30.6.14

Eine ganz ruhige Kugel

Frankreich 2013 (Les invincibles) Regie: Frédéric Berthe mit Atmen Kelif, Gérard Depardieu, Virginie Efira, Daniel Prévost 99 Min. FSK: ab 6

Lange schien es, als würde Gérard Depardieu seiner Karriere mit seltsamen Wechseln bei Staatsbürgerschaft und Wohnsitz die Kugel geben. Nun wird er bei „Eine ganz ruhige Kugel" für ein Pétanque-Spiel zum Algerier und zeigt in zweiter Reihe recht ruhig, was er schauspielerisch noch kann. Das ist einer von vielen interessanten Punkten einer zu wechselhaften Komödie mit zu vielen Themen und Tönen.

Vorhersehbar wie ein Hütchenspieler geht das Betrüger-Trio an der Cote d'Azur beim Boule-Spiel vor. Jacky Camboulaze (Gérard Depardieu) verzockt erst fast alles mit einem Partner, der bald völlig besoffen ausfällt. Dem zufällig gefundenen Ersatz Momo (Atmen Kelif) wird als „Araber" nicht zugetraut, dieses ur-französische Spiel zu beherrschen. Doch er wirft die Kugel sagenhaft gut und sahnt den hohen Wetteinsatz ab.

Dass Momo zwar sensationell Pétanque spielt, aber sogar in der „Nationalmannschaft" noch rassistisch zum Balljungen degradiert wird, ist das große Thema dieser ruhigen Komödien-Kugel, die in unruhiger Bahn verläuft. Die ganze alten Freunde, der verschuldete Jacky und der hoffnungsvolle, junge Momo, haben viele Tricks im Spiel und kein Glück bei den Frauen. Die große Weltmeisterschaft eines eitlen Stars soll die Lösung aller (Geld-) Probleme sein, doch die Vorbehalte und Sabotagen der „echten", also echt miesen und ignoranten Franzosen sind massiv. Nur die resolute und emanzipierte Marketing-Frau Caroline Fernet (Virginie Efira), bei deren erster Begegnung mit Momo schon die Funken fliegen, hält zu ihm. Dabei vereint beide nicht nur die unterdrückte Position in einer rassistischen, sexistischen und elitären Gesellschaft.

So unvermittelt wie die Sozial-Kritik in einer ansonsten recht übersichtlichen Komödie kommt auch Momos Abschiebung in ein Algerien, dass er als in Frankreich geborener Franzose noch nie gesehen hat. Doch dort blitzen auch ganz stille starke Momente abseits des Genres auf. So wie die Bilder des groben Konzept plötzlich sehr ausgewählt Depardieu nächtlich in trauriger Gestalt vor einer Bar zeigen. Auf ihn ist in seinen Szenen als väterlicher und selbstloser Freund Verlass. Ebenso auf den Hauptdarsteller, Ko-Autor und Ideengeber Atmen Kelif: Ein guter, glaubhafter Komödientyp unter vielen anderen Witzfiguren. Dafür und für das megakitschige Final-Bild, in einer Ballerei, die längst nicht mehr interessiert, gibt es noch ein paar extra Sympathie-Punkte.

Große Jungs

Frankreich 2013 (Les gamins) Regie: Anthony Marciano mit Alain Chabat, Max Boublil, Sandrine Kiberlain, Mélanie Bernier 98 Min. FSK: ab 6

Da sitzt er im bunten Bälle-Bad, der Mitt-Fünfziger und Midlife-Krisler Gilbert (Alain Chabat). Neben ihm in der Junggesellen-Bude das Schlagzeug und ein Lebens-Chaos, von dem er sich längst verabschiedet hatte. Wie er mit dem zukünftigen Schwiegersohn Thomas wieder in eine wilde Phase ungeregelten Trieblebens verfällt, ist durch viele verrückte und überzogene Szenen viel spaßiger als ähnlich gelagerte US-Komödien der ewigen Unreife.

Schon der große Auftritt von Musiker Thomas (Max Boublil) von der Garderobe auf die Bühne einer .... Hochzeitsfeier, spottet der Hauptfigur. Als der klägliche französische Singer-Songwriter mit einem sehr simplen Liebesliedchen dabei die nette Mélanie Bernier (Lola) begeistert, zeigt der Film jedoch auch viel Sympathie für diesen witzigen Träumer, der mit einer Reihe von komischen Momenten mit Lola bis zum großartig und genial inszenierten Heiratsantrag kommt.

Die Begegnung mit dem künftigen Schwiegerpapa, dem schlapp durchhängenden Gilbert, führt Thomas allerdings auf Abwege. Zusammen entdecken sie beim Einkauf im Supermarkt mit einer ausführlichen Weinprobe wieder die „Lust for life" und kiffen gleich noch zusammen auf dem Kinderspielplatz. Wenn der Vater mit dem (Schwieger-) Sohne einmal ausflippt, werden gleich zwei Träume von Musikerkarrieren wiederbelebt und eine Weile scheint, es als solle sogar Iggy Pop das dünne Liedchen „Je t'aime" vom ziellosen Jüngelchen aufnehmen.

Gilbert kürzt seiner Frau die Entwicklungshilfe für Afrika und lebt mit viel Vergnügen auf. Dem Zukünftigen rät er mehrfach ab, die Tochter und überhaupt zu heiraten. So finden sich alle im Quartett bald völlig losgelöst vom Partner in neuen und alten Freiheiten. Lola und Mama Suzanne (wieder ein Genuss: Sandrine Kiberlain) bekommen die lang vermissten Eigenschaften ihrer Partner in Fleisch und Blut an ihre Seite gestellt - eine umwerfende Horrorvorstellung! Thomas' Liedchen wird zwischen ausschweifenden Partys mit der Musiker-Szene von einer frechen Göre unerträglich verhunzt. Die Nacht, in der alle frei sind und ihre Träume ausleben können, steckt wie der gesamte Film voller herrlicher Überzeichnungen. Nicht nur, dass ein noch recht junger Mann eine Midlifecrisis durchlebt, zeigt den etwas ungewöhnlichen Humor dieses Films. Schon von Anfang an treffen die regressiven Herren überall gleich Frustrierte vom erst steifen, dann besoffenen Weinhändler bis zum zu jungen und zu spießigen Dealer. Unter viel witzig Überzogenem und nett ausgespielten Standards aus Boulevard-Komödien finden sich zusätzlich einige Komödien-Perlen. Thomas' umwerfende Simultan-Übersetzung eines wütenden iranischen Politikers auf einer großen Atom-Konferenz ist eine wunderbar uneigentliche und damit umso sympathischere Liebeserklärung.

Überhaupt ist diese eigentlich alberne Männer-Emanzipation selbst erfreulich jung geblieben und traut sich dementsprechend etwas. Der Spaß der großen und kleinen Jungs beim Spaß haben, kommt glaubhaft rüber. So liebenswert und witzig wird „Sei du selbst" nicht oft vorgelebt.

