25.2.14

Stop Making Sense DVD

Das waren noch 35mm-Zeiten, als die Hosen weit, die Zahl der Kameras an der Bühne übersichtlich und die Einstellungen lang waren: 30 Jahre nach seiner Entstehung erscheint „Stop Making Sense" erstmals auf DVD und Blu-ray. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs spielten die legendären Talking Heads 1984 ein umjubeltes Konzert im Pantage Theatre in Los Angeles. In einer immer noch unübertroffenen Live Performance inszeniert Regisseur Jonathan Demme die New Yorker Band und ihren Frontmann David Byrne, einem Multitalent, Vordenker und Ausnahme-Künstler. Dieser Höhepunkt der Musikgeschichte ist erstmals digital remastered erhältlich! Neben den Hits wie „Psycho Killer", „Burning Down the House" und „Once in a Lifetime" enthält die „30th Anniversary Edition" als Bonusmaterial den Audiokommentar von Band und Regisseur, „David Byrne interviewt sich selbst", eine Pressekonferenz (alles mit deutschen Untertiteln) sowie Bonus Songs.

Die Inszenierung ist bewusst zurückhaltend, dabei keineswegs altmodisch: Während der ersten Lieder werden Band und Bühne „aufgebaut". Immerhin macht es Meisterregisseur Jonathan Demme („Das Schweigen der Lämmer") heutzutage etwa mit Neil Young („Neil Young Journeys", 2011) noch genauso übersichtlich.

Viva la Libertà

Italien 2013 Regie: Roberto Andò mit Toni Servillo, Valerio Mastandrea, Valeria Bruni Tedeschi, Anna Bonaiuto 96 Min. FSK: ab 0

Toni Servillo ist aktuell der eindrucksvollste Schauspieler Italiens. Falls „La Grande Bellezza" einen Oscar bekommt, dann nur wegen ihm. Wie gut er ist, zeigt die Polit-Satire „Viva la Libertà", in dem er eine Doppelrolle als müder Politiker und dessen verrückten Bruder spielt. Roberto Andò brachte seinen eigenen Roman gekonnt auf die Leinwand.

Enrico Oliveri (Toni Servillo) ist ein linker Muster-Politiker: Müde und abgestumpft schafft er es kaum noch, seine große Oppositionspartei zur nächsten Niederlage zu führen. Eines Morgens verschwindet Enrico. Die Partei, vor alle Oliveris rechte Hand Andrea Bottini (Valerio Mastandrea), ist führerlos panisch. Doch da gibt es ja noch den unbekannten Bruder, der in einer Nervenheilanstalt lebt. Giovanni Oliveri erweist sich als ideales Body-Double: Schon das erste Interview, in dem er die Politikerkaste als verlogen, faul und korrupt bezeichnet, ist ein Hit in den Medien. Bald lieben ihn alle, sogar die Frau von Enrico. Wie alle Populisten hat er einfache Wahrheiten parat, aber was ihn unterscheidet, ist eine fundierte humanistische Bildung. Zwischendurch ist er jedoch auch schön schräg, wenn er durch seinen Amtssitz schleicht und mit witzigen Schritten, den Linien am Boden folgt. Er singt auch schon mal unvermittelt am Konferenztisch und verlässt die Sitzung, während seine Parteibosse Antworten von ihm erwarten.

Derweil besucht Enrico in Paris seine alte Liebe Danielle (Sarkozy-Schwägerin Valeria Bruni Tedeschi!) und lebt in einer vergessenen Filmleidenschaft auf. Schnell wird er zum Ausstatter bei einem aktuellen Dreh, gewinnt das Herz von Danielles kleiner Tochter und lässt sich von einer jungen Regie-Assistentin verführen. Kurz danach steigt sogar seine alte Liebe mit kalten Füßen zu ihm ins Bett.

Partei und Politik in der Hand eines Verrückten - da passt nicht nur zu Italien. Die neue Hoffnung begeistert Volksmengen, verändert Menschen in seiner Umgebung. Ein Führer mit schönen, oft kryptischen Worten, der allerdings nie Konkretes sagt. Dafür spielt er Verstecken mit Präsidenten der Republik und beim Treffen mit Merkel legt er einen Tango aufs diplomatische Parkett.

Es kommt in „Viva la Libertà" nicht so sehr darauf an, den Polit-Betrieb in allen Details immer wieder bloßzulegen und so zu analysieren. Anders als Nanni Morettis „Der Italiener" (2006). So ähnelt dieser andere Italiener eher dem „Bob Roberts" von Tom Robbins, in dem ein rechter, korrupter Folksänger zum großen Kandidaten wird.

Roberto Andò gelingt die Verfilmung seines eigenen Romans mit Hilfe edelsten Schauspiels. Valeria Bruni Tedeschi steht für die leisen Töne neben Toni Servillo. Aber auch er, der in „Il Divo" als Giulio Andreotti noch Vollgas gab, geht es in „Viva la Libertà" gemächlich an. Die geniale Doppelrolle kulminiert in der letzten Einstellung, die offen lässt, wer jetzt die Wahl gewinnt und Regierungschef wird: Der Narr oder der Aussteiger.

24.2.14

Philomena

Großbritannien, Frankreich, USA 2013 Regie: Stephen Frears mit Judi Dench , Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell Martin 98 Min. FSK: ab 6

Wie jungen Frauen in streng katholischen Klostern während der fünfziger Jahre ihre unehelichen Kinder nach furchtbaren Geburten geraubt wurden, hat Peter Mullan in „Die unbarmherzigen Schwestern" eindrucksvoll angeklagt. Nach dem 2009 erschienenen Buch „The Lost Child of Philomena Lee" („Philomena: Eine Mutter sucht ihren Sohn") des Journalisten Martin Sixsmith erzählt Stephen Frears die gleiche Geschichte ganz anders. In einer Mischung aus Rührung und Humor sowie mit anderen reizenden Gegensätzen erinnert „Philomena" im Grundkonflikt gar an den Oscar-Favoriten „Broken Circle".

Martin Sixsmith (Ko-Autor und -Produzent Steve Coogan) ist auch noch seinem Rausschmiss beim BBC noch ein arrogantes, eingebildetes Ekel. So ist es nur finanzielle Not, die ihn zum Treffen mit der alten irische Krankenschwester Philomena Lee (Judi Dench) bringt. Über die Geschichte des entwendeten Kindes soll er für ein verachtetes Boulevard-Magazin eine Story schreiben, die so richtig schön menschelt. Es ist wunderbar, wie sich Sixsmith und Philomena beim ersten Treffen überhaupt nicht verstehen. Ihr Humor ist ebenso weit von einander entfernt wie Herkunft und Bildung. Die alte Frau ist einfach und gradheraus. Der Reporter immer ironisch und in Anspielungen schwer verständlich. Während der Atheist sich um die Frage nach der Existenz Gottes windet, kann sie einfach Ja sagen.

Nun bringt die Suche nach dem Verbleib ihres Sohnes Anthony die beiden nicht nur zum Kloster nach Irland mit einer nicht sehr auskunftsfreudigen Kirchenleitung, sondern auch gleich in die USA, wohin die Nonnen häufig Kinder verkauften. Eingeflochten in herzzerreißende Rückblenden erfahren wir von den entsetzlichen Ereignissen: Wie Philomena für eine brutal durchgeführte Geburt und das Wegnehmen des Kindes noch vier Jahre lang unter dem Regime der Nonnen arbeiten musste. Dabei durfte sie das Kind eine Stunde pro Tag in der Mittagspause sehen. Bis wieder so eine luxuriöse Limousine vorfährt und Anthony gegen den Willen der Mutter adoptiert wird. All dies macht die Wut von Sixsmith auf die katholische Kirche noch größer, während die so furchtbar gequälte Frau weiterhin meint, sie hätte ja auch Schuld auf sich geladen mit dem vorehelichen Sex - der ihr allerdings auch ziemlich gut gefallen hat. Die bescheidene, zurückhaltende Frau, aus der immer wieder große Emotionen hervorbrechen, glaubt immer noch an das Gute in ihren Peinigern, in der Kirche und in den Menschen. Im Gegensatz zum grummeligen Zyniker Sixsmith.

