29.4.14

Vergiss mein Ich

BRD 2014 Regie: Jan Schomburg mit Maria Schrader, Johannes Krisch, Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller 93 Min. FSK: ab 12

„What condition my condition was in..." mit dem Song von „The Big Lebowski" beginnt Jan Schomburgs neuer Film, nur diesmal zeigt die Animation zum Gesicht von Maria Schrader Gehirn-Scans. Lena Ferben (Schrader), wie der Regisseur in Aachen geboren, hat aufgrund einer Gehirnentzündung plötzlich ihr biografisches Gedächtnis verloren. Ein verlorener Blick sucht nun in der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Mann Tore (Johannes Krisch, wieder ein Österreicher als Partner) Anknüpfungs- oder Erinnerungspunkte eines früheren Lebens. „Bin ich klug?", fragt sie angesichts der Bücher, die sie mal geschrieben hat.

Die Freunde sind beim Versuch der Erinnerungsarbeit behilflich, doch die verläuft kläglich. Auf jeden Fall kann Lena damit gar nichts anfangen. Das ist bitter-komisch, wenn sie beim Besuch der dementen Mutter im Altersheim aufgrund einer Verwechslung einer anderen alten Frau rührend näher kommt. Die schwierige Gesamtsituation gewinnt an Pikanterie dadurch, dass die Fremde ganz ungehemmt allen aus ihrem Tagebuch vorliest. Nun bekommen auch Tores Erinnerungen einen schalen Beigeschmack.

Ebenso wie Gefühlsausdruck in Ton und Mimik muss sie moralische Verhaltensweisen neu erlernen und geht unbedarft mit einer Zufallsbekanntschaft (Ronald Zehrfeld) ins Bett. Dabei kopiert sie unwissentlich die männliche Geräusch-Rolle, was ganz gut zum Schnurrbart passt, den sie sich vorher spaßeshalber angeklebt hat. Gleichzeitig gibt es weitere Versuche der Neu(er)findung, Lena hat keine Höhenangst mehr und kann auf dem Kirmes unerklärlicherweise hervorragend schießen. Am heftigsten ist die Parodie allerdings, als Lena sich selbst kopiert und einen einst gefilmten Vortrag wieder aufsagt.

Wie schon in Jan Schomburgs Debüt „Über uns das All" (mit Sandra Hüller, die hier Lenas beste Freundin spielt) wird auch in „Vergiss mein Ich" durchgespielt, was einen Menschen ausmacht. Nicht nur diese ganz spezielle Situation ist faszinierend, auch wie Maria Schrader großartig verschiedene Schichten und Persönlichkeits-Entwürfe spielt.

Das ist bei allgemein kühler Betrachtung manchmal sogar herzzerreißend, wenn im Zwischenmenschlichen gar nichts mehr funktioniert, wenn die ehemalige Freundin, deren Seitensprung mit Lenas Mann gerade entdeckt wurde, völlig hilflos vor ihr steht. Das dies ausgerechnet einer Identitäts-Forscherin passiert ist, erweist sich als ein besonderer Hohn, wie es Tore auf den Punkt bringt: „Man ist immer irgendwer für irgendwen und außerdem gibt es so eine Scheiße wie das Ich gar nicht. Das hast du mir beigebracht." Am Ende bleibt beiden nur der reine körperliche Austausch als verlässliche Weise, sich zu „erkennen".

Beziehungsweise New York

Frankreich, USA 2013 (Casse-tête chinois) Regie: Cédric Klapisch mit Romain Duris, Audrey Tautou, Cécile de France, Kelly Reilly, Sandrine Holt 117 Min. FSK: ab 6

Romain Duris, Audrey Tautou, Cécile de France und Kelly Reilly wurden alle 2002 mit „L'Auberge Espagnole – Barcelona für ein Jahr" international entdeckt. Fünf Jahre nach diesem chaotischen, Erasmus-geförderten Auslandssemester in Barcelona gab es für die Hauptfigur Xavier (Romain Duris) ein „Wiedersehen in St. Petersburg", noch immer unsicher über den Weg des Lebens und die eigenen Schreib-Versuche. Nun erweitert der französische Regisseur Cédric Klapisch diese leichten, humorvollen und zunehmend lebensklugen Erasmus-Reisen mit „Beziehungsweise New York" in die USA.

Xavier (Romain Duris) führt alles andere als ein gradliniges Leben. Vor einem Jahr war sein Leben in Paris mit Traum-Frau Wendy (Kelly Reilly) noch einfach perfekt für das Familienfoto. Dann gibt er seinen Schreiber-Job auf, wird Samenspender für seine beste und lesbische Freundin Isabelle (Cécile de France) und Wendy betrügt ihn in New York. Um die Trennung von den beiden Kindern zu verhindern, zieht er ihr hinterher in den Big Apple. Xavier muss sich nicht nur in New York sondern auch noch im dortigen Scheidungsrecht zurechtfinden. Die Schein-Ehe mit einer netten Chinesin muss vor einem scharfen Immigrations-Beamten vorgetäuscht werden und die Ex Martine (Audrey Tautou) kommt mit ihren beiden Kindern hoffnungsvoll angereist.

Xavier fasst es selbst zusammen: Er lebte mit einer Britin, die für ihn nach Paris kam und jetzt einen Amerikaner heiratet, während er eine Chinesin zur Frau nimmt, um Amerikaner zu werden. Bis zur grandiosen und völlig kitsch-freien Familienzusammenführung gegen alle Erwartungen erzählt Cédric Klapisch die Wirrungen und Irrungen Xaviers mit viel Humor und reihenweisen witzigen Einfälle als Skype-Gespräch mit Xaviers Verleger in Frankreich. Der sympathisch orientierungslose Held wird bald Vierzig, der Ernst des Lebens droht irgendwo da draußen vor der Tür. Nachdem Erasmus in der „Auberge Espagnole" eine virtuelle Rolle hatte, unterhält sich der blockierte Schriftsteller nun mit Hegel über die Philosophie von Stickbildern, mit ihrer schönen Vor- und einer chaotischen Rückseite.

Das ist wunderbar rasch erzählt, mit vielen großartigen Szenen, etwa den bewegenden Besuch des Vaters (Regie-Kollege Benoît Jacquot), der nur seine eigene Geschichte sieht. Neben der kongenialen Besetzung der Hauptrolle mit Romain Duris, der ein Antoine Doinel der Eramus-Generation wird, begeistern alle Darsteller mit enormer Spielfreude. Wer wollte nicht schon mal sehen, wie Audrey Tautou auf Chinesisch diskutiert? Oder wie Cécile de France als ruppige Belgierin Isabelle besoffen im Stehen pinkelt? Dazu verzaubert Klapisch mit seinem Talent, den „Genius loci" seiner Handlungsorte zu finden. Immer wieder zum Ausschneiden und Aufhängen tolle Straßenszenen wechseln sich im munteren Stilmix ab mit kubistisch zusammengesetzten „Pictures" wie von David Hockney oder auch mit einem animierten Playboy.

„Beziehungsweise New York" ist (noch) nicht Truffauts Antoine Doinel-Zyklus, aber doch so etwas wie die „Before..."-Trilogie von Linklater. Oder einfach nur einer dieser Filme, in denen nicht Dramatischeres passiert als das Leben. Jeder sucht weiterhin - wie in Klapischs erstem Erfolg „sein Kätzchen" und sein Schätzchen. Als Zwischenstand seiner Lieben überlegen drei Frauen in der vielleicht schönsten Szene, welche die ideale für Xavier wäre. Wobei der Herausgeber in Paris weise wie Woody Allen kommentiert: Das Glück ist eine Katastrophe für die Geschichte, das Drama interessiert uns.

Die Schadenfreundinnen

USA 2014 (The other woman) Regie: Nick Cassavetes mit Cameron Diaz, Leslie Mann, Nikolaj Coster-Waldau, Don Johnson, Kate Upton 109 Min. FSK: ab 6

Der schlampig umgesetzte Komödienversuch „Die Schadenfreundinnen" hat derart viele Mängel und Probleme, dass allein die Länge der Aufzählung ihm zu viel Ehre erweisen würde. Zu erwähnen, dass Leslie Mann neben dem eigentlichen, sehr müde agierenden Star Cameron Diaz als Konkurrentin um den gleichen Mann groß auftrumpft, würde zu viele Erwartungen auf dieses lästige Nichts wecken.

Nach acht Wochen wandelt sich die wilde romantische Liebe der eiskalten Erfolgs-Anwältin Carly (Cameron Diaz) zum Reinfall, als sie Schönling Mark (Nikolaj Coster-Waldau) im sexy Klempner-Outfit überraschen will, aber die Haustür durch Ehefrau Kate (Leslie Mann) geöffnet wird, von der die Geliebte bislang nichts wusste. Nach dieser, weiteren überzogen albernen Szene wird die in allem gegensätzliche Kate erst zur begriffsstutzigen Nervensäge und dann zur Freundin von Carly. Als im Laufe von oft hinrissigen Entwicklungen noch eine weitere Geliebte auftaucht (Bikini-Modell Kate Upton als Playboy-Poster in 3D oder DDD), entschließt sich das beleidigte Trio zur Rache. Der Film zappelt ab jetzt völlig zotig und ziellos herum.

„Die Hexen von Eastwick" würden diesen kläglichen Versuch, Komödie mit Frauen-Solidarität zu verstricken, mit einem ganzen Puppenhaus von Voodoo-Nadelkissen bestrafen. Statt entblößendem Sarkasmus gibt es mal eine unmögliche Kurve zur Romantik, dann vergisst das Drehbuch die Carly von Diaz, dann will der bösartig herbeigeführte Durchfall überhaupt nicht mehr aufhören. Das ganze Elend verläuft sowieso unendlich langatmig, echte Komödienregisseure wie Blake Edwards hätten das in siebzig Minuten abgehandelt. Zudem noch mit inszenatorischer Sorgfalt, die hier völlig fehlt. (Dass Nick Cassavetes nach respektablen Schmonzetten wie „Beim Leben meiner Schwester" und „Wie ein einziger Tag" hier die Regie vergeigte, ist ziemlich unglaublich.) Einzig ein paar gelungene Slapstick-Momente von Leslie Mann überraschen in diesem Umfeld. Bitte gebt der Frau ein vernünftiges Drehbuch und gute Regie.

27.4.14

Fruitvale Station

USA 2013 Regie: Ryan Coogler mit Michael B. Jordan, Melonie Diaz, Octavia Spencer, Kevin Durand, Chad Michael Murray 85 Min. FSK: ab 12

Wie treffend, dass die New Yorker Polizei gerade bei einer verunglückten Marketing-Aktion statt netter Schnappschüsse vor allem Fotos prügelnder Beamten zugemailt bekam. Fast eine Werbeaktion für diese Verfilmung eines Polizeiskandals aus dem Jahre 2009, bei der ein junger Afroamerikaner von einem weißen Polizisten an einer Bahnstation in San Francisco erschossen wurde. „Fruitvale Station", der - bis auf einige Abstriche - bewegende Sundance-Sieger 2013 von Ryan Coogler zeichnet den letzten Tag des Opfers nach.

