31.1.17

Hidden Figures

USA, 2016 Regie: Theodore Melfi mit Taraji P. Henson, Octavia Spencer, Janelle Monáe, Kevin Costner, Kirsten Dunst 127 Min. FSK: ab 0

„Hidden Figures" sind verborgene Zahlen und in dieser wahren Geschichte der US-Raumfahrt lange unbekannte und schließlich unabkömmliche mathematische Genies. Während 1961 der Großrechner von IBM noch nicht läuft, berechnen bei der NASA in Langley die Flugkurven der ersten bemannten Raumfahrt überaus kluge Hirne, die schwarzen Frauen gehören. Eine doppelte Undenkbarkeit, die schon bei der Polizeikontrolle auf dem Weg zur Arbeit ein Problem werden kann. Doch Katherine Johnson bringt die Flugbahn in die richtige Richtung, Mary Jackson ist als Ingenieurin ohne Diplom unerlässliche Hilfe beim Bau der Raumkapsel und Dorothy Vaughan bringt im Alleingang den revolutionären IBM-Computer ans Laufen.

In einprägsamen Szenen entwickelt sich der Film von der unglaublichen Behandlung der schwarzen Heldinnen durch dumme feiste Weiße zu vielen Feel Good-Momenten. Der lange peinliche Weg Katherines zur Toilette für „colored people" in einem anderen Gebäude wird mit der happy Musik von Pharrell Williams flott präsentiert. Pragmatisch dann die Lösung des rauen aber klaren Abteilungsleiters, die Rassentrennung auf den Toiletten und an der Kaffeemaschine abzuschaffen. Dieser Fortschritt ist dem Zeitdruck des Wettrennens ins All geschuldet. Kevin Costner gibt den weißen Gleichmacher und Raumpilot John Glenn darf persönlich die Rechenleistung von Katherine verlangen - sonst fliegt er nicht los.

Für den überzeugenden Effekt der Schwarz-Weiß-Geschichte ist die NASA ein Verein stümperhafter Frickler und Kisten Dunst eine weiße Hexe. Ein neidvoller, besonders sexistischer Assistent ist mit Jim Parsons, dem Sitcom-Star aus „The Big Bang Theory", genial besetzt. Dazu eine bewegende Rede und etwas private Liebesgeschichte, der Frauen, die ganz nebenbei auch noch ihren Job als Mütter stehen. Theodore Melfi, vom frechen Bill Murray-Stück „St. Vincent" bekannt, sorgt als Regisseur und Ko-Autor mit vereinfachter Darstellung im Überflug für Einfärbung des Geschichtswissen und viel gutes Gefühl.

The Salesman

Iran, Frankreich, 2016 (Forushande) Regie: Asghar Farhadi mit Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi 123 Min. FSK: ab 12

Da ist er nun, der iranische Film, der ironischerweise im eigenen Land mal nicht von Verbot bedroht ist und Kassen-Rekorde bricht. Stattdessen wollen die Hauptdarstellerin und der Regisseur wegen den neuesten Trump-Trampeleien nicht zum möglichen Oscar-Gewinn in die USA einreisen. Ein Hohn, dass ausgerechnet die wenigen Meisterwerke, die eine strenge Zensur überleben, an der US-Grenze ausgebremst werden. Denn Oscars werden auch auf der Werbetour in den Wochen vor der Verleihung gewonnen. Und der neue Film von Asghar Farhadi („Nader und Simin – Eine Trennung", „Le passé – Das Vergangene") hätte nach den Cannes-Preisen für den Besten Darsteller (Shahab Hosseini) und das Beste Drehbuch (Asghar Farhadi) auch einen Academy Award verdient. Asghar Farhadi zeigt als Meister spielerischer Präsentation sehr ernster moralischer Fragen zuerst ein ganz praktisches Platz-Problem, eine komische Begegnung im Taxi und dann plötzlich ein unerhörtes Ereignis.

Hektisch verlassen die Nachbarn das einsturzgefährdete Haus. Ein Bagger hat das Fundament beschädigt. Symbolisch klafft ein riesiger Riss hinter dem Bett des Paares. Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti), die auch zusammen Theater spielen, finden in Teheran einige Tage lang keine Wohnung, bis ihnen ein Kollege etwas vermittelt. Doch hier wohnte wohl vorher eine Prostituierte und eines Abends wird Rana mit tiefer Kopfwunde in ihrem Bad gefunden. Ein alter Freier ist ahnungslos eingedrungen.

War bei Farhadis erstem großen Erfolg „Nader und Simin" eine vermeintliche Berührung der Skandal, ist es diesmal ein Verdacht. Emad weiß nicht genau, was seiner Frau passiert ist, doch der vormals so verständnisvolle Literatur-Lehrer wandelt sich zum rücksichtslosen Rüpel. Eine detektivische Suche nach dem Täter führt zu ungestümer Rache. Die wird so kalt und maßlos gezeigt, dass in einer seltsamen Verkehrung Mitleid mit dem Täter erwächst. Sein Verhältnis mit einer Prostituierten und eine zumindest versuchte Vergewaltigung sollen doch nicht 35 Jahre Ehe gefährden.

Fantastisches Schauspiel macht „The Salesman" zu einem intensiven Erlebnis und das erschütternd gnadenlose Finale zum Kammerspiel mit sehr ungewöhnlicher Spannung. Auch wenn alles sehr realistisch aussieht, sollte man den Film nicht mit Dokumentarischem verwechseln, auch wenn für uns viele Dinge aus dem iranischen Leben interessant zu entdecken sind. Eindringlich stehen zentral Schuld und kalte Rache. Sühne ist in diesem zertrümmerten Moral-Gebäude, dessen Fundament weggebaggert wird, nicht vorgesehen.

Live by Night

USA, 2016 Regie: Ben Affleck mit Ben Affleck, Brendan Gleeson, Elle Fanning, Chris Messina, Sienna Miller, Chris Cooper 129 Min. FSK: ab 16

Ben Affleck, schillernder Schauspieler und exzellenter Regisseur („Argo", „Gone Baby Gone"), legt mit „Live by Night" einen großen Gangsterthriller mit Tiefgang hin. Vor den Kulissen von Prohibition und einem Florida mit viel Rum und Rassentrennung verkörpert Affleck selbst den verwegenen Versuch, mitten im organisierten Verbrechen eine Form von Anstand zu wahren. Ein Gangsterstück mit tollen Szenen und Längen. Aber auch ein Film mit anderen starken Momenten.

Erschüttert und frustriert von den Front-Erfahrungen im Ersten Weltkrieg schlägt ausgerechnet der Sohn des Bostoner Polizeichefs (großartig: Brendan Gleeson) eine Karriere als unabhängiger Gangster ein. Joe Coughlin (Ben Affleck) sieht sich als Outlaw unter den Gesetzeslosen und hat eine leidenschaftliche Liebesaffäre ausgerechnet mit der Mätresse des irischen Bandenbosses Albert White. Ein misslungener Bankraub, der Verrat seiner Liebsten und die brutale Rache von Polizei und White bringen Joe fast um und dann in den Knast. Danach will er selbst Rache und verdingt sich bei Whites Gegner Maso Pescatore. Für den Mafia-Paten räumt er die Schmuggelwege des kubanischen Rums in Florida auf und übernimmt dort erfolgreich die Gangster-Filiale. Mit einem Casino-Bau wird für die Zeit nach der Prohibition vorgesorgt, aber ausgerechnet die ehemalige heroinsüchtige Prostituierte Loretta Figgis (Elle Fanning) torpediert als weißgewaschene Predigerin die Ausbreitungspläne von Joe.

Wie der in den Schoß des organisierten Verbrechens heimgekehrte Outlaw seinen Bandenkrieg erledigt, hat Stil. Genau wie seine weißen Anzüge. Ben Affleck sorgt sowohl als Joe Coughlin wie auch als Regisseur für Augenschmaus und Genre-Glanz. Eine altmodische Verfolgungsjagd Ende der Zwanziger Jahre, eine große Gangster-Scheißerei mit Scarface-Einlage, die nächtliche Abrechnung mit dem dummen Störenfried - all das passt, wenn auch der mit dem „Casino" herbei beschworene Vergleich zu den ganz Großen des Genres nicht standhält. Aber Affleck legt zusätzlich noch ganz andere Schwerpunkte. Nicht erst die große Liebe zur dunkelhäutigen Schwester des kubanischen Schmugglers macht seinen irischstämmigen Joe Coughlin zum Kämpfer gegen Rassismus. So räumt Joes Gang noch nebenbei mit dem Ku-Klux-Klan auf.

Ganz groß sind schließlich die persönlichen Dramen am Rande und im Herzen der Geschichte, deren Drehbuch Affleck nach dem Bestseller „In der Nacht" von Dennis Lehane schrieb. Angefangen beim ungewöhnlichen Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gangster und Polizei-Chef. Das seltsame Vater-Tochter-Ding zwischen dem fast nicht korrumpierbaren Polizei-Chef von Tampa Figgis (Chris Cooper) und seiner gefallenen Tochter Loretta wäre einen eigenen Film wert. Dass bei den sehr aktuell wirkenden Themen ein Gangster und Killer immer noch nach dem guten Leben sucht, liefert ein Maß an Tragik, an dem sich der mit reduzierter Mimik spielende Affleck fast verhebt. Hängen bleibt die Frage seiner Filmliebe nach dem Himmel und die überraschende Antwort, wir sind schon im Himmel. Es sieht alles nur aus wie in der Hölle, weil wir es so versaut haben...