„Philomena" ist ein Film ganz im Geiste seiner Hauptfigur: Still, unaufdringlich und auf unprätentiöse Weise einnehmend. Seine Geschichte mit dieser Konfrontation zweier grundverschiedener Menschen ist an sich schon packend genug, doch „Philomena" packt einen bei immer neuen Wendungen an ganz anderen Stellen. (Steve Coogan und Jeff Pope erhielt 2013 in Venedig den Preis für das Beste Drehbuch.) Was den tollen Film und die Rolle von Judi Dench („James Bond 007 – Skyfall", „Shakespeare in Love") so besonders machen, sind kleine Überraschungen, ist das Phänomen Philomena: Als eine ehemalige Mitarbeiterin Anthonys erzählt, dass dieser schwul war, reagiert die einfache, recht konservative Philomena überhaupt nicht und schon gar nicht schockiert. Später erklärt sie, dass sie es schon wusste, als Anthony vier Jahre alt war. Regisseur Stephen Frears ("Die Queen", „High Fidelity", „Gefährliche Liebschaften", „Mein wunderbarer Waschsalon") erzählt mit weniger sozialer Wut als Mullan in „Die unbarmherzigen Schwestern", es gibt auch nette Schwestern. Wie in „Broken Circle" stoßen verständlich wütende Haltung gegen Kirche mit ihren Verbrechen auf einen schwachen, politisch nicht ausgeformten, aber sehr menschlichen Blick. In der äußerst gelungenen Balance aus Rührung und Humor nehmen Sixsmith und Philomena ohne viel Gerede, ganz leise etwas voneinander an. Am Ende gibt es etwas weniger Wut und etwas weniger Schuld.

Jack Ryan: Shadow Recruit

USA, Russland 2014 (Jack Ryan: Shadow Recruit) Regie: Kenneth Branagh mit Chris Pine, Keira Knightley, Kevin Costner, Kenneth Branagh 105 Min. FSK ab 12

Wenn die Hintergründe spannender sind als der eigentliche Film, ist das nicht ideal - besonders bei einem Thriller. Nach zwölf Jahren gibt es wieder einen Film mit der Tom Clancy-Figur Jack Ryan. Ist dies nun ein Comeback, ein Remake oder nur Etikettenschwindel? Von allem etwas, denn wohlgemerkt gab es als Vorlage keinen Roman von Tom Clancy. „Jack Ryan: Shadow Recruit" entstand nach Motiven des Autors. Allerdings mit Hilfe von Star-Schreiber David Koepp (zuletzt „Indiana Jones IV").

Und um es noch spannender, oder komplexer zu machen: Der CIA-Agent Jack Ryan wird zwar vor und während seines ersten Falls gezeigt, doch zeitgeschichtlich spielt sich alles eindeutig nach seinen bisherigen Auftritten ab. Aber da nach Ben Affleck („Der Anschlag"), Harrison Ford („Die Stunde des Patrioten" und „Das Kartell") und Alec Baldwin („Jagd auf Roter Oktober") nun mit Chris Pine der junge Captain Kirk die Titel-Rolle übernimmt, wird all diese Verwirrung dank Zeitmaschine ganz übersichtlich.

Der russische Oligarch Viktor Cherevin (Kenneth Branagh) plant einen Terroranschlag auf die amerikanische Wirtschaft, den er so sicher im Kino gesehen hat. CIA-Offizier William Harper (Kevin Costner, sehr gelassen und eindrucksvoll) schickt Jack Ryan (Chris Pine) nach Moskau, denn der Ex-Soldat arbeitet Undercover-Agent an der Wall Street. Zwar will Ryan nach einem Afghanistan-Abschuss nie mehr vom Schreibtisch-Job als Analyst weg. Doch scheinbar hat er besondere Qualitäten, er kann beispielsweise ein achtstelliges Passwort fehlerfrei eingeben.

Probleme macht zuerst ein Auftragsmörder und dann Ryans Freundin Cathy (Keira Knightley) mit ganz banaler Eifersucht. Wie sie ihm hinterher reist und ihn dann glücklich umarmt, weil er keine Geliebte hat, sondern nur bei der CIA ist, hat Komödien-Qualitäten. Dass sie dann in einer äußerst geschickt gespielten Aktion Cherevin beim Abendessen beschäftigt, während Ryan gegenüber umständlich in ein Gebäude und einen Computer einbricht, belastet die Glaubwürdigkeit stark. Ist der Agentenjob so banal, dass Quereinsteiger ohne Vorbereitung mitmachen können?

Scheinbar, denn auch beim Rest macht Ryan nicht viel Eindruck. Recht wenige Spannungs- und Action-Momente sind über den Film verteilt, das Niveau ist eher unterdurchschnittlich. Am besten kommt der Film noch weg, wenn er eine lange Verfolgungsjagd durch die Straßen Moskaus mit intensivem Kammerspiel kombiniert, bei dem die schöne Cathy vom biestigen Oligarchen bedroht wird. Schauspieler Branagh will den skrupellosen und tragischen Kulturmenschen geben, war aber früher bei den Klassikern um Welten besser. Wenn man unter einem Klassiker nicht eine Figur von Tom Clancy, sondern eher einen Stoff von Shakespeare versteht.

James T. Kirk-Darsteller Chris Pine tut beim ersten Mord Ryan, den der nicht in Soldaten-Uniform begeht, kurz so schockiert, wie es ein richtiger Mensch sein sollte. Doch später bekommt er selbstverständlich wieder Superman- und Super-Agenten-Eigenschaften, wenn es mit dem Moped erneut auf Verfolgungsjagd - diesmal in den Straßen New Yorks - geht. Da übersteht er einen Auffahrunfall ohne Helm oder Kratzer, um sich darauf munter mit einem erfahrenen Berufskiller zu prügeln, während die übliche Bombe tickt.

Zudem ist das Timing äußerst ungeschickt: Ein Krimi über böse Russen kann nach dieser Olympiade und den anderen unfassbaren Verbrechen an der Demokratie kaum noch beeindrucken. Die alten Bösen und fiktionale Wirtschafts- und Börsen-Betrügereien, die gegenüber der realen Abzocke realer Banken reine Portokassen-Nummern sind, reißen genau so wenig vom Stuhl wie dieser altmodische Agent mit jungem Gesicht.

19.2.14

Killing Time - Zeit zu sterben

Rumänien 2012 Regie: Florin Piersic jr. mit Cristian Gutau, Florin Piersic jr., Olimpia Melinte 107 Min. FSK: ab 16

Mit Souveränität und nur leicht zitternder Hand an der Zigarette erkundigt sich ein alter Mann in Großaufnahme nach dem Wohlergehen seines unsichtbaren Gegenübers, den er schon als Kind kannte. Fünf Minuten dauert dieser Monolog, dann fährt die Kamera wackelig um den Mann herum zum Zuhörer mit schlecht sitzenden Anzug und zotteligen Haaren. Noch ein paar Sätze und der Alte wird erschossen, obwohl er nicht weiß, was er dem Boss Gambone getan haben soll. Solche Szenen kennt man als retardierendes Element aus vielen Krimis. Hier stellen sie völlig losgelöst den einzigen Inhalt dar. Der ganz blöde Killer und der stille, nachdenkliche Killer unterhalten sich über Belanglosigkeiten wie die Länge des Genitals von Batman während sie auf ein Opfer warten. Mit Zeiteinblendungen vergeht der Tag, nur die langen Filmminuten ziehen sich wie Blei, das im Film selbst nur selten fliegt. Am Ende eines langen Tages erschießt der eine Killer den anderen. „Killing Time" ist ein Kammerspiel mit langen, sehr langen Dialogen und starren Einstellungen. Es wirkt wie ein schlechter Scherz von der Filmhochschule. Selbst unter den unangenehmen Methoden, Zeit totzuschlagen, sind die meisten anderen attraktiver.
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18.2.14

Nymphomaniac - Teil 1

Dänemark, BRD, Frankreich, Belgien, Großbritannien 2013 Regie: Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater 118 Min.