Der Silvesterabend 2008 steht kurz bevor. Und der 22-jährige Oscar Grant (Michael B. Jordan), auf Bewährung aus dem Knast, feiert den Geburtstag seiner Mutter, verbringt Zeit mit seiner Freundin Sophina und dem gemeinsamen Kind. Dann trifft er vor dem neuen Jahr einige Entscheidungen. Er hat gerade seinen Job im Supermarkt verloren, aber behauptet, dass dies ist nur ein freier Tag sei. Einerseits hilft er gerne, vermittelt einer Frau im Geschäft per Handy das Rezept für Bratfisch, kümmert sich um Kinder und Tiere. Andererseits reagiert er mit sehr aggressiven Ausbrüchen, wenn er angemacht wird, im Knast und in der Freiheit. Doch trotz seiner Geldprobleme hat Oscar gerade eine ganzen Beutel Gras ins Meer gekippt, er will nicht mehr ins Gefängnis. Den Silvesterabend zeigt der Film als tolle Feier einer großen und freundlichen wie toleranten Gemeinschaft auf den Straßen. Die Heimfahrt in der Metro - besser als betrunken im Auto - führt jedoch in die Katastrophe. An der Fruitvale Station wird Grant grundlos aus dem Zug geworfen und obwohl längst auf dem Boden ruhiggestellt, von einem Polizisten in den Rücken geschossen.

Ryan Coogler gelingt in seinem bemerkenswerten Debütfilm trotz des klaren Rahmens eines anklagenden Films eine sehr eindringliche Zeichnung der Menschen und ihres Milieus. Wie angespannt aufmerksam Oscar an diesem Tag auf der Straße unterwegs ist, überträgt sich immer wieder auf die Gänsehaut. Ganz deutlich ist dies keine Schwarz-Weiß-Zeichnung mit afroamerikanischem Opfer. Denn Oscar ist bei weitem kein lieber Kerl, kein netter Sohn. Seine nächste mögliche Explosion ist jederzeit zu befürchten. So ist denn auch die Rolle der streng gläubigen Mutter, die trotz aller Enttäuschungen zu ihm hält, die stärkste im Film. Überhaupt wurde hier sehr gut und vor allem glaubhaft gespielt, auch in den Gruppenszenen mit Handkamera. Das schreckliche Ende muss, selbst wenn die Vorgänge längst bekannt sind, dann schockieren. So wie die wahren Ereignisse ganz San Francisco bewegten.

Muppets Most Wanted

USA 2014 Regie: James Bobin mit Ricky Gervais, Ty Burrell, Tina Fey 108 Min. FSK: ab 0

Ja, sie haben viel Humor, diese Muppets: Die Fortsetzung ihres letzten Films beginnt exakt in der Sekunde, in der ihr letzter Film endete. Um direkt darauf mit einer großen Musical-Nummer die Sitte und Unsitte von Fortsetzungen zu besingen. In dem Liedchen, das auch die Filmgeschichte künstlicher Verlängerungen behandelt, wird dann die Handlung für den zweiten Film einer neuen Verwertungs-Serie aus dem Ärmel geschüttelt: Wie wäre es, wenn die Muppets auf Welt-Tournee gingen. Der manipulative Manager Dominic (Ricky Gervais) übernimmt die Regie auf der Welt-Tour und während der ahnungslose Kermit ins Gulag geschickt wird, schlüpft ein Doppelgänger namens Constantine mit russischem Dialekt in seine Rolle bei der Truppe. Nur das Tier erkennt den Unterschied: böser Frosch, böser Frosch! Das große Nationaltheater in Berlin ist die erste Station der Tour und direkt gegenüber im Nationalmuseum starten Dominic und Constantine ihren Raubzug. Das Ziel der Reise über Madrid und Dublin sind die Kronjuwelen im Londoner Tower, obwohl man den Eindruck nicht los wird, dass hier nur dem europäischen Publikum honigsüße Postkarten-Bilder um den Bart geschmiert werden sollen. Erinnert nur die Europa-Tour frühere Euro-Pudding-Produktionen oder an die übliche Weltreise von Agenten-Filmen?

Doch ein Gag ist immer mit dabei im Reisegepäck, selbst wenn es nur Oscar-Preisträger Christoph Waltz ist, der in der Show selbstverständlich einen Walzer tanzt. Oder in Madrid wo als Stargast die - nun ja, irgendwie spanische - Selma Hayek die Zielscheibe für wild über die Bühne rasende Stiere gibt. „Muppets most wanted", diese Räuberpistole mit Handpuppen statt Handwaffen verläuft nicht umwerfend, bleibt aber immer flott, witzig, etwas verrückt und selbstironisch. Dazu gibt es haufenweise Musiknummern sowie richtige Stars aus Fleisch und Blut wie Stanley Tucci, Danny Trejo, Ray Liotta, Salma Hayek oder Miranda Richardson. Und Til Schweiger als Polizist. Vor allem aber ist es ein raffinierter Schachzug des Drehbuchs, Kermit in der Doppelrolle einmal ganz anders zu zeigen, mit zwei Seiten einer Medaille so verschieden wie Konstantinopel und Istanbul. Die anderen Muppets mögen Giganten sein, aber diese große Leistung sollte dem kleinen grünen Kerl den Oscar für den besten Frosch in einer Hauptrolle einbringen. Manchmal ist Constantine dabei fast so böse wie Rene Mariks Falkenhorst. Dass währenddessen der echte Kermit im russischen Gulag mit ultraharten Mitgefangenen die bessere Show hinlegt, sei hier noch verraten. Nicht jedoch, ob es tatsächlich zur Hochzeit von Miss Peggy mit Kermit/Constantine kommt. Neben dem Hinweis auf eine gewisse Muppet-Mittelmäßigkeit muss dringend vor Miss Piggys Duett mit Céline Dion gewarnt werden, hier fragt man sich, wer furchtbarer für die Ohren ist.

The Legend Of Hercules

USA 2014 Regie: Renny Harlin mit Kellan Lutz, Gaia Weiss, Scott Adkins, Roxanne McKee 99 Min. FSK: ab 12

Hercules war ursprünglich ein griechischer Film-Held, dessen klassisches Werk „Die zwölf Aufgaben des Filmemachers" jetzt von Renny Harlin als filmischer Augias-Stall neu umgesetzt wurde:
1. Wenn Herkules draufsteht, aber tatsächlich irgendeine Folge von TV-Sandalen-Filmen nacherzählt wird, fühlt man sich nach jahrelangem Studium der Hellenistik betrogen.
2. Billige Effekte, wie die Begattung der Königin Alkmene durch den unsichtbaren Zeus mit Blitz und Donner zu begleiten, steht nur einem Schülertheater gut.
3. Dass der Sohn des Gottvaters als ungeliebter Bastard (Kellan Lutz) wie ein blonder Bodybuilder mit zu wenig Geld für Klamotten aussieht und der dunkelhaarige Halbbruder Iphikles (Liam Garrigan) immer verschlagen schief schaut, ist Personenzeichnung mit dem Holzhammer.
4. Heldentaten wie der Ringkampf mit einem Löwen machen keinen Eindruck, wenn das Tier erbärmlich schlecht animiert ist.
5. Wenn der Hercules-Held seine schöne Helena, oder hier Hebe (Gaia Weiss), am idyllischen Teich trifft, sollte das nicht nach Softporno der 70er aussehen.
6. Bei der Flucht der Liebenden vor der Verheiratung Hebes mit dem garstigen Halbbruder dürfen die Verfolger nicht ohne Grund ganz plötzlich ganz nahe an dem Paar dran sein.
7. Gib keine Produktions-Millionen für eine extrem simple Dramaturgie eines schlechten Jugend-Abenteuers aus.
8. Mache die Musik zu der jeweiligen Situation nicht so überdeutlich, als wenn dir jemand mit dem Akustik-Brett vor den Kopf schlägt.
9. Benutze niemals Kulissen-Reste von anderen Sandalen-Filmen.
10. Während glänzende Kampfreihen in den vielen Schlacht- und Prügelszenen noch ok sind, weiß glänzende Zahnreihen sind es im alten Griechenland nicht!
11. Versuche nie, Erfolge wie „300" mit weniger Geld und Ideen zu kopieren. Das sieht nur billig und albern aus.
12. Wenn einst große Action-Götter wie Renny Harlin nach Heldentaten wie „Deep Blue Sea", „Tödliche Weihnachten", „Die Piratenbraut", „Cliffhanger" oder „Stirb langsam 2" nichts mehr hinbekommen, verspottet man sie nicht noch mit so einem mistigen C-Film.

Die Schöne und das Biest

Frankreich, BRD 2014 (La belle et la bête) Regie: Christophe Gans mit Vincent Cassel, Léa Seydoux, André Dussollier, Yvonne Catterfeld 112 Min.

Das bekannte französische Volksmärchen „Die Schöne und das Biest" wird von Christophe Gans als ganz großes Kino-Spektakel mit vielen Schauwerten, Romantik, Action und Fantasy-Welten erneut auf die Leinwand gebracht. Die Ausnahme-Schauspieler Vincent Cassel und Léa Seydoux sorgen in den Hauptrollen dafür, dass die Geschichte bei allem opulenten Drumherum glaubhaft bleibt.

Es war einmal ein französisches Volksmärchen, das so reich an Wahrheiten und reizvollen Wendungen war, dass es wieder und wieder verfilmt wurde. Und irgendwo in diesen Folgen zwischen Jean Cocteaus klassischer Schwarzweiß-Version „Es war einmal" von 1946 (Originaltitel „La belle et la bête" mit Jean Marais und Josette Day) und Disneys Zeichentrickfilm „Die Schöne und das Biest" (1991) reiht sich auch dieses filmische Spektakel von Christophe Gans ein:

Im Jahr 1720 hat ein Kaufmann (André Dussollier) nach dem Untergang seiner Schiffe allen Reichtum verloren und muss mit seinen sechs Kindern auf dem Land leben. Das gefällt nur der sonnigen Belle (Léa Seydoux), der jüngsten Tochter, während die beiden verwöhnten Schwestern albern herumjammern und sich auch die jungen Männer nicht positiv hervortun. Als der Händler mitten in einem verwunschenen Wald ein scheinbar verlassenes Schloss voll gedeckter Tische und reich gefüllter Truhen entdeckt, bricht der vermeintlich gerettete Mann noch eine Rose, um die ihn seine bescheidene Belle bat. Das erzürnt ein bedrohliches Ungeheuer (Vincent Cassel), das ihn für diesen Diebstahl zum Tode verurteilt. Doch Belle opfert sich an Stelle ihres Vaters. Im Schloss des Biestes erwartet die Schöne statt dem Tod ein seltsames Leben, geheimnisvolle Beagle-Gremlins, eine magische Heilkraft und die Annäherung an den gar nicht so schauderhaften Hausherren. Ihre Träume verraten Belle, weswegen der einstige Fürst so verflucht leben muss.

„Die Schöne und das Biest" des fantasy-erprobten Franzosen Christophe Gans („Crying Freeman", „Pakt der Wölfe", „Silent Hill") brachte auf der Berlinale als Abschlussfilm passend zum Valentinstag so viele Rosen wie wohl noch nie in einem Film. Dazu Romantik, Märchen, Kitsch, Fantasy und Mummenschanz. Gans ergänzt die vielfach verfilmte Fabel über das Biest im Manne um weitere Geschichten und überrollte die Zuschauer mit gewaltigen Traumwelten. Da tauchen die verfluchten Jagdgesellen des Fürsten als Riesen wie von Terry Gilliam auf, eine betörend schöne Waldnymphe haucht ihr Leben aus, die Computer-Abteilung legte ein Schloss hin, gegen das Neuschwanstein wie Plattenbau wirkt, und die umwerfenden Kostüme sind jetzt schon reif für ein Filmmuseum. Bei all diesen mal eindrucksvollen, mal mit Stallgeruch vom Studio Babelsberg etwas billig wirkenden Schauwerten sind es vor allem Vincent Cassel und Léa Seydoux als im Wechsel schönes und biestiges Duo, die den Film interessant halten. Sie bleiben auch in so einer deutsch-französischen Koproduktion für das große Publikum ungezähmt. Seydoux („Blau ist eine warme Farbe", „Mission: Impossible - Phantom Protokoll") wirkt, als würde sie jedem noch so schrecklichen Monster die Augen auskratzen können. Cassel („Ocean's 13", „Black Swan") ist ohne die schön gestriegelte Löwenmaske noch animalischer.

