27.8.14

Tao Jie - Ein einfaches Leben (DVD)

Hongkong 2012 Regie: Ann Hui

Ein einfaches Leben hat Ah Tao als Hausmädchen der Familie Leung über 60 Jahre lang geführt. Von den fünf Generationen, die sie mit großgezogen hat, ist nur mehr Filmproduzent Roger in Hongkong verblieben. Doch auch von jenem muss Tao sich trennen, als sie infolge eines Schlaganfalls in ein Altenheim verlegt wird. Für die in Würde gealterte Dame ein echter Neuanfang. Wie sich ihr bislang mit dringlichen Geschäften in der weiten Welt beschäftigte Ziehsohn Roger fortan um sie kümmert, wie sie fast wie ein verliebtes Paar Zeit miteinander verbringen, ist einfach nur zauberhaft. Ebenso die Art, wie Regisseurin Ann Hui diese große, zutiefst rührende Geschichte inszeniert: Undramatisch, mit wunderbarer Ruhe und ganz feinem Blick für die Menschen. Dass auch das Altern im Moloch Hongkong behandelt wird, oder die schnelllebiger Gesellschaft der Stadt, dass ist fast schon eine grobe Randerscheinung bei allen feinen, kleinen Erfahrungen des Films.

„Tao Jie - Ein einfaches Leben" wurde von der Kritikerlegende Roger Ebert unter die zehn besten Filme des Jahres 2012 gewählt und während der 68. Filmfestspiele von Venedig vierfach ausgezeichnet. Ein von einer wahren Geschichte inspiriertes Meisterwerk, in dem neben Anthony Wong auch die Regielegenden Tsui Hark und Sammo Hung einen Gastauftritt haben.

26.8.14

Diplomatie

Frankreich, BRD 2014 Regie: Volker Schlöndorff mit André Dussollier, Niels Arestrup, Burghart Klaußner, Robert Stadlober 84 Min. FSK: ab 12

„Uns bleibt immer Paris!" heißt es in „Casablanca", diesem anderen Film mit Nazi-Uniformen, Widerstandkämpfern und einer großen Liebe. In „Diplomatie" ist die Liebe eine platonische, eine zur Stadt selbst. Der diesmal vehement für sie kämpft, ist der schwedische Konsul Raoul Nordling (André Dussollier). Wie ein Geist taucht er morgens am 25. August 1944 im Zimmer des deutschen Besatzungskommandanten von Paris, General Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) auf. Der ist erst seit zwei Wochen in der Stadt und bekommt direkt eine historische Lektion: Sein Zimmer hätte einst Napoleon III und einer Mätresse gedient. Deshalb konnte der Schwede auch unbemerkt über eine geheime Treppe vordringen. Doch trotz des leichten, freundlichen Tons ist die Lage ernst. Die Amerikaner sind beinahe in der Stadt und der Widerstand kämpft überall. Bald soll Paris auf Befehl Hitlers dem Erdboden gleich gemacht werden, es ist komplett vermint. Die Seine soll zusätzlich alles überschwemmen.

Das wir alle noch von Paris träumen, so wie es Nordling immer evoziert, liegt in dieser fiktiven Geschichte um eine rätselhafte historische Befehlsverweigerung und der großen Liebe des Konsuls. Sowie an dessen Gerissenheit. Das Rededuell der Männer findet auf hohem Niveau statt. Nordlings Argument, von Choltitz solle sich vorstellen, er sei Abraham, der die Stadt wie seinen Sohn Isaak opfere. Nur dass diesmal kein Gott in letzter Minute Einhalt geböte. Dieses Beispiel kippt an Hitlers Befehl zur Sippenhaft: Wenn der General nicht folgt, ist seine in Deutschland gegeiselte Familie bedroht.

Obwohl es auf Cyril Gélys gleichnamigem Bühnenstück basiert, ist „Diplomatie" kein Kammerspiel. Dazu sind die Stichwort gebenden Momente, die immer wieder von außen kommen, zu spannend. Handelt es sich doch nur noch um Minuten, bis der Befehlt zur Zerstörung der Stadt gegeben werden soll. André Dussollier und Niels Arestrup waren auch die Hauptdarsteller des Theaterstücks und es macht Spaß ihnen zuzusehen, ihrem Ringen um Moral, Anstand und historische Verantwortung. (Burghart Klaußner und Robert Stadlober haben Nebenrollen.) Obwohl es um einen ganz konkreten Moment in der Geschichte geht, schwebt in der Szenerie auch etwas Verspieltes, Surreales. Es ist schließlich eine fast lächerliche Pointe, die dafür sorgt, das uns Paris noch immer bleibt.

Can a Song Save Your Life?

USA 2013 (Begin again) Regie: John Carney mit Keira Knightley, Mark Ruffalo, Hailee Steinfeld, Adam Levine, James Corden, Catherine Keener 104 Min. FSK: ab 0

Ja, kann ein Lied ein Leben retten? Eigentlich eine hypothetische Frage. Dass ein Film zumindest manchmal ein Leben ändern kann, bewies schon „Once" und beweist auch dieser hier: Man bekommt unweigerlich Lust, Musik zu machen, ein Video zu drehen oder irgendwie dem Schönen im Leben eine Form zu geben.

Dabei geht es herzergreifend traurig los, als Gretta (Keira Knightley) in einer New Yorker Kneipe beim Offenen Abend ihren Einsamkeits-Song gibt. Mit ihrem langjährigen Freund und Mit-Musiker Dave (Adam Levine) kam sie aus England, er hob karriere-mäßig und auch sonst ab, sie knallte hart auf den Boden der Tatsachen. Jetzt hat sie den Rückflug schon in der Tasche und heult sich eher unfreiwillig an der Gitarre aus.

Wie gut dieses Lied wirklich ist, erleben wir einige Szenen später noch mal im gleichen Moment aus der Perspektive des frustrierten, versoffenen und legendären Musikproduzenten Dan (Mark Ruffalo): Wie vom Blitz getroffen, steht er im Publikum und arrangiert in seiner angetrunkenen Fantasie gleich das ganze Stück mit allen anderen Instrumenten. Nur Gretta unter Vertrag zu nehmen, klappt nicht so gut. Vielleicht auch weil sie dem chronisch blanken Chaoten das Bier zahlen muss.

Der raffinierte Schnitt erlaubt nicht nur, schöne Szenen in anderer Perspektive noch mal zu erleben. Er macht aus der kleinen Liebesgeschichte auch ein Duett zweier Ansichten und Lebensabschnitte. In lebendigen Szenen-Wechseln erleben wir, wie Dan gerade aus der eigenen Agentur rausgeworfen wurde und auch der Versuch, etwas mit der, bei der Mutter lebenden und heftig pubertierenden Tochter zu unternehmen, scheitert. Was ihm letztendlich - und dafür wird man dem Film immer dankbar sein - gelingt, ist Gretta zu einer Guerilla-Aufnahmetaktik zu überreden: Sie nehmen ihre Songs überall mitten im Alltagsleben von New York, mit all den unkontrollierten Geräuschen und Begegnungen auf.

Oft weiß man, was kommt, etwa dass Dave sich zu seinen Ungunsten verändert und den untreuen Weg des Rock'n'Roll gehen wird. Aber wie es kommt, will man nicht verpassen. Das liegt immer wieder an Keira Knightley. Als C. G. Jungs Patientin, Geliebte und Schüler Sabina Spielrein in „Eine dunkle Begierde" war sie unerträglich, als „Anna Karenina" wieder groß. Doch jetzt ist sie so ganz hier und jetzt da, wie zuletzt in Mark Romaneks „Alles, was wir geben mussten". Nichts wirkt gespielt oder gekünstelt, selbst nicht um die ausdrucksstarken Lippen, die sich gerne mal zu sehr in den Vordergrund spielen. Vor allem in der Originalversion kann man Szene für Szene bestaunen, was für eine außerordentliche Schauspielerin Keira Knightley doch ist.

Singen kann sie auch, zumindest die eigens für sie komponierten Songs des Films. Während der musikalisch prominentere „Maroon 5"-Sänger Adam Levine als ihr Ex-Freund-Dave nicht viel Spielraum bekommt, überzeugen ansonsten neben dem äußerst sympathisch agierenden Mark Ruffalo auch alle Nebendarsteller: James Corden als Grettas alter Freund, Catherine Keener als Dans Ex und Hailee Steinfeld als seine Tochter. Denn es gibt ja auch einige emotionale Geschichten in diesem herzlichen und humorvollen Soundtrack einer Stadt. Dass sie nicht wie erwartet ausgehen, ist dann das i-Tüpfelchen auf diesem wunderbaren Film des „Once"-Regisseurs John Carney.

Doktorspiele

BRD 2013 Regie: Marco Petry mit Merlin Rose, Maximilian von der Groeben, Lisa Vicari, Ella-Maria Gollmer, Christiane Paul, Oliver Korittke 96 Min. FSK: ab 12

Das filmische Herumdoktern an einem bemitleidenswerten aber schwer vermeidlichen Zustand der Pubertät geht weiter: Marco Petry, nicht nur aber vor allem Spezialist für Teenie-Filme, schickt reichlich spät entwickelte 17-jährige auf den hormongesteuerten Fettnäpfchen-Kurs. Dass am Ende zehn Minuten Happy End-Finale rauskommen, ist das Erfreulichste. Den Rest der Peinlichkeiten kann man sich getrost sparen.

„Doktorspiele" - hört sich an wie „Pfui" aus dem Antiquitäten-Laden. Nicht nur im Vergleich zu echt heißen Teenager-Filmen wie den norwegischen „Turn me on" oder ganz aktuell im Kino „When animals dream" mit Pubertät als Werwolf-Häutung, ist die deutsche Harmlosigkeit bis auf ein paar Sprachideen null originell und ganz selten komisch.

In einer grünen Frankfurter Vorstadt schwärmt der schüchterne Andi (Merlin Rose) der blonden Klassen-Zicke Katja (Ella-Maria Gollmer) hinterher. Als Lilli (Lisa Vicari), eine Freundin aus Kindertagen, zu Besuch kommt, merkt der falsch Verliebte erst einmal nichts. Zu beschäftigt ist er auch mit seinem Kumpel Harry (Maximilian von der Groeben), der Sexualerziehung und seine flotten Sprüche aus reichlich Porno-Konsum gewonnen hat. Dazu streiten sich Andis Eltern in zwei bis drei Szenen und fertig ist noch so ein Jugendfilm. Ob die Bemühungen von Marco Petry mit seinem Ko-Autoren Jan Ehlert, den meist unbekannten Jungschauspielern eine authentische Jugendsprache in den Mund zu legen, gefruchtet haben, muss das Zielpublikum entscheiden. Falls es überhaupt diesen immer gleichen Pubertätsfilm mit seine standardisierten Typen noch einmal sehen möchte. Denn die sprießen schneller auf die Leinwand als die Pickel ins Gesicht. Diese in Nahaufnahme hat der Film zwar vergessen, ansonsten ist alles drin, was sich (nicht) gehört: Koma-Saufen, Kotzattacken, verunglückte Selbstbefriedigung, Flecken aller Art und sogar Schwulenscherze! Also eigentlich ein ziemlich verklemmter statt frecher und junger Film. Da hätte man rechtzeitig Drehbuchdoktor-Spiele verschreiben sollen.

