30.11.15

Krampus

USA 2015 Regie: Michael Dougherty mit Toni Collette, Adam Scott, Allison Tolman 98 Min.

Eine hässliche Schlacht um Sonderangebote zeigt im Vorspann den Horror der Weihnacht. Der wahre Horror kommt, als der kleine Max (Emjay Anthony) aufgrund der zerstrittenen Verwandtschaft den Glauben an das Weihnachtsfest verliert. Plötzlich ist - der Stimmung drinnen entsprechend - draußen alles eingefroren. Strom, Telefon und Internet sind tot. Zudem einige Personen auf den zugeschneiten Straßen. In der hasserfüllten us-amerkanischen Großfamilie lichten sich die Reihen durch mysteriöse Zugriffe von außen, während „Omi" düstere Prophezeiungen in einem seltsamen österreichisch-schweizer Dialekt ausspricht. (Hier entgleist die Synchronisation diesmal komplett.) Ja, da schickt er schon seine Vorboten, der Krampus, die unter anderem in Süddeutschland und Österreich verbreitete, „schrecklichere" Variante des Knecht Ruprecht. Mörderische Lebkuchen-Männchen und menschenfresserische Clowns aus der Spieldose spielen die Hauptrolle in diesem völlig unausgewogenen, grob inszenierten Weihnachtshorror. Effekte sind wichtiger als Emotionen, was in gefühlsduseligen Zeiten befreiend sein könnte. Doch dies ist auch in der Horror-Kategorie ein zäher Film, ein erbärmlicher Flop.

Alle Jahre wieder - Weihnachten mit den Coopers

USA 2015 (Love the Coopers) Regie: Jessie Nelson mit Diane Keaton, John Goodman, Olivia Wilde, Alan Arkin, Amanda Seyfried, Marisa Tomei 107 Min.

Weihnachtskitsch der besonders hochdosierten Form mit der gleichen Nachwirkung wie billiger Glühwein: „Weihnachten mit den Coopers" ist Weihnachten mit Hollywoods verstaubten Ideen und Schneeseligkeits-Dekos. Diesmal passt gar nicht zusammen, was schließlich und ohne jede Überraschung am Ende Weihnachten zusammen feiern muss: Oma und Opa wollen ihre Trennung noch geheim halten. Die Tochter schleppt eine Zufallsbekanntschaft zum Schein als Verlobten an. Ur-Opa bringt die sehr junge Kellnerin mit, in die er sich verliebt hat. Die Schwester fühlt sich immer ungeliebt und klaut deshalb ein teures Geschenk.

Das hört sich furchtbar abgeschmackt an und ist als Film noch viel schlimmer. Dass Ko-Produzentin Diane Keaton, John Goodman, Alan Arkin, Amanda Seyfried und Marisa Tomei mitspielen, vergrößert noch das Entsetzen. Und sie holen auch reihenweise nichts auch ihren schematischen Figuren raus, was teilweise daran liegt, dass altersmäßig nichts zusammen passt. Nur Olivia Wilde gibt sich als verletzte linke Atheistin Eleanor in Großaufnahme richtig Mühe, den konservativen Patrioten in Uniform abzuschleppen.

Unverfroren werden in Schnee-Deko haufenweise kleiner Dramen aufgereiht und gleich mit Vergangenheit und schwierigen Kindheiten beschwert: Arbeitslosigkeit, Trennung, Einsamkeit, Krankheit. Also jetzt auf inhaltlicher Ebene, nicht was man den Machern im Geiste der zukünftigen Weihnacht wünscht. Und bei der Eskalation am Weihnachtsabend kippt selbstverständlich noch jemand um - nicht im Publikum, da schläft man fest. Wenn dann noch der Weichspüler Sting die Tonspur verklebt, kommt unüberwindbar auf, dass dieser Glühwein keine gute Idee war.

Das brandneue Testament

Belgien, Frankreich, Luxemburg 2015 (Le tout nouveau testament) Regie: Jaco Van Dormael mit Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Laura Verlinden, Catherine Deneuve 115 Min. FSK: ab 12

Die Deneuve geht mit einem Gorilla ins Bett, ein Scharfschütze trifft die Liebe seines Lebens und Gott ist ein tyrannischer Prolet. Der witzigste und geistreichste Film des Jahres dreht Religion auf links und schleudert altbekannte Vorstellungen durch eine verrückte Bilderwelt. Nach „Mr. Nobody" (2009) mit seinen Parallelwelten einer Liebe, den Lebensweisheiten eines mongoloiden Jungen „Am achten Tag" (1996) und dem fantastischen Spaß „Toto der Held" (1991) begeistert der Belgier Jaco Van Dormael mit einem neuen Meisterwerk und überraschenden Einsichten in Schöpfungsgeschichte, Theodizee sowie dem Geschlecht Gottes.

Gott lebt in Brüssel und ist kein netter Kerl. Er läuft in Morgenmantel und Badelatschen rum, schlägt seine zehnjährige Tochter Ea (Pili Groyne) mit dem Gürtel und wird kongenial verkörpert von Benoit Poelvoorde („Mann beißt Hund"). Der Sohn, kurz J. C. genannt, ist ihm schon vor einiger Zeit weggelaufen. Die Tochter würde das auch tun, aber die Wohnung hat keine Tür. Dafür ein Büro ohne Fenster mit unüberblickbar hohen Regalen und einem schäbigen Computertisch in der Mitte. Dort schuf Gott die Welt - mit einem schäbigen Computerprogramm.

Neben den bekannten Geboten hat dieser mürrische und sadistische Kerl sich noch tausende weitere, gemeine Gesetze ausgedacht: Die Sache mit dem Marmeladenbrot, das immer auf der falschen Seite landet, zum Beispiel. Irgendwann hat Ea die Nase voll von den Quälereien, schickt eine verräterische Email an alle Menschen und haut von zuhause ab. Der große Bruder hat ihr den Notausgang verraten: Durch die Waschmaschine bei 40 Grad, Synthetik mit Schleudern.

Nun landet Ea in der Welt - sprich: Brüssel - und sucht sich ihre Apostel. Auch ein Tipp von Jesus! Ein alter Obdachloser schreibt alles auf im „brandneuen Testament". Die herrlichen Geschichten der sechs neuen Apostel, die sich nach und nach im berühmten Abendmahl-Gemälde von Leonardo da Vinci hinzugesellen - unter ihnen Catherine Deneuve, sind zu schillernd, um sie zusammenfassend zu verstümmeln. Aus den hunderten von Ideen-Perlen nur der Traum der wunderschönen Aurélie (Laura Verlinden), die als Kind in der Metro einen Arm verlor und nun von ihrer nicht mehr vorhandenen Hand ein traurig-schauriges Tänzchen vorgeführt bekommt - zu Musik von Händel!

Die neue „Messiasine" Ea kann selbst nicht besonders viel, nicht einmal weinen. Etwas Telekinese, übers Wasser gehen selbstverständlich, die Melodie der Menschen in ihrem Herzen hören und ihnen schöne Träume bereiten. Was sie in der Welt bewirkt, ist allerdings atemberaubend: Die erste Email verriet allen Menschen ihr Todesdatum - mit aberwitzigen und rührenden Konsequenzen. Und mit dem sofortigen Ende aller Kriege! Gott ist entsetzt, denn jetzt machen die Menschen, was sie wollen, und das ist gar nicht so schlecht. Mit einigen ihrer neuen Apostel zieht Ea nach Ostende, um deren Ende zu feiern ...

Ein Lachen, das sich wie Perlen über eine Marmor-Treppe ergießt. Solch wunderbare Metaphern gießt Jaco Van Dormael in noch schönere Bilder. Wobei in der neuen Schöpfung einer neuen Göttin (die großartige Yolande Moreau aus „Louise Hires a Contract Killer") alles bestens harmoniert, dies ist kein aufgesetzter Stilwille, hier wird keine geniale Idee nur für sich selbst ins Bild gesetzt. Dass eine unverschämt mutige - nur nebenbei: exzellent gespielte und inszenierte - Idee den Blick auf die Welt verändert, ist selten. Jaco Van Dormael ist dies mit seiner berührend komischen und nachdenklichen Film-Schöpfung gelungen.

Wie auf Erden

Schweden 2015 (Sa ock pa jorden) Regie: Kay Pollak mit Frida Hallgren, Jakob Oftebro, Niklas Falk 130 Min.

Ein himmlischer Erfolgsfilm voller Emotionen platscht plump auf die Erde: Das emotionale schwedische Sangesfestival „Wie im Himmel" war 2004 eine schöne Sensation, wird aber mit dem einfallslos kalkulierten Nachfolger auf enttäuschende Weise geerdet.