So bleibt zwischen dem Genuss von großen Traumwelt-Panoramen und aufwändigen Action-Sequenzen noch Zeit, sich über die reiz- und bedeutungsvolle Fabel Gedanken zu machen: Wie die Zähmung Belles misslingt, die ihre Augen vor dem Biest senken soll, doch als moderne Frau selbstverständlich genau hinsieht. Wie hingegen der Fürst, der das Jagen nicht lassen konnte, vielleicht seine Lektion in Monogamie gelernt hat. Ein großes Leinwand-Spektakel, das von Vielem viel bietet, aber auch da, wo andere Blockbuster Leerstellen haben, noch reizvolle Brüche und Einsichten zeigt.

22.4.14

Amazonia - Abenteuer im Regenwald

Frankreich, Brasilien 2013 Regie: Thierry Ragobert 86 Min. FSK: ab 0

Ein Propeller-Flieger mit Zirkusäffchen im Gepäckabteil stürzt über dem brasilianischen Regenwald ab. Für das unter Menschen aufgewachsene Kapuzineräffchen beginnt eine sehr aufregende Reise durch den Dschungel damit, dass Nasenbären das Wrack voller Zirkus-Utensilien lustig untersuchen und sogar das Schloss zum Affenkäfig öffnen, um sich dann davon zu machen. Nun entdeckt der Film - vermeintlich mit den Augen des Affen - die Insekten-, Spinnen-, Pflanzen- und Tierwelt des Amazonas. Krokodile und andere Riesenechsen äugen träge herüber, alle möglichen Affen-Arten klettern am Ufer herum, eine Vogelspinne droht ebenso wie eine Riesenschlange. Das ist in der heutzutage üblichen hohen Bildqualität ein sehr spannender und abwechslungsreicher Ausflug. Wobei die rasanten Wechsel kaum Zeit für hoch aufgelöste Details wie die filigrane Fortbewegung von Schnecken lassen.

Mit der von Menschen dressierten und wegen seiner intensiven Mimik auch sehr einfach zu vermenschlichen Hauptfigur begeistert „Amazonia" leicht junges und natur-interessiertes Publikum. Und steht sich dabei selbst im Weg: Denn während er uns unterhaltsam schützenswerte Natur nahe bringen will, steckt er voller inszenierter Momente. Da erweist sich der kleine Held bei einem Wasserfall sogar als Stuntman und - wieder sehr komisch - als begossener Pudel beim Regenschauer. Die alte Sünde vieler Tierfilme wurde noch nie so heftig betrieben wie heutzutage. So schwimmt der technisch hochmoderne „Amazonia" noch nach Jahrzehnten im Kielsog von Disneys Klassiker „Die Wüste lebt". Wenigstens die nervigen Kommentare aus „Die Reise der Pinguine" hat man uns aber erspart.

Transcendence

USA 2014 Regie: Wally Pfister mit Johnny Depp, Rebecca Hall, Paul Bettany, Morgan Freeman, Kate Mara, Cillian Murphy 120 Min. FSK: ab 12

Von der Bedrohung der künstlichen Intelligenz hat „Ghost in the Shell" brillant und spannend erzählt. Nur ist dieser Film japanisch, eine Animation und Johnny Depp spielt auch nicht mit. Deshalb jetzt „Transcendence": Etwas holperiger durchdacht, romantischer gemacht und vor allem mit dem alten Netzflicker Depp.

Depps Dr. Will Caster ist ein genialer Hightec-Öko. Zusammen mit seiner geliebten Partnerin Evelyn (Rebecca Hall) forscht er in Berkeley an künstlicher Intelligenz als ihn ein Anschlag extremer Wissenschaftsfeinde mit Polonium verseucht und sein Tod bevorsteht. Aus lauter Liebe lädt Evelyn seinen Verstand in das unfertige Projekt Pinn hoch. Das Unglaubliche gelingt, mit einer simplen Befehlszeile meldet sich der mittlerweile verstorbene Will aus dem Cyberspace. Und lernt rasant dazu. Max Waters (Paul Bettany), ein Freund und Kollege der Casters, ist das nicht geheuer. Er bezweifelt, dass es Will ist, der immer mehr Rechenleistung und eine Verbindung ins Internet will.

Evelyn macht weiter, flieht die Technik-Terroristen und baut in einem fast verlassenen und vergessenen Wüstenkaff in den nächsten zwei Jahren ein unterirdisches Hightec-Labor auf. Hier vollbringen zahllose Roboter für den auf Monitoren allgegenwärtigen Will ein Wunder nach dem anderen. Lahme werden geheilt, Blinde können wieder sehen und alle bilden nach der Behandlung samt Upgrade eine vernetzte Armee, ein Borg auf dem flachen Land. Mittels Nano-Technologie ist Will sogar im Regenwasser präsent. Um die bedrohliche Allmacht zu stoppen, verbindet sich Max mit den Terroristen, der Wissenschaft (Gott-Darsteller Morgan Freeman als Professor), der Regierung und dem Militär in einer ungewöhnlichen Front der Besorgten. Und zwischen den Fronten wird Evelyns Loyalität auf die Probe gestellt.

Max erzählt von dieser wirklichen digitalen Revolution im Rückblick aus einer Zeit ohne Internet oder gar Strom. Tastaturen dienen als Türstopper und Handys liegen wertlos im Staub. Diese dystopische Bild-Kraft hat der Film leider über lange Strecken nicht, obwohl es Kameramann Wally Pfister („Inception", „Dark Knight") ist, der hier seine erste Regiearbeit abgibt. Es dauert eine Weile, bis nach umständlichen Erklärungen und vielen Entwicklungen der Science Fiction wirklich in die Gänge kommt. Dann ist er auch gleich der Horror seelenlos gesteuerter Menschen. Wobei jetzt wieder Evelyn aus dem Auge verloren wird, dabei ist ihre Liebe doch die eigentliche Energie für diesen bedrohlichen Geist in der Maschine. Die Romantik in schwacher Erinnerung an „Her" hält sich jedoch bis zum Ende zurück.

Ob ein riesiges, in einer Halle voller Rechnerschränke verteiltes künstliches Gehirn mit ein paar Prozessoren in der Handtasche rausgeschmuggelt werden kann, ob Nanoteilchen aus einer Pfütze heraus ohne Mobilfunkvertrag Kontakt mit dem Netz aufnehmen können, sollen die Nerds diskutieren. Schon vorher gelingt es „Transcendence" nicht, stringent zu packen oder mit einer geschlossenen ästhetischen Vision in reizvolle Gedankenspiele zu entführen. Die Philosophie zur künstlichen Intelligenz, die „Ghost in the Shell" so spielerisch vermittelte, wird hier im Dialog als Beipackzettel aufgepappt. Ob sich der Mensch zum Herrn der Schöpfung machen darf, oder ob eine bessere Zukunft Patriarchen und Religion überhaupt braucht, muss man nach dieser schwachen „Transcendence" nicht diskutieren. Dass der Herr dieses Films jedoch seine Schöpfung besser hätte hinkriegen sollte, ist außer Frage.

21.4.14

The invisible woman

Großbritannien 2013 Regie: Ralph Fiennes mit Ralph Fiennes, Felicity Jones, Kristin Scott Thomas, Tom Hollander 111 Min.

Den großen englischen Dichter Charles Dickens verliebt als ein naives, großes Kind zu zeigen, das erlaubt sich Ralph Fiennes als Regisseur und in der männlichen Hauptrolle. Dabei lässt er die Frauen um sich herum sowohl in der historischen Geschichte als auch im Schauspiel besser aussehen. Leider konnte er sich wohl wegen vieler wunderschöner Bilder nicht von zu vielen Filmmetern trennen, was „The invisible woman" überpräsent und -lang macht.

„Ihr Männer lebt euer Leben, während wir warten müssen. Ihr habt eine Freiheit, die wir nicht erleben." Da hat doch tatsächlich die viel jüngere Bewundrerin und Geliebte Nelly Ternan (Felicity Jones) den besten Satz. Nicht das literarische Schwergewicht Charles Dickens (1812-1870), der Autor von „Oliver Twist", „David Copperfield", „Große Erwartungen" sowie „Eine Weihnachtsgeschichte". Der bleibt trotz aller Weisheiten, aller Erfahrungen aus einer Jugend im Elend, bei allem Ruhm ein unsicherer, etwas ungeschickter Mann – zumindest in der Umgebung von Nelly. Diese jüngste Tochter einer rein weiblichen Schauspielerfamilie schwärmt klug und kenntnisreich für den guten Bekannten ihrer Mutter Mrs. Ternan (Kristin Scott Thomas). Mit 18 Jahren und nicht wirklich schauspielerisch begabt, verfällt sie dem verehrten und angesehenen Mann, so wie dieser für sie alles aufgibt. Dickens trennt sich von seiner resoluten Ehefrau Catherine (Joanna Scanlan) und Mutter seiner zehn Kinder.

Obwohl Nelly selbst streng über das Zusammenleben ohne Trauschein von Dickens bestem Freund urteilt, bleibt sie wegen der gemeinsamen Leidenschaft für seine Literatur bis zu Dickens Tod mit ihm zusammen. Auch nach Nellys Heirat mit jemand anderem bedrückt sie eine Traurigkeit, die Fortsetzung einer Verzweiflung, die in allen Arrangements steckte, die Nelly zur Aussätzigen und schließlich einsamen Geliebten machten. Die Liebe soll - gemäß des Buches „The Invisible Woman" von Claire Tomalin - in den Figuren Pip und Estella aus „Große Erwartungen" festgehalten worden sein.

Dem berühmten Schauspieler Ralph Fiennes („Grand Budapest Hotel", „Schindlers Liste") gelingen mit Hilfe der Kamera von Rob Hardy immer wieder wunderbare Gemälde, wie dieser Tag an der Rennstrecke und all die anderen Bildkompositionen, die Innenszenen mit umrahmenden Kunstwerken, genau geplantem Lichteinfall, Spiegelbildern und viel feiner Gestaltung mehr. Dazu kommt ein intensiver Musikeinsatz durch die Kompositionen von Ilan Eshkeri, überhaupt die Tonspur, die sich viel, sogar auch Stille erlaubt. Aber trotz interessanter biographischer Details wie der revolutionären Lesung vor Arbeitern, den Theateraufführungen am Rande und vor allem dem heftigen Zugunglück, entwickelt sich die Handlung gemächlich und beschaulich. So wie Dickens schon mal selbst zu Fuß nach London marschiert, wenn am Tag gerade kein Zug fährt. „The invisible woman" vermeidet bewusst schnellere Gangarten. Das lässt auch viel Zeit, die stärkeren Frauenfiguren, das Leiden von Ehefrau und Geliebter zu erleben. Regisseur Fiennes lässt die Darstellerinnen neben sich still auftrumpfen und wird selbst zur unsichtbaren Berühmtheit.