Die irre Heldentour des Billy Lynn

USA, Großbritannien, VR China, 2016 (Billy Lynn's Halftime Walk) Regie: Ang Lee mit Joe Alwyn, Kristen Stewart, Chris Tucker, Garrett Hedlund, Vin Diesel, Steve Martin 112 Min.

Nach einem kleinen Scharmützel im Irakkrieg, bei dem zufällig eine vergessene TV-Kamera mitlief, hat der 19-jährige Soldat Billy Lynn (Joe Alwyn) mit seiner Einheit Heldenstatus. Sie dürfen für zwei Wochen auf Jubel-Tour nach Hause in die USA und zucken dort bei jedem Freuden-Feuerwerk zusammen. Doch das Volk ist begeistert. An Thanksgiving ist der Trupp um Billy Teil der Halbzeit-Show eines mäßigen Football-Spiels. Als Deko für „Destiny's Child" stehen die gedrillten Killer im Hintergrund von Beyoncé dumm rum. Besonders Billy ist in Gedanken woanders, hat er sich doch vor ein paar Stunden in einen Cheerleader verliebt und wird von seiner Schwester gedrängt, nicht wieder in den Krieg zu ziehen.

Was da 2007 in Texas stattfindet, ist ein uniformierter Schulausflug. Die Stars sind noch Kinder, die nun reichlich Erfahrungen mit nationalistischen Strippern machen. Kurz nachdem sie ihren Anführer beerdigt haben. Billy Lynn ist noch Jungfrau aber ein kluger, aufmerksamer Junge. Er sieht beim Rückflug mit der Leiche des Freundes die im Irak erfolgreichen amerikanischen Geschäftsleute an Bord. Dann doppeln sich Szenen und wir sehen auf einer Pressekonferenz die ehrlichen Antworten, die nicht gegeben werden: Ob sie mit ihrem Einsatz etwas bewirken würden? „Ja, wir produzieren haufenweise verrückte Selbstmordattentäter dort unten."

Billy will nicht wieder zum Morden an die Front, traut sich aber nicht, die nötigen Schritte zu unternehmen. Dass ihn seine Schwester Kathryn (Kristen Stewart) so bedrängt, hat einen tragischen Hintergrund: Ihr Körper ist voller Narben, nachdem ein Mercedes sie über den Haufen gefahren hat. Die Rache am Auto (!) des Unfallfahrers brachte Billy den Kriegseinsatz als Strafe, eine besonders grausame Form der Todesstrafe.

Nun sammelt sein entfremdeter Blick auf Zivilisten und sichtlich bescheuerte Sportfans Perversitäten wie eine Hummer-Stretchlimousine, christlich patriotische Cheerleader und, in einer Loge beim Football-Spiel, die Phrasen der Politiker (Steve Martin!), die zuhause Geschäfte mit dem Krieg machen.

Nach Mel Gibson („Hacksaw Ridge") versucht sich nun Ang Lee an einem Antikriegsfilm. Aber wie bei exzellenten Filmemachern zu erwarten, ist „Die irre Heldentour des Billy Lynn" viel mehr als eine filmische These. Mit den Augen des jungen Billy Lynn, Mörder und Opfer im Irak-Krieg, sehen wir was diese Invasion mit den Menschen der USA macht.

Die humanistische Kunst von Ang Lee („Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger", „Tiger & Dragon" und „Der Eissturm", „Das Hochzeitsbankett") liegt hier darin, dass er niemanden diffamiert. Man versteht mit Billy Lynn mehr über die seltsamen Verhaltensweisen ganz gewöhnlicher Amerikaner. Das muss einem nicht gefallen, aber mit diesem großen Respekt vor den Menschen sowie ihren Beweggründen entsteht ein guter, diskussionswürdiger Film.

Mit einigen spannenden und auch witzigen Momenten folgt er der raffinierten Patriotismus-Kritik „Heil dem siegreichen Helden" von Regisseurs Preston Sturges aus dem Jahr 1944. Und hat einen wachen Blick für „die anderen": Tatsächlich weckt bei brutalen Hausdurchsuchungen der Ausdruck des kleinen Sohns eines auf Verdacht Verhafteten Mitleid und Befürchtungen hinsichtlich dessen zukünftiger Widerstands-Karriere. Beim Nahkampf erschreckt das Gesicht des sterbenden Gegners in Großaufnahme. In einer sehr überraschenden Besetzung gibt ausgerechnet Actionfigur Vin Diesel („XXX") einen philosophischen Kommandanten mit ernsthaften buddhistischen Weisheiten. So mischen sich die Klagen über miese soziale Bedingungen, die junge Leute in den Krieg zwingen, und über die nicht bessere Behandlung nach der Rückkehr mit einem wehmütigen Blick auf die US-Gesellschaft. Wie Lees „Brokeback Mountain" kein leichter, kein schöner, aber ein sehr bemerkenswerter Film.

30.1.17

Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen

BRD 2016 Regie: Andreas Dresen mit Arved Friese, Justus von Dohnányi, Axel Prahl, Andreas Schmidt 102 Min. FSK: ab 0

Ein Horror-Märchen: Es war einmal eine erfolgreiche TV-Serie nach einem Roman von James Krüss. 13 Teile fegten 1979 die Straßen leer und das Unglück holt die Geschichte nun ein. Das Remake ist aufwändiges Ausstattungskino ohne Seele. Die hat man dem Kinokassen-Teufel für ein paar strahlende Filmposter verkauft.

Ein Schauer-Märchen: Es war einmal ein exzellenter und sozial engagierter Regisseur: Das Krebs-Drama „Halt auf freier Strecke" (2011), der Senioren-Sex von „Wolke 9" (2008), die ehrliche Leichtigkeit von „Sommer vorm Balkon" (2005), die Politdoku „Herr Wichmann von der CDU" (2002) und das großartige Sozialdrama „Halbe Treppe" (2001) - Andreas Dresen ist ein begnadet guter Regisseur. Der nun einen einst beliebten Märchenstoff vor sozialem Hintergrund widerbelebt: Timm Thaler (Arved Friese) ist ein witziger, gut gelaunter, armer Junge mit ansteckendem Lachen. Auch wenn der Teufel schnell erkennt, „einer wie du, hat sowieso nicht viel zu lachen". Doch Timm verliert sein Lachen selbst mit garstiger Stiefmutter und Stiefbruder als Mitbewohner nicht. Als aber auch noch der geliebte Vater stirbt, verkauft der traurige Junge sein Lachen an den mysteriösen Baron Lefuet (Justus von Dohnányi) für die unheimliche Gabe, fortan jede Wette gewinnen zu können. Dabei verliert der bald reiche Junge nicht nur Wette für Wette seine Seele, mit der Freude kommen ihm die Freunde abhanden.

Schon die ersten Bilder von reich ausgestatteter Studio-Armut erschrecken. Das soll nett sein und ganz weit weg vom Leben bleiben. Aufwändig, brav, unterhaltsam, lang und langweilig. Darstellerisch gibt es Prominent statt Einsatz. Tatortreiniger Bjarne Mädel macht sich als Timms Vater schnell vom Acker. TV-Nasen wie Harald Schmidt als Ausrufer der Rennbahn gesellen sich zum bekannten und beliebten Dresen-Personal: Milan Peschel gibt den Grabredner dieses traurigen Ausrutschers in Dresens-Filmografie. Axel Prahl und Andreas Schmidt sorgen als Dämonen Behemoth und Belial, die immer wieder in Ratten verwandelt werden, für albernen Spaß. Tommy Ohrner, der alte Timm Thaler, taucht als Concierge auf.

Die Modernisierungen gerieten teilweise peinlich: Der Teufel verkauft wie Nestle den Menschen lachend ihr eigenes Wasser, macht auf Marketing und sagt tatsächlich „Wir schaffen das!" Mobile Kommunikation wird in den 20er-Jahren als Zukunft des Bösen an die Wand geworfen - so lange der Akku hält. Scherze mit Brecht-Zitaten wirken deplatziert wie die Verballhornung von Dresens eigenem Filmtitel auf Kinoplakaten. Man könnte gutmütig auf ein paar nette Momente mit den Kindern und dem Off-Kommentar von Joachim Kròl verweisen, denken, dass die eigentliche Geschichte doch überzeugend bleibt. Aber wenn Timm-Darsteller Arved Friese am Ende wieder so nervig penetrant lacht, würde man seine Kinokarte verkaufen, um diesen nicht gewinnenden Charakter zurück ins Unglück zu stürzen.

26.1.17

Volt

BRD, Frankreich, 2016 Regie: Tarek Ehlail mit Benno Fürmann, Denis Moschitto, Stipe Erceg, André M. Hennicke, LaBlanche 81 Min. FSK: ab 16

Niedervolt-Spannung

„Volt" entwirft mit knappem Budget eine martialisch und apokalyptisch düstere Zukunft mit einer Transitzone für Einwanderer, „Blackies" werden sie unter anderem genannt. Hesham (Tony Harrisson), einer dieser in Camps hausenden Menschen, wird vom Volt (Benno Fürmann) bei einer „Säuberungsaktion" umgebracht. Das führt zu Protesten und Aufständen, die angespannte Atmosphäre unter den Adrenalintypen der Polizeitruppe wird durch interne Untersuchungen noch aufgeladener. Doch wortkarge Volt verrät werden den Kumpels noch seiner Sex-Freundin etwas von der Tat. Mit dem Moped rast er durchs Braunkohlen-Revier, die Kollegen bringen den einzigen Zeugen mit Waterboarding zum Schweigen. Dann verliebt sich Volt in Ayo (LaBlanche), die Schwester seines Opfers. Soll da jetzt eine Wandlung ausgerechnet beim härtesten Typen der Truppe stattfinden?