Positiv allein ein paar witzige Wortschöpfungen wie „Penis-Tourette" und Petrys Händchen, talentierte Nachwuchsschauspieler zu entdecken. Merlin Rose dürfte nun öfter zu sehen sein.

Guardians of the Galaxy

USA 2014 Regie: James Gunn mit Chris Pratt, Zoe Saldana, Dave Bautista, Lee Pace, Michael Rooker, John C. Reilly, Glenn Close, Benicio Del Toro 121 Min. FSK: ab 12

Dass Superhelden mal wirklich super waren, ist schon eine Weile her. Doch jetzt kramte Marvel ein übersehenes Comic-Heftchen hervor und sorgt mit dessen Verfilmung für überraschend viel Spaß und beste Unterhaltung. „Guardians of the Galaxy" sind ein Glücksgriff in die Popcorn-Kino-Tüte.

Ok, es geht wie so oft um ein Gimmick, einen McGuffin, der alles zerstören kann. Der Orbit, die silberne Kugel hinter der alle her sind, ähnelt dem Anhänger vom Katzenhalsband in „Men in Black", doch eigentlich dreht sich alles um einen alten Walkman. Genau - kein Laserschwert, keine Geheimwaffe. Unser Held - der „Star Lord" heißen will, aber nur Peter Quill (Chris Pratt) genannt wird - fliegt oder flieht in keine Galaxie ohne seine Lieblingskassette. Denn die enthält die Lieblingslieder der Mutter, die 1988 im Krankenhaus unter für Peter traumatischen Umständen stirbt. Dass direkt danach ein Raumschiff von Weltall-Piraten den Jungen entführt, ist fast Nebensache.

26 Jahre später ist Peter als lässiger Meisterdieb unterwegs. Mit langem Ledermantel, futuristischer Gesichtsmaske und haufenweise Gimmicks in den Taschen ist es aber vor allem wieder ein flotter Song, der ihn in einer besonders düsteren - und atemberaubend gezeichneten - Ecke des Universums antreibt, den Orbit zu klauen. Die Verfolger schüttelt er ebenso ab wie seinen Auftraggeber und Ziehvater Yondu Udonta (Michael Rooker). Allerdings ist auch ein ziemlich übler Weltzerstörer hinter ihm her und nur, dass ein Paar origineller Kopfgeldjäger Peter schnappen wollen, rettet ihn vor dessen Jägerin Gamora (Zoe Saldana).

Eine gemeinsame Haft schweißt schließlich fünf sehr unterschiedliche und herzlich verfeindete Guardians, also Wächter der Galaxie zusammen: Ein genialer, gen-mutierter Waschbär. Ein Baum, der nur „Ich bin Groot" sagen kann. Ein noch dämlicherer Muskelberg namens Drax. Und auch Gamora begleitet Peter bei der Jagd nach der Silberkugel, die munter durch die Handlung rollt.

Dabei sind es nicht nur die Hits der 70er und 80er, angefangen mit „I'm not in love" von 10CC, die der Science Fiction-Abenteuerkomödie kontrapunktisch ihren besonderen Touch gibt. Trotz eindrucksvoller Effekte und digital gezeichneter Zukunftswelten wirken die „Guardians of the Galaxy" angenehm altmodisch. Vor allem Peter könnte als bodenständiger Schlawiner irgendwo einen Robin Hood oder Fanfan den Husar unter seinen Ahnen haben. Und obwohl diese Space-Saga direkt mit einem Überfluss an Figuren an den Leinwand-Start geht, sind diese so gut innerlich und von draußen gezeichnet, dass es spannend bleibt. Selbst wenn mal nicht geschossen wird. Überraschend ist, wie viel Groot mit seinem einen Satz sagen kann, und auch, welches Maß an Gefühlen dieser originell in alle Richtungen wuchernden Kreatur eingehaucht wurden. Sogar der tumbe Kämpfer Drax (Ex-Wrestler Dave Bautista) rührt hinter vielen Tattoos und Muskeln. Dazu ist die Anzahl von Scherzen und dialogischen Volltreffern höher als der Einschläge von Laser- oder sonst was Kanonen. Umwerfend bescheuerte Gespräche sind genau das, was dies Genre gebraucht hat. Wenn milliardenschwere Helden-Figuren sich mal nicht ganz so ernst nehmen, ist der alte Charme billiger Heftchen-Unterhaltung schnell wieder da.

20.8.14

Storm Hunters

USA 2014 (Into the storm) Regie: Steven Quale mit Richard Armitage , Sarah Wayne Callies, Matt Walsh 89 Min. FSK: ab 12

Die ersten Herbststürme wehen noch ein paar C- und D-Movies in die Kinos, die im Sommerloch gelandet sind und ansonsten direkt auf DVD erschienen wären. Seit Jan De Bonts „Twister" (1996) mit Helen Hunt und Bill Paxton ist immerhin eine ganze Generation durch die Kinos gegangen und so wollte man noch mal einen simplen, vom Starkwind verwehten Film platzieren.

So wie man sich bei „Titanic" die ersten Stunden bis zum Untergang sparen kann, sind bei „Storm Hunters" die 30 Minuten Einführung eine echte Katastrophe. Der alleinerziehende Vater und Highschool-Lehrer Gary sorgt sich um seine Söhne Donnie und Trey sowie um die Abschlussfeier. Der professionelle Tornado-Jäger Pete braucht dringend mal einen Treffer für seine Hightech-Ausrüstung. Seine Assistentin Allison wäre lieber bei der Tochter. Ein Haufen besoffener Idioten findet die Zerstörung viel zu geil, um wegzulaufen. Dann schlagen die Tricktechniker endlich halbwegs eindrucksvoll zu und blasen all die dünnen Handlungsfädchen und Figuren-Klischees für haufenweise Effekte weg. Und das war es dann auch.

Nachdem die Unwetter in letzter Zeit Folge der Klimakatastrophe und Vorboten des Weltuntergangs waren, gehen die „Storm Hunters" (oder „Into the storm" - der auch englische Originaltitel wäre genau so gut gewesen) zurück in die Zeit vom guten alten Katastrophen-Trash. Hier wird wieder eine übersichtliche Gruppe von Menschen mit ihren Schicksalen vorgestellt, um sie dann mit einer ganzen Reihe von Tornados zu dezimieren. Bis auf die übliche Handvoll zu erwarteter Helden. Neu und zeitgemäß ist, dass überall Kameras dabei sind und die Menschen mehr mit den Objektiven als mit sich selbst reden. Das ist in den seltensten Fällen dramaturgisch effektiv und durchdacht, meist nur ein modisches Gimmick - machen ja alle so. Der stürmische Tag wirkt allerdings so auf die Effekte reduziert, dass wahrscheinlich das baldige „Making of ..." ebenso eindrucksvoll wirkt.

Besser als Nix

BRD 2014 Regie: Ute Wieland mit François Goeske, Wotan Wilke Möhring, Anna Fischer, Hannelore Elsner Nicolette Krebitz 96 Min. FSK: ab 12

Diese Woche bringt das Kino eine Offenbarung - den dänischen Film „When animals dream". Hier bei dem deutschen Filmchen „Besser als Nix", am anderen Ende der Skala, jedoch sieht man alles, was falsch laufen kann, wenn der orientierungslose, 16-jährige Tom Rasmus (François Goeske) über ein Bestattungsinstitut ins Leben hineinfindet.

„Das Leben ist ein Arschloch" meint Grufti Tom, ein vorgeblich düsterer Junge mit schwarzen Klamotten, großem Kreuz und Kopfhörer auf den Ohren. Sein Vater ist Säufer und Fußballtrainer in einem kleinen Kaff auf dem Lande, die Mutter starb vor drei Jahren. Nun landet Tom bei der Berufssuche in einem Bestattungsinstitut mit seltsamem Chef (Martin Brambach) und skurriler Assistentin Olga (Nicolette Krebitz). Da muss selbstverständlich eine Urne herunterfallen und die Asche im Tee des verpeilten Bosses landen. Und Tom direkt öfters mal im Sarg liegen. Ohne ins Details zu gehen: Eine Szene geriet schlimmer als die vorherige. Die Scherze um die angeblich HIV-positive Olga verfehlen deutlich, als schwarzer Humor durchzugehen.

Absurd sind die Fahrstunden mit einem Freund, weil Tom nicht aus dem Kreisverkehr herauskommt. Klar, das ist eine Metapher für seine Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Doch trotz vergeigter Führerschein-Prüfung fährt er direkt mal mit dem Bestattungswagen los. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis der Unfall der Fahrprüferin die Stimmung ins Makabre biegen will. Die Referendarin Sarah Gerster (Anna Fischer) verliebt sich in den düster bekleideten Schüler. Letztlich muss dann auch noch der beste Freund sterben, um mit aller dramaturgischen Gewalt Gefühle in den konstruierten Film zu pressen. Selbst seltene gute Momente und die wenigen gelungenen Aufnahmen gehen im unausgewogenen Gesamtbild unter.

Regisseurin Ute Wieland („Freche Mädchen", „FC Venus") bekommt nix nicht hin, dabei hat man anscheinend Hoffnungen in sie oder in Nina Pourlaks Vorlage gesetzt, den Roman "Besser als Nix". Anders lassen sich die Besetzungen von Wotan Wilke Möhring, Nicolette Krebitz, Hannelore Elsner als Toms Oma oder auch Anna Fischer („Heiter bis wolkig") nicht erklären.

François Goeske kann in dieser Hauptrolle außer sensiblen Augen mit Kajal nicht viel zeigen. Dass die Krebitz an der Witzfigur der ukrainischen Bestattungsunternehmerin Olga Spaß gehabt hat, kann man sich vorstellen. Auch Martin Brambach als ihr Chef Herr Hiller kommt als Karikatur gut. Wenn der Film dies allerdings all zu deutlich als „Horror-Show" markiert, dann funktioniert auch das nicht im uneinheitlichen Durcheinander von Stilen und Stimmungen, von Qualitäten und Ausfällen. Ob dieser Film wirklich besser als Nix ist, bleibt fraglich. Sicher ist, es gibt viel Besseres als dies.

19.8.14

The Expendables 3

USA 2014 Regie: Patrick Hughes mit Sylvester Stallone, Jason Statham, Jet Li, Antonio Banderas, Wesley Snipes, Dolph Lundgren, Mel Gibson, Harrison Ford, Arnold Schwarzenegger 126 Min. FSK ab 16

Rentner reisen gerne. Fahren zum Keukenhof, auf Kreuzschiffen über die Weltmeere und mit Studiosus an exotische Orte. Diese echt alten Herren hier allerdings, die fliegen nach Somalia, um gleich eine halbe Armee Einheimischer umzubringen. Stallone & Co, die Massenmörder im Dienste der Unterhaltung treiben die Todeszahl bei der so beliebten Massen-Unterhaltung „The Expendables" auf wahrscheinlich neue Spitzenwerte. Nach 30 Minuten Geballer und ein paar hundert Toten überfällt Barney Ross (Sylvester Stallone), den Anführer der Expendables genannten Söldner, eine Schaffens- oder besser: Destruktions-Krise. Man könne ja nicht ewig rumlaufen und Menschen umbringen.

