30.4.16

A Bigger Splash

Italien, Frankreich 2015 Regie: Luca Guadagnino mit Tilda Swinton, Matthias Schoenaerts, Ralph Fiennes, Dakota Johnson 124 Min.

Die Leinwand bebt, wenn Tilda Superstar auf die Bühne tritt. Dann wird es sehr still um den Rockstar - Marianne (Tilda Swinton) muss nach einer Operation an den Stimmbändern schweigen. Was in den schönen und intimen Momenten mit ihren Freund Paul (Matthias Schoenaerts) während eines italienischen Insel-Sommers gar nicht schlecht aussieht. Sogar sehr gut, denn dieser sinnliche Film ist wieder von Luca Guadagnino, der in „I Am Love", auch mit Tilda Swinton, eine der erotischsten Liebesszenen mit feinem Gespür auf die Leinwand brachte.

Die Ruhe ist allerdings hin, als Harry (Ralph Fiennes) auftaucht, Mariannes Ex-Freund in Begleitung seiner Tochter Penelope (Dakota Johnson). Der Musikproduzent, auch der Stones, der Gast, der sich selbst eingeladen hat, redet ununterbrochen und ungehemmt. Hardy ist Pauls alter Freund aber vor allem Mariannes alter Liebhaber. Sechs Jahre hatte sie mit ihm, nun sechs Jahre mit Paul. Wie die jeweils sechs Songs auf den beiden Seiten alter Vinyl-LPs, wie die vorlaute Penelope es dem ihrer Meinung nach „häuslichen Rockstar" vorträgt.

Die sehr vertraute, intime Zweisamkeit ist aufgebrochen. Harry lädt sich noch seine Freunde ein, nun könnten sie nicht mehr frei und nackt sein, bedauert Paul. Eine Rücksicht, die Harry völlig fremd ist. Er hüpft herum, wie er will, und sagt auch, was er will. So kommt Pauls Selbstmordversuch und die Sucht ins Gespräch. Wobei Harry, die britische Billig-Variante eine schöpferischen und zerstörerischen Shiva, letztlich Marianne zurückholen will. Die junge Tochter ist ihm dabei behilflich, auch wenn Paul sich wenig interessiert zeigt.

Zwar ist „A Bigger Splash" ganz klar ein in den Grundzügen wenig verändertes Remake des französischen Klassikers „La Piscine" (Der Swimmingpool) aus dem Jahr 1969 mit Romy Schneider und Alain Delon. Doch man sollte sich nicht am freudlosen Vergleich abarbeiten. Regisseur Luca Guadagnino begeistert erneut mit einer Vielzahl intensiver, sinnlicher und packender Szenen. Anfangs gibt es Sex und Rock'n'Roll in dichter, rascher Folge. Im Drama um Verführung und Eifersucht verstecken sich die Protagonisten gerne hinter verspiegelten Brillen, oder hinter einer ärztlich verordneten Schweigepflicht.

So entspannt sich ein Kampf um das bessere Leben: Paul sei gut für Marianne aber angeblich langweilig, meint Harry. Der sorgt selbst beim altbackenen Dorffest mit der Tochter beim Singen von „Unforgettable" (einst im Duett von Nat King Cole mit seiner Tochter Natalie) für Gänsehaut. Und fängt sich den Verdacht ein, er würde seiner Tochter, die er erst seit wenigen Monaten kennt, zu nahe kommen. Dann geschieht ein Mord und nun wechselt die enorme Spannung zwischen den Personen zur Form des Krimis. Die Musik geht - alles andere als unauffällig - vom Rock zur kraftvollen Klassik über.

Vielschichtig fächert Luca Guadagnino die Beziehungen des Originals auf, erweitert die Verführungen und Eifersüchte des Originals um allgemeinere Themen. Und dann ist ja auch noch dieser Stachel der allgegenwärtigen Flüchtlinge, denn die italienische Insel stellt sich als Lampedusa heraus: Zuerst erschrecken sie ein wenig, dann versucht man ihnen tatsächlich die Täterschaft in die abgelaufen Schuhe zu schieben. Und letztlich ist es die Flüchtlingssituation, die verhindert dass eine Form von Gerechtigkeit obsiegt.

Ralph Fiennes gibt Harry auf überraschend faszinierende Weise als hyperaktiver Spinner und kann sogar Tilda Swinton die Show stehlen. Der belgische Shooting Star Schoenaerts erweitert mit ihr nach Kate Winslet („Die Gärtnerin von Versailles"), Marion Cotillard („Der Geschmack von Rost und Knochen") und Alicia Vikander („The Danish Girl") seine Filmaffären mit attraktiven Filmfrauen und kann im Vergleich mit Alain Delon mithalten. Die Bilder schwelgen in allem, was Lampedusa der Kamera bietet. Und genauso suhlt sich Regisseur Luca Guadagnino auf schöne und fesselnde Weise in menschlichen Regungen und Zuckungen.

27.4.16

The First Avenger: Civil War

USA 2016 (Captain America: Civil War) Regie: Anthony Russo, Joe Russo mit Chris Evans, Robert Downey jr., Scarlett Johansson 148 Min. FSK: ab 12

Viel Lärm um nichts – Teil 3

Wieder schüttelt es die Action-Figürchen von Marvel durcheinander. Das System des Gastauftritts in der Filmreihe eines anderen Comic-Helden ist mittlerweile so ausgefuchst („dritte Phase"), dass es mehr Kombinationen als beim Schach gibt! Diesmal, im Nachfolger von „The Return Of The First Avenger", dreht sich alles um den gleichen Konflikt wie letztens in „Batman vs Superman" oder in der „X-Men"-Saga: Der Einsatz der Avengers fordert ähnlich viele zivile Opfer wie reale Friedens-Missionen in Syrien. So viel „Collateral damage" müssen die Vereinten Nationen unter ihre Kontrolle bringen. Das führt zu zwei Meinungen in der Superhelden-Sammlung, die selbstverständlich nur in einer riesigen Schlägerei ausgetauscht werden können.

Nach fünf Minuten ziellosem Geballer und Angeberei mit Superhelden-Tricks ist dieser Konflikt, der ganz heftig an den Haaren herbeigezogen wird, etabliert. Da ist mittlerweile sogar der Teaser bei Bond besser! Nur der starke Auftritt von Robert Downey jr., dessen schwer gestörter Iron Man gerne mal 600 Millionen für eine 3D-Therapie mit animierter Vergangenheit ausgibt, erweckt Interesse. Zwar werden diese völlig lächerlichen Helden-Figuren erstaunlicherweise von teilweise richtig guten Schauspielern verkörpert, doch Anthony und Joe Russo sind nicht die Regisseure, die aus hervorragenden Schauspielern das Beste herausholen.

Dann dauert es zähe 100 Minuten bis sich zwei Teams aus Super-Sonderlingen gegenüber stehen. Und es bei viel Haudrauf noch uninteressanter wird. Am Ende enthüllt Daniel Brühl als gemeingefährlicher Opferanwalt seinen fiesen Racheplan. Die ganze Kämpferei ist im Prinzip das gleiche wie bei Disneys uraltem Duell "Die Hexe und der Zauberer" - nur teurer.

Hier hat der Marvel-Konzer vor lauter Weltherrschafts-Fantasien vergessen, einen guten Film zu machen. Denn das ist selbst bei Unterhaltung und Action eine Kunst. Dauernd ist die Kamera zu nahe dran und erzeugt ein vor allem nerviges Wirrwarr der Bilder. Witz gibt es nur bei der Rekrutierung von Spider-Boy, der seine Hausaufgaben liegenlässt, um mitzumachen.

„The First Avenger: Civil War" spielt sich vor einem ganzen Spinnennetz von anderen Geschichten und Filmen ab, vergangenen und zukünftigen, die mühsam zusammengeflickt werden müssen. Den ersten Teil des Films schaut man diesem Verweben zu. Wer von Geschichtenerzählen mehr erwartet, als das Versammeln von immer mehr Actionfigürchen in einer Spielekiste, wird gelangweilt sein. Dem Wahnsinn viel zu langer, bedeutungsloser Filme entspricht, dass dies eigentlich nur der endlos ausgedehnte Prolog für die Fortsetzung ist.

Was wirklich erstaunt, ist mit welcher Vehemenz das Problem der Kontrolle von Weltenrettern zum Hauptthema gemacht wird. Die Vereinten Nationen wollen die Avengers kontrollieren. William Hurt äußert als Außenminister deutliche Kritik an US-Außenpolitik. Der Transfer-Schritt von Captain America zur Weltpolizei USA müsste tatsächlich auch für Fans von Superhelden-Verfilmungen machbar sein. Gibt es in dem Grübchen der Superhelden-Film-Produzenten etwa weltpolitische Philosophen? Bisher waren sie mit dem Heftchen und dennoch dünneren Inhalten ja nicht unbedingt in der Gilde der Denker angekommen. Doch die eigentliche Frage ist, was das Ergebnis dieser vermeintlichen Filmepoche sein wird, die Marvel mit aller Marktmacht herbeizwing? Eine Generation von „Fan Boys", die wenig clevere immer alles mit Gewalt regeln wollen?

Der Schamane und die Schlange

Kolumbien, Venezuela, Argentinien 2015 (El Abrazo de la Serpiente) Regie: Giro Guerra mit Jan Bijvoet, Brionne Davis, Nilbio Torres, Antonio Bolívar 125 Min.

