29.1.14

Blick in den Abgrund

Österreich, BRD 2013 Regie: Barbara Eder 88 Min. FSK: ab 16

Profiler sind auf dem Bildschirm und der Leinwand extrem populär. Was hinter dieser professionellen Fassade wirklich steckt, versucht der Dokumentarfilm „Blick in den Abgrund" herauszufinden. Der Titel referiert dabei auf ein Nietzsche Zitat: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."

Er beginnt friedlich mit zwei Finnen beim Angeln am Meer. Doch wenn Helinä Häkkänen-Nyholm einen Kollegen in Südafrika um Hilfe bittet, beginnt das Grausen langsam hochzukriechen: Der beantwortet am Telefon beim Mittagessen Fragen über rituelle Stichwunden rund um die Augen. Auch die detaillierte Beschreibung einer Vergewaltigung, die ein deutscher Profiler bei der Bahnfahrt in sein Diktiergerät spricht, macht klar, dass diese Menschen nicht unbedingt zu den glücklicheren gehören. Obwohl die amerikanischen FBI-Senioren die von Thomas Harris für seinen befragt worden und die dann ihre Charaktere im Film „Das Schweigen der Lämmer" wieder finden, Humor in die Studie einer Berufs-Deformation bringen. Die nach-inszenierten Szenen bestechen mit hochwertiger Kameraarbeit und klaren, gut aussehende Bildern, nehmen aber - eben weil sie inszeniert sind - den Personen viel spontanen Ausdruck und Authentizität.

28.1.14

Kill Your Darlings - Junge Wilde

USA 2013 (Kill Your Darlings) Regie: John Krokidas mit Daniel Radcliffe, Dane DeHaan, Michael C. Hall, Jack Huston, Ben Foster 103 Min. FSK: ab 16

Der Titel „Kill your darlings" ist ein schönes Bild, denn seine Lieblingsstellen aufzugeben, zu kürzen, ist meist notwendig für die Vollendung eines Werkes. Manchmal jedoch auch, einen echten Darling, einen Liebling zurückzulassen oder gar zu ermorden, um die eigene Karriere zu fördern. Wie diese frühe Geschichte aus dem Leben der Beatpoeten Jack Kerouac, William S. Burroughs und Allen Ginsberg bitter zeigt. Dabei geht es eher um amouröse Erkundungen der Jungmänner, denn um die Geburt eines neuen literarischen Stils. Mit Daniel „Potter" Radcliffe als Ginsberg ist der Film ausgerechnet im Zentrum eklatant fehlbesetzt.

Im Jahre 1943 nimmt der junge Allen Ginsberg (Daniel Radcliffe) ein Literaturstudium auf, um wie sein Vater Dichter zu werden. Oder genau nicht wie sein Vater, denn auch dieser junge Wilde will das Alte einreißen, um ein noch unbestimmtes Neues zu schaffen. In dem Kommilitonen Lucien Carr (Dane DeHaan) findet er in den verstaubten Hallen einen Geistesverwandten aber auch einen gefährlichen Verführer mit leuchtend blauen Augen und blondem Haar. Die Freunde Jack Kerouac (Jack Huston) und William Burroughs (Ben Foster mit sehr schön imitierter knorriger Stimme) machen mit bei den geistreichen Revolten, begleiten die ersten literarischen Gehversuche, angestachelt von Drogen-Experimenten und einer exzessiven Party-Gesellschaft, die versucht, den Weltkrieg in Europa und dem Pazifik zu verdrängen. Als weiterer Antrieb fungiert Lucien, der ein Verhältnis mit Kerouac, Ginsberg und dem als Hausmeister getarnten, liebestollen Professor David Kammerer (Michael C. Hall) hat, dazu umgibt ihn ein dunkles Geheimnis.

Lucien wird der „fünfte Beatle" sein, auf der Strecke bleiben, während drei andere Berühmtheit erlangen. Auf dieser schmutzigen Schuld wurzeln ihrer Karrieren, die großen Literatur-Figuren scheitern daran, einen Freund zu retten. Der Film von John Krokidas, der nicht wie „Howl" versucht, den Beat-Stil zu imitieren, scheitert mit harten Schnitten und Handkamera vor allem an Daniel Radcliffe, dem bis in kleinste Nebenrollen schwächsten Schauspieler. Er versucht sich zwar an großen Gesichtern, doch die wirken meist aufgesetzt und wenig nuanciert.