Dass die Begegnung mit dem vermeintlich Toten Conrad Stonebanks (Mel Gibson) Ross dazu bringt, diesen noch einmal, diesmal mit einer neuen, jungen Crew zu jagen, soll auch der letzte Blindgänger kapieren. So werden die karriere-mäßig scheintoten Kollegen Jason Statham und Dolph Lundgren langatmig und mit viel Pathos aussortiert. Es gibt wieder die alte Geschichte vom einsamen Wolf.

Noch viel länger dauert die Routine-Tour zur Rekrutierung der neuen Massen-Mörder an Barneys Seite. Banderas hat einen clownesken Auftritt als Quasselstrippe und Turner mit Altersproblem. Der Messerwerfer Wesley Snipes macht einen Scherz über seine echte Haft als Steuerhinterzieher. Schwarzenegger grummelt wieder irgendwas in seine stinkende Zigarre. Ronda Rousey als aggressive, junge Schlägerin soll die Formel auffrischen. Aber nur Harrison Ford überrascht: Was macht dieser ernsthafte Schauspieler auf der Restrampe von Haudraufs wie Jet Li? Es soll witzig sein, diese nahezu ausrangierten Schauspieler wieder zu sehen, doch meist ist es nur traurig.

Das Buch schrieb Sylvester Stallone wieder selbst zusammen mit Creighton Rothenberger und Katrin Benedikt. Dabei entblößen sich die Dialoge, die hauptsächlich aus Macho-Phrasen-Pointen bestehen, besonders wenn Harrison Ford ein paar knallharte Sätze in Richtung Stallone abliefert. Da arbeitet sich jemand vergebens an einer Wand der Ausdruckslosigkeit ab. Aber wahrscheinlich hat Harrison Ford gerade Übung darin, für „Star Wars" mit Wänden zu reden, aus denen irgendwann mal ein digitaler Alien erwächst.

„The Expendables" lebte noch nie von besonders ausgeprägten Charakteren - außer bei Muskelbeulen an Armen und im Nacken. Nur Mel Gibson, der einen Ex-Expendable und aktuell internationalen Waffenhändler spielt, bekommt bessere, dezentere Blicke, macht mehr aus den Macho-Sprüchen und hat als einziger einen mehrschichtigen Charakter. Von ihm wird die USA mit ihren Geheimdiensten nicht als Weltpolizei sondern als Konkurrent unter den Waffenhändlern bezeichnet. Dass er nicht eingefangen und als Kriegsverbrecher in Den Haag der Gerechtigkeit zugeführt wird, sondern im typischen Akt der Selbstjustiz ermordet, ist bei einem derart zynischen und verächtlichen Machwerk nicht anders zu erwarten.

Aber in „The Expendables 3" wird ja nicht nur erschossen, erstochen und in die Luft gejagt. Den Rest der Zeit gibt es auch Anspruchsvolleres - man prügelt sich. Viel zu lang und redundant. Mit Scherzen so alt wie die Darsteller. Und null Originalität. So sind die besten Minuten des Films die letzten drei: Das Team singt Neil Youngs „Old man" in einem echten Akt von Selbstironie.

Madame Mallory und der Duft von Curry

USA 2014 (The hundred foot journey) Regie: Lasse Hallström mit Helen Mirren, Om Puri, Manish Dayal, Charlotte Le Bon, Farzana Dua Elahe, Michel Blanc 122 Min. FSK: ab 0

Nachdem Hassan Kadams Familie, die in Mumbai seit Generationen Restaurants betrieb, von einem Volkspöbel, der auch Hassans Mutter mordet, vertrieben wurde, und sich der kleine Koch-Clan auch in England nicht wohl fühlt („Englands Gemüse haben keine Seele!"), landen sie in der französischen Provinz. Ist es ein Zufall oder das Schicksal, das an den Bremsen des Autos rumspielte? Papa (Om Puri) lässt sich jedenfalls nun durch nichts mehr abhalten, ein verlassenes Restaurant mit indischem Menü neu zu eröffnen. Was wider Erwarten nicht zu rassistischem Widerstand führt, sondern nur zu dem vehementen der benachbarten Besitzerin des klassischen Sterne-Restaurants „Le Saule Pleureur". Madame Mallory (Helen Mirren) ist wie Papa ein echter Charakter, dickköpfig, stur, aber das mit Stil.

Während die sechs Inder vor allem mit lauter Musik und Lebenslust das Dorf aufmischen, mixt der genial begabte Koch Hassan (Manish Dayal) seine traditionellen Gewürze in die klassischen französischen Rezepturen und begeistert damit zuerst Marguerite (Charlotte Le Bon), die Sous-Chefin von Madame Mallory. Die kühle, einsame Sternen-Sammlerin selbst hingegen zeigt den Kochkünsten des Nachbarn eine verachtend kalte Schulter, obwohl sie im Inneren sichtlich dahinschmilzt. Erst als ihre Angestellten doch in Fremdenhass verfallen und Madame eigenhändig Schmierereien beim Inder gegenüber entfernt, fallen die Schranken. Das Bewerbungs-Omelett von Hassan überzeugt und er führt als neuer Küchenchef von Madame „Le Saule Pleureur" zu einem weiteren Stern. Dadurch steht allerdings die wachsende Anziehung zwischen Hassan und der ehrgeizigen Marguerite unter einem schlechten Stern.

In Abwandlung von „Howards End" heißt es statt „only connect" nun „only vermischen" als Rezeptur für ein glückliches, einträgliches Miteinander. Man könnte es auch Multikulti-Marsala nennen, was Regisseur Lasse Hallström in der Verfilmung von Richard C. Morais' Roman „The Hundred-Foot Journey" („Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef") erzählt. Im großen Michelin-Führer der Kochfilme von Alfonso Araus „Bittersüße Schokolade" bis zu Ang Lees „Eat Drink Man Woman" überzeugt „Madame Mallory" hauptsächlich durch Darsteller und Sprüche. Kostprobe? „Du musst das Rezept in deinem Herzen finden und dann in den Topf bringen."

Quasi als Nachschlag zu seinem „Chocolat" serviert der Routinier Hallström leichte aber übersüße Unterhaltung. Der Spaß ist immer anwesend bei den liebenswerten Figuren im „Maison Mumbai". Allerdings ist alles auch formelhaft und vorhersehbar: Stellt sich anfangs beim Einreiseverhör noch eine lebendige, lustige Familie mit schön schrägen Eigenwilligkeiten vor und ergibt sich zwischen Hassan und Marguerite erst ein nicht zu offensichtliches Flirten, weiß man zu schnell, was noch alles passieren wird. Ein krampfhafter Zwang, (im Original) in Frankreich Englisch zu sprechen, ärgert ebenso wie das eine oder andere Detail. Dabei entgleiten Lasse Halmström manchmal sogar die handwerklichen Fähigkeiten, wenn vom Feuer, das Hassans Mutter tötet, sinn- und geschmacklos auf ein Grill-Feuer in England überblendet wird. Die andere geschmackliche Extremität, die überkitschten Bilder von heiler Landschaft und Dorfidylle, ist dagegen diskutabel. Machte sie doch schließlich auch „Chocolat" zum unvergessenen Erfolg.

11.8.14

Dido Elizabeth Belle

Großbritannien 2013 (Belle) Regie: Amma Asante mit Gugu Mbatha-Raw, Tom Wilkinson, Sam Reid, Sarah Gadon, Emily Watson, Miranda Richardson 104 Min. FSK: ab 6

Im Jahr 1769 wird die zwölfjährige Mulattin Dido Elizabeth Belle nach dem Tod der Mutter vom Vater, einem britischen Admiral zur See, bei ihrem Onkel Lord Mansfield (Tom Wilkinson) abgegeben. Eine Schwarze im Hause eines Adeligen großziehen, noch dazu des höchsten Richters des Landes? Doch! Nach kurzer Diskussion wird klar, dass hier Blutrecht alle anderen Regeln und Konventionen überragt. Schließlich hat Belle (Gugu Mbatha-Raw) als anerkannte Tochter einen gesetzlichen Rang in der Erbfolge. So wächst sie zusammen mit Elizabeth Murray (Sarah Gadon), einer anderen, weißen Nichte Mansfields in behüteter, luxuriöser Umgebung auf, genießt eine exzellente Ausbildung. Zwar darf sie, wenn Gäste kommen, nicht mehr am Familientisch sitzen, doch nachdem bald die gegenseitige Liebe regiert, spielt Rassismus nur noch eine Nebenrolle.

Erst als die beiden Nichten ins heiratsfähige Alter kommen und in der Londoner Öffentlichkeit paradieren, schlägt Belle unverschämte Diskriminierung entgegen. Dabei ist ihr Lebensstandard durch das Erbe des mittlerweile auf See verstorbenen Vaters gesichert. Nur Elizabeth braucht eine „gute Partie", während die Außenseiterin mit einem mittellosen Juristen über eine Liebesheirat nachdenken kann. Aber ausgerechnet dieser John Davinier (Sam Reid) ist Mansfields Gegner im landesweit diskutierten Fall eines Sklavenhändlers, der seine kranke „Ware" auf See ermordete, um das Versicherungsgeld zu kassieren. Ein Fall, der die Grundlage zur Sklaverei erschüttern könnte.

„Dido Elizabeth Belle" erzählt nicht nur eine erstaunliche Geschichte. Der großartige Film der Regisseurin Amma Asante verblüfft immer wieder mit dem starken, mutigen Auftreten einer doppelten Außenseiterin: Denn nicht nur als Dunkelhäutige, auch als Frau scheint Belle prädestiniert, zum Besitz anderer zu werden, wie ihre Leidensgenossin Elizabeth irgendwann erkennt. Doch mit Hilfe einer ungewöhnlichen Fügung, aber auch mit ihrem eigenen Mut und dem ihrer Familie, kann die von vielen Verachtete eine emanzipierte, unabhängige Position erkämpfen. Gerade aber dass Mansfield in der rechtlichen Frage des Sklavenschiffes dieser Mut zu fehlen scheint, macht den Film durchgehend spannend. Denn auch andere Figuren wurden faszinierend ambivalent gezeichnet. Die historischen und rechtlichen Hintergründe sind so genau, dass sich die übliche Schwarz-Weiß-Zeichnung auflöst.