In einer faszinierend eigenen Ästhetik, weit weg von westlichen Sehweisen, erzählt „Der Schamane und die Schlange" von einer doppelten Begegnung von Forschern mit Amazonas-Bewohnern. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts stimmt der einsam lebende Schamane Karamakate, der letzte seines Stammes, zu, dem schwer kranken deutschen Forscher Theodor Koch-Grünberg zu helfen. Auf einer langen Flussfahrt suchen sie die geheimnisvolle Yakruna-Pflanze. 30 Jahre später sucht der Botaniker Richard Evans Schultes Karamakate auf. Auch er ist auf der Suche nach der Yakruna. Karamakate hat mittlerweile den Zugang zur Geisterwelt verloren, der Fremde kann mit den Aufzeichnungen seines deutschen Vorgängers die Tradition wieder aufleben lassen.
Die Ethnologen und Natur-Forscher schleppen ihr Wissen auf alberne Weise in haufenweisen Kisten mit sich rum. Das wird nicht nur vom jungen Karamakate verspottet, doch ohne überheblich zu argumentieren, stellt der Film unterschiedliche Konzepte der Wissensvermittlung nebeneinander. Denn Koch-Grünberg will zum Beispiel nicht seinen Kompass bei einem Stamm zurücklassen, damit dieser nicht seine Methode der Orientierung anhand der Sterne vergisst. Im schönen Schwarz-Weiß sind die beiden Geschichten reizvoll verwoben und gewähren nachdenkliche machende Entdeckungen.

26.4.16

Bauernopfer - Spiel der Könige

USA 2014 (Pawn Sacrifice) Regie: Edward Zwick mit obey Maguire, Liev Schreiber, Michael Stuhlbarg, Peter Sarsgaard 114 Min. FSK: ab 6

Patriotismus im Kalten Krieg und Diplomatie der Völkerverständigung am Spieltisch. Der Weltmeisterschaftskampf 1972 zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer (1943-2008) war viel mehr als ein Schachspiel und ein großes Duell der „Sport"-Geschichte. Edward Zwick („Love and other Drugs", „Blood Diamond", „Traffic") zeichnet mit Tobey Maguire („Spiderman", „Der große Gatsby") ein packendes Psychogramm des us-amerikanischen Sonderlings Fischer.

Mitten im Wahnsinn demontiert Bobby Fischer sein Hotelzimmer auf der Suche nach den Abhör-Wanzen einer jüdisch-kommunistischen Weltverschwörung. Von diesem Intermezzo des Titelkampfes geht der Film zurück in die Kindheit eines Schach-Genies, das hochempfindlich auf alle Geräusche reagiert und nur im Schachspiel abgelenkt ist. Die exil-russische Gesellschaft seiner Mutter in Brooklyn verursacht auch früh einen tiefen Riss in Bobbys Persönlichkeit. Einerseits fasziniert von den Russen, die er aber auch verachtet. Das ergibt im Kalten Krieg, angefeuert durch heimlich vom Staat geleitete Berater eine hochexplosive Mischung, die schon bei einem ersten Show-Kampf in Santa Monica zu Fischers Flucht aus dem Spiel führt.

Spiderman spielt jetzt Schach und Tobey Maguire meistert die Rolle sehr glaubhaft. Auch um ihn herum ist „Bauernopfer" mit Liev Schreiber und Peter Sarsgaard hervorragend besetzt. Denn Gegenspieler Spassky packt mit einer faszinierenden Persönlichkeit ebenso wie der Priester Bill Lombardy (Peter Sarsgaard) in Fischers Team.

Zwick hat den komplizierten Verstand, der zeitweise als genial durchging, packend mit Erinnerungen, Gedankenströmen und spannenden Duellen porträtiert. Zu der Frage, wie man ein Schachspiel fesselnd inszeniert, kommt es gar nicht. In seiner Psychose stört sich der hypersensible Spieler Fischer an den kleinsten Geräuschen, eine weitere Ebene des Psychokrieges wird noch vor der nächsten Partie eröffnet. Interessant auch, dass der Film im Moment des Erfolges abbricht und den besonders wirren Teil von Fischers Biografie nur knapp im Text nachliefert.

Ein Hologramm für den König

BRD, Großbritannien, Frankreich, USA 2016 Regie: Tom Tykwer mit Tom Hanks, Alexander Black, Sarita Choudhury, Sidse Babett Knudsen 98 Min. FSK: ab 6

„You may find yourself in an other part of the world" singt David Byrne im Song „Once In A Lifetime" der Talking Heads, und der us-amerikanische Verkäufer Alan Clay (Tom Hanks) findet sich in seinem neuen, dringend benötigten Job tatsächlich im ihm sehr fremden Saudi Arabien. Eine Software für holografische Telefonkonferenzen soll dem König verkauft werden, doch das Team von Clay befindet sich in einer kafkaesken Warteschleife ohne Wlan und Klimaanlage.

Denn im Murmeltier-Modus heißt es täglich: Der König kommt heute wieder nicht. Zeit also, „Lost in Translation" und im Jetlag die kleinen Tode eines Handlungsreisenden zu erleben. Oder eine exzessive Party in der dänischen Botschaft, wo eine schöne Finanzspezialistin etwas von ihm will. So ist Alan Clay bald dauernd verkatert in einem Land, in dem Alkohol verboten ist, und bricht letztendlich zusammen, so wie vorher öfters Stühle unter ihm. Eine sehr interessante Ärztin behandelt die mysteriöse Beule an seinem Rücken mit mehr Nähe, als es die dortige Gesellschaft zulässt.

Tom Tykwer, der innovativste der internationalen deutschen Regisseure („Winterschläfer", „Lola rennt", „Heaven"), bringt die Routine des Stillstands („Same as it ever was..." heißt es bei den Talking Heads) in reizvolle Bilder und Abläufe. Immer wieder zeigt sich sein besonderes Auge für Architektur-Fotografie (Kamera: Frank Griebe), anfangs legt er im schnellen Rhythmus irre Szenen rundum Tom Hanks neuem Jedermann hin.

Man kann in diesem müden Alan Clay das Ende des US-Kapitalismus verkörpert sehen, der in einer neuen Weltordnung links und rechts überholt wird, nachdem er sich selbst und seine Produktion zuvor Billig-Ländern ausgeliefert hat. Denn Clay hat einst die Fahrrad-Produktion von Swinn nach China ausgelagert, was ihm Schuldgefühle und Spott wegen dieses klassischen Falls idiotischer Sparbemühungen mit katastrophalem Ausgang einbringt.

Man kann auch die Verlorenheit (Lost in Translation) von Clay mit den Warteschleifen von Drehbuchautoren in Hollywood vergleichen - siehe „Barton Fink". Die gleichnamige Vorlage zu „Ein Hologramm für den König" stammt vom angesagten Autor Dave Eggers. Er schrieb schon die Vorlage zu „Promised Land", dem Anti-Fracking-Film mit Matt Damon, und war auch Drehbuchautor der bemerkenswerten „Away We Go" sowie „Wo die wilden Kerle wohnen".

Während also der Sand in der Wüste gepflegt wird, wo als Traumschloss mal eine Stadt für 1,5 Millionen Menschen stehen soll, entdeckt die staunende Figur von Hanks zwischen Angst-Neurosen und Panik-Attacken auf Abwegen spannende Kultur-Unterschiede, aber auch, dass sie bloß ein feiner Schleier trennt. Das gilt besonders für die schöne Romantik zwischen Clay und seiner Ärztin Dr. Zahra Hakem (Sarita Choudhury). Nur für die wunderschöne Liebesszene unter Wasser („Into the blue again, into the silent water", Talking Heads) lohnt sich dieser Film.

Zwar gibt es Kritik an den Verhältnissen, an den irgendwie selbstverständlichen Hinrichtungen vor dem Balkon, den Arbeitssklaven all überall („Gewerkschaften haben wir hier nicht, wir haben Philippinos") und den extrem eingeschränktem Lebensmöglichkeiten für Frauen. Aber vor allem lässt sich eine überraschende Art der Völkerverständigung entdecken, sowie kleine Nischen in den rigiden Regeln des wahhabitischen Staates.

Auch Tom Hanks wirkt schließlich völlig befreit von seinen Rollen und Images. Das Ende verläuft zwar etwas zum harmonisch, als ob es einen Zwang zum Happy End gegeben hätte. Da wird Einiges ruckzuck beendet oder gar vergessen, bei dem man gerne eine runde Verabschiedung erlebt hätte. Doch insgesamt ist „Ein Hologramm für den König" ein sehr, sehr interessanter, komischer und zugleich nachdenklicher Film, der auf vielfältige Weise unbekannte Territorien und Sichtweisen zeigt.

25.4.16

Ratchet & Clank

USA 2016 Regie: Kevin Munroe, Jericca Cleland 94 Min. FSK: ab 6

Dass ein PlayStation-Spiel verfilmt wird, kann nicht mehr erstaunen, nachdem sowohl Konsolen-Spiele („Resident Evil") als auch Freizeitparks („Fluch der Karibik") als Ideengeber herhalten mussten. „Ratchet & Clank" bietet nun im Kinder-Kino einen Mix von animierter Figuren, die selbst im Science Fiction-Setting nicht unbedingt aus einem Guss wirken. Die Fuchs-Katzen-Mischung Ratchet träumt davon, ein Galactic Ranger zu werden. Das Casting dazu bringt ihm zwar die deprimierende Abfuhr des selbstverliebten Anführers Qwark ein, aber eine heldenhafte Rettungsaktion des raffinierten Mechanikers macht ihn zum neuen Star. Der Einsatz gegen den Planeten-Zerstörer eines wahnsinnigen Wissenschaftlers erfordert allerdings auch Team-Geist. Von der gegnerischen Seite wird der zu klein geratene Roboter Clank zum Freund Ratchets.