Gabrielle - (k)eine ganz normale Liebe

Kanada 2013 (Gabrielle) Regie: Louise Archambault mit Gabrielle Marion-Rivard, Alexandre Landry, Mélissa Désormeaux-Poulin, Vincent-Guillaume Otis 103 Min. FSK: ab 6

Gabrielle ist Zweiundzwanzig, fröhlich und sehr emotional, macht begeistert in einem Chor mit. Der findet in Montreal, im Zentrum Les Muses statt. Eine Institution, die eine professionelle Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz für Menschen mit Behinderung anbietet. Denn Gabrielle (Gabrielle Marion-Rivard) hat das Williams-Beuren-Syndrom (WBS), einen seltenen genetischen Defekt auf einem Abschnitt vom Chromosom 7. Was sie keineswegs an einem glücklichen Leben hindert. Erst als die ältere Schwester Sophie (Mélissa Désormeaux-Poulin) nach langem Überlegen doch zu ihrem Freund und zu einem gemeinsamen Projekt nach Indien ziehen will, macht das Gabrielle zu schaffen. Denn gerade jetzt will sie selbständiger werden, von der betreuten in eine eigene Wohnung ziehen. Weil sie sich verliebt hat. In den ebenfalls behinderten Martin (Alexandre Landry) aus ihrem Chor.

Während die Selbständigkeit von Gabrielle und die Selbstverständlichkeit ihres Lebens mit anderen eine ganz normale Liebesgeschichte ergeben würden, meint Martins Mutter, behinderte Frauen müssen sterilisiert sein. Denn Sex ist in dieser kanadischen Behinderten-WG längst kein Tabu mehr, Aufklärung gehört auch hier dazu. Und bei einer Party schlafen Gabrielle und Martin auch in irgendeinem Hinterzimmer miteinander. Was die überführsorgliche Mutter ausrasten lässt und ein Kontaktverbot zwischen die Liebenden legt.

Gabrielle erlebt eine Liebesgeschichte mit Hindernissen und eine schwere Trennung von der geliebten Schwester, die sich schon immer um Gabrielle gekümmert hat, während die Mutter international Karriere machte. Das Drama zwischen diesen Frauen ist ebenso stark wie die mutigen Versuche, noch mehr Selbständigkeit zu erkämpfen. Wie die junge Frau im Liebesüberschwang einfach mal Martin bei dessen Arbeit besuchen will und dann doch die Orientierung in der Großstadt verliert, wurde raffiniert inszeniert, indem beispielsweise eine verzerrte Tonspur die andere Wahrnehmung von Welt nachvollziehbar machen will. Überhaupt wirken die Lieder hervorragend in diesem Film, beim Liebesbekenntnis per Karaoke, beim Handlungsfaden um den kanadischen Star Robert Charlesbois, der mit dem Chor zusammen eine Aufführung plant. Dies korrespondiert mit den Eigenschaften vieler Menschen mit WBS: Zu ihren Besonderheiten zählt eine bereits in den ersten Lebensjahren ausgeprägte starke Sensibilität für unterschiedliche Geräusche und Klänge. Außerdem haben Kinder und Erwachsene mit WBS eine ganz besondere Liebe zur Musik.

So ist „Gabrielle - (k)eine ganz normale Liebe" ein ganz normaler Liebes- und Emanzipationsfilm - gelungen, aber nicht herausragend. Gabrielle Marion-Rivard, die selbst das Williams-Beuren-Syndrom hat, überzeugt in der Hauptrolle. Allerdings ist vieles gemäßigt und nicht übermäßig dramatisch ausgespielt, selbst das Finale, das wohl groß sein sollte, ist vor allem nett, sympathisch und wird von einer tollen Musiknummer gekrönt.

Ride Along

USA 2014 Regie: Tim Story mit Ice Cube, Kevin Hart, John Leguizamo, Bruce McGill, Laurence Fishburne 100 Min. FSK: ab 12

Gegensätze ziehen Ärger und Spaß an - die altbekannte Grundkonstellation des Buddy-Movies lässt sich in einem Satz zusammenfassen. „Ride Along", die lahme Action-Variante in Tradition von „Nur 48 Stunden" braucht dafür hingegen schon mal zwanzig Minuten.

Quasselstrippe Ben Barber (Kevin Hart) und der neurotische Einzelgänger James Payton (Ice Cube) geraten im Polizeieinsatz zusammen und aneinander: Schulaufseher Ben will zur Polizei und von dem renommierten Gangster-Jäger James den Segen für die Heirat mit dessen Schwester Angela (Tika Sumpter). Nicht nur der superharte Cop zweifelt an den eingebildeten Fähigkeiten des gutherzigen, albernen Kerlchens, der nur bei Computer-Spielen Gauner verfolgt. So macht der Sicherheitsfanatiker, der immer überraschend in der Wohnung des Paares sitzt, dem Lieber-Nicht-Schwager das Angebot, mal einen Tag mit auf Streife zu gehen. Als erstes soll Ben mit seiner quietschigen Stimme eine ganze Rockergang vom Behinderten-Parkplatz verjagen. Selbst die Befragung eines kleinen Jungen auf dem Spielplatz wird zur Katastrophe für den potentiellen Cop, der mittlerweile sogar das Publikum nervt. Im Hintergrund verfolgt James derweil nicht nur mit inszenierten Einsätzen die Demotivation seines Praktikanten, er jagt auch noch den mysteriösen Killer Omar (Laurence Fishburne). Man kann ziemlich viel drauf verwetten, dass Ben wider alle Erwartungen zur Klärung beitragen wird.

Dieser „Training Day" als Komödie für das Nachmittagsprogramm verläuft mühsam langatmig, die Darsteller ermüden mit mangelnder Präsenz, von der x-ten Wiederholung des Buddy Movie-Schemas ist auch keine interessante Handlung zu erwarten. Der vernachlässigungswürdige Komödiant Kevin Hart und Raubacke Ice Cube, der auch Produzent war, dieses Duo und gute Unterhaltung sind hier unvereinbare Gegensätze.

16.4.14

Yves Saint Laurent

Frankreich 2014 Regie: Jalil Lespert mit Pierre Niney, Guillaume Gallienne, Laura Smet, Charlotte Le Bon, Marie de Villepin (Betty Catroux), Nikolai Kinski 106 Min. FSK: ab 12

Schöne Oberflächen - tiefe Liebe

Die Schönheit - darum ging es Yves Henri Donat Mathieu-Saint-Laurent (1936 - 2008) nach Aussage seines Lebenspartners Pierre Bergé (Guillaume Gallienne) vor allem. Das sollte einen schönen Film ergeben und vielleicht noch mehr, denn der Modeschöpfer für die Eliten Yves Saint Laurent soll ja auch einiges revolutioniert haben. Nach vielen schönen Bildern bleiben eine bewegende Liebesgeschichte und die Demontage einer schwachen Persönlichkeit. Erkenntnisse über Mode sind ziemlich fadenscheinig.

Yves Saint Laurent (eindringlich: Pierre Niney) übernimmt Ende der Fünfziger mit 21 Jahren die künstlerische Leitung von Dior, des größten Modehauses Frankreichs. Dabei artikuliert der schüchterne Mann versteckt hinter seiner dicken Brille bescheiden und genau seine Rolle. Vor allem im tosenden Applaus wirkt der hagere Mann wie ein Schuljunge. Er sei unfähig, draußen in der Welt zu überleben, meint er auch bei einem privaten Essen.

Der Krieg in Algerien, wo seine Familie als Kolonialisten lebt, bringt ihn in den Wehrdienst und umgehend in die Geschlossene Psychiatrie. Manisch depressiv sei er, doch gerade in diesem Moment erinnert sich Yves an die Verachtung und Prügel, die er als schwuler Jugendlicher erleben musste. Wegen dieser „unpatriotischen Haltung" wird er bei Dior rausgeschmissen und startet mit dem erfolgreich eingeklagten Schadensersatz sein eigenes Modehaus unter Leitung von Pierre Bergé. Pierre ist Liebhaber, Freund, Geschäftsführer und immer wieder Halt im Leben des berühmten aber schwachen Modemachers. Der Weg vom Klosterschüler zum Superstar bringt viele Verführungen, Drogen und eine rasch verfallende Gesundheit mit sich. Während sich der Kreative von einer Haute Couture-Kollektion zur nächsten schleppt, erzählt der Film eine große Liebesgeschichte. Die jedoch auch wegen der Eifersucht um Yves platonischer Freundin, sein „Super-Model" Victoire (Charlotte Le Bon), von zunehmender Bitterkeit geprägt ist. Schon bevor „Yves Saint Laurent" seine Rahmenhandlung beendet, ist er der Film des übermenschlich geduldigen Pierre Bergé geworden, der ja schon immer der Erzähler war. Eine jahrzehntelange Beziehung, die 2008 auch als Ehe besiegelt wurde, sich aber bei Wikipedia mit einer Trennung schon 1976 etwas anders darstellt.

Danach gibt es dann eine hemmungslose Affäre mit dem Liebhaber von Karl Lagerfeld (Nikolai Kinski), der als Randfigur immer wieder auftaucht, verschiedene, berühmt gewordene Entwürfe wie den Hosenanzug oder ein Mondriaan-Kleid. Insgesamt erscheint bei aller Leidenschaft des vor allem extrem haltlos dargestellten Yves Saint Laurent sein Leben als ein nicht besonders ereignisreiches. Der Film interessiert sich marginal für die Mode, konzentriert sich auf Beziehungsleben und persönliche Entwicklung - recht dünn für fast zwei Stunden. Aber auch wenn er angeblich als erster ein dunkelhäutiges Modell auf den Laufsteg schickte und exzessive lebte, war Yves Saint Laurent nur ein konservativer Ausstatter für die Eliten. In Ulf Poschardts weiter und tiefer blickenden Mode-Analyse „Anpassen" kommt er auch auf gerade mal drei Erwähnungen. So wird ein schönes, oberflächliches Filmchen seiner Figur vielleicht doch gerade gerecht.

15.4.14

Soundbreaker

Finnland 2012 Regie: Kimmo Koskela 89 Min. FSK: ab 0

Das Akkordeon ist ein Instrument für Idioten, die es spielen, um den Eltern zu gefallen. So provokativ äußert sich Kimmo Pohjonen, Jahrgang 1963, geboren und aufgewachsen in einem finnischen Dorf und einer der profiliertesten Avantgardemusiker der Gegenwart. Er habe sich für das Instrument die ersten zwanzig Jahre geschämt, befreit es jetzt aber mit genialer Kreativität und Erfindungsreichtum aus seinem Dornröschenschlaf zu befreien. Er nimmt sein akustisches Knopfakkordeon auseinander, baut Mikrofone und elektronische Effektgeräte ein, verkabelt jede Taste und steuert das ganze über ein Fußpedal, von der Funktion her ähnlich dem Pedal der Kirchenorgel. So ist er in der Lage, ein und dasselbe Instrument gleichzeitig akustisch und elektronisch zu spielen. Was er international zum Beispiel mit den im Film zitierten King Crimson und dem Kronos Quartet macht.


Während sich die unkonventionelle Persönlichkeit Kimmo Pohjonen in faszinierenden Gedanken und Selbstbeschreibungen zwar konventionell auffächert, sorgen Zwischenspiele und hier mal nicht nur dekorative Übergänge für eine kongeniale Abrundung des immer leicht schräg unterhaltsamen Films. Die tausendfach gesehene Fahrt des Protagonisten mit seinem Lieblingsgefährt (hier: alter Mercedes) durch eine entsprechende eindrucksvolle Landschaft erfährt in Kimmo Koskelas Film Sekunden später seine Pointe durch ein komisches Seniorengefährt in Gegenrichtung. Obwohl mit Lederklamotten eher als Urban Native angezogen und nur von einem Mini-Irokesen bedeckt, scheint hier ein real-verkörperter Erbe der Leningrad Cowboys aufzutreten.

