hangover Teil 17". Allerdings kommt „Girls' Night Out" nicht völlig nur ohne Schwung, Humor und Originalität daher, er ist auch ein sehr lahmer, uninteressanter Film, bis die Frauen nach dreißig Minuten Laufzeit aus Versehen den vermeintlichen Stripper umbringen. Danach ist „Girls Night Out" dann noch sechzig Minuten lang ein sehr lahmer, uninteressanter Film. Er versagt sogar darin, ordinär und versaut zu sein. Als auch den Letzten klar wird, dass es mit dem Komödie nicht klappt, versucht es dieser Rohrkrepierer mit einer Viertelstunde Action. Vor dem Ende gibt das filmische Unglück noch vor, sich um die Persönlichkeiten zu kümmern und füllt die lange Laufzeit kurz mit Streit und Aussprache. Details über bevorzugte Arten des Waxings erweisen sich allerdings als gehaltvoller.

21.6.17

Transformers: The Last Knight

Transformers: The Last Knight

USA 2017 (Transformers 5) Regie: Michael Bay mit mit Mark Wahlberg, Stanley Tucci, Anthony Hopkins, Isabela Moner, Josh Duhamel 151 Min.

Filme von Michael Bay („Armageddon", „Pearl Harbor") sind wie ein eBay, in dem nur Granaten, Bomben und Feuerwerkskörper verkauft werden. Von maximaler Lautstärke aufwärts. Und nun, zehn Jahre nach dem Start der besonders hirnlosen „Transformers"-Reihe, hat sich Michael Bay besonders viel Geld besorgt. Für die Knall-Effekte, für was sonst?

Der alberne Spielzeug-Film „ Transformers: The Last Knight" sah zwar im Trailer richtig düster aus, doch tatsächlich ist er höchstens wegen der 3D-Projektion dunkel. Oder wegen des Dark Age, dem Mittelalter, in das die Geschichte umständlich zurückgeführt wird. Die Autoren mischten Artus-Sage und Apokalypse unter, völlig überraschend geht es letztlich wieder darum „die Welt" zu retten. Dass bei Artus ein besoffener Merlin England als die zu rettende Welt ansieht, will keines nicht die Beschränktheit dieses Konzepts der Lächerlich preisgeben.

Die Handlung hat vor allem einen (lauten) Knall und lässt vermuten, dass die Drehbuch-Autoren weniger Gehalt als die Praktikanten in der Werbeabteilung bekommen: Es gibt Krieg zwischen den Transformers und den Menschen. Dabei ist es den Alien-Jägern egal, ob es sich um die guten Autobots oder die bösen Decepticons handelt. Wohlgemerkt: Dies sind alles Autos, die sich verwandeln! Nicht in leise oder schadstoffarme E-Mobile. Nein, in riesige Kampfmaschinen, die fast den jährlichen Body-Count der deutschen Verkehrstoten erreichen. Zwischen den Ungetümen hüpfen ein paar männliche Stichwortgeber umher sowie Frauen, die nichts anders als Hochglanz-Modells sein wollen und sollen. Megan Fox wird diesmal durch die britische Schauspielerin Laura Haddoc ersetzt. Ihre Vivian Wembley hat zwar reihenweise akademische Titel, schmilzt aber sofort dahin, wenn Mark Wahlberg sein Shirt auszieht.

Mark Wahlberg ist als Ideal-Besetzung für Dumpfbacken-Filme zum zweiten Mal dabei. Absteiger des Jahres allerdings: Anthony Hopkins. Auch wenn er schon mal bei Autobahn-Verschrottungen mitmacht, das Konzept, sich die Karriere in späten Jahren mit besonders schlechten Filmen zu versauen, sollte seinem Agenten den Kopf kosten. Trotzdem bringt er eine irritierende Qualität in die paar Szenen, von denen man nicht weglaufen will.

Das ganze spielt sich mit einem Haufen lustiger und nerviger Sidekick-Aliens, Mini X-Wings und einer britischen C-3PO Kopie unterkomplex auf Kinderniveau ab. „Transformers" bleibt im Kern das Spielzeug kleiner Jungen, die ihre Matchbox-Autos aufeinander knallen lassen und den Blechhaufen irgendwann Persönlichkeit anfantasieren. Der große Junge Michael Bay darf für dieses Spiel mittlerweile mehrere hundert Millionen auf den Kopf hauen. Weil Millionen anderer Kindsköpfe dafür an der Kasse Eintritt bezahlen. Sie bekommen exakt das Selbe, was sie erwartet haben. Nicht das Gleiche, tatsächlich: Das Selbe. Bei Teil 5 kommen einem nicht nur die Wiederholungen aus anderen Transformer-Filmen bekannt vor, die gleiche Geschichte von Öffentlichkeit gegen Superhelden gab es auch in „X-Men" oder „Superman vs Batman".

Blecherne Dialoge schmerzen im Ohr, und sie kommen nicht von den Transformers! Eine enorme Umweltverschmutzung in Sachen Gewalt und Militarismus scheint unausweichlich zu diesem Genre zu gehören. Die Schnitzeljagd nach einem Medaillon und dem außerirdischen Stab von Merlin ist für so einen Etat erschreckend stümperhaft zusammengeschustert, unlogisch und sprunghaft. Selbst die Action-Einlagen, digitale Blechteil-Akrobatik und Verfolgungsjagden können nicht beeindrucken. Überlang und oft langweilig verlaufen die Verfolgungsjagden und Prügeleien bis das reizvoll digital gezeichnete Untergangs-Szenario, kurz ohne viel Explosionen auskommt. Es ist schwer vorstellbar, aber mitten in „Transformers 5" wünscht man sich in irgendeinen Superhelden-Film, der sich nebenan im Saal läuft.

