31.5.15

Nice Places To Die

BRD 2014 Regie: Bernd Schaarmann 110 Min. FSK: ab 6

Der Filmemacher Bernd Schaarmann setzt mit „Nice Places To Die" seinen eigenen „naiven Blick" aus dem ebenfalls sehr persönlichen Vorgänger „Leben und Sterben in Castrop-Rauxel" fort. Dieser Film begann mit den Worten: „Ich bin Bernd und ich bin ein Bestatterkind." Für „Nice Places To Die" begab er sich auf eine Weltreise zu Friedhöfen in Argentinien, Kairo (Ägypten), Manila und Sulawesi (Indonesien) und kehrt zurück mit eindrucksvollen Aufnahmen sowie erweiternden Einsichten über ein anderes Miteinander von Leben und Tod.

Aus Buenos Aires kommt Ricardo, der mit seinem alten Transporter Tote hunderte Kilometer durch Argentinien fährt und auch schon mal im Transporter neben dem Sarg des Verstorbenen übernachtet. In Kairo, in der größten Totenstadt der Welt leben 10.000 Menschen seit Generationen zwischen den Toten. Hier ist der Friedhofsaufseher ein Makler, es gibt Postamt und Schulen, Friseur und Kiosk. Sowie normale Familienleben. Denn das ist einer der vielen Glücksfälle dieser sehenswerten Dokumentation, sie verfällt nicht in sozialem (An-) Klageton, sie zeigt das Feiern und das Rauchen der Wasserpfeifen in Kairo, das Spiel der Kinder in Manila. Dass die Kleinen einen Schädel herumkegeln, bis der zerbricht, ist für den westlichen Zuschauer spürbar grenzwertig.

In „Nice Places To Die" (deutsch: Nette Orte zum Sterben) stehen Schicksale armer Familien, die eigentlich anders leben wollen, neben heftigen und kuriosen Geschichten: Vor allem von der Mutter, die auf Sulawesi seit Jahren balsamiert im Haus der Familie liegt. In solchen Momenten, theoretisch unterfüttert mit diesem anderen Konzept von Dies- und Jenseits beim indonesischen Hochlandvolk der Torajas, kehrt der bild- und gedankenreiche, doch trotzdem leichte Film zu seinem Kern zurück. Die Frage „wie fühlt sich das an, mit dem Tod auf Du und Du?" führt zu einer ganz anderen Umgang mit dem Tod.

Der von der Film- und Medienstiftung NRW mit dem Gerd-Ruge-Stipendium geförderte, sehr sehenswerte „Nice Places To Die" begeistert mit erweiternden Einblicken und Erkenntnissen zu Leben und Tod, die in anderen Kulturen nicht als Gegensätze verstanden werden. So ist es dann nach dem glücklichen Erleben dieses Films gar nicht mehr eine so bittere Pointe, dass ausgerechnet der Regisseur Bernd Schaarmann, der sich so intensiv mit dem Tod beschäftigte, Oktober 2014 im Alter von erst 46 Jahren verstarb.

Die Frau in Gold

Großbritannien 2015 (Woman in gold) Regie: Simon Curtis mit Helen Mirren, Ryan Reynolds, Daniel Brühl, Katie Holmes, Tatiana Maslany 109 Min.

Sie wird als „Mona Lisa Österreichs" bezeichnet: Gustav Klimts Porträt von Adele Bloch-Bauer. Als „Frau in Gold" machte es eine typische Geschichte von Enteignung durch Nazis und schwieriger Rekonstitution mit. Der Film „Frau in Gold" erzählt dies als fiktive Geschichte der Nichte von Adele Bloch-Bauer nach und scheitert bei diesem wichtigen und hochaktuellen Exempel in Sachen Kunstraub mehrfach.

„Frau in Gold" beginnt 1998 bei der Identifikationsfigur Randy Schoenberg (Ryan Reynolds) in Los Angeles, einem Anwalt, der tatsächlich mit seiner Verwandtschaft zu dem aus einer jüdischen Familie stammenden Komponisten Arnold Schönberg schon einen komplexen Bezug zum alten Wien hat. Erst einmal für seine eigene, gescheiterte Karriere und später für das film-typische Gerechtigkeitsgefühl verfolgt Randy den Anspruch der Maria Altmann (Helen Mirren) auf das berühmte, von den nationalsozialistischen Besetzern enteignete Klimt-Gemälde. Wie die zickige alte Dame die jüdischen Wurzeln des jungen Anwalts testet, gehört noch zu den feineren Beobachtungen des mäßigen Films. Ansonsten folgt er uninspiriert den Mechanismen eines Gerichtsfilms mit austauschbaren Zielen, für die es alle zu kämpfen lohnt. Siehe „Music Box" von Costa-Gavras als besseres Beispiel.

Spannung gibt es in den Rückblenden zu Verfolgung und Flucht in Europa. Rührung in der schwierigen Reise von Maria Altman wieder nach Wien. Die Begegnung von Figuren aus Gegenwart und Vergangenheit in den gleichen Szenen stellen Höhepunkte in einem wenig erfreulichen Historien-Drama dar. Mit so was beeindruckte Regisseur Simon Curtis schon bei „My Week With Marilyn". In Erinnerung bleiben nun aber eher unfreiwillige Lachnummern wie Moritz Bleibtreu als Klimt mit lächerlichem Akzent. Daniel Brühl gibt den engagierten Wiener Journalisten mit aufgesetztem Nazi-Konflikt in der Familie. Letztlich ist „Woman in Gold", viel zu simpel. Quasi Restitution für alle, die noch nie was von Nazis, Raubkunst oder Judenverfolgung gehört haben. Sprich: Für den großen US-Markt. Ein schlechter, unerträglich simplifizierender Film, dem man aufgrund des aktuell bleibenden Themas trotzdem viele Zuschauer wünscht.

Spy - Susan Cooper Undercover

USA 2015 (Spy) Regie: Paul Feig mit Melissa McCarthy, Jason Statham, Rose Byrne, Jude Law 131 Min. FSK: ab 12

Melissa McCarthy, die Ulk-Nudel aus „St. Vincent", „Tammy - Voll abgefahren" oder „Taffe Mädels", eröffnet mit „Spy - Susan Cooper Undercover" die Polizistinnen-Wochen im Kino. Doch im Gegensatz zu Reese Witherspoon, die sich nächste Woche als „Miss Bodyguard" selbst gekonnt produziert, tritt McCarthy mit einer Selbstveralberung im vollen Umfang immer wieder ins Fett-Näpfchen.

Was wären all die Bonds dieser Welt ohne ihre Souffleuse per Knopf im Ohr? Witzfiguren, wie wir am Beispiel des perfekten Paares der CIA-Analytikerin Susan Cooper (Melissa McCarthy) und des Super-Agenten Bradley Fine (Jude Law) sehen: Während er nur die Faust auf Stichwort ausfährt und mal wegen Heuschnupfen den ganz Falschen umbringt,
hat sie in der Geheimdienst-Zentrale per Satelliten-Überwachung und Infrarot-Kamera den Durchblick. Beim regelmäßigen Essen nach erfolgreicher Mission träumt jedoch Susan von Romantik, während er die lustige Dicke als Kumpel veralbert.

So sollen wir uns nach dem James Bond-Vorspann etwas über die Parodie des eitlen Idioten amüsieren, doch vor allem über die talentierte, aber unsichere Frau, die zur Vorspeise eine originell präsentierte Handtuchrolle anknabbert und sich als Sahnehäubchen der Peinlichkeit einen hässliches Amulett um den Hals hängt. Falls es nicht reichen sollte, bekommt Cooper noch eine krasse Bindehautentzündung aufgemalt.

Ja, bei „Spy" wird immer dick aufgetragen. Und Susan Cooper wird immer runter gemacht, selbst die lang erwarteten Agenten-Tarnung und Geheimdienstausstattung sind mit Hämorrhoiden-Tüchern und Nagelpilz-Spray niederschmetternd. Man kann nun allein auf die Agenten-Travestie hoffen, in der die graue Büromaus wegen der Enttarnung aller Top-Agenten endlich selbst zum Einsatz kommt, um eine geklaute Atombombe aufzuspüren. Doch wie der Humor enttäuscht auch die Parodie. Erstaunlich einfallslos und billig kommt dieser Klamauk daher, in dem Susan Cooper schließlich als vermeintlicher weiblicher Bodyguard mit einer deftigen osteuropäischen Gangster-Zicke (Rose Byrne) zusammenarbeitet. Etwas das Reese Witherspoon ab nächster Woche als „Miss Bodyguard" in exakt gleicher Konstellation mit Sofia Vergara („Kiss the Cook") als kolumbianischer Drogen-Tusse auch wesentlich witziger und besser gelingt.

Ironischerweise klauen die männlichen Kollegen nicht nur auf dem Plakat Cooper/McCarthy die Show: Jude Law gibt den gelackten Agenten Bradley Fine perfekt überzogen und Jason Statham ist als cholerischer und wahnwitziger Agent mit Chuck Norris-Touch, der als Macho Cooper immer in die Quere kommt, eine gelungene Parodie seiner selbst.

