23.9.14

Who Am I - Kein System ist sicher

BRD 2014 Regie: Baran bo Odar mit Tom Schilling, Elyas M'Barek, Hannah Herzsprung, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr, Trine Dyrholm 106 Min. FSK: ab 12

Hat da jemand einen Hollywood-Server geknackt und sich ein hochkarätiges Thriller-Drehbuch geschnappt? Nein, wer 2010 „Das letzte Schweigen" gesehen hat, den letzten Kinofilm von Baran bo Odar, diesen optisch sensationellen Psycho-Thriller, weiß vom Talent des 1978 in der Schweiz geborenen Regisseurs. Nun schrieb er zusammen mit Jantje Friese einen hochspannenden Hacker-Thriller und realisierte es mit klasse Besetzung selbst als Kino-Knaller.

Benjamin (Tom Schilling) ist Hacker. Kein verspielter Nerd mit Ego-Shooter-Manie, sondern ein schüchternes, fast unsichtbares, braves Jüngelchen. Er pflegt seine Oma, die ihn nach dem Verschwinden des Vaters und dem Selbstmord der Mutter aufzog. Aber der bis zur Unsichtbarkeit unauffällige Pizzabote kann Maschinensprache, was scheinbar der Sesam-Öffne-Dich für alle Computer-Systeme ist. Der Versuch, der heimlich angehimmelten Marie (Hannah Herzsprung) eine Jura-Klausur vom Uni-Server zu klauen, scheitert nur in der blöden 3D-Welt, dem Fleisch-Space.

Doch die Sozialstrafe bringt Benjamin mit dem ganz anders strukturierten Max (Elyas M'Barek) zusammen: Auch Hacker, aber Meister des „social engineering", des Hackens von Menschen. Oder: extrovertierter, draufgängerischer Anmacher und Verführer. Mit dem wahnsinnigen Stephan (Wotan Wilke Möhring) und dem neurotischen Techniker Paul (Antoine Monot jr.) brechen sie bei Banken, Pharmakonzernen und Neonazis ein, um einfallsreich und witzig politische Statements abzulegen. In einer kindischen Konkurrenz mit MRX, dem Star der Hackerszene, düpieren sie schließlich den angeblich hochsicheren Bundesnachrichtendienst. Doch die Konkurrenz um Marie führt zum Mord an einem Undercover-Agenten. Benjamin sieht sich plötzlich von allen verfolgt.

Der ungewöhnlich dichte deutsche Film hat von Anfang an viel Power und Drive, gepuscht von Techno-Klängen (Musik: Michael Kamm). „Who Am I" ist fast komplett Benjamins Geständnis bei der Europol-Polizistin Hanne Lindberg (die großartige Dänin Trine Dyrholm) und ganz schnell gehört hier Keyser Soze zu den üblichen Verdächtigen. Also eine Art „23" für eine neue Generation. Hans-Christian Schmid war dabei 1998 der Regisseur und auch diesmal liegt der „Illuminatus" von Robert Anton Wilson als Bibel der Verschwörungstheorien neben dem Bett. Wobei, wenn Tom Schilling nun in der damaligen Rolle von August Diehl von allen verfolgt wird, ist es vor allem schneller und spannender, dafür weniger verrückt oder politisch.

Wenn das charakter-starke Quartett mit Masken die an den von Anonymus vereinnahmten Guy Fawkes erinnern, über die Dächer Frankfurts ziehen, sieht das aus wie im großen US-Krimi. Odars angestammter Kameramann Nikolaus Summerer fängt in Hell und Dunkel gute Bilder ein. Vor allem Tom Schilling legt eine klasse, facettenreiche Rolle hin. Die Kumpels von Benjamin sind tolle Ergänzungen seiner Persönlichkeit und mit Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring und „Tech-Nick" Antoine Monot jr. super besetzt. Auch Hannah Herzsprung begeistert mit einer schillernden Marie.

Spannend ist „Who Am I" schon bevor irgendeine Rennerei losgeht. Cyber-Crime mit Fleisch und Blut, auch die unvermeidliche Visualisierung von Digitalem gelang gut. Dass ein „Darkroom" zum düsteren U-Bahnwagon voller maskierter Typen geriet, geht durch. Nur der Nothammer als IP-Tracer ist ebenso übertrieben wie das Versteckspiel des Endes. Das enttäuschte ja schon bei „Das letzte Schweigen". Vor allem auf die Fortsetzung der Karriere von Baran bo Odar darf man gespannt sein. Vielleicht ist beim nächsten Mal das Finale so exzellent wie der Rest.