Gerade weil Belle selbst an diesen Möglichkeiten zweifelt und sie erst langsam versteht, ist dieser in fast allen Rollen exzellent gespielte Kostümfilm so glaubhaft. Viele feine, eindringliche Momente, wie die zögerliche Begegnung Belles mit einem schwarzen Hausmädchen, und die perfekte Verbindung des privaten und des öffentlichen Themas machen „Belle" zu einem herausragenden Ereignis. Zudem trifft Mansfields Rede vor dem obersten Gericht exakt heutige Zustände, in denen wieder Konzerngewinne wichtiger als Menschenleben sind. Ein Grund mehr, diesen klugen und sehr bewegenden Film unbedingt zu sehen.

Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück

BRD, Kanada 2014 (Hector and the search for happiness) Regie: Peter Chelsom mit Simon Pegg, Toni Collette, Rosamund Pike, Stellan Skarsgård, Jean Reno, Veronica Ferres, Christopher Plummer 119 Min. FSK: ab 12

Der langweilige und gelangweilte Psychiater Hector (Simon Pegg) träumt von der Fliegerei und davon wie Tim, der mit Struppi, durch die Welt zu reisen. Während er in London seinen Patienten nicht zuhört. Denn die erzählen ja immer das Gleiche und ihnen ist sowieso nicht zu helfen. Diese Erkenntnis vermittelt ihm eine ausgebrannte Hellseherin (Veronica Ferres, auch in diesem London-Film ein Problem) und schon macht sich Hector auf, die Welt zu bereisen. Seine Freundin Cara (Rosamund Pike), hauptsächlich niedliche Assistentin im Langweiligsein, ist verstört, doch trotzdem packt sich ihm den Rücksack voller unnötigen Kram.

Nun beginnt - nach François Lelords gleichnamigem Roman - eine komödiantische Reise über China, Afrika und Los Angeles, bei der weniger die Frage nach dem Glück als die Europudding-Gesichter der anderen Figuren auffallen: Stellan Skarsgård, Jean Reno und Christopher Plummer sind in ihren teilweise netten Auftritten symptomatisch für eine Nummernrevue, die nie zu sich selber findet. Auch die Antworten, die Hector mit niedlich animierten Zeichnungen in sein Notizbuch skribbelt, haben Kalenderblatt-Qualitäten. Man kann schmunzeln, vielleicht kurz drüber nachdenken und weiter geht es zur nächsten Episode. Selbstverständlich lockern eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen die Sinnsuche auf. Dass man glücklich ist, wenn man sich verliebt oder wenn sein Leben gerade eben so gerettet wurde, sind hier Anekdoten, keine Erkenntnisse.

Ausgerechnet die Begegnung mit einer todkranken Frau deutet ein interessanteres Leben an, als das der Hauptfigur Hector, deren Andeutungen über die Kindheit auch nie wirklich Form annehmen. Grundsätzlich ist auch die Besetzung von Hector mit dem britischen Komiker Simon Pegg („Shawn of the Dead") ein Problem: Er kommt komisch gut, aber man nimmt seine Figur nie als echten Menschen wahr. Ganz abgesehen davon, wie man zu solchen „Eat, Pray, Lieber nicht noch mal"-Geschichten steht, diese Weltreise stellt ziemlich großen Aufwand dar, nur um rauszubekommen, dass man weiter mit der langweiligen Frau ein langweiliges Leben führen und ein möglichst langweiliges Kind bekommen will. „Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück" bringt einem als mäßiger Liebesfilm, der es sich sehr kompliziert macht, dem Glück kein Stück näher.

Saphirblau

BRD 2014 Regie: Felix Fuchssteiner, Katharina Schöde mit Maria Ehrich, Jannis Niewöhner, Peter Simonischek, Josefine Preuß, Katharina Thalbach 116 Min. FSK: ab 6

Der zweite Teil der Verfilmungen von Kerstin Giers „Edelstein"-Trilogie springt mitten rein in die recht unübersichtliche Handlung einer Liebe und einer Verschwörung über die Grenzen der Zeit hinweg. Wir landen mit einer neuerlichen Zeitreise 1609 in einer Kneipe und erleben Shakespeare als Vorleser. Erst nach ein paar Minuten schiebt „Saphirblau" eine dröge Zusammenfassung des bisher in „Rubinrot" Geschehenen nach - sehr ungeschickt. Die 16-jährige bodenständige Gwendolyn Shepherd (Maria Ehrich) bekommt es dank ihres Zeitreise-Gens mit einem arroganten, aufgeplusterten Verschwörungsklan zu tun. Doch in den jungen Sprössling dieser Brut, Gideon de Villiers (Jannis Niewöhner), verliebt sie sich trotzdem und die dramaturgisch nicht sehr simpel motivierten Zeitsprünge geben der Teenie-Liebe reichlich Gelegenheit für Zweifel, Streit und Versöhnungen. Außerdem ist es auch nett, wenn man sich für „das erste Mal" nicht in irgendeiner Kammer sondern gleich in irgendeinem Jahrhundert verstecken kann.

Aber gerade bei diesen mäßig romantischen oder kribbeligen Treffen in Raum und Zeit werden die typisch reizvollen Momente des Zeitreisen-Genres überhaupt nicht genutzt. Außerdem wird man den Eindruck nicht los, man hätte das alles schon einmal gesehen, hier würden Stücke aus „Rubinrot" wiederverwertet. Andauernd wird vergeheimnisst, niemand spricht seine Sätze zu Ende, weil dann wohl auch der Film aus wäre. Zur Verhüllung dünner Substanz trägt auch die immer noch die gleiche Kapuzenmänner-Verschwörung mit ihrem Latein-Gebrabbel bei. Ansonsten langweilig platte Dialoge, eine völlig reizlose Sprache, nicht verständliche Zwänge, unnötig verkomplizierte Situationen. Kurz gesagt: Es passiert so gut wie nichts und das Nichts ist auch noch schlecht gemacht.

Um dieses öde Filmchen aufzupeppeln, fügte man digital einen tollpatschigen Wasserspeier hinzu, den nur Gwendoline sehen kann. Was wiederum das Zielpublikum verwässert: Welcher echte Teenager begeistert sich öffentlich für so einen „Babykram"? Überhaupt ist zweifelhaft, ob die entscheidenden Zuschauer die völlig leblosen Dialoge ernst nehmen werden. Das Schauspiel, wenn man es überhaupt so nennen kann, schwankt von sehr mäßig bis zu unangenehmem Overacting bei Witzfiguren wie dem überzeichnet ekligern Aufpasser der Gilde. Und wenn man denkt, schlimmer geht es nimmer, tritt auch noch Veronika Ferres auf. „Saphirblau" ist vor allem eine Teenie-Romanze, die extrem drunter leidet, dass beide Hauptdarsteller null Charismas haben. Sollten sie zwischen den Teilen ausgetauscht werden, kein Zuschauer würde es merken.

10.8.14

Locarno 2014 Ariane Schröder, Autorin von HIN UND WEG

Schon auf der Pressekonferenz vor einer Handvoll internationaler Journalisten wirkt sie trotz des leuchtend orangen Kleides eher scheu neben ihrem Produzenten, dem Regisseur und den Schauspielstars ihres ersten realisierten Drehbuchs „Hin und Weg". Die 1985 in Eupen geborene Ariane Schröder muss auch nicht beim xten Teamfotos dabei sein und schaut sich den Trubel des großen A-Festivals von Locarno lieber von der Seite an. Die Ostbelgierin Schröder absolvierte nach dem Abitur ein Bachelor-Studium der Kommunikations- und Politischen Wissenschaften an der RWTH Aachen. Dieses Studium hat ihr außer der Erkenntnis, dass sie eigentlich etwas anderes machen möchte, nicht viel gebracht. Da waren schon die beiden Aufführungen im Theater 99, bei denen sie mitspielte, wichtiger. Danach ging es ab 2007 an die Hochschule für Fernsehen und Film in München, zum Studiengang Drehbuch und Dramaturgie. Bereits während ihres Studiums realisierte sie diverse, preisgekrönte Dokumentarfilme. Mit der Tragikomödie „Hin und Weg" landete ihr Abschlussfilm und Drehbuchdebüt für einen Kinospielfilm gleich bei einem der größten Festivals der Welt, auf der größten Open Air-Leinwand Europas. Aber sie möchte auch Filme für großes Publikum machen. Locarno mit ein paar Tausend Menschen in einer Vorführung war da schon ein guter Anfang.

Locarno 2014 Belgien sehen und sterben

Deutsche Piazza zum totlachen und todernst

Man kann die italienische Journalistin gut verstehen, die sich wunderte, weshalb all diese deutschen Weltpremieren auf der Piazza-Grande des 67. Filmfestival Locarnos (6.-16. August) nach Belgien fahren und da den Tod suchen. Auch Benjamin Hermann, Produzent der Tragikomödie „Hin und Weg", musste da lachen. Aber nein, es gab kein Geld aus Belgien und das westbelgische Ostende stand schon im Drehbuch der Ostbelgierin Ariane Schröder als Zielort der Radtour vom todkranken Hannes und seinen Freunden fest. Auch dass der „Euro-Bond" Benno Fürmann bei „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss" ausgerechnet im Land von Pommes, Pralinen und Brüssler Bürokratie seinen ersten Auftrag versemmelt, ist kafkaesk logisch.

„Hin und Weg" zieht es wie viele Filme über Todkranke noch ein letztes Mal ans Meer. Doch der mit Leichtigkeit daherkommende Film von Regisseur Christian Zübert („Lammbock", „Dreiviertelmond") setzt nicht auf Rührung: Jedes Jahr machen sechs Freunde zusammen eine Fahrradtour. Einer bestimmt, wohin es geht, und auf der Strecke bekommt jeder eine geheime Aufgabe, um den Spaß noch zu vergrößern. Dieses Jahr will Hannes (Florian David Fitz) nach Belgien, doch der Grund ist nicht lustig: Der 36-jährige leidet an einer erblichen, für ihn unheilbaren Krankheit. Das quälende letzte Jahr erlebte er beim Vater mit und will seinen Tod nun selbst bestimmen - in Ostende per bereits arrangierter Sterbehilfe. Erst auf der Strecke erfahren die Freunde vom eigentlichen Ziel, bleiben aber nach kurzen Protesten doch zusammen. Die Abschiedstour lässt die kleinen Probleme der anderen zurücktreten, wichtiger als die Diskussion um Hannes' Entscheidung wird die außergewöhnliche Freundschaft. So gelingt „Hin und Weg" der Umgang mit einem sensiblen Thema vor allem auch als Ensemble-Film. Julia Koschitz spielt Hannes' Freundin, Jürgen Vogel einen Casanova, Hannelore Elsner die Mutter des Todkranken und Miriam Stein, Volker Bruch, Victoria Mayer sowie Johannes Allmayer den Freundeskreis. („Hin und Weg" wird ab dem 23.Oktober in den Kinos zu sehen sein.)