Nun ist auch dieser Text so mit diskreditierenden Sexismen verseucht, wie das CIA-Büro mit Ungeziefer. Was leider dem Film exakt entspricht. Denn Melissa McCarthy gibt sich als „Spy" dafür her, dass man durchgehend über sie lacht. Selbst bessere Leistungen als ihre schlanken, durchdesignten Kollegen sehen vor allem bei Verfolgungsjagden nur albern aus. Ein Trampel gegen das organisierte Verbrechen? Mit dieser Neuauflage des Flops „Taffe Mädels" machen sich McCarthy und ihr Film nur lächerlich.

27.5.15

Ein Junge namens Titli

Indien 2014 (Titli) Regie: Kanu Behl mit Shashank Arora, Lalit Behl, Shivani Raghuvanshi, Ranvir Shorey 128 Min. FSK: ab 16

Titli ist der jüngste Bruder einer Familie aus Verbrechern und Mördern in den Slums von Delhi. Er will zwar eigene Wege gehen, doch um ihn zu binden, besorgt ihm sein extrem unsympathischer, cholerischer und ekliger ältester Bruder Vikram eine Frau. Nun staunt nicht nur der zu allem schweigende Titli über die Entschlossenheit seiner neuen Frau Neelu. Noch lacht sie über seinen Namen, der Schmetterling bedeutet, doch als was sich der Junior-Gangster entpuppt, ist dann entsetzlich.

Entsetzzlich wie vieles in diesem rauen, heftigen, großen Drama mit rücksichtslosen brutalen Figuren und einer ebenso mutigen wie gekonnten filmischen Umsetzung. Das Spielfilm-Debüt des Filmemachers Kanu Behl belegt dessen Herkunft mit großen dokumentarischen Qualitäten beim Einleben in die Slums und die Neubaugebiete von Immobilien-Spekulanten. Mit denen auch die Handlung über Neelus Geliebten verbunden ist. Beeinflusst vom Neorealismus erlaubt „Ein Junge namens Titli" einen packenden und erschreckenden Blick in Abgründe der indischen Gesellschaft. Produziert wurde die düstere Gangsterballade von Bollywood-Starregisseur Aditya Chopra.

26.5.15

Die Maisinsel

Georgien, BRD, Frankreich, Tschechien, Kasachstan 2014 (Simindis Kundzuli) Regie: George Ovashvili mit Ilyas Salman, Mariam Buturishvili, Irakli Samushia, Tamer Levent 101 Min. FSK: ab 0

Ein alter Mann legt mit seinem Kahn auf einer Insel an. Er kniet nieder, riecht nicht nur am Boden, er schmeckt ihn auch. Im Ablauf des Films besiedelt er die karge Insel und vollzieht den Prozess der Landgewinnung in einem übersichtlichen Mikrokosmos. Er baut - minutiös aufgenommen - eine Hütte, holt seine junge Enkelin hinzu und beginnt zu pflanzen.

Die Insel liegt im Grenzbereich zwischen Russland, Abchasien und Georgien. Konflikte drohen vor allem, das aber ständig: Durch die vorbei fahrenden Soldaten, denen vor allem als Männern alles zuzutrauen ist. Durch unterdrücktes Begehren auf der Insel selbst. Die Handlung bleibt fast wortlos, meist erfolgt die Kommunikation über ernste Blicke. Auch dadurch erhaltend die Bilder mit ihrer entrückten Schönheit viel Mythisches: Nachdem in der Nacht Jäger ein Reh auf der Insel erlegen, tropft auch Blut zwischen den Beinen der Enkelin herunter. Dann findet der alte Mann einen verwundeten Soldaten, versteckt und pflegt ihn.

So wie im großen Wachsen und Vergehen einer ganzen Insel die Taten der Menschen nichtig sind, bleiben auch diese Handlungselemente nur an der Oberfläche eines mit seinen Naturaufnahmen eindrucksvollen Films. „Die Maisinsel" erhielt den Hauptpreis beim Filmfestival in Karlsbad und war Georgiens Beitrag für den Auslands-Oscar. Dass der politische Hintergrund ein kriegerisch mörderischer ist, weil die Regionen Südossetien und Abchasien zwischen Georgien und Russland umkämpft sind, muss man nicht wissen. Denn „Die Maisinsel" will mit den Handlungen auf ihr universell gelten. Und bedeutungsvoll sein. Soweit, dass man bei Untergang der Insel nachdenkt, ob das jetzt reale Naturgewalt ist oder nur ein Symbol für die kriegerische Gewalt der Menschen, an der alles zugrunde geht. Das ist in der Einfachheit von Abläufen und Erzählung faszinierend, in der Bildgestaltung zeitweise betörend, aber auch etwas wenig für 100 Minuten Film. Vor allem, wenn man auch nach sieben Jahren den wesentlich eindrucksvolleren, dichteren Film „Delta" von Kornél Mundruczó (dessen „Underdog" in vier Wochen ins Kino kommt) noch immer im Kopf hat.

25.5.15

Poltergeist (2015)

USA 2015 Regie: Gil Kenan mit Sam Rockwell, Rosemarie DeWitt, Jared Harris, Jane Adams 94 Min. FSK: ab 16

Die Produktionsfirma nennt sich „Vertigo Ent." und tatsächlich kommt aus dem Reich der Toten ein Klassiker des Horrorfilms in die Hölle der 3D-Remakes: Die Familie, die in ein, auf altem Friedhof gebautes Geister-Haus einzieht, hat in der 2015er Version mit Wirtschaftskrise zu kämpfen, die Häuser in der Nachbarschaft werden wegen Immobilien-Krise versteigert. Doch vor allem der ängstliche Sohn bekommt öfters die Krise, wenn im Kleiderschrank Unheimliches lauert, die kleine Schwester mit Geistern spricht und ihn bald ein Spielzeug-Clown attackiert.

Nun kennt man ja die alte, von Tobe Hopper 1982 verfilmte Spielberg-Geschichte. Die Sache mit dem Indianer-Friedhof ist längst zum Allgemeingut-Scherz verkommen. Das Update versucht mit 3D und einem bekannten, populären und guten Schauspieler in Form von Sam Rockwell einen Mehrwert zu erzeugen. Rockwell macht seine Sache ganz gut - bis bald alle sowieso nur noch schreien und rumrennen. Vor allem das Finale beherrschen haufenweise Effekte, die es auf Wunsch auch in 3D gibt. Trotzdem haben vor allem zu Beginn die Bilder von damals auch in diesem Nachbau nichts an schauerlicher Kraft verloren. Heute denkt man allerdings zuerst an Elektro-Smog oder an Probleme der Sicherheit einer völlig vernetzten Welt, wenn statische Aufladungen das Grausliche vorankündigen. Die Faszination für einen Flachbild-Schirm, über den die Geister Kontakt mit der Familie aufnehmen, gleicht dem ganz modernen, geistlosen Starren auf Elektro-Geräte. Doch solche Gedanken belegen, dass der kaum packende Film nicht mit modernem raffinierten Horror mithalten kann. Dass er zum Glück auch nicht so schlimm wie die beliebten Splatter-Remakes ist, belegt die irgendwie unheimliche USA-Freigabe schon für 13-Jährige.

Das Zimmermädchen Lynn

BRD 2014 Regie: Ingo Haeb mit Vicky Krieps, Lena Lauzemis 90 Min. FSK: ab 12

Wie genial, dass die hochneurotische Lynn (Vicky Krieps) ihren Putzfimmel ausgerechnet als Zimmermädchen ausleben kann! Die sehr schöne Ergänzung der sympathischen Sonderlinge des deutschen Films muss dafür nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie allerdings erst mit ihrem alten und neuen Chef schlafen. Ziemlich unbeteiligt. Mit neugierigem Staunen verfolgt man im Weiteren den seltsamen Handlungen der entschlossen eigenen Lynn: Die immer in blauen Tönen Bekleidete zieht beim Dienst im Hotel die Unterwäsche einer Frau an und übernachtet unter dem Bett eines Gastes - während der auch dort schläft. Was ihr am nächsten Morgen ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Jedenfalls gibt ihr das mehr Befriedigung und menschliche Nähe als die kurzen Nummern mit dem Chef. Dann erlebt sie - wieder unter einem Hotelbett liegend - die Dienste einer Domina mit und ist richtig fasziniert. Lynn lernt die nur anfangs kühle Chiara kennen. Aus dem kleinen Rollenspiel entstehen große Gefühle und der kleine Film hebt ab zu einem großartig verträumten Happy End, in dem sich auch Lynns Leidenschaft für französische Filme erfüllt.

