12.9.16

Der Landarzt von Chaussy

Frankreich 2016 (Médecin de Campagne) Regie: Thomas Lilti mit François Cluzet, Marianne Denicourt, Isabelle Sadoyan, Félix Moati 102 Min. FSK: ab 0

Jean-Pierre Werner (François Cluzet) ist mehr als nur Landarzt, der stille Mann kümmert sich bei den vielen Hausbesuchen auch um andere Sorgen seiner Patienten, wartet geduldig, bis die sich durch viele Lagen freigemacht haben, schreibt einen Brief ans Sozialamt, baut das Selbstvertrauen einer misshandelten Ehefrau auf. Daran ändert sich auch mit der Diagnose eines Hirntumors und des baldigen eigenen Todes nicht - umso mehr hilft er nun der Zukunft anderer. Dabei sollte er nicht mehr arbeiten und sich Ruhe gönnen. Weshalb ihm auch ein befreundeter Arzt die jüngere Kollegin Nathalie Delezia (Marianne Denicourt) ungefragt als Assistentin vorbeischickt.

Überraschenderweise lässt der so freundliche Jean-Pierre die Unerfahrene ziemlich gemein auflaufen. Wirft sie auf dem Bauernhof aggressiven Gänsen zum Fraß vor und veralbert sie mit der Ärzte-Variante der Kolben-Rückholfeder. Doch selbstverständlich vertragen sich die beiden immer besser und scherzen schon miteinander, als es plötzlich ernst wird: Er untersucht sie nur ganz zögerlich für eine Standard-Bescheinigung und will dabei nicht, dass sie sich auszieht!

„Der Landarzt von Chaussy" erzählt seiner Hauptfigur entsprechend sehr ruhig und weitgehend undramatisch. Der sympathische Film ist dabei trotzdem mit den vielen Begegnungen und den unterschiedlichen Menschen vom Politiker bis zur alten Roma-Frau unter Beobachtung der ganzen Familie im Wohnwagen ungemein interessant. Eigentlich eine Hommage der Landbevölkerung, die Country-Festivals feiert und streng zwischen den Jägern und den Nicht-Jägern des Dorfes trennt. Es sind Kurzgeschichten von diesen Menschen und der Hinweis zu den „Arztgeschichten", dieser biographischen Sammlung von Michail Bulgakov („Der Meister und Margarita"), die unübersehbar in die Kamera gehalten wird, gibt die Richtung vor. Es geht um Leben, Sterben und Geburt, was auch in den emotionalen Momenten nie kitschig oder mit ausgelutschten Mitteln daherkommt. Humor ist hier, wenn ausgerechnet der grimmigste Mensch des Dorfes Lach-Yoga empfiehlt.

Nur einen kleinen Ausbruch gibt es, aber der ist ein großer Schritt im vernachlässigten ländlichen Gesundheitssystem, der es erlaubt, einen 92-Jährigen bei sich Zuhause zu pflegen. Regisseur Thomas Lilti umschifft nach seiner letzten Arzt-Geschichte „Hippocrate" (ebenfalls mit Marianne Denicourt) alle Klebrigkeit und kann sich in der ruhigen Geschichte ganz auf seine beiden Hauptdarsteller verlassen: François Cluzet („Ziemlich beste Freunde"), kann sich auch ziemlich gut zum Clown machen, ist aber vor allem in solchen Rollen richtig gut. Die eher unauffällige Marianne Denicourt möchte man öfter sehen, aber wahrscheinlich hat sie dazu zu wenig L'Oréal-Gesicht. Dies ist im besten Sinne kein Teenie-, Superhelden- oder Popcorn-Film. Doch mit der kleinen Kinokarte zum „Landarzt von Chaussy" als Rezept handelt man sich ein therapeutisch großes Lächeln ein.