30.8.16

König Laurin

BRD, Italien, Österreich 2016 Regie: Matthias Lang mit Florian Burgkart, Volker Michalowski, Rufus Beck 94 Min. FSK: ab 0

Königssohn Theo ist zu klein für sein Alter, deshalb passt er weder in eine Ritterrüstung noch kann er die Erwartungen seines Vaters erfüllen. Erst als sich Theo mit dem Zwergenkönig Laurin anfreundet, entdeckt er seine Qualitäten. Doch die Zwerge sind aus dem Königreich verbannt worden und auch als Theo das große Turnier gewinnt, steht er nicht zu seinem neuen Freund.

„König Laurin" ist ein sympathisches Kino-Märchen das trotz bescheidener Mittel gut von jung (Florian Burgkart) und alt (Volker Michalowski, Rufus Beck) gespielt, unspektakulär aber sorgfältig ins Bild gesetzt wurde. Altmodische Bestandteile wie das gebrochene Zwergen-Versprechen werden aufgepeppt mit ein paar modernisierenden Scherzen und Worten wie Oberlusche und Opfer. Neben Anbiederung ans junge Zielpublikum („Warum müssen Kinder immer so mies dreinschaun, wenn sie was mit ihren Eltern machen sollen") gibt es auch Lehrsätze fürs Leben („Warum melden sich immer nur die Idioten freiwillig für den Krieg?"). Die Ausgrenzung der Zwerge ist ebenso lehrreich wie Theos Erkenntnis, als Gärtner glücklicher zu sein, als in der Rolle des Kriegers.

Ben Hur (2016)

USA 2016 Regie: Timur Bekmambetov mit Jack Huston, Toby Kebbell, Morgan Freeman 124 Min. FSK: ab 12

Dieses Wagenrennen, damals ... ist auch in diesem Remake vom Remake von „Ben Hur" wieder die Hauptattraktion. Allerdings eher als Kleinwagen-Rennen, denn Timur Bekmambetov, Regisseur besonders ruppiger Schlachten und Spektakel in „Abraham Lincoln Vampirjäger" (2012), Wanted (2008) oder „Wächter der Nacht" (2004), bekam nur begrenzte Mittel für diese Imitation eines Hollywood-Blockbusters. Das macht aus dem 2016er „Ben Hur" ein redereiches historisches Kammerspiel mit spektakulären Ausritten ins Action-Gemetzel.

Die Vorlage von Lew Wallace stammt aus dem Jahr 1880, schon der frühe Stummfilm stürzte sich auf den Stoff, dann verführte er zu opulenten Epen bis hin zu William Wylers vierstündigem, mit Oscar überschütteten Klassiker aus dem Jahr 1959. Jetzt geht es bei Bekmambetov direkt an den Start des Rennens, um dann in der Rückblende den Römer Messala (Toby Kebbell) zu zeigen, der als Adoptivsohn einer reichen Jerusalemer Familie aufwächst. Die Freundschaft zu Judah Ben Hur (Jack Huston) zerbricht als Messala nach Jahren der Abwesenheit als aufsteigender Soldat der Besatzungsarmee von Pontius Pilatus zurückkehrt. Judah Ben Hur ist zwar kein Freund des Widerstands der radikalen Zeloten, wird aber nach einem Attentat zur Galeeren-Sklaverei verurteilt. Fünf Jahre am Ruder vergehen in einem Peitschenschlag - ohne Pinkelpause oder Nahrungsaufnahme. Dadurch ist Zeit genug für eine eindrucksvolle Seeschlacht aus der Perspektive der Galeerensträflinge im Schiffsbauch. Judah Ben Hur überlebt, strandet und sein afrikanischer Retter Ilderim (Morgan Freeman) bringt ihn als Besitzers eines Pferde-Rennstalls nach Jerusalem zurück. Dort kommt es in der Arena, die mit den Grabsteinen der Juden gebaut wurde, endlich zu den finalen zwanzig Minuten Brot und Spiele, zum Wagenrennen, um das sich dieses Remake dreht.

Aus dem Monumental-Spektakel wird ausgerechnet unter der Regie vom Spektakel-Spezialist Timur Bekmambetov ein Kammerspiel mit blutigen Einlagen. Und blutigen Anfängern in den Hauptrollen. Besonders im Zusammenspiel mit einem sehr souveränen Morgan Freeman fällt auf, wie wenig Eindruck Jack Huston und Toby Kebbell machen können. Das wiegen dann die Wagen auf, rasend, zerfetzend, splitternd und metzelnd. Das Rennen ist glatt 2 Euro Eintritt wert, die ersten 100 Minuten kann man sich allerdings sparen und dann die Seeschlacht auf DVD nachholen.

Der Hintergrund könnte als zeitlose Geschichte von Macht und Widerstand eigentlich interessant sein. Doch es bleibt bei zu viel Gerede von unbekannten Schauspielern. Was neben der Männerfreundschaft, die ja bei William Wyler in einer legendären homoerotischen Badeszene kulminierte, sonst so an Beziehungen mitläuft, ist wie die Stadtpanoramen nur Deko. Judah Ben Hurs Liebe Esther (Nazanin Boniadi) predigt als frühe christliche Missionarin Versöhnung. Jesus Christus selbst verbreitet als Model für Haargel kluge Sprüche und bekommt erst in der angeklebten Kreuzigung, einem pathetischen Gedöns ohne Zusammenhang, etwas mehr Leinwand-Zeit. Das wirkt wie eine störende Split Screen-Werbung für religiöse Eiferer mitten im eigentlich gebuchten Formel 1-Spektakel mit viel Unfall und Sadismus.

29.8.16

Mein ziemlich kleiner Freund

Frankreich 2016 (Un homme à la hauteur) Regie: Laurent Tirard mit Jean Dujardin, Virginie Efira, Cédric Kahn 99 Min. FSK: ab 0

Wieder ein ziemlich behinderter Film aus Frankreich, denn um eine romantische Komödie mit einem kleinwüchsigen Mann zu inszenieren, nahm man keineswegs einen kleinwüchsigen Schauspieler. Nein, ein riesiger Aufwand an digitalen Tricks wurde geleistet, um den bekannten Schauspieler Jean Dujardin für den Film klein zu machen. Was vorne und hinten nicht funktioniert: In den Totalen ist Dujardin klein, in den Nahaufnahmen dann plötzlich gleich groß wie sein Gegenüber. Zudem ist „The Artist" Dujardin zu bekannt, als dass man die Verkleinerung glaubt.

So hat „Mein ziemlich kleiner Freund" von Anfang an verloren, da kann Alexandre (Jean Dujardin) noch so charmant am Telefon mit Anwältin Diane (Virginie Efira, „Pfirsichkuchen mit Lavendel") flirten. Als sie sich treffen, damit er ihr verlorenes Handy zurückgibt, weiß sie nicht, was sie mit dem 1,40 Meter kleinen Mann anfangen soll. Er hilft mit Humor über die Peinlichkeit, sie werden ein Liebespaar. Allerdings nur zu zweit, in der Öffentlichkeit steht sie nicht zu dem kleinen Freund, der als Vater, Architekt, Mann und Mensch beeindruckend groß ist. Das Drama ist vorprogrammiert und wird nur noch von anderen peinlichen Situationen mit Dianes Eltern herausgezögert.

Alexandre und der Film nehmen den Größenunterschied erst einmal mit Humor: Von groben Scherzen ohne Ende bei der einfältigen Sekretärin bis zu unsensiblen Erniedrigungen durch Dianes Mutter. Das ist auch vom Buch her recht grob konstruiert, die Eifersucht des Ex, ihre Zweifel, alles kommt mit dem Holzhammer um die Ecke. Wie das richtig funktioniert, zeigte „Taxi" (nach dem Roman von Karen Duve) vor einem Jahr: Peter Dinklage („Station Agent") verliebt sich in eine Hamburger Taxi-Fahrerin und Rosalie Thomass gibt diese Rolle ohne konstruierte Peinlichkeit.

Selbstverständlich kann man zu dem ziemlich peinlichen „Mein ziemlich kleiner Freund" plakatieren, der Film kümmere sich ja um die schwierige Situation kleiner Menschen. Er präsentiere das „Problem" mit Humor und Feingefühl. Und mit der Einstellung, Kleinwüchsige wie Peter Dinklage wäre nicht in der Lage einen Kleinwüchsigen im Film zu spielen. Da müssen wir schon einen „richtigen" Schauspieler holen...

Mahana - Eine Maori-Saga

Neuseeland 2016 Regie: Lee Tamahori mit Temuera Morrison, Akuhata Keefe, Nancy Brunning, Jim Moriarty 103 Min.

Lee Tamahori brachte 1994 mit seinem Debüt „Once were warriors" erfolgreich das schwierige Leben der Maori in Neuseeland auf die filmische Landkarte. Danach verlor sich sein Talent bei großen Hollywood-Produktionen wie „xXx 2 - The Next Level", „Stirb an einem anderen Tag", „Auf Messers Schneide" oder „Nach eigenen Regeln". Nun ist Tamahori zurück in Neuseeland bei den Maori, mit einer packenden historischen Geschichte und alten Qualitäten auf der Basis eines Romans von „Whale Rider"-Autor Witi Ihimaera.

In den Sechzigerjahren leben die Maori-Familien der Mahanas und Poatas an der Ostküste Neuseelands vom Schafscheren. Die Clan-Strukturen mit einem mächtigen Patriarchen haben sich zu Sub-Unternehmer der weißen Landdiebe gewandelt. Im Akkord scheren sie die Tiere der Herrschenden und identifizieren sich derart mit der Rolle, dass Schafschur-Wettbewerbe einen Höhepunkt des Jahres darstellen. Die Mahanas und Poatas sind dabei erbitterte Rivalen. Als der kluge 14-jährige Simeon (Akuhata Keefe) aus der Mahana-Sippe sich gegen seinen gewalttätig herrschenden Großvater Tamihana (Temuera Morrison) auflehnt, beginnt ein klassisches Filmdrama. Der junge Rebell, diesmal nicht „Jenseits von Eden" und im Wilden Westen, sondern in der betörend schön gefilmten Natur Neuseelands.