Le passe - Das Vergangene

Frankreich, Italien 2013 (Le passé) Regie: Asghar Farhadi mit Bérénice Bejo, Tahar Rahim, Ali Mosaffa, Pauline Burlet 130 Min. FSK: ab 12

Es sind noch ein paar alte Sachen von Ahmad (Ali Mosaffa) in der alten Pariser Wohnung, die er zusammen mit seiner Frau Marie (Bérénice Bejo) bewohnte, bevor er in den Iran zurückkehrte. Nun fliegt er aus Teheran ein, um die Ehe zu beenden. Er weiß allerdings nicht, dass dort gerade Samir (Tahar Rahim) einziehen und auch Marie heiraten will. Die Patchwork-Situation mit einer kleinen und einer älteren Tochter aus früheren Beziehungen von Marie wäre schon schwierig genug, denn die 17-jährige Tochter Lucie (eindrucksvoll: Pauline Burlet) will nicht mit wieder einem neuen Freund der Mutter unter einem Dach sein. Doch da ist auch Samirs kleiner Sohn, der ganz verstört ist und sich nur über Wutanfälle ausdrücken kann. Im Krankenhaus liegt zudem noch Samirs Frau seit einem Selbstmordversuch im Koma. Eigentlich will Ahmad gleich wieder gehen, doch als er die Situation erkennt, bleibt er um zu helfen.

Der iranische Oscar-, Berlinale-, Golden Globe- und Césarpreisträger Asghar Farhadi („Alles über Elly" 2009, „Nader und Simin - Eine Trennung" 2011) schafft es, in seinem sechsten und ersten außerhalb des Iran entstandenen Film. diese hochkomplexe Situation vom ersten Moment an atemberaubend spannend zu gestalten. Schon das erste (Nicht-) Sehen von Ahmad und Marie am Flughafen, die erste gestörte Kommunikation, wenn sie sich nur durch eine Scheibe berühren und nicht verstehen können, ist das perfekte Beispiel für Farhadis Meisterschaft auf mehreren Ebenen. Im gelang ein ungemein bewegendes Psychogramm moderner Familienkonstellationen, ein Psychothriller um Schuld und heftige Gefühle, eine vorsichtige Moral-Suche zwischen Orient und Westen.

Die Patchwork-Familie rund um seine Ex (Bejo) fordert den klugen und großherzigen Ahmad heraus. Wie er seine nervöse und fahrige Frau mitten im Umzugsstress beruhigt und auch mit dem wütenden Kind redet, macht ihn sehr sympathisch: Sanft, milde, verständnisvoll und trotz eigenem Schmerz klug. Doch als die Tochter ins Restaurant iranischer Freunde abhaut, wird das vergangene Verschwinden des Familienvaters fragwürdig. Wäre all dies schon fesselnd und vielschichtig genug, um tagelang über den Film zu reden – was auch in Cannes passierte – das Geheimnis um den Selbstmord von Samirs Frau gewinnt hitchcocksche Dimensionen! Dabei eröffnet sich, wie schon in „Nader und Simin - eine Trennung" gleich ein ganzer Kosmos moralischer Zwickmühlen. Ein hervorragendes Ensemble rundet „Le Passé" zum Meisterwerk ab. Bérénice Bejo, das betörende Lachen aus „The Artist", erhielt in Cannes den Preis als Beste Darstellerin, Asghar Farhadi den der ökumenischen Jury.

Anchorman - Die Legende kehrt zurück

USA 2013 (Anchorman 2: The legend continues) Regie: Adam McKay mit Will Ferrell, Steve Carell, Paul Rudd, David Koechner, Christina Applegate 119 Min. FSK: ab 12

Geht es noch blöder? „Anchorman" war eine schwer fassbare Ansammlung von Trotteln und genial idiotischen Einfällen. Jetzt geht die Geschichte mit den gleichen Gestalten weiter und unterhält noch einmal mit hochwertig produziertem Blödsinn, der alle Grenzen überschreitet. Will Ferrell als Anchorman Ron Burgundy und Steve Carell als hochneurotischer Wetterheini vergnügen sich und das Publikum.