So witzig und packend die Aufnahme-Szenen und -Klänge einer Bauernhof-Komposition sind, vor allem das wilde, expressive Akkordeon-Spiel von Kimmo Pohjonen macht ungeheuer Eindruck. Dazu kommen kunstvoll inszenierte Szenen, die zusammen mit der Innovationskraft des Musikers an die Fred Frith-Doku „Step Across the Border" (1990) von Nicolas Humbert und Werner Penzel erinnern. Diesmal sehen wir wie Kimmo Pohjonen scheinbar im Wasser unter einer Eisdecke spielt oder oben auf dem Eis mit einem Balg und dessen erstaunlichem Eigenleben herumtollt. „Soundbreaker" bricht mit den Erwartungen an ein traditionelles Instrument und an übliche Musiker-Dokus.

Lauf Junge Lauf

BRD 2013 Regie: Pepe Danquart mit Andrzej Tkacz, Kamil Tkacz, Itay Tiran, Elisabeth Duda, Zbigniew Zamachowski, Jeanette Hain, Lukasz Gajdzis, Rainer Bock 108 Min.

Nach Uri Orlevs Roman „Lauf, Junge, Lauf" erzählt der gleichnamige Film von Pepe Danquart („Höllentour" 2004, „Nach Saison" 1997, „Phoolan Devi - Rebellion einer Banditin" 1993) vom Überleben eines jüdischen Jungen in Polen während der deutschen Besatzung.

Srulik (gespielt von den Zwillingen Andrzej und Kamil Tkacz) entkommt mit neun Jahren auf Messers Schneider dem Warschauer Ghetto. Im riesigen Waldgebiet Kampinoski versucht er, in der Wildnis zu überleben, schläft auf Bäumen, jagt Kleintiere und ernährt sich von Beeren. Der erste eisige Winter zwingt ihn zurück in die Dörfer, wo er Ablehnung und Prügel erhält. Die alleinstehende Bäuerin Magda Janczyk (Elisabeth Duda) jedoch nimmt ihn auf und bringt ihm bei, sich als polnischer Christ auszugeben, samt neuem Namen Jurek, anderem Schicksal und Vater Unser. Doch bald wird es für die der Partisanen-Unterstützung Verdächtigte zu gefährlich, Srulik muss weiter laufen. Der Wechsel zwischen menschenverachtenden und mitfühlenden Begegnungen setzt sich fort. Denn bei viel Ablehnung wird er auch immer wieder hilfsbereit aufgenommen. Nach Monaten bei einer anderen Familie verrät ihn beim Spielen mit anderen Kindern die beschnittene Vorhaut. Nach einem Ernte-Unfall verliert er wegen eines rassistischen Arztes Hand und Unterarm. Ein deutscher Kommandant, der ihn eigenhändig erschießen wollte, verfolgt ihn ausdauernd.

In eingestreuten Rückblenden erleben wir, wie Srulik dem Ghetto entflieht und von seiner Mutter getrennt wird, wie sich sein Vater für ihn opfert. Dessen letzter Satz, er solle sich selbst treu bleiben, wird als Leitthema des Films auf eine harte Probe gestellt. Die Anpassung des Jungen geht bis zur Kommunion. Selbst nach dem Einmarsch der Russen und dem Ende des Krieges wehrt er sich dann dagegen, in ein jüdisches Waisenhaus gebracht zu werden und hält verzweifelt an der polnischen Identität fest, die ihn gerettet hat.

„Lauf Junge Lauf" ist als Holocaust-Erlebnis nicht so hart wie Polanskis „Der Pianist" oder Andrzej Wajdas „Korczak". Bei großem Aufwand für Kulissen und Kostüme, bei guter handwerklicher Umsetzung bleibt das innere Erleben des Kindes oft verborgen. Im Ablauf der Abenteuer und Ereignisse (Buch: Heinrich Hadding) bleibt wenig Zeit für Details, die alles Leiden und allen Schrecken deutlicher zeigen würden. Doch letztlich bleibt jenseits solcher dramaturgischen Detailfragen die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen. Allein die Ahnung von Hundertausenden oder Millionen von furchtbaren Schicksalen, unter denen diese, im Epilog mit dem Überleben inmitten seiner Kinder und Enkel in Israel besiegelten Geschichte die Ausnahme bildet, ist unfassbar. Und so ist auch dieses Erinnern bei allem Scheitern und Gelingen ein wichtiges und bemerkenswertes.

14.4.14

Dom Hemingway

Großbritannien 2013 Regie: Richard Shepard mit Jude Law, Richard E. Grant, Demian Bichir, Emilia Clarke 93 Min.

„Dom Hemingway" ist verfickt unterhaltsam und falls Ihnen dieser Satz nicht gefällt, dann ist der Film schon mal gar nichts für Sie. Die große Jude Law-Show beginnt mit einem langen, erregten Penis-Monolog, der nach Eigen-Einschätzung seines Autors Nobelpreis-würdig sei und auch noch somalische Kinder vor dem Hunger retten würde. Panzerknacker Dom Hemingway - Jude Law mal wieder in einer schmierigen Großkotz-Rolle - ist seit zwölf Jahren im Knast und dort der King. Bei seiner Entlassung geht er innerhalb eines Liedchens flotten Schritts zum Typen, der in der Haftzeit mit seiner Frau geschlafen hat, macht Bolognese aus seinem Gesicht (Zitat Hemingway), dann erst gönnt er sich eine Zigarette und etwas social talk.

Klar, dieser Mann hat echte Probleme, seine Wut zu kontrollieren, dazu kommen große Mengen Alkohol. Damit versaut er sich fast die Belohnung für zwölf Jahre Schweigen, als er seinen mittlerweile sehr reichen Kompagnon (Demian Bichir), der ihn belohnen will, heftigst in einem erlesen gemeinen Wortschwall beleidigt. Dom Hemingway ist echt ein Poet - für nicht unbedingt poetische Zustände. Hunter S. Thompson liest sich dagegen wie ein stammelnder Grundschüler. Und diese Szenen sind Paraden der Schauspielkunst, große Nummern, wie sie DeNiro bei Scorsese hinlegt. Doch letztendlich versaut das Schicksal Dom das Abkassieren ... wenn man es Schicksal nennen kann, nachts vollbetrunken am Steuer eines Autos stehend in den Gegenverkehr zu knallen. Das Geld ist mit der Geliebten des Kompagnons weg, neue Jobs gibt's nicht, weil die Safes mittlerweile elektronisch gesichert sind und Doms Tochter (Emilia Clarke) will nicht mit ihm reden.

Moment mal - eine Tochter? Genau, die vernachlässigte, die ihre Mutter allein pflegen und beerdigen musste, weil Papa im Knast saß. Der typische, filmische Gangster-Britpop im Stile von „Trainspotting" und vielen, vielen Nachfolgern bekommt hier plötzlich die Kurve in eine ganz andere, rührend private Geschichte. Wie überhaupt Regisseur und Autor Richard Shepard („Mord und Margaritas" mit Piecre Brosnan, 2004) ganz bewusst einige Klischees vermeidet. Etwa den letzten großen Raubzug, oder sowieso einen Überfall. So kann Dom, während man noch abwägt, ob er den gleichen Weg wie die „Drecksau" geht, erstaunlicherweise ganz anders Sympathien gewinnen.

Nachdem Dom also ausgeraubt, schwer verwundet und völlig fertig vor der Tür seiner Tochter Evelyn zusammen bricht, beginnt ein etwas anderer Film. Denn er hatte die ganze Zeit keine Angst, einen der gefährlichsten Männer Europas zu beleidigen, aber wohl seine Tochter zu sehen. Während die Kontaktaufnahme schwierig bleibt, freundet sich sein kleiner Enkel zuerst mit ihm an. Wobei Richard Shepard auch hier die Klischees weit links liegen lässt.

So trumpft „Dom Hemingway" bis zum sehr plötzlichen Ende mittendrin weiterhin mit großartigen Dialogen auf, in denen Dom nichts ohne seine rechte Hand Dickie wäre. Richard E. Grant gebührt hier die Ehre einer stoischen und herrlich overdressten Nebenrolle, die zu den Top-Nebenrollen ganz oben auf der Nebenrollen-Karriereleiter gehört. Dass auch er ziemlich übel vom Freund Dom angegangen wird und ihm trotzdem in Würde die Treue hält, sagt etwas über die menschlichen Ecken und Kanten dieses anfangs so ruppigen Gangster-Spaßes.

The Amazing Spider-Man 2 - Rise of Electro

9.4.14

Ida

Polen, Dänemark 2013 Regie: Pawel Pawlikowski mit Agata Kulesza, Agata Trzebuchowska, Dawid Ogrodnik 80 Min.

Schon bei den ersten Bildern von „Ida" weiß man wieder, was den Unterschied zwischen Kino-Kunst und Kommerz ausmacht. Es sind Kompositionen in sanftem Schwarzweiß, die mehr (er-) geben als nur eine Geschichte. Doch auch die packt direkt: Im Polen des Jahres 1962 erfährt die 18-jährige Novizin Anna (Agata Trzebuchowska) kurz vor ihrem Gelübde von der bislang unbekannten Tante, der Richterin Wanda (Agata Kulesza), dass sie Jüdin ist. Gemeinsam begeben sich die unterschiedlichen Frauen auf eine Reise zu den Gräbern ihrer Familie und in die Vergangenheit des Holocausts sowie des Nachkrieg-Polens, in der die Tante als „Red Wanda" für ihre Gnadenlosigkeit berüchtigt war. Stichworte wie „Anti-Sozialistisch" machen die Zeitumstände deutlich. Die Wand des Verdrängens und Schweigens in einer Gemengelage aus Antisemitismus, Katholizismus und Kommunismus ist gnadenlos hart.

„Ida" ist für den polnisch-stämmigen, preisgekrönten Filmemacher Pawel Pawlikowski nach ausgezeichneten britischen Filmen („Last Resort", „My Summer of Love") die Rückkehr zu seinem Geburtsland und den eigenen Wurzeln. Dabei ist jede Einstellung ein Kunstwerk zum Staunen und Verharren. Die Intensität der Inszenierung und ihre Meisterschaft lässt sich an all den Vorbildern ablesen, die einem in den Sinn kommen: Vom frühen Polanski bis zu Tarkowski. Der Mut zu Schwarz-Weiß und eigenem, erlesenen Stil wird musikalisch begleitet von Bach, Mozart, John Coltrane und zeitgenössischem polnischen Jazz. Dazu das geheimnisvoll verschlossene Gesicht der Hauptdarstellerin Agata Trzebuchowska wie das der junge Liv Ullmann in einem Bergman-Film. „Ida" ist einer der seltenen Schätze der Film-Geschichte, die mehr wiegen als das ganze Rauschen jahrein, jahraus um sie herum.

8.4.14

The Lego Movie

USA, Australien 2014 Regie: Phil Lord 100 Min.