Das künstlich herbei konstruiertes Chaos um die verschneite Haus-Geburt von Lenas Kind zeigt, dass eigentlich alles beim alten ist: Die ehemalige Kassiererin Lena (Frida Hallgren) ist begeisterte Sängerin und ansonsten ein wirrer Dickkopf. So wie sie ihrer im ersten Teil ziemlich plötzlich verstorbenen Kantoren-Liebe hinterher trauert, vermisst der besoffene Priester Stig (Niklas Falk) Lenas Kirchenchor im leeren Gotteshaus. Dabei steht nach einer Renovierung die feierliche Wiedereinweihung bevor. Zu der ein besonderes Ekel, das einst Lena ausnutzte, Händels Messias vor den TV-Kameras aufführen soll. Doch die aufmüpfige Frau lässt sich schnell zu Kantorin benennen und will das schwierige Stück mit den Dorfbewohnern selbst einstudieren ... ohne Noten lesen zu können!

Zudem ist die immer noch um ihren Kantor Daniel trauernde Lena auch noch von lauter Neidern, missmutigen Menschen und übergriffigen verzweifelten Männern umgeben. Doch die manisch optimistische Frau macht aus den Proben eine offene Therapie-Sitzung, akzeptiert eine witzige Instrumentierung und schmeißt die Bänke aus der immer voller werdenden Kirche raus. Genau diese lebensbejahende Frische Lenas ist das einzig Positive was aus dem Erfolgsfilm „Wie im Himmel" gerettet wurde.

„Er soll nicht in einem Dorf aufwachen, wo man nichts auf sich halten darf." So begründet Lena ihren Kampf für eine freundlichere Umgebung, bei dem - trotz großer Vorbehalte gegenüber der Kirche - die Musik vom Kirchenchor den menschlichen Kitt hergeben muss. Lena wird in diesem Frauenfilm geschlagen, beleidigt und vor allem unterschätzt. Doch letztlich besiegt sie sogar ihre eigene Unsicherheit, die sich selbstverständlich hinter dem wilden Gehabe versteckt.

Das unkonventionell arrangierte „Halleluja" ist noch nett kunterbunt. So hätte der Film auch sein wollen, aber er ist nur durcheinander. Nicht so sehr, dass auch diesmal jemand plötzlich sterben muss, ist das Schlimmste an diesem bipolaren Stück mit aufgesetzten Schwierigkeiten bei künstlichem Regen. Die Bilder wirken wahllos oder sind sogar kontraproduktiv, wenn etwa Lena nach dem Happy End in einem bedrohlich schwarzen See schwimmt - im letzten Bild! Dramaturgisch stolpert der Film entlang ihrer verrückten Ideen und ist einiges zu lang. Viel Musik gibt es erst spät, dafür bringt der unausweichliche „Prince Charming" (der norwegische Schauspieler Jakob Oftebro) einen Schneewittchen-Stiefel vorbei.

Kay Pollak hatte vor dem handwerklich nicht herausragenden Überraschungs-Erfolg „Wie im Himmel" 18 Jahre lang keinen Film gemacht. Nun gab es nur eine Pause von zehn Jahren - eindeutig zu wenig!

24.11.15

Ewige Jugend

Italien, Frankreich, Schweiz, Großbritannien 2015 (Youth) Regie: Paolo Sorrentino mit Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz, Paul Dano, Jane Fonda 124 Min. FSK: ab 6

„Ewige Jugend" verspricht nicht nur das Wiedersehen mit Michael Caine, Harvey Keitel und Jane Fonda. Die melancholisch-komische Zauberberg-Geschichte ist auch der neue Film von Regisseur Paolo Sorrentino, mit „La grande bellezza" Super-Sieger von den Europäischen Filmpreisen 2013 (Bester Film, Beste Regie) bis zum Oscar 2014. Zudem waren auch die Vorgänger-Filme „Cheyenne - This must be the Place" mit Sean Penn, „Il Divo" über Giulio Andreotti, „L'amico di famiglia" und „Le conseguenze dell'amore" sensationell gut.

Für sein neuestes Meisterstück versetzt Sorrentino alte und junge Stars aus verschiedenen Sphären in ein exklusives Wellness-Hotel der Schweizer Alpen: Der alte Komponist Fred (Michael Caine) hat sich nicht nur hierhin sondern überhaupt zurückgezogen. Da hat selbst ein Bote der Queen keine Chance, der bettelt, weil Prince Phillip „Simple Songs", den Klassiker von Fred, zum Geburtstag unbedingt von ihm persönlich in der Royal Albert Hall dirigiert hören will. Freds alter Freund Mick (Harvey Keitel) will noch eine Menge schaffen - der berühmte Regisseur arbeitet mit einem Team junger Drehbuchautoren an einem neuen Film. Doch ausgerechnet sein Star Brenda Morel (Jane Fonda in einer grandiosen Bette Davis-Diva-Szene) wird ihm die Absage präsentieren. Der seltsame Schauspieler Jimmy (Paul Dano) bereitet sich auf eine Rolle vor, deren erster Auftritt für einen von vielen wunderbaren Momenten im Hotel der Skurrilität sorgen wird. Stichwort: Er ist wieder da... Auch dabei ist am Rande ein sehr, sehr dicker, göttlicher Fußballer, der nicht von Essen und Bällen lassen kann. Oder die Miss Universe, die alten Herren himmlische Momente schenkt, aber allen Klischees zum Trotz klüger ist, als die versammelte selbstverliebte Intellektualität.

Wie so oft greift bei Sorrentino die Handlung viel zu kurz, seine Filme sind vor allem Szene und Stimmung. War „La grande bellezza" noch ein großes Zerfließen in Melancholie, ist „Ewige Jugend" fast schon Action: Da gibt es Spannungen und eine tragische Vorgeschichte bei Fred und seiner Tochter - oder Assistentin - Lena Ballinger (Rachel Weisz), deren Mann gerade mit einem lächerlichen Pop-Sternchen durchgebrannt ist. Und dann diese unglaublichen Träume im Stile Fellinis, diese fantastischen und surrealen Momente, die „Ewige Jugend" unbedingt sehenswert machen. Wenn Fred auf einer einsamen Almwiese Kühe und Vögel dirigiert, wenn Mick in einem atemberaubenden Moment all den Frauen seiner Filme begegnet.

Bei allen großen Schönheiten und Träumen ist die „Ewige Jugend" auch ziemlich lakonisch komisch: Selbstverständlich unterhalten sich die alten Freunde Fred und Mick über den Stand ihrer Prostata, wobei der Komponist nur freundlich mitjammert, denn tatsächlich erfreut er sich bester Gesundheit. So gemischt ist auch die Gefühlslage von Menschen, die Angst vor dem Leben, der Jugend (so der ironische Originaltitel „Youth") dort draußen haben.

Mit Dialogen, die etwas von der Leichtigkeit alter Franzosen (Rohmer) haben, mit Sauna-Gängen, die an Gemälden alter Meister erinnern und einzigartigen Traum-Szenen vom Markusplatz unter Wasser begeistert Sorrentino immer wieder. Dass man sein neuestes Opus mit überbordendem Bilderbogen nicht auf Anhieb auf eine kurze Quintessenz reduzieren kann, ist keineswegs ein Makel.

The Gift

USA 2015 Regie: Joel Edgerton mit Jason Bateman, Rebecca Hall, Joel Edgerton 109 Min. FSK: ab 12

Neurotisch den Fremden gegenüber, das könnte ein Psychogramm des us-amerikanischen Wohlstandsbürgertums sein. Aber der alte Schulbekannte Gordo (Joel Edgerton), der das frisch nach Los Angeles gezogene Pärchen etwas übergriffig aufsucht, ist nicht wirklich angenehm. Vielleicht einfach ungeschickt im sozialen Umgang, meint Robyn (Rebecca Hall). Ihr Mann Simon (Jason Bateman), der gerade einen neuen Superjob antritt, erinnert sich an den Spotnamen aus Highschool-Zeiten: Gordo Weirdo. Gordo, der Spinner. Ja, Gordo wirkt leicht neurotisch mit seinen unverhältnismäßigen Geschenken und erfüllt das Profil des versteckten Serienkillers. Aber es ist auch nicht nett, wie Simon mit ihm umgeht. In der Schulzeit muss der erfolgreiche und unangenehm selbstbewusste Macher ein Ekel gewesen sein, ein „Bully", der Mitschüler fertig gemacht hat.

„The Gift" ist einer dieser neurotischen Thriller mit unheimlicher Bedrohung aus der nächsten Umgebung. Aber einer, dem man ganz langsam bei der Entwicklung zusehen kann. Einer mit überraschender Wende, die psychologisch nachvollziehbar ist, anstelle der üblichen Steigerungen, die nur innere Leere überdecken wollen. Nebenbei enthält „The Gift" den interessanten Aspekt, wie die alten Schul-Bullys heute weiter leben. Vor allem präsentiert der gelungene Thriller eine ganz gemeine Rache ohne die üblichen Action-Elemente und damit umso raffinierter.

23.11.15

Die Highligen Drei Könige

USA 2015 (The night before) Regie: Jonathan Levine mit Seth Rogen, Joseph Gordon-Levitt, Anthony Mackie, Lizzy Caplan, Miley Cyrus, Michael Shannon 110 Min.