Harrison Ford höchstpersönlich darf als Senderchef an seinem Sprecherpaar Ron Burgundy (Will Ferrell) und Veronica Corningstone (Christina Applegate) schnuppern, bevor er entscheidet: Sie wird seine Nachfolgerin, er fliegt raus. Was nur Ron überrascht, denn allein die lautstarke Vorbereitung auf die Livesendungen des minderbemittelten Prompter-Ablesers enthält mehr absurde Geräusche als ein ganzer Jerry Lewis-Film. Nach dem Rausschmiss aus Sender und der Ehe mit Veronica ist Ron bereit, den Weg der Samurai zu gehen - sich an einer Neonröhre aufzuhängen, für die er selbstverständlich zu schwer ist. So landet er als besoffener Ansager bei Sea World, um für ein völlig bescheuertes Projekt wieder nach New York zu kommen: Ein australischer Medientycoon, den man meist nicht versteht, will auf GNN rund um die Uhr Nachrichten versenden.

Zu Anfang der Achtziger war das News-Geschäft scheinbar noch in Ordnung. Bis Ron und seine trotteligen Kumpel in ihrer Beschränktheit so ziemlich all das einführen, was heutzutage als Medien-Abfall die Kanäle verstopft: Er bringt als erster die Verfolgungsjagd eines flüchtenden Automobilisten live auf den Sender. Er beginnt damit, den Menschen zu erzählen, was sie hören wollen, statt dem, was sie hören müssten. Die Quote schnellt nach oben und Ron hebt ab für den Absturz im zweiten Teil der überdrehten Klamotte.

Zwar ist Will Ferrell, der seine unfassbare Frisur mit Stolz trägt und das Drehbuch zusammen mit Adam McKay selbst geschrieben hat, als Anchorman der Star, doch auch der zweite Film ist kongenial blöde Team-Arbeit. Und keine Minute lang „politcal correct". Burgundy versammelt ums sich ein Team aus Rassisten und Sexisten, das auch in den 80er skandalös gewesen wäre. Er selbst „gönnt" sich nicht nur einen rassistischen Scherz angesichts der neuen afroamerikanischen Chefin, nein, gleich eine ganze Szene lang kann er nichts anderes entgeistert stammeln als „black, black, black..." Das kann man als nicht korrekt betrachten oder als extreme Übertreibung, die durchaus konstruktiv für Rassismus sensibilisiert. Wobei diese Erklärung bei den Machern wahrscheinlich einen Lachanfall hervorrufen würde. Deshalb hält man sich einfach an Burgundys schweinische Flüche von (im Original) ausgesuchter Originalität und an ganz gemeine Treffer in Sachen Medienkritik. Denn Ron macht auch Mediengeschichte, indem seine Verfolgungsjagd dem Live-Interview seiner Ex Veronica mit Arafat den Saft abdreht.

Will jetzt noch jemand wissen, dass ein freche Parodie auf Blinden-Filmmelodramen folgt, nachdem Burgundy wie Ikarus bei Kunsteislaufen zu hoch springt? Wie man einen Weißen Hai mit der Flasche großzieht? Oder wie viele Prominente bei der finalen Massenschlägerei aus internationalen News-Teams in noch so einer unfassbaren Szene neben Jim Carrey, Borat, John C. Reilly, Will Smith, Kirsten Dunst, Marion Cotillard, Liam Neeson oder Vince Vaughn Scorseses „Gangs of New York" parodieren? Dann hilft nur noch ein Kinobesuch. Denn Klamauk kann klasse sein, je nachdem, wer ihn macht und wie weit das Maß des Wahnsinns über jedes Hollywood-Niveau hinaus schießt.

Mandela: Der lange Weg zur Freiheit

Großbritannien, Südafrika 2013 (Mandela - Long walk to freedom) Regie: Justin Chadwick mit Idris Elba, Naomie Harris, Tony Kgoroge, Riaad Moosa 141 Min. FSK: ab 12

Nach Spielfilmen wie „Goodbye Bafana" und einigen Dokumentationen zur Gefängniszeit wie zur Präsidentschaft von Nelson Mandela (1918-2013) erwischt jetzt eine weitere Biografie nach dessen Tod im Dezember 2013 vor allem einen günstigen Verwertungs-Zeitpunkt. „Mandela: Der lange Weg zur Freiheit" nach Mandelas Autobiografie ist als Einstieg interessant und vor allem als emotionaler Film gelungen. Die besondere, eigene Perspektive bringt zwangsläufig Verzerrungen mit sich. Leider ist aber auch der charismatische Geist der außergewöhnlichen Persönlichkeit in den Bildern zu seinen eigenen Zeilen nicht sehr präsent.