Nach Lars von Triers „Nymphomanic" folgt nun der nächste Baustein dänischer Hoch-Kultur. Auf das Runde, Weiche der Körper, nun das Harte, Kantige der Legosteine. Denn wer bisher dachte, Film besteht aus Pixeln, muss nun umdenken: dieser Film besteht aus den Noppen wohlvertrauter Lego-Klötzchen des dänischen Spielzeugherstellers. Und aus steifen, kantigen Figuren, die - als Kopie von Playmobil - eine dieser „Kampf gegen den Bösen"-, „Wir retten die Welt"-Geschichten nachspielen.

Flache Charaktere und Hintergründe sind bei dieser Produktion aus Stopp Motion und Computer-Animation kein Mangel sondern wesentliche Eigenschaft. Die reduzierte Mimik hat aus Prinzip nur ein paar Striche. Was seltsamerweise Spaß machen kann und sich in den USA überraschend gut verkauft hat.

Emmet, ein einfacher Bauarbeiter und so simpel wie der Film, wird zufällig zum prophezeiten Retter der Welt, die sich Lord Business beinahe komplett einverleibt und mit Grenzen zerteilt hat. Wenn der Idiot Emmet zusammen mit einem sehr neurotischen und egozentrischen Batman, einem blinden Meister (von Morgan Freeman mit großem Ernst gesprochen) und dem flotten Ninja Mädchen Lucy auf geheime Mission geht, wird zwischendurch tatsächlich mal was mit Lego gebaut. Denn ironischerweise geht es im Reich der vorgefertigten Bausätze ausgerechnet darum, die Kreativität wieder zurück zu gewinnen, der Kampf um Fantasia im Quadrat. Aufgehübscht mit kleinen Gegenständen des alltäglichen Lebens wie Q-Tipps, 9 Volt-Batterien oder Nagellackentferner besteht das Gebilde „Lego Movie" hauptsächlich aus Pop-Zitaten.

Die Kulturgeschichte dieses Lego-Films begann auf YouTube mit kleinen Parodien zu großen Vorbildern wie Star Wars. Dazu gab es Bausätze populärer Box Office-Hits und Computerspiele zum Eckigen mit dem Runden. Nun also diese verrückte Idee, einen Kinofilm mit ohne all dem, was Film großartig macht. Dafür ist in dieser durchgedrehten Parodie alles übertrieben. Im Sekundentakt wird vorgeführt, wenn man alles in Blockform bringen kann. Gleichzeitig erlauben sich die Macher bei äußerem Kästchendenken völlig durchgeknallte Ideen. Da staunt man Bauklötze. Garniert mit einem Häufchen Realfilm-Rührkitsch geriet diese Spielerei unerwartet witzig - die Ankündigung einer Fortsetzung erschreckt jedoch.

Stiller Sommer

BRD 2013 Regie: Nana Neul mit Dagmar Manzel, Ernst Stötzner, Victoria Trauttmansdorff, Marie Rosa Tietjen, Arthur Igual 86 Min. FSK: ab 6

Still könnte dieser Sommer an einem der deutschen Ferienplätze in Frankreich vor allem sein, weil Kristine (Dagmar Manzel) keine Stimme mehr hat, als sie ins Urlaubshäuschen der Familie einfällt. Dabei die Tochter Anna (Marie Rosa Tietjen) mit dem lokalen Liebhaber Franck (Arthur Igual) überrascht. Kristine schweigt weiter - was eine sehr reizvolle Idee ist - und wirft Franck einen bedeutungsvoll interessierten Blick zu. Sie bekommt ihn auch scherzhaft zugeschanzt und nach ausgiebigem Feiern und einem berauschenden Pilzexperiment betrügt die reife Frau ihre Tochter und ihren Mann Herbert (Ernst Stötzner), der mittlerweile eingetroffen ist, gleichzeitig. Auch bei den französischen Bekannten verschieben sie die Beziehungen. Was scheinbar locker genommen wird, doch einige Reaktionen lassen nicht übersehen, dass hier heimlich einiges passiert ist.

Die zweite großartige Idee von „Stiller Sommer" ist ein Perspektivenwechsel nach fast einer Stunde: Ab hier erleben wir die Geschichte mit Herberts Augen. Er, der wie ein großer Junge im Leben herum tappst und unerträglich fürsorglich und vorsichtig vielleicht mal ein bisschen drüber reden möchte, sorgt für die weiteren Überraschungen, die einen schon mal sprachlos machen können. Autorin und Regisseurin Nana Neul gelingt in einem Milieu, das schon Ades „Alle Anderen" aus der ZDF-Verstaubheit aufgeweckt hat, mit raffinierter Geschichte und fast durchgehend tollen Schauspielern für ein reizendes emotionales Erlebnis. Ihre Inszenierung beschränkt sich zurückhaltend auf genau das Richtige.

Super-Hypochonder

Frankreich, Belgien 2013 (Supercondriaque) Regie: Dany Boon mit Dany Boon, Alice Pol, Kad Merad, Jean-Yves Berteloot 107 Min. FSK: ab 6

Boonerie ist eine Allergie, die sich nach Angaben von Hausärzten und Krankenhäusern immer weiter ausbreitet. Die heftigen Abwehrreaktionen auf die Clownerien des französischen Schauspielers Dany Boon sind umso besorgniserregender, als schon wieder ein Film mit den gleichen Grimassen aufgetaucht ist: Als „Super-Hypochonder", als Grenzer in „Nichts zu verzollen" (2010) oder als Postbote in „Willkommen bei den Sch'tis" (2008) - Boon inszeniert sich selbst zuverlässig als immer gleicher Boon.

Google ist der beste Freund des Hypochonders - für jedes Symptom gibt es eine furchterregende Krankheit. Romain Faubert (Dany Boon) nutzt sie ausgiebig, zudem verbraucht er Industrie-Mengen an Desinfektionsmitteln. Praktischerweise hat der eingebildete Kranke noch den Arzt Dr. Dimitri Zvenska (Kad Merad) als Freund, der jedoch eigentlich die Nase voll. Dabei nimmt er ihn glatt bei sich zuhause auf und bemüht sich auch mit der Partnersuche. Doch dann findet Romain bei der Silvesterfeier nicht wie geplant endlich eine Freundin, sondern verprügelt die Gäste von Dimitri. Das ist fast schon eine Action-Szene, wie der Hypochonder aus Angst vor Ansteckung zu Silvester jeden niederstreckt, der ihn küssen will. In der Metro wird er als Actions-Künstler missverstanden, wenn er im akrobatischen Slalom jeden Kontakt mit den Haltestangen und -Griffen vermeidet. Und während seiner Arbeitszeit als Röntgenassistent springt er schon mal selbst in die Röhre, um noch eine spaßige Magnetresonanztomografie durchzuführen. Ergebnis: ein schlaffer Scherz.

Von diesen Boon-Blödeleien gibt es noch eine Handvoll. Im Grimassieren - ob übertrieben heulend oder lachend - hängt der französische Kassenstar glatt Jim Carrey im Nervigsein ab. Davor rettet einen nur stellenweise die Inszenierung, etwa wenn ein Date gleich am ersten Abend im Psycho-Stil und passender Musikbegleitung unter der Dusche endet, weil es die neue Bekanntschaft mit der Hygiene überhaupt nicht genau nimmt.

Doch spätestens da war wohl allen klar, dass die Witzchen für eine Filmformel nicht ausreichten und man hängte der Komödie des modernen eingebildeten Kranken noch eine Verwechselungsgeschichte an: Von Dimitri zu einem Flüchtlingslager mitgeschleppt, ergibt sich ein Passtausch samt nachfolgender Verwirrungen mit dem tscherkistanischen Rebellenführer Anton Miroslav (Jean-Yves Berteloot). Romain landet damit endlich bei Dimitris Schwester Anna (Alice Pol), die in der Flüchtlingsarbeit engagiert ist und den vermeintlichen Helden bewundert. Und im Visier der Polizei, die ihn schließlich in irgendeinen unhygienischen, pro-russischen Knast ausweist.

Als vermeintlicher osteuropäischer Kämpfer darf sich Boon mit sprachlichem Kauderwelsch - seiner Spezialität - in Heldengeschichten ergehen, um direkt danach vor einem vierbeinigen Fiffi Reißaus zu nehmen. Mit Kad Merad ergibt sich wieder das Sch'ti-Duo, doch reicht der Spaß diesmal längst nicht an die sehr überschätzte Kaff-Komödie heran. Im luftleeren, höchstens viren-geschwängertem Raum der ersten Filmhälfte läuft sich der mit vielen Banalitäten aufgemischte Boon-Brachialhumor gänzlich tot. Weniger wäre mehr, das gilt für jeden Boon-Film und auch für das Boon-Werk insgesamt, dass nur stellenweise „bon", also gut ist.

7.4.14

Die Bestimmung - Divergent

USA 2014 (Divergent) Regie: Neil Burger mit Shailene Woodley, Theo James, Ashley Judd, Zoë Kravitz, Kate Winslet 139 Min.

Nicht nur für die Kasse sind starke Frauen im Kino eine gute Sache. Auch der Rollenverteilung tun „Heldinnen" wie Jennifer Lawrence in der Panem-Trilogie oder Kristen Stewart in der „Biss"-Reihe sehr gut. Auch in diesen Club will die Figur der Beatrice „Tris" Taylor. Der - ähnlich wie „Die Tribute von Panem" - düstere Science Fiction „Divergent" hat als Auftakt einer Trilogie zwar den Look aber nicht die Eindringlichkeit der anderen Polit-Dystopie.

100 Jahre nach einem Krieg ist im hermetisch abgeriegelten Chicago alles geregelt, jeder hat seinen Platz. Die Menschen sind aufgeteilt in fünf Fraktionen: Altruan (die Selbstlosen), Ferox (die Furchtlosen), Ken (die Gelehrten), Candor (die Freimütigen) und Amite (die Freundlichen und Friedfertigen) heißen sie in kreativer deutscher Übersetzung. Beatrice Taylor (Shailene Woodley) wächst in einer Altruan-Familie auf, als aber ihr 16. Geburtstag naht und sie sich für eine der Gruppen entscheiden muss, fällt ein geheimer Test nicht eindeutig aus: Das Mädchen hat zu viele Fähigkeiten und ist damit eine Bedrohung für die streng geordnete Gesellschaft. Da jedoch angeblich jeder frei entscheiden können soll und Beatrice sich den Kämpfern der Ferox anschließt, muss der innere Konflikt der Hauptfigur für langweilige Übungen in Schießen und Prügeln zurücktreten. Nur wenn sie immer wieder mit chemisch erzeugten Albträumen in das Reich ihrer Ängste reist, fällt auf, dass sie andere als die begrenzten Mittel ihrer Kaste anwendet. Und die Visionen werden für alle sichtbar auf Monitoren nach draußen projiziert!

Derweil zeichnen sich politische Ränkespiele zwischen der Fraktion von Beatrices Eltern und der Ferox-Anführerin Jeanine Matthews (Kate Winslet) ab. Nicht nur bei der ziemlich hirnlosen Jubelmasse der Landesverteidiger, die irgendwie Lemmingen ähneln, gibt es immer mehr Zeichen eines totalitären Staates. Diese Wirrungen verstärkt und bekämpft schließlich Four (Theo James), der knackige Ausbilder von Beatrice. Womit auch für die Romantik gesorgt ist.

