20.5.14

Cannes 2014: Deux jours, une nuit / Jean-Pierre und Luc Dardenne

Die ergreifende Solidaritäts-Suche der Lütticher Dardenne-Brüder „Deux jours, une nuit" reiht sich in den Favoriten-Kreis ein:

Zwei Goldene Palmen haben sie schon, Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Lüttich. Ihr neuer Film „Deux jours, une nuit" („Zwei Tage, eine Nacht", Dt. Start 30. Oktober) wurde in Cannes direkt zum großen Favorit und zum Sieger der Herzen. Im Stile eines neuen Neo-Realismus verfolgen sie die Arbeiterin Sandra (Marion Cotillard), die von ihrer Entlassung bei einem Solarpanel-Unternehmen erfährt: Die Kollegen hatten die Wahl zwischen einem Bonus von 1000 Euro und dem Erhalt der Stelle von Sandra. Dank einer engagierten Kollegin soll die Wahl am Montag jedoch nun geheim wiederholt werden. Sandra, die Frau, die sich gerade von einer schweren Depression erholt hat, die mit zwei Kindern und dem Mann Luc nicht mehr in einer Sozialwohnung lebt, hat zwei Tage und eine Nacht Zeit, die Mehrheit der 16 Kollegen zu bitten, für ihren Verbleib im Unternehmen zu stimmen.

Die Odyssee durch Vororte von Lüttich dekliniert in immer wieder bewegenden Begegnungen, was Solidarität wert ist. Ein Paar mit viel Zeit und Freizeit will dem Bonus eine Terrasse vor ihrem neuen Haus hoch über der Maas bauen. Ein Jugend-Trainer beim Fußball bricht direkt in Tränen aus, so sehr drückte ihn das schlechte Gewissen. Einige haben einen zweiten Job, um über die Runden zu kommen, andere einen flotten Sportwagen, der viel verbraucht. Am erstaunlichsten ist jedoch die Haltung Sandras, die immer mehr Pillen gegen ihre Panik und Heulanfälle schlucken muss: Ohne Wut, freundlich und demütig tritt sie auf die Kollegen zu, die ihr Schicksal in der Hand haben. Da wird nicht getrickst und manipuliert.

Ganz so wie die Dardennes ihre Filme in den Vierteln drehen, die sie seit Jahren kennen. Mit den Menschen, die dort leben. Die gefeierten Filmemacher vermeiden mit ihrem ehrlichen, authentischen Stil jede Grobheit, jede dramaturgische Falle, die mit Effektivität lockt, aber Glaubwürdigkeit reduzierte. Selbst der Star, Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard („Der Geschmack von Rost und Knochen", „La vie en rose"), den sie sich leisten, verkörpert mit ihrer berührenden Rolle das Herz vom filmischen Schaffen der Dardennes. Ihre Sandra ist vom ersten Augenblick frei von allem Star-Image. Schon im Schlaf zeigen die dunklen Augen einen Menschen, der fix und fertig ist. Noch bevor sie von der Entlassung erfährt. Doch das kluge Meisterwerk schafft es, ohne zum Filmmärchen abzurutschen, seinen Figuren Würde, Anstand und Stolz zu geben. Sollte es aus irgendwelchen Gründen nicht zu Goldenen Palme reichen, können alle sagen: „Wir haben gut gekämpft!"

Zum neuen Dardenne, der mit lang anhaltendem Applaus in Cannes empfangen wurde, findet man sofort überall im Leben Verbindungspunkte: Von den Riesenkonzernen, die Tausende entlassen, in der Sicherheit, dass der verängstigte Rest schon die Mehrarbeit mit übernimmt. Vom Streik der Busfahrer in Cannes, der gerade die Festivalteilnehmer trifft, die sich nicht völlig überteuerte Absteigen im Zentrum leisten können. Oder direkt vor dem Kino, wo das elitäre System von Cannes rücksichtslose Ellbogen-Kämpfe um die Plätze im Kino fördert. Auch hier wäre Solidarität klüger als das verbitterte Gegeneinander.