Vom ersten Moment an, von der melancholischen, erträumten Rückkehr ins Haus seiner Kindheit, im Dorf Mvezo am Ufer des Mbashe-Flusses, erzählt „Mandela: Der lange Weg zur Freiheit" mit viel Sentiment. Aber auch rasant lässt er die Jugend, ein Initiations-Ritual in der Steppe, Mandelas Arbeit als Anwalt-Assistent, den Rassismus auf der Straße und im Gerichtssaal vorbeiziehen. Ein kurzes Beispiel für die extreme Gewalt und Polizei-Willkür in den 40er- und 50-Jahren Südafrikas zeigt, wie der Fall eines zu Tode geprügelten Schwarzen nicht vor Gericht kommt. Frustriert von Gewalt und Unrecht tritt Mandela (Idris Elba) dem kämpferischen ANC (African National Congress) bei und wird nach einer Eskalierung des Widerstandes schließlich verhaftet und zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt.

Immer wieder sehnt sich der Film zurück zum goldenen Gras der Steppe, zu seinem Heimatdorf in den Bergen. Etwa bei der traditionellen Hochzeit zur (zweiten) Ehe mit der Aktivistin Winnie Madikizela (Naomie Harris). Die andere Realität sind die Panzerwagen, die in den Townships durchs Bild fahren, das Massaker von Sharpville und andere willkürliche Ermordungen. Die Verbrennung der Zwangs-Ausweise des Buren-Regimes ist eine sanftere Form des Widerstandes. Später kommen Brandanschläge und die Verbrennung von vermeintlichen Kollaborateuren mit Autoreifen hinzu. Die Spirale der Gewalt im Bürgerkrieg, die erst nach der Freilassung und der Präsidentschaft Mandelas ein (vorläufiges) Ende findet, ist neben dem persönlichen Kampf des Protagonisten das durchgehende Motiv dieser Biografie.

So zeigt sich der machtlose, aber weisere Widerstand in der Haft in kleinen Schritten: Erst verlangt Mandela lange Hosen, denn die Afrikaner müssen wie „Boys" kurze tragen. Die in den Jahrzehnten der Haft gewonnene Souveränität gipfelt beim den ersten geheimen Treffen mit weißen Regierungsvertretern in einer extrem entspannten Haltung, die das Konzept einer Versöhnung ohne Rache vorstellt und fordert.

Eine Haltung, die der Film selbst nicht durchhält. Wenn Mandela selbst seinen teils brutalen Wärtern immer mit Respekt begegnete, wie „Goodbye Bafana" 2006 erzählte, bleibt es hier bei einem Schwarz-Weiß-Schema. Es ist einfach keine Zeit, für einen Blick auf das Wesen des Unterdrückers. Die Zweieinhalbstunden für ein sehr ereignisreiches Leben funktionieren so als Biografie für „Einsteiger", andere Darstellungen sind selbstverständlich differenzierter, kritischer und teilweise auch intensiver.

Die besten Momente hat der Film mit seinen eindrucksvollen historischen Kulissen, wenn er nicht chronologisch erzählt und so die Schichten der Persönlichkeit Mandelas in eine filmische Gleichzeitigkeit bringt. Berührend ist er immer wieder, so bei der ersten Umarmung zwischen Nelson und Winnie nach 21 Jahren. Allerdings bleiben auch Lücken: Wie fühlt sich ein Mensch, der den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen soll? Ein paar Sekunden sieht man das Gesicht vor dem Fenster, dann ein Blick von außen und in Flug über die Gefängnisanlage – das funktioniert gar nicht. Positiv könnte man sagen, der Film behält seinen Anfangsschwung bei, allerdings auf Kosten einer zunehmend irritierenden Ruhelosigkeit.

Hauptdarsteller Idris Elba gelingt es, Nelson Mandela über eine lange Lebensspanne nahe zu kommen, indem er auch dessen Tonfall imitiert. In den besten Momenten gelingt es dem starken Schauspiel, wie der charismatische Politiker Mandela selbst, einen in seinen Bann zu ziehen. Allerdings war darin Morgan Freeman seinen kurzen Auftritten für Eastwoods „Invictus" noch eindrucksvoller – selbst ohne große Ähnlichkeit.

47 Ronin

USA 2013 Regie: Carl Rinsch mit Keanu Reeves, Hiroyuki Sanada, Tadanobu Asano, Rinko Kikuchi, Cary-Hiroyuki Tagawa 119 Min. FSK: ab 12

Neo heißt jetzt Kai und Matrix liegt in Japan. Sonst ändert sich nix! Das Remake des wirkungsmächtigen japanischen Ronin-Mythos verirrt sich irgendwo im Mix aus japanischer Tradition und Fantasy-Elementen. Keanu Reeves gibt den aussätzigen Krieger, die eindrucksvolle Staffage um ihn herum wirkt nur zeitweise.

