1.4.14

Snowpiercer

Südkorea, USA, Frankreich, Tschechien 2013 (Seolgungnyeolcha / Le Transperceneige) Regie: Bong Joon-ho mit Chris Evans, Jamie Bell, John Hurt, Ed Harris, Tilda Swinton, Song Kang-ho, Ko Asung 126 Min. FSK: ab 16

Eine rasend ratternde Arche fährt die letzten Überlebenden der Menschheit in gar nicht so ferner Zukunft durch eine tiefgefrorene Welt. Der Snowpiercer ist Wunderzug und Gefängnis, Paradies und Gulag - je nachdem, was für eine Klasse man damals beim Untergang gelöst hat. Hinten im Slum hausen die Menschen in Lumpen und essen Glibber-Barren, die das Militär von vorne zusammen mit Drangsalierungen austeilt. Doch der genaue Blick auf die Verriegelungen zum nächsten Waggon und geheimnisvolle Nachrichten wecken in Curtis (Chris Evans) die Hoffnung auf eine Revolution der Klassen-Verhältnisse. „Wenn wir die Maschine kontrollieren, kontrollieren wir die ganze Welt." Denn ganz vorne thront der legendäre Erfinder und Zug-Führer Wilford (Ed Harris).

Es ist horrend und absurd wie degenerierte Vertreter der Elite (Tilda Swinton als Minister Mason), die Elenden für einen Schuhwurf bestrafen und in alter (Kirchen-) Tradition Gehorsam predigen. Der Aufstand ist ein Aufschrei der Vernunft und die erste grandiose Action-Szene. Mit Hilfe eines Schlossknackers und seiner hellseherischen Tochter (Song Kang-ho und Ko Asung waren auch schon in Bong Joon-hos „The Host") erobern Curtis und seine Gefährten ein Abteil nach dem anderen. Dabei birgt nicht nur jeder Wagen eine große Überraschung, es ist auch immer ein anderer Filmstil damit verbunden. Auf dem Weg an die (Zug-) Spitze, von monochrom zu ekstatisch farbig, gibt es einen Zoo, Badelandschaften, ein irres Schulabteil zum Zwecke der Gehirnwäsche, unvorstellbare Luxus-Welten, eine Orangerie mit Bach und ein riesiges Aquarium samt Sushi-Bar. Aber auch eine beil-harte Reminiszenz an den koreanischen Klassiker „Old Man".

Das D-Zug-Epos „Snowpiercer" basiert auf der Grahic Novel „Le Transperceneige" („Schneekreuzer") von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Lean-Marc Rochette. Er beginnt klaustrophobisch wie „Das Boot", dann erlauben Fenster den Blick in eine bizarre Winterlandschaft und auch in einer langgezogenen Kurve ein aberwitziges Schussduell. Der vor allem im hinteren Teil überfüllte Zug erweist sich als ein Trip voll überbordender Ideen: Die Gesellschaftsparabel in Form eines rasenden Science Fiction ist spannend, witzig, bedrückend und brillant actionreich. Am Ende wird das Action-Publikum jedoch aussteigen, wenn das große, distopische Spektakel gänzlich von einer verblüffend vielseitigen Parabel gekapert wird. Die Zug-Klassen zitieren nicht nur „Brazil" (John Hurt als der alte, weise „Gilliam") und andere verstörende Zukunftsvisionen. Ganz aktuell wirkt der „Snowpiercer" auch als eingängiges Bild für all die angeblich alternativlosen Wirtschafts-, Politik-, Banken- oder Energie-Systeme, aus denen kein Ausstieg möglich sein soll. Letztendlich, nach einem wirklich gewaltigen Crash gibt es doch Hoffnung, in der (sozialen) Kälte überleben zu können.

Der großartige, süd-koreanische Regisseur Bong Joon-ho verbindet erneut vereinzelte Genre-Fragmente mit mutigen, raffinierten, intelligenten, großen wie großartigen Ideen zu einer einzigartigen, ästhetisch brillanten Vision, zu unvergleichlicher Atmosphäre, zu einem Meisterwerk. So wie „Mother" 2009 gleichzeitig Psycho-Horror und Satire, wie „The Host" 2006 Horror und Parodie war, ist auch „Snowpiercer" verblüffend vielseitig. In seiner ersten ausländischen Produktion gelingt es Bong Joon-ho, die internationale Besetzung seines Zuges nach Nirgendwo zu einer Einheit zusammenzusperren, die auf engstem Raum weite Ausblicke und Gedanken ermöglicht.