Großartiges Schauspiel lieferte auch Benno Fürmann in der Komödie „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss", ebenfalls als Weltpremiere vor großer Piazza-Kulisse: Der Auftragskiller Koralnik im geheimen Einsatz für eine noch geheimere EU-Sondertruppe bekam bei der Ausbildung beste Noten - und seit acht Jahren keinen einzigen Auftrag. Da kann selbst der härteste Agent schon mal seltsam werden und Koralnik wurde sehr seltsam. Das allein vergnügt vortrefflich, dann verunfallt auch noch die Betrügerin Rosa (Mavie Hörbiger) in sein Leben. Just als ihn doch der erste Auftrag nach Belgien ruft und prompt alles schief geht, auf der absurd-komischen Odyssee zu zweit. Fürmann gewinnt mit dem Alter stark an Charakter und wie er im schwarzen Anzug mit Rollkragenpullover durch seine einsame Existenz stakst, ist große Komödien-Kunst. Ein manchmal absurder Spaß-Trip durchs Hohe Venn und bis ins Finale bei Verviers. Da will Regisseur Florian Mischa Böder dann noch etwas über den Irrsinn von allgegenwärtiger Bedrohungs-Paranoia aussagen, was auch gesagt werden sollte. Nur verliert der Film etwas von seiner Spaßdichte. („Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss" startet im Herbst in den deutschen Kinos.)

Begossener Leopard
Ausgerechnet als der Klassiker „Der Leopard" von Luchino Visconti im Rahmen der exzellenten Retrospektive zur legendären italienischen Produktionsfirma Titanus auf der Piazza gezeigt wurde, ging nach Mitternacht ein auch historisch sein wollendes Gewitter nieder. Der Leopard - gleichzeitig Wappentier - wurde heftig begossen, was die Begeisterung trübte, allerdings nicht die Stimmung in der Kasse: Die Karten waren schon verkauft und werden im Falle einer Filmverlegung in die umfunktionierte Sportarena namens Fevi nicht erstattet. Auch gestern Abend war es feucht. Die wahre Geschichte der 1885 blind, taub und stumm geborenen „Marie Heurtin" lässt die Bemühungen des selbst kränklichen Ordensschwester Marguerite (Isabelle Carré) miterleben, dem Mädchen (Ariana Rivoire) eine Sprache zu geben und sie so aus dem Gefängnis ihrer Behinderungen zu befreien. Wie Der Regisseur Jean-Pierre Améris („Die anonymen Romantiker") mit zarten Pastellfarben und ganz sparsamen Streicherklängen bei dieses Wunder der Sprache erleben lässt, ist unbeschreiblich, unheimlich bewegend und zu Tränen rührend. „Marie Heurtin" (Start: 1.1.2015) damit eindeutiger Kandidat für den Publikumspreis der Piazza.

Jimmy’s Hall

Großbritannien, Frankreich, Irland 2014 Regie: Ken Loach mit Barry Ward, Simone Kirby, Andrew Scott, Jim Norton 106 Min.

Die Geschichte ist eigentlich unglaublich und doch wahr: Im August 1933 wird der Ire James Gralton seines eigenen Landes verwiesen. Ein einmaliger Vorfall! Dabei kam der Jimmy genannte James (Barry Ward) erst kurz zuvor aus New York zurück - in seine Heimat und zu seiner alten Mutter. Der Empfang der Freunde und Mitbewohner ist respektvoll. Und auch wenn Jimmy, dieser stille, ernste Mann, mit anderen in diesen baren Zeiten zum Torfstechen geht, die Jugendlichen, die ihn auf der Straße ansprechen, machen seine besondere Position klar: Am Wegesrand liegt verlassen ein großes Haus, die Pearse-Connolly Hall. Benannt wurde das Gemeindezentrum nach zwei der Anführer des Aufstandes von 1916, gebaut wurde es von Jimmy und seinen Freunden bevor er das erste Mal fliehen musste. Und dabei nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Liebe Oonagh (Simone Kirby) zurückließ.

Es dauert nicht lange, bis der weitgereiste Jimmy das Sozialzentrum wieder entstaubt und eröffnet. Jung und alt betreiben begeistert Volksbildung, lesen und interpretieren Yates, malen, singen und tanzen. Wobei die Pflege irischer Sprache und Traditionen eine besondere Rolle spielt. Doch auch Jazz wird von Jimmy importiert und mit großer Leidenschaft angenommen. Unter der Lehrenden und Lernenden ist auch Oonagh, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Beim ersten Tanzabend protokolliert der lokale Priester Father Sheridan (Jim Norton) die irrenden Schäfchen und liest am Morgen danach im Gottesdienst die Namen derer vor, die Jimmy's Hall besucht haben. Eine persönliche und versöhnliche Visite Jimmys kann den Kirchenmann nicht von seiner extremistischen Position abbringen. Sowohl den nationalistischen als auch den kolonialistischen Parteien passt dieser Hort der Freiheit nicht ins Konzept von Konfrontation und Terror. Bald brennt der utopische Ort und Jimmy muss wieder fliehen.

Auch bei seinem wahrscheinlich letzten Spielfilm arbeitete Regisseur Ken Loach mit seinem langjährigen Drehbuch-Autor Paul Laverty zusammen. Hintergrund sind die historischen Verwerfungen, die Irland in den vorhergehenden Jahrhunderten in Folge der britischen Besetzung erleben musste. Dabei zeigt sich die wache Gegenwärtigkeit dieses historischen Themas darin, dass der Kampf gegen britische Besetzer und die internen Feindschaften der Iren der nordirischen Situation der letzten Jahrzehnte zum Verwechseln gleicht. Auch wenn Stichwort wie „Los Angelisation" oder „Need and Greed" fallen, muss man an aktuelle Kulturkämpfe und die Bankenkrisen von heute denken.

Dass man den Menschen in „Jimmy's Hall" den Bildungshunger, die Lebenslust, den Kampfeswillen und das so aus der Mode gekommene solidarische Handeln glaubt, liegt auch am Star-freien aber hervorragenden und authentisch sprechenden Ensemble: Barry Ward empfiehlt sich als Jimmy für mehr. Simone Kirby fasziniert und irritiert, weil sie frappant wie eine etwas jüngere Juliane Moore aussieht. Besonders interessant ist Jim Norton in der Rolle der Gegenfigur Father Sheridan, denn letztendlich bleibt Jimmys integres Handeln auch beim intelligenten aber verhärteten Mann nicht ohne Folge.

Folgenlos wird auch der Kinobesuch in „Jimmy's Hall" nicht bleiben, denn Ken Loachs zeitloses Engagement für die unterdrückten und gar nicht so schwachen Menschen überall in der Welt ist eine seltene und um so wertvollere Erscheinung geworden. Selbst wenn „Jimmy's Hall" bei aller Lebensfreude ästhetisch nicht ganz an seinen Cannes-Sieger „The wind that shakes the Barley" heranreicht - die vielleicht letzte Gelegenheit, einen neuen Loach im Kino zu sehen, darf man sich nicht entgehen lassen.

Planes 2 - Immer im Einsatz

USA 2014 (Planes: Fire & Rescue) Regie: Roberts Gannaway 84 Min. FSK: ab 0

„Planes", die entfernten Animations-Verwandten von Disneys „Cars", starten im zweiten Teil durch. Nach einem flügellahmen Abklatsch der Rennfahrer- beziehungsweise Flieger-Geschichte bekommt Dusty Crophopper nun Feuer unter dem Hintern und einen neuen Job. Zuerst nimmt die steile Karriere vom ehemaligen Pflanzengift-Sprüher ein jähes Ende - sein Getriebe ist im Eimer. (Dass so ein Ersatzteil nicht auswechselbar ist, passt gar nicht in die Zeiten von Ebay.) Gleichzeitig ist das Löschfahrzeug von Dustys Heimatort zu alt und löchrig, um noch die Genehmigung zum Betrieb des Flughafens zu behalten. Ausgerechnet jetzt, wo das Dorffest von Propwash ansteht und viele Gäste erwartet werden.

Kurzentschlossen will sich Dusty als Löschflugzeug ausbilden lassen. Im Nationalpark findet er im Hubschrauber Blade Ranger erneut einen strengen, alten Meister. Und der hat - Überraschung - wieder ein dunkles Geheimnis. Was wir vorerst wissen: Er war einst TV-Star in der Serie „Chops".

Dass hier die Motorrad-Serie „Cops" gemeint ist, gehört zu den vielen kleinen Scherzen und Wortwitzen bei diesen VIP - Very Important Planes - und den Pickup-Trucks, die wegen ihres Bar-Benehmens auf Deutsch „Anmach-Laster" heißen sollten. Um Dusty gibt es wieder ein ähnliches Team aus kleinen und großen Maschinen. Zum Glück erleben wir dank der heldenhaften Firefighters beim Buschbrand-Einsatz mal nicht das ausgelutschtes Format eines finalen Rennens. So sieht auch der Flug durch das Flammenmeer ganz anders, nämlich düsterer als die sonstige kunterbunte Nichtigkeit aus. Trotzdem ist auch der zweite „Planes" selbstverständlich immer wieder mal rührend, pathetisch und dramatisch in der Rettung eines alten Camper-Paares. Der eher rasante als sorgfältige Mix aus menschlichen Autos, Zügen und Booten ist schnelle, alberne und witzig Fast-Food-Unterhaltung.

7.8.14

Locarno 2014 Das Geheimnis um FRG

FRG - Die Rache der Geschichte?

Das Festivalprogramm von Locarno 2014 bemüht sich um Geschichts-„Schreibung". Da tauchen west-deutsche Filme von Mitte der 40er-Jahre bis Anfang der 90er unter der Kennung „ex Federal Republik of Germany", Abkürzung „FRG" auf. FRG? Das klingt überhaupt nicht cool wie damals TAFKAP (The Artist Formerly Known As Prince) und fast so schlimm wie „Fyrom" (Formerly yugoslavian republic of Macedonia), der Kampf-Name nationalistischer Griechen, die kein Mazedonien außerhalb ihrer Staatsgrenzen dulden wollen. Aber vielleicht liegt hier die Lösung: Wer hat sich nicht schon gewundert, dass Ost-Deutschland nachträglich zur „Ex-DDR" wurde. In extrem unsinnigen Zusammenhängen, denn die Hyper-Revisionisten schreckten nicht davor zurück, zu sagen „Erich Honecker war der Staatsratsvorsitzende der Ex-DDR". Was Schwachsinn ist, denn eine Weile war der real existierende Sozialismus ja ziemlich existent und blühte im Glanze usw. Und aus Honeckers Genuschels war nicht ein hartes „Ex" rauszuhören, immer deutlich eine „dschedmkrascherepBLIK!" Aber es gibt Leute, die wollen Jahrzehnte, nachdem die DDR aufgelöst wurde, selbst die Jahre davor ausexen - Tipp-Ex für die Geschichtsschreibung. Da ist es doch nur gerecht, wenn auch nicht korrekt, dass auch die BRD ein Ex-Land wird. Selbst wenn das 16-Länder-Land von heute die staatsrechtlich ungebrochene Fortsetzung des 11-Länder-Provisorium ist.