Man muss nur ungefähr einen Film pro Jahr sehen, um schon „Ratchet & Clank" als Kopie erkennen zu können. Die Pod-Racer-Raserei, das übliche Casting und der Aufstieg eines Underdogs. Zu erschreckend wenig eigene Ideen gesellen sich austauschbare Figuren und Sätze vom Fließband. So ist diese Science Fiction-Animation aus dem Haus Sony vor allem bunt. Die Waffensammlung mag für PS-Spieler lustig sein, seltsam ist, wenn ausgerechnet ein Handy-Hersteller unaufmerksame Dauern-Smser abknallt. Spät gibt es etwas Action, dann Drama und das Comeback des gefallenen Helden. Nur manchmal blitzt in den Dialogen Witz auf, klebrige Moralsprüche triefen dagegen dauernd aus den Lautsprechern. Vor allem wenn man dies mit dem „Alles steht Kopf " (mittlerweile auf DVD) vergleicht, muss diese digitale Kleckserei im Farbtopf schwer enttäuschen.

Ich bin tot, macht was draus!

Belgien, Frankreich 2015 (Je suis mort mais j'ai des amis) Regie: Guillaume Malandrin, Stéphane Malandrin mit Bouli Lanners, Wim Willaert, Lyès Salem, Serge Riaboukine, Eddy Leduc, Jacky Lambert 96 Min. FSK: ab 6

Bouli Lanners gehört zu den Lieblingen des frankophonen Kinos. Als Schauspieler in großen Erfolgen wie „Asterix & Obelix - Im Auftrag Ihrer Majestät" oder „Der Geschmack von Rost und Knochen". Und als Regisseur sowie Darsteller kleiner, sympathischer Produktionen. Seine imposante Erscheinung ist aus dem französischen Kino mittlerweile nicht mehr wegzudenken, er spielte neben Depardieu, Marion Cotillard oder seinem flämischen Landsmann Matthias Schoenaerts.

Nun läuft Lanners im von ihm geliebten Format des Road Movie zur Höchstform auf: Yvan (Lanners) steht mit seiner belgischen Band „Grand Ours" vor der US-Tournee, als auf kuriose Weise der Leadsänger Jipé (Jacky Lambert) tödlich verunglückt. In einer grandiosen Szene müssen sich Yvan und seine Kumpels die Urne ihres Frontmannes von seinem Schnulzensänger-Bruder zurückholen. Damit fangen die Probleme erst an, weil die verbliebene Band des Verblichenen die US-Tour trotzdem durchziehen will. Mit Jipé in einer Dose Lütticher Birnensirup. Aber nicht mit dessen Liebhaber Dany (Lyès Salem), der plötzlich auftaucht und von dem niemand etwas wusste - geschweige von Jipés Homosexualität!

Die bärtigen Alt-Rocker stürzen erst bei der Trauerfeier ab und danach fast auch mit dem Flieger. Weil das die Flugangst des Bassisten Wim besonders beflügelt, will der lieber mit dem Zug vom Notlande-Flughafen in Kanada weiterfahren. Allerdings geht es stundenlang in die falsche Richtung, zu den Eskimos und nicht nach Montreal. Aber ein paar Züge am Joint später ist es eine wilde Party-Eisenbahn.

Mit herrlicher Punk-Attitude erzählen die Brüder Guillaume und Stéphane Malandrin von Freundschaften in Bewegung, zu Land und in der Luft, in traumhaften Straßenkreuzern und endlosen Zugfahrten. Sie waren auch schon federführend an dem berührend makabren „Kill me please" (2010) beteiligt. „Ich bin tot, macht was draus!" wäre richtig und weniger blödsinnig mit „Ich bin tot, aber ich habe Freunde" übersetzt. Doch das kann diesem herrlich bis absurd komischen Film mit seinen sympathisch rauen Charakteren nichts anhaben. Er erinnert etwas an die Filme „Mammuth" (2012) und „Der Tag wird kommen" (2012) der Regisseure Benoît Delépine und Gustave Kervern, bei beiden denen übrigens Bouli Lanners auch mitspielte.

20.4.16

Much Loved

Frankreich, Marokko 2015 Regie: Nabil Ayouch mit Loubna Abidar, Asmaa Lazrak, Halima Karaouane, Sara Elhamdi Elalaoui 103 Min.

Noha, Randa und Soukaina sind Prostituierte in Marrakesch, die in einer Frauen-WG zusammenleben. Wir erleben ihren nächtlichen Alltag exzessiver Partys mit saufenden und koksenden Saudis, die Fleischbeschau mit vielfältigen Erniedrigungen, die unverhüllten, direkten Gespräche der Frauen untereinander.

Soukaina hat einen eifersüchtigen Liebhaber, der sie auch nicht besser behandelt und sie nach dem Quickie auf einem Hinterhof auch noch um Geld anbettelt. Ähnlich verächtlich verhält sich die gierige Mutter von Noha, die immer mehr Geld verlangt, aber die Arbeit der Familienernährerin verachtet. Es gibt Versuche von Liebe, heftige Zicken-Alarme, Treffen mit den Transvestiten-Kollegen und die Vergewaltigung durch den korrupten Polizisten. „Much Loved" will ein gesellschaftliches Bild Marokkos geben. Dabei berührt das Leid der Frauen durch die unterschiedlichen Zwänge, die strukturelle und manifeste Gewalt. Weitere schockierende Details, wie der Straßenjunge, der von Europäern gekauft wird, sind ebenso untergemischt wie atmosphärische Aufnahmen von den Straßen Marrakeschs und wechseln sich ab mit ruhigen, freudigen Momenten der Frauen-Gemeinschaft.

Der marokkanische Regisseur Nabil Ayouch („Mektoub", „Ali Zaoua", „Les chevaux de dieu") entwickelte den Film auf der Basis von Gesprächen mit hunderten Prostituierten. Er gibt sich einen aufklärerischen Anstrich, dabei sind die Hintergründe der Frauen eigentlich etwas dünn entwickelt, auch wenn die Beobachtungen in „Much Loved" wenigstens nicht zu sehr ins Voyeuristische abdriften. Trotzdem soll die Hauptdarstellerin Loubna Abidar nach der Cannes-Premiere Morddrohungen erhalten haben. Ein interessanter Film und regional ein Politikum.

19.4.16

Visions

USA 2015 Regie: Kevin Greutert mit Isla Fisher, Anson Mount, Gillian Jacobs 82 Min.

Das Drehbuch dieses mäßigen Horrorfilms greift sich ganz fies zu Beginn ein Baby, um es im Verkehrsunfall umkommen zu lassen. Die unschuldige Fahrerin des anderen Autos wird ein Jahr später während ihrer Schwangerschaft auf einem sonnenüberfluteten kalifornischen Weingut von unheimlichen Erscheinungen heimgesucht. Es sind die üblichen Horror-Zutaten, die geheimnisvoll tragische Vorgeschichte des Hauses, eine unheimlich okkulte Weinkennerin, die das Bett des Paares beschwört. Wobei man das als Spinnerei einer Schwangeren, als reale Bedrohung oder als Übersinnliches einordnen kann. In der unübersichtlichen Dramaturgie wird man ebenso verwirrt wie die Hauptfigur. Dabei ist die Hauptdarstellerin nicht überzeugend, zudem der Ehemann seltsam uninteressiert an den Sorgen seiner Frau. Wie so oft enttäuscht auch die simple Auflösung.

The Lobster (DVD)

Regie: Yorgos Lanthimos

Science-Fiction

Nach dem Debakel um den Holocaust-Film „Son of Saul" erneut erweist sich Sony erneut als Verhinderer von Kino-Kultur. „The Lobster", der spannendste Film des Jahres, der nicht im Kino angelaufen ist, erscheint nun aber wenigstens auf DVD. Colin Farrell, Rachel Weisz, Lea Seydoux, John C. Reilly und Ben Whishaw sind die Stars dieser Komödie, die den seltsamen Paarungszwang unserer Gesellschaft auf herrlich schräge Weise bloßstellt: „The Lobster" zeigt eine Welt, in der niemand Single sein darf. Wer alleine lebt, wird eingefangen und hat in einer streng geführten Besserungsanstalt 45 Tage Zeit, einen Partner zu finden. Sollte das nicht funktionieren, wird er oder sie in ein Tier der Wahl verwandelt. Doch in den Wäldern vor der skurrilen Klinik versteckt sich eine Widerstandsbewegung - mit ähnlich absurden Gesetzen. Hier ist Liebe und Paarung unter Androhung grausamer Strafen verboten. Nachdem der Single David (Colin Farrell) der Klinik entfliehen kann, verliebt er sich in die „kurzsichtige Frau" (Rachel Weisz), was von der harten Rebellen-Führerin (Léa Seydoux) bestraft wird.

Regisseur Yorgos Lanthimos („Dog Tooth", „Alpen") gehört mit Athina Rachel Tsangari („Chevalier", „Attenberg") zu den herausragenden Köpfen der neuen griechischen Welle. „The Lobster" ist eine herrlich abstruse Parabel auf das Paarungsverhalten moderner Menschen.

Danish Dynamite. Dänemark dominiert das Kino.

