2.9.14

Mr May und das Flüstern der Ewigkeit

Großbritannien, Italien 2013 (Still Life) Regie: Uberto Pasolini mit Eddie Marsan, Joanne Froggatt, Karen Drury 92 Min. FSK: ab 12

Mr. May (Eddie Marsan) besucht konfessionsübergreifend eine Beerdigung nach der anderen. Immer ist er der einzige Trauergast, wählte die Musik aus, schrieb die Trauerrede für den Priester. Mr. May kümmert sich von Amts wegen um Verstorbene ohne Angehörige. Versucht akribisch Freunde oder Bekannte zu finden, die am Tod dieses Menschen Anteil haben könnten. Plädiert selbst bei Söhnen voller Hass für einen versöhnlichen Abschied. Meist vergebens.

Dabei ist John May selber so ein trauriger Fall. Er hat, außer dem beruflichen, keinen Kontakt mit anderen Menschen. Sitzt in einem fast komplett grauen Büro und seine Wohnung sieht noch trüber aus. Das pedantisch aufgedeckte Essen - eine Dose Tunfisch und ein Toast - ist gänzlich ein Trauerspiel. Einsam und verloren geht er mit seinem leicht schiefen Kopf durchs Leben. Nie sieht man ihn lächeln. Eine traurige und komische Gestalt. Sein Blick über ein Gräberfeld wirkt wie der Blick auf das eigene Leben.

Der perfekte Hauptdarsteller Eddie Marsan hat eines dieser unverwechselbaren Gesichter, das man sofort erkennt, obwohl man sich seinen Namen niemals merkt. In „Sherlock Holmes" spielt er den Inspector Lestrade, in „The World's End" war er einer der Saufkumpane neben Simon Pegg.

Nach 22 Jahren Dienst wird Mr. May von einem dieser zynischen Effizienz-Heinis gefeuert: Er sei ja gründlich, aber auch langsam und teuer. Vielleicht wolle einfach niemand mehr an die Toten denken. Für seinen letzten Fall hat er noch drei Tage. Der ist ausgerechnet einer seiner Nachbarn. Nun geht Mays Blick immer wieder zur Wohnung gegenüber. Aber bei der bemühten Recherche in einer Bäckerei und einem Seebad begegnet der einsame, graue Beamte immer mehr Menschen. Er verlässt die eingetretenen Wege, obwohl der Versuch, mal einen frischen Fisch zu essen, großartig misslingt. Doch May entdeckt in den Nacherzählungen der Zeitgenossen das faszinierende Leben seines letzten Klienten. Billy, ein Fallschirmspringer auf den Falklands, Obdachloser, Häftling, Vater, geliebt, gehasst.

Mr. May gehört einer aussterbenden Gattung an. Wie der Dodo, den niemand außer ihm mehr zu kennen scheint. Und wie er selbst, ist auch der Film wortkarg. Dafür gibt es immer wieder sehr schöne Kleinigkeiten in den Wohnungen der Verstorbenen, die Spuren eines Lebens fast poetisch zeigen. Die Abrücke einer Hand in der Creme-Dose, das gefundene Familien-Fotoalbum. Auch die Bilder von Kameramann Stefano Falivene sind Kleinode, während die Inszenierung von Regisseur und Autor Uberto Pasolini wunderbar kuriose Szenen zeigt. (Der ehemalige Investment Banker und Produzent von „Ganz oder gar nicht" ist nicht verwandt oder verschwägert mit Paolo Pasolini, aber ein Neffe von Luchino Visconti.) Besonders das Ende ist emotional tief bewegend, wunderschön mit einer bitteren Note, wenn der Film die Aufgabe von Mr. May übernehmen muss, weil er selbst dafür nicht mehr da ist.