An einem kalten Winterabend findet der ältere Junggeselle Seligman (Stellan Skarsgård) eine zusammengeschlagene Frau (Charlotte Gainsbourg) in einem Labyrinth aus Gängen und Ziegelwänden vor seinem Haus. Er nimmt sie mit in seine Wohnung, wo er ihre Wunden versorgt und ihr ein karges Bett samt Tee anbietet. Sehr brav und keusch entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden, ein Dialog der literarisch und nicht von heute wirkt. Nach kurzem Zögern meint die Frau namens Joe, sie müsse bei ihrer Geburt anfangen, es würde auch lang und moralisch werden. „Lang ist gut", meint der Zuhörer und der Kritiker stimmt nach drei Stunden „unzensiertem" Teil 1 ein.

Seligman hört aufmerksam zu, während Joe über vier Kapitel (in Teil 1) die sehr lustvolle Geschichte ihres Lebens als Nymphomanin erzählt. Und er widerspricht immer wieder überzeugend den Selbstvorwürfen Joes, sie sei ein schlechter Mensch. Dabei geht es nicht nur um Selbstbefriedigung im Kindesalter, um jugendliche Sex-Experimente und die leichte Verführbarkeit von Männern in einem Zug. Es geht ums Leben, zu dem beispielsweise auch der Tod gehört. Ein ganzes Kapital ist dem Tod des Vaters (Christian Slater) gewidmet und da ist der wahllose Sex Joes mit dem Pflegepersonal des Krankenhauses ein sehr verzweifelter. Mehr als erotisch ist „Nymphomaniac 1" vor allem witzig und raffiniert: Seligman vergleicht das Anlocken der Männer mit seinen Erfahrungen beim Fliegenfischen, fügt erstaunlich passende Exkurse zu Bachs Kompositionskunst und zur Fibonacci-Reihe hinzu.

Lars von Trier ist mit „Nymphomaniac" wieder mit voller Wucht zurück. Einem rätselhaften Geräusch ohne Bild folgt gleich zu Anfang die in Stille liegende Verwundete, bevor ein Lied von Rammstein ohrenbetäubend hereinbricht. Das ist nicht die Bildpracht von „Melancholia", aber wieso sollte Lars von Trier das Filmemachen verlernt haben, bloß weil „Nymphomaniac" als Porno werbewirksam skandalisiert wurde? Dabei achtete man bei der Produktion sehr wohl auf die Grenze zwischen E- und P-Kultur: Porno-Double wurden für die expliziten Sex-Szenen eingesetzt und ein künstlicher Schambereich musste in stundenlanger Arbeit der exzellent aufspielenden jungen Joe (Stacy Martin) „aufgeschminkt" werden, ohne dass man etwas davon bemerkt. Wer die Filme des Dänen liebt oder schätzt, erkennt in den ersten Minuten den Meister: Hier fließt „Wasser, Wasser überall", wie 1984 im Erstling „Element of Crime" der Detektiv Fisher bemerkte. (Und ist nicht Seligman hier nicht ganz Fischer, aber zumindest Angler?) Die Wände überall um die blutig am Boden liegende Joe, sind künstliche Kulisse wie in „Dogville" und „Manderlay". Das Verzweifeln am Bett des sterbenden Vaters, das im Sex mit Krankenpflegern Erlösung sucht, ähnelt dem hilflosen Suchen nach Erlösung von Emily Watson in „Braking the Waves". Die Frage, ob etwas Schlechtes in dieser Frau steckt, stellte sich schon im „Antichrist".

Nach vier von acht Kapiteln ist es für eine komplette Filmbewertung viel zu früh. Zu viele Fragen sind noch offen: Werden wir die Elemente B-A-C-H in der zweiten Hälfte im April wiederentdecken? Bleibt das Verhältnis zwischen Joe und Seligman distanziert? Wie wurde Joe verletzt? Begeisterung, Faszination und eine große Neugierde lässt sich auf jeden Fall schon konstatieren.
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17.2.14

Stromberg - Der Film

BRD 2013 Regie: Arne Feldhusen mit Christoph Maria Herbst, Bjarne Mädel, Oliver K. Wnuk, Diana Staehly, Milena Dreißig 100 Min.

Mit längerem Atem und eindrucksvoller Unterstützung durch Fans via Crowdfunding hat nun auch „Stromberg" den Sprung von der TV-Komik auf die große Leinwand gewagt. Das scheitert meistens, aber diesmal ist es besonders tragisch - trifft es doch einen der Besten. Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) ist ein Ekel. Dass jedoch er seine Fangemeinde mit breit gewalzter Langeweile brüskiert, hätte ihm niemand zugetraut.

Schräge Heimmusik mit Ernie Heisterkamp (Bjarne Mädel) als Dirigenten macht schmerzlich klar: Die Capitol-Versicherung feiert bald 50-Jahr-Jubiläumsfeier irgendwo im Landhotel. Da macht Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) selbstverständlich nicht mit und sich dadurch nicht nur wiedermal Ernie zum Feind. Als der selbstgefällige, egozentrische Ober-Mobber Stromberg jedoch ausgerechnet von einem erfolglos niedergequatschten Hausmeister erfährt, dass die Capitol-Filiale in Köln dichtgemacht wird, muss auch „der Papa" zum Firmen-Fest, um sich für einen Job in der Zentrale einzuschleimen. Schon die fidele Busfahrt mit „Happy Tours" wird zur Katastrophe dank übernächtigtem Busfahrer, überfülltem Klo und übermäßig engagiertem Ernie. Im typischen Tagungshotel gibt dann der Widerling der Nation richtig Gas: Stromberg trifft alle sexistischen, rassistischen und sonstigen Fettnäpfen auf Anhieb. Doch sein unverschämtes und ordinäres Video ist im Gegensatz zur selbstgefälligen Präsentation einer ehemaligen Vorgesetzten der Knaller im Saal. Das nicht „political" oder sonst wie korrekte Verhalten verschafft ihm einen Freifahrtschein zur Vorstands-Orgie im Edelpuff. Doch da ist ja noch Kollegin „Schirmchen", mit der endlich mal was laufen könnte. In einer atemberaubenden Wende wird der unmöglichste aller Vorgesetzen zum weltweit gefeierten Gewerkschafts-Kämpfer, bekommt sogar einen Job bei der SPD und 'nen warmen Händedruck von Steinmeier. Doch für den Film ist es da schon viel zu spät - man hat sich über eine Stunde lang so gelangweilt, wie nie zuvor in fünf Staffeln Fernseh-Stromberg.

Beim Wiedersehen mit „Stromberg" nach fünf TV-Staffeln dürfen alle Figuren ihre festgelegten Rollen in der eher mühsamen Vorstellung der Abteilung fortschreiben: Ernie, der mittlerweile Bluetooth-Headset und eigenes Büro hat, macht sich mit abstoßender Gutmütigkeit zum Deppen. „Schirmchen" Jennifer Schirrmann (Milena Dreißig) schwankt weiter zwischen niedlicher Naivität und weinerlicher Traurigkeit, zwischen Anziehung und Ablehnung von Stromberg. Sie sondert selten mal gute Sätze ab, wie: „Männer sind auch nur so was wie Facebook, wo alle sagen, musste machen. Aber was hast du denn am Ende davon? Am Ende sitzt du doch alleine da." Ulf und Tanja (Oliver K. Wnuk, Diana Staehly) treten mit ihren Streitereien etwas in den Hintergrund für ihren probeweisen Pflegesohn Marvin (Max Kluge), der praktisch den ganzen Film mit Penis-Bildchen vollkrickelt.