Ganz kurz weicht mal die Popcorn-Dominanz Hollywoods einer Qualitäts-Sternstunde aus Dänemark: Momentan kann man mit „A war" (Krigen) und „Unter dem Sand" nicht nur zwei sehr gute dänische Kriegsfilme im Kino sehen, Thomas Vinterbergs „Die Kommune" ist schon wieder einer der unfassbar großen und umfassend klugen Lebensfilme aus dem kleinen Land im Norden. Dazu sind aus der großen Gruppe international erfolgreicher dänischer Schauspieler wieder herausragende Beispiele zu sehen: Die 1972 in Odense geborene Trine Dyrholm gewann bei der Berlinale 2016 den Silbernen Bären als Beste Darstellerin mit dem dänischen Drama „Die Kommune". Zuvor sah man sie 2012 neben Pierce Brosnan in Susanne Biers Tragikomödie „Love Is All You Need" , mit Daniel Brühl 2014 im Thriller „Who Am I - Kein System ist sicher". Lange vor dem internationalen Schauspiel-Erfolg war sie in Dänemark als Sängerin Kinderstar.
Nikolaj Coster-Waldau, der als Hauptfigur Horus in „God of Egypt" sein Können versilbert, wechselt problemlos zwischen großen internationalen Produktionen und dänischem Qualitäts-Film hin und her. Zuletzt packte der 1970 in Rudkøbing Geborene wirklich in Susanne Biers „Zweite Chance", wo er als Polizist ein fremdes Baby entführt, um seine Ehe zu retten. Dass Pilou Asbæk, der den von Gewissenskonflikten zerrissenen dänischen Offizier in „A war" spielt, aus als Euron in „Game of Thrones" zu sehen war, passt in das Bild eines Landes mit umfassend geförderter Schauspiel- und Film-Kultur.

Die Kommune

Dänemark 2015 (Kollektivet) Regie: Thomas Vinterberg mit Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard Neumann, Martha Sofie Wallstrøm Hansen, Lars Ranthe 111 Min.

Thomas Vinterberg ist einer der bemerkenswerten Regisseure unserer Zeit: Als Mitinitiator des Dogma-Manifestes reizte er die Möglichkeiten des Erzählens aus. Das Familiendrama „Das Fest" gewann 1997 Preise in Cannes und wurde zur europäischen Entdeckung des Jahres gewählt. 2012 sorgte „Die Jagd" mit Mads Mikkelsen in der Rolle eines fälschlich Beschuldigten erneut in Cannes für Aufregung. Nun demaskiert Vinterberg in „Die Kommune" das freie WG-Leben der späten Sechziger als erschütternd verantwortungslos. Für Hauptdarstellerin Trine Dyrholm gab es bei der Berlinale 2016 den Preis als Beste Darstellerin.

Es ist die klassische Kernfamilie, die sich in den 70er die geerbte Villa in einem Kopenhagener Nobelviertel anschaut: Erik (Ulrich Thomsen) und Anna (Trine Dyrholm) erkunden mit dem Sohn die vielen Etagen und Zimmer. Doch obwohl sie prominente Nachrichten-Sprecherin ist und er als Architektur-Professor lehrt reicht das Geld nicht. Mieter - lautet seine pragmatische Lösung. Eine WG will sie, begeistert von der Aufbruchsstimmung der Zeit. Und auch etwas gelangweilt vom Eheleben: „Du redest nur, bringst mich zum lachen, aber ich habe schon alles gehört", lautet ihre kalte Ansage, die sich rächen wird!

Nach einem witzigen Casting von allesamt komischen Mitbewohnern, deren problematische Seite direkt deutlich wird, überschreibt Erik sogar sein Erbe der Gemeinschaft. Und sucht sich bald als Gegengewicht die junge Studentin Emma als Geliebte (Helene Reingaard Neumann). Aus dem ulkigen WG-Chaos mit dem weinerlichen schwedischen Flüchtling, der nie Geld hat, mit der herrischen Linken und dem kleinen Jungen, der jederzeit sterben könnte, kristallisiert sich langsam das Drama der betrogenen Anna heraus. Denn selbst als Emma komplett einzieht, statt wie verabredet nur eine Weile zu bleiben, bleibt Anna den großen Idealen der Gemeinschaft treu und erträgt den lauten Sex des Ex im Nebenzimmer.

Thomas Vinterberg, der international gefeierte Regisseur, der selbst in einer Wohngemeinschaft aufwuchs, rechnet in diesem bitteren Drama, von Trine Dyrholms Spiel mit kaum aushaltbaren Leid ausgestattet, mit dem bunten WG-Ideal und dem Image einer uneigennützigen Hippie-Generation ab. Das Drehbuch, das er zusammen mit seinem ebenfalls exzellenten Ko-Autor Tobias Lindholm („A war") schrieb, zeichnet den Niedergang der Utopie in vielen Details feinsinnig und lebendig nach. Und auch psychologisch ist „Die Kommune" stimmig und äußerst packend. Wie sich der etwas ältere Erik unter all den Gutmenschen schnell einsam fühlt, wie Anna bis zum Zusammenbruch an der Idee der Gemeinschaft festhält und wie vor allem der kleine Sohn viel zu viel mitbekommt. In dem wunderbar reichen Film ist auch noch Platz für seine schöne Geschichte und seinen Ausweg.

In vielen Schichten und passenden Bildern umfasst „Die Kommune" das ganze Leben. Vom freizügigen und vertrauten Sex bis zum Tod - eines Kindes und einer Idee. Das ist höchste Drehbuch- und Inszenierungskunst. Lässt aber vor alle Trine Dyrholm strahlen, die das Leiden ihrer Figur mit schmerzlicher Offenheit spielt. Ein filmischer Diamant, der in vielen Facetten schillert und der dem Zeitalter der Liebe mit Elton Johns „Goodbye Yellow Brick Road" kongenial einen Abgesang bereitet.

17.4.16

Gods of Egypt

USA, Australien 2016 Regie: Alex Proyas mit Nikolaj Coster-Waldau, Gerard Butler, Geoffrey Rush, Brenton Thwaites 128 Min. FSK: ab 12

„Gods of Egypt", die Götter Ägyptens, machten vor allem auf sich aufmerksam, weil irgendwas an ihrer Hautfarbe nicht stimmen sollte: Es gab Proteste, weil der Darsteller des Gottes Horus ethnisch nicht im richtigen Ton wie ein alter Ägypter gebräunt war. Die Beschwerdeführer sind wahrscheinlich die gleichen Leute, die Othello immer von einem Schwarzen gespielt sehen wollen, um ausgerechnet dadurch auszudrücken, dass die Hautfarbe KEINE Rolle spielt.

Dass ein Däne als Witzfigur auf Ägyptens Thron sitzen soll und andere Unzulänglichkeiten spielt aber nur eine Nebenrolle in einem mit viel Geld produzierten, sehr nebensächlichen Film: Am Tag seiner Inthronisierung wird der verkaterte ägyptische Gott Horus (Nikolaj Coster-Waldau) von seinem Onkel Set (Gerard Butler) gestürzt. Der verbannte und seiner Laser-Augen beraubte Thronfolger verbündet sich mit einem sehr menschlichen Meisterdieb Bek (Brenton Thwaites), um die Diktatur Sets zu beenden. Der gerissene Mensch will als Belohnung seine Geliebte Zaya (Courtney Eaton) aus dem Totenreich zurück erhalten.

Dieser reizlose Mix aus Mythos und Fantasy erstaunt vor allem mit banalem Geschwätz („Leben ist eine Reise"). Lichtschwerter, aufgepimpte Dune-Würmer und Kram aus mehreren alt-ägyptischen Epochen konkurrieren mit billigen Effekten um viele Punkte im Trash-Wettbewerb. Das ist alles jetzt schon so albern wie alte Sandalen-Filme nach einigen Jahrzehnten. Völlig übertriebene Sphinx-Animationen, eine Art Robocop aus der Wüste und mechanische Automaten als Wächter-Ersatz in einem Tresor mit ziemlich moderner Sicherheitsanlage, das passt alles nicht zusammen und qualifiziert sich früh für die Verleihung zum schlechtesten Film des Jahres.

Götter sind in diesem Film erst mal viel größer als Menschen und verhalten sich wie Boxer im Morgenmantel bis sie sich dank digitaler Tricksereien in metallische Tier-Wesen transformieren. Dann geht die Prügelei mit Flügeln oder Klauen einfach weiter. Göttlich! So ist Größe albern, weil nicht gespielt sondern herbeigetrickst. Am schlimmsten anzusehen bei Geoffrey Rush als Sonnengott Ra, der auf einer Art Space Station täglich eine dunkle Bedrohung der Sonne bekämpft. Und Murmeltiere wahrscheinlich auch.

Gerard Butler kann sich in solchen Filmen immer noch nicht von seiner spartanischen „300"-Rolle als Haudrauf im Ledertanga lösen. Da steht - selbst ohne vorherige Krankheit wie bei Silvester Stallone - die Mimik einem weitergehenden Ausdruck immer im Wege. Wirklich eindrucksvolle Götter wie in Neil Gaimans „Gods of America" sind nicht zu erleben. Wenn man an den Horus in Enki Bilals Comicreihe „Alexander Nikopol" sowie der Verfilmung „Immortal" zurückdenkt, muss man angesichts dieses überzogenen Wedelns mit digitalen Kostümen und Kulissen echt weinen. Auch der Vergleich zu des Regisseurs toller Fantasy „Dark City" aus 1997 fällt vernichtend aus.

12.4.16

A War

Dänemark 2015 (Krigen) Regie: Tobias Lindholm mit Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Søren Malling 120 Min. FSK: ab 12

Eine tödliche Minen-Explosion. Der an die Nerven gehende Alltag der Patrouillen, die der Bevölkerung Sicherheit geben sollen und die Taliban kurzzeitig fern halten. Einem verwundeten Mädchen helfen und einen vermeintlichen Taliban aus der Ferne erschießen. Der Alltag dänischer ISAF-Soldaten in Afghanistan ist nüchtern und nervenaufreibend. Ebenso eindringlich schildert „A war" den Alltag der Frau der Kommandanten mit drei Kindern alleine zuhause. Papa kommt schneller als erwartet zurück, denn er hat, als seine Truppe angegriffen wieder jemand lebensgefährlich verletzt wurde, ein Bombardement angefordert, das den Tod von 11 afghanischen Zivilisten zur Folge hatte. Nun muss er sich in Dänemark vor einem Gericht verantworten.