20.6.17

Life, Animated

USA 2015 Regie: Roger Ross Williams 92 Min. FSK: ab 0

Der amerikanische Junge Owen Suskind verstummte im Alter von drei Jahren plötzlich. Diagnose: Autismus. Aber vier Jahre später entdeckte seine Familie, dass Owen in der Welt der Disney-Trickfilme und deren animierter Charaktere lebt. Über die Dialoge, die das Kind auswendig konnte, lernte er wieder sprechen. Sein Vater begann mit der Handpuppe eines Disney-Papageien sogar einen Dialog. Die Dokumentation „ Life, Animated", die nach dem gleichnamigen Buch des Vaters Ron Owen entstand, zeigt den „Jungen" mittlerweile im Alter von 23 Jahren. Weiterhin korrespondiert die Geschichte mit Disney-Szenen, etwa von Peter Pan, der nicht erwachsen werden will, während Owen lernt, selbständiger zu sein. Doch dieses Zitat ist nur für uns Zuschauer, denn Owen hält mittlerweile Vorträge auf einer Autisten-Konferenz in Paris, analysiert Disney-Filme vor seiner Klasse und ist mit zwei Synchrosprechern von Disney befreundet.

Diese sehr erstaunliche Entwicklung eines Autisten wird nicht nur klassisch bebildert. Logischerweise reden vor allem die Menschen um Owen herum. Psychologen kommentieren, es gibt viel redundante Interviews mit den Eltern und alte Familienfilme. Aber Owen zeichnete und schuf sich auch ein eigenes Universum mit Nebenfiguren der Zeichentrick-Filme. Die wurden für diese Doku animiert und spiegeln die Entwicklung auf einer künstlerischen Ebene. Die Allgegenwart von Disney irritiert zwar etwas und man fragt sich zwischendurch, ob dies nicht einfach Werbung für den Konzern ist. Doch letztlich ist die Geschichte von Owen besonders und stark genug, um diese Dokumentation zu tragen.

19.6.17

Monsieur Pierre geht online

Frankreich, BRD, Belgien 2017 (Un profil pour deux) Regie: Stéphane Robelin mit Pierre Richard, Yaniss Lespert, Fanny Valette, Stéphane Bissot 101 Min. FSK: ab 0

Was probieren einsame Senioren als erstes, wenn sie gerade die ersten Schritte im Internet machen können? Nein, keine Facebook-Scherze weiterleiten, sondern sich bei einer Dating-Site umschauen. So auch Witwer Pierre (Pierre Richard), der von seiner Tochter Juliette den erfolglosen Autor Alex (Yaniss Lespert) als Computer-Hilfe vermittelt bekam. Der zeigt dem alten Griesgram in dessen verlotterter, düsterer Wohnung, wie das mit der Kamera funktioniert, und ist mit seinem eigenen Beispiel-Foto prompt unwissentlich auf einer Flirt-Plattform zu finden. Die folgenden Chats mit wesentlich jüngeren Frauen zeigt der Film mit den virtuellen Partnern sehr nett real in Pierres Zimmer. Bald findet sich beim anonymen Flirten Flora (Fanny Valette) mit vielen Gemeinsamkeiten und einer beiderseitigen Begeisterung für die chinesische Kultur. Ein erstes Treffen wird anberaumt und Alex soll in Brüssel das Double fürs richtige Leben geben.

Eine reizvolle Idee, besonders reizend sind allerdings die Wirrungen hinter dem Online-Flirt: Denn Alex ist eigentlich der Freund von Pierres Enkel Sylvie (Stéphane Bissot), mit welcher der alte Mann zerstritten ist. Das junge Pärchen wohnt wegen seiner Geldprobleme bei Juliette, aber Alex erfährt in diesem komplexen Beziehungs-Viereck von Pierre, dass Sylvie heimlich mit ihrem Ex in China skypt.

Auch wenn es mit Alex und Flora mit dem Chinesischen nicht recht klappt - weil er im Gegensatz zu „seinem" Profil da keine Ahnung von hat - zwischen den beiden funkt es direkt. Mit allen Folgen. Jetzt muss Pierre das doppelte Spiel weiter chatten und Alex schafft es nicht, die Wahrheit zu sagen.

Ja, der alte Komiker Pierre Richard („Der große Blonde...") macht einmal ein richtiges Fenster auf, als Alex ihm am Telefon erzählt, er solle ein Bildschirm-Fenster öffnen. Doch ansonsten machen die Irrungen und Wirrungen einer Beziehung im Zeitalter der virtuellen Liebe auf sympathisch feine Weise Spaß. Auf der Basis einer boulevardesken Verwechselungs-Komödie sorgt das Dilemma zwischen virtueller und körperlicher Persönlichkeit pointiert für cleveren Komödien-Zündstoff. Oder kurz: Der eine schreibt im Namen des anderen; der andere vögelt im Namen des einen. Das zickige Zusammen- oder besser: Gegeneinander-Spiel von Pierre und Alex funktioniert mit dem Altstar Pierre Richard und seinem jungen Partner hervorragend.

Pierre entwickelt sich vom Messi, der nicht aus der Wohnung kommt, zu einem charmanten alten Herrn. Die Komödie löst sich nicht gesteigertem Klamauk auf, sondern vertieft sich herrlich in menschliche Unzulänglichkeiten, um schließlich eine ganz eigene, atemberaubende romantische Dreiecks-Geschichte zu werden. Die witzig komplizierten Situationen, denen man immer gerne folgt, führen zu komischen und zugleich tragischen falschen Hoffnungen. Schließlich konkurrieren beide um eine tolle Frau. Leider, und das ist das einzige Manko des in Sachen Liebesbegehren sehr spannenden Films mit vielen komischen Wendungen, endet er zu konventionell happy.

18.6.17

Innen Leben

Belgien, Frankreich, Libanon 2017 (Insyriated) Regie: Philippe van Leeuw mit Hiam Abbass, Diamand Abou Abboud, Juliette Navis 86 Min. FSK: ab 12

Eine Wohnung. Eine Familie. Ein paar Gäste. Ganz normal, doch hier ist die Tür verrammelt, von draußen hört man schweres Artillerie-Feuer, der Blick durchs Fenster zeigt Verwüstung und Tod. Die Wohnung in Damaskus und mitten im syrischen Bürgerkrieg sieht aus wie eine ganz normale, wie sie auch in Deutschland ähnlich eingerichtet wäre. Nur gibt es kaum fließend Wasser und nur selten Strom.