„Mahana" erzählt eine große Geschichte vom Konflikt zweier Clans, von einer tragischen Liebe, von der wie selbstverständlichen Unterdrückung eines ganzen Volkes und von der jungen Hoffnung, die dies alles aufbrechen und ändern kann. Beim Schulausflug zu einem regionalen Gericht, unterbricht der 14-Jährige die Verhandlung, um auf die himmelsschreiende Ungerechtigkeit gegenüber den angeklagten Ureinwohnern hinzuweisen. Das Foto, das seine Oma Ramona ausgerechnet mit dem Oberhaupt der verfeindeten Sippe zeigt, lässt dem Neugierigen keine Ruhe. Und dann gibt es selbstverständlich auch noch eine junge Romeo & Julia-Geschichte.

Die Charaktere in diesem altmodisch inszenierten, aber trotzdem sehr eindrucksvollen Epos haben viele Schattierungen. So kann man bei der Geschichte des Patriarchen Tamihana mit Bewunderung verfolgen, wie seine Familie einst das Land gewonnen hat und wie er es schafft, die vielen Köpfe des Clans mit halbwegs ehrenvoller Arbeit zu ernähren. Denn in den Städten sind die Maori nicht nur ebenso rechtlose Menschen zweiten Ranges, sie leben auch im Elend. Der bekannte Darsteller Temuera Morrison ist mit seinen Auftritten in „Green Lantern" oder „Star Wars" einer der bekanntesten Export-Artikel seines Landes und seine kraftvolle Präsenz trägt viel zur großen Wirkung von „Mahana" bei. Großmutter Ramona bildet das Herz der Familie, eine stille, aber starke Rolle für Nancy Brunning. Während Tamihana unter dem Cowboy-Hut schon modern angepasst lebt, erzählt das Gesicht der eigentlichen Landerbin hinter den eigentümlichen Tätowierungen von noch älteren Geschichten.

Simeon Mahana selbst, der Rebell, entwickelt als prädestinierter Nachfolger des Patriarchen einen spannenden Zwiespalt: Nur mit den verachteten Methoden des Großvaters kann er die Familie retten. Ein wenig so, wie der mittlerweile 66-jährige Regisseur Lee Tamahori verfährt: Mit den Mitteln der nicht nur filmischen Kolonisatoren, mit dem Stil des klassischen Hollywood inszeniert er diesen großen Film im Namen der entrechteten und beraubten Maori. Hier wird die Landschaft Neuseelands nicht nur verwendet, um mit hoppelnden Hobbits auf grünen Wiesen Warners Konzern-Kasse zu füllen, hier ist sie der authentische Hintergrund einer mitreißenden Anklage und einer hoffnungsvollen Rebellion.

Mike and Dave Need Wedding Dates

USA 2016 Regie: Jake Szymanski mit Zac Efron, Adam Devine, Anna Kendrick, Aubrey Plaza 99 Min. FSK: ab 12

Mike und Dave sind Brüder und verhaltensgestörte Alkoholiker, die ausgerechnet vom Alkoholhandel leben, keine zwei Sätze ohne affiges Rumgealbere rauslassen können, eigentlich eher selten zwei komplette Sätze zustande bringen. Zwei Typen, die man nicht in seiner Nähe haben will - und eigentlich auch nicht in seinem Kino. Auf seiner Hochzeit schon mal gar nicht, da Dave (Zac Efron) und Mike (Adam Devine) berüchtigt dafür sind, Partys abzufackeln oder die Gäste ins Krankenhaus zu bringen. Weshalb dann die Eltern auf die Idee kommen, in Frauenbegleitung wären Mike und Dave doch zur Hochzeit der Schwester willkommen, bleibt ein Rätsel der Drehbuchautoren.

Jedenfalls erwählen die beiden Idioten die gleichermaßen debilen „Party-Frauen" Alice (Anna Kendrick) und Tatiana (Aubrey Plaza) als Aushilfspartnerinnen, die sich wiederum über ein Gratis-Wochenende auf Hawaii freuen. Dass bald die Braut körperlichen Schaden nimmt, dass ein Ecstasy-Trip und Unmengen von Alkohol zu unfreiwilligen Geständnissen über die Lautsprecher-Anlage führen ... das gehört wenig überraschend zu solchen Filmen. Auch dass die Hochzeit wegen einer sexueller Eskapade der Braut und einem langweiligen Bräutigam platzt, dass die Unruhestifter Mike und Dave sich dann als Retter der Zeremonie bewähren dürfen, auch das ist vorhersehbar und unerträglich langweilig. Erstaunlich nur, dass man kurz vor Schluss tatsächlich versucht, diesen überchargierten Schießbudenfiguren Herz und Drama anzupappen. Da lässt diese Hirnlosen-Komödie dann auch noch die Gnadenlosigkeit des Exzesses und den Einfallsreichtum vermissen, die „Hangover" zu etwas Besonderem in diesen Dramen der Unter-Durchschnittlichen machte.

24.8.16

El Olivo - Der Olivenbaum

Spanien, BRD 2016 Regie: Icíar Bollaín mit Anna Castillo, Pep Ambròs, Javier Gutiérrez, Manuel Cucala 98 Min. FSK: ab 6

Die Spanierin Alma ist Anfang zwanzig, rebellisch und impulsiv. Ihre ganze Liebe gilt ihrem Großvater, der nicht mehr spricht und langsam im Nebel des Alters zu verschwinden droht, seit die Familie vor Jahren gegen seinen Willen den uralten Olivenbaum verkauft hat. Alma bricht deshalb auf, den Olivenbaum nach Hause zurückholen, der als Symbol für Nachhaltigkeit eingetopft im Atrium eines Düsseldorfer Energiekonzerns steht. Der ist allerdings keineswegs zur Rückgabe bereit. Die junge Donna Quijote begleiten ihr schräger Onkel Alcachofa und ihr still verliebter Kollege Rafa.

Ein gewaltiger Olivenbaum, der schon zu Römer-Zeiten dort gestanden hat, wird zurecht gestutzt und mit einem Kran aus dem Boden gezogen. Dieses schockierende Bild beeindruckt ebenso wie die kämpferische Persönlichkeit Almas. Im tristen Zustand der spanischen Gesellschaft, in der durch europäische Spardiktate erzeugten Krise, ist Almas Reise eine kleine Rebellion. Die größere wäre allerdings, wenn die unsichere Frau ihren Freunden mal die Wahrheit sagen würde.

Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín beeindruckte bislang mit „Und dann kam der Regen - También la lluvia" (2010), „Öffne meine Augen" (2003) und „Blumen aus einer anderen Welt" (1999). Auch diesmal wählt der Film die Seite einer starken Frau. „Ihr habt den Verstand, ich hab den Mut. Manchmal muss man ins kalte Wasser springen", sagt sie ihren Freundinnen. Das Buch schrieb der Ken Loach-Autor Paul Laverty, der zuletzt eine Goldene Palme mit Ken Loachs „I, Daniel Blake" erhielt. So überrascht die Kritik am „Greenwashing" des deutschen Energie-Konzerns mit seiner Tagebau-Ausbeutung und der Abholzung von Wäldern keineswegs. Die Social Media-Kampagne von Almas deutschen Freundinnen gehört zwar nicht zu den stärksten Momenten des sehenswerten Films, doch alles an Almas eigener Geschichte überzeugt dafür umso mehr.

23.8.16

The Shallows - Gefahr aus der Tiefe

USA 2016 Regie: Jaume Collet-Serra mit Blake Lively 87 Min. FSK: ab 12

Eine junge Frau auf einsamem Fels in der Brandung einer noch einsameren Bucht, dazu ein hinterhältiger Hai – mehr braucht der Horror- und Thriller-Regisseur Jaume Collet-Serra nicht für eine Spielfilmlänge Hochspannung: Nancy (Blake Lively), ein perfekt ausgerüsteter Kontroll-Freak, surft aus sentimentalen Gründen in einer abgelegenen Bucht. Hier war auch ihre kürzlich verstorbene Mutter, als sie schwanger war. Ein Wirrwarr aus Gedanken und Gefühlen lässt Nancy dann den Moment verpassen, in dem die anderen Surfer die Bucht verlassen. Und schon beißt er zu, der große Weiße Hai. Die Spannung hat schon viel früher gepackt.

Dieser in aller Reduktion erstaunlich einfallsreiche Thriller um die junge Frau und das Meer ist schnell und schnörkellos, genau wie der Biss, der das Wasser rot färbt. Dabei vermeidet „The Shallows" das übliche Spiel mit verzögertem Angst und Schrecken. Im Gegenteil: Wäre da nicht der Prolog mit erschreckenden Bildern auf einer Sport-Kamera, sähe alles wie ein Surf- und Spaß-Film aus. Die Aufnahmen (Kamera: Flavio Martínez Labiano) sind so eindrucksvoll, dass man fast vergisst, eigentlich wegen dem Hai, dem Schrecken und der Spannung in diesem Film zu sein. Dazu liefert eine halbwegs elegante Integration von Handybildern und einem Video-Gespräch zur Familie gerade genug Ausstattung an Psychologischem, um richtig mit Nancy mitzufühlen.

Oder mit der verletzten Möwe, die mit Nancy auf dem kleinen Fels ausharrt. Ja, „The Shallows" arbeitet äußerst geschickt mit dem Wechsel aus langen Ruhephasen und kurzen Adrenalin-Kicks. Dazu der eindrucksvolle Kadaver eines Pottwals, eine kleine Attacke von „Die Vögel" und ein deftiger Sturz auf ein Riff. Selbstverständlich darf eine Verwundung nicht fehlen, bei denen es Zartbesaiteten schon vor dem provisorischen Zusammentackern übel wird. Blake Lively spielt diese Solo-Nummer sehr gut und vermeidet jede Ähnlichkeit mit kreischenden Horror-Opfern aus Splatterfilmen. Insgesamt gelingt Regisseur Jaume Collet-Serra nach zwei Horrorfilmen und gleich drei guten Thrillern mit Liam Nesson („Run All Night", „Non-Stop", „Unknown Identity") in weniger als 90 Minuten hervorragend inszenierte Hochspannung ohne allzu dämliche Prämissen.