Der erste Weihnachtsfilm der Saison bekommt hier immer eine Breitseite, die einer Invasion von Lebensmittelmotten in die viel zu früh angekarrten Lebkuchen und Printen aller Discounter entspricht. Doch diesem völlig bekloppten, durchgeknallten und chaotisch gelungenen Christmas-Punk sei verziehen. Wenn Seth Rogen als jüdischer Weihnachts-Boykotteur einen weißen Messias ans Kreuz nagelt, kann endlich ein Film dem „Leben des Brian" den heiligen Gral reichen.

Seit 2001 kurz vor Weihnachten Ethans (Joseph Gordon-Levitt) Eltern starben, feiern seine Freunde Isaac (Seth Rogen) und Chris (Anthony Mackie) Heiligabend rituell mit einem festen Ablauf aus Party, Karaoke und chinesischem Essen. Nun hat Chris als Sportler Karriere gemacht und Isaac wird bald Vater, also steht die Tradition vor dem Aus. Das letzte Fest soll noch einmal rauschend werden, denn Ethan hat endlich Karten für die jahrelang gesuchte geheimnisvolle Weihnachtsparty „Nutcracka Ball" klauen können. Isaacs kumpelhafte Frau Betsy (Jillian Bell) stattet die Jungs mit einem berauschenden Weihnachtspäckchen aus und los geht der Kultur-Clash aus verkitschten christlichen Traditionen und Exzessen im Stil von „Hangover".

Ohne Drogen und ein paar Liter Glühwein bleibt dieser unbeschreibliche Film schwer zu fassen: Nett wie die Jungs in ihren Acryl-Pullovern mit Davidstern (Isaac), einem schwarzen Nikolaus (Chris) und Rentieren (Ethan) schwitzen. Grandios wie Seth Rogen wieder eine mehrfache Überdosis von allem möglichen spielt. Das konnte er (auch mit James Franco) 2008 schon gut in „Ananas Express" von Judd Apatow. Selbstverständlich wird dieser „highe" Weihnachtsfilm nach mäßigem Start deftig im Stile von „Bad Santa". Aber aller, auch stilistischer Konfusion wird dann noch eine Liebesgeschichte, die Zweifel des werdenden Vaters, die Wandlung eines Steroide spritzenden Sportlers, ein Drogen dealender Engel (himmlisch: Michael Shannon), eine iPhone-Verwechslung mit belastendem Material auf beiden, etwas schwule Romantik (mit James Franco) und ein Auftritt von Miley Cyrus untergemischt. Das ist Christmas Carol auf Speed. Das ist ein Great Gatsby, der Geist der Weihnacht spielt und high auf Gras die Wahrheit verkündet. Also alles großartig wahnsinnig und komisch, wobei es schade und schön ist, dass alles gut ausgeht.

Nach dem ernsthaft komischen „50/50" - ebenfalls mit Joseph Gordon-Levitt - legt Jonathan Levine einen Film für Weihnachtshasser (samt Grinch) und in Bezug auf das „Highlige" Fest unentschieden Bisexuelle hin. Ein Meilenstein der feierlichen Beklopptheit.

Bridge of Spies

USA 2015 Regie: Steven Spielberg mit Tom Hanks, Mark Rylance , Alan Alda 142 Min. FSK: ab 12

Tom Hanks holt sich im Kalten Krieg einen Schnupfen und aus Spielberg wird Spiegelberg. Menschen und Verfassungen in allen ihren Facetten vermittels eines Spiegelkabinetts zu zeigen, ist beileibe nicht der einzige großmeisterliche Trick des Regisseurs. Trotz einigem Pathos gelingt ihm die alte Geschichte vom unscheinbaren Helden mit Mitteln des alten Hollywoods erneut.

„Hängt ihn!" Die Meinung des Mobs ist klar: Der russische Spion muss sterben. Schließlich ist kalter Krieg, Senator Joseph McCarthy schleift bei seiner Kommunisten-Hatz seit Jahren die Bürgerrechte, Ethel und Julius Rosenberg wurden 1953 wegen Spionage trotz weltweiter Proteste auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Da hat der sowjetische Spion Rudolf Abel (Mark Rylance) 1957 keine Chance, bekommt aber mit dem Anwalt James Donovan (Tom Hanks) wenigstens Pro forma eine. Nach einer Weile des Unterschätzens hält er seine erste große Rede auf „das Regelwerk". Das Regelwerk, dass ihn, den irisch-stämmigen Anwalt, und sein Gegenüber, den deutschstämmigen CIA-Agenten, zu Amerikanern macht.

Tatsächlich rettet Donovan den stillen Spion vor der Hinrichtung - der Versicherungs-Anwalt vermittelt dem Richter, dass man die Rückversicherung eines Gefangenen für einen eventuellen Austausch später noch brauchen könnte. Der sehr deutliche Schnitt von den Spionage-Kameras der US-Piloten zu der Fotoausrüstung des Spions macht klar: Beide Seiten machen genau das gleiche. Trotzdem verweigert der Richter dem Angeklagten Rechte, die jeder Amerikaner haben sollte. Siehe Guantanamo.

Im zweiten Teil von „Bridge of Spies" muss Donovan selbst seinen Spion in nicht offiziellem Auftrag gegen einen abgestürzten US-Piloten austauschen. Die Verhandlungen finden während des Mauerbaus in einem erbarmungswürdigen Ost-Berlin statt und gestalten sich eher kafkaesk als dramatisch. In der chronisch ungeheizten DDR holt sich der Privat-Diplomat Donovan einen Schnupfen, während er auf Amts-Gängen sitzt, durch die Fahrräder rollen. Der neue Film von Stevens Spielberg gibt hier einen Vorgeschmack auf den im Februar folgenden neuen Film der Coens „Hail Cesar": Die Brüder haben an der letzten Fassung des Drehbuchs mitgearbeitet und man kann sie gut hinter einigen schrägen Scherzen erkennen. So etwa die Erkältung, die Tom Hanks im chronisch ungeheizten Ost-Berlin anfällt.

Doch dies ist noch Spielberg, hier werden „Republik-Flüchtlinge" an der frisch gemauerten Mauer erschossen, hier trennt der Stacheldraht eine junge Liebe, hier sollen wir vor dem naiven Umgang mit der Atombombe erschaudern. Der Gefangenen-Austausch auf der Glienicker Brücke wird der historischen Bedeutung gemäß groß aufgezogen. Dem Meister aller Klassen von Unterhaltung („Indiana Jones"), Schrecken („Der weiße Hai"), SciFi-Kitsch („E.T.") und immer mehr Bürgerrechts-Unterricht („Die Farbe Lila", „Schindlers Liste", „Lincoln") gelingen grandiose Szenen harter Schatten im Stil der schwarzen Serie. Wenn die Menschen im Zug, weil sie den Verteidiger des Feindes erkannt haben, besonders bedrohlich blicken, schaut Hitchcock vorbei. Dass nach dem Mord an der Mauer ein anderer Blick aus der Bahn in New York spielende Kinder an den Zäunen zeigt, ist sehr dick amerikanisch. Was den Genuss am geballten Können Spielbergs nur kurz trüben kann.

Tom Hanks ist wie immer übersehbar gut und verschwindet trotzdem fast völlig hinter seiner Figur. Die bescheiden auftritt, aber immerhin schon Assistent bei den Nürnberger Prozessen war und später in Verhandlungen mit Kuba tausenden Menschen die Rückkehr in die USA ermöglichte. Während „Bridge of Spies" den Kalten Krieg als fast erstrebenswert übersichtlich darstellt, bleiben die inneren Bedrohungen für unsere demokratischen Verfassungen immer gleich gefährlich. So ist dieser Spielberg mit allen Reminiszenzen hochaktuell - nicht nur wegen der Coen-Scherze.

21.11.15

44. Filmtage Hückelhoven 2015

Das älteste Filmfestival der Region öffnet sich für Flüchtlinge

Das älteste Filmfestival der Region verschreibt sich neuerlich eine Verjüngungskur: Die 44. Ausgabe der „Belgisch-Niederländisch-Deutschen Filmtage Hückelhoven" findet am kommenden Wochenende (20.-22. November) in der Aula des Gymnasiums statt. Dabei erfährt das einzigartige Zusammentreffen von Schulklassen aus dem Dreiländer-Eck mit den besten Filmen aus ihren Ländern, diese fröhlich gelebte Völkerverständigung in einer Atmosphäre zwischen Filmfestival und Schullandheim, eine konsequente Erweiterung. Der Blick geht von der Region in die Welt hinaus.

Laut der jahrzehntelangen Mitveranstalterin Gisela Münzenberg wurden die Filmtage Hückelhoven aus dem Ansinnen heraus ins Leben gerufen, mit Hilfe des Mediums Film den euregionalen Gedanken bei jungen Menschen aus der Region zu fördern. Doch nach den Schengen-Verträgen seien diese Grenzen sehr verschwommen, der euregionale Gedanke sei bei den Jugendlichen ohnehin gefestigt. In der Zukunft sollen deshalb „über den Film unterschiedliche Schwerpunkte erfasst werden". Einher geht eine Abkehr vom streng paritätischen Programm, bei dem immer jeweils drei Filme von den jeweiligen Ländern gespielt werden, hin zu einer freieren Struktur.