Lucy (2014)

Frankreich 2014 Regie: Luc Besson mit Scarlett Johansson, Morgan Freeman, Min-sik Choi 90 Min.

Mit dem immer wieder lohnenswerten Denkansatz „Was wäre wenn...?" reizt Luc Besson („Im Rausch der Tiefe", „Leon- Der Profi", „Transporter") die Möglichkeiten des menschlichen Hirns im hübschen Kopf von Scarlett Johansson aus. Das führt zu einem unterhaltsamen Science Fiction mit Humor und Action, der in Ansätzen sehr reizvoll ist. Dass Besson hier nicht an seinen Klassiker „Das fünfte Element" ranreicht, liegt wahrscheinlich daran, dass der fleißige Regisseur, Autor, Produzent und Studiogründer sein eigenes Vermögen nur rudimentär ausgereizt hat.

Als blonde Frau aus dem Westen für einen Party- und Drogen-Bekannten einen Koffer unbekannten Inhalts in ein koreanisches Hotel bringen und dafür 500 Dollar kassieren? Die Studentin Lucy (Scarlett Johansson) ist dazu viel zu helle in ihrem Köpfchen. Doch der Typ ist noch viel dreister und nur Minuten später klebt er tot an der Glasfassade während sie in einer Suite zwischen bedrohlichen Bodyguards sitzt. Lost in Translation und auch sonst ziemlich verloren, erlebt Lucy die erschreckende Wirkung einiger blauer Kristalle und wacht dann mit einer Wunde am Bauch auf: Der koreanische Pate Mr. Jang (Choi Min-sik) ließ ihr ein Päckchen der neuen Droge in den Körper einnähen, zwingt dann sie und andere, den (fiktiven) Stoff namens CPH 4 nach Europa zu schmuggeln.

Als die brutale Prügel der Handlanger das Päckchen in ihrem Bauch platzen lassen, erlebt Lucy ein paar Millionen Jahre Evolution in Sekunden: Sie kann die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns immer mehr und weit über die üblichen 10 Prozent einsetzen, wie Morgan Freeman als Professor Norman parallel vorträgt. Im umgekehrten Countdown bis zur 100-prozentigen Nutzung ihrer neuronalen Fähigkeiten wird Lucy Gedanken und Materie manipulieren, das gesamte Handynetz scannen. Radio oder TV-Wellen modulieren, ist dabei eine der einfachsten Übungen. Eine ganze Bande koreanischer Killer an der Decke kleben lassen, ein der spaßigsten.

Besson fährt reichlich erstaunliche Fähigkeiten seiner Heldin und noch mehr filmische Gimmicks auf. Schon das knappe, einleitende Gespräch, mit dem Lucy in die Falle gelockt wird, begleiten Clips von lauernden Leoparden und Mausefallen. Das ergibt einen wilden aber originellen Science Fiction, der vor allem keine Zeit für unnötige Wiederholungen hat. Die philosophische Ebene bietet als Fast Food für den Kopf eine Geschichte allen Lebens, eine Art Terrence Malick „Tree of Life" 3.0 an. Allerdings nicht als große Komposition sondern als Abfolge von nicht immer gelungenen Pointen. Jedoch auch mit einigen Volltreffern wie der neuen Version von Michelangelos Erschaffung Adams: Hier ist Lucy gleichzeitig Gott und Äffin, gibt nach einer rasanten Reise durch die Erdgeschichte den Funken ihrer Erkenntnis in einer genialen Rückkopplung weiter.

Das geriet als Gedankenspiel viel spannender als die brutale Korea-Mafia, die gegen diese neue Wonder-Woman chancenlos ist. (Die asiatischen Produzenten zeigen sich auch in der allgegenwärtigen Samsung-Werbung.) Auch die anderen Action-Typen des Films, mit denen Besson seine „Taxi"- und „Transporter"-Filme zitiert, können nur staunen - mit offenem Mund und offenen Wunden. „Lucy" ist eher grandioser Science Fiction als Action-Thriller. Schön dabei, dass der Franzose immer noch sehr verrückt mit allem rumspielt, was Film ist. Schade, dass das Ergebnis unsorgfältig und zu rasch fertig gestellt wirkt. Aber wahrscheinlich hat Luc Besson einfach noch viel zu viel zu tun, bevor er sich als Multitalent in jedem Bit der filmischen Welt verewigt hat.

Lucy (2014)

Frankreich 2014 Regie: Luc Besson mit Scarlett Johansson, Morgan Freeman, Min-sik Choi 90 Min.

Mit dem immer wieder lohnenswerten Denkansatz „Was wäre wenn...?" reizt Luc Besson („Im Rausch der Tiefe", „Leon- Der Profi", „Transporter") die Möglichkeiten des menschlichen Hirns im hübschen Kopf von Scarlett Johansson aus. Das führt zu einem unterhaltsamen Science Fiction mit Humor und Action, der in Ansätzen sehr reizvoll ist. Dass Besson hier nicht an seinen Klassiker „Das fünfte Element" ranreicht, liegt wahrscheinlich daran, dass der fleißige Regisseur, Autor, Produzent und Studiogründer sein eigenes Vermögen nur rudimentär ausgereizt hat.

Als blonde Frau aus dem Westen für einen Party- und Drogen-Bekannten einen Koffer unbekannten Inhalts in ein koreanisches Hotel bringen und dafür 500 Dollar kassieren? Die Studentin Lucy (Scarlett Johansson) ist dazu viel zu helle in ihrem Köpfchen. Doch der Typ ist noch viel dreister und nur Minuten später klebt er tot an der Glasfassade während sie in einer Suite zwischen bedrohlichen Bodyguards sitzt. Lost in Translation und auch sonst ziemlich verloren, erlebt Lucy die erschreckende Wirkung einiger blauer Kristalle und wacht dann mit einer Wunde am Bauch auf: Der koreanische Pate Mr. Jang (Choi Min-sik) ließ ihr ein Päckchen der neuen Droge in den Körper einnähen, zwingt dann sie und andere, den (fiktiven) Stoff namens CPH 4 nach Europa zu schmuggeln.

Als die brutale Prügel der Handlanger das Päckchen in ihrem Bauch platzen lassen, erlebt Lucy ein paar Millionen Jahre Evolution in Sekunden: Sie kann die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns immer mehr und weit über die üblichen 10 Prozent einsetzen, wie Morgan Freeman als Professor Norman parallel vorträgt. Im umgekehrten Countdown bis zur 100-prozentigen Nutzung ihrer neuronalen Fähigkeiten wird Lucy Gedanken und Materie manipulieren, das gesamte Handynetz scannen. Radio oder TV-Wellen modulieren, ist dabei eine der einfachsten Übungen. Eine ganze Bande koreanischer Killer an der Decke kleben lassen, ein der spaßigsten.

Besson fährt reichlich erstaunliche Fähigkeiten seiner Heldin und noch mehr filmische Gimmicks auf. Schon das knappe, einleitende Gespräch, mit dem Lucy in die Falle gelockt wird, begleiten Clips von lauernden Leoparden und Mausefallen. Das ergibt einen wilden aber originellen Science Fiction, der vor allem keine Zeit für unnötige Wiederholungen hat. Die philosophische Ebene bietet als Fast Food für den Kopf eine Geschichte allen Lebens, eine Art Terrence Malick „Tree of Life" 3.0 an. Allerdings nicht als große Komposition sondern als Abfolge von nicht immer gelungenen Pointen. Jedoch auch mit einigen Volltreffern wie der neuen Version von Michelangelos Erschaffung Adams: Hier ist Lucy gleichzeitig Gott und Äffin, gibt nach einer rasanten Reise durch die Erdgeschichte den Funken ihrer Erkenntnis in einer genialen Rückkopplung weiter.

Das geriet als Gedankenspiel viel spannender als die brutale Korea-Mafia, die gegen diese neue Wonder-Woman chancenlos ist. (Die asiatischen Produzenten zeigen sich auch in der allgegenwärtigen Samsung-Werbung.) Auch die anderen Action-Typen des Films, mit denen Besson seine „Taxi"- und „Transporter"-Filme zitiert, können nur staunen - mit offenem Mund und offenen Wunden. „Lucy" ist eher grandioser Science Fiction als Action-Thriller. Schön dabei, dass der Franzose immer noch sehr verrückt mit allem rumspielt, was Film ist. Schade, dass das Ergebnis unsorgfältig und zu rasch fertig gestellt wirkt. Aber wahrscheinlich hat Luc Besson einfach noch viel zu viel zu tun, bevor er sich als Multitalent in jedem Bit der filmischen Welt verewigt hat.

6.8.14

Locarno 2014 Eröffnung

Luc, Lucy und Léaud am Lago

Locarno. Gestern Abend wurde das 67. „Festival del film" von Locarno (6. – 16. August 2014) feierlich im Open Air-Kino der Piazza Grande eröffnet. Das stimmungsvollste Kino Europas klotzte gleich zu Beginn an allen Ecken des Schweizer Ferien-Örtchens am Lago Maggiore. Rund um Luc Bessons aufsehenerregenden Eröffnungsfilm „Lucy" mit Scarlett Johansson und Morgan Freeman reichte die Spanne am Abend von der Nouvelle Vague bis zum neuen Zampano des französischen Kinos, Luc Besson. Jean-Pierre Léaud, das ehemals junge Gesicht der Nouvelle Vague in Truffauts Antoine Doinel-Filmen, erhielt einen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk. Luc Besson („Im Rausch der Tiefe", „Das fünfte Element", „Leon- Der Profi", „Transporter"), der noch fleißig als Regisseur, Autor, Produzent und Studiogründer an seinem Lebenswerk werkelt, hielt seine Pressekonferenz direkt Open Air und öffentlich.

„Lucy" ist mehr grandioser Science Fiction als Action-Thriller. Dabei verliert der Film, der nächste Woche in Deutschland startet, keine Zeit, um Lucy (Scarlett Johansson) in die Hände von koreanischen Drogenschmugglern zu werfen. Doch der neue Stoff löst sich in ihrem Körper-Versteck unter der Bauchdecke auf. Sie kann die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns immer mehr und weit über die üblichen 10 Prozent einsetzen, wie Morgan Freeman als Professor parallel vorträgt. Das geriet als Gedankenspiel viel spannender als die brutale Korea-Mafia, die gegen dieses neue Wonder-Woman chancenlos ist. Im umgekehrten Countdown bis zur 100-prozentigen Nutzung der neuronalen Fähigkeiten fährt Besson reichlich erstaunliche Tricks seiner Heldin und noch mehr filmische Gimmicks auf. Das ergibt einen wilden aber originellen Science Fiction, der vor allem so gut wie keine Zeit für unnötige Wiederholungen verschwendet. Die philosophische Ebene bietet eine Geschichte allen Lebens als Fast Food, eine Art Terrence Malick 3.0 an. Allerdings nicht als große Komposition sondern als Abfolge von Pointen. Bis zum neuen Schöpfungs-Sinnbild, in dem Lucy mit einem Fingerzeig gleichzeitig Gott und als Äffin Adam ist.