Regisseur Tobias Lindholm („R", „Hijacking", „Borgen"), ein Spezialist für solch moralisch schwierige Themen, hält in seiner Inszenierung sehr geschickt die Waage zwischen der Solidarität unter „Kameraden" und dem Kriegsrecht zum Schutz von Zivilisten in Konfliktsituationen. Dabei erfolgt die Kriegs-Darstellung nicht als Action sondern erschreckend eindringlich im Stil von Kathleen Bigelow. Wenn nebenbei auch Familienleben in Afghanistan und Dänemark verglichen wird, macht „A war" klar, dass es auch in diesem Krieg keine Lösung und nur Opfer gibt. Das sehr realistische und ganz, ganz bittere Szenario gelingt mit exzellenten Schauspielern, etwa mit Hauptdarsteller Pilou Asbæk, der auch in „Game of Thrones" zu sehen ist.

Hardcore (2015)

Russland, USA 2015 Regie: Ilya Naishuller mit Sharlto Copley, Haley Bennett, Danila Kozlovsky 92 Min. FSK: ab 18

Das ist die Härte: Ein kompletter Actionfilm aus der First Shooter-Perspektive eines Video-Spiels. Eine nur vermeintlich originelle Idee, die sich sehr, sehr schnell totläuft, weil das Ganze auch nur die Dramaturgie eines Videospiels hat. Henry wacht in einem Labor auf, bekommt einen Arm und ein Bein angeschraubt, aber bevor der vermeintliche Cyber-Mensch auch eine Stimme bekommt, startet mit einem Überfall eine extrem atemlose Rennerei, die wir nur aus der Perspektive Henrys verfolgen müssen. Der filmische Egoshooter hat vor allem in seiner gesichtslosen Hauptfigur zu wenig Persönlichkeit, als dass „Hardcore" mehr als eine schwer ertragbare, schaukelnde und wackelige Kuriosität des Kinobetriebes sein kann.

The Jungle Book

USA 2016 Regie: Jon Favreau mit Neel Sethi 106 Min. FSK: ab 6

Als die (Film-) Welt noch flach war, kam Rudyard Kiplings „Dschungelbuch" als Zeichentrickfilm von Disney ins Kino und begeisterte seitdem Generationen. Nun gestaltete Jon Favreau, der Regisseur des „Ironman", die Erwachsenwerdung von Mogli, was Warnung genug sein sollte: In diesem Dschungel (-buch) geht es eher rund als ans Herz.

Das Menschenkind Mogli wächst im indischen Dschungel unter Wölfen auf und lebt nach den Regeln des Rudels. Obwohl Mogli seine ungewöhnlichen Tricks nicht anwenden soll, wandelt er sich langsam vom Tier zum Menschen. Erst recht als der Tiger Shir Khan auch diesen Menschen zu seinem persönlichen Feind macht und aus dem Dschungel vertreiben will. Nun kann selbst sein väterlicher Beschützer, der Panther Baghira, dem Menschenkind nicht mehr helfen. Doch in dem gemütlichen Bär Balu findet es einen neuen Freund, um zuerst den Orang-Utan King Louie und schließlich auch Shir Khan zu besiegen.

Disney macht nicht nur aus dem neu eingekauften „Star Wars" eine Fließband-Produktion, auch die eigenen Zeichentrick-Klassiker kommen um ein Recycling nicht herum: „Dornröschen" wurde bereits mit „Maleficent" unsanft aus dem Schlaf geweckt und „Cinderella" in einer Real-Verfilmung mächtig entstaubt. „The Jungle Book" ist nun eigentlich bei all den gepixelten Illusionen kein Real-Film, sieht aber in jedem Tierhärchen verblüffend echt aus. Und ist ansonsten überwältigend bis erschreckend. Also oft nichts für kleine Kinder. Und auch nichts für die Kinder, die den Trickfilm „Das Dschungelbuch" von 1967 gesehen haben.

„The Jungle Book" ist immerhin ein Film von Jon Favreau, ein bekannter Schauspieler und sehr geschätzter Regisseur von „Ironman" aber auch vom kleinen, sehr sympathischen „Kiss the Cook". Favreau kann also die Kino-Klaviatur in jeder Tonlage und Lautstärke bespielen. Diesmal haut er heftig in die Tasten eines dauernd lauten Überwältigungskinos, das alle Fans des Zeichentrickfilms abschrecken muss. Es reduziert zudem die Mogli-Kapitel aus Kiplings siebenteiligem Werk auf eine Rache-Geschichte, auf das Duell Mensch gegen Tiger.

Die völlig irritierenden Mundbewegungen der sprechenden Tiere werden im Original von ausgezeichneten Sprechern wie Bill Murray (Balu), Ben Kingsley (Baghira), Christopher Walken (King Louie) oder Idris Elba (Shir Khan) aufgewogen. Wer möchte sich nicht von der Stimme Ssscarlett Johansssssonsss („Her", „Under the Skin") in der Haut von Kaa hypnotisieren lassen. So wirken die tierischen Charaktere zwar echt, doch immer im Zusammenspiel mit dem armen jungen, immer rennenden und hüpfenden Action-Darsteller Neel Sethi fällt das Konstrukt auseinander. Die Probleme des angeblichen Kolonialismus in Kiplings Roman spielt Balu runter mit der Bemerkung das Gesetz des Dschungels „sei kein Lied, sondern Propaganda". Sein Lied „Versuchs mal mit Gemütlichkeit" überlebt neben dem Evergreen „I wanna be like you" von King Louie (durch Christopher Walken erbärmlich gesungen) tatsächlich als Einziges den Sprung vom Klassiker zur eher wenig gemütlichen Action-Neuverfilmung.

Fritz Lang

BRD 2015 Regie: Gordian Maugg mit Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf 104 Min. FSK: ab 12

War Fritz Lang (1890-1976), der bedeutendste deutsche Regisseur der Vorkriegszeit, der Schöpfer von „Die Nibelungen" und „Metropolis", ein Mörder? War er deshalb so an der Geschichte des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten interessiert? Regisseur Gordian Maugg verwebt auf packende Weise eine fiktive biographische Geschichte um Fritz Lang mit der Entstehung von dessen Meisterwerk „M – Eine Stadt sucht eine Mörder" aus dem Jahr 1931.

Ein verzweifelter Kokser, der mit seinen eigenen Trieben kämpft und nicht über eine verlorene Liebe hinweg kommt - so erleben wir den berühmten Stummfilm-Regisseur Fritz Lang (Heino Ferch) um 1930 herum: Weder Ruhm noch seine Ehefrau und Schreibpartnerin Thea von Harbou (Johanna Gastdorf) können ihn interessieren. Aber eine Zeitungsmeldung über eine Düsseldorfer Mordserie lässt ihn sofort aufbrechen und an den Tatorten recherchieren. Auf der Spur des legendären Massenmörders Peter Kürten trifft Lang einen Kommissar, der ihn noch immer verdächtigt, und eine junge Frau, die ihn an eine unter ungeklärten Umständen verstorbene Liebe erinnert.

Äußerst kunst- sowie reizvoll und elegant setzt Regisseur Gordian Maugg („Hans Warns - Mein 20. Jahrhundert", „Der olympische Sommer") wieder seine bewährten Collagen von historischem und inszeniertem Material ein, um schnell ein Gefühl der neuen Vorkriegs-Zeit zu schaffen: Die Schlagworte „entartet" und grölende SA-Horden tauchen nicht mehr nur am Rand auf, „Zeiten, die sich ändern" werden Lang angedroht. Dabei „inszeniert" Maugg gleich eine ganze Zugreise von Berlin nach Düsseldorf mit historischem Material und baut seinen Fritz Lang sogar in eine prägnante Szene aus seinem eigenen „M – Eine Stadt sucht eine Mörder" ein. Erinnerungen an grausame Kriegserfahrungen vermischen sich mit richtigem Kinotopp, wenn Lang seine Kriegs-Pistole einpackt. Ganz modern spürt Lang geradezu übersinnlich den Morden nach und wenn der Produzent auf Start der Dreharbeiten drängt, während der Prozess gegen Kürten noch läuft, muss man unweigerlich an die TV-Verfilmungen der NSU-Morde denken. Tatsächlich aber interessiert sich der sehr dichte und vielschichtige Film im Kern wie Truman Capotes „Kaltblütig" für die psychologische Struktur des Täters, der sich Lang beängstigend verwandt fühlt.

Wie sehr sich Fritz Lang in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, zeigt selbst das aktuelle Cannes-Plakat: Es ist eine Szene aus einem fiktiven Fritz Lang-Film, inszeniert von Godard in „Le Mepris", in dem Lang sich selbst spielt, neben Brigitte Bardot! Dass es einen ungeklärten Mordfall in der Vergangenheit Langs geben soll, ist weniger bekannt. Gordian Maugg macht daraus gleich mehrere Geschichten, die sich nahtlos ergänzen: Eine der aufgeheizten Zeitstimmung, einen Krimi, eine biografisch, psychologische Analyse und eine Film-Geschichte. Das funktioniert erzählerisch und ästhetisch hervorragend, trotz einem anständigen, aber nicht herausragenden Heino Ferch in der Hauptrolle. Denn auch diesmal - wie Peter Lorre in „M" - ist wieder der getriebene Täter (Samuel Finzi als Peter Kürten) eindrucksvoller.