25.6.14

Finding Vivian Maier

USA 2013 Regie: John Maloof, Charlie Siskel 84 Min. FSK: ab 0

Der junge (Ko-Regisseur) John Maloof ersteigert 2007 eine Kiste volle Negative für 380 Dollar. Nach einer Weile setzt er 200 der Bilder, die ihm gefallen ins Internet und erhält enorm große Aufmerksamkeit. Bei der Recherche nach der Fotografin entdeckt er das Leben eines Kindermädchens, einer Einzelgängerin, von der niemand ahnte, dass sie fotografierte. Die weitere, spannend wiedergegebene Recherche von Maloof zeigt, dass Vivian Maier (1926–2009) ein Messi war, dem nach ihrem Tod in überlaufenen Ausstellungen eine große, verdiente Aufmerksamkeit zuteil wird. Experten äußern sich begeistert über den humorvollen Blick mit viel Liebe für die aufgenommenen New Yorker. Zeitgenossen erzählen in der detektivisch spannenden Recherche aber auch von einer schwierigen Persönlichkeit. Zusammen ergibt sich eine tragische Biografie einer großartigen aber unerkannten Künstlerin.

24.6.14

Violette

Frankreich, Belgien 2013 Regie: Martin Provost mit Emmanuelle Devos, Sandrine Kiberlain, Olivier Gourmet 139 Min. FSK: ab 12

Bei den internationalen Frauen-Spielfilm-Wochen trumpft Frankreich wieder mit einem sehenswerten Porträt auf: Nach „Suzanne" nun „Violette", die französische Schriftstellerin Violette Leduc (1907-1972). Wobei wir sie während der deutschen Besetzung als Verzweifelte, als Abgewiesene kennenlernen. Der schwule Freund Maurice Sachs (Olivier Py) kann sich dem fast wahnsinnigen Bedrängen nur erwehren, indem er Violette auffordert, doch ihre Leidenschaften aufzuschreiben. Nach dem Krieg in Paris immer noch vom Schmuggel lebend, trifft sie auf Simone de Beauvoir (außerordentlich dargestellt von Sandrine Kiberlain), die ihren ersten Roman begeistert veröffentlichen lässt. Leduc selbst bewundert hingegen Jean Genet, sucht aber auch obsessiv die Liebe der Beauvoir. Wie bei fast jedem. Und erhält wieder die Antwort, ihre Obsessionen niederzuschreiben. 1946 entsteht „L'Asphyxie" und in weiteren Romanen folgenden die Reflexionen eines „Bastards", der lebenslang unter der Abweisung durch den Vater litt.

Im Gegensatz zur Leducs Selbsteinschätzung, nicht schön zu sein, zeigt sie der Film als sehr reizvoll. Emmanuelle Devos hat ein grandios ausdrucksstarkes Gesicht, ihre Mischung aus Verzweiflung, Wut, Entschlossenheit ist unheimlich berührend und gleichzeitig komisch. Regisseur Martin Provost („Séraphine") gelingt mit exzellenten Bildern (Kamera: Yves Cape) und einem zurückhaltenden Soundtrack (mit Arvo Pärt-Stücken) das gebrochene Porträt einer ungewöhnlichen Künstlerin und Frau.

Otto ist ein Nashorn (2013)

Dänemark 2013 (Otto er et næsehorn) Regie: Kenneth Kainz 73 Min. FSK: ab 0

Am letzten Tag vor den Sommerferien malt Topper, der sich öfters fantastische Geschichten ausdenkt, tatsächlich mit Hilfe eines Zauberstiftes ein Nashorn an die Wand, das darauf lebendig in der dritten Etage an den Büchern knabbert. Mit seinem Freund Viggo und dem kauzigen Nachbarn Holm kümmert sich Topper um das Otto genannte Rhinozeros. Durch die Decke geht es dabei zum Zwischenstopp bei der schwerhörigen Nachbarin, die endlich mal Besuch zum Kaffee bekommt. Auch der Rest der Erwachsenen ist herrlich überzeichnet, von der Bäckersfrau bis zum Zoo-Direktor.

Solch fantastische Geschichten werden heutzutage mit viel Computer umgesetzt, hier mit besonders dynamischer Digital-Animation. Dabei geht etwas vom Charme der Realfilme aus den Achtzigern verloren. Aber im Reigen vieler Zeichentrickfilme für Kinder ragt „Otto ist ein Nashorn" heraus - sowohl mit seiner netten, verrückten Geschichte als auch mit der gleichzeitig modern völlig losgelösten „Kamera". So führt nach einem Zwischenspiel das fliegende Auge die Zuschauer in der Spur eines Marienkäfers zurück zu den kleinen Helden in die Schulklasse.

Trotz der mächtig übertriebenen Physiognomien, die nicht nur gefällig wirken, trotz des unförmigen Nashorns, bietet „Otto ist ein Nashorn" eine nette Gelegenheit, diese beliebten dänischen Kinderbuch-Geschichten von Ole Lund Kirkegaard zu entdecken.

Mädelsabend

USA 2014 (Walk Of Shame) Regie: Steven Brill mit Elizabeth Banks, James Marsden, Kevin Nealon, Gillian Jacobs 95 Min. FSK: ab 12

Sind Peinlichkeiten vor laufender TV-Kamera noch lustig, wenn Hollywood einen Großteil seiner Kameras für laufende Kameras verschwendet? Nach einer Kostprobe von sympathischen Live-(R)ausrutschern lernen wir Meghan Miles (Elizabeth Banks) kennen, TV-Moderatorin und langweilige Blondine, die es abwechselnd der sittenstrenge Mutter und der ordinären Freundin recht machen muss. Hirnlose Nachrichten, festgefrorenes Lächeln - was „Anchorman" herrlich und definitiv durch den Kakao zog, wird hier tatsächlich noch einmal ernst genommen. Nun bekommt Meghan den neuer Job als „Anchor", als Nachrichten-Star, doch nicht und auch der Freund lässt sie sitzen (ein Wunder, dass so ein Hohlkörper überhaupt einen Freund hatte). Um all dies Elend zu feiern, führen die Freundinnen sie zum Saufen aus, wobei Meghan unbedingt etwas „Schlampiges" anziehen soll. Das ziemlich brave gelbe Kleid, scheint in Los Angeles eindeutig konnotiert zu sein, denn fortan hält sie jeder für eine Prostituierte. Auf der Straße landet sie in den nächsten Stunden gleich mehrfach, weil sie sich aus einem Club ausschließt, die Wohnung des neuen Lovers wegen einer Katze fluchtartig ohne Handy verlässt und das Auto abgeschleppt wurde. Zudem muss sie schnell zum Sender, weil der neue Job doch noch möglich ist...