Quereinsteiger-Regisseur Tarek Ehlail versucht, für sein eigenes Buch mit geringen Mitteln ein apokalyptisches Design und raue Atmosphäre hinzulegen, was ihm teilweise auch gelingt. Die Polizisten mit vernarbten Gesichtern und Körpern sind klare Charaktere und die üblichen Genre-Wendungen reichen fürs entsprechende Heimkino aus. „Volt" kommt aber nicht gegen den Overkill aus Hollywood an. So lässt sich das Konzept „klein und dreckig" als charmant bezeichnen. Es holpert jedoch auch an einigen Stellen: Zu viel Dialog tut dem Film nicht gut, die überdeutliche Musik nervt, das Sounddesign holt aber einiges wieder raus. Benno Fürmann macht so was mit links und ist mittlerweile dabei auch nicht mehr peinlich. Profis wie Denis Moschitto, Stipe Erceg oder André M. Hennicke als Polizeichef haben recht wenig Raum für ihre eindimensionalen Rollen. Auch deshalb eignet sich „Volt" zum Stromsparen.

24.1.17

Kundschafter des Friedens

BRD 2016 Regie: Robert Thalheim mit Henry Hübchen, Michael Gwisdek, Antje Traue, Jürgen Prochnow, Thomas Thieme, Winfried Glatzeder, Milan Peschel 93 Min. FSK: ab 12

Schon der großartige Vorspann amüsiert mit Henry Hübchen als Ost-Bond. Als der heruntergekommene Ex-Agent beim Bier am Berliner Büdchen von jungen BND-Agenten abgegriffen wird, zeigt er allen, dass er es immer noch drauf hat - wenn der Rücken nicht wieder zwacken würde. Trotzdem kommt er mit seinen alten Kollegen zum Einsatz, als es Probleme bei der Wiedervereinigung von Ost- und West-Katschekistan gibt. Die Zonen-Bonds im Ruhestand schaffen mit Resten des DDR-Dopings locker den Fitness-Test, der Sold soll eine vollwertige West-Rente sein. Dabei gehen sie analog statt digital vor, statt GPS kommen die Koordinaten als Wasserstände über Kurzwelle. Stilvoll mit altmodischen Tricks arbeitet die herrliche Komödie auch im Filmbild.

Dieses „Ostens Vier" statt „Ocean's Eleven" ist ein (Arbeiter-) klasse Spaß mit großartigen Ost-Darstellern: Michael Gwisdek lässt als Techniker, Frickler und Idealist Funken fliegen. Dagegen ist Thomas Thiemes Locke nur an Geld interessiert. Winfried Glatzeder, der legendäre Darsteller der „Legende von Paul und Paula" ist immer noch der Romeo-Agent des Ostens. Als Klassenfeind und Verräter ist Jürgen Prochnow dabei. Robert Thalheim („Am Ende kommen Touristen") gelingt die humoristische Rache des Ostens wie ein „R.E.D." aus Babelsberg. Wenn die superfitten alten Herren die Sache „ganz undemokratisch handhaben", wie ein freudscher Versprecher des sprühenden Drehbuchs verrät, ist das ein unbedingt sehenswerter Spaß.

Die schönen Tage von Aranjuez

BRD, Frankreich, Portugal, 2016 (Les beaux jours d`Aranjuez) Regie: Wim Wenders mit Reda Kateb, Sophie Semin, Jens Harzer 98 Min. FSK: ab 0

Zum fünften Male verfilmt Wim Wenders einen Text seines langjährigen Weggefährten und Freundes Peter Handke. Nun sind die beiden Herren nicht mehr so jung wie 1969 bei „3 Amerikanische LPs", bei „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1971), „Falsche Bewegung" (1975) oder „Der Himmel über Berlin" (1987). Handkes Bühnenstück „Die schönen Tage von Aranjuez", ein „Sommerdialog" zwischen Mann und Frau, beginnt hier denn auch mit der Frage nach der Entjungferung der Frau. Die Anordnung, die explizit „ohne Aktion" auskommt, spielt in einem Umfeld, dass einem aus der Corinna Belz-Dokumentation „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte" als tatsächliche Wohnung von Handke bekannt zu sein scheint. Die Kamera kreiselt um die beiden am Tisch unter einer Pergola Sitzenden und Sprechenden, der Blick schweift im Hintergrund in eine herrlich weite und freie Landschaft der Île-de-France. Im Haus, mit Blick auf das Paar sitzt der Autor. Als Alter Ego Handkes selbstverständlich altmodisch an Schreibmaschine. Die seltene Musik kommt von einer Wurlitzer oder auch mal von Nick Cave, der plötzlich am Klavier sitzt.

Nun hören wir unter rauschenden Baumkronen in dieser reizvollen Konstellation ganz schlecht synchronisierte Sätze wie „Es tut weh, heutzutage das wahre Gesicht einer Frau zu sehen" oder „Gibt es etwas Warmherzigeres als die weibliche Form?" Der Mann mit dem Handke-Bärtchen und die Frau mit den Kleidern in wechselnder Farbe sind oder waren wohl ein Paar, aber ihr Gespräch behält eine gekünstelte, unnatürliche Distanz. Dies ist ein Text, ein Theaterstück, nicht das Leben. Von „Erinnere dich an deine Kindheit", ist es nicht weit zu „Als das Kind ein Kind war", doch Handke/Wenders 2017 ist kein „Himmel über Berlin", sondern Illustration von Dialog. Gespräche, die den Zauber des Anfangs herbei beschwören wollen, aber in einsamer Melancholie enden.

Ein wunderbar ruhiger Film gegen alle Trends von Beschleunigung und sich gegenseitig übertönendem Lärm. Eine intellektuelle Spielerei, selbstverständlich in den kunstvollen Sprache Handkes. Zum Eintauchen und Mitspielen oder zum Weglaufen.

23.1.17

Hacksaw Ridge

Australien, USA, 2016 Regie: Mel Gibson mit Andrew Garfield (Desmond T. Doss), Teresa Palmer (Dorothy Schutte), Hugo Weaving (Tom Doss), Rachel Griffiths 140 Min. FSK: ab 16

Das Beste an diesem neuen Mel Gibson - er ist nicht in Aramäisch und es kommt kein Biber drin vor! Ansonsten ist er ebenso brutal wie „Die Passion Christi" (2004) und „Apocalypto" (2006), sodass der Regisseur Gibson weiterhin bei jeder filmischen Verkehrskontrolle mit viel zu hohem Blutspiegel rausgewunken wird.

Desmond T. Doss (Andrew Garfield) ist der Held dieses vermeintlichen Anti-Kriegsfilms: Schon als Kind schwört er nach schrecklichen Erlebnissen mit seinem vom ersten Welt-Krieg traumatisierten und schlagenden Vater (Hugo Weaving) der Gewalt ab. Desmond wird irgendwie religiös gewaltlos, aber nicht Pazifist. So lässt auch er sich einreden, er müsse in den Krieg gegen Japan ziehen. Wenigstens als Sanitäter. Während der Ausbildung amüsiert sich der aufgeweckte Junge über den absurden unmenschlichen Drill (eher harmlos geleitet von Vince Vaughn) und widerspricht sogar dem üblichen Kadaver-Gehorsam. Unter den „Kameraden" verdient er sich bei Schikane und Prügel schließlich Respekt. Es ist tatsächlich auch komisch, wie der Apparat um den Waffenverweigerer versucht, mit der undenkbaren Haltung fertig zu werden. Das erinnert an die idiotischen Fragen der Gewissensprüfung bei der legendären deutschen Wehrdienstverweigerung.

Die zweite Hälfte des Films ist dann das Gemetzel einer der „legendären" Pazifik-Schlachten, diesmal um den titelgebenden Höhenzug „Hacksaw Ridge". Ein üblicher Kriegsfilm, die Amerikaner sind die guten Opfer, die Japaner gesichtslose Killer. Das hat eine Weile die Intensivität und den Splatter-Faktor von „Der Soldat James Ryan", wandelt sich aber in den Ruhepausen des Massenmordens zur Helden-Geschichte von Desmond. Nach verlorener Schlacht rettet er alleine viele verletzte amerikanische Soldaten vom Schlachtfeld. Dabei muss er sich tot stellen, wenn die Japaner die letzten Überlebenden abstechen, und hilft beim Verstecken in der Kanalisation sogar einem Gegner. Dieses Heldentum wird am Ende ausführlich zelebriert. Da ist dann keine Zeit mehr nachzudenken, ob die Haltung, mitzukämpfen aber halt nicht zu schießen, nicht einfach nur schizophren sowie inkonsequent ist. Auf jeden Fall ist auch dieses Heldentum ein Rädchen der Kriegsmaschinerie, zusammen mit Waffenexporten, Ausbeutung der Dritten Welt oder religiösem Wahn.

Ein Anti-Kriegsfilm von Mel Gibson? Das wäre eine 180-Gradwende für den Darsteller aus „Mad Max" und „Lethal Weapon". Immerhin ist erstaunlich, wie oft und auffällig in „Hacksaw Ridge" dem Willen zur typischen (Film-) Rache und zum Regeln der Dinge mit der Waffe widerstanden wird. Aber nur das eindrucksvolle von Weaving personifizierte Plädoyer gegen Krieg reicht nicht, um den eigenen Film zu pazifizieren.

Jackie (2016)

Chile, USA, Frankreich, 2016 Regie: Pablo Larraín mit Natalie Portman (Jackie Kennedy), Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Billy Crudup , John Hurt, Richard E. Grant 100 Min. FSK: ab 12

Das Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dalles und die Trauerfeierlichkeiten in Washington sind ikonische Momente der filmischen Geschichtsschreibung. Wie Jacqueline Kennedy, also „Jackie", diese Tage zwischen persönlicher Erschütterung und Rauswurf aus dem Weißen Haus zur historischen Inszenierung nutze, imaginiert dieser ungewöhnlich packende Film von Pablo Larraín („No!", „El Club", „Neruda") anhand eines realen Interviews.

