23.9.14

Phoenix (2014)

BRD 2014 Regie: Christian Petzold mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Michael Maertens 98 Min. FSK: ab 12

Die Hauptfigur ist eine Unbekannte, eine maskierte Leerstelle. In Deutschlands Stunde Null erfährt man bei einer medizinischen Untersuchung indirekt von den vielfältigen Verwundungen der KZ-Überlebenden Nelly (Nina Hoss), sieht den entsetzen Blick eines vorher ruppig kontrollierenden US-Soldaten. Nach der Wiederherstellung ihres Gesichts ist Nelly in den Trümmern Berlins von ihrem eigenen Abbild in einem gebrochenen Spiegel entsetzt. Weil es ein anderes ist. So erkennt auch ihr früherer Mann Johnny (Ronald Zehrfeld), den sie in der Nachtbar Phoenix entdeckt, sie nicht. Einst versteckte er die Jüdin vor den Nazis. Doch zwei Tage nach seiner Verhaftung wurde auch sie entdeckt und überlebte das KZ nur, weil sie nach einem Schuss ins Gesicht für tot gehalten wurde.

Mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld kann Regisseur Christian Petzold wieder auf die exzellenten Protagonisten aus „Barbara" bauen. In einer sogar witzigen Verschiebung ihrer Talente spielen sie in der kargen Kellerwohnung von Johnny absurdes Theater. Denn er, der sich nun Johannes nennt, will die Ähnlichkeit der Unerkannten nutzen, um das Erbe der Totgeglaubten zu beanspruchen. Dabei traut er der Zufallsbegegnung nicht zu, die darzustellen, die sie eigentlich ist. Wie er die Heimkehr einer KZ-Überlebenden mit luftigem roten Kleid und Pariser Schuhen inszenieren will, ist ein Hohn. Dass er ihre Erschütterung dabei nicht wahrnimmt, wirklich unglaublich und damit umso bedeutsamer. Denn auch dieser Petzold erzählt von mehr als nur einer Geschichte. In dem Kellerspiel spiegelt sich der Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem Grauen der Konzentrationslager in geradezu absurder Weise. Man sieht nicht, was man nicht sehen will. Und keiner will die Geschichten aus dem Lager hören. Dabei ist die Situation der Liebe Suchenden schon wieder eine der Gefangenschaft. Nellys Blick aus dem Fenster gleicht dem aus einer Zelle. Sie aber macht die zynische Maskerade mit: Nelly will von Johnny gesehen und geliebt werden.

Wie in Hitchcocks „Vertigo" James Stewart versucht, Kim Novak zum Ebenbild einer vermeintlich Toten zu machen, kommt hier die Nelly der Nina Hoss aus dem „Reich der Toten". Wortwörtlich, denn Nelly sagt, „als er mich nicht erkannt hat, war ich wieder tot. Jetzt hat er mich wieder zum Leben erweckt." „Phoenix" ist ein Melodram, dem die Strenge der Petzoldschen Filmkunst gut steht. Mit einer Tönung der Bilder, die auch optisch an die klassischen US-Melodramen der 50er - unter vom deutschen Flüchtling Douglas Sirk - erinnert. „Phoenix" wirkt klar und prägnant wie die Töne der Instrumental-Version von „Speak low", mit welcher der Film beginnt. Der Song von Kurt Weill ist das Leitmotiv des Filmes. Später kommt - mit Johnny am Klavier - eine gesungene Fassung der ehemals bekannten Sängerin Nelly und damit auch Gefühl hinzu.

Christian Petzold gelingt nach exzellenten Filmen wie das RAF-Drama „Die innere Sicherheit" (2000), dem Dreiecks-Melodram „Jerichow" (2008), der Wiedervereinigungs-Albtraum „Yella" (2007) und dem DDR-Abschied „Barbara" (2011) mit „Phoenix" nach einem eigenen Drehbuch (unter Mitarbeit des kürzlich verstorbenen Harun Farocki) auf der Basis der Romanvorlage „Le retour des cendres" von Hubert Monteilhet erneut ein Meisterwerk aus exakt sowie analytisch beobachtenden Bildern und verhalten leidenschaftlichen Figuren. Es ist wieder ein Stück deutscher Geschichtsschreibung, aber dann vor allem im atemberaubenden Finale, das ein unfassbarer Moment des Erkennens krönt, auch ein Glanzpunkt deutscher Filmgeschichte.