Samurai, deren Feudalherren getötet wurden, mussten früher unter Schande durchs Land ziehen und wurden Ronin genannt. Bekannt sind die Ronin vor allem durch die Historie eines Massenselbstmordes von 47 „arbeitslosen" Ronin zu Anfang des 18. Jahrhunderts westlicher Zeitrechnung. Dieses für traditionelle Japaner zentrale Verständnis von Ehre wurde nicht nur mit zahllosen einheimischen (Film-) Werken verankert, selbst international fand solch eine Haltung viel Interesse - wenn auch oft verbunden mit kopfschüttelndem Staunen. So schickte beispielsweise Regisseur John Frankenheimer 1998 in seinem „Ronin" sechs moderne, freigestellte „Krieger" (unter anderem Robert De Niro, Jean Reno, Stellan Skarsgard) auf einen Rache- und Raubzug. In der aktuellsten Variante „47 Ronin", von Werbe- und Kurzfilmregisseur Carl Erik Rinsch wird nun viel drumrum gezaubert und damit die Kerngeschichte verwässert.

Der Prolog, wie der gute Fürst von einem Konkurrenten mit Hilfe einer mächtigen Hexe hinterhältig in den traditionellen Selbstmord getrieben wird, wie des Fürsten Tochter und seine Samurai herrenlos werden, ist dem Film fast die erste Stunde wert. Dabei steht die hierarchische Randfigur Kai (Reeves), ein niederer Diener, ein Bastard-Kind einer Japanerin und eines Westlers zentral. Als Findling im verwunschenen Wand aufgelesen, wächst er mit der Fürstentochter auf. Als Erwachsener, vom Herrn und Hof geachtet, erlegt er schon mal einen panischen, riesigen Monster-Hirsch und rettet dabei einem Adeligen Ruhm und Leben.

Und immer droht aus dem Unterholz ein Schneefuchs mit unterschiedlichen Augenfarben, der sich in eine attraktiven Hexe mit faszinierender, lebendiger Dreadlocks-Frisur verwandelt. Der Rest ist Geschichte aufgehübscht mit viel Fantasy. So besorgt Kai für die verbannten Samurai Schwerter ausgerechnet im verwunschenen Wald seiner Kindheit. Während der fast mystische doppelt aussätzige Kai mit einem Schlangenmenschen verhandelt, findet draußen einer der vielen Schwertkämpfe statt: Gegner ist eine ganze Schlange aus Gestalten in orangen Mönchsgewändern. So verschmilzt quasi Mythisches aus Japan und aus Hollywoods Computern. Das Industrie-Produkt „47 Ronin", das einen alten Kult eher verwertet als ihm Ehre erweist, wird notdürftig mit bekannten japanischen Gesichtern wie Cary-Hiroyuki Tagawa („Die Geisha, Pearl Harbor"), Tadanobu Asano („Thor – The Dark Kingdom", „Battleship") und Rinko Kikuchi („Pacific Rim", „Babel") „aufgepimpt", die allerdings Randfiguren bleiben müssen - ausgerechnet neben der „Langnase" Reeves.

Mehr Eindruck schaffen so tatsächlich die bunten Fabelwesen aus dem Computer. Keanu Reeves ist mit Vollbart und einer stark wiedererkennbaren Mimik oft am Rande der Lächerlichkeit, er hätte vielleicht nicht auch noch zwischendurch die Merkel-Raute machen dürfen. Insgesamt verpufft der ganze Aufwand und übrig bleiben nur 4,7 Ronin auf der nach unten offenen Richterskala der Klassikerverfilmungen.

21.1.14

Hannas Reise

BRD, Israel 2013 Regie: Julia von Heinz mit Karoline Schuch, Doron Amit, Max Mauff 100 Min. FSK: ab 0