Der deutsche Titel „Mädelsabend" macht krachledern klar, was frau bei diesem Film erwarten darf: Ein „Hangover" für Mädels, ganz schwach derber Humor und das Chaos am Morgen danach. Allerdings weiß die lahme Komödie selbst nicht so genau, was sie will, denn der Originaltitel „Walk of Shame" suggeriert sogar etwas Medienkritik - was allerdings der größte Witz des Ganzen ist. Ansonsten sind nur einzelne Szenen kurzfristig witzig, etwa das Verhör des One Night-Stand-Kellners durch die beiden noch dämlicheren Freudinnen von Meghan. Großartig ist nur, wie drei ganz harte „Brothers" mit weichem Kern in einem Crack-House sich für das verirrte Bürger-Mädel einsetzen und ihren blöden und verlogenen Ex am Telefon zusammenstauchen.

Elizabeth Banks, die Effie Trinket aus „Die Tribute von Panem", gehört nicht zu den Darstellern, die selbst aus so einer Rolle noch etwas rausholen. So ist es überhaupt nicht witzig, ihr beim Sturzbesoffen-Sein zuzusehen. Martin Scorseses „Die Zeit nach Mitternacht", die Mutter solcher Geschichte des Sich-Verlierens in einer wilden Nacht, ist ziemlich weit weg. Diese „Zeit während der Fußballspiele" ist hauptsächlich albern, Handlung entwickelt sich meist haarsträubend. Dass am Ende noch eine Epiphanie des naiven Mädels stattfindet, das selbst nicht über das Niveau ihrer Nachrichten hinausblickte, verdirbt einem schließlich sogar den minimalen Spaß. Der aufgesetzten Weisheit „Sei einfach du selbst" sollte man folgen und nicht in diesen Film gehen.

18.6.14

No Turning Back / Locke

Großbritannien, USA 2013 (Locke) Regie: Steven Knight mit Tom Hardy 85 Min. FSK: ab 0

In dieser kinematographischen Sauregurkenzeit zeigt der Ausnahme-Film „No Turning Back" wunderbar, was wirklich Wichtiges alles während eines Fußballspiels, sogar in weniger als achtzig Minuten, passieren kann: Ivan Locke (Tom Hardy), ein Perfektionist in den zehn Jahren seiner Tätigkeit als Bauingenieur, verlässt eine riesige Baustelle in Birmingham, macht sich zu einer nächtlichen Autobahnfahrt auf. Am Morgen soll das Fundament für ein 55 Etagen hohes Gebäude unter seiner Regie gegossen werden, die größte Betonier-Aktion Europas bislang. Doch Locke (so heißt auch der Originaltitel) fährt zu einer Frau, die sein Kind zwei Monate zu früh bekommen wird.

Allerdings ist es nicht seine (Ehe-) Frau. Das Kind wurde in einem einmaligen Seitensprung mit einer einsamen Sekretärin gezeugt. Nun gesteht Locke die Untreue seiner Frau, vertröstet den Sohn, mit dem er ein parallel laufendes Fußballspiel sehen wollte, bringt seinen Auftraggebern bei, dass er nicht da sein wird, obwohl alle nur ihm vertrauen. Vom Prinzip Autobahn zur Tatenlosigkeit verdammt, „locked" (eingesperrt) wie es der Name suggeriert, muss er alles mit seiner Stimme, alles per Telefon regeln. Der Film hat nur einen Schauspieler, der in Echtzeit durch die Nacht fährt.

Mit unfassbarer Ruhe, mit einer hypnotisch konzentrierten Stimme beruhigt Locke die Schwangere, die schwere Komplikationen durchmacht, erklärt sich der geschockten Ehefrau, die nur abwechselnd telefonieren und sich übergeben kann, macht einen Kurzlehrgang in Führerschaft und Selbstbewusstsein für seinen Assistenten Donald, den er auch noch von der Flasche weg bringt. Wir erleben eine erstaunlich ehrenwerte Person: Locke schob bei der Arbeit keine Entschuldigung, keine Krankheit vor. Und als ihn ein entfernter Aufsichtsrat entlässt, will er trotzdem den schwierigen und hochkomplexen Job beenden, „sein Gebäude" retten. Er hat einen Fehler gemacht, will nun aber das Richtige tun - auch wenn auf der anderen Seite Millionen auf dem Spiel stehen.

„No Turning Back" wäre auch ein gutes Hörspiel, wie Derek Jarmans „Blue", der nur eine blaue Leinwand zeigte und von der Erblindung des Regisseurs erzählte. Doch da gibt es auch die Blicke in den Rückspiegel, in dem Locke einen ganz anderen Gesprächspartner sucht. Seinen imaginären Vater nämlich, den er anflucht und dem er Vorwürfe macht, ihn damals als Kind vernachlässigt zu haben. Der faszinierende Film verzichtet trotz des Zeitdrucks auf quietschende Reifen oder Geschwindigkeits-Überschreitungen wie in „The Call". Die große Aktion ist eine Riesenladung Beton, die angeliefert und bearbeitet werden muss. Die große Attraktion, eine große Freude und auch ein Spaß ist, einem Menschen beim Denken und Entscheiden zuzusehen.

Locke, sagenhaft intensiv, mit sehr prägnantem, walisischem Akzent gespielt von Tom Hardy, ist ein genauer Mensch, der auf die richten Worte achtet, seinen Gesprächspartnern Verständnis signalisiert und freundlich Bestätigungen einfordert. Er könnte auch Psychiater sein. Doch der Mann, der so leidenschaftlich und sorgsam Häuser baut, hat plötzlich kein Zuhause mehr. Keine Frau und auch keinen Job.

Im lebendigen, raschen Wechsel der Perspektiven kommen die Anrufe häufiger und schneller. Während Locke beruhigend wie ein Psychiater am Hilfs-Telefon spricht, sehen wir im Bild die eigene Unsicherheit, sein Knabbern am Finger, die tränengefüllten Augen. So wie er sich der Aufmerksamkeit seiner Gesprächs-, Lebens- und Geschäfts-Partner versichert, so hält er auch die Zuschauer „locked", gefangen, im Griff seiner Stimme.

17.6.14

Die unerschütterliche Liebe der Suzanne

Frankreich 2013 (Suzanne) Regie: Katell Quillévéré mit Sara Forestier, François Damiens, Adèle Haenel, Paul Hamy 94 Min. FSK: ab 12

Die Lebensgeschichte zweier Schwestern in intensiven und bewegenden Momenten ist ganz schon viel für gerade mal 90 Minuten Film, doch Katell Quillévéré gelingt in ihrem zweiten Werk das Kunststück, mit kleinen Momentaufnahmen komplett zu packen: Suzanne und Maria wachsen bei ihrem verwitweten Vater Nicolas, einem liebevollen Fernfahrer auf. Während die eine ein braves Leben führt, ist das von Suzanne voller Brüche. Für die Liebe zu einem Kriminellen verliert sie die Erziehungsberechtigung für ihren Sohn und geht sogar ins Gefängnis. Schwester und Vater verzweifeln an ihr, doch sie geht ihren Weg weiter.

Ungemein eindringlich folgt auch Regie: Katell Quillévéré über Jahrzehnte ihren Figuren, die in allen Altersklassen von direkt begeisternden Schauspielerinnen verkörpert werden. Ihre Präsenz in den kurzen, offenen Szenen ist schier unglaublich. Nicht alles wird ausgesprochen und ausgespielt, aber man folgt - trotzdem oder deswegen - fasziniert den dramatischen Ereignissen, die so trocken präsentiert werden.