Die arabisch-israelische Star-Schauspielerin Hiam Abbass („Lemon Tree", „Free Zone", „Ein Sommer in New York") verkörpert die schwer beladene Hauptrolle von Oum Yazan, die den Unterschlupft für Familie und Nachbarn am Laufen hält. Ein benachbartes junges Paar mit Baby, der Opa, Hiams Kinder, die Haushälterin Delhani, der Freund einer der Töchter. Dies sind die letzten Menschen im Haus. Ein Bewohner will die Flucht aus dem Land vorbereiten, wird aber schon auf dem Parkplatz erschossen. Seiner Frau soll dies nicht gesagt werden, weil jeder, der einen Angeschossenen retten will, im Visier der Scharfschützen landet. Dieses Schweigen legt sich früh bleiern über die schon schwere Stimmung in der überbelegten Wohnung.

Der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw inszenierte ein Kammerspiel, bei dem das gewalttätige Außen des Bürgerkrieges ungemein intensiv nach innen dringt. Die Handkamera folgt den Bewohnern durch die Zimmer. Bei schwereren Einschlägen flüchten sich alle in einen Innenraum ohne Fenster. Aus Angst vor Gift werden die Ritzen verstopft. Doch Räuber im Haus machen Bedrohung und den gesetzlosen Zustand ganz konkret. Sie vergewaltigen die Nachbarin, die Familie hält sich nebenan versteckt, bekommt alles mit und schreitet doch nicht ein. Vor allem diese Wendung macht aus den versammelten Opfern eine ebenso grausame Gemeinschaft wie die Bürgerkriegs-Gesellschaft draußen vor der Tür. Oder vielleicht wie die Weltgemeinschaft, die auch nur zuschaut. Die Fronten werden unklar, es gibt Zweifel an der Integrität der Figuren.

Ähnlich wie beim afghanischen Drama „Stein der Geduld" von Atiq Rahimi stehen Frauen im Zentrum der Entwicklungen - als Opfer und als Kraft, die im Chaos ein paar Reste zusammenhält. Das ist intensiver und heftiger als beispielsweise das Kammerspiel der in Amsterdam versteckten Familie Frank in Hans Steinbichlers „Das Tagebuch der Anne Frank". Schuldzuweisung bleiben in der Situation der syrischen Familie ebenso „außen vor" wie Perspektiven oder Hoffnung. Der Film gewann auf der 67. Berlinale den Publikumspreis der Sektion Panorama.

13.6.17

Ich wünsche dir ein schönes Leben

Frankreich 2015 (Je vous souhaite d'être follement aimée) Regie: Ounie Lecomte mit Céline Sallette, Anne Benoît 100 Min. FSK: ab 12

Elisa (Céline Sallette) arbeitet als Physiotherapeutin, ihre Kunden öffnen sich und teilen ihre Probleme. Elisas Probleme hält sie verschlossen. Getrennt vom Partner, macht sie für einige Monate eine Vertretung in Dünkirchen. Dort sie vor 30 Jahren von einer anonymen Mutter geboren und zur Adoption freigegeben. Nun begibt sie sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter.

Das ergibt zwei interessante Frauen-Porträts, die zusätzlichen Reiz gewinnen, weil sich die Wege von Mutter und Tochter unwissentlich dauernd kreuzen. Denn Annette (Anne Benoît) arbeitet als Putzfrau in der Schule von Elisas Sohn Noé. Regisseurin Ounie Lecomte stammt aus Korea und ist selbst mit Adoptiveltern aufgewachsen. So sind die Fragen, wer und wie wohl die Mutter sein könnte, auch autobiographisch. Sie erzählt nüchtern und undramatisch, dabei vielschichtig von verschiedenen Formen des Mutter-Seins. Denn da ist auch noch Elisas Sohn, der wegen seiner Haare und der dunklen Haut in der Schule als arabisch eingeordnet wird, damit aber gar nichts anfangen kann. Annette wüsste den Grund, weswegen Noé so aussieht, doch ihre Mutter will wiederum nicht, dass die alte Geschichte publik wird. Im ruhigen Verlauf findet eine Annäherung statt, alles könnte sich in Wohlgefallen auflösen, doch der still gefühlvolle Film zeigt eine andere Reaktion.

Das Belko Experiment

USA 2017 (The Belko Experiment) Regie: Greg McLean mit John Gallagher jr., Tony Goldwyn, Adria Arjona 88 Min. FSK: ab 18

Das Experiment, wie sich Menschen in lebensbedrohlichen Extremsituationen verhalten, wurde kürzlich in der neuesten „Sherlock"-Folge grandios durchgespielt. „Das Belko Experiment" scheitert schon bei der Rechtschreibung des Titels und dann sowohl als Horrorfilm wie als Thriller: Während eines Sozialexperiments ist eine Gruppe von 80 Amerikanern in ihrem Büro-Komplex in Bogata, Kolumbien, eingeschlossen. Irgendwann gibt es die Durchsage, dass 60 von ihnen sterben werden, wenn sie nicht eigenhändig 30 Menschen ermorden. Wer das zynische Spiel nicht mitmacht, bei dem explodieren kleine Bomben im Kopf, die als vermeintliche Peilsender für den Fall einer Entführung eingesetzt wurden. Der Versuch, die Dinger mit dem Cutter zu entfernen, sorgt für reichlich Blut auf der Leinwand, die ferngesteuerte Explosion dann für richtigen Splatter. Das scheint dem Film wichtiger als die gruppeninternen Prozesse, die mit einer klaren Frontenbildung schnell erledigt sind. Ein humor- und ideenloses B-Movie.

Bob der Baumeister - Das Mega Team

Großbritannien 2017 Regie: Stuart Evans, Colleen Morton 63 Min. FSK: ab 0

Wem diese Kino-Woche mit den Wunder-Frauen zu feministisch ist, findet bei Bob ein Refugium für echte Kerle: Nach der gleichnamigen Fernsehserie mit belebten Lastern und Maschinen dreht sich dieser kurze Kinofilm um den Bau eines Staudamms. Bob und seine befreundeten Arbeitsgeräte werden dabei von einem bösen Konkurrenten sabotiert. Die einfache Geschichte leidet vor allem unter der schematischen Computer-Animation. Mehr als eine weitere Vermarktung von Spielfiguren steckt da nicht dahinter.