Das Ganze ist wieder wie eine Reality-Dokumentation inszeniert, vor allem Stromberg kommentiert mit seinem Schnapp-Lachen eifrig in die Kamera hinein. Das funktioniert als Stimmungskanone beim zähen Betriebsfest, aber nicht als Spielfilm im Kino. Die Bissigkeit des Serienfolgen erreicht das große Format fast nie, nur mal wenn im Hintergrund die Titelmelodie zu „Jenseits von Afrika" läuft und jemand ins Besprechungszimmer souffliert, wie vieler Toter des Betriebsjahres noch gedacht wird. Selbstverständlich ist das Vorstandsfest mit Prostituierten aus dem wahren Geschäftsleben bekannt als „Sex-Skandal" der Ergo-Versicherung. Und auch deswegen nicht besonders provokativ. So bleibt am Schluss nur die Wende Strombergs bemerkenswert und die Entdeckung eines romantischen Herzens. Oder eines Herzes überhaupt. Doch gerade mit der einzig originellen Idee des Films schießt „Stromberg" sich versicherungstechnisch nicht erstattungsfähig selbst ins Knie: Wer will einen verliebtes Ekel als Gewerkschafts-Ikone sehen?

Monuments Men - Ungewöhnliche Helden

USA/Deutschland, 2014 (The Monuments Men) Regie: George Clooney mit George Clooney, Matt Damon, Bill Murray, John Goodman, Jean Dujardin, Cate Blanchett, Bob Balaban, Hugh Bonneville 118 Min.

„Ist ein Kunstwerk ein Menschenleben wert?" So lautet die Kernfrage von „Monuments Men". Regisseur und Produzent George Clooney trägt diese Frage in seinem fünften Film in seiner (Haupt-) Rolle als Lieutenant Frank Stokes dem US-Präsidenten Roosevelt vor und malt den drohenden Verlust europäischer Kunstschätze im vermeintlich schon gewonnenen Krieg gegen Deutschland aus. „Wer kümmert sich darum, dass die Mona Lisa noch lächelt?" Zum Erhalt unseres kulturellen Erbes sammelt der biedere Indiana Jones darauf er ein paar Künstler und Kunsthistoriker-Kumpels ein, die im Schnelldurchlauf zu Soldaten gemacht werden. Diese eher komische, weil für Krieg ungeeignete Truppe landet mit der Nachhut in der Normandie, um von dort der Front folgend den gigantischen Kunstraub unter Reichsmarschall Göring aufzudecken. Vor allen das Genter Altarbild und die Brügger Madonna von Michelangelo liegen der Gang besonders am Herzen. James Granger (Matt Damon) gewinnt im bereits befreiten Paris trotz schlechtem Französisch das Vertrauen der Einheimischen Claure Simone (Cate Blanchett), die sowohl mit den deutschen Kunsträubern als auch mit dem Widerstand zusammengearbeitet hat. Der Architekt Richard Campbell (Bill Murray) und der Bildhauer Walter Garfield (John Goodman) geraten mit ihren Kameraden Jean Claude Clermont (Jean Dujardin) und Preston Savitz (Bob Balaban) doch noch in den Ardennen, in Aachen und Siegen zwischen die Fronten. Letztlich werden zehntausende, in Bergwerken versteckte Kunstwerke vor der Vernichtung bewahrt. Allerdings fordert dieser so ähnlich tatsächlich stattgefundene Einsatz auch Menschenleben.

Von Anfang an versucht George Clooney, seinem oft komödiantischen Kriegs-Abenteuer „Monuments Men" die Unbeschwertheit von Hollywoodfilmen der Fünfziger zu geben. So wie seine Truppe Kunstwerke rettet, versucht er selbst wieder, alte Film-Stile auszugraben. Das misslingt diesmal jedoch, weil es der Film nicht konsequent durchhält. Ebenso bekommt die starke Schauspielertruppe um Clooney teilweise recht wenig Substanz für ihre Figuren. Nur von Murrays Architekten erfahren wir in einem sentimentalen Moment etwas Persönliches. Und der mit dem Drama des Alkoholismus ausgestattete Brite Donald (Hugh Bonneville), der sich für die Brügger Madonna opfert, ist ausgerechnet als Toter eine besonders intensive Figur.

Letztlich wird die Attraktivität der Besetzung und die Einzigartigkeit der wahren Geschichte genügend Interesse wecken. Zudem bleibt das Thema Kunstraub nicht allein durch den Münchener Fund aktuell. Hier wird das Ausmaß des organisierten Nazi-Raubzuges nur angedeutet, wenn in einer rührenden Szene Matt Damon ein gerettetes Bild in einer verlassenen und zerstörten jüdischen Wohnung wieder aufhängt, oder wenn unter Tonnen von Goldbarren auch ein Fass mit Zahngold entdeckt wird. Allerdings hat der Regisseur, der mit „Confessions of a Dangerous Mind" (2002), „Good Night, and Good Luck" (2008) und „The Ides of March (Tage des Verrats)" (2011) drei exzellente Filme hingelegt hat, hier die zugegeben hohen Erwartungen enttäuscht.

Kartenverlosung für NYMPH( )MANIAC Preview

Am Tag vor dem Kinostart des ersten Teils von NYMPH( )MANIAC am 20. Februar wird es als besonderes Ereignis in Aachen am Mittwoch 19. Februar 2014 um 19:30 Uhr im Apollo Filmtheater eine exklusive Publikums-Preview mit beiden Teilen des Films geben.

Filmtabs verlost 3x2 Karten für das sexy Double-Feature.

Bitte email an leserbrief@jekubzik.de

11.2.14

Das finstere Tal

Österreich, BRD 2013 Regie: Andreas Prochaska mit Sam Riley, Paula Beer, Tobias Moretti, Clemens Schick, Hans-Michael Rehberg 115 Min, FSK: ab 12

„Das finstere Tal" ist ein düsterer und starker Alpen-Western, über den man sich hellauf begeistern kann: Ein einsamer Reiter kommt Ende des 19. Jahrhunderts nach langem Ritt in ein sehr abgelegenes Bergdorf voller finsterer Gestalten. Die Wortführer wollen ihn sofort wieder wegschicken, doch unter dem Vorwand, er wolle die Berge mit diesem modernen Apparat auf Bilder bannen, und mit Nachdruck vieler Geldstücke darf Greider (Sam Riley) bleiben. Auch den Winter über, wenn keiner das eingeschneite Tal verlassen kann. Schnell wird klar, dass hier der Brenner-Bauer (Michael Rehberg) mit seinen sechs Söhnen alle anderen terrorisiert. Besonders die junge, verliebte Tochter von Greiders Gastwirtin bebt vor Angst, angesichts dessen, was nach ihrer erzwungenen Hochzeit passieren wird. Doch Greider hat nicht nur Fotoapparat sondern auch ein modernes Repetier-Gewehr dabei und rächt sich an den Brennern und ihren Mitläufern...

Mit großartiger Landschaft, einer exzellenten Inszenierung und drei außergewöhnlichen Darstellern in den Hauptrollen beeindruckt dieser Austria-Western sehr. Ein Rachefilm mit Pferde und Gewehren im Tiefschnee ist etwas besonderes, auch wenn das Racheschema nicht ganz neu erscheint. Die wohl in der gleichnamigen Vorlage von Thomas Willmann ausführlich geschilderten Vergewaltigungen lässt der Film weg. Das Grauen und die Angst angesichts des barbarischen Rituals der „ersten Nacht" sind trotzdem spürbar. Sam Riley wirkt unter seiner Hutkrempe manchmal wie der junge DiCaprio, bevor er dann mit klirrenden Sporen dem nächsten Brenner auflauert. Tobias Moretti, der einzige der Terror-Familie ohne debilem Blick, macht schon allein wegen der stahlblau leuchtenden Augen viel her und Paula Beer als verliebte junge Luzi und Erzählerin ist eine Entdeckung. Merke: Reiten und Schießen können sie nicht nur in Hollywood und Jugoslawien.

