29.12.14

National Gallery

Frankreich, USA, Großbritannien 2014 Regie: Frederick Wiseman 181 Min. FSK: ab 0

Die schönsten Bilder dieser Kinowoche ... hängen in der Londoner National Gallery. Zum 85. Geburtstag des Regisseurs am morgigen Start-Donnerstag schenkt uns der meisterliche Dokumentarist Frederick Wiseman eine große Kunst-Geschichte mit hunderten wundervollen Bildern und Geschichten.

Tizian, Turner, Rembrandt, Rubens, Leonardo, Caravaggio, Vermeer und ... Wiseman. Der Filmemacher Frederick Wiseman, vor kurzem in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt, begibt sich unter die berühmten Kunstwerke in der National Gallery und schafft selbst eines. Der Aufwand hinter dem absolut faszinierenden Film ist enorm: Wiseman verbrachte zwölf Wochen in der National Gallery, nahm 170 Stunden Film auf, die er zum einem in jedem Moment packenden Werk im Direct-Cinema-Stil verdichtete.

Der überall hymnisch gefeierte Film „National Gallery" fesselt dabei mit großartigen, packenden, hoch spannenden Bilderklärungen und zahlreiche Geschichten. Und wie diese großartigen Museumsführer, die Wiseman als stiller Beobachter in den Mauern des Museums gefunden hat, vermitteln, ist vielfach spannender als all der Action- und Thriller-Kram, der nebenan im Kino scheppert. Wiseman schafft es im Schnitt, herrlichen Porträts ebenso faszinierende Gesichter der Betrachter gegenüber zu stellen. Bilder, Betrachter und Beamte. Denn auch die Organisatoren und Kuratoren, die Wiseman bei erstaunlich vielen Gesprächen zugelassen haben, müssen sich mit dem Image des Hauses beschäftigen. Oder ganz banal klären, ob ein Marathon genau vor ihrem Eingang enden soll. Und selbstverständlich das angespannte Budget mit den wachsenden Kürzungen besprechen.

Der Ausnahme-Regisseur zeigt verschiedene Ansätze der Kunstdidaktik, etwa ein Bildanalyse-Seminar für Blinde. Oder den Vorschlag eines Museumsführers, sich doch mal all die Geschichten über Moses auf Bildern in der National Gallery anzusehen. Dann geht es zu den Restauratoren und den Rahmen-Machern oder zu einer Röntgen-Aufnahmen eines Rembrandt als „Making of ..." eines großen Meisterwerkes vergangener Jahrhunderte. So kann der Bildbetrachter im Kino über den Film selbst in hunderte Bilder eintauchen. Alles selbstverständlich ohne gesprochenen Kommentar des Filmemachers, was schon beim stillen Eintritt in die heiligen Hallen erlösend angenehm auffällt.

Es wirkt angesichts des fertigen Meisterwerks „National Gallery" so einfach. Wiseman arbeitet in seinem 42. Film genau wie bei seiner wundervollen Dokumentation „La danse" über das Ballett der Pariser Oper aus dem Jahr 2009. Doch das „Wie" seines Querschnitts durch eine Institution, die Art, das Wesen der Kultur an diesem Ort mit einer gekonnten Balance verschiedener Bestandteile, Außen- und Innenaufnahmen, einzufangen, macht „National Gallery" selbst zu einem Kunstwerk. Wenn man sich einen Moment vom begeisterten Staunen löst, fallen die genialen Feinheiten dieser Ausnahme-Dokumentation auf: Da erzählt jemand von der starken Verbindung zwischen einem (Altar-) Bild und dem in ihm dargestellten Engeln, und es wird klar, dass Wiseman in diesem Moment mit seinem Film diesen Prozess vielschichtig reproduziert. Die Kritik ruft denn auch begeistert: „Fast so wie ein Besuch des tatsächlichen Museums!" Das wohl nicht ganz, aber man kann mit dem Film „National Gallery" die Institution National Gallery derart intensiv erspüren und detailliert verstehen, wie es mit einem Museums-Besuch allein nicht möglich wäre.