Das vielfältige Kinofest Locarnos begann im zweiten Jahr des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian dabei sogar schon am Nachmittag mit wahrlich anderen modernen Zeiten, einer Aufführung von Charlie Chaplins „Moderne Zeiten" unter Orchester-Begleitung. Und es sollte als Film-Party bis tief in die Nacht mit Ehrengast Melanie Griffith weitergehen. Dass sie sich auf einer Champagner-Party zeigt, ist dabei die eigentliche Sensation. Als Hauptdarstellerin von „Thirst", einem mäßigen Kurzfilm der Reihe „Pardi di domani", spielt sie eine heruntergekommene, versoffene Prostituierte, die eher wie siebzig und nicht wie kurz vor ihrem 57-Geburtstag am 9. August aussieht. Die jungen sexy Rollen übernimmt jetzt ihre Tochter als Hauptdarstellerin von „Fifty Shades of Grey", der hier zum Glück weit und breit nicht zu sehen ist.

Als Begleitprogramm zu den 274 kurzen, mittellangen und langen Filmen aus 47 Ländern werden unter anderem Juliette Binoche, Julie Depardieu, Mia Farrow, Florian David Fitz, Tony Gatlif, Giancarlo Giannini, Armin Mueller-Stahl, Roman Polanski, Jonathan Price, Jason Schwartzmann, Emmanuelle Seigner, Agnès Varda und Jürgen Vogel erwartet. Heute startet in den Kinosälen der Wettbewerb um die Goldenen Leoparden, die zum Abschluss am 16. August verliehen werden. Hier gehen die deutschen Koproduktionen „A blast" von Syllas Tzoumerkas sowie „Dos Disparos" von Martín Rejtman als Weltpremieren ins Rennen. Auf der Piazza geht es hingegen mit einer anderen Stimmungslage weiter: Mit der israelisch-deutsch-französischen Produktion „Dancing Arabs" will Regisseur Eran Riklis („Die syrische Braut", „Lemon Tree") ein Plädoyer für ein menschliches Zusammenleben in der derzeit wieder extrem krisengeschüttelten Region auf die Leinwand bringen. Ein starkes Argument für die Evolutions-Geschichte nach Bessson, die Lucy im Schlusssatz zusammenfasst: „Das Leben wurde uns vor einer Billiarde Jahren gegeben. Jetzt wisst ihr, was ihr damit machen sollt!" Wahrscheinlich ins Kino gehen!


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Auf www.pardolive.ch gibt es neben Trailern und exklusiven Berichten auch die Präsentationen auf der Piazza Grande und die Gespräche mit Ehrengästen als Livestreaming zu sehen.

3.8.14

Ab durch den Dschungel

Südkorea, Mexiko 2014 (Jungle Shuffle) Regie: Taedong Park, Mauricio De la Orta (Co-Regie) 82 Min. FSK: ab 0

„Ab durch den Dschungel" ist ein südkoreanisch-mexikanischer Versuch auf dem artenreichen Markt der Tieranimationen eine eigene Duftnote zu setzen. Leider fällt alles, was anders gemacht wird, erstaunlich viel schlechter, hässlicher, grober oder ungeschickter aus. Sehr bunt, flach und mechanisch sehen die Nasenbär-Figuren mit der Südsee-Deko aus, unter denen der kluge kleine Held Manu seine rosa (!) Prinzessin Sasha aus Menschenhand retten will. Wie immer ist ein Tier-Team aus eigenwilligen Charakteren zusammengesetzt, nur diesmal kann keiner irgendwelche Herzen gewinnen. So ist ein immer nerviger Sidekick dabei und ein grimmiger Panther auf Manus Spuren. Über allem schwebt auch noch der Geist eines großen weißen Adlers. Vor allem wenn die vorhersehbare Handlung wieder mal an Schwung verliert, quälen die gummi-zähen Dialoge mit dümmlichen Texten und Stimmen. Billig auch Musik.

Obwohl „Ab durch den Dschungel" hemmungslos von „Indiana Jones" bis zum „Dschungelbuch" kopiert, haben diese Nasenbären keine Chance gegen die allgegenwärtige Meeraffen-Konkurrenz aus Madagaskar. Wenn erst die gezeichneten Menschen ins Spiel kommen, wird es noch viel schlimmer. Selbst wer meint, „die Kleinen" bräuchten keine guten Filme, sollte sich hier Gedanken machen, ob ein Inka-Opferritual wirklich kindgerecht ist.

Ein Augenblick Liebe

Frankreich 2014 (Une recontre) Regie: Lisa Azuelos mit Sophie Marceau, François Cluzet, Lisa Azuelos, Alexandre Astier 82 Min. FSK: ab 0

Elsa (Sophie Marceau) und Pierre (François Cluzet), zwei Gelegenheits-Kiffer, lernen sich bei einer Party und der lustigen Suche nach Blättchen für einen Joint kennen, mögen sich sehr, aber können nicht zueinander kommen, weil er verheiratet ist und sie nichts mit verheirateten Männern anfängt. Mit vielen reizvollen Bildern und originellen Inszenierungs-Ideen läuft nun parallel beider Leben mit den jeweiligen Kindern ab. So düst Elsa direkt durch ihren Kleiderschrank in eine Party, auf der zufällig auch Pierre ist. Noch so ein Gespräch, bei dem alles klickt und stimmt, ein paar enge Tänze und lange, heftige Küsse, bis sie am Ende des Abends entscheiden, doch lieber nicht die Telefonnummern auszutauschen. Dabei gab es zu ein paar Robin Williams-Klängen schon den imaginierten Schnelldurchlauf von Glück und Drama einer möglichen Affäre.

Allerdings verliert sich der erfolgreiche Anwalt Pierre schon mal in der Recherche nach der bekannten Autorin Elsa. Und nicht nur bringt die originelle Montage das Aneinanderdenken beide Sehnenden immer wieder in ein Bild und einen Raum, es gibt weitere ungeplante Treffen. Bis sie in London im gleichen Hotel landen...

„Ein Augenblick Liebe" wirkt wie eine gekürzte, geschmäcklerische Kopie von „In the Mood for Love", Wong Kar-Wais Meisterwerk des liebenden Verharrens. Der französische Flirt-Moment ist witzig inszeniertes Warten für die Frauen-Matinee, eine möglichst nicht zu heiße Romanze für das Ü30-Publikum. Die allerdings durchaus wirkungsvoll und auf ihre Art gut gemacht ist. Die beiden hervorragenden Hauptdarsteller Sophie Marceau und François Cluzet schaffen es, die Chemie zwischen ihren Figuren spüren zu lassen. Der intensive Einsatz von Match-Cuts und gemeinsam gehörten Liedern bringt Nähe in die räumliche Trennung. Und die guten Songs sorgen für Wärme in der verspielten Inszenierung.

Gott verhüte!

Kroatien, Serbien 2013 (Svecenikova djeca) Regie: Vinko Bresan mit Kresimir Mikic, Drazen Kühn, Marija Skaricic, Niksa Butijer 97 Min. FSK: ab 12

Wie witzig: Da setzt sich ein Priesterlein auf einer kroatischen Insel in den naiven Kopf, den Bevölkerungsrückgang zu stoppen, indem er systematisch und fast-industriell Kondome noch in der Verpackung durchlöchert. Pater Fabian (Kresimir Mikic), durch die Beliebtheit seines immer noch aktiven Vorgängers unter Druck, nutzt die Beichte des Buden-Besitzers Petar (Niksa Butijer), um mit diesem gegen die sündige Verhütung vorzugehen. Anfangs scheint alles spaßig zu klappen. Wenn auch eine Schwangere unter Vortäuschung falscher Tatsachen mit einem der sexuell sehr aktiven Junggesellen zwangsverheiratet wird. Und auch wenn das Lachen über den mitverschworenen Apotheker Marin (Drazen Kühn), der die Antibaby-Pillen austauscht, schon den Klang wie bei Hitler-Witzen bekommt. Marins Rassismus ist nämlich nicht mehr nur skurril. Der Kriegsveteran will ganz im Geiste der Jugoslawien-Konflikte nur die Kroaten-Vermehrung. Serben und Bosnier bekommen keine präparierten Kondome!

Doch halt. Ist es wirklich lustig, dass Kirchenvertreter massiv ins Liebes-Leben der Menschen eingreifen. Dass sie bestimmen, ob man Kinder bekommt oder nicht? Nein! Und deshalb ist „Gott verhüte!" mit seinen kantigen und schrulligen Figuren „irgendwo aus dem Osten" nur in der ersten Hälfte sehr, sehr komisch und danach keineswegs eine glatte, leicht eingängige Komödie. Sondern eine mit Noppen, Ecken, Kanten und sogar Widerhaken. Denn irgendwann gibt es Tote - nicht nur den deutschen Touristen, der beim Baden auf der bald berühmten „Fruchtbarkeitsinsel" im zu kalten Wasser einen Herzschlag bekam.

Anfangs ist es höchst amüsant (inszeniert), wer in dem kleinen Hafenort alles mit wem etwas anfängt, wer es überraschend und sogar partei-übergreifend mit wem treibt. Doch als der Bischof mit seiner Luxus-Jacht nach einer anonymen Kondom-Einsendung angerauscht kommt, wird schnell klar, dass auch Kirchenvertreter zu den Kunden von Billy Boy & Co. gehören. Denn sie haben Verantwortung: Wenn man schon kleine Jungs und Mädels vergewaltigt, dann bitte auch mit Kondom. Und vor allem auch so, dass alles unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit bleibt - „Gott verhüte!"

So bedeutet der Originaltitel „Svecenikova Djeca" auch deutlicher: „Die Kinder des Priesters". Mit später ganz bösem Humor und einer erschreckenden Klarheit werden nicht nur platt Scheinheiligkeit und Sexualverbrechen der Kirche vorgeführt. Vor allem das System des Verschweigens, dem Beichtgeheimnis inhärent, klagt Regisseur und Autor Vinko Bresan an, der mit seinem Film einen riesigen Erfolg im katholischen Kroatien hatte. Dabei ist Bresan nicht nur mit einem Thema politisch: Der, im Apotheker verkörperte, wahnsinnige Nationalismus kommt ebenso vor wie die Verlogenheit der Partei-Politiker, die als vermeintliche Gegner hier tatsächlich miteinander ins Bett gehen.

Vor allem gelang Bresan jedoch mit „Gott verhüte!" ein außergewöhnlicher Film: Was sich in der Analyse angestrengt und überladen anhören mag, beginnt als beste Unterhaltung und endet in echter Erschütterung. Dabei ist die Entwicklung der Figuren ebenso stimmig, wie die der Stimmung mutig ist. Man darf hier tatsächlich an die meisterliche tragikomische Balance der Gefühle in Lubitschs „Sein oder nicht sein" erinnern.