„Das Zimmermädchen Lynn" von Ingo Haeb nach Markus Orths gleichnamigem Roman inszeniert, ist eines dieser feinen Kunstwerke, deren große Freude man gar nicht mit dem Aufdröseln aller Glücksfälle kleinreden mag. Von der schönen Zeichnung dieser scheuen, aber entschlossenen Figur, über das treffende Spiel der Luxemburgerin Vicky Krieps stimmt alles. Dass es zur Mutter „ein weiter Weg" ist, gilt bei den genauen Dialogen voll leisem Humor selbstverständlich vor allem emotional. Spätestens wenn diese Mutter, weil sie beim Rasenmähen „fast ins Gras gebissen" hat, dann giftgrün im Krankenhaus liegt, wird die reizvolle Dramaturgie mit meist monochromen Farben um die im sanften Blau gehaltene Lynn klar. Da kann passend zur anfangs spröden Protagonistin eine Szene auch nur mal aus Minimal-Dialog bestehen: „Du?" „Ich!". Unter all dem besonders Erfreulichen und Beglückenden muss die Kamera von Sophie Maintigneux besonders erwähnt werden: Wie die Bildgestalterin bei „Siehst Du mich?" von Katinka Feistl, NeuFundLand" von Georg Maas, Philip Grönings „L'Amour" oder Rohmers „Das grüne Leuchten" hier nebenbei Häuser zu fast abstrakten Schluchten und Flächen gestaltet, ist ein eigenes Kunststück in diesem aus vielen Gründen unbedingt sehenswerten Film.

Kiss the Cook

USA 2014 (Chef) Regie: Jon Favreau mit Jon Favreau, John Leguizamo, Emjay Anthony, Scarlett Johansson, Dustin Hoffman, Sofía Vergara, Oliver Platt 114 Min. FSK: ab 6

Nach seinen Mega-Projekten mit „Iron Man" brilliert das Multitalent Jon Favreau in dem kleinen, sehr, sehr feinen „Kiss the Cook" als Regisseur und Hauptdarsteller. Wie gut dieser Mann ist und inszeniert, zeigt die Anwesenheit von Scarlett Johansson, Robert Downey Jr. und Dustin Hoffman in einem köstlichen Arthouse-Film.

Jon Favreau schrieb, inszenierte und spielt die Figur des Gourmetkoch Carl Casper aus Los Angeles. Für seinen Chef, den Restaurantbesitzer Riva (Dustin Hoffman) verkauft er nun seit zehn Jahren sein ehemals hoffnungsvolles und hochgelobtes Talent. Dabei ist seine Ehe mit Inez (Sofia Vergara) gescheitert, die Treffen mit seinem 11-jährigen Sohn Percy (Emjay Anthony) verlaufen eher schwierig. Da bricht eine vernichtende Besprechung eines snobistischen Kritikers (Oliver Platt) in Carls Leben. Die noch dazu Recht hat, weil Carl wieder mal nicht kochen durfte, was er eigentlich kann. Nach einem herrlichen Eklat im vollbesetzten Restaurant landet der Sternekoch auf der Straße. Im übertragenen und wahren Wortsinn: Denn pleite und frustriert kehrt er nach Miami zurück und möbelt einen heruntergekommenen Imbisswagen auf.

Wie Carl mit seinem Souschef Martin (John Leguizamo) die Schrottkiste und vor allem die ersten kubanischen Grill-Sandwichs anrichten, ist ein vielfältiger Genuss. Ebenso der durch Twitter angetriebenen Road- und Erfolgstrip durch den Süden der USA. Die Spielfreude springt über, die mit spürbarer Begeisterung ausgesuchte, flotte Latino-Musik ist exquisit, dank hervorragenden Kamera sieht man, was lecker ist und was nicht! Man sollte diesen Film tatsächlich nicht hungrig sehen. Oder ein Essen für nachher eingeplant haben.

Dass auch Carls Sohn Percy voller Begeisterung mit brutzelt und reist, ist eine weitere, emotionale Ebene in dem sehr reichen Film. Denn wenn die Macht der Blogger aufs Korn genommen wird und der Restaurant-Chef aus wirtschaftlichen Gründen Mittelmäßigkeit aufs Menu setzt, lässt sich die Situation ganz einfach auf die Welt des Films übertragen. Da bräuchte es die Stichworte Popcorn und Futter für die Massen nicht - wobei der Favreau seinen keineswegs bierernsten Carl durchaus auch Popcorn essen lässt!

Wer ist dieser Jon Favreau, der uns diesen großartigen Leinwand-Genuss serviert, unter eigener Regie selbst die Hauptrolle übernimmt und dem dabei alles gelingt? Er ist eindeutig der Chef, von „Kiss the Cook", der im Original „Chef" heißt. Offensichtlich bekannt ist Favreau mit seinem Charakterkopf durch seine oft komödiantischen Rollen. Doch schon 1996 war er bei „Swingers" als Autor, Produzent und Darsteller dabei. Danach führte Regie bei der Komödie „Buddy - Der Weihnachtself" (2003) sowie den Science Fiction „Zathura - Ein Abenteuer im Weltraum" (2005) und „Cowboys & Aliens" (2011). Aber vor allem bei der gelungenen Comic-Verfilmung „Iron Man". Was das Auftreten von Robert Downey jr. bei seinem „Chef" erklärt.

Favreau selbst zeigt sich bei „Chef" in einigen Szenen als exzellenter Komiker, zwischendurch wird gekifft, als Initiationsritus auf den langen, schweißtreibenden Fahrten kippt „mann" sich Maisstärke in die Hose. Das ist auch mal herrlich bescheuert, aber vor allem voller Lebensfreude und -Mut. Insgesamt ist „Kiss the Cook" eine wundervolle Liebeserklärung für das was man mit Leidenschaft und Überzeugung gut macht.

24.5.15

Lost River

USA 2014 Regie: Ryan Gosling mit Christina Hendricks, Iain De Caestecker, Saoirse Ronan, Matt Smith lost river95 Min. FSK: ab 16

Der kanadische Schauspieler Ryan Gosling entzweit die Filmwelt, was auch an seiner zweiteiligen Filmographie liegt: Als Lehrer in „Half Nelson" (2006) und Sonderling Lars bei „Lars und die Frauen" (2007) machte er auf sich aufmerksam. Um dann immer zurückgenommener in Gewaltfilmen wie „Drive", „Only God Forgives", „Gangster Squad" oder „The Place Beyond the Pines" ein Klischee seiner selbst zu werden. Nun legt er seine erste Regie hin - eine grandiose Pleite, ein filmhistorische bemerkenswerter Witz, wenn er nicht in seinem Epigonentum so grausam überzogen wäre. Dann lieber noch einen Film mit Gosling als Schauspieler ertragen...

Das Debüt des überschätzten Schauspielers Ryan Gosling („Drive") fährt wie all diese jungen, wilden Debüts viel Bild-Gewalt auf. Richtige Gewalt kommt auch nicht zu kurz, aber das verwundert bei der Rollenwahl des regissierenden Schauspielers nicht sehr: In der verfallenen Stadt Lost River lebt Billy (Christina Hendricks) mit ihren beiden Söhnen. Bones (Iain de Caestecker), der ältere, klaut in den Ruinen Metall und wird von der gewalttätigen Gang des üblen Bully (Matt Smith) gejagt. Seine Mutter nimmt auf Vermittlung des Bankers einen Job im zwielichtigen Nachtclub an, um das Haus behalten zu können. Dabei trifft sie auf die geheimnisvolle Cat (Eva Mendes). Der bemühte Sohn, der den kleinen Bruder so lieb vor den Monstern schützen will, sieht dabei aus wie Gosling als Teenager. Und der Film sieht aus, wie eine studentische Kopie von „Blue Velvet". Da wird die Handlung wild mit Symbolen aufgemischt, als man sich für ein Praktikum bei David Lynch bewirbt. Das Personal der aussterbenden Stadt wäre selbst für einen Groschenroman zu platt. Gosling wärmt ein Gemenge von Lynch und Refn, Sex und Gewalt, mysteriös überhöht auf. Dazu eine dreiste Besetzung: Die Mutter, die ihren Körper verkaufen muss, wird von „Mad Men"-Gallionsfigur Christina Hendricks vor allem, ja: verkörpert. Die Landschaft verfallener Häuser bleibt dabei das einzig interessante. Viel gewollt, wenig gekonnt. Schuster bleib bei deinen mäßigen Schauspiel-Leistungen.

21.5.15

Am grünen Rand der Welt

Großbritannien , USA 2015 (Far From The Madding Crowd) Regie: Thomas Vinterberg mit Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts, Michael Sheen 119 Min.

Nach dem Drama „Die Jagd" mit Mads Mikkelsen zeigt der Dogma-Däne Thomas Vinterberg („Das Fest") in der wunderbar fotografierten und mit Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts und Michael Sheen exzellent besetzten Thomas Hardy-Verfilmung erneut sein Können. Die von Carey Mulligan vielschichtig gespielte Farmerin steht in einem wahren Sturm von Schicksalsschlägen zwischen drei Männern. Der Belgier Matthias Schoenaerts („Rundskop", „Die Gärtnerin von Versailles", „Der Geschmack von Rost und Knochen") gibt mit dem stoischen und treuen Schäfer Mr. Oaks einen hervorragenden Mikkelsen-Ersatz.