„Ich entscheide, was veröffentlicht wird!" Jacqueline Kennedy (Natalie Portman) genau weiß, was sie sagt. Da gibt es keinen Zweifel beim Journalisten Theodore H. White (Billy Crudup), immerhin Pulitzer-Preisträger. Er interviewt die Witwe wenige Tage nach dem Attentat, bei dem ihr Mann bei rasender Fahrt in ein Krankenhaus mit aufgeplatztem Schädel in ihren Armen lag. Als man Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson hastig vereidigt, sind noch Blutflecken auf dem rosa Chanel-Kostüm, das selbstverständlich auch berühmt wurde. Aber über den Hinterausgang will Jacqueline Kennedy nicht abtreten. Und während ihre beiden kleinen Kinder noch nichts vom Tod des Vaters wissen, weiß sie schon, dass der Trauerzug wie bei Abraham Lincoln verlaufen soll. Denn den kennt man noch - im Gegensatz zu James A. Garfield, einem anderen im Amt ermordeten Präsidenten.

In streng symmetrisch gesetzten Bildern und mit einem immer irritierenden Score moderner Musik nähert sich „Jackie" dem Mythos Jacqueline Kennedy an. Beim Interview mit Theodore H. White blickt die Präsidenten-Gattin zurück und erlaubt sich, die eigene Haltung zu reflektieren. Dabei vieles zu zensieren, wie das Kettenrauchen. Eine von Pablo Larraín rekonstruierte Führung durchs Weiße Haus in Schwarzweiß zeigt die Gestalterin Miss John F. Kennedy, die für diesen Film sogar einen Emmy erhielt. Und legt den Verdacht nahe, auch die exzentrischen Wünsche für einen opulenten und gefährlichen Trauerzug wären Marotte einer Luxus-Gattin. Zwar bleiben wir auf dem Gebiet von Gestaltung und Marketing, aber es geht den Kennedys und Larraín letztlich um mehr. Darum, ein politisches Erbe für die Nachwelt zu sichern. Einen Moment der Hoffnung auf eine bessere Welt und Politik, symbolisch festgehalten in dem zeitgenössischen Musical-Song „Camelot".

Natalie Portman legt nach „Black Swan" erneut eine sehr eindrucksvolle Leistung hin. Trauernd unter Tränen und die nächste Sekunde als knallharter Medienprofi - diese Jacqueline Kennedy changiert zwischen gequältem Lächeln und entschlossenem Trotz. Das Besondere an der immer auch undurchdringlich bleibenden Figur dieser Jackie ist die glaubwürdige Einheit von scheinbar Oberflächlichem, Banalen und tiefen Verwundungen, Zweifeln und Ängsten. Die beginnen beim Wissen vom Schicksal später verarmter Präsidenten-Witwen und erschüttern mit dem Schmerz über zwei früh verstorbene Babys. Während sich die formale Strenge des Films langsam auflöst, berührt die Figur Jackie schließlich auf einer dritten Ebene in dem Gespräch mit einem Priester (John Hurt) als trauernde Mutter. Um dann als Verwalterin eines politischen Erbes zu beeindrucken.

Der chilenische Regisseur Pablo Larraín zeigt wie schon in „No!" (über die Marketing-Kampagne zur Absetzung von Diktator Pinochet) formal äußerst faszinierend eine Figur zwischen äußerem Gestaltungswillen und inneren, persönlichen Überzeugungen. Das Spiel von Natalie Portman wird von ausgesucht guten Nebendarstellern unterstützt. An erster Stelle Peter Sarsgaard als geistesverwandter Schwager (und Justizminister) Bobby Kennedy. Als Drehbuchautor überrascht Noah Oppenheim, der bislang Belanglosigkeiten wie „Die Bestimmung - Allegiant" oder „Maze Runner - Die Auserwählten im Labyrinth" schrieb. Es bleibt eine große Neugierde nach einer sehr interessanten Frau und die Wehmut nach „Camelot".

Split (2016)

USA, 2016 Regie: M. Night Shyamalan mit James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Betty Buckley 118 Min. FSK: ab 16

Der neue Film von M. Night Shyamalan ist eine schizophrene Angelegenheit: Zerreißende Spannung, psychologisch abenteuerlich unterfüttert, aber keine große Überraschung. Und dann, in einem banalen Finale, das man eigentlich schon aufgegeben hat, berühren die entgegengesetzten Schicksale zweier misshandelter Kinder. Dieser Film über eine 23-fach multiple Persönlichkeit hat zu viele Gesichter.

Die Entführung der drei Mädchen erfolgt schnell und professionell. Doch was will dieser Kevin (James McAvoy) mit seiner auffälligen Schmutz-Phobie von ihnen? Der Versuch einer Vergewaltigung scheitert, dann kommt der Entführer wie ausgewechselt freundlich und mit Blumen in die Zelle. Und danach mit quengelnder Stimme eines kleinen Jungen. Die kluge Casey (Anya Taylor-Joy) begreift, dass hier jemand eine gespaltene Persönlichkeit hat und versucht, die Einzelnen gegeneinander auszuspielen. Das wahre Ausmaß der Spaltung kennt allerdings nur die Psychiaterin Dr. Karen Fletcher (Betty Buckley), die Kevin und Barney und Patricia behandelt. So ist mal kein Cop, sondern eine Ärztin dem Täter auf der Spur.

Das Spiel von James McAvoy („Victor Frankenstein: Genie und Wahnsinn") mit seinen vielen Figuren und Facetten ist überzeugend, aber nicht wahnsinnig beeindruckend. Die körperlichen Transformationen im Finale des Kammer-Horror-Spiels machen alles unnötig zum Science Fiction. Denn während man auf die Tricks wartet, welche die kleine Casey einst von ihrem Jäger- und Survival-Papa gelernt hat, sind ja die inneren Kämpfe von Kevins Figuren um die Oberherrschaft, die Fraktions-Bildungen seiner komplexen Psyche schon ausreichend spannend, spannender als die Entführung. Trotzdem bleibt Kevin Konstrukt, an dem man bis zum Ende kaum Anteil nimmt. Die typische Überraschung im Finale von Shyamalan-Filmen wie „The Sixth Sense", „Unbreakable" oder „The Visit" ist diesmal nur ein lascher Scherz mit Bruce Willis. Die letzte Wende gelingt zumindest insofern, dass uns das Schicksal der beiden schrecklich misshandelten Kinder, die sich letztendlich gegenüberstehen, doch noch berührt. Aber auch das Ende von „Split" leidet an Schizophrenie, ist wie zerbrochenes Glas, wenn im dritten Anhängsel Willis überhaupt nicht dezent auf den Mr. Glass aus Shyamalans „Unbreakable" hinweisen muss. Warf man früher M. Night Shyamalan - fälschlich - vor, seine Filme wären nur wegen des Clous am Ende interessant, kann der spannende „Split" gar nur in Ansätzen und Ideen das Drehbuches von Shyamalan überzeugen.

22.1.17

Mein Blind Date mit dem Leben

BRD 2016 Regie: Marc Rothemund mit Kostja Ullmann, Jacob Matschenz, Anna Maria Mühe, Alexander Held, Johann von Bülow, Nilam Farooq 111 Min.

Der Abiturient Saliya Kahawatte (Kostja Ullmann) ist ein hoffnungsvoller Praktikant in der Gastronomie als er fast seine gesamte Sehkraft verliert. Er gibt seinen Traum von der Arbeit im Hotelgewerbe trotzdem nicht auf und bewirbt sich erfolgreich, ohne seine Behinderung preiszugeben. Der Hallodri Max (Jacob Matschenz), der bald sein Freund wird, und viele eingeweihte Helfer bringen ihn durch teilweise unverantwortliche - und unglaubwürdige - Situationen in der langen Ausbildung. Von der Aufschnittmaschine bis zum Weinglas, das er eine Nacht lang putzt, weil er nicht sieht, ob es sauber ist. Oh ja, verlieben muss sich Saliya auch noch - in eine Stimme (Anna Maria Mühe). Das ist nicht nur für die mäßige Komödie zu viel, Saliya schafft alles nur mit Drogen und nach einem Zusammenbruch wieder mit Hilfe der Freunde.

Der auf sri-lankisch gemachte Kostja Ullmann überwindet hier schauspielerisch keine große Herausforderung. Frau Mühe ist als Saliyas Liebe völlig unterfordert. Der Versuch, das Erblinden sinnlich erfahrbar zu machen, lässt kurz alles optisch verschwimmen, dazu gibt es eine akustische Reizüberflutung. Dann folgt Beliebigkeit in der Inszenierung, die uninteressant wie jeder andere TV-Kram aussieht. Denn bei diesem schlechten Witz passiert recht wenig, Dramatisches schon gar nicht.

18.1.17

Manchester by the Sea

USA 2016 Regie: Kenneth Lonergan mit Casey Affleck, Michelle Williams, Kyle Chandler, Gretchen Mol 138 Min. FSK: ab 12

„Manchester by the sea" ist der nächste heiße Preis-Kandidat des Film-Jahres. Ein Affleck-Film, aber mit dem „kleinen" Bruder Casey. Ein emotionaler Film, jedoch ohne den üblichen, tränendrüsigen Kitsch. Die gleiche Thematik wie in „Verborgene Schönheit" und doch ein ganz anderer Film: Als sein älterer Bruder stirbt, kehrt Lee Chandler (Casey Affleck) zurück in seine Heimatstadt Manchester by the Sea an der US-Ostküste. Er kümmert sich um die Formalitäten und seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges). Der ist 16, aber viel vernünftiger und erwachsener als Lee. Während der Junge seine Freunde und auch gleich zwei Freundinnen hat, lebt Lee einsam und alles andere als kontaktfreudig. Dabei sind die Mitmenschen an ihm interessiert, bei einem zu langem Blick schlägt er jedoch schon mal besoffen zu.