Hauptdarstellerin Sara Forestier erinnert auch von ihrer Rolle her an die junge Sandrine Bonnaire in „Vogelfrei". All dies sehr sehenswerte Schöne vollendet selbstverständlich Leonard Cohens Song „Suzanne", hier in der Version von Nina Simone.

Zoran - Mein Neffe der Idiot

Italien, Slowenien 2013 (Zoran, il mio nipote scemo) Regie: Matteo Oleotto mit Giuseppe Battiston, Rok Prasnikar, Roberto Citran, Marjuta Slamic 113 Min. FSK: ab 12

Unter all den verantwortungslosen Außenseitern, die ein hilfloses Kind - oder Tier - zum sozialen Mitmenschen macht, ist Paolo (Giuseppe Battiston) eine ganz besondere Nummer: Der bärtige, rundliche Italiener spielt Dame mit großen Gläsern harten Alkohols, die nicht nur rausgeworfen sondern auch runtergespült werden. Der Trinker übernachtet regelmäßig beim Nachbarn in der Wohnung, weil die Polizei wieder vor seiner wartet. In der Kantine des Alternsheims klatscht er lieblos das Essen auf die Teller und wirft besoffen Steine auf die Villa seines sehr gütigen und hilfsbereiten Chefs, der Paolos große Liebe geheiratet hat. Als dem Feind aller freundlichen Menschen seine sehr entfernte Tante im benachbarten Slowenien stirbt, schmeißt er deren Urne aus dem Fenster des fahrenden Autos. Nicht loswerden kann er jedoch seinen leicht autistischen Neffen Zoran (Rok Prasnikar), den er fünf Tage betreuen soll, bis ein Platz im Kinderheim frei wird. Zoran wird kurzerhand in einer Kneipe geparkt, wo sich eine besondere Qualität herausstellt: Mit seinem Dartpfeil trifft er immer, zuerst nur den Stopfen eines Fasses, dann das „Bulls Eye" der Scheibe. Nun ist Paolo plötzlich sehr an dem Jungen interessiert, kann man doch in England mit Dart viel Geld verdienen...

In einer italienischen Landschaft, die sich für romantischen Kitsch eignen würde, versammeln sich einige skurrile Gestalten und mittendrin der saufende Griesgram, der irgendwo einen liebenswerten Kern im üppigen Körper hat. Der Film macht es einem allerdings auch leicht, Sympathien für das unverschämte Schlitzohr aufzubringen. Zu viele naive Gutmenschen belagern den extremen Egoisten förmlich. Wobei auch diese gebrochen und spleenig dargestellt werden, selbst der A capella-Gesang des über-fröhlichen Kollegen dreht sich vor allem ums Trinken. Auch wenn gerade die Figur des Autisten Zoran mit Riesen-Sehgestell und sonst nur ein paar gelebten Eigentümlichkeiten zu einfach gezeichnet wurde, überzeugt sein Darsteller Rok Prasnikar mit viel Ausdruck. Was so für den ganzen Film gilt, der die einfache Geschichte mit kantigem Charakter zu einem unverschämten Spaß macht.

Cuban Fury - Echte Kerle tanzen

Großbritannien 2014 Regie: James Griffiths mit Nick Frost, Rashida Jones, Chris O'Dowd, Olivia Colman, Kayvan Novak 98 Min. FSK: ab 6

Aus der einstigen großen Hoffnung, dem jugendlichen Star der Salsa-Szene ist ein sehr runder, sehr stiller Ingenieur geworden: Bruce (Nick Frost) hat nur verdrängt und nie überwunden, dass er vor einem wichtigen Turnier in vollem Glitzer-Ornat von anderen Jungs aufgelauert und brutal zusammengeschlagen wurde. Seitdem hat Bruce nie wieder getanzt.

Nun verliebt sich Bruce auf Anhieb in Julia (Rashida Jones), seine neue Chefin aus den USA. Da diese in ihrer Freizeit auf bescheidenem Niveau Salsa tanzt, wagt sich der einstige Überflieger zurück zu seinem charismatischen Trainer Ron (Ian McShane!), den er damals versetzt und verletzt hat. Mit ganz kleinen Schritten kämpft sich Bruce sein altes Selbstbewusstsein zurück und tritt zum Duell gegen seinen ekeligen Kollegen Gary (Rory Kinnear) an, ein vorlautes Großmaul.

Die Geschichte vom typischen Verlierer ohne Selbstbewusstsein, der möglichst mit flotter Musik oder irgendwas anderem Populären zum Sieger der Herzen wird, ist in der britischen Komödie „Cuban Fury" ziemlich dick aufgetragen. Wortwörtlich: Denn der lustige dicke Bruce wird hier zudem noch auf einen Klapprad mit Mini-Rädern gesetzt und in alberne Klamotten gesteckt. So hat er zu den hochhackigen Tanzschulen seine weiten Bermuda-Shorts und ein geschmackloses Firmen-Tshirt an. Da muss jemand schon eine ganze Menge schauspielerischer Substanz haben, um nicht völlig zur Witzfigur zu werden.

Das kann man all den guten Darstellern nachsagen, halten sie sich doch ganz tapfer im arg groben Humor-Umfeld. Denn wenn es immer noch nicht komisch genug ist, kommt eine noch eine Latino-Tunte hinzu, die anstrengend klischeehaft im Film fuhrwerkt. Dieser treffsichere Stilberater steuert dem Witz des Films auch noch in eine Verwechslung bei, von seinem Kumpel wird Bruce jetzt für einen Schwulen gehalten, hahaha. Allein wenn der Humor etwas anarchisch aus der Reihe fällt, dann macht der Film tatsächlich Spaß. Aber diese Momente schauen nur kurz vorbei, genau wie Nick Frosts regelmäßiger Schauspiel-Partner Simon Pegg („The World's End", „Hot Fuzz - Zwei abgewichste Profis" und die herrliche Zombie-Parodie „Shaun Of The Dead"), der beim Tanzduell in der Parkgarage in einem Auto vorbeifahrt.

Auch tänzerisch stellt sich der Film selbst ein Armutszeugnis aus, weil seine Hauptfigur die wirklich schwierigen Schritte nicht selber tanzt, sondern durch einen Double realisieren lässt. Das sieht und spürt man sofort und glaubt auch ansonsten nichts mehr. Neben mäßiger Unterhaltung und maximal nettem Spaß hat dieser Film hat nur ein Gutes: Er macht Lust, „Strictly Ballroom – Die gegen alle Regel tanzen" von Baz Luhrmann noch einmal zu sehen. Oder irgend einen anderen richtigen Tanzfilm.