Wenn sich Beatrice und ihr Bruder in einer feierlichen Zeremonie für die Fraktion entscheiden, die fortan ihr Leben bestimmt, muss man direkt an den Entscheidungs-Tag von „Panem" denken aber auch an die Wahl eines „Hauses" bei Harry Potter. Und ganz in der Ferne winkt auch „1984". Das oft düstere Design ist fast so aufwendig fantastisch wie „Die Tribute". Die kritische Haltung gegenüber Obrigkeiten und Befehlen kommt einem ebenso bekannt vor: „Ihr seid Soldaten, keine Rebellen". Das ist eine Lehrstunde in Sachen politischer Manipulation, bei der ein Putsch „zum Wohle des Ganzen" unter dem typischen Vorwand abläuft. Das Finale lässt brav Liebe und Menschlichkeit siegen, definiert dabei Tyrannen-Mord neu.

Obwohl es ein paar mal Action gibt und auch Spannung - auf einem überschaubaren Niveau - ist der wenig unbestimmte „Divergent" vor allem ein Teenagerfilm mit einer weiblichen Hauptfigur. Mit Beatrice, die sich plötzlich entscheiden muss - was der Lebenssituation des jungen Publikums entspricht. Auch mit dem Gefühl, nicht richtig zu sein, nicht zu wissen, wo man hingehört, wird der Reihen-Auftakt Wiedererkennen hervorrufen. Letztlich passiert in fast zwei Stunden jedoch erstaunlich wenig. Meint Hollywood, das Publikum hat sich schon so an Dreiteiler (mit Verlängerung am Ende) gewöhnt, dass man ruhig einen lahmen Start abliefern kann? Doch immerhin gibt es eine weibliche, schwache, zweifelnde aber dennoch Action-Heldin, was den Film wieder sympathisch macht.

Die Poetin

Brasilien 2013 (Flores Raras) Regie: Bruno Barreto mit Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorf 120 Min. FSK: ab 6

Die wahre Geschichte zweier berühmter Künstlerinnen und ihrer Liebe beeindruckt mit der toll gestylten Kulisse Brasiliens der 50er Jahre und berührt durch das wundervolle Spiel von Miranda Otto in der Rolle der Poetin und Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Bishop.

Es ist nur eine kurze Szene im Central Park, doch wie der Literatur-Kritiker der Dichterin paternalistisch mitteilt, sie würde nur nette Beobachtungen aufs Papier bringen, das würde selbst größere Egos als das von Elizabeth Bishop knicken. Eine Reise ist als Flucht geplant, von der Überquerung des Äquators erhofft sich die einsame Vierzigerin aufgeregt irgendetwas. Was dann nur ein Zwischenstopp bei der Studienfreundin Mary (Tracy Middendorf) sein sollte, wurde der Anfang einer 15-jährigen intensiven Beziehung. Denn die Gastgeberin und Liebhaberin von Mary, die extrovertierte Architektin Lota de Macedo Soares, gerät zuerst mit der zurückhaltenden Dichterin aneinander, dann ziehen sich die Gegensätze heftig an. Wie Elisabeth, die nach eigener Aussage einsamste Frau der Welt, einen liebevollen Streit des Paares beobachtet und vor blindem Verlangen trotz Allergie in eine Riesennuss beißt, ist als Beginn einer Liebe eine ebenso schöne Geschichte, wie das Auseinanderleben während vieler Zweisamkeit mit bewegender Traurigkeit gezeichnet ist.

„Die Poetin" ist eine mit vielen Qualitäten inszenierte, gute Gelegenheit, die Dichterin Elisabeth Bishop (1911 - 1979) kennenzulernen. Und ihre Liebe, die brasilianische Architektin des Flamengo Parks, Lota de Macedo Soares, eine großartige, wilde Figur, die nach einer unkritischen Akzeptanz des Militärputsches in Brasilien, der Entfremdung von Elisabeth und ihrer Depression 1967 in New York Selbstmord beging. Das sehenswerte Werk des renommierten Regisseurs Bruno Barreto („One Tough Cop", „Vier Tage im September") basiert auf Carmen L. Oliveiras Roman „Flores raras e banalíssimas". Und in der Tat erstaunt diese ganz frühe und freie Patchwork-Familie mit der Ex Mary und einem adoptierten Kind. Dazu ist das Liebesdrama äußerst stilvoll ins Bild gebracht, mit reizvoller historischer Kulisse und Architektur als Augenschmaus. Spätestens wenn die Blässe Elisabeths neben dem tiefschwarzen Haar von Lota die Poetin zu einem Gedicht inspiriert, will man mehr erfahren und lesen, hat der Film mit einer doppelten Entdeckung gewonnen.

Sabotage (2014)

USA 2014 Regie: David Ayer mit Arnold Schwarzenegger, Sam Worthington, Olivia Williams, Terrence Howard 109 Min.

Nein! Nicht der schon wieder! Ex Gouverneur Schwarzenegger als mäßig verkleideter Fitness-Trainer war letztens in einer Art „Versteckter Kamera" nur mäßig spaßig. Als schlecht verkleideter Drogenfahnder-Opa macht er in „Sabotage" ganz bitter ernst und das ist nicht mal mehr unfreiwillig komisch, das ist unerträglich.

Diese nächste, unnötige Folge von hüftsteifer Altherren-Action beginnt extrem brutal mit einem Foltervideo und einem alten Mann davor. Dass John "Breacher" Wharton (Arnold Schwarzenegger) verbittert die Mörder von Frau und Sohn rächen will, spielt in diesem wirren Filmchen nur am Anfang und im noch mehr verunglückten Finale eine Rolle.

Zwischendurch beklaut sein wildes Team von DEA-Bullen mitten im Einsatz die Bösen und den Staat. Als ihnen jedoch ihr Beifang von zehn Millionen Dollar von Unbekannten weggeschnappt wird und sie dann auch noch selbst verdächtig sind, dreht das Team aus durchgeknallten Typen - tätowiert verkörpert von meist mittelmäßigen Schauspielern - komplett durch. Einer nach dem anderen wird spektakulär ermordet, die ermittelnde Polizistin taucht als einzig interessanter Charakter auf, bis sie bei einer völlig unglaubwürdigen Affäre mit dem wesentlich älteren und dämlicheren Breacher auch zur Witzfigur wird.

Eine wenig originelle, blödsinnige Auflösung (Breacher klaute selbst die Millionen, um sich rächen zu können) krönt dieses grob zusammengeschusterte Unglück. Selbst wenn Brutalität, gefeierte Selbstjustiz, verklemmtes Spießertum und eine Racheorgie nicht so verachtenswert wären, Regisseur David Ayer („End of Watch", „Street Kings") hat wahrscheinlich so viel Koks vom Set eingeatmet, dass er die Kontrolle über den Seniorenfilm völlig verlor. Nun warten wir auf das deutsche Remake der Erfolgs-Serie „Ex-Ministerpräsidenten im Action-Taumel" mit Ministerpräsident Wowereit als Undercover-Agent der Party-Szene, Stefan Mappus als Millionen-Dieb mit brutaler Schlägertruppe oder Wonder-Woman Hannelore Kraft mit ihrem unerschöpflichen, aber etwas stinkigen Energie-Vorrat…

2.4.14

Auge um Auge

USA, Großbritannien 2013 (Out of the furnace) Regie: Scott Cooper mit Woody Harrelson, Christian Bale, Casey Affleck, Zoe Saldana, Sam Shepard 117 Min. FSK: ab 16

Zwei Brüder in einer fast verfallenen Stahlwerk-Stadt der USA. Die überall anwesende Leere können die frustrierten jungen Männer nicht füllen, auch wenn sie noch so sehr die Muskeln ihrer Muscle Cars spielen lassen. Russell Baze (Christian Bale) bleibt trotz widriger Umstände gefasst und ruhig, pflegt den Vater und macht seinen miesen Job im Stahlwerk. Rodney Baze jr. (Casey Affleck) ist der labile Gegenpol Russells: Alkohol- und spielsüchtig, zu stolz, um einfach ehrlich zu arbeiten, zu dumm sich aus den Schwierigkeiten raus zu halten. Doch ein Totschlag, besoffen mit dem Auto, bringt ausgerechnet Russell in den Knast. Als er wieder rauskommt, ist seine Frau weg. Doch der brave Arbeiter, richtet das Haus des mittlerweile verstorbenen Vaters her, malocht weiter. Die rostige Kulisse stillgelegter Industrie-Riesen ist derweil Hintergrund für Fight Clubs, mit denen sein kleiner Bruder, verschuldet und vom Irak-Krieg traumatisiert, Geld verdient. Doch der unkontrollierte Jr. legt sich mit brutalen Hinterwäldlern an und verschwindet. Nun überschreitet auch Russell die Grenze in das gesetzlose Gebiet hinter dem Eisenbahntunnel...

Nach einer langen Entwicklung mit eindringlichen Stimmungen und Atmosphären wird die intensive Gesellschafts-Studie irgendwann doch zu dem Rachefilm mit dem alttestamentarischen Titel. Allerdings mit Brüchen, die „Auge um Auge" vom Rache-Einerlei abheben. Zu sehr widersetzt sich das Handeln von Russell den Genre-Erwartungen. Die Rezeption reibt sich an einem Verlauf, der im Unbequemen, im Unfriedlichen befriedigend wird. In einigen Motiven verweist er zu Ciminos „Deer Hunter", eine brutale und sanfte Parallel-Montage von Kampf und Jagd bebildert auf unvergessliche Weise unterschiedliche Charaktere. Christian Bale ist überragend, wie er seinen Russell leiden und kämpfen lässt. Woody Harrelson erschreckt als extrem unsympathischer Hinterwald-Gangster, das Ganze ist mit Sam Shepard, Willem Dafoe und Forest Whitaker auch in den Nebenrollen sehr eindrucksvoll besetzt. Im Original funktioniert der Slang ebenso als stimmige Begleitmusik wie der Pearl Jam-Song „Release" mit der kongenial rauen Stimme Eddie Vedders. Nach der Country-Tragödie „Crazy Heart" mit Jeff Bridges gelingt Regisseur Scott Cooper erneut eine eindrucksvolle Ballade des Niedergangs.

Nymphomaniac - Teil 2

Dänemark, BRD, Frankreich, Belgien, Großbritannien 2013 Regie: Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf, , Jamie Bell, Willem Dafoe 124 Min. FSK ab 16

Die Fortsetzung zum heiß beworbenen, neuen Lars von Trier beginnt mittendrin und mit einem Schock: Die verwundete Joe (Charlotte Gainsbourg), die titelgebende Nymphomanin, erzählt ihrem Retter Seligman (Stellan Skarsgård), wie sie während der recht braven Beziehung mit Kind zu ihrer alten Liebe Jerôme (Shia LaBeouf) die Fähigkeit zum Orgasmus verlor. Damit verlöre der Film irgendwo im fünften von acht Kapiteln seinen Gegenstand, wenn es nicht längst um mehr als nur den Sex ginge. Im fortlaufenden Duett aus Joes Beichte und Seligmans kulturhistorischer und psychologischer Absolution bereisen wir mit der älteren Joe, nun von Gainsbourg selbst gespielt, auch den Bereich „des Konzepts der Religion", das ebenso interessant wie das des Sexuellen sei. Wobei Ausführungen über die Ost-Kirche und die West-Kirche mit dem Untertitel „The silent duck" vor allem in die umwerfend komische Situation eines zerstrittenen Sandwichs zwischen zwei gut gebauten Schwarzen münden. Nach einem Exkurs zum politischen korrekten oder feige verlogenem Gebrauch der Worte - der „Nazi von Trier" leckt seine Wunden - beginnt Joes S/M-Phase unter der Peitsche von K (der in „Snowpiercer" noch so sanft wirkende Jamie Bell), die wieder eine Diskussion über den frauenverachtenden Lars von Trier anfachen wird. Die Antwort gibt der Däne direkt mit dem Kapitel „The Gun" in der Joe nun als Geldeintreiberin (für Willem Dafoe, im Gegensatz zu „Auge um Auge" diesmal der Fordernde) mit sexuellen Mitteln ihre „Kunden" quält. Bis zur Rache des betrogenen Biedermannes Jerôme. Im persönlichen Kammerspiel gesteht der Literat Seligman, dass er asexuell, eine Jungfrau, unschuldig ist. Deshalb würde er auch nie über sie urteilen.