Der wunderbare Garten der Bella Brown

Großbritannien, USA 2016 (This beautiful Fantastic) Regie: Simon Aboud mit Jessica Brown Findlay, Andrew Scott, Jeremy Irvine, Tom Wilkinson 92 Min. FSK: ab 0

Gartenfreunde müssen die Gummistiefel ausziehen und ins Kino. Cineasten sollten Gartenhandschuhe anziehen und Antihistaminika einwerfen: „Der wunderbare Garten der Bella Brown" ist ein tatsächlich wunderbarer Film über die seltsame Pflanze Mensch, die manchmal im Schatten blüht, mal besondere Pflege braucht, aber dann sehr beglücken kann.

Bella Brown (Jessica Brown Findlay) ist so ein Schattengewächs, „nichts Normales war an diesem Mädchen" bemerkt der Erzähler. Bella ist eine Waise, die von Enten bewacht und einem skurrilen Schwimmer entdeckt wurde. Sehr pedantisch in einem kleinen Häuschen lebend, muss bei ihr immer alles am richtigen Platz liegen, ihre Mahlzeiten sehen streng geometrisch, wenn nicht gar symmetrisch aus. Eines Tages erbt sie vom griesgrämigen Nachbarn Alfie (Tom Wilkinson) den großartigen Koch Vernon (Andrew Scott), einen alleinerziehenden Vater, dem ein Übermaß an Mitgefühl aus den Poren strömt. Er wird Bellas Stütze sein, als ein strenger Hausverwalter eine Frist zur Rettung des verwilderten Gartens setzt und mit Rausschmiss droht. Dabei hat sie seit frühester Kindheit eine Abneigung gegen alles Grüne und Vernon heftigen Heuschnupfen.

Bella Brown ist eine Art britischer Amélie Poulain. Allerdings wurde hier die Schraube der Verdrehtheit ein paar Umdrehungen weniger angezogen, der Stil hält sich zurück. Dafür wuchern kleine liebe- und humorvolle Szenen. Der beglückende, unbedingt sehenswerte Film gewinnt die Herzen nicht nur mit der schön verschrobenen Geschichte, sondern auch mit ungemein sympathischen Figuren: Bella ist kein hilfloser Sonderling, sie weiß sich durchaus gegen den Nachbarn Alfie zu wehren, der mit allen Mitteln seinen Koch zurückhaben will. Der grummelige alte Mann überrascht mit seinen Spleens und seiner Pflanzen-Leidenschaft als schillernder Charakter. Neben grandios zynischen Bemerkungen erfreut er wunderbar mit seinem Wissen über Pflanzen ihre Namen, Bedeutungen und Geschichten. Im Garten, dieser „Welt des schön geordneten Chaos", öffnet er sich Bella langsam. Er selbst würde eine passende Blüte anführen, die sich ähnlich scheu verhält. Denn er hat ja zu jeder Pflanze eine Geschichte seiner früheren Reisen parat. So wird Alfie schließlich auch Bellas Schreibblockade auflösen und ihre poetische Ader zum .... ja: erblühen bringen.

Jessica Brown-Findlay („Der wunderbare Garten der Bella Brown", „Victor Frankenstein") darf man hier in der Hauptrolle entdecken und sich auf ihre nächsten Filme freuen. Tom Wilkinson brilliert als Alfie wie in jeder seiner vielen, so verschiedenen Rollen („Snowden", „Verleugnung", „Grand Budapest Hotel", „Selma", „Lone Ranger"). Bei dieser wunderschönen Menschen-Familie, die hier zusammenwächst, gibt es auch die rührende Liebesgeschichte Bellas zum verschrobenen Billy, der mechanische Tiere erfindet. Sie kommen unter den Augen der ungemein strengen Bibliotheksleiterin zusammen - auch diese Szenen schwingen zwischen leicht verrückt und märchenhaft verträumt.

12.6.17

Wonder Woman (2017)

USA 2017 Regie: Patty Jenkins mit Gal Gadot, Chris Pine, Robin Wright, Danny Huston, David Thewlis, Connie Nielsen 140 Min. FSK: ab 12

Frieden bereiten mit Flamme und Schwert? Feminismus mit einem Action-Püppchen vorantreiben? Die Aufregung um den nächsten Superhelden-Film „Wonder Woman" liefert einige Paradoxien. Die Sache mit der Frauen-Power ist dabei schnell abgehakt: Mit Patty Jenkins („Monster") führt erstmals eine Frau Regie beim momentan dominanten Comic-Genre für Fan-Boys. Und mögliche „Fan-Girlz" oder weibliche Kino-Begleitung bekommen mit Wonder Woman Diana Prince eine starke Identifikationsfigur vorgesetzt - für die nächste Prügelei im Schlussverkauf.

Ja, in den ersten Minuten sieht man nur Frauen in „Wonder Woman" - und einen sehr trägen und schematischen Aufbau zur Vorgeschichte Dianas auf einer verborgenen Amazonen-Insel. Die stolzen Frauen üben sich dort seit Jahrhunderten mit glänzenden Griechen-Rüstungen im Schwertkampf, schießen mit Pfeil und Bogen, reiten erhaben herum. Bis mit dem notgelandeten amerikanischen Piloten Steve (Chris Pine) der erste Weltkrieg auf der Insel strandet. Dieser Spion will Informationen über ein diabolisches deutsches Giftgas-Projekt nach London bringen, und Amazone Diana ein für alle Mal den Kriegsgott Ares besiegen.

Bevor die Action allerdings bei den Schlachtfeldern ankommt, muss die naive Eingeborene Diana in London noch die aktuelle Mode anprobieren. Selbst wenn die Sache mit dem Giftgas doch eigentlich eilig wäre. Völlig 50er Jahre- und Doris Day-mäßig lässt der Film Wonder Woman mit Schild und Schwert durch die Metropole tapsen. Dann geht es aber bald rund mit der schlagkräftigen Pazifistin, die in ihrem Wahn, Ares zu schlagen, zielsicher nicht nur den Gott des Krieges bekämpft, sondern auch alle seine deutschen Jünger und Auswüchse. Dianas Entsetzen über die Schrecken des Krieges im flandrischen Grabenkampf wirkt auf dem Niveau eines Abenteuer-Filmchens tatsächlich.