Wild

BRD 2014 Regie: Nicolette Krebitz mit Lilith Stangenberg, Georg Friedrich, Silke Bodenbender 97 Min. FSK: ab 16

Dies ist tatsächlich ein in jeder Hinsicht wilder Film: Die populäre Schauspielerin Nicolette Krebitz („Tatort") ist auch eine sehr kluge und mutige Regisseurin. Ihr dritter Spielfilm nach „Jeans" und „Das Herz ist ein dunkler Wald", ihrer „Medea" mit Nina Hoss, stellt alle Erwartungen auf den Kopf.

Ania (Lilith Stangenberg) ist eine stille, unscheinbare Büromaus in grauer Vorstadt-Kulisse. Bis sie auf dem Weg zur Arbeit im Park einen Wolf sieht. Nun will sie das Tier mit rohem Fleisch, Geheul vom Balkon und Kaninchen aus der Zoohandlung anlocken. Tatsächlich kann Ania den Wolf mit einer alten Jagd-Technik einfangen, betäuben und in ein Zimmer ihrer Wohnung sperren. Der dramatische und komische Versuch der Domestizierung misslingt, stattdessen verwildert die junge Frau. Ihr gesellschaftliches Grau passt nun zum neuen Partner, mit dem sie nach wilder sexueller Fantasie vertraut gemeinsam frühstückt. Plötzlich kuscht selbst der großkotzige Leitwolf der Agentur, aber Ania will mehr, vor allem Freiheit.

„Wild" ist eine feministische Parabel, ein wilder Spaß, der Klischees von Freiheit in einem wahnsinnigen „Zurück zur Natur" fast tollwütig werden lässt. Gleichzeitig erzählt der sehr freie Film in Bild und im Spiel der faszinierenden Lilith Stangenberg („Der Staat gegen Fritz Bauer") immer wieder zärtlich und poetisch. Es ist insgesamt schwer einzufangen, dieses wilde Tier von einem sehr bemerkens- und sehenswerten Film: Atemberaubende und ans Horror-Genre erinnernde sexuelle Fantasien lösen sich mit einem aberwitzig komischen Spruch auf. Selbst wenn beliebte Interpretations-Schemata wie Köder ausgestreut sind, folgt Autorin und Regisseurin Nicolette Krebitz ihrer ganz eigenen Fährte. Das ist hemmungslos, tierisch, teilweise anarchisch und lässt einen wenn schon nicht wild, zumindest angenehm ruhelos zurück, weil Bilder und Gedanken noch lange wie ein eingesperrtes Tier im Kopf hin und her rennen.

The Lady in the van

Großbritannien 2015 Regie: Nicholas Hytner mit Maggie Smith, Alex Jennings, Jim Broadbent 105 Min. FSK: ab 6

Ganz anders als der Trailer vorlügt, handelt es sich bei „The Lady in the van" keineswegs um eine nette Komödie über eine schrullige, obdachlose alte Dame. Maggie Smith („Downton Abbey") spielt zwar auf grandios mutige und kauzige Weise diese stinkende und zickige Plage eines schnieken Stadtteils in London. Doch die postmoderne Selbst-Bespiegelung von Autor und Hauptfigur Alan Bennett (doppelt: Alex Jennings) und die spöttische Analyse der intellektuellen Snobs des Viertels machen das schöne, stille Werk zu einer reizvollen und berührenden Kino-Besonderheit im Stile von Spike Jonze „Adaptation" aus der Feder von Charlie Kaufman.

Alan Bennett (Alex Jennings) ist ein melancholischer, einsamer und schwuler Theaterautor, der auf der Londoner Westend-Bühne recht erfolgreich einen Monolog über seine Mutter hält. Sein neues Häuschen steht im Stadtteil Camden Town inmitten von Künstlern und Kreativen, die sich links und tolerant geben. Doch eine außergewöhnliche Nachbarin wird Anfang der 70er diese Toleranz auf die Probe stellen: Die wohnungslose Miss Mary Shepherd (Maggie Smith) zieht mit ihrem Van von Haus zu Haus im Viertel, parkt mal vor der Nr. 48, dann fällt das stinkende Los auf die 57. Nur mit Musik kann man das zeternde und keifende Bordstein-Belagern verhindern, die kann Miss Shepherd überhaupt nicht ausstehen. Auch Bennett kann die „Dame", die selbst auf Geschenke und Essensgaben nur frech reagiert, nicht leiden. Doch als neue Parkregeln eingeführt werden, nistet Mary ihren Van in seiner Einfahrt ein. Und der einsame Mann fühlt sich besonders verantwortlich - auch wenn er seine Toilette nach einem Besuch der alten Dame immer stundenlang reinigen muss. Mary interessiert auch den Schriftsteller Bennett, weil sie unter all dem Müll im Van auch eine sehr tragische Geschichte mit sich herumschleppt.

Maggie Smith spielt mit dem faltigen Gesicht einer Schildkröte und mit viel Mut zu ordinärer Mimik. Hinter einer Fassade aus Hilflosigkeit versteckt sie die Gerissenheit der verzweifelten Schmarotzerin. Das war schon 1999 ihre Rolle, als Bennett die Geschichte auf die Bühne brachte. Diesen Brettern, die hier eine Innen-Welt bedeuten, sind auch die wunderbar spitzen Kommentare geschuldet, die wichtiger als Handlung sind. Zur schillernd geschilderten Vielfalt übler Gerüche gesellen sich Bemerkungen der pikiert scherzenden Nachbarn, dass die Flecken der Inkontinenz wohl „kein Fashion Statement seien".

Selbst wenn diese ungewöhnliche, witzige und rührende Nachbarschaft so geschehen sein soll, die künstlerische Bearbeitung des realen Autors Alan Bennett bietet viel mehr als äußerlich originelle 15 gemeinsame Jahre. Ganz selbst verständlich tritt der Autor Bennett im Film mit seiner nasal quengelnden Stimme immer doppelt auf. Nicht nur weil „Schreiben mit sich selbst reden ist". Der eine Bennett schreibt, der andere, der eher klägliche lebt. Mehr schlecht als recht, was ihm der Schreiber unverhüllt vorwirft. Dass sich die beiden im Laufe der Entwicklung um Miss Shepherd besser verstehen, weil der eine dem anderen endlich etwas verwertbares Leben liefert, gehört zu den anderen schönen Geschichten hinter dem Van der Pennerin.

Regisseur Nicholas Hytner hatte schon 2006 Alan Bennetts Bühnenstück „The History Boys" verfilmt. Sein filmischer Paukenschlag war allerdings bisher „The madness of King George" („King George - Ein Königreich für mehr Verstand", 1994). Nun vollendet er Bennetts Geschichte, indem der Film in der Straße und dem Haus gefilmt wurde, in denen Bennett und Miss Shepherd jahrelang lebten. Der echte Autor rollt sogar selbst - immer noch auf dem Fahrrad - am Set auf, wo Komponist George Fenton sich selbst dirigiert. Ein perfektes Kunststück.

5.4.16

Ip Man 3

Hongkong, VR China 2015 Regie: Wilson Yip mit Donnie Yen, Lynn Hung, Max Zhang, Mike Tyson 105 Min. FSK: ab 12

Wenige Wochen vor dem DVD-Start im Mai wird die Geschichte vom „Ip Man", dem legendären Lehrmeister Bruce Lees, kurz im Kino fortgesetzt. Im Hong Kong des Jahres 1959 lebt der Wing Chun-Großmeister Ip Man (Donnie Yen) mit fast niedlicher Bescheidenheit zurückgezogen und friedlich für seine Familie. Aber er muss sich wehren, als die Gangster des amerikanischen Bauspekulanten Frank (Mike Tyson) das Gelände seiner Schule an sich reißen wollen und auch seinen Sohn entführen.

Die sehr sorgsam inszenierte historische Geschichte um „The Grandmaster", wie er in Wong Kar-Wais brillantem Film genannt wurde, wiegt viele Kampfszenen mit einigem Privat-Melodram auf. Die Rolle für Ex-Boxer Mike Tyson ist dabei eher ein Marketing-Gag, den die anständige Unterhaltungskost für Freunde des Kampfsport-Kultes eigentlich nicht braucht.

Gestrandet (2016)

BRD 2016 Regie: Lisei Caspers 78 Min. FSK: ab 0

Fünf Flüchtlinge aus Eritrea stranden mitten in Ostfriesland, in dem 1500-Seelen-Dorf Strackholt. Die Einheimischen wollen ihnen ernsthaft und stolz die regionale Albernheit Boseln beibringen - ein besoffenes Kegeln auf der Landstraße. Diese Auftakt-Szene zeigt eine der gutgemeinten, oft peinlichen Bemühungen der freiwilligen Helfer. Die Verständigung ist schwer, die Beteiligung am gemeinsamen Volkslauf scheitert mal an der Pünktlichkeit. Von dem Grauen der Flucht wird nur wenig erzählt, wobei ausgerechnet der gehörlose Eritreer mit Gebärdensprache noch am meisten erzählt.

Es Landeskunde über Eritrea beim Kaffeeklatsch, denn die Ureinwohner sind dunkelhäutige Menschen „auch in der Anzahl" nicht gewohnt. Die Regisseurin erwischt einen engagierten Ex-Lehrer, als er „Negerkuss" sagt. Auch wenn „Gestrandet" sehr offenherzig von ersten Vorbehalten und Ängsten, überfallen zu werden, erzählt, geht es ihm nicht um das Bloßstellen oder das Wiederholen bekannter Fronten. Über ein Jahr lang wird in kurzen Momentaufnahmen die deprimierende Entwicklung für die Flüchtlinge während langer Monate des Wartens festgehalten. Diese langsamen bürokratischen Mühlen bekommen selbst den größten Enthusiasmus klein, aber nicht die Hoffnung der stoischen Ostfriesen: Im Epilog erfahren wir von neuen Flüchtlingen und unermüdlichen Helfern, die viel gelernt haben.