Eine geschickte Montage mit Rückblenden zu Lees Erinnerungen eröffnet langsam den Grund für seine tiefen Frustrationen. Eine familiäre Katastrophe zur Filmmitte lässt ihn mit schwer erträglicher Schuld zurück. Eine Schuld, die er alleine tragen muss, denn erstaunlicherweise erfolgt keine Strafverfolgung. Der Rest des Lebens ist die Strafe für ihn. Deshalb ist die Rückkehr zum Ort voller Erinnerungen unerträglich, deshalb kann er sich auch nicht in Manchester um Patrick kümmern, der gerne an seiner Schule, bei seinen Freunden und beim geliebten Boot des Vater bleiben würde.

Filme über Einzelgänger, die sich plötzlich um andere Menschen kümmern müssen, sind schon fast ein eigenes Genre. „Manchester by the sea" ist darin auf eine ruhige Art intensiv und durchgehend packend. Ohne Kitsch, ohne Vereinfachung oder Abkürzungen. Lee kümmert sich gut um praktische Probleme und Alltagssorgen, als Hausmeister und im eigenen Leben. Im Umgang mit Menschen bekommt der fast katatonisch Unnahbare nicht mal Smalltalk hin. Mit den Verwandten bleibt er hilflos, distanziert. Der vaterlose Patrick muss selbst auf ihn zugehen.

In der Kinowoche der unkontrolliert im Leid verschlossenen Männer ist „Manchester by the sea" die bessere Empfehlung. Interessant und bis auf den Einsatz klassischer Musik in den großen Momenten, zurückhaltend berührend, allerdings nicht über die Maßen genial inszeniert. Jedoch, auch wenn es ein langer Film ist, gelingen Regisseur Kenneth Lonergan knappe, klare Szenen wie Patricks erstes Wiedersehen mit seiner Mutter nach Jahren. Es gibt kein großes Happy End, keine Wunder, aber kleine Fortschritte wie eine Umarmung.

Bei dieser Männerproblematik kommen Frauen nicht besonders gut weg. Die kleinen und großen Jungs wollen ihren besoffenen Spaß und Frauen meckern dabei rum. Was, wie die taz und die New York Times bemerkten, symptomatisch auch für die anderen Filme aus dem Affleck/Damon-Umkreis sei. In Folge des frühen Erfolges „Good Will Hunting" gab es mehrere Zusammenarbeiten von Ben Affleck und Matt Damon, der hier produzierte, vor und hinter der Kamera. Casey Affleck, Matt Damon und Gus Van Sant realisierten so 2005 den extremen Wüstenfilm „Gerry", ganz ohne Frauen. Ironischerweise und konsequent in der Logik des Films hat nun in „Manchester by the sea" Michelle Williams als ehemalige Frau von Lee die emotionalste Szene. Schon ihr Auftritt macht den Film sehenswert.

16.1.17

Der die Zeichen liest

Russland, 2016 (Uchenik) Regie: Kirill Serebrennikow mit Petr Skwortsow, Wiktoria Isakowa, Julia Aug 118 Min. FSK: ab 12

Wie ein russischer Taliban gebärdet sich der Teenager Benjamin (Petr Skwortsow) in der Schule - nur ist die Betriebsanleitung für diesen Wahnsinn nicht der Koran sondern die christliche Bibel: Zuerst weigert sich der Junge mit der Bibel in der Hand, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Die Bekleidung der Mädchen sei unzüchtig, erklärt er mit passendem Zitat aus dem Alten Testament. Zum Schnellfeuer der Bibelsprüche werden deren Quellenangaben als Text eingeblendet. Arrogant und selbstgerecht macht er allen moralische Vorwürfe. Die Themen Homosexualität und Verhütung führen im Biologie-Unterricht wie im tiefsten Bayern zu einem Aufruhr Benjamins und dann der gesamten Schulleitung. Die Evolutionstheorie wird gleich mit angegriffen, während der aggressive Gymnasiast im Affenkostüm herumturnt.

Ist es nur eine pubertäre Verwirrung, die anderswo zum Amoklauf führt? Einen gehänselten Mitschüler mit einem kürzeren Bein will Benjamin aber tatsächlich heilen. Seine Mutter verzweifelt, das versoffene, abgewrackte Lehrerkollektiv, ein Mikrokosmos der russischen Gesellschaft, suhlt sich rückwärtsgewandt in Melancholie. Das bebildert Regisseur Kirill Serebrennikow kunstvoll, wenn die Klasse im Geschichtsunterricht - in Benjamins Wahn? - plötzlich in den Schuluniformen der betreffenden Stalin-Zeit gekleidet ist.

Mit beeindruckender handwerklicher Exzellenz und großer Kunstfertigkeit inszeniert er erschreckende Erscheinungen, die deshalb nicht weniger real sind. Die sehr vernünftige, aufgeklärte Biologielehrerin Lena treibt das fast in den Wahnsinn. Als auch eine geschlossene Front rückständigen Denkens sie nicht kleinkriegt, verfällt die Gesellschaft der Lehrer ausgerechnet während des Disziplinarverfahrens gegen Benjamin ein eine Hexenjagd gegen die Jüdin Lena. So scheitern ihre klugen Versuche, ihn mit den eigenen Waffen, also noch mehr Bibelsprüchen, zu schlagen. Das seit seinem Debut in Cannes gefeierte junge Meisterwerk nach Marius von Mayenburgs Bühnenstück „Märtyrer" ist nicht nur hochinteressant in diesen Zeiten wiederaufkeimender Religiosität, sondern auch besonders packend realisiert.

Verborgene Schönheit

USA, 2016 (Collateral Beauty) Regie: David Frankel mit Will Smith, Edward Norton, Kate Winslet, Michael Peña, Helen Mirren, Keira Knightley 97 Min. FSK: ab 0

Der neue Will Smith-, oder je nach Geschmack: Der neue Kate Winslet-Film ist einer, bei dem sich sicher Tränchen zerdrücken lassen. Ein Film, der mit einem sehr dichten Star-Aufkommen beeindruckt. Edward Norton, Kate Winslet, Michael, Helen Mirren, Keira Knightley, alle spielen gut, die Inszenierung von David Frankel hat einige grandiose Momente. Trotzdem ist der Film an den US-Kinokassen gescheitert. Er zeigt eine sehr interessante Form des Scheiterns beziehungsweise eine Vermischung ganz unterschiedliche Erzählstimmungen:

Der erfolgreiche New Yorker Werbemanager Howard (Will Smith) ist seit zwei Jahren nur noch der „Zombie-Champion im Domino". Seit seine sechsjährige Tochter starb, baut er im Büro wortlos mehrstöckige Reihen aus Dominosteinen und lässt sie alle paar Tage in Kettenreaktion zusammenfallen. Wie das Verwehen einer Mandala ein großartiges Bild für Endlichkeit und die Vergeblichkeit aller menschlichen Mühen. Ganz banal steht auch die Werbefirma von Howard und seinen drei Partnern kurz vor dem Zusammenbruch. Whit (Edward Norton), Claire (Kate Winslet) und Simon (Michael Peña) wollen das Geschäft verkaufen, aber brauchen die Zustimmung von Howard, der nicht mehr spricht und mit unbeleuchtetem Rad nachts alleine in der Stadt rast. Moderne esoterische Heilungsversuche, unter anderem mit einem Schamanen aus Peru, blieben erfolglos.

Es könnte eine satirische Gesellschaftskomödie sein, wie diese drei gebildeten New Yorker den Wahnsinn ihres Kollegen beweisen wollen. Er ist ihr Freund, aber das Geld brauchen sie auch alle. Deshalb heuern sie drei scheinbar dahergelaufene Schauspieler an, die in Begegnungen mit Howard die Liebe (Keira Knightley), den Tod (Helen Mirren) und die Zeit (Jacob Latimore) verkörpern sollen. Denn diesen drei Konzepten schrieb der verbittert Trauernde wütende Briefe.

Der Film braucht recht lange, um die komplizierte Sache ans Laufen zu bekommen. Und es bleibt vielschichtig, denn die Schauspieler von Liebe, Tod und Zeit sind einerseits in ihren Eitelkeiten („darf ich noch mal auftreten?") herrlich menschlich, blitzen aber auch zwischendurch mit Weisheiten auf, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Und zufällig besprechen sie sich mit jeweils einem Geschäftspartner Howards, der ein passendes Problem hat: Der Verstandesmensch Whit verliert die Liebe seiner Tochter, Claire läuft beim Wunsch, ein Kind zu bekommen, die Zeit davon, und Simon steht kurz vor dem eigenen Tod, was er noch niemandem gesagt hat.

Der Originaltitel bringt ein schwieriges Konzept auf den Punkt: „Collateral Beauty" ist die Schönheit, die es in all dem Schmerz und Schrecken des Verlustes eines geliebten Menschen auch geben soll. Diese Idee ist ganz schön verwegen - vor allem für einen einfachen Tränendrüsenfilm aus Hollywood.