22.8.16

Elliot, der Drache

USA 2016 (Pete's Dragon) Regie: David Lowery mit Bryce Dallas Howard, Oakes Fegley, Wes Bentley, Karl Urban, Oona Laurence 102 Min. FSK: ab 6

Wie schon beim „Dschungelbuch" und bei „Cinderella" erfährt auch „Elliot, der Drache" mit dem Wechsel vom Zeichentrick („Elliott - Das Schmunzelmonster", 1977) zum Realfilm eine Ernsthaftigkeit, die ihn zu einer ganz neuen Geschichte wandelt. Das beginnt direkt mit dem verhalten inszenierten, aber tragischen Unfalltod von Petes Eltern. Der Vierjährige (Oakes Fegley) begegnet danach im Wald einem großen, grünen Drachen. Eine unglaubliche Geschichte - das denken auch alle, wenn der alte Holzschnitzer Mr. Meacham (Robert Redford) ebenfalls von einen wilden Drachen erzählt, der in den tiefen Wäldern des Pazifischen Nordwestens leben soll. Seine Tochter Grace (Bryce Dallas Howard), Försterin in der Umgebung, lächelt nur darüber. Bis sie den mittlerweile zehnjährigen Jungen Pete kennenlernt, der im Wald gefunden wurde. Er zeichnet den gleichen Drachen wie ihr Vater.

Pete muss nach seiner „Rettung" in der Welt außerhalb des Waldes zuerst mit neuen Realitäten fertig werden: Einmal entdeckt, landet das verängstigte „Wolfskind" zuerst im Krankenhaus und dann in der Obhut von Grace. Zusammen mit der elfjährigen Natalie (Oona Laurence), der Tochter von Sägewerkbesitzer Jack (Wes Bentley), versuchen sie Pete ein Heim zu geben. Gleichzeitig beginnt im Wald eine Jagd der Naturschänder auf den friedlichen Drachen, der seinerseits in dem kleinen Dorf nach Pete sucht.

„Elliot, der Drache" ist 2016 ein Mowgli-Geschichte, die in harmonisch historischer Vorinternet-Umgebung mit Andeutungen vom Rodungen und Raubbau bereits ökologische Elemente enthält. Bei einigen schönen Effekten und einer unnötig lauten zweiten Action-Halbzeit konzentriert sie sich eine halbe Stunde lang vor allem auf die Gefühle des Jungen, der sich in einer fremden Welt wiederfindet. Dabei steht der immer noch sehr knuddelig dargestellte Drache unübersehbar für Magie und Fantasie, die beim Erwachsenwerden oft verloren gehen. Fuchur aus Wolfgang Petersen Verfilmung von Michael Endes „Die unendliche Geschichte" wohnt im Reich der kitschigen Niedlichkeit gleich nebenan. Letztlich ist „Elliot der Drache" ein Disney-Film, der im „E.T."-Territorium wildert. Wobei bei diesem Kaliber von fremdem Wesen das Fahrrad-Körbchen zu rettenden Entführung nicht mehr reicht, da muss schon ein Schwerlaster her.

Die kombinierten Trick- und Real-Aufnahmen, besonders von den gemeinsamen Flügen, sind eindrucksvoll. Und haben bei tollpatschigen Landungen immer noch etwas vom kindlichen Spaß des „Originals". Tatsächlich wischt diese Neuinszenierung des Drehbuches von Malcolm Marmorstein den Gedanken einer Geldmacherei durch Disneys Realverfilmungen der eigenen Trickfilmschätze weg. Die Möglichkeiten der digitalen Trickkisten lassen die Möglichkeiten des Stoffes erst zur Geltung kommen. Das eine schwere Ladung Action dabei unvermeidlich scheint, ist schade.

Die Unfassbaren 2 - Now You See Me

USA 2016 (Now You See Me 2) Regie: Jon M. Chu mit Jesse Eisenberg, Mark Ruffalo, Woody Harrelson, Daniel Radcliffe 130 Min. FSK: ab 12

Völlig unmögliche und unglaubliche Tricks waren vor zwei Jahren die Attraktion der Spektakel-Gaunerei „Now you see me". Aufwändige vorgetäuschte Magie und prominente Darsteller, die als Zauberer-Truppe „Four Horsemen" (soziale) Gerechtigkeit jenseits der Gesetze durchsetzten. Nun geriet die Fortsetzung „Now you see me 2" mit einer noch wirreren Handlung noch unverständlicher und uninteressanter.

Wieder planen die „Four Horsemen", mit Lizzy Caplan als neuem und witzigerem Frauenanteil Lula, einen spektakulären Auftritt gegen Medien-Konzerne und Establishment. Doch bei aller Trickserei fliegt nicht nur der Anführer Dylan Rhodes (Mark Ruffalo) auf, der im Hauptberuf als FBI-Agent sich selber jagte. Die vier Trickser sind plötzlich selbst Teil einer großen Täuschung und finden sich in Macao wieder, dem Vegas Asiens. Ausgerechnet ein von Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe gespielter schurkischer Magier legt sich mit Zauberern an.

Im Gegensatz zu den cleveren Raubzügen im wesentlich besser inszenierten „Oceans 11" beispielsweise braucht man für die Täuschungen von „Now you see me" das finanzielle und organisatorische Vermögen von… Hollywood beispielsweise. Deshalb kann sich wohl auch nur Hollywood vorstellen, dass so etwas als Realität angenommen wird. Wird es nämlich nicht! Vor allem ein sehr ausführlicher Kartentrick ist nur mit Computertechnik machbar. Das fesselt nicht, das irritiert und langweilt nur.

Tanz-Regisseur Jon M. Chu („Step Up") inszenierte die misslungene Fortsetzung als Abfolge immer weiterer unmöglicher Tricks bis zum Nachspann, in dem sich die Horsemen selber als Spielfiguren von noch größeren Täuschern erkennen. Es geht um mehrfache Rache ehemaliger Gegner und jemand, dem sie einst auf die Füße getreten haben. Woody Harrelson darf in einer reizvollen Doppelrolle Horseman Merritt McKinney sowie dessen rachsüchtigen Bruder spielen. Ja, bei all dem Hokuspokus kommt es vor allem auf die Schauspieler an. Doch die interessanten Geschichten, die von den Menschen, kommen im ganzen Spektakel viel zu kurz, am schlimmsten fällt das bei dem Pärchen der Truppe auf. Mit Michael Caine als Oberschurken gibt es eine Vater-Sohn-Geschichte, die ebenso wenig funktioniert wie der aufgesetzte Whistle blower-Ansatz.

Dabei verzettelt sich die Kombination aus Action und Magie derartig, dass sie eine umständliche Erklärung braucht, die dramaturgisch ungeschickt und unbefriedigend angehängt wird. Nur in Hypnose könnte Ihnen die Werbung weismachen, dies sei ein sehenswerter Film.

Die fast perfekte Welt der Pauline

Frankreich 2015 (Les chaises musicales) Regie: Marie Belhomme mit Isabelle Carré, Carmen Maura, Philippe Rebbot 78 Min. FSK: ab 0

Haben Sie schon den neuen Film mit der bekannten Action-Figur Jakob Börne gesehen? Nicht? Wäre auch komisch, wenn jemand aus „Jason Bourne" in Deutschland Jakob Börne macht. Oder aus dem Film und der Figur „Erin Brockovich" der Verständlichkeit halber „Elke Bröckers"! Dann noch den Schurken aus „Star Wars" Dirk Falter nennen, weil Darth Vader versteht ja keiner. Doch tatsächlich machten die deutschen Verkäufer dieses französischen Films einfach mal die Hauptfigur Perrine zu einer Pauline und zielten mit dem Titel „Die fast perfekte Welt der Pauline" auch noch betrügerisch auf „Die fabelhafte Welt der Amélie". Dabei ist Perrine ebenso eine Anti-Amélie, wie die Stimmung des Films ganz anders gelagert ist: In der tristen Welt der Perrine schlägt sich die erfolglose Animateurin Perrine (Isabelle Carré) mit Kindergeburtstagen durch. Und als Unterhalterin für Senioren-Vereine, die sich „armes Elend" nennen. „Animastriste" rutscht ihr denn auch mal als Berufsbezeichnung raus - triste Unterhalterin. Zwischen den Terminen erschrickt sie im Kostüm von Dirk Falter (oder: Darth Vader, s.o.) einen Passanten derart, dass der in der Grube landet. Also noch nicht ganz im Grab, aber zumindest im Koma auf der Intensivstation. Perrine ist schon vorher panisch abgehauen, besucht jedoch als angebliche Halb-Cousine das Unfall-Opfer täglich im Krankenhaus.

Die unscheinbare Frau mit dem burschikosen Gang, die sich selbst „ein Niemand" nennt, kümmert sich fortan nicht nur liebenswert um den wehrlosen Patienten Fabrice (Philippe Rebbot), sondern auch um seinen verwaisten Hund und seinen kleinen Sohn in der Wohnung von Fabrice. Eine seltsame Annäherung findet statt: Eher aus Versehen übernimmt Perrine den Job und auch die Wohnung von Fabrice. Diese sympathische Komödie ist dabei keineswegs ein Remake des Hollywood-Erfolges „Während du schliefst" mit Sandra Bullock. Ähnlich verpeilt wie die Hauptfigur Perrine gefällt der Film mit kleinen, verspielten Szenen. Ein stringenter Plan, eine gradlinige Dramaturgie würde gar nicht zu dieser Frau passen. Es ergibt sich halt, dass Perrine viel mehr Spaß im neuen Ersatz-Leben hat.

„Ich mag die Leute, die zweifeln", heißt es mal in einem Lied der Musikschule und Isabelle Carré, vor allem bekannt als scheue Sekretärin aus der Komödie „Die anonymen Romantiker", spielt mit einnehmendem Charme eine Art französischer Greta Gerwig. Verzettelt, hilflos der großen Welt gegenüber, gewinnt sie letztendlich doch die Herzen mit einer völlig ungeschützten Naivität. Dass man im Film ihren Namen verwechselt, setzt sich ironischerweise beim deutschen Verleiher fort, der einfach mal Perrine zu Pauline macht. Das ist nicht nur eine ungeheure Respektlosigkeit gegenüber dem Werk der Filmemacher, auch gegenüber einer ganzen Kultur und ihrer Sprache! Ein Grund mehr, diesen sehr sympathischen Film mit seiner ausgezeichneten Hauptdarstellerin Isabelle Carré in Originalversion mit Untertiteln zu sehen.

The Mechanic 2: Resurrection

Frankreich, USA 2016 (The Mechanic 2: Resurrection) Regie: Dennis Gansel mit Jason Statham, Jessica Alba, Tommy Lee Jones, Michelle Yeoh 99 Min. FSK: ab 16

Noch mehr Rio de Janeiro? Diesmal ist Mord der Sport vor Postkarten-Kulisse. Auftragskiller Arthur Bishop (Jason Statham) erlebt seine Auferstehung vom wohlverdienten, selbst inszenierten Tod nach dem Vorgängerfilm „The Mechanic", weil ein mysteriöser Auftraggeber drei Morde von ihm will.