Affentheater D-Box

Früher war es befremdlich bis besorgniserregend, wenn der Stiernacken in der Kinoreihe hinter einem seine Knie in die eigene Rückenlehne hämmerte und dabei schrie „Mach ihn fertig! Mach ihn fertig!". Heute nennt sich das Verfahren D-Box und man soll einen Aufpreis dafür zahlen.

Die noch wenigen Kinos mit dem Angebot der D-Box genannten Sitze preisen selbstverständlich das zusätzliche Erlebnis an. Was bei einigen Achterbahn-Filmen durchaus reizvoll und witzig sein mag. Doch bei diesem „Planet der Affen" ist das Ganze nicht nur sinn- und witzlos, es geht auch völlig schief: Das Rütteln der Sitze hat bei diesem Film meist nur entfernten Bezug zu den zentralen Figuren. Deshalb wird nicht das Erleben des Films verstärkt. Man wird im Gegenteil dauernd herausgerissen, weil man sich fragt, wieso der Sitz denn jetzt wieder wackelt und was das mit dem Film zu tun haben soll. Hier hat jemand ohne Sinn und Verstand an den Rüttel-Knöpfen rumgewerkelt, um ein paar Euro mehr aus dem Film zu schütteln. Das kann man sich getrost sparen. (ghj)

Planet der Affen - Revolution

USA 2014 (Dawn of the Planet of the Apes) Regie: Matt Reeves mit Andy Serkis, Jason Clarke, Keri Russell, Gary Oldman, Judy Greer 131 Min. FSK: ab 12

In „Planet der Affen - Prevolution" erreichte der Labor-Affe Caesar aufgrund einer Droge nicht nur selbst die Intelligenz der Menschen, er infizierte auch seine Mitgefangenen und startete eine Revolution gegen die Menschen. Zehn Jahre später hat genau dieses Virus weltweit die Menschheit fast ausgerottet. Die Überlebenden hausen in den Ruinen der Städte. Die Affen leben in den Wäldern in neuen Gesellschaften. Diese Fortsetzung des Vorspiels vor den alten „Planet der Affen"-Filmen begeistert gleichzeitig mit ihrer sagenhaften Geschichte, mit atemberaubender Inszenierung und Ideen, die unter die Haut gehen.

Caesar (Andy Serkis) hat auf der Basis seiner schrecklichen Erfahrungen in Menschenlaboren eine neue Gemeinschaft gegründet, die vor allem eine Regel befolgt: Affe tötet nicht Affe. Das erledigen jedoch zuverlässig ein paar Menschen, die von den Trümmern San Franciscos auf dem Weg zu einem Damm sind, um wieder an Elektrizität zu kommen. Ein hasserfüllter Hitzkopf erschießt einen erschrockenen Affen, doch Caesar lässt die anderen Menschen straffrei gehen. Die faszinierende Begegnung mit einem sprechenden Schimpansen lässt Malcom (Jason Clarke), einen der beiden Anführer der Menschen in Frisco, nicht mehr los. Er geht wehrlos zur Affenfestung und überzeugt Caesar, sie das Wasserkraftwerk reparieren zu lassen. Dass Caesar mit dem von Laborversuchen verstümmelten Koba (Toby Kebbell) diskutiert, was die Elektrizität für die Entwicklung der Menschen bedeutet, ist nur der Anfang eines ganzen Netzes an sozialen und politologischen Gedankenspielen, die der Film unauffällig in seine sensationellen Bilder einwebt.

Bilder bei denen man stillstehen muss, so wie „Planet der Affen - Revolution" selbst scheinbar immer ein paar Extra-Sekunden stillsteht, um die Waldfestung der Affen oder die Gerüstkrone eines Hochhauses im Zentrum der Stadt als dreidimensionales Gemälde zu würdigen. Ebenso gibt es fast Standbilder im Sinne von Statuen, denn der Film regt zum Denken über Herrschaft und deren Legitimation an. Dabei ähneln sich die Strukturen in den Gemeinschaften von Affen und Menschen ebenso wie ihre Gene. Während der auf Verständigung bedachte Caesar von Koba hintertrieben wird, rüstet Malcolms Partner Dreyfus (Gary Oldman) heimlich auf. Alle wollen sie ihre Kinder schützen und haben mehr Angst vor den anderen als nötig.

Während Andy Serkis („King Kong", „Der Herr der Ringe") auch in der Fortsetzung den Schimpansen Caesar zum Leben erweckt, sind die Figuren aus „Prevolution" nicht mehr im Spiel. Zum Faszinierenden von „Planet der Affen - Revolution" gehört überhaupt die auch dramaturgische Vorherrschaft der Affen. Nicht nur tricktechnisch ist diese „Revolution" weit von der simplen Logik entfernt, dass der Affe der bessere Mensch sei. Vielleicht ist Caesar klüger als die Menschen, aber der stille Abgang von Malcolm ins Dunkle gibt auch dieser Figur eine ganz besondere Größe. Eine Szene übrigens, die wie viele andere ein inszenatorischer Leckerbissen ist.

Caesar ist jedoch eindeutig die Hauptfigur, ein charismatischer Führer, der nicht töten und herrschen will. Doch die Entwicklung lässt ihm keine andere Wahl - das ist endlich einmal tatsächlich so und nicht vorgeschoben wie in vielen Rachefilmen. Wie er am Ende staatsmännisch verantwortungsvoll eine Richtung einschlägt, in die er nicht wollte, macht ihn zu einer großen Filmfigur und Serkis mit oder trotz aller digitalen Verkleidung zu einem großartigen Darsteller.

„Planet der Affen - Prevolution" ist technisch und von der Geschichte her großartig. Regisseur Matt Reeves hat nach „Cloverfield" (2008) und dem Kinder-Vampir-Remake „Let Me In" (2010) wieder ein Paket voller Hollywood-Attraktionen geliefert, dass sich im Mut zu anderen Perspektiven und in den Angeboten zum Weiterdenken weit von der Mainstream-Kost abgesetzt hat. Ein wirklich großer, bewegender Film, ein Abenteuer der Menschheit, das vorerst kein gutes Ende findet. Wenngleich der eindringliche Blick aus Caesars Augen ein unvergessliches Filmende ist.

ghj: Planet der Affen - Revolution ****

*** eine ghj-kritik **************************************

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Planet der Affen - Revolution

USA 2014 (Dawn of the Planet of the Apes) Regie: Matt Reeves mit Andy Serkis, Jason Clarke, Keri Russell, Gary Oldman, Judy Greer 131 Min. FSK: ab 12

In „Planet der Affen - Prevolution" erreichte der Labor-Affe Caesar aufgrund einer Droge nicht nur selbst die Intelligenz der Menschen, er infizierte auch seine Mitgefangenen und startete eine Revolution gegen die Menschen. Zehn Jahre später hat genau dieses Virus weltweit die Menschheit fast ausgerottet. Die Überlebenden hausen in den Ruinen der Städte. Die Affen leben in den Wäldern in neuen Gesellschaften. Diese Fortsetzung des Vorspiels vor den alten „Planet der Affen"-Filmen begeistert gleichzeitig mit ihrer sagenhaften Geschichte, mit atemberaubender Inszenierung und Ideen, die unter die Haut gehen.

Caesar (Andy Serkis) hat auf der Basis seiner schrecklichen Erfahrungen in Menschenlaboren eine neue Gemeinschaft gegründet, die vor allem eine Regel befolgt: Affe tötet nicht Affe. Das erledigen jedoch zuverlässig ein paar Menschen, die von den Trümmern San Franciscos auf dem Weg zu einem Damm sind, um wieder an Elektrizität zu kommen. Ein hasserfüllter Hitzkopf erschießt einen erschrockenen Affen, doch Caesar lässt die anderen Menschen straffrei gehen. Die faszinierende Begegnung mit einem sprechenden Schimpansen lässt Malcom (Jason Clarke), einen der beiden Anführer der Menschen in Frisco, nicht mehr los. Er geht wehrlos zur Affenfestung und überzeugt Caesar, sie das Wasserkraftwerk reparieren zu lassen. Dass Caesar mit dem von Laborversuchen verstümmelten Koba (Toby Kebbell) diskutiert, was die Elektrizität für die Entwicklung der Menschen bedeutet, ist nur der Anfang eines ganzen Netzes an sozialen und politologischen Gedankenspielen, die der Film unauffällig in seine sensationellen Bilder einwebt.

Bilder bei denen man stillstehen muss, so wie „Planet der Affen - Revolution" selbst scheinbar immer ein paar Extra-Sekunden stillsteht, um die Waldfestung der Affen oder die Gerüstkrone eines Hochhauses im Zentrum der Stadt als dreidimensionales Gemälde zu würdigen. Ebenso gibt es fast Standbilder im Sinne von Statuen, denn der Film regt zum Denken über Herrschaft und deren Legitimation an. Dabei ähneln sich die Strukturen in den Gemeinschaften von Affen und Menschen ebenso wie ihre Gene. Während der auf Verständigung bedachte Caesar von Koba hintertrieben wird, rüstet Malcolms Partner Dreyfus (Gary Oldman) heimlich auf. Alle wollen sie ihre Kinder schützen und haben mehr Angst vor den anderen als nötig.

Während Andy Serkis („King Kong", „Der Herr der Ringe") auch in der Fortsetzung den Schimpansen Caesar zum Leben erweckt, sind die Figuren aus „Prevolution" nicht mehr im Spiel. Zum Faszinierenden von „Planet der Affen - Revolution" gehört überhaupt die auch dramaturgische Vorherrschaft der Affen. Nicht nur tricktechnisch ist diese „Revolution" weit von der simplen Logik entfernt, dass der Affe der bessere Mensch sei. Vielleicht ist Caesar klüger als die Menschen, aber der stille Abgang von Malcolm ins Dunkle gibt auch dieser Figur eine ganz besondere Größe. Eine Szene übrigens, die wie viele andere ein inszenatorischer Leckerbissen ist.

Caesar ist jedoch eindeutig die Hauptfigur, ein charismatischer Führer, der nicht töten und herrschen will. Doch die Entwicklung lässt ihm keine andere Wahl - das ist endlich einmal tatsächlich so und nicht vorgeschoben wie in vielen Rachefilmen. Wie er am Ende staatsmännisch verantwortungsvoll eine Richtung einschlägt, in die er nicht wollte, macht ihn zu einer großen Filmfigur und Serkis mit oder trotz aller digitalen Verkleidung zu einem großartigen Darsteller.

„Planet der Affen - Prevolution" ist technisch und von der Geschichte her großartig. Regisseur Matt Reeves hat nach „Cloverfield" (2008) und dem Kinder-Vampir-Remake „Let Me In" (2010) wieder ein Paket voller Hollywood-Attraktionen geliefert, dass sich im Mut zu anderen Perspektiven und in den Angeboten zum Weiterdenken weit von der Mainstream-Kost abgesetzt hat. Ein wirklich großer, bewegender Film, ein Abenteuer der Menschheit, das vorerst kein gutes Ende findet. Wenngleich der eindringliche Blick aus Caesars Augen ein unvergessliches Filmende ist.

Günter H. Jekubzik * guenter@jekubzik.de