Der unbedingt sehenswerte Film startet erst am 16. Juli 2015, doch als Statement gegen eine vom deutschen Verleih anscheinend angeordnete Nachrichten-Sperre hier schon mal ein kleiner Vorgeschmack. In Dänemark läuft er schon eine Weile, in Belgien seit dieser Woche im Kino.

19.5.15

Welcome to Karastan

Georgien, BRD, Russland, Großbritannien 2014 (Lost in Karastan) Regie: Ben Hopkins mit Matthew MacFadyen, MyAnna Buring, Noah Taylor, Richard van Weyden 99 Min. FSK: ab 12

Palchik, die Hauptstadt der autonomen Republik Karastan, empfängt für ihr erstes Filmfestival den letztlich mal kurz erfolgreichen Filmregisseur Emil Forester (Matthew MacFadyen). Ebenfalls im Begrüßungskomitee sind korrupte Beamte, verlogene Werbefilmchen für die aufstrebende Diktatur, Ruinen neben Palästen und das allgegenwärtige Militär. Das klägliche Event entwickelt sich zum Albtraum, Emil wurde ohne Honorar eingeladen, nur weil alle seine schauspielernde Ex-Frau sehen wollen. Doch letztlich bietet ihm der Diktator volle künstlerische und finanzielle Freiheit bei der Inszenierung eines nationalen Epos an. Naiv freudig begrüßt der nun staatstragende Regisseur die Statisten, die von Soldaten mit vorgehaltener Waffe herangebracht werden. Doch dann wird der esoterische und dauernd besoffene Hauptdarsteller von Rebellen entführt und der Umsturz ist nicht aufzuhalten.

Vorhersehbar und dünn zündet sie nie richtig, diese Satire über despotische Kleinstaaten im Kaukasus und zu willige Regisseure im Dunstkreis der Macht. Obwohl Matthew MacFadyen seinen Charakter als selbst im Angesicht des diktatorischen Terrors höflicher Brite gut spielt. „Welcome to Karastan" ist nicht so frei, so kunstvoll wie Hopkins' frühe Filme „37 Uses For A Dead Sheep" und „Die neun Leben des Tomas Katz". Schade, denn aktuell bleibt das Thema nicht nur wegen der European Games in Aserbaidschan, wegen der Fußball-WM in Russland und Qatar ....

Mein Herz tanzt

Israel, BRD, Frankreich 2014 (Dancing Arabs) Regie: Eran Riklis mit Tawfeek Barhom, Razi Gabareen, Yaël Abecassis, Michael Moshonov, Ali Suliman, Danielle Kitzis 104 Min. FSK: ab 6

Mit der israelisch-deutsch-französischen Produktion „Dancing Arabs" gelingt dem israelischen Regisseur Eran Riklis („Die syrische Braut", „Lemon Tree") ein großartiges Plädoyer für ein menschliches Zusammenleben im konstant krisengeschüttelten Nahen Osten. Die fabelhafte und reiche Entwicklungs-Geschichte des israelischen Palästinensers Eyad entstand dem halb-autobiographischen Roman „Dancing Arabs" des in New York lebenden Haaretz-Kolummnisten Sayed Kashua.

Eyad (Tawfeek Barhom) wächst in einem arabischen Dorf mitten in Israel auf. Seine verrückte Familie beschreibt er in Rückblenden herrlich pointiert. Zum Beispiel: „Mein Vater ist ein Terrorist!" Er studierte zwar in Jerusalem, doch dann wurde er ohne Anklage jahrelang ins Gefängnis geworfen. Der sehr intelligente Eyad folgt ihm teilweise: Als erster Araber darf er auf einem Eliteschule in Tel Aviv studieren. Die erwarteten Schikanen übersteht er mit Mut und klugem Kopf, dann verliebt er sich sogar in die Jüdin Naomi (Danielle Kitzis). Eine Romeo und Julia-Romanze mit ungewissem Ausgang beginnt, weil gleich zwei Gesellschaften dagegen sind. Erst als Eyad beginnt, Yonatan zu pflegen, der an Multiple Sklerose leidet, nimmt sein Leben eine radikale Wende. Die Jungs werden Freunde und mit Unterstützung von Yonatans Mutter, einer Richterin, nimmt der Araber die Identität des jüdischen Israeli an. Fortan ist sein Leben einfacher und sein Herz zerrissen.

Ein pralles Kaleidoskop an Geschichten, Erlebnissen und Gefühlen bündelt Eran Riklis in dem exzellent erzählten und montierten, gleichzeitig leichten und politischen, erschreckenden und spaßigen „Mein Herz tanzt". Eyad entdeckt beim Erwachsenwerden die Schätze im Koffer der geliebten Oma, die Musik des Freundes. Man amüsiert sich über den naiven jüdischen Austauschschüler aus den USA, leidet mit den Liebenden und dem schwer kranken Freund. Dabei läuft im Hintergrund Zeitgeschichte mit dem Libanon-Krieg und den Bombern, die ihren mörderischen Flug in Israel starten, bis zu den drohenden Angriffen aus dem Irak. Eran Riklis fügt seinen großartigen Filmen „Lemon Tree" (2007), „Die syrische Braut (2004) und „Cup Final" (1991) ein weiteres Meisterwerk hinzu.

18.5.15

Eine deutsche Jugend

F, CH, BRD 2015 (Une jeunesse allemande) Regie: Jean-Gabriel Périot 93 Min.

Dass der erste Studiengang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) mit den Studenten Harun Farocki und Hartmut Bitomsky sowie dem späteren RAF-Terroristen Holger Meins noch eine ganz andere historische Marke setzte, ist mehr als eine Fußnote der politischen (Film-) Geschichte. Jean-Gabriel Périot zeigt nur mit Originalmaterial die Entwicklung von den Anfängen einer Filmemacher-Karriere bis zur Krise eines Staates und den Freiheits-Rechten seiner Bürger. „Eine deutsche Jugend" von Jean-Gabriel Périot, der in seinen preisgekrönten Kurzfilmen Archivbilder aufwendig zu scharfen Kommentaren über Gewalt und Geschichte komponierte, zeigt den Knotenpunkt zwischen der Deutschen Film- und Fernsehakademie und den Anfängen der RAF auf.

Die klare Argumentation von Ulrike Meinhof in rauchenden Herrenrunden ist in vielen Ausschnitten eindrucksvoll. (Witzigerweise entschloss sich auch ihre Gruppierung während der Auseinandersetzung mit dem Konkret-Verlages ihres Ex-Mannes zu einer Art „Lügenpresse"-Statement: Der Reporter von Panorama solle sich doch um seinen Laden kümmern, so wie sie es bei ihrem täten. Solange gäbe es kein Interview.) Studienfilme von Holger Meins und anderen setzen sich für Sicherheit am Arbeitsplatz und die Rechte der Arbeiter ein. Wieder nur mit Archivmaterial erlebt man die dramatische Radikalisierung und die Besetzung der dffb. Es folgt der Bombenterror der RAF Anfang der Siebziger Jahre, die Verhaftung von Meins und Baader, sowie später auch Ensslin. Dann der Tod von Meins in Haft nach einem Hungerstreik.

Aber auch die Äußerungen vor allem von rechten „christlichen" Politikern stellen ein Trauerspiel dar. Mit in Folge die BILD-Hetze gegen Böll und andere, die sich nur etwas differenziert äußerten. In einer weiteren genialen Volte kehrt Périot zum Film zurück, zu Fassbinder, der in einem seiner eigenen Filme das Entsetzen angesichts der Todesfälle von Baader, Meinhof und Ensslin nackt ausdrückt und darüber diskutiert, dass die Gesetze eines Rechtstaates aus für Terroristen gelten.

Jean-Gabriel Périots „Eine deutsche Jugend" ist sowohl von seiner packenden Machart her als auch thematisch eine Sternstunde des dokumentarischen Films.

Sam O'Cool - Ein schräger Vogel hebt ab

Frankreich/Belgien, 2014 (Gus - Petit oiseau, grand voyage) Regie: Christian De Vita 90 Min. FSK: ab 0

Der Trickfilm-Held Sam O'Cool ist ein etwas abstrakt und eckig angelegter, ängstlicher Vogel, der ausgerechnet bei seinem ersten Ausflug aus den eigenen vier Wänden eine erfahrene Schar von Zugvögeln anführen soll. Das geht auch wegen rätselhaften Navigations-Tipps vom verstorbenen Patriarchen in die exakt falsche Richtung. Was nach einigem Zusammenraufen und Heldentaten in Sachen Gemeinschaftssinn doch ans Ziel führt.