Selbstverständlich zickt der ruppige Einzelgänger Bishop etwas, wird dann aber wegen seines großen Herzens schnell wieder zum edlen Ritter und verfällt dem schönen Opfer Gina (Jessica Alba). Die erzählt eine herzzerreißende Geschichte von ihrem Flüchtlingslager, dessen Bewohner vom gnadenlosen Gangster Riah Crain (Sam Hazeldine) bedroht sind, um danach Bikini-Werbung in der tropischen Bucht zu machen. Dann geht man fröhlich trinken und flirten, obwohl Bishop weiß, dass die Häscher von Crain zuschauen. Da stimmt der Film längst nicht mehr, genau wie der Rhythmus zwischen Action, Romantik und Postkarten-Szenerien hoffnungslos durcheinander holpert.

So geht es von den schönen Aussichten in Rio zu schönen Aussichten in Thailand. Die drei Aufträge, angefangen mit einer unmöglichen Mission in einem Hochsicherheits-Gefängnis in Malaysia, wirken wie schlecht motivierte Kurzfilme, brutale, etwas teuerer produzierte MacGyver-Episoden. Statham reißt in dem zusammengeschusterten Action-Mist, der sehr oft nach Studio aussieht, seine Routine-Rolle aus „Transporter" und Co. runter. Jessica Alba sieht aus. Nur Tommy Lee Jones macht in der Rolle eines schrägen Waffen-Dealers aus Bulgarien Spaß. Gerade mal eine Szene beeindruckt im Stil der Kletterei am Burj Khalifa-Hochhaus-Episode von „Mission Impossible 4", wenn Bishop sein zweites Opfer aus einem wirklich sehr hohen Pool durch den Glasboden in den Abgrund fallen lässt. Ansonsten fehlt im Abklatsch vor allem die reizvolle personale Grundkonstellation, die der erste Film mit dem Sohn eines von Bishop Getöteten als Schüler und Freund hatte.

17.8.16

Mother's Day

USA 2016 Regie: Garry Marshall mit Jennifer Aniston, Kate Hudson, Julia Roberts, Jason Sudeikis 119 Min. FSK: ab 0

Wie ein liegengebliebenes Stück Kuchen, klebrig und schon leicht müffelnd, landet dieser Rest vom us-amerikanischen Muttertag nun in unseren Kinos. Zur Dekoration gibt es mit Jennifer Aniston, Kate Hudson, Julia Roberts und Jason Sudeikis einige Stars, Garry Marshall inszenierte das Ding im Wach-Koma und mit dem gleichen Nährwert wie eine Seifenblase tut der Film niemandem weh ... oder gut.

Ein Haufen kleiner Dramen, die genau so austariert sind, dass sie keinesfalls beim Popcorn-Knabbern stören. Das ist das Rezept für derlei Ensemble-Filme, die gerne zu Weihnachten, Ostern und jetzt (nicht) am Muttertag daherkommen. „Mother's Day" ist wie Aufzugsmusik für die Augen: Kommt einem irgendwie alles bekannt vor, fällt nicht auf, stört nicht. Mit Ausnahme von Jennifer Aniston, die sich auch in dieser Rolle wieder chaotisch mit Selbstgesprächen und immer am Rande des Nervenzusammenbruchs gibt. Ihre Mutter-Figur muss die neue, sehr, sehr junge Frau des Ex als Konkurrenz akzeptieren. Dann gibt es denn verwitweten Vater, der die beste Mutter ist, und die Tochter ohne Mutter, die sich nicht binden mag. Pretty Woman Julia Roberts gibt völlig leb- und regungslos eine Shopping-Kanal-Queen, die wohl einst in jungen Jahren besser Mutter gewesen wäre.

„Romantische Komödie" nennt man so was, wobei der Begriff so steril wie der ganze Film wirkt. Wenn es eine Peinlichkeit ist, Tampons im Supermarkt zu kaufen, weiß man, wie realistisch diese Figuren sind. Jennifer Aniston, Kate Hudson und Julia Roberts bleiben immer die bekannten Stars Jennifer Aniston, Kate Hudson und Julia Roberts, drohen nie ins richtige Leben abzurutschen. Das Problem, den Eltern eine lesbische Beziehung und einen dunkelhäutigen Partner zu offenbaren, könnte ein Drama ausfüllen – hier bleibt es austauschbare Hintergrunddekoration für billige und falsche Rührseligkeiten. Dazu ein paar Lebensweisheiten und schon lösen sich all die kleine Dramen in Wohlgefälligkeit, Versöhnungen und Hochzeit auf. Die übliche Nullsumme solcher harmlosen Ensemble-Filme. Sie rauschen vorbei und sind schnell vergessen. Ein „nette" Klebrigkeit, die durchaus Übelkeit und Verdauungsprobleme verursachen kann.

16.8.16

Captain Fantastic

USA 2016 Regie: Matt Ross mit Viggo Mortensen, Frank Langella, George MacKay 118 Min. FSK: ab 12

Der wahre Superheld dieser Kinowoche ist Viggo Mortensen („Der Herr der Ringe"). Als Spezialist für Road-Movies („On the Road", „The Road") reist er mit seinen Kindern zum Begräbnis seiner Frau. Welten werden aufeinander treffen, wenn die Aussteiger mit exzellenter Survival-Ausbildung auf den reaktionären, militaristischen Schwiegervater treffen. „Captain Fantastic" ist ein großartiger Film für die ganze Familie, das Herz und den Verstand.

Augen im Laub verfolgen das Reh, bis es von einem Jungen nur mit dem Messer niedergestreckt wird. Der ältere Anführer schneidet das Herz heraus und lässt den Jungen davon trinken. Das archaische Initiations-Ritual der Naturvölker betreibt hier eine ansonsten ganz heutige Familie. Der hochintelligente Ben (Viggo Mortensen) lebt mit seinen sechs Kindern in der Wildnis der Berge im Nordwesten Amerikas. Seine exzellente Ausbildung für ihren Körper und Geist verläuft unkonventionell. Knallhartes Survivaltraining und eifrige Lektüre altmodischer Bücher haben eine glückliche Gemeinschaft abseits von Konsum und Internet zum Ergebnis. Und Bo (George MacKay), der Älteste, bekommt sogar Einladungen von allen Elite-Universitäten des Landes. Was er sich allerdings nicht traut, seinem Vater zu sagen...

Die Nachricht vom Tod von Frau und Mutter der Familie trifft ebenso hart wie die Drohung des Schwiegervaters Jack (Frank Langella), Ben solle sich auf keinen Fall beim Begräbnis sehen lassen. Die Kinder überreden ihn doch und mit dem alten Camping-Bus aus der Hippie-Zeit beginnt ein Road-Trip durch feindliches Gelände. Man staunt über die verfetteten Menschen und bleibt den eigenen Ernährungsregeln treu, nur Fleisch zu essen, dass man selbst gejagt und geschlachtet hat. Was zwischen Autobahnen und Beton nicht einfach ist. Aus ideologischen Gründen wird auch mal mit einem vorgetäuschten Herzanfall auf geniale Weise ein Supermarkt ausgeraubt. Bens Schwägerin kritisiert die Erziehung seiner Kinder, die über alles, also auch den Selbstmord der Mutter, offen reden und Alkohol trinken dürfen. Ihre durch Smartphones und Computer-Spiele verseuchten kleinen Idioten werden allerdings dauernd durch die gebildeten und einfühlsamen Kinder Bens bloßgestellt. Sie können die Verfassung interpretieren und feiern raffiniert ihren eigenen „Noam Chomsky-Day". Beim Zusammentreffen mit einem flirtenden Mädchen legt der Waldbewohner Bo allerdings seine mangelnde Erfahrung an den Tag.

Trotz der weisen Überlegenheit von Ben kommt es beim Begräbnis zum Eklat und zu einem tragischen Unfall. Nicht weil er im Sinne der Verstorbenen mit der Albernheit von Religionen abrechnet, sondern weil Schwiegervater Jack die Kinder in seiner Riesen-Villa behalten und mit materiellem Wohlstand beglücken will. Vor der Drohung von Polizei und Anwälten zieht Ben sich zurück, doch die Kinder zeigen, was sie gelernt haben.

„Captain Fantastic" zeigt viel mehr als das Aufeinandertreffen alternativer Ideale mit einer geistlosen, überfressenen Konsumgesellschaft. Trotz der nie versteckten Trauer in dieser Familie erlebt sie die Reise mit viel Spaß, sehr schönen, verrückten und poetischen Ideen. Die freie Erziehung führt im Film zu eigenständigen Charakteren, die alle interessant ihre Rolle spielen. Wobei die für die USA konfrontative Idee, Kinder und Erwachsene nicht dumm zu halten, ebenso gute Laune macht, wie die Lebensfreude dieser großartigen Menschen. Das feinsinnige Vergnügen wird perfekt begleitet mit der Musik von Sigur Ros. Viggo Mortensen glänzt als starker und zweifelnder Vater, der das Scheitern einer großen Liebe verarbeiten muss. Regisseur und Schauspieler Matt Ross wurde für seinen zweiten Spielfilm bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für die Beste Regie in der Reihe „Un certain regard" ausgezeichnet.

Suicide Squad

USA 2016 Regie: David Ayer mit Will Smith, Jared Leto, Margot Robbie, Joel Kinnaman, Viola Davis 123 Min. FSK: ab 16

Sie sind zur Zeit Gelddruckmaschine und Pest des Kinos zugleich: Superhelden. Immer erfolgreich gegen das Böse, meist einträchtig an der Kasse und in den Comic-Heftchen schlummert unendlicher Nachschub. Doch auch die Produzenten auf ihren Goldeseln ahnen, dass diese langweiligen Super-Gutmenschen in Strumpfhosen auf Dauer selbst die härtesten Fans langweilen werden. Deswegen versuchen sie noch etwas Älteres – gemischte Charaktere. Oder noch besser: Dunkle Charaktere auf der Seite des Guten. Bei „Hancock", dem Säufer unter den Super-Männern, ging das noch in die Latexhose. „Guardians of the Galaxy" war ein galaktischer Erfolg und „Deadpool" bekam einige gute Kritiken. Also auch hier Schritt 2 der Superhelden-Verwurstung, wir schmeißen einen Haufen von diesen miesen Typen zusammen und bauen ihnen ein eigenes Verwertungs-Universum. Mit einem grottenschlechten „Suicide Squad" als Teil 1...