Eines Tages, Baby, werden wir alt sein und uns fragen, was haben eigentlich unsere Großeltern damals gemacht. In Variation des „Reckoning Song" von Asaf Avidan, der in Vor- und Abspann angespielt wird, schickt Regisseurin Julia von Heinz (nach Theresa Bäuerleins Roman „Das war der gute Teil des Tages") eine auf Karriere gebügelte BWL-Opportunistin aus Berlin in ein israelisches Behindertenheim. Das sollte eigentlich nur im Lebenslauf stehen, aber da ihre Mama keine Verbindungen ins gelobte Land (aus-) spielen lässt, muss Hanna (Karoline Schuch) da durch: „Das mit Juden kommt halt immer gut, behinderte Juden zählen doppelt." Während der israelische Kollege Itay (Doron Amit) mit entspannten Holocaust-Scherzen erst die Positionen und dann ihren Kopf verdreht, begegnet Hanna beim obligatorischen Besuch eines Holocaust-Überlebenden dem eigenen, schwierigen Verhältnis zur Mutter. Phrasen wie historische Verantwortung finden hier nett ausgeleuchtete Bilder, die Friedensaktivisten deklinieren Israel-Haltungen durch und der Film will dann auch noch die angespannte Situation des Landes zwischen den Fronten sowie zwischen gestern und heute vermitteln.

Die notwendige Frage, was die Eltern „in der Nazi-Zeit" getan haben, wandelt sich zum Nachfragen, weshalb die eigenen Eltern gegen die ihre revoltiert haben. Dabei gibt Hannas Freund Alex eine beschränkte Karikatur, die sich am Strand von Tel Aviv fragt, „ob das hier eigentlich alles Juden sind?" Derweil beschäftigt Hanna eine andere Liebesgeschichte, die auch in der Erzählung holperig verläuft. Die Hauptdarstellerin Karoline Schuch treibt ihre Reserviertheit vielleicht etwas zu weit, der Film hätte in seinen Vorhaben zurückhaltender sein können.

Homefront

USA 2013 Regie: Gary Fleder mit Jason Statham, James Franco, Izabela Vidovic, Kate Bosworth, Winona Ryder 100 Min. FSK: ab 16

Das ist mal eine neue Idee, um einem Film von Anfang die Spannung zu nehmen: Als Undercover-Polizist sorgt Jason Statham, der ambitionierte Mix aus Action-Figur und Schauspieler dafür, dass der Sohn des Drogenbosses erschossen wird. Dessen Fluch in Richtung unseres langhaarigen (was waren wir damals jung!) Helden verrät schon alles: „Du bist tot, deine Kinder sind tot!" Dabei machen die folgenden Titel neugierig, denn neben dem Star-Chamäleon James Franco („Spring Breakers", „127 Hours", „Howl") ist auch Winona Ryder mit dabei.

Nach seiner Karriere als Drogenfahnder zieht sich Phil Broker (Jason Statham) ins Privatleben eines kleinen Städtchens zurück. Doch sowohl er als auch sein Töchterchen Maddy (Izabela Vidovic) wissen sich zu wehren und werden schnell auffällig. Als Maddy dem größeren Schulhofbullie die Nase bricht, beschwert sich dessen hysterische Zicke von Mutter mit Namen Klum (Kate Bosworth) bei ihrem Bruder. Dieser Morgan 'Gator' Bodine (James Franco) ist zufällig der Drogen- und Gangster-Boss der Gegend. Die Gier nach einem ganz großen Drogengeschäft bringt ihn auf die Idee, den leicht enttarnten Undercover-Agenten zu verkaufen.

Wenn man für die dunkle Bedrohung James Franco engagiert, dann verspricht das einiges. Man muss bei seiner Figur Gabor an den ähnlich wirkenden aber anders gepolten Alien aus „Spring Breakers" denken. Andererseits ist hier Sylvester Stallone für das Drehbuch verantwortlich! Wenn man diesem groben Schauspieler noch für die simple Gedankenführung der Handlung dankbar sein kann, tut das Skript spätestens dann weh, wenn der Held sehr gerissen seine Tarnung aufbaut, aber seine Undercover-Personalakte so im Keller versteckt, dass man sie auf Anhieb findet. Falls Fragen vom Finanzamt kommen?

So schwankt diese Heimat-Front aus Selbstverteidigungs-Eiche auf Dünnbrett-Basis durchgehend zwischen Fließband-Action und interessanten Momenten, zwischen hohler Selbstjustiz als US-amerikanischer Vater-Tugend und kritischen Michael Kohlhaas-Momenten. Wenn Broker eines dieser Crystal Meth-Labore, die er früher hat hochgehen lassen, in MacGuyver-Manier vermint und ihm dann sein gutes Herz für das kleine Kätzchen der Tochter im Weg steht, ist das fast gelungene Satire der harten Herren. Auch das Ende mit explosiver Ausleuchtung hätte richtig tragisch werden können, doch dies ist kein Kohlhaas nur ein Stallone.