So ist in diesem Jahr geplant, anhand von Dokumentationen über das Leben von Flüchtlingskindern im Gespräch mit deren Regisseuren und Darstellern die aktuelle Flüchtlingsproblematik zu thematisieren. Dieses und andere Themen sind für die Teilnehmer unabhängig von ihrer Nationalität interessant und relevant. Mit dabei sind die Aachener Filmemacher Miriam Pucitta und Michael Chauvistré́ mit ihren bekannten Dokumentationen „Um zu leben", über jugendliche Menschen bei ihrer Flucht, die in Aachen endet, und „Eine Banane für Mathe", der zeigt, was aus den jungen Flüchtlingen geworden ist, die vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen sind.

Im traditionellen Dreiländer-Programm ist „Victoria" mit dabei, der an einem Stück gedrehte Überflieger der deutschen Filmpreise, sowie der ganz große Abräumer der niederländischen Filmpreise (Gouden Kalf) „Gluckauf". Letzterer ist passenderweise auch ein regionales Produkt, spielt er doch direkt nebenan, im ehemaligen Bergarbeiter-Territorium von Heerlen. Also ein idealer Film auch für den Veranstaltungsort Hückelhoven, der die gleiche Industrie-Geschichte hat.

Die Filmtage beginnen am Freitag um 15 Uhr mit Kino für Kinder und „Quatsch und die Nasenbärbande" von Veit Helmer. Insgesamt werden bis Sonntagnachmittag neun Filme sowie acht kurze und mittellange Beiträge gezeigt und diskutiert.

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„Die Filme sollen helfen, uns die Beweggründe und Geschichten von Flüchtlingen näher zu bringen. So hoffen wir auch, beim Abbau von Vorurteilen und Ängsten gegenüber Flüchtlingen einen Beitrag leisten zu können."

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www.filmtage-hueckelhoven.de

17.11.15

HalloHallo

Schweden 2014 (Hallå Hallå) Regie: Maria Blom mit Maria Sid, Johan Holmberg, Calle Jacobsson, Gunilla Nyroos 98 Min. FSK: ab 0

Diese schwedische Lebens-Komödie beginnt mit einem Aufschrei. Dem Aufschrei der Krankenschwester Disa (Maria Sid), die auf ihrem Hintern eine Skischanze herunterrutscht. Die frisch verlassene Mutter von zwei Kindern begrüßt alle immer mit dünnem „HalloHallo" und ist vor lauter Unsicherheit kaum anwesend. Sie lässt sich von aggressiven Patienten bewerfen und von den Eltern terrorisieren und begehrt ihnen gegenüber das erste Mal auf. Was dringend nötig war, denn Disas Weinerlichkeit hält man schon beim Zuschauen kaum aus. Sobald jedoch mit einem Selbstverteidigungskurs und neuen Freunden etwas Leben ins Spiel kommt, lebt auch die Darstellerin, der finnischen Star Maria Sid, erfreulicherweise auf, was ihr gewinnendes Lächeln und in der Verwandlung ihr großes Können zeigt.

Der Dialog ist komisch, wenn der Leiter vom Selbstverteidigungs-Schule Disa einen Intensivkurs empfiehlt, aber richtig gut ist es erst, wenn die vormals verhuschte, kleine Frau ihre Wut an den bemitleidenswerten anderen Kursteilnehmern rauslässt. Dass die Pflege der Haustiere einer bettlägerigen alten Frau mit den Kindern und den Freunden zu einem echten Moment des Glücks führt, ist fast schon zu kitschig, doch man gönnt ihn Disa und diesem sympathischen Film.

15.11.15

The Diary of a Teenage Girl

USA 2015 (The diary of a teenage girl) Regie: Marielle Heller mit Bel Powley, Kristen Wiig, Alexander Skarsgård, Madeleine Waters 102 Min.

Unmöglich oder revolutionär? Das sexuelle Coming Out einer 15-jährigen in San Franciscos Hippie Hoch-Zeit 1974 irritiert und begeistert. Auf jeden Fall gelungen ist die Umsetzung von Phoebe Gloeckners Buch „The Diary of a Teenage Girl", einem Roman mit Graphic-Novel-Einsprengseln.

„I had sex today" - die Begeisterung der 15-jährigen Minnie Goetze (Bel Powley) über ihren ersten Sex möchte man in der Zeitlupens-Schwebe des strahlenden Sonnenscheins gerne teilen. Toll, wie das unkonventionelle, intuitiv selbstsichere Mädchen ihr intimes Tagebuch in einen Kassetten-Rekorder spricht - im vollen Bus! Doch in der Rückblende stellt sich heraus, was selbst die sexuell aufgedonnerte Freundin „krank" findet: Minnie war mit dem fast 20 Jahre älteren Freund ihrer Mutter im Bett. Initiiert vom Mädchen, aber der unreife Monroe (Alexander Skarsgård) leistete keinen ernsthaften Widerstand. Schon vorher fasste er sie beim Kuscheln auf der Couch scheinbar zufällig an die Brust.

Das „Diary of a Teenage Girl" ist keiner der ungezwungenen aufgeklärten skandinavischen Jugendfilme, hat aber auch nichts mit verklemmten Lolita-Fantasien zu tun, mit denen zuletzt der französische „Vater meiner besten Freundin" anwiderte. Denn durch eine Phase des „Das geht ja gar nicht"-Gefühls beim Zusehen kommt Minnie selbständig, aufrecht und emotional gereift heraus. Nicht des Desinteresse der Mutter, die sich selber mit Kiffen und Koks auslebt, nicht das Ende der Affäre mit dem peinlichen Monroe schadet Minnie. Auch die „Nymphomaniac"-Verführungen fremder Typen mit der Freundin machen vor allem Spaß. Denn in dieser ungefährdeten Emanzipation bestraft Minnie gering geschätzte Männer mit ihrem selbstbestimmten Sex. Erst das Verlieben in eine lesbische Freundin führt zum Zusammenbruch.

Doch auch wenn vor allem das Sexuelle diskutiert werden wird, „The Diary of a Teenage Girl" ist Komödie, kein Drama, und das lustvoll inszenierte Coming out einer Comic-Künstlerin: Zusehends lösen sich Animationen aus dem Spielfilm und begleiten die Zeichnungen Minnies. Wenn eine füllige „50 feet woman" durch die Stadt trampelt, sind dies explizite Erwachsenen-Comics. Mit dem Charme der Crumb-Figuren, den irgendwie auch die Hauptdarstellerin Bel Powley hier herumträgt. Erstaunlich und sehr gut, denn an ihre Rolle als Schwester der jungen Queen Elizabeth aus „A Royal Night" erinnert Powley gar nicht mehr. Auch den Altersunterschied meistert die 23-jährige Schauspielerin großartig glaubhaft.

Mia Madre

Italien, Frankreich 2015 Regie: Nanni Moretti mit Margherita Buy, John Turturro, Giulia Lazzarini, Nanni Moretti 106 Min.

Da tobt auf der Straße der alte Klassenkampf, brutal niedergedrückt von den Wasserwerfern des Kapitals. Und während die Regisseurin Margherita (Margherita Buy) ihr Team inquisitorisch befragt, auf welcher Seite sie eigentlich ständen, tobt in ihr ein ganz anderer Kampf. Denn Margheritas Mutter Ada (Giulia Lazzarini) liegt im Sterben. Und wenn sie der Kranken etwas Gutes mitbringen will, hat der perfekte Bruder (Nanni Moretti) schon das perfekte Mal zubereitet.

Das normale (Arbeits-) Leben einer Frau also, die an allen Fronten perfekt sein will, aber zweifelt, überhaupt irgendwas richtig zu machen. Die erwachsen werdende Tochter zickt und vernachlässigt das Lernen. Den Liebhaber Vittorio wirft Margherita mal vorsorglich raus, es ist gerade alles zu viel. Der Kommentar dazu kommt später ruhig und treffend: Sie würde alles negativ sehen und so auch die Menschen vergiften, die sie liebten.

Nein, Margherita ist keine Heldin und auch nicht tragische Figur. Sie ist vor allem ... Mensch. Und Regisseurin, was daran liegt, dass Nanni Moretti nicht nur hervorragende, berührende und wunderschöne Filme macht, sondern auch immer persönliche. Unvergessen, wie er mit seiner Vespa in „Liebes Tagebuch" („Caro diario") durchs sommerlich verlassene Rom rollte und danach die Erfahrung der eigenen Krankheit humoristisch aufarbeitete. Nun steht der Tod der eigenen Mutter zentral, denn als Moretti 2011 seinen kirchenkritischen „Habemus Papam" inszenierte, starb seine Mutter. Übrigens auch Lehrerin, wie die Mutter in „Mia Madre" .