Madame empfiehlt sich

Frankreich 2013 (Elle s'en va) Regie: Emmanuelle Bercot mit Catherine Deneuve, Nemo Schiffman, Gérard Garouste, Camille 113 Min. FSK: ab 6

Madame kümmert sich um ein Restaurant in der Bretagne und um die quengelnde Mutter im gleichen Haus. Um den Liebhaber braucht sie sich nicht mehr zu kümmern, der gab ihr den Laufpass. Mit Rufus Wainwrights „I don't know what it is" als musikalischem Rückenwind fährt Bettie, wie Madame eigentlich heißt, in einer großartigen Szene einfach weg. Vordergründig immer auf der Suche nach Zigaretten. In einer sehr rustikalen Kneipe mit ruppigen aber herzlichen Typen findet sie Kippen und einen Kerl. Im Bett von ihm wacht sie dann auch am nächsten Morgen auf. Er ist allerdings nicht nur viel zu jung, sondern auch auf lustige und besorgniserregende Weise in sie verschossen. Wie oft in diesem frischen, unkonventionellen Film gibt es dann eine überraschende Wende: Ein Anruf der alleinerziehenden Tochter setzt Madame den Enkel ins Auto, damit der bei Großvater väterlicherseits abgegeben wird. Nun nervt der Kleine und Oma zickt im großen Stil zurück. Immerhin schaffen sie es zu einem Wiedersehen mit den anderen Schönheitsköniginnen des Jahres 1969 und ins Dorf des Opas, wo noch andere Überraschungen auf sie warten...

Madame in „Madame empfiehlt sich" ist vor allem Catherine Deneuve, für die diese Rolle geschrieben wurde. Sie gibt sowohl die genervte, abgeschobene 60-Jährige wie auch die ehemalige Schönheitskönigin und die frisch Verliebte mit eindrucksvoller Verve. Spaß macht „Madame" aber auch wegen der jungen Kamera und den vielen starken Szenen. Wie die Selbstgedrehte eines sehr alten Mannes in irgendeinem Dorf dank seiner sehr dicken Finger zur Geduldsprobe wird, ist so ein filmisches Zuckerstückchen. Erst wenn der Road Trip der Seniorin im fast idyllischen Schoß einer großen Patchwork-Familie ankommt, biegt er etwas in Richtung vorhersehbarer Familienfilm ab.

10.2.14

American Hustle

USA 2013 Regie: David O. Russell mit Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jeremy Renner, Jennifer Lawrence 138 Min. FSK: ab 6

Irving Rosenfeld (Christian Bale) und Sydney Prosser (Amy Adams) sind ein klassisches Betrügerpärchen, die Kreditsuchenden ein paar Tausender abknöpfen. Bis die Betrüger selbst vom FBI reingelegt werden. Agent Richie DiMaso (Bradley Cooper) will mit ihner Hilfe ein paar größere Fische der Korruption zu überführen. Zuerst den angesehenen Bürgermeister Carmine Polito (das ist „sauber" auf italienisch!) überführen. Der engagierte Bürgermeister (Jeremy Renner mit Elvis-Locke) von Camden in New Jersey will mit nicht ganz legalen Investitionen die Spielerstadt Atlantic City aufmöbeln. Gierig greift der FBI-Mann DiMaso mit seinem Plan nicht nur Politiker an, sondern auch noch die ehrenwerte Familie, die seit jeher das Glücksspielgeschäft kontrolliert. Derweil wird aus der doppelten eine dreifache Eifersucht, weil nicht nur Edith die beiden Männer im Komplott ausspielt und an sehr kurzer erotischer Leine hält. Es gibt da noch Rosalyn (Jennifer Lawrence), die Ehefrau Irvings, die aufgrund ihrer Beschränktheit die Mafia sehr nervös macht. Hier treffen sich endgültig die Stile von Scorsese und den Coens zu einer grandiosen und gut gezeichneten Drama-Komödie.

In „American Hustle" liegen sich die Leute weniger in den Haaren, als dass sie mit ihren Haaren lügen: Schon die erste Szene zeigt, wie Irving seine seitlichen Strähnen mühsam über die Halbglatze legt und ein Haarteil anklebt. Richie, der sich sehr schön oft albern zeigt, läuft zuhause mit kleinen Lockenwicklern rum und auch Edith antwortet bei einem Telefongespräch mitten im Frisuraufbau. Nur Robert DeNiro als Oberboss der Florida-Mafia trägt seine Glatze mit Stolz. DeNiro und Mafia - das ist wirklich echt. Zum Spaß über eitle Männer und ihre Haare gesellt sich die Geschmacksnerven herausfordernde Mode der Disco-Periode. Der Film spielt schließlich Ende der 70er-Jahre.

Nach eigenem Drehbuch schickt Russell seine „Silver Linings"-Stars Bradley Cooper und Jennifer Lawrence samt Kollegen durch einen Strudel absurd-verrückter Einfälle und Explosionen. Ihm gelingen reihenweise ganz große Szenen, wenn zum Beispiel Irving und Polito im italienischen Restaurant Tom Jones' „Delilah" schmettern oder wenn das einzige Geständnis von Sydney zum großen Auftritt und zur Abrechnung wird. Diese Sydney Prosser von Amy Adams ist besonders faszinierend, wenn sie bedroht und verletzt ist. So wird sie zur Verführerin zwischen zwei Tricksern und nicht nur Irving fragt sich, welche Gefühle echt sind.

Dass nur Fälschungen alter und teuerer Meisterwerke an den Wänden hängen, ist sicher. Die ganze Echtheits-Expertise wird auf die Spitze getrieben, als Irvings vorgeblich reicher Scheich, der eigentlich in Queens Häuser isoliert, vom FBI durch einen noch falscheren falschen Scheich ersetzt wird. Doch diese Figuren, obwohl manchmal albern und herrlich lächerlich, sind in ihren emotionalen Motiven spürbar (und) echt. Darin ist „American Hustle" einmalig und deswegen so großartig.

Zu den vier Oscar-Nominierungen muss man unbedingt die Extra-Rolle der genial eingesetzten Songs würdigen: Schon die Musik allein ist von Duke Ellington zum Kennenlernen bis Bowies „Jean Genie" ein Genuss. Der falsche Scheich bekommt eine arabische Version von Jefferson Airplanes „White rabbit" (durch Mayssa Karaa) aufs Ohr. Und wenn dann Rosalyn nach ihrem Verrat mit Gummihandschuhen zu „Live and let die" (Wings) die Wohnung putzt, während Irving eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt bekommt, weiß man, dies wird ein Klassiker.

Und morgen mittag bin ich tot

Und morgen mittag bin ich tot

BRD 2013 Regie: Frederik Steiner mit Liv Lisa Fries, Lena Stolze, Sophie Rogall, Bibiana Beglau 102 Min. FSK: ab 12

Jede Stufe stellt für Lea (Liv Lisa Fries) ein riesiges Hindernis dar, eine Treppe ist nur mit Sauerstoffflasche zu überwinden. Die 22-jährige Frau leidet an Mukoviszidose im Endstadion. Leidet so sehr, dass sie fröhlich zum Lebensende in die Schweiz fährt. An ihrem Geburtstag möchte sie sterben, um die Qual zu beenden. „Warum wollen sie sterben?", fragt eine Betreuerin der Sterbehilfe-Organisation (Bibiana Beglau). „Weil ich sowieso sterben werde und ich mich ein Leben lang mit dieser Scheißkrankheit rumgequält habe", lautet die klare Antwort. „Langsam zu ersticken, finde ich ehrlich gesagt ziemlich zum Kotzen", macht sie noch deutlicher. Mit der wenigen Luft, die ihr noch bleibt, ist Lea sehr beredt und äußerst schlagfertig. Für eine Lungentransplantation als Alternative ist es mittlerweile zu spät. Lea war nach eigener Aussage zu beschäftigt damit, zu leben. Aber vielleicht war auch die Tatsache, dass ihr älterer Bruder kurz nach dieser Operation starb, zu erschreckend.