„Sam O'Cool", die arg mittelmäßige belgisch-französische Animation für kleine Kinogänger, schafft es in wirklich keiner Hinsicht originell oder bemerkenswert zu sein. Sympathien gibt es nur für die originelle Idee, als Zugvogel mal mit dem Flieger in den Süden zu ziehen. Ganz gegen die Zurück zur Natur-Richtung von Film-Papagei Rio. Nicht gerade öko und auch nicht lehrreich für den zukünftigen Biologie-Unterricht der Kleinen. Aber man muss ja auch nicht Jahrtausende auf Schweinfleisch verzichten oder Milch und Fleisch trennen, weil es damals noch keinen Kühlschrank gab.

17.5.15

Die Augen des Engels

Großbritannien, Italien, Spanien 2014 (The Face of an Angel) Regie: Michael Winterbottom mit Daniel Brühl, Kate Beckinsale, Valerio Mastandrea, Cara Delevingne 103 Min.

Wenn ein großartiger und kluger Künstler wie Michael Winterbottom („Welcome to Sarajewo") sich eines Boulevard-Themas wie der italienischen Mordanklage gegen die Amerikanerin Amanda Knox annimmt, darf man viel mehr erwarten, als all die schmutzige Wäsche, die auf den bunten Seiten genüsslich hierüber ausgebreitet wird.

Was bisher geschah, können Sie eigentlich dem Altpapier aller Medienformen entnehmen: Die britische Studentin Meredith Kercher wurde 2007 im italienischen Perugia ermordet. Die mit Kercher befreundeten Amanda Knox und Raffaele Sollecito wurden lange Zeit - unter extremem Medieninteresse - der Mittäterschaft beschuldigt, und erst im März 2015 wurde Knox in letzter Instanz freigesprochen. Winterbottom schickt nun den zuletzt erfolglosen Regisseur Thomas Lang (Daniel Brühl) auf Recherche nach Italien. Von der italienischen Journalistin Simone Ford (Kate Beckinsale) begleitet und von der kellnernden Studentin Melanie (Cara Delevingne) durch das Nachtleben geführt, stürzt sich Lang erst mal in einen Haufen von Drogen. Dabei schleppt er noch die Probleme einer Trennung und die Sehnsucht nach seiner kleinen Tochter durch den Film.

Figuren, die Thomas Lang trifft, präsentieren einige Theorien über die Tat. Ein mysteriöser Blogger weiß mehr als die Polizei. Oder gehört das zu den verwirrenden Tagträumen des orientierungslosen Regisseurs? Aber Lang und der Film selbst zeigen kein großes Interesse, herauszubekommen, wer den Mord begangen hat. Winterbottoms Alter Ego-Regisseur meint, man müsse es sich wie eine Folge von „Akte X" vorstellen. Man weiß letztendlich nie, was passiert ist. Und Justiz ist sowieso ein Popularitäts-Wettbewerb. In den Dialogen wird behauptet, dass die öffentliche Präsentation der Angeklagten, die hier einen anderen Namen trägt, entscheiden für das Urteil war.

Doch erlebt man dies in „Die Augen des Engels" nie wirklich. Dafür verfolgt man, wie Daniel Brühl, der Niki Lauda der deutschen Schauspielkunst, sich als ungeeignete Identifikationsfigur reglos, undurchsichtig und dauernd bedrückt durch die Handlung schleppt. Genau wie die Musik des Films. Auch dass die Welt der ausländischen Reporter, wie schon im großartigen Kriegs(reporter)film „Welcome to Sarajevo", im Fokus sein soll, bleibt nur behauptet.

Wobei Winterbottom, selbst wenn er an hohen Erwartungen scheitert, noch immer geistreicher als die Masse an Kinofilmen ist: Da philosophiert ein Reporter über das große Interesse an Krimis, während wir doch reale Sterbefälle am liebsten ausblenden und verdrängen. Da spiegeln sich immer wieder die Anforderungen an den Regisseur im Film in denen an den Regisseur des Films. Denn schließlich erwarten die Produzenten ja „einen Film über die Mordgeschichte von zwei Teenagern". Weil Sex und Verbrechen sich hervorragend verkaufen. Das könnte Winterbottom auch, wie er 2004 mit dem erotischen Beziehungsfilm „9 Songs" bewies. Doch so wie Daniel Brühl hier nie den Anschein eines Filmemachers erweckt, kann man bei „Die Augen des Engels" auch kaum glauben, etwas von einem der besten Regisseure unserer Zeit zu sehen.

Abschussfahrt

BRD 2015 Regie: Tim Trachte mit Tilman Pörzgen, Chris Tall, Max von der Groeben, Florian Kroop, Lisa Volz 90 Min.

Diese „Komödie" für besoffene Jugendliche mit niedriger Humorschwelle kopiert „Hangover" auf platte Weise: Die Abschlussfahrt der Klasse führt nach Prag, ins „Herz Europas", wie der Lehrer Herr Graeser (Alexander Schubert) meint, oder in die „Muschi Europas" wie pubertierende Schüler erwarten. Paul, Berny und Max, drei Versager und Langeweiler, wollen beim Schulausflug groß was erleben. Allerdings soll Paul dabei auf Magnus, den autistischen Bruder der angehimmelten Juli aufpassen. Doch auch der wird abgefüllt und dann geht es mit einer billigen Stretchlimousine samt gefährlich wirkendem Fahrer Branco zu peinlichen Clubs. Bis ausgerechnet Magnus in einem SM-Schuppen als Geisel genommen wird und die anderen als Drogenkuriere das Geld an ein paar rabiate Engländer verlieren.

Schon die Anfahrt legt mit Sabbern, Kotzen und Wichsen die Stimmung bei Zielpublikum fest. Wild montierte Stadtaufnahmen sind dabei das Mutigste der an sich sehr braven Ekel-Komödie. Dabei bleibt nicht nur ein Finger auf der Strecke, auch die pubertierenden Persönlichkeiten werden für den lahmsten Scherz sofort geopfert. So ändert sich von „Eis am Stiel" vom Ende der Achtziger Jahre bis zu „Fack ju Göthe" nur die Ruppigkeit des Fäkalhumors und der Körperlichkeit. Die vermeintliche „Jugend" besteht konstant aus Pappfiguren, die auch in einer Komödie ernst genommen werden könnten. Produzent Christian Becker, der mit „Türkisch für Anfänger", „Vorstadtkrokodile" oder „Wickie und die starken Männer" immer für Qualität stand, enttäuscht hier sehr.

12.5.15

La buena vida - Das gute Leben

BRD 2014 Regie: Jens Schanze 94 Min. FSK: ab 0

Eine Doku über ein Naturvölkchen in Lateinamerika - nur was für Spezialisten also. Mitnichten! Schon die ersten Bilder von Zechensprengung und Fördereinstellung im Deutschland des Jahres 2012 macht - neben aktuellen Nachrichten über die Braunkohle - klar, dass wir genauso so ein Völkchen sind, dem ziemlich brutal der Boden unter den Füssen weggebaggert wird. Nur dass Jens Schanzes Film über die Indios vom Wayúu-Stamm viel interessanter ist, als das Wischiwaschi vom Wirtschaftsminister Gabriel zum dringend notwendigen Braunkohle-Stopp.

Am Horizont nähert sich mit lauten Explosionen eine Wunde im Boden dem Wald der Indios vom Wayúu-Stamm. Der Bergbau-Konzern Glencore zwingt die Menschen zur Umsiedlung und in Gesprächen mit dem Unternehmen, der an den Bodenschätzen der Allgemeinheit verdient, sagen dessen Vertreter brutal klar: Wie können es unseren Aktionären nicht zumuten, euch ausreichend Wasser zur Verfügung zu stellen! Diesem Affront stehen Bilder gegenüber, wie Jung und Alt mit den Händen Fische aus dem Fluss holen. Doch selbst dabei finden sie ironischerweise ein Stück Kohle im Wasser. Das wird übrigens auch genutzt, um die Straßen für die Kohlelaster staubfrei zu halten. So erzählt „La buena vida" von einer vorüber fließenden Fülle des Lebens und lässt ohne aufgesetzte Kommentare den eigenen Gedanken Freiraum.

Das Radio berichtet von Anschlägen der kämpferischen FARC-Rebellen, die Kohletransporte entgleisen lassen, während staatliche Paramilitärs schwer bewaffnet durch das kleine Dorf patrouillieren. Die eindrucksvolle Langzeitdokumentation zeigt ein paar Monate später erschütternd und grausam, wie die Menschen ihr eigenes Dorf abreißen und dabei eine Marien-Figur kurz und klein schlagen. Die trostlose neue Siedlung ist dann ein Schock - „hier kann man keine Leguane jagen".