Aber „Mia Madre" ist auch ein Film über Arbeitslosigkeit und es ist klar, auf welcher Seite der Proteste Margherita und Moretti stehen. Und es ist Komödie mit John Turturro als herrlich exzentrischem US-Star Barry Huggins, der an seinen italienischen Wurzeln arbeitet, aber eigentlich noch mal zur Schauspielschule müsste. „Mia Madre" lässt viel Abschied und Trauer spüren, erfreut aber zwischendrin mit wunderschön leichten Szenen und großartigen Musikstücken im Hintergrund. Geschickt spielt Moretti mit den (Alb-) Träumen Margheritas, wobei das Wachwerden auch nicht toll ist, wenn die Wohnung unter Wasser steht. In einer endlos langen Schlange vor einem Kino stehen - zu Cohens „Famous Blue Raincoat" - die nahen Menschen ihres Lebens und Margherita selbst in jungen Jahren.

Eine ganze Menge Leben verkörpert Margherita Buy, dieser italienische Star mit dem sehr jungen Gesichtsausdruck, mit immer wieder mädchenhaft unsicherem Blick. Unsicher selbst auf dem Set, mit tränenerfüllten Augen immer mehr mit ihren Gedanken und ihren Gefühlen bei der Mutter.

Nun ist „Mia Madre" leider nicht die Mutter alle Moretti-Filme, so wie „Todo sobre mi madre" (Alles über meine Mutter) einer der besten Filme des Spaniers Pedro Almodóvar war. Das bleibt die andere Abschiedsgeschichte Morettis, „Das Zimmer meines Sohnes" aus dem Jahr 2001. „Mia Madre" ist jedoch eines der stillsten Werke des ansonsten so ADHS-verdächtigen, „typisch" italienischen Aktivisten Moretti. Was wiederum eine besondere Qualität von und wohl der passendste Stil für „Mia Madre" ist. Nanni Moretti, der in „Habemus Papam" den Psychologen des Papstes spielte und in „Der Italiener" Silvio Berlusconi, wirkt hier völlig ausgeglichen als vorbildlicher Bruder. In Cannes gab es für „Mia Madre" den Preis der ökumenischen Jury.

Ich und Earl und das Mädchen

USA 2015 (Me, Earl and the dying girl) Regie: Alfonso Gomez-Rejon mit Thomas Mann, RJ Cyler, Olivia Cooke, Hugh Jackman 106 Min. FSK: ab 6

„Meine Mutter hat gesagt, ich soll mal vorbeikommen, weil du ja bald sterben musst..." So ein Satz zu der bis dahin eher entfernten Mitschülerin Rachel (Olivia Cooke) wird wohl nicht der Anfang einer besonderen Freundschaft sein. Doch bei „Ich und Earl und das Mädchen" ist alles anders. Nicht nur weil der schüchterne, aber filmverrückte Teenager Greg (Thomas Mann) mit seinem Freund Earl (RJ Cyler) in umwerfend komischen, kurzen Parodien die Filmgeschichte umkrempelt. Oder der Regisseur Alfonso Gomez-Rejon, davon angesteckt, mit immer wieder neuen Gestaltungsideen die Geschichte sehr lebendig hält. Es ist vor allem die völlig offene Art, wie Greg und Rachel miteinander und mit der Krebserkrankung umgehen. Das ist im Gegensatz zu den bescheuerten Geschichten, die sich Greg ausdenkt, berührend und erfrischend ehrlich.

Wobei das Gelingen des in vieler Hinsicht sehenswerten Meisterwerkchens in der perfekten Balance zwischen unverkitschter Rührung und ausgeflipptem Humor liegt. Die Filmchen von Greg und Earl sind schon im Titel sensationell: „Death in Tennis" (statt „Death in Venice" nach dem anderen Thomas Mann!), „Apocalypse Wow!" oder „Sockwork Orange", komplett von Socken gespielt. Dazu gibt es Farben wie im „Grand Budapest Hotel" von Wes Anderson, immer wieder überraschende Schwenks und Greg redet gekonnt im eigentlich unnachahmlichen Werner Herzog-Englisch. Ja, hier erzählt ein Filmfan die Geschichte eines Filmfans, doch es bleibt eng verwoben mit der anderen Geschichte um Rachel unaufdringlich. Ein schöner, passender Mehrwert, wenn selbstverständlich auch in Text und Musik Truffauts unvergessener Jugendfilm „Sie küssten und sie schlugen ihn" zitiert wird. Das ganz eigenständige, poetische Finale ist dann noch mal Perle und Erkenntnis-Schatz, den man gut in das DVD-Regal der wirklich wichtigen Lebensweisheiten stellen kann.

Bei all dem Guten ist man sich ganz sicher: Dies ist ein Film von einem ganz großen, dies kann nur von Charlie Kaufmann oder Spike Jonze sein. Doch der Name zum Merken lautet Alfonso Gomez-Rejon. (Sowie Jesse Andrews, der Drehbuch und den Roman „Ich und Earl und das sterbende Mädchen" schrieb.) Gomez-Rejon drehte einige Folgen „Glee" und „American Horror Story", sowie den optisch sehr anspruchsvollen Teenie-Horror „Warte, bis es dunkel wird". Nun wartet man ungeduldig auf den Nachfolger dieses großartigen „Ich und Earl und das Mädchen".

Familienbande (2015)

Irland 2015 (You're ugly too) Regie: Mark Noonan mit Aidan Gillen, Lauren Kinsella, Erika Sainte, George Pistereanu 81 Min. FSK: ab 6

Rau ist diese Gegend Irlands, rau der Typ. Doch die Flüche und das Spucken seiner Pflege-Tochter Stacey (Lauren Kinsella) gehen selbst dem gerade entlassenen Häftling Will (Aidan Gillen) zu weit. Was dank toller Schauspieler selbst in dem nicht unbedingt seltenen Genre ungleicher Paarungen von Anfang an packen kann: Denn Will kümmert sich nach Jahren erstmals um Stacey, nachdem ihre Mutter gestorben ist. Er ist zwar ein ungezwungen wirkender, spontaner Typ mit sehr schönem, lässigem und unangepasstem Humor, doch das sind alles keine Vater-Qualitäten. Wobei es momentan jeder mit der trotzig trauernden Stacey schwer haben würde. Äußerlich lässt sich der sympathische Teenager nichts anmerken, aber immer mal wieder fällt sie vor lauter emotionalen Stress in Ohnmacht.

So landen die beiden in einem wenig reizvollen Trailer-Park mitten in trister Torflandschaft. Dass in der humorlos und falsch betitelten „Familienbande" trotzdem keine Tristesse aufkommt, liegt an den reizvollen Ecken und Kanten aller Personen, den grandios motzigen und rotzigen Dialogen. Dazu entsteht noch eine ungewöhnliche Freundschaft zu neuen Nachbarn, bei denen der Mann erstaunlich oft und offen auf die Attraktivität seiner ohnehin schon zu verführerischen Freundin hinweist. Will bedient sich derweil bei den Amphetaminen für seine Tochter und irgendwann erfahren wir mit Stacey, dass er nur wegen ihr auf Bewährung aus dem Knast kam. Wenn das Tribunal der Sozialdienstler nicht zufrieden ist, muss er die letzten sechs Monate noch absitzen.

Das ist jedoch nicht die einzige Überraschung des ruhigen und wunderbar intensiv auf seine Figuren konzentrierten Films. Der es sich erlaubt, keine einfache Lösung vorzugaukeln. Was ein Beispiel dafür ist, dass das Wohlfühlen aus den Wohlfühlfilmen auch aus einer genau passenden Machart erwachsen kann. Aus guter Geschichte von Autor und Regisseur Mark Noonan, aus klasse Kamera und hervorragenden Schauspielern. Aidan Gillen, der Darsteller des Will ist nicht nur hier extrem präsent. Wer den „Game of Thrones"-Teilnehmer als verführerischen Schurken in „Maze Runner 2" erlebt hat, wird sich sofort erinnern.

10.11.15

Die Highligen Drei Könige

USA 2015 (The night before) Regie: Jonathan Levine mit Seth Rogen, Joseph Gordon-Levitt, Anthony Mackie, Lizzy Caplan, Miley Cyrus, Michael Shannon 110 Min.

Der erste Weihnachtsfilm der Saison bekommt hier immer eine Breitseite, die einer Invasion von Lebensmittelmotten in die viel zu früh angekarrten Lebkuchen und Printen aller Discounter entspricht. Doch diesem völlig bekloppten, durchgeknallten und chaotisch gelungenen Christmas-Punk sei verziehen. Wenn Seth Rogen als jüdischer Weihnachts-Boykotteur einen weißen Messias ans Kreuz nagelt, kann endlich ein Film dem „Leben des Brian" den heiligen Gral reichen.

Seit 2001 kurz vor Weihnachten Ethans (Joseph Gordon-Levitt) Eltern starben, feiern seine Freunde Isaac (Seth Rogen) und Chris (Anthony Mackie) Heiligabend rituell mit einem festen Ablauf aus Party, Karaoke und chinesischem Essen. Nun hat Chris als Sportler Karriere gemacht und Isaac wird bald Vater, also steht die Tradition vor dem Aus. Das letzte Fest soll jedoch einmal rauschend werden, denn Ethan hat endlich Karten für die jahrelang gesuchte geheimnisvolle Weihnachtsparty „Nutcracka Ball" klauen können. Isaacs kumpelhafte Frau Betsy (Jillian Bell) stattet die Jungs mit einem berauschenden Weihnachtspäckchen aus und los geht der Kultur-Clash aus verkitschten christlichen Traditionen und Exzessen im Stil von „Hangover".