Klingt reichlich konstruiert, ist aber durch das sehr gute Spiel von Smith, Winslet, Norton und Co. gar nicht so schlimm. Die Dialoge haben in ihrer Vielschichtigkeit und den Wortspielen literarische Qualitäten. Wenn die „Hegel theatre company" sinniert, ob dies eher ein Stoff von Noël Coward oder von Tschechow sei, dann will „Verborgene Schönheit" Tschechow sein, ist in besten Momenten eine Gesellschaftskomödie von Coward und zu feige, um den Hollywood-Simplizismus des großen Gefühls hinter sich zu lassen.

Ritter Rost 2 - Das Schrottkomplott

BRD 2017 Regie: Thomas Bodenstein, Marcus Hamann 87 Min. FSK: ab 0

Das Drehbuch ist idiotensicher: Weil die Ritter des Königs wegen ausufernder Verschwendung der Prinzessin entlassen werden sollen, gibt es eine terroristische Bedrohung. Mit angeheuertem Drachen, selbstverständlich selbst inszeniert von den Sicherheitskräften und -diensten. Das was Ritter Rost in dem sympathischen und klugen Kinder-Zeichentrick „Ritter Rost 2 - Das Schrottkomplott" einfädelten, geht reichlich schief. Eine blöde Prinzessin macht einen Polizeistaat möglich, in dem jeder belauscht, verfolgt und verhaftet wird. Wie in „Star Wars" entsteht eine Armee aus Polizisten, hier Clopse genannt. Erst verkauft Ritter Rost die Erfindungen seines verstorbenen Vaters an die falsche Seite, später retten die tolle verrückten Maschinchen Ritter, Burgfräuleins und das ganze Schrottland.

„Ritter Rost 2 - Das Schrottkomplott" erzählt eine überraschend aktuelle und sogar politische Geschichte witzig und intelligent in einem Zeichentrick für Kinder. Es knubbeln sich um den sympathisch menschlichen Schrotthaufen Ritter Rost (wunderbar gesprochen von Christoph Maria Herbst) haufenweise irre detaillierte Figuren und Nebenfiguren. Die liebvollen Zeichnungen der Kinderbücher von Jörg Hilbert und Felix Janosa wurden in dieser herausragenden deutschen Trickproduktion übernommen. Da kommt selbst die Familie Kaffeeservice nicht unter die Räder und der Mond ist tatsächlich eine Sichel. Kleine Steuergeschenke, leere Staatskasse und Selbstbedienung der Regierung werden nebenbei sehr anschaulich erklärt. Für reichlich Humor sorgen Minion-Soldaten, selbst eine rasante Achterbahnfahrt in den Burgkeller gelingt. Die Sets mit Burgen, mittelalterlichen Städten und einer Titanic oben auf dem Schrottberg sorgen für Augen-Spaß. Dieser Film wird alle, auch Finanzminister Ratzefummel glücklich machen, denn die Schwarze Null ist garantiert!

10.1.17

Die Blumen von gestern

BRD, Österreich, 2016 Regie: Chris Kraus mit Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Hannah Herzsprung 126 Min. FSK: ab 12

Ein Komödie, noch dazu eine romantische, über das Zusammentreffen eines deutschen Täter-Enkels und einer Opfer-Enkelin ist eine eher heikle Angelegenheit. Chris Kraus („Poll", „Vier Minuten") traut sich Screwball-Dialoge, Scherze über moralische Keulen und einen verklemmten Umgang mit dem Holocaust.

Totila Blumen (Lars Eidinger) und Zazie Lindeau (Adèle Haenel) sind zwei schwer gestörte Holocaustforschern, die an einem Auschwitz-Kongress arbeiten. Dabei hat die witzige Zazie ein Verhältnis mit dem schleimigen Institutsleiter Balti (Jan Josef Liefers) den Totila kürzlich krankenhausreif geschlagen hat. Dass Totilas Großvater Zazies Oma hat vergasen lassen, hindert die traumatisierte Französin nicht, mit dem Nazi-Enkel ins Bett zu wollen. Klingt haarsträubend, lässt sich aber im wahnsinnigen Schauspiel von Eidinger und Adèle Haenel („Das unbekannte Mädchen") tatsächlich ansehen. Dabei weigert sie sich, Mercedes-Wagen oder Biere aus dem Land der Mörder zu gebrauchen. Er findet in guter Tradition Lyrik aus Deutschland unmöglich und meint: Ich bin Holocaust-Forscher, ich verdien' mein Geld damit, negativ zu sein. Der Humor legt dabei einen Schlingerkurs zwischen Volltreffern und Grenzwertigem hin, der sich auf jeden Fall als interessanter und nachdenkenswerter als die übliche Bewältigungs-Routine erweist. Ein frecher, komischer, mutiger und gelungener Film.

Hell or High Water

USA 2016 Regie: David Mackenzie mit Jeff Bridges, Chris Pine, Ben Foster, Gil Birmingham 102 Min. FSK: ab 12

Wenn sich im Casino der Comanche und der weiße Redneck Stirn an Stirn gegenüberstehen, sind mittlerweile beide Verlierer: Dem einen raubte der Weiße Mann das Land, dem Weißen Mann rauben die Banken die Häuser, um die eigenen Zockereien auszugleichen. Ein Western von heute hat als „Outlaws" zwei Brüder, die das verschuldete Häuschen ihrer nach teurer Krankheit verstorbenen Mutter retten wollen. Dazu rauben sie Banken wie Bonnie und Clyde, um bei den selben Banken die Schulden abzulösen.

Der kluge Toby (Chris Pine) hat den Plan und der jähzornige Tanner (Ben Foster) die Waffen. Sie fahren durch wertloses Weideland, das vielleicht Öl hergibt, vorbei an riesigen Plakaten mit Kredit-Angeboten der Banken. allen hier steht das Wasser bis zum Hals, überall sind brave, einfache Leute, denen die Banken das von Hypotheken belastete Heim wegnimmt.

Superheld Chris Pine steht diesmal auf der Seite der Verlierer, ihm steht der Cowboy sehr gut. Die Texas-Ranger Marcus Hamilton (Jeff Bridges) und Alberto Parker (Gil Birmingham) stellen sich in der ersten Szene als identisch gekleidetes Komiker-Duo vor. Jeff Bridges trumpft auch in dieser Rolle auf, wie letztlich so oft, schwer verständlich.

Der Schotte David Mackenzie machte aus „Hell or High Water" von Autor Taylor Sheridan einen Western von heute: Spannend, exzellent gespielt, mit viel Einblick in die Situation der Menschen und des Landes. Wenn nach einem missglückten Bankraub direkt ein Haufen schießwütiger Amerikaner zur Stelle ist, zeigt die gleichzeitig komisch und erschreckend etwas vom Waffenwahn dieses lebensgefährlichen Staates. Sheridan schrieb übrigens auch das Buch zu dem hochspannenden und politischen Drogenthriller „Sicario", ein ebenso exzellentes Script. Dazu erklingen sehr passende Lieder, die Filmmusik stammt von Nick Cave und Warren Ellis.

La La Land

USA 2016 Regie: Damien Chazelle mit Ryan Gosling, Emma Stone, J.K. Simmons 128 Min. FSK: ab 0

Dass „La La Land" mit gleich sieben Golden Globes der absolute Überflieger der neuen Preis-Saison ist, sollte Anlass sein, das Alter der Jurys zu überprüfen. Denn die wunderschöne Musical-Romanze vom jungen Ausnahme-Regisseur Damien Chazelle („Whiplash") glänzt vor allem nostalgisch.

Wir sind im „La La Land"! Da gibt es keine Zweifel, wenn schon in der ersten Szene oben auf einem verstopften Hollywood-Highway unvermittelt in Gesang und Tanz ausgebrochen wird. Bereits dies eine großartige, umwerfende Nummer im Cinemascope-Format und in knalligen Farben, die an Technicolor erinnern. Bis unser Liebespaar zusammen kommen wird, erleben wir jedoch noch wie Mia (Emma Stone) als angehende Schauspielerin nicht besonders erfolgreich ist und wie Sebastian (Ryan Gosling) als frustrierter Ex-Besitzer einer Jazzbar nicht in der Lage ist, einen Pianisten-Job mit Fahrstuhl-Musik zu behalten. Dass wir auch noch warten müssen, bis die beiden ihr erstes Duett haben, liegt daran, dass der Jazz-Nerd Sebastian zu sehr in seiner eigenen Welt steckt und diese umwerfende Frau erst einmal umrennt.

Das Musical blitzte als vergessenes Film-Genre in den letzten Jahren nur noch selten auf: Lars von Trier machte aus „Sound of Music" seinen „Dancer in the Dark", Baz Luhrmann aus Pop-Geschichte sein „Moulin Rouge" und die BBC-Meisterwerke von „Singing Detective" Dennis Potter, der in „Lipstick on Your Collar" Ewan McGregor erstmals singen ließ, sind alle fast vergessen. Während die Franzosen die Tradition von Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg") wenig pflegten, besteht nur noch Indien darauf, in jedem Film mindestens zwanzig Lieder einzubauen. Dies muss auch Regisseur Damien Chazelle schmerzhaft empfunden haben, ist doch sein „La La Land" auf den ersten Blick ein Musical wie zu Hollywoods besten Zeiten.

Wie der Free-Jazzer Sebastian nimmt Chazelle allerdings auch den klassischen Musical-Standard und variiert ihn mit seinen eigenen Rhythmen und Paraphrasen. „La La Land" ist das Werk eines Romantikers, der sich als einer der hoffnungsvollen Nachwuchs-Regisseure dieser Zeit treu bleibt. Er inszeniert mit Bravour lange und komplizierte ungeschnittene Sequenzen. Dazu stilvolle Montagen mit eleganten Überblendungen, viele Lichtwechsel in der Szene. Was allerdings manchmal mehr wie eine filmhistorische Nummernrevue wirkt als aus einem Guss.