Dianas Antwort mit Martial Arts, neu entdeckten übermenschlichen Kräfte sowie ein paar Wunderwaffen, ist dann echt wieder Comic und nicht wirklich friedlich. Was wenige Minuten später zum Sieg der „guten" mordenden, vergewaltigenden und folternden Soldaten führt. Auf diesem Reflektions- und Teenager-Niveau läuft auch die brave Vorschul-Romantik mit Steve ab. General Ludendorff geht als erster großer Gegner drauf, dabei wirkte der echte Ludendorff noch bis 1937 in seinem völkischen und rechten Wahn weiter.

Auch „Wonder Woman" ist so ein typischer Film für kleine Jungs jeden Alters. Unübersehbar der erste Teil einer ganzen Film-Reihe, ist diese Figur längst noch nicht in einer Phase, in der sich ein Superheld wie „Iron Men" mal Persönlichkeit als starke Waffe leistet. Auch wenn Diana als Pazifistin gegen die feigen kriegs-liebenden Führer auftritt, mit ihrer Kenntnis von über hundert Sprachen eine frühe Ikone des Multi-Kulti-Zusammenlebens darstellt, lässt sich das ganze gut aussehende, teure Filmchen nur schwer als feministisch interpretieren.

Gal Gadot („Die Jones - Spione von Nebenan"), ehemals israelische Soldatin, Modell und Martial Arts-Kämpferin, macht als Kämpferin für Liebe, Frieden und den Sieg der richtigen Seite eine gute und treffsichere Figur. Während Chris Pine nur eine typische flache Action-Figur gibt, kann David Thewlis („Harry Potter") einem fast verständlich machen, dass die Götter diese lästigen Menschen, die sich nur selbst und alles andere zerstören, vernichten wollen. Allerdings folgt diesem packenden göttlichen Moment wieder eine sehr banale Prügelei. Superhelden-Film halt.

Mädelstrip

USA 2017 (Snatched) Regie: Jonathan Levine mit Amy Schumer, Goldie Hawn, Christopher Meloni, Joan Cusack 91 Min. FSK: ab 12

Im großen Zweikampf der Power-Feministinnen Amy Schumer und Wonder-Woman scheint die US-Kabarettistin auf verlorenem Posten zu spielen: Schumer hat keine Model-Maße, keine Kampf–Ausbildung und ihre einzige Wunder-Waffe ist ein grandioser Humor. Beide werden mütterlich unterstützt von alten Heldinnen (hier Goldie Hawn, dort Connie Nielsen), aber auch wenn Diana die Schlacht für sich entscheidet, Amy Schumer wird zuletzt lachen.

Amy Schumer gibt mit dem von ihren TV-Auftritten („Inside Amy Schumer") bekannten Mut zu Selbst-Karikatur die Verliererin Emily Middleton, die gleichzeitig Job und Freund los wird. Eine tollpatschige Alkoholikerin, ein einsamer Trampel, der in größter Verzweiflung über eine nicht erstattbare Urlaubsreise auf Mama zurückgreift. Die ist Katzenmutti, sehr eingerostet und notorisch ängstlich. Nach einer feministischen Kampfrede, die nur den Zweck hat, Mutter zum Mitfahren nach Ecuador zu bewegen, wird es am eingezäunten Hotel-Pool schnell langweilig und peinlich. Bis ein scharfer Typ Emily anmacht und beide Frauen zu Ausflügen ins freie, echte Latino-Leben mitnimmt. Die echte Entführung zum Zwecke der Lösegeld-Erpressung erfolgt umgehend. Dazu „grausame, unmenschliche Szenen", wie der Vorspann warnt - mit dem Zusatz: Auch die Entführer waren ziemlich gemein!

Zwischen mit vollem Körpereinsatz ausgespieltem Gekreische und zwei Morden im Vorbeigehen machen die blonden Touristinnen den Geiselnehmern das Leben schwer. Es gibt viel Slapstick von klasse Schauspielerinnen, denen man diese verunglückten weiblichen Existenzen tatsächlich abnimmt. Ebenso eine Erziehungsdiskussion mitten im Dschungel und direkt danach einen sehr seltsamen Bandwurm-Exorzismus. Die großartige und kämpferische Amy Schumer kann sich das alles erlauben. Für Goldie Horn gibt es nach 15 Jahren den ersten Filmauftritt. Die Sensation dieses Mädelstrips ist allerdings Joan Cusack als Ex-Agentin, die sich selbst die Zunge rausschnitt, um unter Folter nichts verraten zu können. Bei deftigem Sex-Talk und unvermeidlichen Obszönitäten, die diesmal tatsächlich lustig sind, lässt das Tempo im Aktionismus allerdings nach. Und immer wenn sich „Mädelstrip" in Richtung großer Kinospaß von den Figuren verabschiedet, verliert er seine eigentliche Attraktion aus den Augen.

7.6.17

Die Mumie (2017)

USA 2017 (The Mummy) Regie: Alex Kurtzman mit Tom Cruise, Sofia Boutella, Annabelle Wallis, Russell Crowe 107 Min.

Nein, die Mumie ist hier nicht gleich der feist gewordene Tom Cruise. Um Cruise in die unmögliche Mission zu integrieren, den völlig verstaubten Mumien-Stoff, noch mal zu beleben, wird die ägyptische Leiche diesmal sogar zur Frau: Die einst mächtige Ägypter-Königin (Sofia Boutella aus „Kingsman: The Secret Service" und „Star Trek Beyond") wird in unserer heutigen Zeit zu neuem Leben erweckt. Nun ist sie sehr böse und zerstörerisch.

Die Mumie ist auch schon als Kinostoff uralt, die ersten Versionen dieser Mutter der Horror-Filme liefen bereits in der Stummfilm-Zeit. In den letzten Jahren fand man ihren Leichnam vornehmlich auf Resterampen wie „The Scorpion King" oder in der albernen Variante zwischen 1999 und 2008 mit Brendan Fraser. Nun versucht Cruise mit den alten Lumpen gegen die Superhelden-Hype anzustinken. Wobei Universal Picture unter dem Namen „Dark Universe" auch so eine Franchise-Familie wie Marvel und DC Comics aufbauen will. Allerdings ist bei der neu ausgewickelten Mumie ausgerechnet Sean Daniel Ko-Produzent, der auch die vorherige Bandagen-Trilogie in die Kinos brachte.