Und am Ende sind alle allein

Und am Ende sind alle allein - Bundesstart

BRD 2015 Regie: Kolja Malik mit Nadine Kiesewalter, Emilia Rosa de Fries, Robert Seiler 88 Min.

Aachen. Nach einigen Festival-Starts hat der ausgezeichnete No Budget-Film „Und am Ende sind alle allein" nun seinen Kinostart: "Fünf Menschen begegnen sich in einer Stadt und erleben einen Trip durch eine Nacht. Fünf Menschen in einer undurchsichtigen, haltlosen Realität." So beschreibt Kolja Malik, beim Dreh 2012 und 2013 noch Dramaturgie-Assistent im Aachener Mörgens-Theater, seinen abendfüllenden Film über diese Nacht. An der exzessiven Suche einer Handvoll Personen beteiligen sich als Hauptdarsteller unter anderem Nadine Kiesewalter, Emilia Rosa de Fries und Robert Seiler, drei ehemalige Schauspieler vom Theater Aachen.

Malik schildert „Am Ende..." als Roadmovie übers Wegrennen und über diese Liebe, an die ja sowieso keiner glaubt. Eva ist schön und zerbrechlich und Jonas will sie retten, Marie will raus aus dem Zirkus, ihr Freund Marc ist vielleicht ein Schisser und dann taucht Karl auf und hat Sprengsätze. Alle suchen in einer soghaften Nacht nach Antworten, nach Auflösung, nach dem totalen Rausch, dem absoluten Höhepunkt, nach einer Liebe, an die sie nicht glauben. Sie tanzen, sie trinken, sie rennen – aber fünf ist immer einer zu viel.

Kolja Malik, geboren 1990, schrieb sein erstes Drehbuch mit 11 Jahren und ist seiner großen Leidenschaft seitdem treu geblieben. Mit ersten Erfolgen: 2009 belegte er mit dem 3-Minüter „Beduinen des Westens" den ersten Platz beim Deutschen Jugendvideopreis sowie den 2. Preis beim Bundesfestival „Fantasie-, Experimentalfilm und Videoclip" des Bundesverbands Deutscher Film-Autoren. Mittlerweile studiert er an der Filmakademie Baden-Württemberg und realisierte dort mehrere Kurzfilme. Einige seiner Arbeiten kann man übrigens immer wieder beim Theater Aachen finden: Malik dreht weiterhin Trailer für aktuelle Inszenierungen.

Nadine Kiesewalter und Emilia Rosa de Fries leben mittlerweile in Berlin. Nadine Kiesewalter spielt am Berliner Ensemble, Emilia Rosa de Fries arbeitet gerade an einem Soloabend. Kolja Malik hat mit seiner Schwester, der bekannten Schauspielerin Julia Malik, schon wieder einen Kurzfilm abgedreht. Der Ton wird gerade vom Aachener Tontechniker Jonas Vogel überarbeitet. Neben ihm sind für die Aachen-Premiere am Donnerstag auch Dominique Muszynski (Kostümbild), Carmen Gante (Maskenbild), Ruby Tuesday (Set-Aufnahmeleitung) und Angela Queins (Regieassistenz, Kostümbild) angekündigt. Bei der Diskussion zum Film, im Rahmen der Reihe „Kino im Dialog" wird der Filmemacher zu seinem nächsten langen Film beantworten, der gerade im Stadium der Finanzierung steckt.

Die Baumhauskönige

Niederlande 2014 (Bouwdorp) Regie: Margien Rogaar mit Kees Nieuwerf, Julian Ras, Bart Reuten 91 Min. FSK: ab 6

Ziggy und Bas sind beste Freunde. Sie stehlen zusammen zwar keine Pferde, aber Balken für das Sommercamp im Baumhaus-Dorf. Doch als Ziggy in der Hauptrolle des Schulmusicals neben der Angebeteten von Bas spielt, bringt unbegründete Eifersucht sie auseinander. Bas schließt sich sogar den gemeinen Mobbern an. Nun bauen sie gegeneinander das höchste Baumhaus. Trotz der kläglichen Bemühungen der Eltern eskaliert der Streit und schließlich gehen zwei Jungs-Banden wie im „Krieg der Knöpfe" ernsthaft mit Waffen aufeinander los.

Wie Kriege entstehen, ist in dem netten niederländischen Jugend- und Fernsehfilm, der bereits über ein Jahr lang in der Mediathek zu sehen war, ebenso gut zu beobachten, wie die sommerliche Stimmung der Ferien-Freizeit. Vor allem von Kees Nieuwerf (Ziggy) und Julian Ras (Bas) gut gespielt, nehmen Montage-Sequenzen sowie die Musik des erzählenden DJs ungewöhnlich viel Raum ein. Das Wichtigste bleibt jedoch der schön präsentierte, unterschiedliche Lösungsansatz der Eltern: Die Mütter wollen die Jungs animieren, miteinander zu reden, während die Väter einfach alles überspielen und großmäulig tun, als wenn nichts wäre.

4.4.16

Ein Mann namens Ove

Schweden 2015 (En man som heter ove) Regie: Hannes Holm mit Rolf Lassgård, Filip Berg, Ida Engvoll, Bahar Pars 117 Min. FSK: ab 12

Oh, weh! Da kommt wieder so ein verknöcherter, griesgrämiger Alter daher, der an allem rummeckert und keine Freundlichkeit mehr ins Leben lässt. Doch zum Glück dieses wunderbaren, vor Hoffnung überfließenden Films gehört die Erkenntnis, dass selbst dieser Super-Muffel noch die Kurve zu einer herrlich rührenden Öffnung bekommt.

Die Stimmung in „Ein Mann namens Ove" schwankt zwischen herrlich und traurig, wenn man diesen Siedlungs-Controletti, diesen Blockwart in der Tristesse einer eingezäunten Einfamilienhaus-Siedlung erlebt. Der Witwer Ove (Rolf Lassgård) überwacht für die Eigentümer-Gemeinschaft als Ex-Vorstand das Fahrverbot, die Sauberkeit und das Abstellen von Fahrrädern. Ein Pedant auch in Hinblick auf den Sprach-Missbrauch der Mitmenschen, ein handwerklicher Perfektionist, der ebenso konsequent seinen Selbstmord angeht. Denn er vermisst seine kürzlich verstorbene Frau sehr und findet ansonsten keinerlei Freude mehr im Leben.

Nun reichen die immer irgendwie scheiternden Selbstmordversuche gerade für ein paar Rückblenden und Erinnerungen: Schon Oves verwitweter Vater vergrub den Schmerz in sich, sprach nicht viel und umarmte seinen Sohn zu selten. Stoisch nimmt Ove, der schon immer etwas autistisch mit guter Laune umging, Schicksalsschläge und Glücksmomente hin. Seine lebendige und lustige Frau Sonja ist ein letzterer, mit Ida Engvoll in dieser herzlichen und immer optimistischen Rolle auch für den Film.

In der Gegenwart zwischen den Selbstmordversuchen ist es Oves neue persische Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars), die ihn zu nehmen weiß. Sie entdeckt und attackiert zielgerichtet sein gutes Herz. Für ein paar Fahrstunden spannt sie ihn zum Babysitten und wieder richtig in den Umgang mit anderen Menschen ein. Alte Gräben in der Siedlung werden überwunden, eine wunderbare Nachbarschaft blüht auf. Doch wie sagt es Ove so treffend: „Es ist schwer zuzugeben, dass man falsch lag, vor allem wenn man länger falsch lag." Aber selbst er lernt, dass auch er es nicht ohne Hilfe schafft.

„Ein Mann namens Ove" ist eine Literatur-Verfilmung oder besser Verkaufserfolgsbuch-Verfilmung nach Fredrik Backmans gleichnamigem Roman ohne eine Spur trockenem Bücherstaub. Dafür mit viel Spaß an miesepetrigen Aktionen, die nicht wirklich böse gemeint sind, und dem Glück einer sehr schönen Sicht auf das Leben. Neben dem verbitterten alten Mann, dessen Auftauen einige der freudigsten Momente des bisherigen Kinojahres bereitet, besiedeln diesen Film eine ganze Reihe weiterer toller Figuren und Typen. Rolf Lassgård wirkt wie der perfekte Ove. Die Geschichte eines Mannes, der an zu großem Herzen leidet, gibt vor allem Hoffnung, dass es nie zu spät ist, sich zum Besseren zu ändern.

Freeheld

Freeheld

USA 2015 Regie: Peter Sollett mit Julianne Moore, Ellen Page, Michael Shannon, Steve Carell 104 Min. FSK: ab 6

Was eine krebskranke Polizistin im Kampf um die Rente für ihre Lebenspartnerin erleben muss, wirkt eigentlich unheimlich historisch. Doch liegt der reale Fall aus Kalifornien hinter diesem bewegenden Drama gerade mal zehn Jahre zurück. Eine engagierte, mutmachende Geschichte, die mit Julianne Moore, Ellen Page, Michael Shannon und Steve Carell ideal besetzt ist.