Lea ist eine sehr hübsche, meist lächelnde Frau, die davon träumt, in ihrer Parallelwelt ganz frei davon zu düsen. Doch nach zehn Minuten wird der Erst der Lage drastisch klar. Nicht so sehr ihre Hustenanfälle oder das Übergeben dabei, sondern die Entscheidung Leas schnürt einem beim Zusehen die Luft ab.

Nun brechen die Frauen der Familie auf zur finalen Geburtstagsparty in Zürich. „Und morgen Mittag bin ich tot" ist auch eine Frauen-Familiengeschichte mit Mutter Hannah (Lena Stolze) und Oma Maria (Kerstin de Ahna), die sich gar nicht grün sind, und mit der älteren Schwester Rita. Es entsteht ein Kaleidoskop der Reaktionen auf den selbst bestimmten Tod, bei der ruppigen, aber solidarischen Schwester, bei der Mutter, die den sicheren Tod verdrängen will und auch sonst gerne wegläuft. Und auch bei der gütigen Oma, die cooler tut, als sie wirklich ist. Dass es fast nur Frauen sind, erklärt sich im Film selbst: Leas Vater machte sich früh davon, als er von ihrer Erkrankung erfuhr.

Die vielen, konzentrierten Gespräche kümmern sich wenig um die, mit herbstlichen Farben konsequent unterstützende Zürich-Kulisse. Ganz gegen alle Erwartungen ist „Und morgen Mittag bin ich tot" kein Trauerspiel. Mal nennt die eigene Schwester Lea „der Muco". „Die kleine Hustinette" ruft der hilfsbereite und neugierige Nachbar in diesem Hotel Terminus, der gegen seine unerträglichen Stimmen im Kopf keinen Termin für Sterbehilfe bekommen hat. Schon dieser zusätzliche „Fall" macht deutlich, dass es dem Film bei sehr, sehr berührenden Momenten und viel unverschämten Humor vor allem ernst ist mit dem Leben und dem selbst gewählten Tod.

Die sehr sympathische Hauptdarstellerin - und freudige Entdeckung des Films - Liv Lisa Fries legt ein Tortour de force hin. Ihre Lea, für die sie den „Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin" erhielt, muss, auch wenn sie fast wie das blühende Leben aussieht, durchgehend nach Luft schnappen. Lena Stolze gibt die besorgte Mutter, Sophie Rogall beeindruckt als raue Schwester Rita.

Ähnlich wie Dietrich Brüggemanns „Renn wenn du kannst" nähert sich das beeindruckende Kinodebüt von Regisseur Frederik Steiner mit Humor und Leichtigkeit einem schweren Thema an. Er ist dabei bewegend wie „Broken Circle" und auch hier hat die Montage - neben der durchgehend großartig aufspielenden Besetzung – einen wichtigen Anteil am Gelingen des Films. Intensiv und still eindringlich ist die Wirkung dieses Beitrags zu einem schwierigen Thema. Das Für und Wider wird nicht groß diskutiert, sondern mit Konzentration auf eine sehr subjektive Perspektive fühlbar gemacht. Was wichtig und heikel zugleich ist.

5.2.14

Berlinale 2014 American Hustle

USA 2013 Regie: David O. Russell mit Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jeremy Renner, Jennifer Lawrence, Michael Peña, Alessandro Nivola, Robert De Niro

Zum Auftakt der 64. Berlinale (6. - 16. Februar 2014) - und als Werbung für den Kinostart schon nächste Woche - bietet der große Oscar-Favorit „American Hustle" ein echtes Kinofest. Wobei das Wort „echt" nach diesem Film sehr viel bedachtsamer verwendet wird. „Echt" ist das große Schlüsselwort in dieser raffinierten und multiplen Betrugs- und Verführungsgeschichte. Jeder will in ihr jemand anders sein. Als Prolog für eine Verstellungs-Orgie gibt es die große Verkleidungsszene in der Reste-Kammer einer Reinigung beim Kennenlernen von Irving Rosenfeld (Christian Bale) und Sydney Prosser (Amy Adams). Er erbte eine Glaserei und lernte früh, dass es Ehrlichkeit nicht weit bringt. Nun ist sein Trick, Kredite zu versprechen. Was schon reicht, damit ihm die Leute Geld rüberreichen. Die Gier nach noch mehr Geld macht sehr blind. Sydney, die sich Edith nennt, war Stripperin, sieht Irvings Plautze und das Toupet, mag aber direkt seine Authentizität. Zusammen begeistern und erotisieren sich die Auf- und Aussteiger aus armen Verhältnissen mit einem Mix aus Abenteuer und der Sicherheit, die ihnen das ergaunerte Geld gibt. Bis die Betrüger selbst vom FBI reingelegt werden. Der wegen dieses Fangs sehr stolze Richie DiMaso (Bradley Cooper) will jedoch bei den beiden in die Lehre gehen, sich von ihnen helfen lassen, ein paar größere Fische der Korruption zu überführen.

Richie will zuerst den angesehenen Bürgermeister Carmine Polito (das ist „sauber" auf italienisch!) überführen. Der engagierte Bürgermeister (Jeremy Renner mit Elvis-Locke) von Camden in New Jersey, will wirklich Gutes für seine Bürger und deshalb mit nicht ganz legalen Investitionen die Spielerstadt Atlantic City aufmöbeln. Gierig greift der FBI-Mann DiMaso mit seinem Plan nicht nur Politiker an, sondern auch noch die ehrenwerte Familie, die seit jeher das Glücksspielgeschäft kontrolliert. Derweil wird aus der doppelten eine dreifache Eifersucht, weil nicht nur Edith die beiden Männer im Komplott ausspielt und an sehr kurzer erotischer Leine hält. Es gibt da noch Rosalyn (Jennifer Lawrence), die Ehefrau Irvings, die aufgrund ihrer Beschränktheit die Mafia sehr nervös macht. Hier treffen sich endgültig die Stile von Scorsese und den Coens zu einer grandiosen und gut gezeichneten Drama-Komödie.

In „American Hustle" liegen sich die Leute weniger in den Haaren, als dass sie mit ihren Haaren lügen: Schon die erste Szene zeigt, wie Irving seine seitlichen Strähnen mühsam über die Halbglatze legt und ein Haarteil anklebt. Richie, der sich sehr schön oft albern zeigt, läuft zuhause mit kleinen Lockenwicklern rum und auch Edith antwortet bei einem Telefongespräch mitten im Frisuraufbau. Nur Robert DeNiro als Oberboss der Florida-Mafia trägt seine Glatze mit Stolz. DeNiro und Mafia - das ist wirklich echt. Zum Spaß über eitle Männer und ihre Haare gesellt sich die Geschmacksnerven herausfordernde Mode der Disco-Periode. Der Film spielt schließlich Ende der 70er-Jahre.