Im Nord-Irak betätigen sich US-Soldaten im Nebenjob als Grabräuber. Cruise stellt dabei in Tölpelhaftigkeit und Unbedarftheit eine unverhohlene Indiana Jones-Kopie dar. Indy heißt nun Nick sonst ändert sich nix. Unverfroren und gierig interessiert es sich nur für seinen Gewinn und muss zwischendurch noch seine Liebhaber-Fähigkeiten ausstellen. Von der Wüste geht es mit den Mumien immer wieder nach London. Ein sehr schöner Flugzeugabsturz lässt Nick mysteriöserweise überleben und auch die eingewickelte, schick tätowierte Braut Ahmanet (Sofia Boutella) kriecht bald Unheil stiftend herum. Mit einer Armee aus Zombies will sie Nicks Körper als neue Hülle für ihren Gott.

Viel Action, wenig Spannung und alles, aber wirklich alles vorhersehbar. „Die Mumie", Version 2017 ist ein Abenteuer-Filmchen, ein B-Movie, dem Prominente und Produktionswerte Substanz geben sollen. Letztlich geben sie sich aber in dieser Kombination gegenseitig der Lächerlichkeit preis. Die Dialoge sind grottiger geistiger Leerlauf. Vorgetragen von eher mittelmäßigen Darstellern fällt dies umso mehr auf. Cruise gibt einen eher einfältigen Kerl, zeigt nicht die Intelligenz aus „Mission Impossible" oder die Integrität von „Jack Reacher".Nur Russell Crowe als Dr. Henry Jekyll mit einer verborgenen Seite kann faszinieren. Mit Multi-Millionen-Aufwand produziert, ermüdet dieses Stückchen Effektkino, das bald im Sand der Geschichte untergehen wird, sehr schnell.

Wenn nicht mal mehr einen so exzellenter und erfahrener Autor wie David Koepp etwas retten kann, ist es an der Zeit, grundsätzlich umzudenken. Die Selbst-Kannibalisierung und Leichenfledderei von Hollywood, dieses rücksichtslose und geldgierige Ausbuddeln jedes noch so schäbigen Stückchen Stoffs aus der Vergangenheit, bringt keinerlei befriedigende Filme mehr hervor. Hier muss auf allen Ebenen gründlich Staub gekehrt werden. Vor allen Dingen müssen die Produzenten anfangen, Raum für Neues zu schaffen. Sonst gucken die nächsten Generationen wirklich nur noch Serien zu Hause im Fernsehen.

6.6.17

Whitney - Can I Be Me

USA, Großbritannien 2017 Regie: Nick Broomfield, Rudi Dolezal 90 Min. FSK: ab 6

Die Sängerin Whitney Houston (1963-2012) hatte mit ihren Pop-Liedchen eine eindrucksvolle Anzahl von Nummer 1-Hits, bevor sie nach einem Karriere-Einbruch 2012 mit 48 Jahren an den Folgen einer Überdosis in einem Hotelzimmer in Los Angeles stirbt. Diese Dokumentation, bei der Dokumentarfilmer Nick Broomfield („Kurt & Courtney") die Ko-Regie hatte, wird als nicht autorisiert angepriesen, weil der innere Familienkreis eine eigene Doku herausbringen will.

Anscheinend hat auch Whitney Houston nach Aussagen entfernter Wegbegleiter die Musikgeschichte für afroamerikanische Sängerinnen geändert, ohne sie soll Beyonce nicht möglich gewesen sein. Nicht ganz unbedeutende Vorgängerinnen wie Ella Fitzgerald oder Nina Simone werden dabei allerdings übersehen. Die chronologisch erzählte Lebensgeschichte greift ein wenig Zeitgeschichte über Houstons Aufwachsen im unsicheren Newark, New Jersey auf. Früh Gospelsängerin und ganz jung schon erstaunlich erfolgreich nimmt ihre Karriere rasch Fahrt auf. Ihr Entdecker Clive Davis und der Ex-Mann Bobby Brown tauchen nur in Archiv-Material auf. Irgendwann wird sie ausgebuht, weil ihr Pop „nicht schwarz genug" sei. Gerüchte über eine lesbische Beziehung zu ihrer langjährigen Freundin Robyn Crawford kommen auf. Noch ein Ereignis, das als Grund für die Drogensucht interpretiert wird.

Für Fans wird diese Doku aufgrund der bislang unveröffentlichten Backstage-Aufnahmen von Rudi Dolezal aus einer Europatournee auch ohne große Musiknummern sicher reizvoll sein. Ansonsten gibt es keine allgemein interessanten Themen. Und obwohl Whitney Huston immer im Focus des Films ist, kommt er ihr doch nicht wirklich nahe beim sammeln von Meinungen in zahlreichen Interviews. Eine tragische Geschichte, die nicht zu interessieren braucht.

Mein neues bestes Stück

Frankreich, Belgien 2017 (Si j'etais un homme) mit Audrey Dana, Christian Clavier, Éric Elmosnino, Alice Belaïdi 99 Min.

Der alte Komödien-Gag vom Geschlechterwechsel erlebt in diesem trüben Aufguss eine seiner schwächsten Varianten: Jeanne (Audrey Dana) ein ängstlicher Tollpatsch, wurde von Scheidung, Sorgerechts-Streit, Männern und dem Beruf, also dem Leben überhaupt, arg mitgenommen. Ihr Bauprojekt droht im großen Still zu scheitern, ihr Leben ist eine Katastrophe. Nun kommt der ansonsten lahme Film wenigstens schnell zu Potte, besser gesagt zur Schüssel, wenn Jeanne unvermittelt in der Nacht stehend in die Toilette pinkelt, nachdem sie die Weiblichkeit verflucht hat. Mit einem über Nacht gewachsenen Penis macht sich Jeanne im Büro männlich über die Männer lustig, pinkelt ihren Namen auf der Baustelle in den Sand, hat die Erfahrung männlicher Selbstbefriedigung und die Erkenntnis, dass ein Penis blöd macht.