Laurel Hester (Julianne Moore) arbeitet seit über 20 Jahren als harte Polizeikommissarin in Orange County, Kalifornien. Als sie die junge Mechanikerin Stacie Andree (Ellen Page) kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick, beiden ziehen zusammen in ein eigenes Haus und besiegeln trotz aller bürokratischer Hindernisse eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Dann diagnostiziert man bei Laurel Lungenkrebs im Endstadium. Sie möchte ihre Pensionsansprüche auf die Partnerin übertragen, damit Stacie das gemeinsame Zuhause weiter finanzieren kann. Doch ein selbstverliebter Männer-Kreis im republikanische Ocean County entscheidet, dass die gesetzlichen Regeln nicht für Lesben gelten sollen.

Der aussichtslose Kampf gewinnt an Fahrt, als zuerst ihr Partner im Job (Michael Shannon) seine homophoben Vorbehalte überwindet. Mit Steve Carell in der Rolle des exzentrischen schwulen und jüdischen Aktivisten Steve Goldstein ist die Drei-Einigkeit des Films aus Gefühl, Engagement und Humor komplett. Sein Auftritt mit in die Kippa eingestricktem Werbespruch macht aus der furchtbar treffenden Diskriminierung ein Politikum. Nebenbei wird entdeckt, dass die entscheidenden Politiker im Gegensatz zur Bevölkerung gleich mehrfach Pensionen erhalten. Über den politischen Kampf geraten Liebe, Trauer und - der von Hans Zimmers Musik verklebte - Abschied etwas in den Hintergrund. Was die Betroffenen zumindest bewusst mitmachen.

Die großartige Julianne Moore spielt eher unscheinbar, was sehr der Zeit und ihren Umständen geschuldet ist. Denn sie kann ja nicht schillern, muss nicht nur bei Undercover-Einsätzen mit ihrer Sexualität „under cover" bleiben. Sie darf es nicht einmal dem engsten Mitarbeiter verraten, weil sonst jeder Chance auf Karriere hin wäre - im Jahr 2006! Ellen Page, Michael Shannon und Steve Carell spielen so wunderbar, dass man sie gleich liebt und heiraten möchte - ganz egal welches Geschlecht oder welche Vorlieben sie haben.

3.4.16

How to Be Single

USA 2016 Regie: Christian Ditter mit Dakota Johnson, Rebel Wilson, Alison Brie, Leslie Mann 110 Min.

Ebenso spannend wie die nächtlichen Eskapaden einer Reihe von Single-Frauen in New York ist der zweite internationale Auftritt von Regisseur Christian Ditter mit recht bekanntem Personal, darunter Dakota Johnson („Fifty Shades of Grey") und Rebel Wilson („Pitch Perfect").

Süß, wie sich Alice (Dakota Johnson) und Josh (Nicholas Braun) an der Uni kennenlernen! Süß im Sinne von naiv dagegen, wie Alice nach vier Jahren mal eine Beziehungspause machen will, weil sie vor der endgültigen Verbindung kurz Single sein will. Denn sie erweist sich als völlig ungeeignet für Single-Leben in der Großstadt und als ihr das klar ist, hat Josh schon eine Neue. Zum Glück ist eine Kollegin der angehenden Anwältin Single-Profi: Robin (Rebel Wilson) schleppt jede Nacht einen anderen ab, geht vorher nicht nach Hause, mit ihm auf keinen Fall zu sich und meint, auch völlig verkatert und übernächtigt noch die Abkürzung zur Arbeit zu kennen.

Alice und Robin sind das bipolare Kraftzentrum dieses emotionalen Hin und Hers einer Handvoll von Großstadt-Frauen, in deren episodischem Gefühls-Medley auch Tod und Trauer aufblitzen dürfen. „Sie wissen nicht, was sie wollen, und tun das Gegenteil", bringt Robin es auf den Punkt. Rebel Wilson spielt den größten Teil des Films eine unterbelichtete, egoistische, ordinäre Schlampe, was als Gegengewicht zur braven Alice sehr viel derben Spaß macht, etwa in Bemerkungen über einen Intimbereich, der aussieht wie Gandalf. (In Kombination mit Wilsons wirklich dummem Schlampen-Part in „Der Spion und sein Bruder" kann man sich allerdings Sorgen um ihre Rollenwahl machen.) Komisch eher im stillen Stil eines Woody Allen-Film ist Leslie Mann als Frauen-Ärztin Meg, deren Karriere keine Zeit für Beziehungen lässt. Ein kurzes Abenteuer mit einem viel jüngeren, der auch noch viel zu viel Zeit hat, lässt sich einfach nicht mehr abschütteln. Herrlich weiblich, wie sie in einer kurzen Montage-Sequenz, allein im Raum mit einem gefährlich verführerischen Säugling, von ihrer Abneigung gegen Babys bekehrt wird.

„How to be single" ist kein Freudenfest für Feministinnen, wenn Alice nicht weiß, wo ihr Router ist, und die Untertitel im TV nicht wegdrücken weg kann. Sie ist sogar nicht in der Lage, ihren eigenen Reißverschluss zu öffnen, sieht sich selbst irgendwo zwischen „Bridget Jones" und „Sex & the City". An der Story hat tatsächlich Liz Tucillo mit Erfahrung von der TV-Serie „Sex & the City" mitgebastelt. Nach einigen deutschen Komödien-Erfolgen („Vorstadtkrokodile") und zwei Jahre nach dem kanadischen „Love, Rosie" auf der Basis eines Romans von Cecelia Ahern zeigt der 1977 in Gießen geborene Regisseur Christian Ditter in dieser US-Produktion, dass er Momente auch in ihrer Entwicklung gut inszenieren kann. „How to be single" ist allerdings auch vom Produktions-Etat kein „Sex & the City", denn von New York sehen wir vor allem viel Wohnung und Inneneinrichtung (Kamera: Christian Rein), die sich samt Feuerleiter vor dem Fenster billig überall auf der Welt drehen lässt. Das unterhält eine Weile und verrät sich am Ende nur ein wenig, wenn der Versuch, dem allen noch Romantik anzukleben, nicht alle Single-Qualitäten zukitscht.

Unter dem Sand (2015)

Dänemark, BRD 2015 (Under sandet) Regie: Martin Zandvliet mit Roland Møller, Mikkel Boe Følsgaard, Louis Hofmann, Joel Basman 101 Min. FSK: ab 12

Dänen können auch Kriegsfilme, das hat zuletzt die 10-teilige TV-Serie „1864" gezeigt, das wird der sehr aktuelle Afghanistan-Film „A War" (Krigen) zeigen, der nächste Woche anläuft. „Unter dem Sand" ist ein fast altmodischer Kriegsfilm, wie Wickis „Die Brücke" an der dänischen Nordseeküste.

(Wobei Wicki kein Wikinger, sondern der Regisseur Bernhard Wicki, „Die Brücke" keine dänische Kriminalreihe aus dem Jahr 2012, sondern ein Antikriegsfilm aus 1959 und „Unter dem Sand" sowohl ein Abschiedsfilm von François Ozon aus 2000 als auch diese dänisch-deutsche Ko-Produktion ist. Glückwunsch zu einer tollen deutschen Titel-Wahl!)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 bekommen ein paar deutsche Jungs, die in letzter Minute zum „Volkssturm" eingezogen wurden, im befreiten Dänemark eine tödliche schnelle Ausbildung zu Minenräubern. Denn die deutschen Besatzungstruppen hatten in Erwartung der alliierten Invasion an der falschen Stelle, nämlich am Nordseestrand, wo man jetzt gerne Urlaub macht, 2,2 Millionen Minen vergraben. Freundlicherweise die Sauerei gleich sauber kartiert. Da Deutsche gefälligst den Dreck von Deutschen aufräumen sollen, bekommen elf minderjährige Jungs die Aufgabe, einen Strandabschnitt von 45.000 Tretminen zu säubern, dann können sie nach Hause. Schon bei Kurz-Lehrgang jagt sich der erste in die Luft.

Dem sadistischen Hauptmann Ebbe Jensen (Mikkel Boe Følsgaard) folgt der fürsorgliche Unteroffizier Carl Rasmussen (Roland Møller), der sie immerhin mit „Jungs" anredet, ihnen anfangs aber weniger Fürsorge zukommen lässt als seinem Hund. Meter für Meter stochern sie voller Angst im Sand herum, drehen dann mit zitterigen Fingern die Zünder aus den Minen. Ohne Essen ist ein Schwächeanfall ebenso tödlich wie fast das Rattengift auf dem Getreide vom Bauernhof nebenan, wo es von der dänischen Bäuerin nur Hass gibt. Was die Volksstürmer selbst im noch nicht lange vergangenen Deutschen Reich gemacht oder wie sie dazu stehen, wird nie erwähnt. Hier am Strand sind sie noch Kinder, Opfer und glücklich beim Fußballspiel.

Film-Meter für Meter schreitet die fast altmodisch gradlinige Geschichte in ihrem klaren Verlauf voran. Unter einer sanften Frühlingssonne entspannen sich die geschundenen Gesichter sowie die Fronten zwischen Bewacher und dem jugendlichen Kanonenfutter. Manchmal wirkt das kleine Lager wie eine entspannte Strandfreizeit mit friedlichen Momenten, doch unter dem Sand droht jederzeit überall der Tod. Ein hoch spannender Stoff, denn überall „Unter dem Sand" lauern Horrorszenen zerfetzter Körper, die man heutzutage ganz real auf viele Länder und auch Kunden der deutschen Waffenindustrien übertragen kann. „Unter dem Sand" ist so eine universelle und sehr aktuelle Kriegs-Warnung, als dänischer Film allerdings sowohl in Darstellung als auch in der Psychologie nicht so radikal wie die meisten anderen filmischen Explosivstoffe des Landes.