Ohne Drogen und ein paar Liter Glühwein bleibt dieser unbeschreibliche Film schwer zu fassen: Nett wie die Jungs in ihren Acryl-Pullovern mit Davidstern (Isaac), einem schwarzen Nikolaus (Chris) und Rentieren (Ethan) schwitzen. Grandios wie Seth Rogen wieder eine mehrfache Überdosis von allem möglichen spielt. Das konnte er (auch mit James Franco) 2008 schon gut in „Ananas Express" von Judd Apatow. Selbstverständlich wird dieser „highe" Weihnachtsfilm nach mäßigem Start deftig im Stile von „Bad Santa". Aber in aller auch stilistischer Konfusion wird dann noch eine Liebesgeschichte, die Zweifel des werdenden Vaters, die Wandlung eines Steroide spritzenden Sportlers, ein Drogen dealender Engel (himmlisch: Michael Shannon), eine iPhone-Verwechslung mit belastendem Material auf beiden, etwas schwule Romantik (mit James Franco) und ein Auftritt von Miley Cyrus untergemischt. Das ist Christmas Carol auf Speed. Das ist ein Great Gatsby, der Geist der Weihnacht spielt und mit Gras das Wahrheit verkündet. Also alles großartig wahnsinnig und komisch, wobei es schade und schön ist, dass alles gut ausgeht.

Nach dem ernsthaft komischen „50/50" - ebenfalls mit Joseph Gordon-Levitt - legt Jonathan Levine einen Film für Weihnachtshasser (samt Grinch) und in Bezug auf das „Highlige" Fest unentschieden Bisexuelle hin. Ein Meilenstein der feierlichen Beklopptheit.

Virgin Mountain

Island, Dänemark 2014 (Fúsi) Regie: Dagur Kári mit Gunnar Jónsson, Ilmur Kristjánsdóttir, Sigurjón Kjartansson 95 Min. FSK: ab 12

Man sollte ihm einen Nobelpreis für das Anderssein verleihen! Der isländische Regisseur Dagur Kári begeisterte schon mit seinem Debüt „Nói Albinói" (2002), dann mit der Geschichte eines jungen, unkonventionellen Legasthenikers in „Dark Horse" (2005) und etwas weniger mit seiner englisch-sprachigen Kneipen-Romantik „Ein gutes Herz" (2009). Jetzt ist er mit „Virgin Mountain" wieder in vertrauten nordischen Sphären. Die Geschichte vom gutmütigen aber extrem zurückgezogenen Mittvierziger Fúsi könnte ein Trauerspiel sein. Der sehr massige Kerl lebt noch bei seiner Mutter und wird von den Kollegen an der Gepäckabfertigung eines Flughafens gemobbt. Doch mit herrlich trockenem und leisem Humor darf Fúsi sich aus seinem Schneckenhaus trauen. Zuerst bekommt der Metall-Fan einen völlig unpassenden Line Dance-Kursus geschenkt, trifft dabei aber auf die kleine, attraktive Sjöfn. Es ist keineswegs einfach mit der manisch-depressiven Frau, doch irgendwann zersägt Fúsi sogar seine Wüstenlandschaft auf Spannplatte, mit der er dauernd Rommels Niederlage von El Alamein nachspielt.

Es ist groß, wie Gunnar Jónsson den zu sensiblen Riesen Fúsi spielt. Sympathisch sein die kleinen Spleens wie die Fern-Freundschaft mit dem Radio-DJ, der ihm jeden Abend einen Musikwunsch erfüllt. Die Geschichte von Regisseur und Autor Dagur Kári bewegt sich perfekt zwischen den Abgründen von Weinerlichkeit und grobem Humor. Sie überrascht immer wieder, jedoch ebenso feinfühlig, wie sich Fúsi emanzipiert. Ob er das Ägypten seiner Sandkasten-Spiele tatsächlich sehen wird, ist bei diesem schönen Psychogramm eigentlich unwichtig. Die ganze Entwicklung ist ein großes Vergnügen.

Erinnerungen an Marnie

Japan 2014 (Omoide no mânî) Regie: Hiromasa Yonebayashi 104 Min. FSK: ab 0

Auch wenn die Anime-Legende Hayao Miyazaki („Mein Nachbar Totoro", „Chihiros Reise ins Zauberland", „Prinzessin Mononoke") sich zurückgezogen hat, das legendären Ghibli Animationsstudio verzaubert weiterhin mit Animationsfilmen, die unser Verständnis dieser Technik sprengen. „Erinnerungen an Marnie" erzählt vom stillen, asthma-kranken Waisenmädchen Anna, das von ihrer Pflegemutter Yoriko den Sommer über zu Verwandten aufs Land geschickt wird. Dort entdeckt Anna ein altes Schloss am Ufer, das nur bei Ebbe zu Fuß zu erreichen ist. Immer wieder zieht es das Mädchen dort hin und schließlich trifft sie ein mysteriöses blondes Mädchen. Marnie wirkt in feinen Kleidern wie aus einer anderen Zeit. Doch dann, als Anna von einem Schwächeanfall erwacht, ist das Haus völlig verlassen.

Dieser neue, wunderbare Film der Gibli-Studios erzählt seine Kindergeschichte sehr ruhig und erstaunlich erwachsen, wie in einem alten Roman. Wenn Anna und Marnie das bedrohliche, verlassene Silo erkunden, in dem früher angeblich Kinder eingesperrt wurden, hat der märchenhafte Film etwas von gutem britischen Horror. Doch findet er bald wieder zu seinem leichten melodramatischen Klang, der in der finalen Auflösung in voller Harmonie mündet. Anna findet mit Reisen in Vergangenheit und Fantasie einen Weg, das Trauma vom Tod ihrer Eltern zu verarbeiten. Regisseur Hiromasa Yonebayashi („Arrietty – Die wundersame Welt der Borger"), der bei Hayao Miyazaki in die Schule ging, erzählt eine traurige und sehr, sehr schöne Geschichte. Die Vorlage stammt von der englischen Kinder- und Jugendbuchautorin und Illustratorin Joan G. Robinson (1910 - 1988).

9.11.15

Eisenstein in Guanajuato

Niederlande, Mexiko, Finnland, Belgien 2014 Regie: Peter Greenaway mit Elmer Bäck, Luis Alberti, Rasmus Slatis 105 Min.

Genau wie der letzte Bond-Film „Spectre" weidet sich Peter Greenaway mit „Eisenstein in Guanajuato" am mexikanischen Totenkult. In die freie Nacherzählung der Filmgeschichte um den nie vollendeten „Que viva México" mischt der äußerst kreative Regisseur Liebes- und Kulturgeschichten.

1931, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, reist der sowjetische Filmemacher Sergej Eisenstein (1898-1948) nach Mexiko, um dort einen neuen Film zu drehen: „Que viva México". Dass die Dokumentation Fragment blieb, ist bei Greenaway nur Hintergrund des Comings Outs von Eisenstein. Anfangs in - einem der vielen Topshots - von oben im Bett als Embrio gezeigt, wird ihn sein mexikanischer Fremdenführer Palomino Cañedo entjungfern und nach exzessiven Flitterwochen im zentralen Hotelzimmer auf staatlichen Druck verlassen. Was den legendären Regisseur mehr erschüttert als die Absagen berühmter us-amerikanischer Finanziers und der Befehl zur Rückkehr aus Moskau.

In Anlehnung an Eisensteins Revolutionsfilm „Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten" nennt Greenaway sein Werk „Zehn Tage, die Eisenstein erschütterten". Für Greenaway, der schon mal den Tod des Kinos verkündete, ist dies ein grandioses, lustvolles Comeback. Seit den 80ern war er mit „Prosperos Bücher", „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" oder „Verschwörung der Frauen" ein Revolutionär des filmischen Erzählens. Er zeigt nun diese zehn Tage in Mexiko detailreich und humorvoll als Eisensteins Begegnung mit einer anderen Kultur, deren Umgang mit dem Tod, und als Revolution des eigenen Körpers. Eisenstein gilt gemäß Greenaway als „Vaterfigur des Weltkinos, die unsere Sprache des Kinos entwickelte". Eine Sprache, die er selbst auch in diesem Film mit vielen Ideen weiter treibt. Trotzdem ist „Eisenstein in Guanajuato" nicht nur ein intellektuelles Vergnügen vom wandelnden Lexikon unter den Filmregisseuren.