Schon als Frau ist die Figur Jeanne sehr unglaubwürdig, das geht auch in einer dämlichen Komödie nicht. Abstruse Szenen kann man in so einer Situation erwarten, aber was bei „Was Frauen wollen" in Wechsel der Perspektive noch Spaß machte, geriet hier nur grob, zäh und langweilig. Die ganze Zeit über die Größe von „dem Ding" gescherzelt. Dadurch, dass Jeanne nur unter der Gürtellinie Mann ist, ergeben sich für die Paarung verschiedene Paar-Kombinationen. Der schale Film könnte sogar ganz modern Transgender thematisieren! Doch hier wurde das Potential dieser Film-Formel gnadenlos für geil hechelnde Teenager-Scherze verheizt.

Der Wechsel zwischen den Rollen des verhuschten Büromäuschens und des aufbrausenden Typens gelingt der Schauspielerin (und in anderen Filmen auch Autorin und Regisseurin) Audrey Dana gar nicht. Man sehnt sich da sogar nach Steve Martins Klamotte „Der Mann mit zwei Gehirnen" aus 1983, die war wenigstens zeitweise witzig und hatte einen Hauptdarsteller, der den schauspielerischen Spagat zwischen Mann und Frau hinbekam. Nur die positiv denkende Nachbarin macht etwas Spaß. Christian Clavier dagegen, der sich als Gynäkologe an Jeannes Situation aufgeilt, ist der peinlichste Ausfall des selbst sehr peinlichen Films.

Born to Be blue

Kanada, Großbritannien 2015 Regie: Robert Budreau mit Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie 98 Min. FSK: ab 12

Der gleichzeitig biografische und fiktive Film über den Jazz-Musiker Chet Baker (1929-1988), kommt nicht glamourös daher, ist kein Jazz-Festival. Der Weg zu einem schwer erkämpften Comeback ist vor allem der Kampf mit den Drogen des begnadeten Künstlers. „Born to Be Blue" setzt einen Konzertabend mit Miles Davis, also die Begegnung von West- und Ostküsten-Jazz, bei der Chet (Ethan Hawke) von einer jungen Frau zu seinem ersten Heroin-Schuss verführt wird, als Wendepunkt in dessen Leben. Parallel zu der Erinnerung an das abschätzige Urteil von Miles Davis, Chets Musik sei zu süß und überhaupt solle er erst einmal Lebenserfahrung sammeln, schlägt ihm beim Tiefpunkt des Lebens ein Dealer die Vorderzähne aus. Eigentlich das unausweichliche Karriereende für einen Trompeter.

Das erzählt der mit seinen chicken 60er-Klamotten und den authentischen Kulissen stilvoll fotografierte „Born to Be Blue" reizvoll im Wechsel zwischen Schwarzweiß und Farbe sowie zwischen den unterschiedlichen Lebensphasen Chet Bakers. Der ist privat mit ausgeschlagenen Schneideszenen nicht besonders charismatisch, nachdem ihm ein Filmproduzent aus einem italienischen Gefängnis holte. Aber so, wie er die Frau, die im Film-im-Film seine Ehefrau spielen soll, trotz aller klugen Widerstände verführen kann, fasziniert auch seine Figur.

Jane (Carmen Ejogo) bleibt an seiner Seite, lässt den heruntergekommenen Musiker in ihrem VW-Bulli einziehen, weil beide keine Jobs mehr haben. Nach dem brutalen Niederschlag versucht Baker, weiter zu spielen, bis ihm das Blut aus dem Mund läuft. Unter dem Druck harter Bewährungsauflagen muss er in einer Mariachi-Band spielen, schließlich werden ihm sogar ein paar Münzen in den Hut geworfen. Doch er bleibt clean, seine Freundin wird schwanger, es gibt einen Auftritt im Birdland, wieder in Anwesenheit von Miles Davis und Dizzy Gillespie. Aber die Eifersucht auf einen Filmproduzenten, mit dem Jane ausgeht, nagt zu sehr an ihm.

Wenn das Finale ein Rückfall in die Drogen-Abhängigkeit ist, wenn man weiß, dass Baker schließlich vollgedröhnt bei einem Fenstersturz in Amsterdam starb, kann „Born to Be Blue" kein fröhlicher Film sein. Ein Liebesfilm, in seltenen Momenten ein schöner, auch leichter. Aber ein intensiver auf jeden Fall. Der krasse Wechsel zwischen Höhenflügen und Niederschlägen ergibt sich aus einem Mix von biografisch belegten und fiktiven Szenen. Regisseur Robert Budreau schrieb auch das Buch. (Wer mehr über den echten Chet Baker erfahren will, sollte sich die exzellente Dokumentation „Let's get lost" (1988) von Regisseur Bruce Weber ansehen.)

Wilde „jazzige" Montagen gibt es kaum, „Born to Be Blue" konzentriert sich auf die Psyche im Gesicht von Baker/Hawke. Die melancholischen Hits wie „Let's get lost", „My funny valentine" oder „Almost blue" werden meist nur angespielt, die Trompeten-Parts dabei von Kevin Turcotte neu aufgenommen. Ethan Hawke gibt das Playback, aber sein brüchiges „Funny Valentine" kann sich auch hören lassen und funktioniert als emotionaler Höhepunkt. Hawke spielt den coolen und auch den fertigen Chet Baker eindrucksvoll. Die dünnhäutige Psyche des Künstlers ist kaum auszuhalten, so schmerzt schon das Zusehen.

5.6.17

Ein Kuss von Béatrice

Frankreich, 2017 (Sage femme) Regie: Martin Provost mit Catherine Frot (Claire Breton), Catherine Deneuve (Béatrice Sobo), Olivier Gourmet 117 Min. FSK: ab 6

Eine Hebamme, die neues Leben und manchmal auch Tod als Alltag erfährt, geht vielleicht stabiler mit persönlichen Schicksalsschlägen um. So erleben wir Claire Breton (Catherine Frot) als alleinerziehende und allein lebende Frau mit einem fast asketischer Haltung. Kein Fleisch, kein Alkohol, sie sieht nie fern. Bis Béatrice (Catherine Deneuve) in ihr Leben platzt. Die ehemalige Geliebte des verstorbenen Vaters ist eine lebenslustige Spielerin, die angesichts eines Hirntumors in Panik gerät und familiäre Bande erneuern will, die sie einst rücksichtslos durchtrennte.