Trotz der krampfartig präsentierten Bemühungen des Personals vom Konzern, sind dessen Handlungen ein einziger Hohn. Denn am Ende ist in der Neuansiedlung kein Wasser, kein Landbau möglich. Aber die Verantwortlichen, die wieder eine Gruppe rechtloser Menschen über den Tisch gezogen haben, sind stolz auf den Golfkurs im neuen Dorf. Und die deutschen Energiekonzerne verkünden den Bau neuer (umweltschädlicher) Kohlekraftwerke. Denn Regisseur Jens Schanze schlägt in seinem sehr klug montierten, exzellenten Film den Bogen zu unserem Energieverbrauch, der auch verantwortlich ist, dass jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen für die Kohle umgesiedelt werden. Unter anderem beim ähnlich rücksichtslosen und menschenfeindlichen Braunkohle-Abbau in Deutschland.

11.5.15

Zweite Chance

Dänemark, Schweden 2015 (En chance til) Regie: Susanne Bier mit Nikolaj Coster-Waldau, Maria Bonnevie, Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas, May Andersen 98 Min. FSK: ab 12

Trotz ihres unglücklichen Western-Ausflugs „Serena" gehört Susanne Bier mit einer eindrucksvollen Filmographie zum Besten, was das Kino unserer Zeit zu bieten hat. Von dem frühen „Open Hearts" (2002) über den Mad Mikkelsen-Knaller „Nach der Hochzeit" (2006) bis zur italienischen Tragikkomödie „Love Is All You Need" (2012) mit Pierce Brosnan und Trine Dyrholm gelangen der 1960 in Kopenhagen geborenen Dänin nur Meisterwerke. Für „Love Is All You Need" erhielt sie 2013 den Europäischen Filmpreis und „In einer besseren Welt" gewann 2011 einen Oscar. Eine eindrucksvolle Reihe, die sich mit „Zweite Chance" fortsetzt: Zwei Familien in krass unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und zwei Babys ergeben eine schockierende Geschichte, die nur ganz am Ende auf die Lars von Triersche Konsequenz zum Unerträglichen verzichtet.

Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) und Anna (Maria Bonnevie) leben den Familientraum im offenen Haus am See. Nur dass der Nachwuchs wenig schläft und viel schreit, belastet den jungen Kommissar. Doch wie groß seine Kinderliebe ist, zeigt sich während eines unfreundlichen „Hausbesuchs" der Polizei-Partner Andreas und Simon (Ulrich Thomsen). Der extrem unsympathische, auf Bewährung freie Dealer Tristan (Nikolaj Lie Kaas) lebt mit verwahrlostem Kind sowie mit geschlagener und abhängig gemachter Freundin in einem Drecksloch. Andreas wäscht und wickelt daraufhin das vom eigenen Kot bedeckte Baby. Eine Begegnung, die den jungen Vater nachhaltig schockiert. Wir werden kurz darauf gleich mehrfach geschockt: Nachdem Andreas' Sohn Alexander tot in seiner Wiege liegt und Anna schier wahnsinnig wird, tauscht der Polizist die Kinderleiche gegen das Baby des Kriminellen aus. Andreas ist überzeugt, „das Richtige" zu tun...

Völlig unfassbar und doch niemals unglaubwürdig. Der ungemein spannende Thriller „Zweite Chance" stellt über das Hinterstübchen die Frage, ob unbedingt die reich ausgestatteten Kinderstuben die besten sind - nicht nur im reichen Dänemark. Dabei überrascht das Buch damit, dass auch im Glashaus nicht alles offensichtlich ist.

Die neuerliche Bier-Sensation „Zweite Chance" wird von mittlerweile international bekannten Darstellern aus Dänemark exzellent, feinfühlig und packend umgesetzt. Vor allem beeindruckt auch May Andersen als geprügelte Junkie-Mutter Sanna.

Immer dabei bei diesen Meisterwerken von Susanne Bier ist als Koautor Anders Thomas Jensen („Adams Äpfel", „Dänische Delikatessen"). Ein Duo infernale, was die enorme Wirkung ihrer Filme betrifft. Wirkung im Sinne von Magengruben, die sich verwinden, und Tränendrüsen, die überlaufen. Aber auch im Sinne von Nachhaltigkeit, da all ihre Geschichten mitten im Jetzt und im Leben geschehen, in Bereichen spielen, die jedem Zuschauer nahe sind und nahe gehen müssen.

Ihre unauffällige Meisterschaft zeigt sich ebenfalls bei der Auflösung dieser grandiosen Geschichte in unterschiedlich faszinierenden Bildern: Von fast mythischen Szenen nächtlicher Fluss-Überquerungen über kleine Details der handelnden Figuren bis zu meditativ abstrakten Wasseroberflächen. Und dies alles im Fluss der Erzählung, also nie aufgesetzt. Nur dass es am Ende recht rasch versöhnlich wird, könnte bemängelt werden. Aber mit konsequent fortgeführtem Wahnsinn wäre es wohl ein großartiger Trier- und kein großartiger Bier-Film geworden.

10.5.15

Melodys Baby

Belgien, Luxemburg, Frankreich 2014 (Melody) Regie: Bernard Bellefroid mit Lucie Debay, Rachael Blake 92 Min. FSK: ab 12

Auf die Frage, weshalb die junge, arbeitslose Französin Melody (Lucie Debay) für Geld die Risiken der Leihmutterschaft mit Hormonbehandlung auf sich nehmen will, meint sie nüchtern: „Arm sein ist riskanter." Da spricht eine Verwandte von „Rosetta" der Dardennes. Ebenso verzweifelt wie dieses Lütticher Mädchen auf der Suche nach einem Job wirft Meldody Handzettel ein, um Leuten in deren Wohnung Haare zu schneiden. Und dann mit den unter vielen Entbehrungen zusammengesparten Euros, ohne eigene Wohnung, eine Anzahlung für einen Friseurladen macht.

Es rührt nicht nur ihre Auftraggeberin Emily (Rachael Blake), dass Melody dies alles für ihren Traum vom eigenen Geschäft tun will. Die harte Business-Frau aus England blickt sehnsuchtsvoll aus dem Grau ihres Büroalltags auf das bunte Leben im Betriebs-Kindergarten. 50.000 plus Unkosten zahlt sie für das Austragen ihrer befruchteten Eizellen und die sonstigen Prozeduren in der Ukraine.

„Melodys Baby" ist keineswegs ausgewogener Diskussionsbeitrag um Leihmutterschaft oder künstliche Befruchtung. Dazu hat der eindringliche und sehr emotionale Film viel zu viel Eigenes, über das man ausgiebig und leidenschaftlich diskutieren kann. Der Film entscheidet sich nie für eine der beiden Perspektiven, zeigt parallel das Leben beider Frauen, die über erst Telefon intensiven Kontakt halten und dann zusammenziehen. Obwohl Emilys Vertrauen öfters auf die Probe gestellt wird, so mit Melodys Lüge von einer Tochter, die es gar nicht gibt, muss sie ihrer Leihmutter vertrauen. Das gemeinsame Schicksal macht sie fast zu Freundinnen, im gleichberechtigten Wechsel von Englisch und Französisch tauschen sie ihre dunkelsten Lebenserfahrungen aus.

Die ganz spezielle Geschichte von „Melodys Baby" ist mit zwei sehr heftigen Schicksalen ein Melodram in realistischem, gegenwärtigem Setting - sehr, sehr bewegend und erschütternd. Rachael Blake und Lucie Debay spielen exzellent und herzzerreißend, die Kamera ist hervorragend, das Drama packt in den ersten Minuten und lässt nicht mehr los. Schade nur, dass sich das heftige Ende sich einerseits auch sehr einfach und radikal von einem Problem entledigt.

5.5.15

Der Babadook

Australien, Kanada 2014 (The Babadook) Regie: Jennifer Kent mit Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall 94 Min. FSK: ab 16

Ein hyperaktiver Balg, der seine Mutter zum Wahnsinn treibt mit seinen Kämpfen gegen vermeintliche Ungeheuer, mit selbstgebauten Waffen findet für die abendlichen Gutenacht-Geschichten ein neues Buch im Schrank. Dessen Kreatur Mister Babadook materialisiert sich bald im Haus. Doch anders als beim üblichen Horror vom Fließband irritiert dieses bemerkenswerte Debüt der Australierin Jennifer Kent nicht so sehr mit Schockmomenten sondern mit ungewöhnlichen Perspektiven. Er zeigt nicht die üblichen glatten Gesichter - der Krankenschwester Amelia (Essie Davis) kann man nach dem tragischen Tod ihres Mannes eine enorme Erschöpfung im Gesicht ablesen. Dazu ein angsteinjagendes Grau in der Wohnung. Und eine Geschichte, die sowohl das Grauen im Schrank als auch die ganz alltäglichen Probleme erschreckend darstellt.

Hedi Schneider steckt fest

BRD, Norwegen 2015 Regie: Sonja Heiss mit Laura Tonke, Hans Löw, Leander Nitsche 92 Min.