Nach eigenem Drehbuch schickt Russell seine „Silver Linings"-Stars Bradley Cooper und Jennifer Lawrence samt Kollegen durch einen Strudel absurd-verrückter Einfälle und Explosionen. Ihm gelingen reihenweise ganz große Szenen, wenn zum Beispiel Irving und Polito im italienischen Restaurant Tom Jones' „Delilah" schmettern oder wenn das einzige Geständnis von Sydney zum großen Auftritt und zur Abrechnung wird. Diese Sydney Prosser von Amy Adams ist besonders faszinierend, wenn sie bedroht und verletzt ist. So wird sie zur Verführerin zwischen zwei Tricksern und nicht nur Irving fragt sich, welche Gefühle echt sind.

Dass nur Fälschungen alter und teuerer Meisterwerke an den Wänden hängen, ist sicher. Die ganze Echtheits-Expertise wird auf die Spitze getrieben, als Irvings vorgeblich reicher Scheich, der eigentlich in Queens Häuser isoliert, vom FBI durch einen noch falscheren falschen Scheich ersetzt wird. Doch diese Figuren, obwohl manchmal albern und herrlich lächerlich, sind in ihren emotionalen Motiven spürbar (und) echt. Darin ist „American Hustle" einmalig und deswegen so großartig.

Zu den vier Oscar-Nominierungen muss man unbedingt die Extra-Rolle der genial eingesetzten Songs würdigen: Schon die Musik allein ist von Duke Ellington zum Kennenlernen bis Bowies „Jean Genie" ein Genuss. Der falsche Scheich bekommt eine arabische Version von Jefferson Airplanes „White rabbit" (durch Mayssa Karaa) aufs Ohr. Und wenn dann Rosalyn nach ihrem Verrat mit Gummihandschuhen zu „Live and let die" (Wings) die Wohnung putzt, während Irving eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt bekommt, weiß man, dies wird ein Klassiker.

4.2.14

Jappeloup - Eine Legende

Frankreich, Kanada 2013 (Jappeloup) Regie: Christian Duguay mit Guillaume Canet, Marina Hands, Daniel Auteuil 136 Min. FSK: ab 6

Hoppe, hoppe Reiter, und wenn er fällt ... dann probiert er es noch einmal. Das ist, etwas kurz gehalten, das Motto dieser holperigen Siegergeschichte. Jappeloup hat eine ungewöhnliche Eigenschaft für ein Siegerpferd auf dem Springreiter-Parcours: Das Thema springt mit den Hufen voran geradezu ins malerische Bild, um kurz vor dem Hindernis zu stoppen und seinen Reiter abzuwerfen. Jappeloup war in den Achtzigern ein Pferd, das um olympisches Gold konkurrierte. Es aber in diese Stadien zu bringen erforderte viel Geduld. Vor allem sein Reiter Pierre Durand (Autor und Hauptdarsteller Guillaume Canet) glaubte nicht an ihn. Doch auch mit Hilfe der einfühlsameren Pflegerin wendet sich das Blatt.

Wie langweilig eine reine Pferdegeschichte sein kann, bewies ausgerechnet Steven Spielberg, der aus einer Hai-Prothese einen Welthit schuf. Doch die Pferde-Narren Regisseur Christian Duguay („Coco Chanel, 2008) und Autor Guillaume Canet sind klug genug, reichlich menschelnde Geschichten rund um den Parcours aufzubauen. Da sind vor allem der zweibeinige Held Pierre und sein schwieriges Erbe in einer Reitstall-Familie. Dazu ist „Jappeloup" für noch so eine Tiere-und-Sport-Geschichte mit extraordinären Schauspielern wie Daniel Auteuil, Donald Sutherland oder Tchéky Karyo hochgradig besetzt. Das macht die wahre Geschichte, die Reit-Fans wohl kennen werden, für genau diese interessant und ansehnlich, für fachfremde Zuschauer höchstens in den aufwändigen Turnierszenen ganz nett.

Meine Schwestern

Meine Schwestern

BRD 2013 Regie: Lars Kraume mit Jördis Triebel, Nina Kunzendorf, Lisa Hagmeister 88 Min.

Es ist ein ungewöhnlicher Blick zurück vom Leichenkeller eines Krankenhauses: Linda (Jördis Triebel) wurde mit einem schweren Herzfehler geboren, die Ärzte gaben ihr nur ein paar Jahr. Im Alter von 30 stirbt sie bei einer Herz-Operation und erinnert sich an das letztes Wochenende, das sie mit ihren beiden Schwestern verbrachte. Ganz spontan bricht die herzkranke Linda auf, um die Schwestern einzusammeln und für ein Wochenende an die Küste, an den Ferienort der Kindheit zu fahren. In Tating an der Nordsee gibt es ein paar Erinnerungen, Wiedersehen auf einer Party, aber vor allem die Auseinandersetzungen der drei unterschiedlichen Frauen. Schnell wird klar, dass Katharina (Nina Kunzendorf) als Älteste die Nase voll davon hat, immer Verantwortung und Kontrolle zu übernehmen. Auch die Haltlosigkeit von Clara (Lisa Hagmeister), die meint, nicht richtig dazuzugehören, ist offensichtlich. Dabei kümmern sich beide ebenso viel um Linda, die dauernd zusammenbricht, wie umgekehrt Linda viele Animositäten der anderen ausgleicht.

Zusammen mit der kleinen Clara und der äußerlich harten Katharina brechen sie dann noch einmal spontan nach Paris auf, besuchen eine Tante, irren durch nächtliche Straßen. Auch hier lässt die Kamera touristische Motive meist links liegen. Selbst wenn kein dramatischer Moment zu vermelden ist, hält das Zusammenspiel der Schwestern und ihrer Schauspielerinnen die Aufmerksamkeit ganz eng bei sich. Regisseur und Autor Lars Kraume, der neben einigen Tatorten, mit „Die kommenden Tage", „This Is Love" oder „Guten Morgen, Herr Grothe" gleich eine ganze Reihe sehr bemerkenswerter Film realisierte, hat den intensiven Film zusammen mit seinen Darstellerinnen entwickelt und dann auch – ganz entgegen den üblichen Verfahren – chronologisch gedreht. Das führt zu einem ungemein intensiven Erlebnis, obwohl, oder gerade weil „Meine Schwestern" sehr einfühlsam, still und vorsichtig beobachtet, begleitet von einem sehr dezenten Musikeinsatz.

Jördis Triebel erinnert in der zurückhaltend angelegten Hauptrolle an ihren tollen Auftritt bei „Emmas Glück". Es gibt nebenbei ein Auftritt von Angela Winkler als Tante in Paris und eine zufällige Begegnung mit Béatrice Dalle, deren Zahnlücke gewachsen scheint. Und in all den vielen Nebenbeis, die in lauten Filmen weggelassen werden, findet sich Leben und Miteinander hier in einer besonders ansprechenden Form.

Dallas Buyers Club

USA 2013 Regie: Jean-Marc Vallée mit Matthew McConaughey, Jennifer Garner, Jared Leto, Michael O'Neill 117 Min. FSK: ab 12

Mit dem Bewusstsein über AIDS verschwand die Krankheit in den letzten Jahren auch aus der filmischen Aufmerksamkeit. 20 Jahre nach Jonathan Demmes „Philadelphia" taucht der „Dallas Buyers Club" mit großer Besetzung gleich als verdienter Oscar-Kandidat auf. Der von Matthew McConaughey eindrucksvoll verkörperte Ron Woodroof ist allerdings in dessen wahrer Geschichte ein veritabler Anti-Körper zu Tom Hanks.

Ein Spieler und Zocker, der beim Rodeo auf den falschen Reiter setzt und den wütenden Mitspielern nur entkommt, weil er einem befreundeten Polizisten eine runterhaut. Ein ausgezehrter Säufer, ein Raucher und ausgesucht homophober Sexist. Als der einfach gestrickte Elektriker Ron Woodroof (Matthew McConaughey) 1985 die Diagnose HIV-positiv erhält, will er den Arzt erst einmal verprügeln – er sei erwiesenermaßen auf keinen Fall schwul! Doch das Urteil, er habe nur noch dreißig Tage zu leben, bringt den Raudi zum Nachdenken.