Béatrice schmeißt mit Geld um sich, dass sie gerade beim Pokern gewonnen hat. Die ängstliche, zu brave Claire muss hingegen noch mehr sparen, weil ihre Klinik bald schließt. Das unfreiwillige Zusammentreffen und dann Zusammenleben einer zickigen Diva mit dem spleenigen Sonderling Claire führt zu guten Veränderungen. Vor allem wenn Claire doch mal einen Schluck trinkt, weicht sie merklich auf. Ganz erdverbunden macht ihr dabei der sehr nette LKW-Fahrer und Schrebergarten-Nachbar Paul Olivier Gourmet („Der Sohn", „Der Junge mit dem Fahrrad") den Hof. Und Sohn Simon verkündet, dass er bald Vater werden wird.

Die Tragikomödie „Ein Kuss von Béatrice" zeigt ein schönes Porträt und die fein gezeichnete Annäherung zweier unterschiedlicher Frauen bis zum rührenden Ende. Das gemeinsame Lachen ist herzerwärmend, alles wurde gut gespielt von Catherine Frot („Die Köchin und der Präsident") und der Deneuve („Madame empfiehlt sich" „Das Schmuckstück"). Allerdings verliert der große Star in der Synchronisation fast ihre ganze Ausstrahlung.

Plan B - Scheiß auf Plan A

BRD 2017 Regie: Ufuk Genc, Michael Popescu mit Can Aydin, Cha-Lee Yoon, Phong Giang, Eugene Boateng 103 Min. FSK: ab 16

Eine frühe Szene ist vielsagend: Vier alberne Prügelei-Doubles sprechen beim Film vor und „schlagen" ihre Version der Action-Szene vor. Der Regisseur schaut die Möchtegern-Schauspieler entsetzt an und schmeißt sie selbstverständlich raus. So klug war bei „Plan B" keiner. Tatsächlich dürfen vier Martial-Arts-Turner von der B-Liste der Stunt-Leute in die Hauptrollen aufsteigen - mit katastrophalen Folgen. Can, Phong, Cha und U-Gin spielen sich selbst als körperlich trainierte, aber geistig arg überforderte Stuntmen, die eine Geiselnahme mit einem Casting verwechseln. Deshalb müssen sie nun bei einer lahmen Schnitzeljagd durch Berlin für und gegen Gangster antreten.

Die Grundidee des Action-Nachbaus „Plan B" ist simpel: Man verzichtete wie beim Knaller „Free Fire" auf jeden überflüssigen Gedanken. Nur diesmal geriet dies ganz schlecht. Das klägliche Machwerk lässt in jeder Hinsicht die Attitüde raushängen, dass man Film besser machen kann, wenn man nicht von Können blockiert ist. Als „geistreich" sollen flotte Sprüche herhalten, die allerdings mit Rollator daherkommen. Drüber gegossen wurde furchtbare Gitarren-Rockmusik aus einer Retorte, an die seit Jahrzehnten keiner mehr gedacht hat. Die Kamera-Abteilung hat das mit dem Ausleuchten noch nicht gelernt, im Ton wurden die erstaunlich unkomischen Dialoge ganz erbärmlich nachsynchronisiert. Selbst die Action-Szenen fielen extrem dürftig aus - die Macher hätten sich beispielsweise mal die Star Wars-Verehrung „The Apprentice" auf YouTube ansehen sehen sollen, bevor sie auf die Leinwand schielten. Originellerweise finden solche überflüssigen Filmchen immer ein bis zwei bekannte Namen fürs Plakat. Diesmal ist es der ehemalige Nebendarsteller eines Hundes, Gedeon Burkhard. Nicht richtig gut, aber immerhin erkennbar sind die Jacken von Bruce Lee und Co als Verkleidungen zu erkennen. Man sieht, was sie kopieren wollen, aber so will man das nicht sehen. Dass mit Twentieth Century Fox ein eigentlich geschäftstüchtiger Verleiher hinter dem Schrott steht, ist völlig unbegreiflich.

4.6.17

The Dinner

USA 2017 Regie: Oren Moverman mit Richard Gere (Stan Lohman), Laura Linney (Claire Lohman), Steve Coogan (Paul Lohman), Rebecca Hall 121 Min. FSK: ab 12

Der aalglatte Möchtegern-Gouverneur Stan (Gere) lädt seinen Bruder Paul (Steve Coogan) und seine Schwägerin Barbara (Laura Linney) in ein sehr exklusives Restaurant. Es geht nicht um ein Wiedersehen der heillos zerstrittenen Brüder, es geht um ihre Söhne, die zusammen eine Obdachlose angezündet haben, die danach an den Brandwunden starb. Noch wissen nur die Familien, wer die Täter auf dem öffentlich gezeigten Video von Pauls Sohn sind. Bis gestritten wird, was zu tun ist, ob man verschweigen oder selbst zur Polizei gehen soll, sind viele alte Geschichte zu umschiffen. Und der Vollzeit-Politiker Stan ist eigentlich dauernd am Handy seiner Assistentin, weil er gerade ein Gesetz durch den Kongress bringen will.

Diese gelungene Verfilmung von Herman Kochs niederländischen Roman „Het Diner" ist fast „Der Gott des Gemetzels", nur diesmal wirklich furchtbar und grausam indem, was ein Sohn getan hat. Sehr ambivalente Figuren wühlen sich im intensiven, ruhelosen Spiel durch ganze Bündel von Krankheiten, Beschädigungen und Altlasten. Könnte nerven wie die Anrufe für Stan im Sekundentakt, doch die Handlungen und Entscheidungen sind zeitweise so atemberaubend amoralisch, dass man Stans junge Frau und ehemalige Praktikantin Kate (Rebecca Hall) plötzlich als Lady MacBeth sieht. Richard Gere spielt eindrucksvoll einen Politiker mit zwei Gesichtern. Der in Israel geborene Regisseur Oren Moverman legt geschmackvoll aufbereitet einen packenden Parcours zum moralischen Verfall der Menschheit hin.