25.3.15

Tod den Hippies!! Es lebe der Punk

BRD 2014 Regie: Oskar Roehler mit Tom Schilling, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Emilia Schüle, Frederick Lau, Hannelore Hoger 105 Min. FSK: ab 16

Oskar Roehler könnte man als den deutschen François Ozon bezeichnen: Man ahnt nie, was einen da als nächstes von der Leinwand anspringt. Ohne Angst, anzuecken, verfilmte er ebenso Michel Houellebecqs „Elementarteilchen" wie selbstzentriert seine eigene Familie in „Die Unberührbare". Dazu ein eigener Blick auf deutsche Geschichte in „Jud Süss - Film ohne Gewissen" und zuletzt in „Quellen des Lebens". Nun also die Hippies und Punks und die 80er Jahre: Beim nicht zimperlichen „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk" erinnert man sich plötzlich, dass Roehler in den 90ern die Bücher für Schlingensiefs trashige „Die 120 Tage von Bottrop", „United Trash", „Terror 2000 - Intensivstation Deutschland" schrieb. Um den Bogen zu komplettieren, wenn jemand Rainer Werner Fassbinder beerbt hat, dann dieser Roehler...

Anfang der 80er haust der Schüler Robert (Tom Schilling) in einem süddeutschen Internat: Das Lehrerzimmer sieht aus wie eine Kommune voller Kiffer. Auch der Rest ist großartig überzeichnet mit Sannyasins auf dem Flur und dem schwulen Neonazi Gries (Frederick Lau) als Freund. Mit dem Schlachtruf „Ich bin jung, ich will ficken und Drogen nehmen!" bricht das junge Alter Ego Roehlers in ehemalige West-Berlin auf. Ins Milliardengrab des westdeutschen Steuerzahlers, wo man samt aller denkbaren Pauschalen 1440 Mark Sozialhilfe bekommt, weil der Beamte ein Kunde in der Peepshow des Freundes Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) ist. So putzt der angehende Literat mit Kafka in der Tasche Kabinen voller Sperma, verliebt sich in die drogenabhängige Stripperin Sanja (Emilia Schüle) und klaut dem besonders wahnsinnigen Vater ein paar Hunderttausend, die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin bei ihm bunkerte. Dann geht ein großer Drogendeal schief und auch das Treffen mit Fassbinder klappt nur beinahe.

Doch derartige Nacherzählung greift bei einem von Anfang an prallen, deftigen und heftigen Film-Ereignis überhaupt nicht. Zahlreiche irre Szenen müssten im Detail mit allen Zitaten, Querverweisen und Cameo-Auftritten nacherzählt werden. So übernimmt im Hintergrund ein Amokläufer die Schule als Robert das Internat in Richtung Berlin verlässt. In der Peep-Show legen Blixa Bargeld (Alexander Scheer) und Nick Cave ihr frisch aufgenommenes Tape auf, später spielt sich ein großer Teil des Lebens- und Drogen-Wahns in Bargelds Kreuzberger Bar „Risiko" ab. Eine herrlich inszenierte Leere des Koks-Trips kontrastiert mit dem Bürgersteig voller Kotzender davor.

Bei all diesem wunderbaren erzählerischen und inszenatorischen Krawall bleibt Roehler sehr genau und aufmerksam: Die Neonazi-Verwandtschaft vom Punk zeigt er ebenso den orthodox jüdischen Schüler, der selbst beim pillenverseuchten Macho-Hippie die Tafel putzen muss. Doch wieder kann die Zusammenfassung den Reichtum Roehler nicht fassen. Denn dieser deftige Adoleszenz-Teil einer Lebensgeschichte mit sicherer Fortsetzung ist keiner dieser freundlich weichgespülten Rückblicke und nichts für Zartbesaitete. Hier herrscht wirklich noch der Punk, hier springt einem der Zeitgeist direkt an. Subjektiv gefiltert zwar, aber weiterhin herrlich heftig.

Mit klasse Schauspielern (Ausnahme: Ochsenknecht), noch besseren Kurzauftritten (Götz Otto, Rolf Zacher, Oliver Korittke) wie bei Fassbinder, den unerlässlichen Dramen mit den ausgesucht fiesen Eltern, tollen Songs der Zeit (von „This is not a love song" bis „Marmor, Stein und Eisen bricht" in der Kotz-Szene), grandiosen Dialogen und schamlos drastischen Szenen ist „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk" vielleicht nicht Jedermanns Sache. Aber erneut ein sehenswerter Beweis für Roehlers wahnsinnig reiche Schaffenskraft.