Die Öffentlichkeit erfuhr 1985 vom AIDS-Schicksal des Filmstars Rock Hudson und wusste ansonsten nichts von dieser Krankheit. Die Medizin wusste nicht viel mehr. So erscheint im Krankenhaus von Dallas das einzige Mittel der Kliniktest eines unausgereiften, wegen seiner Gefahren früher schon mal verbotenen Medikaments. Neben den unbekannten Risiken bekommt auch nur die Hälfte der Patienten die neue Droge, der Rest erhält Placebos, erklärt Dr. Eve Saks (Jennifer Garner) Woodroof. Das passt dem aufbrausenden Kerl überhaupt nicht. In Eigen-Medikation schluckt er aus dem Krankenhaus-Müll geklauten Pillen, die er mit Koks und Schnaps verdünnt. Er liest sich in Bibliotheken ein und entdeckt - auch mit Hilfe von Außenseitern im Pharma-System - neue Quellen.

Die dreißig Tage sind mittlerweile abgelaufen und Woodroof lebt immer noch. Der Countdown kippt zu einer erstaunlichen Überlebensgeschichte, die gleichzeitig ergreifendes Porträt und Anklage von Pharma- und Gesundheitswesen ist. Denn das Musterexemplar von Texas-White Trash, der Hallodri wandelt sich zum gerissenen Schlitzohr, wenn er beispielsweise als vermeintlicher Priester den US-Grenzbeamten überzeugt, dass er einen ganzen Kofferraum voller Pillen für seinen eigenen Bedarf der nächsten drei Monate braucht. Woodroof schmuggelt effektive, aber von der Gesundheitsbehörde nicht zugelassene Pillen aus Mexiko, fliegt sogar zu einem Hersteller nach Japan. Letztlich verschenkt er die Medikamente an ebenfalls infizierte Leidensgenossen – die sich in seinem privaten Sanatorium als zahlendes Clubmitglied anmelden. Und das im andauernden Kampf mit den US-Behörden, die den Rebell im Gesundheitssystem klein kriegen wollen.

Ebenso erstaunlich wie die äußere Wandlung Woodroof in einen eleganten Geschäftsmann ist die Reifung des ehemaligen Schwulen-Hassers. Einmal infiziert erlebt Ron Ausgrenzung, Angriffe und Angst von Freunden, Bekannten wie Nachbarn im texanischen Wohnwagen-Camp. Er braucht allerdings noch ein paar deftige Denkanstöße, bis er den Transvestiten Rayon (Jared Leto) akzeptieren kann, der schließlich zu einem sehr guten Freund wird.

Matthew McConaughey („The Wolf of Wall Street", „Magic Mike", „Der Mandant") legt gerade mit viel Mut zu brüchigen Charakteren eine eindrucksvolle Leistung nach der nächsten hin. Für die tolle Rolle des geläuterten Ron Woodroof nahm er 20 Kilogramm ab, aber auch ohne dies wäre er ein ganz heißer Oscar-Kandidat. Während die Hollywood-Inszenierung des großartigen Regisseur Jean-Marc Vallée nach seinen Meisterwerken „Café de Flore" und „C.R.A.Z.Y. - Verrücktes Leben" sich mit vielen starken Momenten (Kamera: Yves Bélanger) auf seine Hauptfigur konzentriert, bröckelt die Figurenzeichnung (Buch: Craig Borten, Melisa Wallack) zum Rand hin ab und auch thematisch wäre eine Erweiterung der autobiografischen Sicht wünschenswert. Doch „Dallas Buyers Club" bleibt nicht allein wegen Matthew McConaughey ein sehenswertes, eindringliches Drama.

Free Birds

USA 2013 Regie: Jimmy Hayward 91 Min. FSK: ab 6

Wenn man einen Truthahn in rauchende und blitzende Zeitmaschinen a la „Zurück in die Zukunft" steckt, müsste eigentlich ein deftiger Braten rauskommen. In der ungelenken Animation „Free Birds" nach einem Drehbuch der Kevin Smith Mitarbeiter Jimmy Hayward und Scott Mosier erfährt man hingegen, wie ein besonders cleverer Truthahn zurück in die Zeit reist, um das Massenschlachten an seiner Art zu Thanksgiving zu verhindern. Ein paar weitere nette Ideen reichen leider nicht aus, um bei den Trickfilm-Schwergewichten im Hahnen-Kampf mitzumachen.

Reggie ist ein mit Intelligenz begnadeter Truthahn – im Gegensatz zu den lächerlich dummen Kollegen auf der Farm. So bleibt der freundlicherweise mit blauem Kopf unterscheidbare Außenseiter ein Einzelgänger, bis er tatsächlich begnadigt wird. Die Tochter des US-Präsidenten wählt ihn für das alljährliche Ritual der Tier-Amnestie aus und aus Reggie wird ein fliegender Truthahn, der mit dem mit Hubschrauber zur Sommer-Rezidenz Camp David düst. Dort erwartet ihn ein gemütlicher Lebensabend. Er sieht fern, bestellt selbst Pizza und dann mit der vom Präsidenten gemopsten Fernbedienung – mit Laserstrahl! - noch mehr Pizza. Bis Jake auftaucht, ein simpler, muskelbepackter Truthahn mit einer Mission. Das Mitglied der Truthahn-Befreiungs-Armee soll Reggie im Auftrag des Großen Truthahns zu einer geheimen Zeitmaschine und dann ins Jahr 1621 bringen. Drei Tage bevor Thanksgiving erstmals mit Truthahn-Braten gefeiert wurde.

Wenn ein dämlicher Geheimagent mit Erinnerungsproblemen in einer Scheune nach Zeitmaschinen sucht und Reggie das skeptisch kommentiert, blitzen sofort Bilder aus „Ich einfach unverbesserlich" auf. Doch „Free Birds" spielt auch eine Legeklasse tiefer als Nick Park und Peter Lord mit ihrem Stop-Motion-Animationsfilm „Chicken Run" im gleichen Genre des Gefängnis-Geflügels. Die kantige Animation nicht nur bei der Hauptfigur stört zunehmend. Die Einfallslosigkeit in der Charakterzeichnung drückt sich darin aus, dass Reggie vor allem einen blauen Kopf hat, Jake hauptsächlich groß ist und auch im Weiteren eher die groben Formen variieren, als dass Feinzeichnung praktiziert wurde.

Vom Zeitreisen-Ei Steve in den November 1621 transportiert, treffen Reggie und Jake auf einen wilden Truthahn-Stamm, eine intelligente und pazifistische Mischung aus Indianer und den Na'vi von Camerons „Avatar". Wenn die raffinierten Truthahn-Tricks auf der Flucht vor den Siedlern einer Angriffstaktik weichen („Die Freiheit der Keule am Hindukusch verteidigen") kann nur noch eines den Frieden zwischen Farmern, Indianern und der Kreatur retten: Pizza für alle. Diese gleichzeitig (teil-) vegetarische Lösung malt man sich jedoch nur als beabsichtige Aussage aus, weil der Film selbst zu wenig ausmalt.

So punktet etwa am Rande die kleine Präsidenten-Tochter viel mehr, wenn sie über die ganze Entourage Papas die Wahrheit verrät. Und auch der wahnsinnige Verteidigungsminister der USA hat mehr Mimik als eine ganze Geflügelzucht. Jimmy Hayward und Scott Mosier, Drehbuchautoren aus dem Umfeld von Kevin Smith, schreibt man gerne die Idee einer TV-Fernbedienung zu, die auf Knopfdruck Pizza bestellt. Ansonsten inszenierte Regisseur Hayward mehr Ideen als gelungene Ausführung. Auf die Originalstimmen von Owen Wilson und Woody Harrelson muss man ebenfalls verzichten in diesem halbgaren Trickfilm-Spaß.