In unglaublich langen zwanzig Minuten ohne eigentliche Handlung wird unverschämt schematisch und bürokratisch mit Aktenordnern das Team aus superbösen Helden zusammengestellt. Die knallharte Regierungsbeamtin Amanda Waller (Viola Davis) argumentiert wie gehabt mit irgendeiner imaginären Bedrohung der USA. Das hat nichts mit Realitäten zu tun, aber scheint als Begründung für jede Aufrüstung gegen das eigene Volk – in Fiktion und Realität – auszureichen. So bekommen die Psychopathen aus den Hochsicherheits-Trakten ein staatliches Waffenarsenal und sollen ein unüberwindliches Wesen überwinden. Das übrigens aus dem gleichen Superschurken-Staatsprogramm entstammt.

Dieses dann plötzlich gar nicht so unüberwindliche Wesen ähnelt irritierend dem sehr, sehr alten Ägypter aus dem letzten „X-Men" - Phantasie oder Hirnschmalz scheint bei der Superhelden-Serienproduktion nicht mehr nötig zu sein. Wofür es an der US-Kasse bereits die Quittung gab. Nach der seriellen Vorstellung vom Scharfschützen und Papa Deadshot (Will Smith), der durchgenallten Ex-Psychologin Harley Quinn (Margot Robbie), dem feuerwerfenden Latino Gang-Mitglied Diablo (Jay Hernandez) oder dem echsenhaften Killer Croc (Adewale Akinnuoye-Agbaje) mit jeweils einem alten Vinylzeiten-Hit folgt das Übliche: Martialischer Overkill mit massenhaft Schusswaffen, Kugeln, Messern und Schwerter. Der Joker (Jared Leto) besucht zwischendurch seine Geliebte Harley, Batman Ben Affleck trinkt einen Kaffee. An die „Die glorreichen Sieben" („The Magnificent Seven", 1960) aus John Sturges' Western oder Kurosawas „Die sieben Samurai" sollte man dabei nicht denken - „Suicide Squad" ist derart oberflächlich in der Figurenzeichnung, dass sich das Wort „flach" im Vergleich beleidigt fühlen darf.

Nur der ebenso nachdenkliche wie schießwütige Deadshot und die ausgeflippte Punkfrau mit verletztem Herz Harley bekommen etwas persönliche Geschichte mit. Der Normal-Man Colonel Rick Flag (Joel Kinnaman) darf um seine Liebe kämpfen, die von einer übermächtigen Hexe besessen ist. Der Rest ist lautes, aber in der Inszenierung furchtbar unspektakuläres „Spektakel" mit unlogisch gutem und unbefriedigendem Finale. Schlechte Superhelden in einem noch schlechteren Superhelden-Film.

Alles was kommt

Frankreich, BRD 2016 (L'avenir) Regie: Mia Hansen-Løve mit Isabelle Huppert, André Marcon, Roman Kolinka 98 Min. FSK: ab 0

Nach den sehr bemerkenswerten und ungewöhnlichen Filmen „Der Vater meiner Kinder" (2009), „Un amour de jeunesse" (2011) und dem DJ-Abgesang „Eden" (2014) beschreibt das neueste Werk von Mia Hansen-Løve wieder einen Zustand. Den einer völlig freien Frau, was bei der reifen Philosophie-Dozentin Nathalie (Isabelle Huppert) aus der intellektuellen Bourgeoisie bedeutet: Nach 25 Jahre Ehe vom Mann verlassen, die Kinder aus dem Haus, die Mutter gerade gestorben, vom linken Verlag aus Spargründen gekündigt. So bleibt nur die gehasste Katze der Mutter als Geselle für die Katzenhaar-Allergikerin. Doch die bis zur Eigentümlichkeit eigenwillige Frau bleibt in ihrem Elfenbeinturm. Weder Streik noch Anarchie können sie groß bewegen. Nur ein junger, sehr begabter Student weckt Hoffnungen in der sitzengelassenen Ehefrau.

Dieses vermeintliche Elend spielt Isabelle Huppert, weniger streng als sonst, mit feiner Ironie. Der Film lässt zärtlich über sie lachen, auch über ihre nicht zu verbergende Hoffnung auf den ehemaligen Schüler und aktuellen Protegé. Die Zukunft des Originaltitels („L'avenier") erscheint gefährdet, in den philosophischen Exkursen taucht Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung" auf, doch Nathalies Aufbruch zur alternativen Land-WG ihres Lieblings-Schülers bringt nur der mitgeschleppten Katze positive Veränderungen. Trotzdem folgt man den kuriosen Irrungen der lebensfernen Intellektuellen mit Interesse und Vergnügen. Mia Hansen-Løve, selbst Studentin der deutschen Philosophie, bekam für dieses schöne, hoffnungsvolle autobiographische Porträt bei der Berlinale 2016 den „Silbernen Bär" für die Beste Regie.

15.8.16

Conni & Co

BRD 2016 Regie: Franziska Buch mit Emma Schweiger, Heino Ferch, Iris Berben, Ken Duken, Oskar Keymer 104 Min. FSK: ab 0

Til Schweiger verkauft wieder - sich, seine Tochter und Hundefutter. Schwer zu sagen, was unappetitlicher ist. So erleben wir gelungene Integration: Auch die sprachlich und schauspielerisch völlig ungeeignete Emma Schweiger darf eine Hauptrolle spielen. Sehr schade für den eigentlich guten Kinder-, Jugend-, und Hundefilm „Conni & Co".

Die zwölfjährige Conni (Emma Schweiger) hat es schwer an der neuen Schule: Das Mobbing eines Zicken-Trios tut ebenso weh wie die Treulosigkeit ihres Freunds und Nachbarn Paul (Oskar Keymer). Nur der neue Hund, ein Frodo getaufter Jack Russell Terrier, kann Conni trösten. Der ist allerdings gerade dem Schul-Direktor Möller weggelaufen, der mit dem ungeliebten Tier einen Werbevertrag gewinnen will.

Heino Ferch pfercht als Tierquäler und Kinderhasser mit Halbglatze ein niedliches Viech ein. Gute Voraussetzung für einen Schuldirektor und eine klasse Rolle, in der Ferch glänzt und Götz George ähnelt. Überhaupt wurde bei der ersten Verfilmung eines Buches aus der Conni-Kinderbuchreihe nicht gekleckert: Iris Berben fährt als Oma vor dem Hühnerstall Motorrad, Kurt Krömer gibt als Tierhändler seinem Comedy-Affen Zucker. Die junge Protagonistin zeigt den Jungs, dass sie klüger und mutiger ist. Dabei lernt sie selbst, um Hilfe zu bitten. Schließlich wird Conni durch aufrechtes Verhalten bald von allen anerkannt. Eigentlich eine nette Lehre des neuen Films von Franziska Buch („Emil und die Detektive"), doch mit der kleinen Schweiger funktioniert das nicht richtig.

Nicht nur im Hundwettbewerb spielten Beruhigungsmittel eine Rolle, auch diese Emma Schweiger spricht wie unter Valium und mit minimaler Ausdrucksfähigkeit. Der Begriff Vetternwirtschaft erlebt bald das Schicksal vieler guter deutscher Filme: Er wird ersetzt, durch Tochter- und Schweiger-Wirtschaft. Es ist leider wie bei des Schweigers neuen Kleidern - da traut sich niemand zu sagen, dass die Tochter ebenso schlecht spielt wie Til Schweiger selbst. Hier steht Schweiger überall als Pappaufsteller herum, doch es wird noch schlimmer kommen: Er dreht gerade selbst die Fortsetzung. Das ergibt dann endgültig einen Horror-Film.

13.8.16

Locarno 2016 Licht am Ende des Tunnels

Locarno. Licht am Ende des Tunnels! Heute taucht die Internationale Jury rund um den mexikanischen Regisseur Arturo Ripstein und seinem iranischen Kollegen Rafi Pitts aus dem Dunklen der Kinosäle auf, um das Ergebnis ihres Tunnelblicks zu verkünden – die Goldenen und Silbernen Leoparden für den Wettbewerb des 69. Filmfestivals von Locarno (3. – 13. August) werden am Abend in einer Gala auf der Piazza Grande verliehen. Dass ausgerechnet Tunnelfilme am Anfang und Ende des Filmfestivals der Südschweiz liefen, widerspricht nicht dem offenen Blick auf Welt und Gesellschaft des 2016 häufig sozial beobachtenden Festivals.

Am Anfang feierte sich die technische Nation mit dem, auch in NRW-Studios entstandenen, historischen TV-Film „Gotthard" auf der Piazza Grande. Hinter der Leinwand machte derweil ein riesiges Kreis-Segment des neuen Gotthard-Bahntunnels Eindruck und den Kindern als Rutsche viel Freude. Am Donnerstag allerdings ließ der koreanische Regisseur KIM Seong-hun in seinem spannenden wie komischen Katastrophenfilm „Teo-neol" (Der Tunnel) ausgerechnet einen Straßentunnel einstürzen. Er schildert das Drama eines unter Geröll eingeschlossenen Autofahrers und bleibt sicher vielen Heimreisenden bei der Fahrt nach Norden durch den alten Gotthard-Tunnel in Erinnerung.

Das nach Venedig zweitälteste Filmfestival der Welt präsentierte elf Tage, an denen man die B- und Alt-Stars kaum unter bekam: Bill Pullman, Jane Birkin, Harvey Keitel, Mario Adorf, Komponist Howard Shore und zuletzt die neunzigjährige Produzenten-Legende Roger Corman. Auf der Bühne der Piazza Grande wurde es eng, genau wie in den klaustrophobischen Zuschauerreihen davor, die wohl von Ryan Air verwaltet werden. Super-Stars gab es allerdings nicht, Matt Damon wurde zu „Jason Bourne" recht peinlich per Video eingespielt. Das treue Publikum nahm es hin. Genau wie die allgegenwärtigen Taschen-Kontrollen, die man schon seit Jahren aus Cannes und Venedig kennt und die den Anschlägen der letzten Monaten Tribut zollen.