About Last Night

USA 2014 Regie: Steve Pink mit Kevin Hart, Michael Ealy, Regina Hall, Joy Bryant, Christopher McDonald 100 Min. FSK: ab 12

Es ist Sauregurkenzeit im Kino, aber diese Gurke von Film ist nicht nur sauer, weich und wabbelig, sie stinkt auch noch, ist zum Verzehr also denkbar ungeeignet. Womit jetzt mal keine sexuelle Anspielung gemeint ist, obwohl der Film selbst zur Hälfte aus Sex, drüber reden und streiten besteht. Dies denkbar unerotisch und entgegen den Ankündigungen weder romantisch noch komisch.

Bernie (Kevin Hart) hat eine neue Frau „aufgerissen" und will diese Joan (Regina Hall) nun in einer Bar treffen. Anstandshalber bringt er seinen Kumpel Danny (Michael Ealy) mit und Joan ihre Mitbewohnerin Debby (Joy Bryant). Nun werden Bernie und Joan, zwei geistig und emotional beschränkte Egoisten, den Rest des Films exzessiv miteinander schlafen, streiten und schreien. Das alles (in der Originalversion) durchaus deftig im Wortlaut. Danny und Debby hingegen erleben eine „romantische" Liebe mit Händchenhalten, Zusammenziehen und bald aufkommender Langeweile. Beziehung muss man in Anführungszeichen setzen, so wie alles in diesem Film, denn nichts wirkt irgendwie echt. Obwohl der Film versucht, jede Szene, jeden Satz vor allem komisch zu machen, denkt man als Zuschauer schnell über einen Seitensprung in den Kinosaal nebenan nach, selbst wenn da eine Doku über Fußpilz bei ägyptischen Pharaonen laufen würde.

„About Last Night", dieser verfilmte Beziehungsführer für ganz Dumme, hat die Struktur und die Oberflächlichkeit von Fernsehen-Sitcoms, seine Figuren sind extrem flach und lassen einen völlig kalt. Immerhin ist das größte Desinteresse des Jahres zu vermelden. Ein filmisches Nichts mit haufenweise Hin und Her, das vor allem mit den beiden Sexopathen nervt.

Dass David Mamets Theaterstück „Sexual Perversity in Chicago" dem ganzen Elend zugrunde liegt, ist unglaublich. Stammen von dem doch tatsächlich solche Meisterwerke wie „Vanya - 42. Straße", „Haus der Spiele", „The Untouchables - Die Unbestechlichen", „Wenn der Postmann zweimal klingelt". „About Last Night" beruht hingegen mehr auf den gleichnamigen Film von 1986 und ist vor allem Ausschuss, der nur ins leere Kino kommt, weil dort die Notbeleuchtung wohl kaputt ist.

11.6.14

Chasing The Wind

Norwegen, BRD 2013 (Jag etter vind) Regie: Rune Denstadt Langlo mit Marie Blokhus, Sven-Bertil Taube, Tobias Santelmann, Anders Baasmo Christiansen 91 Min. FSK: ab 0

Die junge norwegische Modedesignerin Anna (Marie Blokhus) kehrt nach dem Tod ihrer Oma ins Dorf der Kindheit zurück und erlebt eine kuriose Gemeinschaft. Zwar kann der Opa zwar die Texte von Bach-Kantaten und die Bibel zitieren (aus dieser stammt auch der Titel „... eitel und Haschen nach dem Wind"), aber ansonsten hat er jahrelang mit niemandem mehr gesprochen. Ähnlich wortkarg, aber sehr treffend erzählt auch „Chasing the Wind" immer wieder. Schon das tragische Ereignis, das alles auslöst, spielt sich wortlos mit trockenem, schwarzen Humor ab: Ein Sägegeräusch in einem norwegischen Dorf, dann kracht es, ein Schlafzimmer hinten im Bild wird plötzlich viel heller und Oma ist tot. Erschlagen vom Baum, den Opa Johannes (Sven-Bertil Taube) fällte.

Zwischen den Auseinandersetzungen mit dem eigenwilligen und schwer erträglichen Alten gibt es banale Erledigungen für das Begräbnis - der Sarg muss aus dem Baum gezimmert werden, der Oma fällte, seltsame Begegnungen und den Ex Håvard, der immer mehr Annas deutsch-dänischen Verlobten Mathias verdrängt. Dessen Tochter spielt am Rande dauernd Katastrophen wie Tsunami oder Tornados nach. Dabei steht vor allem der Tod von Annas Eltern zwischen ihr und Johannes, an der sie sich die Schuld gibt, obwohl sie damals erst drei war. Es geht zwar um Trauer und Annas Situation ist wirklich nicht einfach, doch viele komische Momente und Bildeinfälle machen „Chasing the wind" zu einem sehr sympathischen Filmausflug. Dazu überzeugt das bewährt gute Spiel von Sven-Bertil Taube und die unverstellt frische Rolle von Marie Blokhus.

10.6.14

Oktober November

Österreich 2013 Regie: Götz Spielmann mit Nora von Waldstätten, Ursula Strauss, Peter Simonischek, Sebastian Koch, Johannes Zeiler 114 Min. FSK: ab 12

Die erste Szene legt die Messlatte direkt am Anfang ziemlich hoch: Zwei Schauspieler - Frau und Mann - unterhalten sich beim Abendessen über seine flache Rolle beim bevorstehenden Filmdreh. „Meine Figur ist nur ein Pappkamerad!" Er checkt zur Sicherheit noch kurz ab, wie denn ihr Beziehungsstand ist, doch der TV-Star Sonja (Nora von Waldstätten) bereitet sich lieber wie gewohnt perfektionistisch vor. Außerdem erwartet sie in der Toilette des Restaurants noch eine üble Begegnung mit der Ehefrau eines Ex-Liebhabers. Dies sind kurze, intensive Szenen zur Vorstellung der prägnanten Figur Sonjas. Und zum permanenten Abgleich, ob auch in Götz Spielmanns großartigem Spielfilm „Oktober November" Pappkameraden rumlaufen, oder die Dialoge doch wesentlich mehr Substanz haben, sehen wir als Film im Film ein paar eher schlimme TV-Aufnahmen.

Sonjas Traum - oder Vision? - eines Fisches, der auf dem Trockenen zappelt, leitet die Handlung zu ihrer bodenständigen Schwester Verena (Ursula Strauss), die mit Mann Michael (Johannes Zeiler) und Sohn Hannes (Andreas Ressl) in der geschlossenen Dorfgaststätte des Vaters (Peter Simonischek) lebt. Der alte Mann erleidet einen Herzinfarkt wird aber reanimiert - ausgerechnet vom heimlichen Geliebten Verenas, dem Dorfarzt Andreas (Sebastian Koch). Selbst als Sonja ihre Wirkung auch an Andreas ausprobiert, driftet „Oktober November" nicht in ein übliches Drama ab. Der Film beobachtet vor allem die so unterschiedlichen Schwestern sehr genau und lässt einem keine Chance, selber auch genau hin zu sehen: So wird Sonja immer wieder von der Kamera (Martin Gschlacht)
in engen Rahmen gesteckt. Das Gefühl, im eigenen Leben keine Luft zu bekommen, überträgt sich beim Zusehen. Nachdem der Papa ein Nahtod-Erlebnis hatte und versichert, dass es „dort drüben" sehr schön ist und man keine Angst zu haben braucht, bekommt beispielsweise ein Licht am Ende eines langen Ganges eine ganz andere Bedeutung.