„Eisenstein in Guanajuato" zeigt sich mit digital komponierten Bildern, die wie Fliegen herumsurren, als Film auf der Höhe der Zeit: Farbe wechselt mit Schwarzweiß, geteilte Rahmen zeigen neben den Darstellern die echten Gesichter von Frida Kahlo und Diego Rivera, Ausschnitte aus Eisensteins Meisterwerken „Panzerkreuzer Potemkin" und „Oktober" schauen kurz rein, ebenso Berühmtheiten der Zeit. Das ist der Stil, den Greenaway schon bei seinen letzten Filmen „Nightwatching", „The Tulse Luper Suitcases" präsentierte. Dass von der blutenden Jungfrau der Bezug zur Bluter- und Zaren-Familie der Romanovs gelegt wird, ist eines von hunderten Wissensteilchen, auf denen der Intellektuelle Greenaway seinen Filmspaß fundiert. Hinzu kommt nun ein pralles, im wahrsten Sinne lustvolles Erzählen. Die Ekstase des frisch verliebten und in intensiver Körperlichkeit schwelgenden Russen überträgt sich auf den Film selbst. So ist „Eisenstein in Guanajuato" nicht nur prall und elektrisiert mit Farben, Ideen, Wissen und Augenreizen, sondern auch mit einer schamlosen Körperlichkeit. Die gab es bei Greenaway schon immer, sie fällt jetzt nur wieder auf, weil sich die Zeiten geändert haben, das Kino in vieler Hinsicht verklemmter geworden ist.

8.11.15

Scouts vs. Zombies - Handbuch zur Zombie-Apokalypse

USA 2015 (Scouts Guide to the Zombie Apocalypse) Regie: Christopher Landon mit Tye Sheridan, Logan Miller, Joey Morgan, Sarah Dumont 93 Min. FSK: ab 16

Mal untot lachen? Also über die Untoten totlachen? Leider nicht hier, denn „Scouts vs. Zombies" ist so unspaßig wie das Klischee vom Pfadfinder-Ausflug. Und im Zombie-Genre so tot wie ein Witz mit sehr langem Bart. Nur für die Anfangs-Szene hat man sich scheinbar wirklich Mühe gemacht: Vor und hinter der Glasscheibe eines Labors wollen ein Karaoke-singender Putzmann und ein Forscher uns mit dem Virus vom Zombie-Spaß infizieren. Aber nach der kleinen Vorspeise des Zombie-Menus müssen wir tatsächlich mit peinlichen, spätpubertären Pfadfindern auf den Pfad der simplen Triebhaftigkeit. Jungs, die nur an Frauen-Brüsten interessiert sind, sehen selbst ein, dass sie besser mal auf Partys als nur zum Campen in den Wald gehen sollten. Doch ausgerechnet der letzte Ausflug von drei Scouts mit ihrem Fähnleinführer rettet sie vor der Zombie-Invasion in ihrem Heimatstädtchen. Vorerst...

Nach dem desaströsen Ausflug müssen sich die drei Scouts zusammen mit einer Stripperin gegen Horden mit dauernden kleinen Hunger zwischendurch zu wehr setzen. Und außerdem die Mitschüler auf der heißen Party retten, auf die sie selbst nicht eingeladen wurden. Hier verspielt die biedere Komödie alle Sympathien, wie der film-dienst treffend bemerkte, denn angepasster geht wirklich nicht.

„Scouts vs. Zombies" ist eine große Koalition anti-anarchischer Spaßbremsen und von sozialkritisch beißenden Zombies wie in „Dawn of the Dead" ebenso weit entfernt wie von den albernen in „Shaun of the dead". Ein paar wenige witzige Ideen und Wortspiele reichen nicht aus bei dieser Routine, mit der sich das Genre selbst zerfleischt. Zwischen Zombie-Katzen und Zombie-Penissen sind die Figuren pubertär verklemmt wie bei „Eis am Stil" aus dem letzten Jahrhundert. Das ist Kinderkram, nur das blutige Splatter-Finale bringt dem untoten Film ein „FSK ab 16" ein, was sich eventuell doch wieder als verkaufsfördernd erweist.

3.11.15

Dürrenmatt - Eine Liebesgeschichte

Schweiz 2015 Regie: Sabine Gisiger 76 Min. FSK: ab 6

25 Jahre nach seinem Tod lässt Sabine Gisiger den Menschen, Denker, Schriftsteller und Maler Friedrich Dürrenmatt in dieser Dokumentation aufleben. Der Autor von „Der Besuch der alten Dame", „Die Physiker", „Der Richter und sein Henker" oder „Das Versprechen" wird privat gezeigt mit vielen Gedanken über die eigene Arbeit. Im Zentrum des Films steht die bisher unbekannte Liebesgeschichte von Friedrich Dürrenmatt und seiner Frau Lotti Dürrenmatt-Geissler. 40 Jahre lebten die beiden in einer engen Beziehung: Kein Werk, das er nicht mit ihr diskutierte, keine Probe, auf die sie ihn nicht begleitete. In späteren Jahren wurde die Beziehung zunehmend problematisch. Nach Lottis Tod 1983 stürzte Dürrenmatt in eine tiefe Krise, aus der er sich mit der neuen, großen Liebe zur Schauspielerin Charlotte Kerr befreite.

Regisseurin Sabine Gisiger kombiniert die Interviews mit Dürrenmatts Kindern und der Schwester mit Ausschnitten einer älteren Dokumentation und vielen Stückchen aus Dürrenmatt-Verfilmungen. Die Schwester Vroni Dürrenmatt (91) und seine Kinder Peter Dürrenmatt (66) und Ruth Dürrenmatt (64), die zum ersten Mal öffentlich über den Vater reden, zeigen die private Seite: Für Dürrenmatt stellte der Humor die einzige Möglichkeit dar, Distanz zu einer Welt zu nehmen, die er schwer erträglich fand und oft schwer ertrug. Aber wenn man die Wahl zwischen zwei Todesarten habe, so Dürrenmatt, solle man sich nicht zu Tode ärgern, sondern sich lieber zu Tode lachen. Die klassische Dokumentation zeigt mehr den Menschen als den genialen Kreativen und ist so eine schöne Gelegenheit sich Dürrenmatt und seinen Texten noch einmal zu anzunähern.

El Club

Chile 2015 Regie: Pablo Larraín mit Roberto Farías, Antonia Zegers, Alfredo Castro, Alejandro Goic 98 Min.

In einem abgelegenes Haus an der stürmischen chilenischen Nordküste leben Padre Vidal, Padre Ortega, Padre Silva und Padre Ramírez unter Betreuung von Schwester Mónica. Es ein entspanntes Straflager, man könnte auch sagen, Ferienhäuschen am Meer für Päderasten, Kindesentführer und sonstige Verbrecher im Dienst der Kirche. Statt mit Gebet und Einkehr beschäftigen sie sich mit ihrem Windhund und lukrativen Wetten auf dessen Renn-Ergebnisse. Als ein weiterer Priester in diesem Schutzhaus der Kirche aufgenommen wird und darauf ein Mann vor dem Haus detailliert seine Vergewaltigung als Messdiener herausschreit, ist die Ruhe im Versteck vorbei. Pater García untersucht den Fall und will auch dieses Haus auflösen.

Eine melancholische Stille, ein sanftes Licht bestimmen das Leben in diesem Refugium, viel Köpfe zusammenstecken und Raunen. Dazwischen die förmlichen Interviews von Pater García mit den nicht ganz in kirchliche Ungnade gefallenen Priestern. So schockierend die Taten und die uneinsichtigen Haltungen der verbannten und versteckten Priester sind, der eindringliche Film schafft es trotzdem, das Entsetzen zu steigern. Ganz im Gegensatz zum hoffnungsvollen „No!" von Pablo Larraín erweist sich hier jede Revolution als weiteres, himmelschreiendes Unrecht. Pablo Larraín erhielt bei der Berlinale 2015 für „El Club" einen Silbernen Bär, den Großen Preis der Jury.

Die Schüler der Madame Anne

Frankreich 2014 (Les héritiers) Regie: Marie-Castille Mention-Schaar mit Ariane Ascaride, Ahmed Dramé, Noémie Merlant 105 Min. FSK: ab 6

Es ist der tägliche Kleinkrieg im (französischen) Klassenzimmer: Die Gangs stänkern gegeneinander, die Tussies zicken, Araber, Christen, Juden und Vegetarier fühlen sich dauernd benachteiligt. Die Lehrerin beachtet sowieso keiner. Ok, vielleicht ist es in der Pariser Vorstadt Créteil besonders ungemütlich. Vielleicht sind die Schülerinnen und Schüler besonders desinteressiert, weil sich ja auch niemand für sie interessiert. Oder interessieren wird, etwa auf dem Arbeitsmarkt, selbst wenn sie das Abi schaffen sollten.

Doch in dieser Geschichte, die auch noch eine wahre ist, geschieht ein Wunder. Beziehungsweise gibt es eine Lehrerin, die ein Wunder ist: Madame Anne Gueguen (Ariane Ascaride) unterrichtet schon 20 Jahre und steht nicht auf schlechte Laune. Nun schlägt sie ausgerechnet der Problemklasse des Léon Blum-Gymnasiums vor, an einem nationalen Schulwettbewerb teilzunehmen. Thema: „Kinder und Jugendliche im System der Konzentrationslager der Nazis". Die lahmen Reaktionen reichen von „Das schaffen wir doch sowieso nicht" bis „Das waren doch alles Juden".