20.1.14

Erbarmen

Dänemark, BRD, Schweden 2013 (Kvinden i buret) Regie: Mikkel Nørgaard mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Sonja Richter
97 Min.

Erbarmen, noch ein Skandi-Krimi! Könnte man ausrufen, doch auch dieser Auftakt einer Thriller-Reihe nach bekannten Roman-Bestsellern im Kielwasser von „Verblendung" überzeugt in jeder Hinsicht: Kommissar Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) dreht bei einer Observierung durch und die Polizisten laufen in eine Falle. Danach liegt ein Kollege tot in seinem Blut, ein weiterer als Pflegefall im Krankenhaus und Carl selbst wird in den Keller abgeschoben, in die neu gegründete Kopenhagener Sonderabteilung Q. Er soll (auf) keinen Fall mehr selbst ermitteln, nur die ungelösten Angelegenheiten von rechts nach links sortieren.

Doch schnell fixiert Carl sich zusammen mit seinem neuen Assistenten Assad (Fares Fares) aus Schweden auf das Verschwinden von Merete Lynggaard (Sonja Richter). Die bekannte Politikerin reiste vor Jahren mit ihrem geistig behinderten Bruder auf einer Passagierfähre und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Der einzige Zeuge, ihr Bruder, ist noch verstörter als zuvor und redet mit niemandem. Selbstmord sagen die Akten, doch Carl und Assad finden Hinweise, die sie an dieser Version zweifeln lassen.

Das beschert uns eine Reihe von Rückblenden: Was passierte auf der Fähre, was vorher und was musste die Politikerin danach erleiden. Denn „Erbarmen" hat derart viele Spannungsmomente, dass man eines verraten kann: Merete Lynggaard lebt noch. Nur wie lange noch, das ist fraglich und nervenzerreißend.

Carl und Assad wühlen nicht nur in den Akten rum und suchen Tatorte auf, sie laufen sogar durch die Szenen der Rückblenden, ähnlich wie Detective Carrie Wells in der US-Serie „Unforgettable". Eine reizvoller Twist im dunklen, zu Grausamkeit und Horror passenden Stil des Films, der zwar die üblichen Vorgesetzen mit ihrer Bremserfunktion auffährt, doch ansonsten weitestgehend klischeefrei bleibt. So sind auch die beiden spannenden Typen im Zentrum - oder im Keller - gut nuanciert: Carl, der besessene Workaholic, der sein Lachen verloren hat, wähnt sich anfangs auf einem Abstellgleis. Dem Verbitterten steht der positive, offene Charakter Assads entgegen, der an Menschen glaubt und viel lächelt. Beide haben selbstverständlich ihre Drogen, der eine schlechten Kaffee, der andere den Nikotin. Ebenso unterschiedlich sind ihre Vorgehensweisen: Während der eine sich in Material einwühlt, freundet sich der andere mit dem autistischen Bruder der Verschwundenen an.

Wenn der zerrüttete Kommissar Carl Mørck gemeinsam mit seinem unkonventionellen Assistenten Assad in der dänischen Sonderabteilung Q bislang ungelöste Fälle wieder aufnimmt, bringt das den „Borgen"-Regisseur Mikkel Nørgaard, den Drehbuchautor von „Verblendung" sowie „Die Königin und der Leibarzt" Nikolaj Arcel und den „Illuminati"-Darsteller Nikolaj Lie Kaas zusammen. Das Ergebnis ist dementsprechend erstklassig. Die Verfilmung des gleichnamigen ersten Romans von Jussi Adler-Olsens Bestseller-Reihe sorgt schon mit dem deutschen Titel für Wiedererkennen mit ähnlichen Krimi-Marken aus Skandinavien, das sich bei der dunklen Ausleuchtung, der großartigen Kameraarbeit zwischen Düsternis und Poesie, bei den gebrochenen Charakteren, den grausamen Verbrechen und der spannenden Dramaturgie fortsetzt. In den Hauptrollen beeindrucken Nikolaj Lie Kaas („Illuminati", „Open Hearts", „Adams Äpfel") und Fares Fares („Zero Dark Thirty", „Kops", „Jalla Jalla").

Das dänische „Schweigen der Lämmer" aus der (nicht nur wegen Lars von Trier) berühmt-berüchtigten Zentropa-Produktion ist der gelungene Auftakt zu einer Spielfilm-Reihe, denn drei weitere Romane der Reihe - „Schändung", „Erlösung" und „Verachtung" - sind bereits in Deutschland erschienen, der fünfte Band „Erwartung" wird im Oktober 2013 erwartet. Der zweite Film „Schändung" ist schon mitten in der Produktion.