Schon im ersten Gespräch der Geschwister zeigten sich ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe und die Gräben zwischen ihnen. Kleine - „wo ist der Himmel?" - und große Lebensfragen stehen plötzlich in den verlassenen Räumen und Gängen der alten Wirtschaft. Der vorher scheinbar grimmige Vater legt nun eine schier buddhistische Gelassenheit an den Tag: „Das Leben ist schön, man muss gar nichts ändern." Eine Sache will er allerdings doch noch regeln. Wenn Götz Spielmann („Revanche",„Antares") auch undramatisch erzählt, die Handlung ist nicht ohne ... Überraschungen. Die im Herbst (des Lebens?) durchziehende Pilgerschar, welche die verlassene Gaststätte kurzzeitig mit Gebet und Gesang belebt, kann nur ein „Vergelt's Gott" und keinen Trost spenden. Ironischerweise begeistert sich eine der Religiösen über Gebühr für die bekannte Schauspielerin - nicht der einzige Hinweis auf eine spirituelle Ebene.

Dabei ist das was als Demontage von Schauspielern begann, eine ganz große Nummer der exzellenten deutschsprachigen Darsteller. Zusammen mit dem Szenenbild machen sie einen von der Papierform her unspektakulären Film zur großen Entdeckung.

TinkerBell und die Piratenfee

USA 2013 (Tinkerbell and the Pirate Fairy) Regie: Peggy Holmes 78 Min. FSK: ab 0

Zarina ist eine kleine, muntere und herrlich neugierige Fee, die ihre Talente am Fließband der Flugstaub-Fabrik nicht wirklich ausleben kann. Als eines ihrer Experimente zu einer Katastrophe in Pixie Hollow führt, verlässt sie das heimatliche Tal. Aus dem nicht akzeptierten Mädchen wird überraschend schnell und schwach begründet das Gegenstück der wahnsinnigen Wissenschaftlerin aus „großen" Filmen: Zarina raubt zusammen mit einer Crew rauer Piraten das Grundelement zur Herstellung von Feenstaub, um das Piratenschiff über alle Weltmeere fliegen zu lassen.

„TinkerBell und die Piratenfee" ist tricktechnisch glänzend - im wahren Sinne des Wortes: Glatte Gesichter und Flächen sind die einfachste Übung für Computer-Animationen und so ergänzen sich die Figuren mit überschaubaren Ecken und Kanten mit ihrer ästhetischen Darstellung. Selbst die übermäßige, typisch us-amerikanische Politische Korrektheit, die den Kreis der Feen-Freundinnen mit möglichst vielen ethnischen Varianten ausstattet, führt seltsamerweise nicht zu echter Vielfalt. Dass Zarina ihre Verfolgerinnen ausgerechnet aufhält, indem sie die klar definierten Eigenschaften der Feen vertauscht, dient vor allem Spaß und Spannung. Wenn das ansonsten vor allem eitle Flatter-Mädel plötzlich mit den klugen Ideen von Tinkerbell zurechtkommen muss, dient das nicht zum Verständnis des anderen. Die Moral der Geschichte konzentriert sich - ähnlich eingleisig wie alles andere - auf die Erkenntnis, dass man zusammen viel mehr erreichen kann als gegeneinander.

Trotz Flügel und einer mäßig fantastischen Welt, spiegelt Pixie Hollow vor allem die Teenager- und Kinder-Welt der USA zur Identifikation. Für echte „Teenies" ist das schnell „Kinderkram". Spaß für die ganz Großen, die eventuell noch mit ins Kino gehen müssen, gibt es ganz selten: Auch in der sechsten Folge der TinkerBell-Reihe von Disney, die teilweise nur auf DVD vermarktet wurde, hält sich der Aufwand in Grenzen. Dies ist kein „großer Disney", weder atemberaubendes Herumrasen noch rasant dichte Handlung oder ein Erzählen auf mehreren Ebenen überfordert das Publikum. Richtig nett nur die Querverweise auf „Peter Pan", aus dessen Universum Tinkerbell ja ursprünglich stammt: Hier erfahren wir, wie das Krokodil den Wecker verschluckte, mit dem es später Captain Hook immer wieder ärgert...

Einmal Hans mit scharfer Soße

BRD 2013 Regie: Buket Alakus mit Idil Üner, Adnan Maral, Şiir Eloğlu, Sesede Terziyan, Demet Gül, Max von Thun, Janek Rieke 96 Min. FSK: ab 6

Klischees in lauer Suppe

Toleranz nervt, Integration ist blöd und Akzeptanz stinkt … in Bezug auf schlechte Filme! Man kann nicht tolerieren und akzeptieren, dass hier ein ganz lahmes TV-Kommödchen (vom NDR) im Sommerloch das Kinoniveau völlig runter reitet.

Das Haupt-Klischee von „Einmal Hans mit scharfer Soße" ist die integrierte Vorzeige-Türkin Hatice (Idil Üner), die selbständig und emanzipiert ihren Job macht, aber wenn es nach Hause zu „Babba" Ismail (verschwendetes Können: Adnan Maral) in Salzgitter geht, doch das Set züchtiger Kleidung aus dem Kofferraum holt. Auch von der Beziehung zu einem Deutschen will sie den Eltern nichts erzählen. Doch da Hatice - nun völlig angepasst - wegen der Tradition als ältere Schwester vor der schwangeren jüngeren heiraten muss, wird das ganze Leben der Mittdreißigerin plötzlich sehr chaotisch. Während der deutsche Freund als Möchtegern-Türke auch für die Zuschauer furchtbar anstrengend ist, will sie auf keinen Fall einen Türken, was man als rassistisch erkennen soll. Dumm nur, dass sie total auf klassisches Macho-Gebaren abfährt. Womit der Höhepunkt an Komplexität erklommen ist. Flach komisch bleibt es bei den Gesprächen mit Papa an der immer gleichen Ampel über das immer gleiche Thema Heirat: Über die Jahre sinkt der Anspruch an seinen (!) Traummann von einem aus dem gleichen anatolischen Dorf bis zu „Hauptsache Türke" und dann „Hauptsache Muslim" als Hatice mittlerweile 33 Jahre zählt. So sitzt eine komplette türkische Familie im Miniformat bei Hatices heißen Nächten als schlechtes Gewissen auf dem Nachttischchen.

Wenn der Witz nicht zündet - tut er selten - hilft die Musik überdeutlich nach. Ein schwuler Freund als angeblicher Verlobter darf als abgenudeltste Drehbuchidee ebenso wenig fehlen wie „Anne" (Mama), die vor dem Einbürgerungstest problemlos die 16 Bundesländer runterbetet und zwischendurch deutsche Nationalhymne summt. Die in diesem Sujet erfahrene Autorin Ruth Thoma wendet die Restkiste lahmer Scherzchen bei der Umsetzung von Hatice Akyüns gleichnamigen Roman routiniert an. Buket Alakus kann wahrscheinlich eigentlich ganz gut inszenieren, wenn es nicht für dem NDR ist.