Hedi Schneider (Laura Tonke) ist eine kindliche Frohnatur, die wenn sie im Aufzug feststeckt, sich gerne mit dem Menschen an der anderen Seite der Notruf-Leitung unterhält und ein paar Hamburger bestellt. Bis sie plötzlich auch in ihrem Leben fest steckt. Eben scherzte sie noch über Denke-Krätze und bei ihrem Freund Uli (Hans Löw) „untenrum das Gift raussaugen", da überfällt sie eine heftige Panik-Attacke. Mit Begeisterung stürzt sie sich nun auf alle Tabletten und schluckt mit sturer Naivität direkt die Notfallpille. Doch das hilft genauso wenig wie Versuche der Selbsttherapie mit Schrei-Übungen in der U-Bahn. Die Belastbarkeit des Freundes ist irgendwann erreicht.

Regisseurin Sonja Heiss („Hotel Very Welcome") gelingt das Kunststück, sich einer bedrückenden Krankheit leicht und einfühlsam zu nähern. Sie zeigt lebendige Menschen, eine glückliche Familie mit vielen verrückten Ideen. Und mit genauso viel Witz blickt die Kamera in die Welt. Dass selbst unter der dicken Watte-Decke der Anti-Depressiva der schöne Film selbst kein Jammertal wird, liegt zu großen Teilen an der Figur, die Laura Tonke auf die Leinwand zaubert. Ja, das ist eigentlich ihr Film, mit der mutigen Offenheit ihrer Hedi, mit einer fragilen Unvoreingenommenheit gegenüber dem Leben, die ganz plötzlich einen Knacks bekommt.

Käpt'n Säbelzahn und der Schatz von Lama Rama

Norwegen 2014 (Kaptein Sabeltann og skatten i Lama Rama) Regie: John Andreas Andersen, Lisa Marie Gamlem mit Kyrre Haugen Sydness, Vinjar Pettersen, Sofie Ramirez Bjerke, Odd-Magnus Williamson 97 Min. FSK: ab 0

Aus Norwegen kommt diese sehenswerte Varianten der „Fluch der Karibik"-Reihe mit zwei jugendlichen Protagonisten. Sie basiert auf den „Käpt'n Säbelzahn"-Kinderbüchern des Lehrers und Folk-Musikers Terje Formoe, die in ihrer Heimat äußert beliebt sind - bis hin zu Liedern, Fernsehfilmen und einem Piraten-Freizeitpark.

Der 11-jährige Pinky wird darin nach einigen Missgeschicken Mitglied in der berühmten Piratencrew von Käpt'n Säbelzahn. Als einziger Überlebender eines Schiffbruchs gerät er mit seiner besten Freundin Ravn heimlich auf Säbelzahns „Dark Lady", das Schiff, mit dem der gefürchtete „König der Sieben Meere" auf die Suche nach Schatz von Lama Rama geht.

„Käpt'n Säbelzahn und der Schatz von Lama Rama" zeigt eine witzige und spannende Geschichte mit lustigen Figuren und guten Schauspielern. Statt bombastischer mal eine charmante Inszenierung. Man sticht sich nicht ins Herz, man pickst sich in den Hintern. Die üblichen Pups-Scherze führen diesmal zur Erkenntnis, dass Lachen der größte Schatz der Welt ist. Da freut man sich mal über die deutlichen Hinweise auf Fortsetzungen. Allerdings ist der Stoff so gut, dass auch ein Hollywood-Remake droht.

Die abhandene Welt

BRD 2015 Regie: Margarethe von Trotta mit Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich 101 Min. FSK: ab 0

Nach „Hannah Arendt" nun der neue Kinospielfilm von Margarethe von Trotta, bei dem sie Regie führte und das Drehbuch schrieb. Aber „Die abhandene Welt" wirkt trotz Wiedersehen mit Barbara Sukowa, trotz Variation des Schwestern-Motivs aus „Die bleierne Zeit" wie ein Zwischenspiel voller abhandenem Können.

Ja, auch dieser Film leidet unter Katja Riemann, die in der Hauptrolle als - verständlicherweise - erfolglose Jazz-Sängerin zu erdulden ist. Doch alles drumherum ist derart seltsam, unglücklich bis absurd inszeniert, dass Riemann gar nicht mehr besonders negativ auffällt. Sophie (Katja Riemann) hängt in einer freudlosen Beziehung und einer kläglichen Karriere als Sängerin fest, als ihr irgendwie verwirrter Vater Paul Kromberger (Matthias Habich) sie wieder einmal zu sich ruft. Ein zufällig im Internet gefundenes Foto der amerikanischen Opernsängerin Caterina Fabiani (Barbara Sukowa) zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit zu seiner verstorbenen Frau Evelyn, Sophies Mutter. Wiederstrebend macht sich Sophie auf den Weg nach New York, um die Unbekannte aufzusuchen. Oder eher zu belagern, so naiv tollpatschig stellt sich die Frau an, wenn sie in die Garderobe des Stars eindringt oder sich bei einer Premierenfeier aufdrängt. Weil sich dabei ein ehemaliger Agent Caterinas in die unkonventionelle Deutsche verliebt, bekommt sie doch Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen. Was zu einer brüsken Ablehnung der Diva führt...

Das Warum und Weshalb dieser nicht einfach verständlichen Familiengeschichte gerät zum Beiwerk in einem arg konstruierten Film, der zwischen fast absurden Szenen sowie Gefühlen von Einsamkeit und Melancholie hin und her schwankt. Margarethe von Trotta legt hier ein Stück etabliertes, gesetztes und schließlich stagnierendes Kino hin. Erstaunlich angesichts des Könnens der 1942 in Berlin geborenen Regisseurin und Autorin: Als Darstellerin bei Fassbinder begann ihre Karriere in den sechziger Jahren, dann schrieb sie das Buch zu „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975). Von 1971 bis 1991 war sie mit Volker Schlöndorff verheiratet und erhielt 1981 für „Die bleierne Zeit" den Goldenen Löwen. Es folgten wichtige Filme wie „Rosa Luxemburg", „Rosenstraße", „Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" und zuletzt „Hannah Arendt". Dass nicht nur in „Die bleierne Zeit" immer wieder Schwestern im Werk der von Trotta auftauchen, ist nicht verwunderlich. Erfuhr sie doch erst im Alter von 37 Jahren, dass sie eine ältere Schwester hat.

Was ihrem aktuellen Film „Die abhandene Welt" aber nicht hilft: Zweifach nicht überzeugender Gesang von Riemann und Sukowa steht symptomatisch dafür, dass es bis zur harmonischen Familienzusammenführung in Geschichte, Schauspiel und Erzählfluss kräftig rumpelt. Sophie entdeckt sich dabei ein neues Selbstbewusstsein; man erkennt noch einmal, dass alte, alberne Männer wie Kinder sind. Das ist reichlich wenig für einen Film und geriet eher albern als dramatisch.

The Forecaster

BRD 2014 Regie: Marcus Vetter, Karin Steinberger (Co-Regie) 97 Min. FSK: ab 0

Der US-amerikanische Wirtschafts-Guru Martin Armstrong behauptet, die Zahl Pi läge wirtschaftlichen und politischen Zyklen zugrunde. Mit ihnen sagte er zuverlässig mehrere Wirtschaftskrisen oder auch den Libanonkrieg voraus. Im Knast landete er schließlich ohne Gerichtsverfahren, weil er ein Bauernopfer beim Sturz von Jelzin und der Inthronisierung von Putin war und alle den Computer-Code von Marty wollen.

Der Dokumentarfilm baut eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien auf, unterstützt sie mit einer Menge Talking Heads, die jedoch alle für Armstrong sprechen. Wenn es auch abenteuerlich wirkt, wie selbst das CIA hinter der Kabbala der Wirtschaftskurse her ist, bleibt alles doch filmisch uninteressant. Die Kamera folgt dem gefallenen Anlege-Helden, der einst drei Milliarden Dollar verwaltete, nach seiner Haftentlassung auf Vortragsreisen. Das magische Zahlenspiel bleibt dabei losgelöst vom Rest der Welt. Im Vergleich zu den vielen erhellenden Dokumentationen über die Hintergründe und Gewinner der Bankenkrisen - wie „Master of the Universe" - erzählt „The Forecaster" eine ungewöhnliche aber wenig relevante Geschichte. Unter anderem prophezeit Armstrong den Crash der internationalen Staatsschulden am 1. Oktober 2015. Ein guter Zeitpunkt, sich den Film auf DVD zu besorgen - oder nicht, wenn diese Wette auf die Zukunft nicht zutrifft.

3.5.15

Das Versprechen eines Lebens

Australien, Türkei, USA 2014 (The Water Diviner) Regie: Russell Crowe mit Russell Crowe, Olga Kurylenko, Yilmaz Erdogan, Cem Yilmaz 111 Min.

Eindringlicher Anti-Kriegsfilm, rührendes Familiendrama, nette Romanze und heißer Anwärter auf einen Atatürk-Gedächtnispreis - Russell Crowe gelingt in seiner ersten Regiearbeit fast alles! Auch dank seines zurückhaltend agierenden Hauptdarstellers Russell Crowe. Der ist fünfzehn Jahre später fülliger als der „Gladiator" - doch sein Film sieht richtig gut aus.