Nicht nur der flotte Beginn des Films mit rascher Schnittfolge begeistert, auch die Fülle an kniffeligen Themen, sozialen, religiösen, politischen und Jugend-Problemen die hier rein- und angepackt werden. Da ist Oliver, der nun unbedingt Ibrahim sein will. Oder die herausgeputzte Mélanie (Noémie Merlant), der es anfangs peinlich ist, für das Thema zu recherchieren, weil Lesen nicht zu ihrem Image als Schlampe passt. Ein anderes Mädchen wird von einem scheinheiligen Moral-Macho böse wegen ihrer Kleidung bedroht. Sofort werden Totschlag-Argumente nachgeplappert, es sei ja auch ein Genozid, den israelische Besatzer aktuell in Palästina begehen. Da hilft auch der streng laizistische Freiraum Schule nicht, der am Tor Kopftücher und Kreuze gleichermaßen verbietet.

Aber diese echt heftige Klasse, die der Vertretung auf den Tischen herumtanzt, findet bei ihrer Recherche zum Thema und zueinander. Nicht erst durch den sehr bewegenden Besuch eines Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald erkennen sie, wo in ihrem Alltag überall Rassismus stattfindet. Das Thema „Holocaust" ist gar nicht so weit weg, es beginnt direkt vor der eigenen Nase.

Das stille Entsetzen im Gesicht der sonst so Lauten angesichts der Erzählung des Holocaust-Überlebenden Léon Zyguel, angesichts der riesigen Wände mit den Namen von Deportierten und Ermordeten, gehört zu den Momenten, die sich einbrennen in „Die Schüler der Madame Anne". Das gelingt auch ohne emotionale Verstärkung durch Piano und Streicher, die der Film ansonsten reichlich bemüht.

Dabei lösen sich einige Konflikte nebenbei in Wohlgefallen auf, persönliche Probleme aus dem Alltag der Schüler verschwinden im neuen Gemeinschaftsgefühl. Denn der Film erzählt eine echte Erfolgsgeschichte nach, und einer der Schüler hat sogar das Drehbuch zu diesem Film geschrieben. Dieser Ahmed Dramé spielt sich hier selbst als Malik. Eigentlich unglaublich bei diesem Thema, bei diesen Themen-Komplexen, aber „Die Schüler der Madame Anne" ist auch ein Wohlfühl-Film, ein hoffnungsvoller. Der zusammen mit den Schülern als Erben (der Originaltitel lautet: Les héritiers) den Schwur der Buchenwalder weiter gibt: Immer und überall gegen Rassismus aufzutreten.

2.11.15

Ritter Trenk

BRD, Österreich 2015 Regie: Anthony Power 80 Min. FSK: ab 0

Nach drei Umsetzungen für das ZDF gibt es Kirsten Boies Kinderbuch „Der kleine Ritter Trenk" nun auch als Film für kleine Kinofans. Die Buchabenteuer begeisterten und verkauften sich gut. Der Animationsfilm zeigt wie der Bauernjunge Trenk Tausendschlag mit seiner Familie vom unbarmherzigen Ritter und Lehnsherrn Wertolt geknechtet wird. Als eines Tages sein Vater zu Unrecht in den Kerker geworfen wird, zieht Trenk aus, Ritter zu werden. Mit ein bisschen Schrecken, Action und Klamauk und dank seinem Schwein bekommt Trenk einen Ausbildungsplatz als Ritter. In der Stadt trifft er auf Gaukler und auf der Burg die burschikose Thekla. Beim Turnier erweist sich Trenk nicht als furchtlos aber als sehr tapfer. Auch die Begegnung mit dem Drachen besteht er.

Der Film besteht hingegen den Vergleich mit aufwändigen Animationen aus den USA oder Asien nicht: Austauschbare Gesichter und Hintergrundzeichnungen können nicht begeistern. Hier sehen nicht nur alle irgendwie gleich aus, alles ähnelt auch anderen einfachen Zeichentrickfilmen. Nur ausgerechnet die Schurken, Wertholt und seine trotteligen Helfer, stechen hervor.

Aber wenigsten transportiert die übersichtliche Geschichte etwas soziales Bewusstsein und zeigt, dass es wegen ein paar reicher Menschen sehr viele sehr Arme gibt. Sowie etwas Emanzipation, weil Thekla zusammen mit Trenk alles für den Ritterkampf lernt. Das ist allerdings etwas wenig für ein Happy Ende auch an der Kinokasse.

Spectre

USA, Großbritannien 2015 Regie: Sam Mendes mit Daniel Craig, Ralph Fiennes, Christoph Waltz, Léa Seydoux 142 Min.

Bond, Mrs. Bond? Mit zwei Kindern und Altersvorsorge? Ja, es geht gut aus im 24. James Bond-Film. Familiär und menschlich gesehen. Dass es auch gut aussieht, garantiert Regisseur Sam Mendes. Er holt wenigstens stellenweise noch etwas aus dem völlig überkommenen und längst verblichenen Format „Bond-Film" raus.

Den Untertitel „The dead are alive" (Die Toten leben) bebildert Sam Mendes direkt zu Beginn mit der sehr reizvollen Szenerie des „Dia de los Muertos" in Mexico City: Der karnevaleske Umzug von Totenmasken und Gerippen als Kulisse für den üblichen Action-Teaser endet in einem völlig bescheuerten Hubschrauber-Stunt direkt über den Köpfen tausender Menschen. Doch nicht dieser hirnrissige Einsatz ist der Grund für die Entlassung von James Bond (Daniel Craig) in London. Man will die ganze 00-Abteilung null und nichtig machen. Umorganisation halt. Dass der kleine Bürokrat Max Denbigh (Andrew Scott) stattdessen mit einer neuen, globalen Totalüberwachung alle Geheimdienste ersetzen will, ist ein Thema. Dass sich darüber auch der Oberschurke Oberhauser (Christoph Waltz) freut, der die Technik liefert und selbst eifrig nutzt, noch nicht das zweite. Der kleine Alpenländler übernahm nicht nur die weiße Katze vom großen Bond-Gegner Ernst Stavro Blofeld, sondern auch dessen Welteroberungs-Wahnsinn. Als zusätzliche Pointe hasst er seinen Antagonisten Bond auch noch als Ziehbruder, als Kuckucks-Ei in seinem Nest.

Eine ganze Menge Psychodrama für einen Bond. Das geht alles von der Action- und Verführer-Zeit ab. Monica Bellucci muss für die einzige typische Bond-Girl-Nummer herhalten. Danach hat „Spectre" nicht mal Zeit, sie stilgemäß umzubringen. Léa Seydoux ist als Madeleine Swann, als Tochter des Killers Mr. White (Jesper Christensen) eine andere Nummer. Ihr Charme scheint Bond von seiner tödlichen Berufsbahn wegzubringen.

Man kann es kaum ernsthaft beschreiben, denn trotz Daniel Craig, trotz des exzellenten Regisseurs Sam Mendes ist Bond weiter lächerlich, der Oktopus-Vorspann nicht von einer Parodie zu unterscheiden. Selbst dass der Held degradiert wird, von Q kein Auto und wie zum Abschied nur eine Uhr erhält, um dann im Untergrund zu wirken, ist längst Routine, längst Klischee. Die Handlung setzt wenigstens etwas fortschrittlich „Skyfall" und andere Vorgänger fort, weil sich Spectre als eine übergeordnete Verbrecher-Organisation hinter all den Schurken der letzten Folgen herausstellt.

Doch alles, was im Ansatz gut klingt, was durch die Kamera von Hoyte van Hoytema sehr gut aussieht, leidet darunter, ein Bond-Film zu sein. Beziehungsweise die Bond-Routine mit der Action, den zwanghaft erlesenen Schauplätzen und der festen Figurenkonstellation leidet unter dem Vorhaben, einen ernsthaften Film mit dieser Figur zu erschaffen. Da passt es, dass Daniel Craig bei aller rauen Körperlichkeit alt und müde wirkt. Auch Christoph Waltz sah unter Tarantino wesentlich besser aus. Ralph Fiennes kann Judi Dench als M nicht ersetzen. Nur Léa Seydoux belebt mit ihrer unbeherrschbaren Präsenz den Film.

Aber auch, dass ein und das gleiche Überwachsystem vom Oberschurken und dem Staat benutzt wird, ist seit Snowden kein Staatsgeheimnis mehr. Zu oft zündeln Geheimdienste selber wie pyromanische Feuerwehrleute. So sind Franz (Oberhauser) und James nicht nur zwei Brüder, sondern Seiten einer Medaille. Was Mendes mit einer schönen Spiegelszene im Stile von Trottas „Bleierne Zeit" sinnlich macht. Terror und Staat brauchen einander. Die Aufsichtsratssitzung von Spectre unterscheidet sich in nichts von einem internationalen Wirtschaftskonzern. Da kann Bond sich nur noch ernüchtert ins Privatleben zurückziehen. Der romantischste aller Bond-Filme wählt diesen Weg. So wäre die Bond-Episode mit Daniel Craig auserzählt. Warum jetzt nicht gleich das ganze überkommene Sub-Genre lange pausieren lassen? Doch die Produzentin Frau Broccoli wird sich nicht das Gemüse vom Brot nehmen lassen.