Mit filmischen Bekannten aus Cannes erzielte Locarno in seiner 69. Ausgabe unterschiedliche Ergebnisse: Der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme „I, Daniel Blake" von Ken Loach entspricht in seiner eigentlich einfachen Machart gänzlich den Erwartungen und berührt mit dem Drama des sympathischen Kerls Dan Blake ungemein. Wie der Mann nach einem Herzinfarkt vergeblich um Krankengeld kämpft und proforma in die kafkaesk menschenfeindlichen Mühlen der Arbeitsvermittlung gerät, ist herzzerreißend und könnte den bisherigen Piazza-Favoriten „Paula" von Christian Schwochow beim Publikumspreis überholen. Beim anderen aus Cannes bekannten Namen, Angela Schanelec („Orly", „Marseille"), gefriert einem eher das Herz, so kühl und stilisiert sind die Wege zweier Paare im Wettbewerbsfilm „Der traumhafte Weg" inszeniert. Mehr Aufnahmen von Füßen und Beinen als Gesichter, die papiernen Sätze leblos deklamiert, seltsame Personendopplungen über dreißig Jahre hinweg. Das ist Kunstkino zum Rätseln. Oder zum Weglaufen, wie eine laute Abwanderung während der öffentlichen Vorführung kundtat.

Im qualitativ durchmischten Wettbewerb mit international sensationeller Quote von acht Frauen unter 17 Filmen hat sich kein Favorit herauskristallisiert. Der Rumäne Radu Jude erfüllt mit „Inimi cicatrizate" (Ängstliche Herzen) die Erwartungen, die nach dem Regie-Preis der Berlinale für „Aferim!" in ihn gesetzt wurden. Nun erzählt er formal streng in festen Einstellungen eine Zauberberg-Geschichte, die 1937 in einem Schwarzmeer-Sanatorium spielt und auf dem autobiographischen Roman des rumänischen Autors Max Blecher basiert. Blecher starb nach zehn Jahren Tuberculose im Alter von 29. Der Schweizer Michael Koch ist mit seiner deutschen Produktion „Marija" unter den Entdeckungen, ebenso seine sensationelle Hauptdarstellerin Margarita Breitkreiz, die eine Ukrainerin in der Dortmunder Nordstadt spielt.

Ebenso ungemein gegenwärtig und aktuell der französische Piazza-Film „Le Ciel attendra" (Der Himmel wartet) von Marie-Castille Mention Schaar über zwei jugendliche Mädchen aus bürgerlichem, nicht muslimischem Umfeld, die zu Dschihadistinnen werden. Rebellion gegen liberale Eltern und die Internet-Liebe zu einem IS-Verführer führen zu Dramen pubertären Aufstandes, der heutzutage im Islamismus landet. Der wache Blick für Soziales und Politisches bleibt Markenzeichen für Locarno. So auch mit dem bewegendsten Beitrag der Kritikerwoche, die sich auf Dokumentationen spezialisiert hat, „Cahier africain". Die erfahrene Dokumentaristin Heidi Specogna („Pepe Mujica - Der Präsident", „Das Schiff des Torjägers") zeigt das titelgebende Notizbuch mit vier Fotos von zentralafrikanischen auf jeder Seite. Das bedeutet, jeweils vier Geschichten von Vergewaltigung. Zeugenaussagen von 300 Frauen und Mädchen, die während des Krieges von Söldnern aus dem Kongo vergewaltigt und misshandelt wurden. Specogna mischt Bilder des Alltags in die erschütternden Berichte der Frauen, nackte Zahlen aus den Nachrichten bekommen so ein Gesicht.

Nach „Gerhard Richter Painting" widmet sich Corinna Belz nun einem Schriftsteller und realisierte mit „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte..." ein richtig gutes, nettes und intimes Porträt des Mannes, der seit „50 Jahre Auseinandersetzung mit Sprache" betreibt. Die Kamera fängt bei den vielen Besuchen in Haus und liebevoll gepflegten Garten am Rande von Paris nicht nur die Ansammlungen von Blei- und anderen Stiften ein. Zweifel und Spaß an dieser Inszenierung sind ebenso zu sehen wie die Frustration als Belz spät im Film doch auf die umstrittenen Serbien-Äußerungen zu sprechen kommt. Ein sehr gelungenes Porträt und schönes Fundstück im Rauschen hunderter Festival-Filme.

Das Festival am Lago Maggiore erwartet für das 70-Jährige in 2017 drei neue, richtige Kinosäle und übernahm schon in diesem Jahr kurzfristig die Regie der Kirmes- und Fress-Buden der „Rotonda", einer bislang chaotischen Vergnügungsstätte am Rande der Altstadt. Doch weit größeren Einfluss auf das Gesicht des Festivals hat das ferne Zürich mit seiner Konkurrenz-Veranstaltung im Herbst. Die Deutsch-Schweiz fährt dort zu wenig riskanten Kino-Previews reihenweise Prominenz auf. Der Leopard hechelt diesbezüglich hinterher und versucht gegen die eigenen Qualitäten die entsprechende Presse-Öffentlichkeit mit Namen statt mit Filmen zu gewinnen. Bei den bereits veröffentlichten Zahlen der Piazza Grande führt das nicht zu berauschenden Ergebnissen. Nur zu „Jason Bourne" waren über 7000 Plätze besetzt, drei Abende blieben unter 5000. Das ist viel für ein normales Festival, aber nur durchschnittlich für das gigantische Open Air-Kino. Zu hoffen ist deshalb auf starke Preisträger heute Abend, die sich filmisch in den Vordergrund drängen können und den guten Namen Locarnos fortschreiben.

9.8.16

El Viaje

BRD 2016 Regie: Nahuel Lopez 93 Min.

Rodrigo Gonzalez ist Bassist der deutschen Punkrock-Band „Die Ärzte", aber auch Kind einer Familie die 1974 mit ihm als Sechsjähriger vor der Militärdiktatur Augusto Pinochets nach Hamburg fliehen musst. In dem Dokumentarfilm „El Viaje" reist er nach Chile, auf den Spuren der Musik seiner Kindheit und der Protestmusik der „Nueva Cancion Chilena", die Rods Kindheit auch in Deutschland weiter prägte. Es ist die Musik einer Generation, die für Menschenrechte und gegen die Diktatur in Chile auf die Straßen ging.

Für ein Album mit den chilenischen Protestsängern der sechziger und siebziger Jahre sowie deren musikalischen Erben von heute trifft Rodrigo Gonzalez Musiker einer breiten Spannweite, geografisch und musikalisch: Traditionell und politisch, alt und jung, Liedermacher und Rocker. Ihre Stücke werden kurz angespielt. Nebenbei erzählt „El Viaje" von alten Chilenen, die am Jahrestages des Putsches noch die Flagge hissen, zeigt Graffitis auf den Straßen, besucht auch einen einheimischen Stamm im Süden.

Dieser reizvoller Musik- und Film-Sampler mit vielen verschiedenen musikalischen Richtungen ist kein „Buena Vista Social Club", nicht weil die Mittel diesmal wesentlich geringer sind als bei Wenders. Es geht hier mehr um die Menschen und ihre Geschichte. Ein Philosophie-Professor, spezialisiert auf Nietzsche und Heidegger, ist Legende mit seinem Protestsong und fühlt sich nun zerrissen zwischen Chile und seinem Exilland Frankreich. Ein anderes altes Idol erzählt halbwegs gefasst im Fußball- und Folterstadion von Santiago von den Schlägen und der Haft. Das klingt so ehrlich wie authentisch und ist dank der untertitelten Originalstimmen besonders gut mitzuerleben.

Die Off-Kommentare von Rodrigo mit lässigem bis schnoddrigem Tonfall sind so einfach gehalten, dass man sie in einem besseren Dokumentarfilm auch hätte weglassen können. Selbstverständlich soll seine Prominenz Album und Film verkaufen, aber eine vornehme Zurückhaltung ließe mehr Raum für das Land und die vielen interessanten Begegnungen.

8.8.16

Jason Bourne

USA 2016 Regie: Paul Greengrass mit Matt Damon, Tommy Lee Jones, Alicia Vikander, Vincent Cassel, Julia Stiles, Riz Ahmed 123 Min.

Die Bourne-Geschichte eines zum Super-Killer mutierten „Normalos" war mit drei Filme und einem Spin-Off eigentlich „auserzählt". Doch wenn so eine Geldmaschine einmal läuft, ist sie schwer zu stoppen, wird sie skrupellos weiter gesponnen. So kommt der ehemalige Geheimdienstagent Jason Bourne (Matt Damon) nicht zur Ruhe und vor allem dieser überdrehte Action-Film nicht. In der Dauerbewegung unter den Augen eines neuen Überwachungsstaates kommen Skrupel und Charaktere ebenso unter die Räder wie viele Unbeteiligte. Matt Damons Jason Bourne muss sich dabei die Charakter-Hauptrolle von Alicia Vikander, in der Rolle der neuen CIA-Agentin Heather Lee, wegschnappen lassen.

Im Grenzgebiet Nord-Griechenlands sieht man den gequälten Jason Bourne (Matt Damon) bei brutalen Faustkämpfen. Wäre interessant, zu erfahren, was ihn da so quält, nachdem er in der ganzen Bourne-Trilogie seine eigentliche Identität entdeckt und sich von seiner Killer-Prägung losgesagt hat. Doch bevor irgendjemand nachdenken könnte, kommt die Ex-Kollegin Nicky (Julia Stiles) vorbei und dann eine Verfolgungsjagd später auch um. Sie überbringt den Job: Bourne muss ein neues Kontroll-Programm verhindern, durch das die Sicherheitskräfte die Macht ergreifen wollen. CIA-Chef Robert Dewey (Tommy Lee Jones) hat sich mit Social Media-Guru Aaron Kalloor (Riz Ahmed) zusammengetan, damit der eine „Hintertür" in sein weltdurchdringendes Programm Deep Dream einbaut. Doch die Mischung aus Steve Jobs und Zuckerberg will aussteigen. Dazu dreimal die Erwähnung von Snowden und die eher hirnlose Renner- und Rasernei „Jason Bourne" bekommt ein „Thema" aufgeklebt.

Regisseur Paul Greengras gilt seit dem Nordirland-Massaker „Bloody Sunday" (2002) und dem Schiffs-Kidnapping „Captain Phillips" (2013) als anspruchsvoll und politisch. Er kann aber auch Action. Und vor allem die zeigt er: „Jason Bourne" ist ein durchdrehender Action-Mechanismus, der wie seine Figuren dauernd in Begegnung ist. Das reißt mit, doch nur einmal nachgedacht, bricht das Konstrukt zusammen. Das überwacht die CIA alles aus der Luft und mit Überwachungskameras. Mitten in den griechischen Protesten am Syntagma Platz in Athen wird Bourne identifiziert. Im Prinzip spielen die Agenten Pac Man mit den Action-Figuren im Straßen-Labyrinth. Doch wenn zur nächsten attraktiven Stadt des nächsten nationalen Koproduzenten gewechselt werden soll, bekommt das keine einzige Kamera mit.