Man muss wissen, welche nationale Tragödie sich für Australien und Neuseeland mit dem Namen der Halbinsel Gallipoli verbindet. Der großartig furchtbare Spielfilm „Gallipoli" vom Australier Peter Weir zeigte es mit dem Landsmann Mel Gibson 1981: Hier wurden am Anfang des Ersten Weltkrieges 8700 Australier und 2700 Neuseeländer von ihren englischen Befehlshabern in einer unter den immer sinnlosen, besonders sinnlosen militärischen Aktionen als Kanonenfutter in den türkischen Kugelhagel geschickt.

Drei Söhne des australischen Farmers Joshua Connor (Russell Crowe) gelten seit dem grausamen Morden als „gefallen". Connors Frau, schon längst wegen des Verlustes wahnsinnig, bringt sich vier Jahre später um, was den anscheinend ruhigen und gefestigten Rutengänger in die Türkei reisen lässt. Er versprach der Frau am Grab, die Gebeine der Söhne nach Hause zu holen.

Ein mehrfach unmögliches Unterfangen kurz nach Kriegsende 1919. Allerdings haben wohl erstmals in der menschlichen Kriegsgeschichte die englischen Besetzer dieses Teils des osmanischen Reiches zusammen mit den unterlegenen Türken begonnen, das verwüstete Schlachtfeld aufzugraben, um möglichst viele von zehntausenden Leichen zu identifizieren. Jedoch strickt ohne Anwesenheit von Zivilisten. Doch Connor gewinnt mit stiller Aufrichtigkeit und einem massiven Dickkopf nicht nur das Herz der schönen Witwe Ayshe (Olga Kurylenko) in Istanbul. Er überzeugt auch einen osmanischen Offizier, ihm bei der Suche zu helfen. Dass der Australier tatsächlich die Überreste zweier Söhne so sicher findet, wie sonst seine Wasseradern, ist nur ein erstes Wunder in dieser bewegenden Geschichte.

„The Water Diviner" mit dem sinnfreien deutschen Titel „Das Versprechen eines Lebens" ist ein packendes und erstaunlich gelungenes Regie-Debüt, das die Grauen der Kriege deutlich anklagt. Ein paar Rückblenden zeigen heftige und emotionale Kriegsszenen, die erschüttern müssen. Dazu berührt Kameramann Andrew Lesnie mit wunderbaren Landschaftsaufnahmen. Die Geschichte spinnt mitreißend ein episches Familien-Drama vor überzeugender historischer Kulisse.

Vor allem aber - für einen neuseeländisch-australischen Regisseur sehr überraschend - erzählt der gelungene Film nebenbei von den Ursprüngen der heutigen Türkei: Die müden Soldaten berichten noch vom Jahrhunderte alten Riesen-Sultanat, in dem immer irgendwo Krieg war. Und während nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg unter englischer Besatzung den Angriffen eines neu erstarkten Griechenlands kaum etwas entgegengesetzt werden kann, beginnt der Aufstieg von Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei. Doch das passt zu dem unvoreingenommen Blick über die Kriegs-Gräben hinweg: Beide Seite zeigen Väter, die ihre Söhne überlebt haben. Was großartig einfühlsam dargestellt wird. Von einem zurückhaltenden Russell Crowe und von Yilmaz Erdogan („Once Upon a Time in Anatolia") in der Rolle des sympathischen Major Hassan.

Die schöne Romanze geriet vielleicht zu leicht und wurde zu reichlich mit Kerzen ausgeleuchtet. Die griechischen Soldaten, die aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches wieder ihr Byzantinisches Großreich zurück erobern wollen, sind als einziger Ausrutscher zu bestialisch dargestellt, während es selbst unter den nicht besonders gelittenen Engländern gute Menschen gibt. Doch verglichen etwa mit dem Murks, den Ryan Gosling mit „Lost River" abliefert, beweist Russell Crowe, dass er in seiner Karriere viel gelernt hat.

Hot Tub Time Machine 2

USA 2015 Regie: Steve Pink mit Rob Corddry, Craig Robinson, Clark Duke, Adam Scott, Gillian Jacobs, Chevy Chase 94 Min. FSK: ab 12

Fünf Minuten und ein mörderischer Smart sind auf der Positiv-Seite der platten Komödie „Hot Tub Time Machine 2" zu verbuchen. Wenn das Internet-Unternehmen „Louggle" (sic!) vom zeitreisenden Ideen-Klauer Lou und das Musikvideo zu „Stay (I Missed You)" als schlechte Kopie des Originals ablaufen, die Sängerin Lisa Loeb in dieser Billig-Parallelrealität nur noch die Katze hütet, sind das ein paar mäßig witzig verballhornte Kultur-Zitate. Damit haben auch Neueinsteiger kapiert, dass Lou (Rob Corddry), Nick (Craig Robinson) und Jacob (Clark Duke) dank des Whirlpools aus dem Titel in die Vergangenheit reisten und mit geklauten Ideen erfolg-reich wurden.

Im zweiten und wohl leider nicht letzten „Hot Tub"-Film aus lauter abgestandenen Ideen ohne Blubber drin reisen die drei nun in die Zukunft, um ein Penis-Attentat in der Gegenwart zu verhindern. Diese Unlogik ist übrigens die alleinige Referenz an übliche Paradoxien bei Zeitreisen. John Cusack hat sich als einziger nennenswerter Schauspieler des überraschenden Erfolgs der ersten Bade-Reise rausgetan. Gute Entscheidung, denn nun ist ein in der Zukunft autonom fahrender Smart mit Mordgelüsten das Witzigste im Film. Der muss sich immer mal wieder selbst mit einem an Auslöschung gemahnenden Flackern des Leadsingers von „Motley Lou" (sic!) erinnern, doch mal mit der Handlung fortzuschreiten. Diese gerät zu einem völligen Chaos, das damit fast formal „Zurück in die Zukunft" zitieren könnte. Wohlgemerkt: Könnte. Ein Film, der sowohl Hirn als auch Lachmuskeln maximal vor Belastung schont. Stattdessen übernehmen die Penis-, Sperma- und Schwulen-Witze in einem für großes Publikum angelegten Film auf erstaunliche Weise die Regie.

Man könnte jetzt mit vielen ekligen Metaphern herbei schreiben, was und wen man in einem Whirlpool nicht sehen möchte ... oder kurz sagen, so ein billiger Schrott gehört nicht ins Kino.

Der Knastcoach

USA 2015 (Get hard) Regie: Etan Cohen mit Will Ferrell, Kevin Hart, Alison Brie, Craig T. Nelson 100 Min. FSK: ab 12

Will Ferrell ist als beschränkter Börsianer, der in den Knast muss, eine Witzfigur. Ein nerdiges, eitles Weißbrot, ein Geck, über den sich im Film erstmal niemand wundert, während man im Kino nur verwundert mit dem Kopf schütteln kann. Der gnadenlos ignoranten Aktien-Zocker heiratet bald Melissa, die Tochter vom Chef, und wird auch Teilhaber. Doch die Polizisten, welche die Verlobungsfeier stürmen, sind keine Stripper sondern echt. James wird wegen Börsenbetruges zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Was zu albern jämmerlichen Wehklagen führt, derweil der Film seinen Clou immer noch nicht von der Leine lässt. Um vorzuspulen: James lässt sich von einem schwarzen Wagenwäscher, der also qua Hautfarbe sicher Knasterfahrung haben muss, in den Tagen vor Haftantritt in San Quentin die nötige Härte gegenüber sicheren Vergewaltigungen durch Mithäftlinge antrainieren.

Was überhaupt nicht funktioniert, weil Darnell (Kevin Hart) ein unglaublich gesetzestreuer und lieber Familienvater ist. Weswegen der Humor nicht funktioniert, hat 1000 Gründe. Zwei sind die extrem schlecht gezeichneten Hauptfiguren, die den Gegensatz zwischen einem unverschämt reichen und einem armen Amerikaner darstellen sollen. Wobei der arme Darnell ein Firmenbesitzer ist, der das Haus für über 200.000 Dollar so gerade nicht kaufen kann. Will Ferrell, der in schrägen Filmen wie „Anchorman" durchaus komisch sein kann, wirkt hier nicht nur peinlich, er ist es!

Auf jeden Fall ist der ganze Mist so langweilig, dass Will Ferrell erst ein Messer im Kopf bekommen muss, damit man nach einer Stunde wieder aus dem unbequemen Kinoschlaf erwacht. Kurz darauf ist sein James nach viel langweiliger und vergeblicher Knast-Vorbereitung im Handumdrehen cool und Gangmitglied. Das ist Drehbuchschreiben für eine Aufmerksamkeitsspanne von maximal fünf Minuten. Besonders erstaunlich, da Regisseur und Koautor Etan Coen doch mal die Bücher von „Men in Black 3" und „Madagascar 2" hinbekommen hat.