24.2.14

Philomena

Großbritannien, Frankreich, USA 2013 Regie: Stephen Frears mit Judi Dench , Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell Martin 98 Min. FSK: ab 6

Wie jungen Frauen in streng katholischen Klostern während der fünfziger Jahre ihre unehelichen Kinder nach furchtbaren Geburten geraubt wurden, hat Peter Mullan in „Die unbarmherzigen Schwestern" eindrucksvoll angeklagt. Nach dem 2009 erschienenen Buch „The Lost Child of Philomena Lee" („Philomena: Eine Mutter sucht ihren Sohn") des Journalisten Martin Sixsmith erzählt Stephen Frears die gleiche Geschichte ganz anders. In einer Mischung aus Rührung und Humor sowie mit anderen reizenden Gegensätzen erinnert „Philomena" im Grundkonflikt gar an den Oscar-Favoriten „Broken Circle".

Martin Sixsmith (Ko-Autor und -Produzent Steve Coogan) ist auch noch seinem Rausschmiss beim BBC noch ein arrogantes, eingebildetes Ekel. So ist es nur finanzielle Not, die ihn zum Treffen mit der alten irische Krankenschwester Philomena Lee (Judi Dench) bringt. Über die Geschichte des entwendeten Kindes soll er für ein verachtetes Boulevard-Magazin eine Story schreiben, die so richtig schön menschelt. Es ist wunderbar, wie sich Sixsmith und Philomena beim ersten Treffen überhaupt nicht verstehen. Ihr Humor ist ebenso weit von einander entfernt wie Herkunft und Bildung. Die alte Frau ist einfach und gradheraus. Der Reporter immer ironisch und in Anspielungen schwer verständlich. Während der Atheist sich um die Frage nach der Existenz Gottes windet, kann sie einfach Ja sagen.

Nun bringt die Suche nach dem Verbleib ihres Sohnes Anthony die beiden nicht nur zum Kloster nach Irland mit einer nicht sehr auskunftsfreudigen Kirchenleitung, sondern auch gleich in die USA, wohin die Nonnen häufig Kinder verkauften. Eingeflochten in herzzerreißende Rückblenden erfahren wir von den entsetzlichen Ereignissen: Wie Philomena für eine brutal durchgeführte Geburt und das Wegnehmen des Kindes noch vier Jahre lang unter dem Regime der Nonnen arbeiten musste. Dabei durfte sie das Kind eine Stunde pro Tag in der Mittagspause sehen. Bis wieder so eine luxuriöse Limousine vorfährt und Anthony gegen den Willen der Mutter adoptiert wird. All dies macht die Wut von Sixsmith auf die katholische Kirche noch größer, während die so furchtbar gequälte Frau weiterhin meint, sie hätte ja auch Schuld auf sich geladen mit dem vorehelichen Sex - der ihr allerdings auch ziemlich gut gefallen hat. Die bescheidene, zurückhaltende Frau, aus der immer wieder große Emotionen hervorbrechen, glaubt immer noch an das Gute in ihren Peinigern, in der Kirche und in den Menschen. Im Gegensatz zum grummeligen Zyniker Sixsmith.

„Philomena" ist ein Film ganz im Geiste seiner Hauptfigur: Still, unaufdringlich und auf unprätentiöse Weise einnehmend. Seine Geschichte mit dieser Konfrontation zweier grundverschiedener Menschen ist an sich schon packend genug, doch „Philomena" packt einen bei immer neuen Wendungen an ganz anderen Stellen. (Steve Coogan und Jeff Pope erhielt 2013 in Venedig den Preis für das Beste Drehbuch.) Was den tollen Film und die Rolle von Judi Dench („James Bond 007 – Skyfall", „Shakespeare in Love") so besonders machen, sind kleine Überraschungen, ist das Phänomen Philomena: Als eine ehemalige Mitarbeiterin Anthonys erzählt, dass dieser schwul war, reagiert die einfache, recht konservative Philomena überhaupt nicht und schon gar nicht schockiert. Später erklärt sie, dass sie es schon wusste, als Anthony vier Jahre alt war. Regisseur Stephen Frears ("Die Queen", „High Fidelity", „Gefährliche Liebschaften", „Mein wunderbarer Waschsalon") erzählt mit weniger sozialer Wut als Mullan in „Die unbarmherzigen Schwestern", es gibt auch nette Schwestern. Wie in „Broken Circle" stoßen verständlich wütende Haltung gegen Kirche mit ihren Verbrechen auf einen schwachen, politisch nicht ausgeformten, aber sehr menschlichen Blick. In der äußerst gelungenen Balance aus Rührung und Humor nehmen Sixsmith und Philomena ohne viel Gerede, ganz leise etwas voneinander an. Am Ende gibt es etwas weniger Wut und etwas weniger Schuld.