3.6.14

Love & Engineering

BRD, Finnland, Bulgarien 2014 Regie: Tonislav Hristov 84 Min. FSK: ab 0

Das kann doch nicht wahr sein: Da wird in der Dokumentation „Love & Engineering" vier Computer-Nerds mit einem „Frontend- und Server-Model" erklärt, wie sie doch noch eine Frau abbekommen können. Diese ziemlich unglaubliche Hilfe bei der Partnersuche stammt von einem Finnen, dessen Qualifikation eindeutig ist: Er hat eine Frau! Und ist Ingenieur, der Beziehungsfindung wissenschaftlich auseinandernimmt. Dabei kann man kaum fassen, dass dieser stotternde Dating-Spezialist das alles ernst meint, was er am Monitor präsentiert oder elektronisch ausmisst. Eher erscheint er wie eine tragikomische Figur aus einem Kaurismäki-Film.

So erleben wir mit ununterbrochenem Kopfschütteln wie 30-jährige Singles Blind Dates mit nicht wirklich unsichtbaren Ohrknöpfen durchmachen, bei denen der stotternde Einflüsterer dringend betont: „Rede nicht über Technik" Und auch nicht über Computerspiele muss man hinzufügen, doch es ist schon zu spät.

Dabei erwarten die Nerds doch gar nicht viel, wollen kein Super-Model, suchen in der Frau einen besten Freund. Einer hat sogar einen Reinigungsroboter, also bräuchte die Freundin nur noch das Klo sauber zu machen! Doch die Versuche, mit der Technik des Computer-Hackens eine Frau dazu zu bringen, einen doch zu lieben, erzeugen im gemächlichen Wechsel Fremdschämen und Mitleid. Trotz ein paar dämlicher Teenager-Tricks, trotz Testreihen zur Bedeutung von Geruch und Gespräche mit Elektroden am Kopf scheint die Spezies Nerd hier unvereinbar mit dem weiblichen Geschlecht zu sein. Die Beispiele der Jungs, die doch wieder bei Lan-Parties enden, bestätigen oberflächlichste Klischees. Das ist auch wissenschaftlich nicht besonders geistreich und bleibt im Stadium des kuriosen Staunens stecken. So wirkt das Scheitern des Films selbst ebenso traurig wie die vergeblichen Bemühungen der vorgeführten Probanden.

Vielen Dank für nichts

Schweiz, BRD 2013 Regie: Stefan Hillebrand, Oliver Paulus mit Joel Basman, Niki Rappl, Bastian Wurbs, Anna Unterberger, Isolde Fischer 98 Min. FSK: ab 6

Nach einem Snowboard-Unfall ist Valentin Frey (Joel Basman) querschnittsgelähmt sowie voller Bitterkeit und Wut, eine „arrogante Sau". Daran kann auch der Aufenthalt in einer Südtiroler Pflegeeinrichtung nichts ändern, in der Valentin an einem Theaterprojekt für Behinderte mit dem unkonventionell arbeitenden italienischen Regisseur Antonio Viganò (der sich selbst spielt) teilnimmt. Erst als sich der Junge in die Pflegerin Mira (Anna Unterberger) verliebt, wird er sanfter und freundet sich mit Lukas und Titus an, die ebenfalls im Rollstuhl sitzen. Doch Mira ist mit Marc befreundet, der an einer Tankstelle arbeitet. Um diesen zu erschrecken, planen die drei im Rolli einen Überfall und besorgen sich sogar eine Pistole.

Mit einigen behinderten Laiendarstellern unspektakulär inszeniert, gelingen den Regisseuren Stefan Hillebrand und Oliver Paulus im Rahmen des Wandels von Wut in einen Ausbruch eine ganze Reihe von schönen und berührenden Szenen. Bis hin zur Aufführung von „hamlet handicap".

Maman und ich

Frankreich, Belgien 2013 (Les garçons et Guillaume, à table!) Regie: Guillaume Gallienne mit Guillaume Gallienne, André Marcon, Françoise Fabian, Nanou Garcia, Diane Kruger, Götz Otto 87 Min. FSK: ab 12

Haupt- und Selbstdarsteller Guillaume Gallienne ist der Star dieses selbstinszenierten Lebensrückblickes, die der französische Komiker, Film- und Bühnenschauspieler mit einer Theateraufführung (nach seiner Bühnen-Soloshow „Les garçons et Guillaume, à table!") als Rahmen deutlich als Kunststück angelegt: Guillaume tut alles, um seine Mutter (ebenfalls: Guillaume Gallienne) zu imitieren und ihr zu gefallen. In seiner Kopie ist er immer wieder derart überzeugend, dass ihn Familienmitglieder von der Stimme oder den Schritten her mit der Lieblosen verwechseln. Dabei kommt das ungeliebte Muttersöhnchen ansonsten im Leben nicht zurecht: Ein Sprachkurs in Andalusien gerät zum Tanzkurs, bis er die Sevillana exzellent beherrscht aber wegen seiner Frauenrolle verlacht wird. Hier oder im Internat, wo er von den „richtigen Jungs" drangsaliert wird, taucht die Mutter surreal immer wieder in den Szenen auf. Das verläuft filmisch äußerst elegant im Wechsel der Erzählebenen und -stile. Nach wenigen Minuten ist man in der Lebensgeschichte, egal ob sie als Theaterstück, als Spielfilm oder als Erzählung dazwischen inszeniert wurde. Dabei fallen auch wir auf den gar nicht so kleinen Unterschied rein, dass Guillaume zwar Mädchen aber keineswegs schwul sein will.

„Maman und ich" ist eine Solo-Nummer - auch thematisch, denn die absurde Mutterliebe wiederholt sich in zugegeben künstlerisch reizvollen Varianten. Guillaume Gallienne spielt großartig vor allem als seine Mutter. Der Humor schwankt zwischen fein und obskur, wenn es beispielsweise deutsche Massagen-Einlagen von Diane Kruger - anal - als Schwester Ingeborg und von Götz Otto gibt. Dann wiederum gelangen großartige Szenen wie eine Hymne an die Frau an sich in all ihrer Verschiedenheit. Freud hätte seine Freude daran gehabt, weniger ödipal fixierte Zuschauer werden es extrem exaltiert finden.

Brick Mansions

Frankreich, Kanada 2014 Regie: Camille Delamarre mit Paul Walker, David Belle, RZA 91 Min. FSK: ab 12

Selbst wenn Routinier Luc Besson seiner eigenen Produktion und dem eigenen Drehbuch einem US-Remake unterzieht, geht das schief. Vor fast zehn Jahren machte „Banlieue 13 - Anschlag auf Paris" (auch „Ghetto Gangz - Die Hölle vor Paris" genannt) mit damals noch aktuellen „Parkour"-Einlagen des Hauptdarstellers David Belle auf sich aufmerksam und machte mit viel Rumgehüpfe einen kleinen Sprung aus dem Action-Einerlei. Nun wagt Belle zehn Jahre später den gleichen Satz und der Film fällt damit jedenfalls auf die Nase.