Kurz überlegt, was eigentlich passiert in dem zweistündigen Action-Amoklauf, erweist sich der Film als ein sehr aufwendiges Hamsterrad. All die Nichtigkeiten sind aus zig Kamerawinkel aufgenommen, Dynamik ersetzt nicht nur Inhalt sondern auch noch Handlung. Vom puren Bewegungskino unterscheidet sich diese hochgeschwinde Augenwischerei durch die Behauptung einer Handlung.

Nur am Rande dieser Vernichtungsschneise in die Aufmerksamkeit des Publikums, dieses ungebremsten Stroms an Eindrücken bleiben Fundstücke hängen: Ein fingierter irakischer Attentäter soll Sündenbock des eigenen CIA-Anschlages sein. Wie ein Kommentar zur aktuellen Attentats-Aufregtheit. Und vor allem Alicia Vikander als CIA-Computerspezialistin Heather Lee. Sie drängt sich skandinavisch emanzipiert vehement in die Chef-Position des CIA, sie ist ambivalent und damit die wirklich interessante Figur des Films. Eine Figur, die dem Hamsterrad der hirnlosen Action entkommen könnte.

4.8.16

Willkommen im Hotel Mama

Frankreich 2016 (Retour chez ma Mère) Regie: Eric Lavaine mit Josiane Balasko, Alexandra Lamy, Mathilde Seigner 91 Min. FSK: ab 0

Aus Frankreich versucht man uns nun einen ziemlich lahmen, einen nervig behäbigen und höchstens netten Film auf TV-Niveau anzudrehen: Die lebenslustige Witwe Jacqueline (Josiane Balasko) bekommt in der Provence Dauerbesuch von ihrer 40-jährigen Tochter Stéphanie (Alexandra Lamy), deren Firma Pleite ging. Nicht nur bei den Zimmertemperatur haben sie unterschiedliche Vorlieben, aber vor allem dass die frisch verwitwete Mama einen Liebhaber in einer Nachbarwohnung hat und es denn Kindern noch nicht gesagt hat, sorgt für Verwirrung. Während sich die zerstrittenen, unhöflichen, unleidlichen Gören aufgrund des seltsamen Verhaltens Sorgen machen und Alzheimer vermuten, bereitet Mama ein Familienessen vor, um alle gleichzeitig einzuweihen.

Die frustrierte und zickige Stéphanie trifft auf die glückliche, lebenslustige Mutter, die Musik gibt beim Aufräumen von Kinderkram in der Garage Sentiment vor, welches die Inszenierung ansonsten nicht hinbekommt. In der letzten Viertelstunde werden die Familienprobleme ausgesprochen und Lösungen für Stephanies Probleme und andere mühsam herbei konstruierte Komplikationen fallen aus heiterem Himmel.

Hauptfigur Alexandra Lamy zeigt sich in der Rolle der Stéphanie nicht unbedingt als großartige Komödiantin, die bekannte Josiane Balasko dagegen schon. Doch alleine kann sie den sehr schwachen, schwer erträglichen Film von Autor und Regisseur Eric Lavaine („Barbecue", „Nix zu verhaften") um die Emanzipation von den eigenen Kindern nicht tragen.

Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows

USA 2016 Regie: Dave Green mit Megan Fox, Will Arnett, Noel Fisher 112 Min.

Von den ersten Momenten an ist „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows" unübersehbar eine Michael Bay-Produktion: Alles fliegt und wirbelt dauernd durch die Gegend. Allein wenn die fetten Frösche Leo, Raph, Mikey und Donnie nur ein Basketball-Spiel sehen wollen. Dann wird Shredder, der Gegner aus dem ersten Teil der neuen Realfilm-Serie mit den vier animierten Comic-Fröschen, mit haufenweise Explosionen und Crashs aus der Gefangenschaft gebeamt.

Die simple Handlung dreht sich um Bestandteile einer Beam- und Weltherrschaftsmaschine, die zusammen gesucht werden müssen, um dann Außerirdischen Tür und Tor zur Vernichtung der Menschheit zu öffnen. Die Comic-Verfilmung hat selbstverständlich einen verrückten Professor, die Bösen bekommen mit den tierisch deformierten Gaunern Bebop (Gary Anthony Williams) und Rocksteady (Stephen Farrelly) auch Mutanten zugeteilt, der neue Oberschurke ist der monströse Krang.

Leo, Raph, Mikey und Donnie haben die gleichen Probleme wie Spider-, Super- und Batman: Sie wünschen sich öffentliche Anerkennung, müssen aber anonym bleiben. Dann kommen noch Zweifel am Team-Geist auf, doch die atemlose Action mit der großen, dunklen Bedrohung über New York gleicht frappant anderen Comic-Verfilmungen und am Ende vor allem „Independence Day". Ausgetauscht werden nur die Action-Figürchen und das Alter des Zielpublikums.

„Teenage Mutant Ninja Turtles 2" ist wieder ein Film für kleine Jungs, die noch mit Action-Figürchen spielen, aber auch schon mal große Frauen bauchfrei sehen wollen. Alles ist eher spaßig als dämonisch oder gefährlich. Megan Fox („Transformers") ist für die bauchfreie Attraktion zuständig. Fürs Schauspiel springt Laura Linney bei der Polizei ein. Den Rest erledigen ziemlich viele ziemlich laute Effekte. Der unbekannte Regisseur Dave Green erfüllt so sehr unauffällig die Erwartungen an ein Fließband-Produkt.

Genius

Großbritannien, USA 2016 Regie: Michael Grandage mit Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman, Laura Linney 105 Min. FSK: ab 6

Über „Genius" zu schreiben, ist ein besonders schwerer Job: Wie beschreibt man in ein paar schnellen Zeilen, welche Herkules-Arbeit es bedeutet, ein literarisches Schwergewicht zu schaffen? Schwergewicht, weil schon das Manuskript in mehreren Kisten voller Papierbündel beim Verlag angeliefert wurde. 5000 Seiten umfasste der erste Entwurf und zwei Männer arbeiten jahrelang daran, das Opus zu einer druckbaren Ausgabe herunter zu kürzen. „Genius" ist die Beziehungsgeschichte dieser beiden Männer und auch Biographie. Zum einen vom bekannten us-amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe (1900–1938), nicht zu verwechseln mit Tom Wolfe (* 1931), und von seinem unbekannten Lektor Maxwell Perkins. Der nebenbei auch Hemingway und F. Scott Fitzgerald im Verlagshaus „Scribner's Son" betreute.

Maxwell Perkins (Colin Firth) ist unter Autoren schon Legende, als 1929 ein gewaltiges Manuskript und auch bald auch sein Autor Thomas Wolfe (Jude Law) ins Büro auf der 5. Etage bei „Scribner's Son" hereinschneien. Wolfe ist wie sein Schreibstil exaltiert, expressiv, wild, leidenschaftlich. Perkins dagegen ruhig, reserviert, gesetzt. Er liest auf der Arbeit, liest im Pendlerzug nach Hause, liest daheim. Zwischendurch ignoriert er seine große, rein weibliche Familie liebevoll nebenbei. Und hat immer seinen Hut auf.

Nur einmal im Film wird Maxwell seinen Hut abnehmen, das ist dann auch der emotionale Höhepunkt für den zurückhaltenden Mann. Bevor sich das Drama zwischen den beiden entgegengesetzten Charakteren zuspitzt, macht das Schicksal dem einen Strich durch die Rechnung. Wolfe stirbt 1938 plötzlich an einer seltenen Hirnkrankheit. Doch zuerst machen beide „Schau heimwärts, Engel. Eine Geschichte vom begrabenen Leben" (Look Homeward, Angel. A Story of the Buried Life) zum großen Erfolg. Thomas Wolfe wird mit den größten Schriftstellern verglichen. Das nächste Buch „Von Zeit und Strom" (Of Time and the River) ist dieses Monstrum, das in Kisten angeliefert wird.
Beide riskieren ihr Privatleben für dieses Werk. Wolfe treibt seine hysterische Geliebte Aline Bernstein (Nicole Kidman) fast in den Selbstmord. Und Perkins' Frau macht ihm sanft deutlich, dass er eigentlich mit in den Urlaub müsste.

Der Film „Genius" und Colin Firth schaffen es, in kurzen Szenen für Literatur zu begeistern, eine noble Wertschätzung hart erarbeiteter Literatur. Firth spielt wieder unglaublich gut, wenn er über den Ursprung des Erzählens am Lagerfeuer mit den Wölfen draußen im Dunkeln sinniert. Aber vor allem bei den tiefen Zweifeln von Perkins, ob er mit seinen Kürzungen und Änderungen nicht das wahre Meisterwerk zerstört hat. Wer eigentlich das Genie ist, diese Frage steht immer im Raum. Doch F. Scott Fitzgerald, dem Perkins in seiner schweren Krise finanziell hilft, macht eines klar: „Max has a Genius for friendship" – Max ist vor allem ein großartiger Freund.

An dieser Figur und auch an Firth arbeitet sich Jude Law als Thomas Wolfe etwas ab, doch es macht Spaß ihn wild, in der Jazz-Kneipe und auch einsam gestrandet zu sehen. Nur Nicole Kidman kickst als Wolfes Geliebte Aline Bernstein schon wieder ihre nervigen, immergleichen Geräusche in die Kamera. Ihr Drama ist, dass sie nicht Frau Tom Wolfe sein kann und Kidman kann nicht Virginia Woolf, also so ungewöhnlich gut wie in „The Hours". Wie viel glaubwürdiger und uneitel dagegen die andere, wortwörtliche Nebenfigur dieser männlichen Beziehungs- und Vater-Sohn-Geschichte, Laura Linney als Louise Perkins, die in ihren literarischen Ambitionen böse ignoriert wird.

Vor allem ist „Genius" eine großartige Hymne auf das Schreiben und die Schrift. Theater-Regisseur Michael Grandage macht in seinem Regiedebüt aus A. Scott Bergs Biographie „Max Perkins: Editor of Genius" einen Hör- und Sehgenuss seltener Qualität.