Dabei erlebt die Liebe ihr kurzes Glück im Lobgesang auf freie kreative Improvisation. Denn selbstverständlich kann das Thema zweier Künstler, die ihren Weg suchen, immer spielend leicht auf den Film übertragen werden. So glänzt das zeitweise himmlische Musical mit obligatorischer Steppeinlage, sehr schönem, bitter-süßem Leitmotiv und umwerfendem Stone-Lied für alle Träumer, das schon für den Oscar und die Film-Ewigkeit gesetzt ist.

Ryan Gosling ist immer am besten, wenn er den Mund hält. Hier also sprechend nicht umwerfend, geschweige denn singend. Seine Coolness wirkt etwas verloren gegen diese Urgewalt von Charme bei Emma Stone. Für sie gab es schon 2016 in Venedig den Preis als Beste Darstellerin. Trotzdem gelingt den beiden eine lebendige, funkelnde und sogar sprühende Romanze. Die Chemie funktioniert, sagt man. So sehr, dass beim ersten Kuss ein Film verglüht.

9.1.17

Why him?

USA, 2016 Regie: John Hamburg mit James Franco, Bryan Cranston, Zoey Deutch, Megan Mullally 112 Min. FSK: ab 12

Blöde Frage! „Why him?", wieso der? Weil James Franco alles kann. Von super bis peinlich romantisch, vom ernsten Drama bis zu bescheuertsten Klamauk. Und in dieser Ecke tummelt er sich mit diesem „Mein Schwiegervater, meine Perversitäten und ich". „Why him?" funktioniert von Anfang an nur in Kombination mit dieser furchtbaren amerikanischen Verklemmtheit. Nur wenn beim Anblick eines nackten Hintern die Welt zusammen bricht, hat diese Komödie eine Grundlage:

Ned (Bryan Cranston) ist ein Unternehmer vom alten Eisen, beziehungsweise von der aussterbenden Papierindustrie, dessen Druckerei eigentlich pleite ist. Dieser fürsorgliche Vater aus Ohio besucht mit seiner Familie zum Weihnachtsfest Tochter Stephanie (Zoey Deutch) in Kalifornien und trifft auf deren neuen Freund Laird (James Franco). Der total durchgeknallte Internet-Millionär hat ihr Tattoo über dem Herzen und die Weihnachtskarte der Familie frisch auf dem Rücken gestochen. Auf dem riesigen Grundstück hält Laird sich einen Selbstversorger-Zoo, schräge Angestellte und Kunst, noch provokanter als er selbst. Direkt zur Begrüßung gibt es einen Austausch, auf welchem Flüche-Stand der 15-jährige Bruder Stephanies ist - zum Entsetzen der Eltern. Ein im eigenen Urin eingelegter Elch wartet im Wohnzimmer auf seinen komödiantischen Einsatz, in jedem Raum der Hightech-Villa lauscht eine Verwandte von Apples Siri. Dies sind alles nur die modernen Zutaten für den klassischen Schwiegervater-Konkurrenzkampf.

Wenn bei der halbwegs ernsten Unterfütterung der Buchdruck ohne Chance gegen das Internet antritt, also das Baum-Massaker gegen eine papierlose Welt, muss selbst das Toilettenpapier für einen der schmierigen Scherze verschwinden. Ausgerechnet beim Toilettengang im papierlosen Haushalt gibt es einige technische Probleme mit der Hightech-Spülung eines Popo-Prototypen („Tesla of Toilets"), was zu Fäkal-Scherzen 2.0 mit einem Reboot des System von innen führt.

Bryan Cranston („Trumbo", „Breaking Bad") kann nicht nur in dieser peinlichen Szenen tatsächlich neben einem furios aufspielenden James Franco bestehen. Nach der Verlobungsanfrage kommt das Duell in Schwung, allerdings hat das große Kind Laird trotz aller Spleens mit einer entwaffnenden Liebenswürdigkeit immer die besseren Karten. So baute er für den Schwiegervater gleich zwei Bowling-Bahnen ... mit dessen Porträt als Dekoration! Dieser Schwiegervater-Klamauk kommt mit Produzent Ben Stiller aus der gleichen Ecke wie dessen Duells mit DeNiro. Es gibt auch einen „Inspector Clouseau"-Running Gag mit dem attackierenden Diener Gustav (Keegan-Michael Key), was allerdings nur noch der alte Mann Ned (er-) kennt. Ganz zu schweigen vom Ur-Opa dieses Genres, dem „Vater der Braut" mit Spencer Tracy aus dem Jahr 1950! Dazu noch ein Haufen Cameos von Teslas Elon Musk bis zu Kiss beim Heiratsantrag.

Wie extrem verklemmte, ältere Leute einen sehr verrückten Hightech-Guru treffen, muss man nicht unbedingt sehen wollen. Allerdings ist dieser Blödsinn richtig gut gespielt und vor allem, wenn er richtig überdreht, tatsächlich komisch.

The Hollars

USA 2016 Regie: John Krasinski mit Anna Kendrick, John Krasinski, Anna Kendrick, Mary Elizabeth Winstead 88 Min.

Ein Film wie das Leben – um es mal positiv zu sehen: Mit Geburt und Tod, mit Trauer, Streit und Versöhnung. Anständig gemacht, gut gespielt. Etwas witzig, unvermeidlich rührselig… und schon tausende Mal gesehen. Es hängt wohl von der Stimmung ab, ob man John Hollar (John Krasinski) aus New York zurück ins Städtchen seiner Herkunft folgen will. Seine Mutter Sally (Margo Martindale) brach dort gerade mit einem Gehirntumor zusammen. Vater Don (Richard Jenkins) heult deshalb nur rum. Der eher unter-intelligente Bruder Jason (Charlie Day) zog nach Scheidung und Entlassung aus Vaters bankrottem Handwerkerladen ausgerechnet wieder zuhause ein. Irgendwie sind alle verrückt oder beschränkt im Ort der Jugend. Johns Jugendliebe Gwen (Mary Elizabeth Winstead) schiebt ihm zur Begrüßung die Zunge in den Mund, obwohl ihr Mann nebenan Bier holt. Dieser Jason (Charlie Day) ist ausgerechnet Krankenpfleger der Mutter, eifersüchtig und auch sonst seltsam – siehe oben. John selbst ist Comic-Zeichner mit Schreibblockade und hat Zweifel bezüglich seiner Zukunft mit der schwangerer Freundin Rebecca (Anna Kendrick). Die kommt auch noch vorbei, während Jason die neue Familie seiner Ex stalkt. Also alles perfekt für eine tragikomische Familientherapie: Zurück zu den Wurzeln, um aus der Distanz des Vergangen zu betrachten, wo man jetzt steht.

Geburt und Tod, Hochzeit und Begräbnis, mit Wehen im Leichenwagen ... diese persönliche Arbeit von Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent John Krasinski lief auf dem Sundance-Festival, was nicht für den ehemaligen Hort des Independent-Films spricht. Anständige Schauspieler in einer routinierten Inszenierung, aber so interessant wie das gleiche gute Graubrot, das man seit Jahren isst. Ein wenig witzig, unausweichlich rührend, wie die Figuren ist der Film seltsam, kann aber auch liebenswert wirken. Hat doch John ein schönes, offenes, fast freundschaftliches Verhältnis zur Mutter. Und dann der Männerchor beim Lied zum möglichen Abschied vor Operation... „The Hollars" werden die eine oder andere unterhalten, können aber auch ganz furchtbar anöden.

PS: All die Filme, die uns Woche für Woche vorgesetzt werden, sind ja nur die Spitze des Eisbergs der US-Produktion. Es gibt unter der Mehrzahl der anderen, die auch mit großen Namen und schicken Plakaten in anderen Ländern oder auf DVD rauskommen, viel Interessantes. Nur weshalb zeigt man uns stattdessen immer wieder das Gleiche, nur in mittelprächtig?

8.1.17

The Great Wall

VR China,USA, 2016 Regie: Zhang Yimou mit Matt Damon, Jing Tian, Pedro Pascal, Willem Dafoe, Andy Lau 103 Min.

„The Great Wall" ist der teuerste chinesische Film bis heute. Wenn Matt Damon als Söldner aus dem Westen einer chinesischen Generalin beim Kampf gegen außerirdische Monster behilflich ist, will Hollywood mit dieser Zusammenarbeit seine Position am bald einträchtigsten Kinomarkt im Milliarden-Reich sichern. Der frühere Kunst- und heutige Staats-Regisseur Zhang Yimou („House Of Flying Daggers", „Hero", „Rote Laterne") macht aus dem Drehbuch dreier Männer aus dem Westen ein eindrucksvolles Propaganda-Spektakel ohne eigentliche Substanz.

Im 11. Jahrhundert zieht es westliche Abenteurer nach China, um das sagenhafte Schwarzpulver zu rauben. William (Matt Damon) und Pero Tovar (Pedro Pascal) entdecken stattdessen eine enorme Verteidigungsmauer und ein hochgradig organisiertes Heer. Die Armee des Kaisers, optisch reizvoll in farbige Truppenteile geordnet, verteidigt die Verbotene Stadt auf diesem Vorposten gegen eine Invasion von Drachenwesen namens Taotie, die alle 60 Jahre auftauchen. Mit all seinen Orks und anderen Hässlichkeiten ist der „Herr der Ringe" ein Ringelreien gegen diese bissige grüne Flut aus dem Film-Computer. Der imposante Aufmarsch einer hochgradig spezialisierten Armee und ihre erstaunlich fortschrittliche Kriegs-Technik können die Monster nicht aufhalten. Die beiden Männer aus dem Westen kämpfen einfach besser, wenn die Robin Hoods dazu allerdings auch das Doping eines Steins nutzen, welcher die Funkverbindung der fremden Aggressoren stört.