Das Urteil des Kritiker, meist eine Jungfrau auf dem Gebiet des praktischen Filmemachens, über diesen zweiten, beschnittenen Teil von „Nymphomaniac" fällt zwiespältig aus: Einzelne Szenen sind immer noch mutiger, klüger, raffinierter, provokanter, spannender als ganze andere Filme aus dem Kinoalltag. Ein kleiner, gemeiner Hinweis auf seinen „Antichrist" verweist auf die Trilogie der Depression (zusammen mit „Melancholia"), eine extrem brutale S/M-Szene wird allen Voyeuren den Spaß an wieder unverschämter Darstellung des Geschlechtlichen verderben. Doch im Gegensatz zum ersten Teil, der in einer 30 Minuten längeren Festivalfassung genossen wurde, empfindet man den sexuellen Niedergang von Joe eher als Stückwerk. So ist vor allem die feige Distribution des Kunstwerks als verstümmelter Zweiteiler mit einem Start-Abstand von mehr als einem Monat anzuklagen. Wobei noch wichtiger als ein Double Feature die integrale Version wäre, auch wenn sie fünf Stunden dauert.

Molière auf dem Fahrrad

Frankreich 2013 (Alceste á bicyclette) Regie: Philippe Le Guay mit Fabrice Luchini, Lambert Wilson, Maya Sansa 105 Min. FSK ab 0

Fabrice Luchini und Lambert Wilson, zwei außerordentliche Schauspieler, geben die Mimen, die in einer weiteren Doppelung ihr eigenes Verhältnis exakt von Molières „Menschenfeind" wiedergespiegelt finden. So einfach und überzeugend ist die Versuchsanordnung in diesem kunstfertigen Film von Philippe Le Guay („Nur für Personal!" 2010). Gauthier Valence (Lambert Wilson) ist „Docteur Morange", tragischer TV-Star, der überall freudig erkannt und im Stile von Dr. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik um Hilfe gebeten wird. Nur der Aussteiger Serge Tanneur (Fabrice Luchini) hat noch nie was von seinem ehemaligen Kollegen gesehen. Der eigenwillige Kauz zog sich nach einer Depression auf die Île de Ré zurück. Nun schlägt ihm Gauthier persönlich auf der nicht besonders sonnenverwöhnten Insel vor, endlich einen alten Traum zu verwirklichen, Molières „Menschenfeind" auf der Bühne zu spielen.

Der Frührentner Serge erbittet sich eine Woche für Proben und die Entscheidung. Da jeder die Hauptrolle des Alceste haben will, losen sie täglich aus, wer diese spricht. Zuerst unterbricht Gauthiers Handy dauernd die Leseproben, während Serge zwar ein Handy hat, aber es nicht benutzt, weil niemand die Nummer kennt. Dann zeigen sich ganz unterschiedliche Auffassungen von der Bühnenkunst. Der eine will die Alexandriner verbiegen, um das Publikum von Heute zu erreichen, der andere bezeichnet das als Diebstahl.

Das reizvolle Drama findet vor allem in der Kammer statt, nicht bei den pittoresken, titelgebenden Ausflügen mit dem Fahrrad, der vorgeschobenen Immobilien-Suche oder beim Vorsprechen einer blonden Porno-Darstellerin. Dass schließlich eine attraktive Italienerin die alten Bekannten entzweit, ist nur ein willkommener Anlass, die kurzzeitig vergessenen Unterschiede wieder auszuleben. Trotz diesem Scheitern findet der Film letztendlich eine Form, Molières einem modernen, kultur-interessierten Publikum nahe zu bringen.

1.4.14

A Long Way Down

Großbritannien 2013 Regie: Pascal Chaumeil mit Pierce Brosnan, Toni Collette, Aaron Paul, Imogen Poots, Sam Neill 96 Min. FSK: ab 6

Nick Hornby gehört zu den zuverlässigsten Stoff-Lieferanten fürs Kino: Seit der Fußball-Fan-Ode „Fever Pitch" aus dem Jahr 1996 waren „High Fidelity" (2000), „About a Boy" (2002), „Ein Mann für eine Saison" (2004) und „An Education" (2009) immer eine Bereicherung. Nur ist er mit seinem Roman „A Long Way Down" am Ende. Beziehungsweise sein vier Hauptfiguren: Am Silvesterabend haben sie alle die gleiche Idee, am Silvesterabend vom Dach das gleichen Londoner Hochhauses zu springen.

Zuerst kam der ehemalige Star-Moderator Martin Sharp (Pierce Brosnan), der über die Affäre mit einer nur vermeintlich 18-Jährigen stolperte. Er ist mit Bolzenschneider und Leiterchen gut vorbereitet auf den verständlicherweise unzugänglichen letzten Sprung. Dann die Mutter eines Pflegefalles (Toni Collette), verschlissen vom freudlosen Leben. Die leicht verrückte Jess (Imogen Poots) folgt und der Pizza-Bote JJ (Aaron Paul) liefert in luftiger Höhe selbstverständlich nicht, er erzählt von einer tödlichen Krankheit. Doch das zunehmende Gedränge am Absprungplatz nervt alle. Da bei so viel Geselligkeit die Lust am Selbstmord vergeht, ziehen sie frustriert ab, doch ein paar Zufälle bringt das Quartett in einem Krankenhaus wieder zusammen. Sie beschließen, sich bis zum Valentinstag nicht umzubringen. Das ist Nick Horny pur, diese treffende Komik-Kombination des Allzumenschlichen mit dem Absurden.

Als die Presse von diesem Pakt erfährt - auch Jess ist als Tochter eines wichtigen Politikers Futter fürs Boulevard - schweißt das die Schicksalsgemeinschaft noch mehr zusammen. Zeit, sich gegenseitig und die wahren Gründe der Verzweiflung kennenzulernen. Doch dann scheitert die Übername der Deutungshoheit in einer Live-Sendung, es bleibt nur noch Teneriffa als Flucht.

Da ist jedoch schon alle Hoffnung verflogen - Hoffnung auf noch einen guten Nick Hornby. Die auf Anhieb sich liebevoll umsorgende Truppe wurde von Drehbuch und Inszenierung weitgehend im Stich gelassen. Selbst die hervorragende Besetzung kann den oberflächlich gezeichneten Figuren nicht viel abgewinnen. Die zahlreichen guten Gags zwischen schwarzem Humor und treffender Menschlichkeit stehen recht einsam inmitten der schwachen Inszenierung von Pascal Chaumeil („Der Auftragslover"). So wirkt „A Long Way Down" bis zum erschreckend amateurhaft angepappten Ende wie ein Hornby-Plagiat.

Snowpiercer

Südkorea, USA, Frankreich, Tschechien 2013 (Seolgungnyeolcha / Le Transperceneige) Regie: Bong Joon-ho mit Chris Evans, Jamie Bell, John Hurt, Ed Harris, Tilda Swinton, Song Kang-ho, Ko Asung 126 Min. FSK: ab 16

Eine rasend ratternde Arche fährt die letzten Überlebenden der Menschheit in gar nicht so ferner Zukunft durch eine tiefgefrorene Welt. Der Snowpiercer ist Wunderzug und Gefängnis, Paradies und Gulag - je nachdem, was für eine Klasse man damals beim Untergang gelöst hat. Hinten im Slum hausen die Menschen in Lumpen und essen Glibber-Barren, die das Militär von vorne zusammen mit Drangsalierungen austeilt. Doch der genaue Blick auf die Verriegelungen zum nächsten Waggon und geheimnisvolle Nachrichten wecken in Curtis (Chris Evans) die Hoffnung auf eine Revolution der Klassen-Verhältnisse. „Wenn wir die Maschine kontrollieren, kontrollieren wir die ganze Welt." Denn ganz vorne thront der legendäre Erfinder und Zug-Führer Wilford (Ed Harris).

Es ist horrend und absurd wie degenerierte Vertreter der Elite (Tilda Swinton als Minister Mason), die Elenden für einen Schuhwurf bestrafen und in alter (Kirchen-) Tradition Gehorsam predigen. Der Aufstand ist ein Aufschrei der Vernunft und die erste grandiose Action-Szene. Mit Hilfe eines Schlossknackers und seiner hellseherischen Tochter (Song Kang-ho und Ko Asung waren auch schon in Bong Joon-hos „The Host") erobern Curtis und seine Gefährten ein Abteil nach dem anderen. Dabei birgt nicht nur jeder Wagen eine große Überraschung, es ist auch immer ein anderer Filmstil damit verbunden. Auf dem Weg an die (Zug-) Spitze, von monochrom zu ekstatisch farbig, gibt es einen Zoo, Badelandschaften, ein irres Schulabteil zum Zwecke der Gehirnwäsche, unvorstellbare Luxus-Welten, eine Orangerie mit Bach und ein riesiges Aquarium samt Sushi-Bar. Aber auch eine beil-harte Reminiszenz an den koreanischen Klassiker „Old Man".

Das D-Zug-Epos „Snowpiercer" basiert auf der Grahic Novel „Le Transperceneige" („Schneekreuzer") von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Lean-Marc Rochette. Er beginnt klaustrophobisch wie „Das Boot", dann erlauben Fenster den Blick in eine bizarre Winterlandschaft und auch in einer langgezogenen Kurve ein aberwitziges Schussduell. Der vor allem im hinteren Teil überfüllte Zug erweist sich als ein Trip voll überbordender Ideen: Die Gesellschaftsparabel in Form eines rasenden Science Fiction ist spannend, witzig, bedrückend und brillant actionreich. Am Ende wird das Action-Publikum jedoch aussteigen, wenn das große, distopische Spektakel gänzlich von einer verblüffend vielseitigen Parabel gekapert wird. Die Zug-Klassen zitieren nicht nur „Brazil" (John Hurt als der alte, weise „Gilliam") und andere verstörende Zukunftsvisionen. Ganz aktuell wirkt der „Snowpiercer" auch als eingängiges Bild für all die angeblich alternativlosen Wirtschafts-, Politik-, Banken- oder Energie-Systeme, aus denen kein Ausstieg möglich sein soll. Letztendlich, nach einem wirklich gewaltigen Crash gibt es doch Hoffnung, in der (sozialen) Kälte überleben zu können.

Der großartige, süd-koreanische Regisseur Bong Joon-ho verbindet erneut vereinzelte Genre-Fragmente mit mutigen, raffinierten, intelligenten, großen wie großartigen Ideen zu einer einzigartigen, ästhetisch brillanten Vision, zu unvergleichlicher Atmosphäre, zu einem Meisterwerk. So wie „Mother" 2009 gleichzeitig Psycho-Horror und Satire, wie „The Host" 2006 Horror und Parodie war, ist auch „Snowpiercer" verblüffend vielseitig. In seiner ersten ausländischen Produktion gelingt es Bong Joon-ho, die internationale Besetzung seines Zuges nach Nirgendwo zu einer Einheit zusammenzusperren, die auf engstem Raum weite Ausblicke und Gedanken ermöglicht.