2.8.16

Lights Out

USA 2016 Regie: David F. Sandberg mit Teresa Palmer, Maria Bello, Gabriel Bateman, Alexander DiPersia 81 Min. FSK: ab 16

Im Teaser wird der Familienvater bei der nächtlichen Arbeit gemeuchelt. Aber während die meisten Geister recht sesshaft „ihrem" Haus verbunden bleiben, hängt dieser an einer Familie: Sophie unterhält sich nachts mit einer Gestalt im dunklen Nebenraum. Ein Schock für den kleinen Martin. Schlimmer als Selbstgespräche der depressiven Alleinerziehenden ist ein mörderisches Monster in der Dunkelheit.

„Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht." So lautet der passende Werbespruch zu diesem Film. Murakami schrieb, das Schlimme am Dunkel sei die Vorstellung, dass jede Dunkelheit mit jeder anderen verbunden ist. So kann alles, was sich darin versteckt, überall sein Übles treiben. Dieser Film empfiehlt Kindern, nicht nur unter dem Bett nachzuschauen, sondern auch im Oberstübchen der Mutter (Maria Bello). Ganz schön dreist und unverschämt allen psychischen Kranken gegenüber.

Der Horror-Film „Lights Out", die XXXXL-Version eines gleichnamigen 150 Sekunden-Hits auf YouTube, erdreistet sich auch noch recht flott, den jungen Martin (Gabriel Bateman) der Mutter wegzunehmen. Die erwachsene Schwester Rebecca (Teresa Palmer) nimmt ihn auf, was das lichtscheue Monster nicht sonderlich stört. Denn es kann nicht nur irgendwie immer wieder Glühlampen ausgehen lassen, öffentlicher Nahverkehr ist ihm wohl auch vertraut. Rebecca findet noch mehr heraus: Das Monster war einst zusammen mit der Mutter lichtscheue Patientin in einer Psychiatrie und hieß Diana.

Die verschiedenen Zustände zwischen Angst und gespielter Tapferkeit, zwischen Depression und Hoffnung werden von Teresa Palmer („Knight Of Cups", „Point Break") und Maria Bello („Pippa Lee") gut gespielt. Doch mehr als eindimensionale, vermeintliche Rätsellösung als Vorspiel für das „fetzige" Finale, das besonders dreist daher kommt, bietet der Film nicht. Ansonsten bedient sich der weiter nicht besonders originelle, aber funktionale Horror-Film einem An-Aus-Spielchen mit dem Licht-Schalter, welches das Monster für Sekunden als Schatten sichtbar macht. Mit den üblichen Schockmomenten ist „Lights Out" eine solide Genre-Arbeit, aber nichts, was Andere als gruselige Fans unbedingt ins dunkle Kino gehen lassen sollte.

Julieta

Spanien 2016 Regie: Pedro Almodóvar mit Emma Suárez, Adriana Ugarte, Daniel Grao, Inma Cuesta 100 Min.

Die Theorie, dass Regisseur Pedro Almodóvar mit jedem Film noch besser wird, unterbrach 2013 kurz die alberne und schrille Farce „Fliegende Liebende". Mit dem still und dann unentrinnbar ergreifenden Mütter-Drama „Julieta", inspiriert von drei Kurzgeschichten Alice Munros („Entscheidung", „Bald", „Schweigen"), schließt der Spanier wieder nahtlos an seine letzten wunderbaren Filme „Die Haut, in der ich wohne" (2011), „Zerrissene Umarmungen" (2009), „Volver – Zurückkehren" (2005) und „Alles über meine Mutter" (1999).

Julieta (Adriana Ugarte) packt gerade ihre Sachen in Madrid, um mit ihrem neuen Freund fort zu ziehen, als eine Begegnung ihr Leben auf den Kopf stellt. Eine ehemalige Freundin ihrer Tochter Antía erzählt beiläufig, sie habe diese am Comer See getroffen. Ein Schock für Julieta, die Antía seit 12 Jahren nicht mehr gesehen hat und nur mühsam über den Schmerz der einseitigen Trennung hinweg gekommen ist. Nun sagt Julieta ihrem Mann ab, zieht wieder in das Haus, in dem sie einst mit Antía lebte und beginnt die Ereignisse seit Antías Zeugung aufzuschreiben, ein „dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit" zu erzählen.

„Julieta" wird eine Geschichte mit vielen Begräbnissen und noch mehr Toten sein. Das Leben teilt Trauer und Schmerz an diese Frau in großen Portionen aus. Julieta sei die verletzlichste und schwächste Mutter aus seinem Universum der Frauen, meint der exzellente Regisseur und Frauen-Versteher. Was Almodóvar nicht einfach erzählt, sondern ungemein kunstvoll bebildert und vertont. Schon zu Anfang blickt Lucian Freud, der Enkel von Sigmund Freud, in seinem intensiven Selbstporträt „Reflection" Julieta aus einem Bilderrahmen über die Schulter. Almodóvar umgibt in diesem kunstreichen Film seine Frauen mit Kunstwerken der Einsamkeit. Bis zum Lied des Abspanns, „Si no te vas" von der vertrauten Almodóvar-Sängerin Chavela Vargas, das den Film zusammenfasst: „Wenn du nicht gehst, werde ich wissen wer ich bin." Der Tod ihrer großen Liebe Xoan stürzte Julieta (jung: Adriana Ugarte) in eine tiefe Depression. Tochter Antía, die gerade mit einer neuen besten Freundin euphorisch auflebt, fängt die Mutter auf, organisiert einen Umzug und kümmert sich auch die nächsten Jahre um Julieta, die von ihr abhängig wird.

Pedro Almodóvar, ein „Kind des Technicolor, das in Popart träumt", wie er selbst sagt, hat seinen 20. Spielfilm zurückhaltender gestaltet. Auffällig sind die unzähligen kulturellen Querverweise, die er auch seinen Schauspielerinnen zur Vorbereitung mitgab. Große monochrome Flächen und rechtwinklige Möbel markieren das geordnete Leben zwischen den Zusammenbrüchen. Danach zieht sie wieder in eine lebendigere Gegend, gibt sich dem Leben und dem Schmerz wieder hin. Bei all den schwer fassbaren, feinen psychologischen Verstrickungen um Julieta herum, ist dies ein packender, sehr berührender, aber kein deprimierender Film. Das liegt nicht nur am offenen Ende, nicht nur am Einfallsreichtum, mit dem das Leben immer neuer Kapriolen schlägt. Es ist vor allem der Genuss, mit dem Almodóvar all dies präsentiert, der „Julieta" zu einem unbedingt sehenswerten Kunstwerk macht.

1.8.16

Ghostbusters

USA 2016 Regie: Paul Feig mit Melissa McCarthy, Kristen Wiig, Kate McKinnon, Leslie Jones, Chris Hemsworth 116 Min. FSK: ab 12

Das gleiche Liedchen, aber irgendwas ist anders als vor 30 Jahren, als „Ghostbusters - Die Geisterjäger" Bill Murray, Dan Aykroyd, Rick Moranis und Harold Ramis ihren Erfolg feierten. Im Rahmen einer Revival-Welle mit „Star Wars", Vinyl und Pokemon hoffte die Geister-Produktion darauf, mit ihrem Remake freudig empfangen zu werden. Doch anders als beim „Star Wars"-Hype wandelten sich die Erwartungen in Ablehnung. Dass lässt sich mit Sexismus erklären, weil statt der komischen Helden Aykroyd und Murray nun vier Frauen im Zentrum stehen. Was der neue Film selbst ausführlich aufs Korn nimmt, leider nur mit weiteren lahmen Scherzen. Denn diese Ghostbusterine ist tatsächlich nur mäßig komisch und beschaulich spektakulär. Die witzige Damenriege von „Saturday Night Live" ist allerdings richtig komisch.

Gerade als die nerdige Physikerin Erin Gilbert (Kristen Wiig) ihre ehemalige Freundin Abby Yates (Melissa McCarthy) aufmischen will, weil die ein karrierefeindliches gemeinsames Buch über paranormale Erscheinungen neu veröffentlicht hat, tauchen in New York tatsächlich wieder Geister auf. Mit der peppigen Technikerin Jillian Holtzmann (Kate McKinnon) und Patty Tolan (Leslie Jones) findet sich ein neues Geisterjäger-Team. Es geht gegen einen frustrierten und gedemütigten Außenseiter, der Geistererscheinungen hervorruft, um sich zu rächen. Die Handlung folgt weitgehend dem Original von Regisseur Ivan Reitman, der diesmal nur als Produzent wirkt. Auch die Effekte wirken beim Geisterfangen mit dem elektrischen Lasso recht altmodisch, was als Hommage nett kommt, aber heutzutage wenig Eindruck macht.

Es dauert es eine Dreiviertelstunde, bis Team und Gerätschaften aufgestellt sind, das Logo auf dem Ghostbuster-Mobil klebt und bei einem Hardrock-Konzert das erste Monster gefangen wird. Zeit genug, erst einmal mit der Technik zu kämpfen und ein paar Scherze mit dem Erbe zu treiben. Bill Murray kommentiert seine Nachfolger als unecht, Dan Aykroyd fährt kurz vor, Sigourney Weaver checkt die Geräte. Komischer als die alten Bekannten funktionieren die Vorstellungs-Runden mit den neuen, vor allem mit dem ungeeigneten, ungeschickten, aber super sexy Sekretär Kevin (Chris Hemsworth).

Richtig Schwung bekommt „Ghostbusters 2.0" erst als ein Geist in Melissa McCarthy fährt. Große Geschütze bewahrt sich der Film für die letzten zwanzig Minuten auf, ein Haufen Geballer, ziemlich lieblos angeklebt. Für diesen wenig anspruchsvollen Ansatz sind die Darstellerinnen extrem überqualifiziert. Kristen Wiig legt die exzellente Wissenschaftlerin Erin Gilbert, die sich erst einmal nicht mit dem Paranormalen beschäftigen will, ebenso überzeugend hin wie Kate McKinnon die sehr peppige Technikerin Jillian Holtzmann. Melissa McCarthy ist eher für Clownereien und grobem Humor zuständig. Die Dialoge sind gut geschrieben, auch wenn die nicht die Relativitäts-Theorie erklären wollen. Regisseur Paul Feig hat sich mit seinen letzten Filmen „Spy - Susan Cooper Undercover", „Taffe Mädels" und „Brautalarm" auf Frauen-Humor und auf Melissa McCarthy spezialisiert. Genau das ist das Pfund dieses Films, die Rededuelle sind flott, die Fetzen fliegen nicht durch irgendwelche Gimmick-Gewehre sondern durch freches Mundwerk im Maschinengewehr-Stakkato.