Diesmal ist statt Paris die Motortown Detroit in naher Zukunft die gefährlichste Stadt der Welt. Brick Mansions heißt ein aufgegebener Stadtteil, in dem Gewalt und Chaos herrschen, den sich aber trotzdem der Bürgermeister für Immobilien-Spekulationen wieder zurückerobern will. Dazu lässt er eine Bombe in Besitz eines der lokalen Gangster (Wu-Tang Clan-Rapper Robert Diggs alias RZA) kommen und schickt ein ungleiches Paar zur Rettung hinterher.

„Brick Mansions" braucht sagenhafte dreißig Minuten, um zwei Action-Figuren, den Undercover-Cop Damien Collier (Paul Walker) und den aufrechten Gauner Lino (David Belle) einzuführen. Danach noch ein paar Sekunden für den eigentlichen Plot mit der Bombe. Das ist Routine wie ein Purzelbaum im Schulunterricht, dass neben der Bombe auch noch Linos schöne Freundin Lola (Catalina Denis) gefesselt wartet, ist tatsächlich so klischeehaft wie die Namen klingen. Aufgebauscht wird das dünne Filmchen mit dem üblichen Action-Kram, der je lauter umso unwahrscheinlicher verläuft. Dass ausgerechnet Paul Walker, der nach den Dreharbeiten an Auto-Raserei verstorben ist, wieder ausführlich „fast & furios" mit Angeber-Karren unterwegs ist, gibt dem Ganzen eine besondere Ironie. Ebenso die Tatsache, dass ausgerechnet Detroit, wegen des Niedergangs der Autoindustrie auch real eine sterbende Stadt - Handlungsort ist. Doch Nachdenken steht in „Brick Mansions" unter Höchststrafe von 90 Minuten Langeweile. Das im Original halbwegs originelle Hüpfspiel verliert als teureres Remake viel von seinem verrückten, dreckigen Ansatz. Dabei überrascht die Parcours-Action als eine interessante Variante der üblichen Verfolgungsjagden, weil gerade durch viel akrobatisches Rumhüpfen der Konfrontation ausgewichen wird - weitestgehend. Denn nur am Anfang darf David Belle zeigen, was er noch immer kann. Später übernimmt der us-amerikanische Massengeschmack die Regie. Auffällig ist allerdings immer noch die körperliche Präsenz des Parkours-Stars Belle, neben der Paul Walker mit all seiner körperbetonten Action-Routine steif und hölzern wirkt.

Boyhood

USA 2014 Regie: Richard Linklater mit Ellar Coltrane, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Lorelei Linklater 164 Min.

Der US-amerikanische, immer innovative Regisseur Richard Linklater („Before Midnight") begleitete von 2002 bis 2013 den anfangs sechsjährigen Mason (Ellar Coltrane) an 39 über die zwölf Jahre verteilten Drehtagen bis zum Eintritt ins College. Linklater will das echte Leben einfangen, indem er seinen Hauptdarsteller eine zwar fiktive, aber im wahrsten Wortsinn ungeschminkte Biografie zeigt. Mason, der Sohn eines getrennten Paares (Patricia Arquette, Ethan Hawke) erlebt darin die verschiedenen Männer der alleinerziehende Mutter Olivia, eine konstant egozentrische Schwester, die erste Liebe und schließlich die große Sinnfrage. Verbunden mit dem Reiz, bekannten Gesichtern beim Altern zuzusehen, ist das Experiment, dass Truffaut ähnlich mit seinen Antoine Doinel-Filmen gelang, hier etwas zu lang geraten.

Für Einige ist „Boyhood", der bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie und mit dem Preis für den besten Film des Wettbewerbs von der Jury der AG Kino ausgezeichnet wurde, der Film des Jahres. Er sitzt aber tatsächlich fast drei Stunden lang zwischen den Stühlen, ist weder packende Fiktion, noch durch unverstellte Direktheit einnehmende Dokumentation. So ist die ersten Jahre Masons Schwester Samantha (Linklaters Tochter Lorelei) lauter, witziger als der stille Junge. Die Mutter sucht sich weiterhin falsche Männer aus, gerät an einen alkoholsüchtigen Choleriker, vor dem sie nach einigen Jahren Ehe schließlich fliehen muss.

Trotzdem bleiben die Kinder im Fokus der Geschichte - die Motive der Eltern bei der Scheidung laufen nur am Rande mit. Dazu gibt es immer wieder Songs aus der jeweiligen Epoche, die Entwicklung von der X-Box zur Wii, das Schlagestehen für Harry Potter und überhaupt eine Menge Zeitgeschichte. Bush schickt Soldaten in den Irak, die Kinder machen Wahlkampf für Obama. Und immer wieder tolle Momente wie die besonders coole Ansage vom Wochenend-Papas Hawke, jetzt doch mal die Pods und Phones aus der Hand zu legen und darüber zu reden, was einen wirklich beschäftigt. Die Antwort der Kids ist sogar noch treffender und gibt den jungen Hauptfiguren eine eigene Wahrheit. In der sieht weder die Alterung von Patricia Arquette noch der Wandel von Mustang-Fahrer zum Familien-Kutschierer beim Papa gut aus.

Es gibt viele Arten, „Boyhood" zu sehen, der auch voller Insider-Scherze steckt: Der zeitgemäße Song „Oops!...I Did It Again" trifft auch auf Linklater zu, der es schon wieder tat, nämlich eine Langzeitbeobachtung in Film verpacken. Wobei die andere langjähre Film-Ehe von Ethan Hawke unter Regisseur Linklater, die „Before ..."-Reihe, als pure Fiktion dichter und näher am Leben bleibt. Hier floss eine Menge echtes Leben über die Drehbuch-Mitarbeit der Hauptdarsteller Hawke und Julie Delpy ein. Immer wieder erwischt die Kamera den Verlauf des Lebens, so wie es der puren Dokumentation „Die Kinder von Golzow" einzigartig über Jahrzehnte bei einem DDR-Dorf gelang.

Auf der anderen Seite der Spanne zwischen Leben und Fiktion erreicht „Boyhood" längst nicht die Filmkunst von François Truffaut, der in vier Spielfilmen und einem Kurzfilm zwischen 1958 und 1978 der fiktiven Figur - und seinem Alter Ego - Antoine Doinel mit dem vom Jungen zum Schauspieler mitwachsenden Jean-Pierre Léaud Leben einhauchte. Trotzdem kann man „Boyhood" in den fast drei Stunden Laufzeit sehr nahe kommen, wundersam wächst da ein ganz cooler 15-Jähriger heran und mit zugegeben sehr langem Anlauf stehen plötzlich ein paar dieser ganz großen Fragen im Raum: „Worum geht es bei all dem?"