Es ist ein ganz schöner Humbug, den sich die Autoren Carlo Bernard, Doug Miro und Tony Gilroy da ausgedacht haben. Regie-Meister Zhang Yimou macht daraus mit gigantischen Massenszenen und atemberaubenden Panoramen große Kriegs-Propaganda für eine aufstrebende Militärmacht. Farbenspiele, für die Zhang Yimou schon in seiner Zeit als unabhängiger und Arthouse-Regisseur („Rote Laterne" 1991, „Judou" 1990, „Rotes Kornfeld" 1987) bekannt war, betören die Augen. Allerdings sind die Monster auch wie im billigen Trash-Film animiert. Dabei stehen sich sehr simpel der Söldner und das opferbereite Volkskollektiv, Egoismus dem Gemeinschaftssinn gegenüber. Allerdings ist auch der Gegner so ein zentralgesteuerter Schwarm von Wesen ohne eigenen Willen, siehe „Independence Day" oder die Borg. Unglaublich naiv auch, wie vorgegaukelt wird, dass Waffen für etwas Gutes oder schädlich eingesetzt werden könnten. Das ist Karl May-Niveau, erzählt mit einem Milliarden schweren Staats-Etat für Propaganda.

2.1.17

Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki

Finnland, Schweden, BRD, 2016 (Hymyilevä mies) Regie: Juho Kuosmanen mit Jarkko Lahti, Oona Airola, Eero Milonoff 93 Min. FSK: ab 6

Eine finnische Box-Legende kommt anders daher als ein Schmeling oder ein Muhammad Ali. Deshalb ist „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" so wunderbar unprätentiös wie seine Hauptfigur: 1962 kann Olli Mäki Boxweltmeister im Federgewicht werden. Sein ehrgeiziger Trainer und Manager Trainer Elis, ein ehemaliger Champion, will daraus ein großes Ereignis und aus Olli einen Star machen - für damalige Verhältnisse. Doch Olli ist vor allem verliebt, in seine wunderbar bodenständige und sympathische Freundin Raija. Die kommt mit nach Helsinki, schaut sich den ganzen Rummel eine Weile mit spöttischen Mundwinkeln an und haut dann wieder ab. Nicht die beste Vorraussetzung für Ollis Training, der zudem auch abnehmen muss, aber die Idee, in einer leichteren Klasse anzutreten, von Anfang an nicht toll fand.

Der unter anderem in Cannes ausgezeichnete Debütfilm von Juho Kuosmanen braucht kein künstliches Drama, der glaubhaft und nachvollziehbar gezeichnete Protagonist mit seiner Sehnsucht nach Raija und einem stillen Blick auf seine Umgebung kann allein das Interesse halten. Es ist eine sehr nette Idee, die Kritik an der heute marktbeherrschenden Vermarktung (nicht nur im Sport) so früh anzusetzen. Sponsoren machen sich wichtig, ein „Nationalheld" soll aufgebaut werden. In einem besonders schönen Bild schnappt Olli sich beim Lauftraining einen verlorenen gegangen Drachen und rennt lachend mit ihm weiter. „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" ist nicht nur deshalb ein anderer, ein interessanter Sportfilm. Vor allem aber ein sicher inszenierter, gut gespielter und fotografierter Menschen-Film. Lakonisch, wenn auch nicht in Reinform wie bei Aki Kaurismäki, tritt „Olli Mäki" in bester finnischer Film-Tradition an.

1.1.17

Die Taschendiebin

Südkorea, 2016 (Ah-ga-ssi) mit Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo, Jo Jin-woong 144 Min.

„Old Man"Park Chan-Wook ist zurück - ganz unerwartet mit einem erotischen Thriller. Also knisternde Erotik von dem Regisseur, der uns so wunderbare und unglaublich gewalttätige Szenen gegeben hat.

Im Korea der 30er Jahre lebt die unnahbare Lady Hideko mit ihrem dominanten Onkel Kouzuki in einem stilvollen (Horror-) Haus. Das scheinbar naive neue Dienstmädchen Sookee ist tatsächlich eine äußerst geschickte Betrügerin und engagiert, um Hideko dem Grafen Fujiwara in die Hände zu spielen, der sie nach der Hochzeit um ihr Vermögen bringen will. Allerdings verlieben sich die beiden Frauen ineinander und leben einen Teil der Porno-Literatur nach, den der perverse Onkel sammelt, fälscht und handelt.

Die Komplizin wird zum Konkurrenten in Sachen Verführung, dabei kommentiert sie beiseite die stümperhaften Bemühungen des Grafen Fujiwara. Der erfolgreiche Fortschritt des Plans führt zu Eifersucht und einer bösen Überraschung am Ende des ersten Teils.

Der zweite, eine echte Horrorgeschichte, erzählt dann von der brutalen Erziehung Hidekos zu einer Vorleserin für erotische Literatur. Es entwickelt sich ein mehrfach doppeltes Spiel. Wobei es erst unklar bleibt, wer letztendlich wen betrügt. Es geht um Fälschungen von Büchern, Bildern und von Gefühlen. Bei jeder neuen Geschichte, versteht man die letzte besser.

Nach Sarah Waters' Buch „Solange du lügst" inszenierte Südkoreas berühmt-berüchtigter Kult-Regisseur Park Chan-wook mit „Die Taschendiebin" eine leichte, aber sehr schöne Spielerei. Kein Schocker wie „Oldboy" oder auch Park Chan-wooks US-Produktion „Stoker". Eher ein großer Emanzipations-Akt für die erotische Vorleserin, die nie ihr Haus verlassen durfte. Ja, beim ruppig-eleganten Park Chan-wook ging es schon immer auch um die Rechte und Rachen von Frauen. Am deutlichsten bei „Lady Vengeance" aus 2005.

In „Die Taschendiebin" gibt es lange keine Spur von Park Chan-wooks legendärer „Old Boy"-Brutalität, die aber im dritten Teil zusammen mit seinem Markenzeichen, einen Octopus, wieder auftaucht. Doch wie schon die Sozial-Fiction „Snow Piercer", wie der ultra-schräge Science Fiction „I'm a Cyborg, But That's OK", wie der Psychothriller „Stoker" ist auch „Die Taschendiebin" etwas ganz Neues.

Gleichzeitig traditionell in Dekor und Geschichte sowie modern in Montage und Kamera inszeniert. Aber vor allem äußerst stilvoll fotografiert und aufgenommen, mit edler Kleidung, schönen Gesichtern und Einrichtungs-Tableaus ausgestattet. Ein außerordentliches Leinwandvergnügen, das erst ganz am Ende drastisch fies wird. Aber da kann man ja vorher rausgehen, auch die vorletzte Version der Geschichte ist schon sehr sehenswert.

Plötzlich Papa

Frankreich, Großbritannien, 2016 (Demain tout commence) Regie: Hugo Gélin mit Omar Sy, Clémence Poésy, Antoine Bertran, Gloria Colston 118 Min. FSK: ab 0

Ziemlich blöde Filme aus Frankreich werden uns gerne als Kassenschlager angedreht. Am besten ist noch Omar Sy dabei, damit es kein Vertun gibt. Diesmal spielt er in einem weichgespülten französischen Remake der mexikanischen Tragikomödie „Plötzlich Vater" von Eugenio González Derbez: Party-Macher und Skipper Samuel (Omar Sy) bekommt von Kristin (Clémence Poésy) das Baby in die Arme gedrückt, das er vor einem Jahr bei einer seiner vielen Abenteuer gezeugt hat. Daraufhin verschwindet sie. Auf der Suche nach der Mutter jettet Sam nach London und bleibt dort ziemlich glücklich mit der Tochter Gloria (Gloria Colston) hängen. Bis das Drehbuch grausam zuschlägt...

Wenn der Vater mit dem Sohne oder der Tochter - das ist ein in allen Generationen und Ländern durchgenudeltes Thema. Selbst Schwarzenegger musste mal durch diese Hölle, „Drei Männer und ein Baby" gab es sogar in mehr als drei Varianten. Die Wiederholung „Plötzlich Papa" wird nun mit viel Hektik vorangetrieben. Dass es dabei oft film-mäßig unrealistisch zugeht, dass es wirkt, als ob das mit dem Baby alles ein Spaziergang ist, macht „Plötzlich Papa" zu einem dieser Filme, die in ihrer glatten Belanglosigkeit sicher dafür sorgen, dass auf keinen Fall etwas hängen bleibt. Sam bekommt selbstverständlich nach wenigen Minuten in London einen super bezahlten Job als Stuntman, bei seinem schwulen Producer ein Zimmer und mit diesem Bernie auch noch Babysitter und Zweit-Mama.

Diese Banalität steht in heftigem Kontrast zu der recht aufwändigen Inszenierung. Die ist routiniert und voll auf Omar Sy abgestellt. Falls das nicht funktioniert, gibt es ja noch ein „oh wie süß"-Baby, viel krampfigen Spaß mit der Tochter im Kinderparadies, Weichspüler-Musik und einen Streit ums Kind. Oh ja, und eine tödliche Krankheit. Wenn dem Drehbuch nichts einfällt, holt es halt den Holzhammer raus. Der Film zum Abgewöhnen wurde seelenlos zusammengebastelt aus Versatzstücken anderer Schmonzetten, die großen Wendepunkte sind extrem unglaubwürdig. Zudem zieht der Film sich gnadenlos in die Länge, Nebendarsteller chargieren arg herum, die Synchronisation gibt ihnen den Rest.