14.1.14

12 years a slave

USA, Großbritannien 2013 Regie: Steve McQueen mit Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita Nyong'o, Brad Pitt, Paul Giamatti, Benedict Cumberbatch, Paul Dano 135 Min. FSK: ab 12

Am Sonntag erhielt „12 years a slave" bei den Golden Globes den Hauptpreis als bestes Filmdrama. Ein Vorschuss auf den fast sicheren Preisregen bei den Oscars. Die ganz außergewöhnliche, wahre Geschichte eines freien afroamerikanischen Bürgers aus Washington, der im Jahre 1841 als Sklave in den Süden der USA verschleppt wird, ist der bislang konventionellste Film des Briten Steve McQueen. Dabei allerdings erzählerisch und emotional weit über andere Werke zur Sklaverei wie Quentin Tarantinos „Django unchained" oder „Butler" herausragend.

Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein angesehener Bürger im Staate New York. Der Violinist spielt zum Gesellschaftstanz auf, lebt mit Frau und seinen Kinder, hat Geldprobleme, ist aber frei. Zwar ist mittlerweile Sklavenhandel verboten, aber Sklaverei herrscht immer in einigen Südstaaten, der Bürgerkrieg findet erst in zwei Jahrzehnten statt. Und auch Solomon Northup wird wie viele Schwarze in dieser gespaltenen Situation entführt und zum Sklaven auf den Baumwollfeldern erniedrigt.

Der krasse Gegensatz zwischen Solomons freiem Leben und der Sklaverei, in der er Platt genannt wird, das Erstaunen des freien Mannes, der sich in Ketten und Kerker wiederfindet, zeigt eine historische Realität gleichzeitig als etwas Unbegreifliches. Der Film schafft es durch diese, immer wieder in Rückblenden aufgebaute Fallhöhe, den Blick von heute mitten in den Horror von Sklaverei zu bringen. Ein unmittelbares Nebeneinander, so wie in einer Einstellung ein Kamera-Schwenk das Kellerverlies des Entführten mit dem Blick auf das Capitol in Washington, dem Symbol für die US-Demokratie, verbindet. Und ein Verweis auf unsere freie Welt, die moderne Sklaverei überall nebenan duldet.

Schnell begreift Solomon, dass er seine Bildung verheimlichen muss. Zwar ist er klüger als seine tumben Aufseher vom Lande, doch das bringt ihm nur den Hass des gemeinen, prügelnden Sklavenaufsehers. Als ihn selbst sein „Besitzer" nicht mehr vor der Rache des gedemütigten Pöbels schützen kann, kommt Solomon zur Plantage von Edwin Epps (Michael Fassbender), einem lüsternen Tier, das allerdings in einer neurotischen Ehesituation, selbst - wieder mal - besoffen seiner Frau brutal klar sagen kann, dass sie weniger wert sei, als das Kapital, welches die Sklaven darstellen.

Michael Fassbender, regelmäßig Darsteller bei McQueen, ist wieder einmal herausragend. Diesmal als monströser Abschaum, der die angebliche Überlegenheit der weißen Rasse in einer Verfolgung höhnt, die ihn im Schlamm des Schweinestalls landen lässt. Trotzdem - und mit Ausnahme von Brad Pitt als edlem Retter und Ko-Produzenten - verhindert die exzellente Besetzung der Nebenrollen eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung.

Schon beim Boots-Transport in den Süden beschließt der Familien-Vater Solomon: Ich will nicht kämpfen, ich will leben! Dabei ist die interne Unterscheidung, dass auf dem Schiff unter allen Gefangenen nur drei Männer seien, die kämpfen würden, „die anderen seien Nigger", einer der vielen Momente, in denen der Film von einer spezifischen Situation der US-amerikanischen Geschichte auf universelle Zwangs-Situationen verweist. Die wahre Geschichte von Solomon Northup, die 150 Jahre nach ihrer Veröffentlichung verfilmt wurde, kulminiert in einer unerträglichen Schlüsselszene, wenn Solomon selbst seine ausgebeutete und immer wieder vergewaltigte Mitgefangene Patsey bis auf die Knochen auspeitscht, um sein eigenes Leben zu retten. Da ist kein Platz für Heldentum oder Rachefantasien, wie in Tarantinos ersten erwachsenen und im Vergleich doch kindischen Film „Django unchained", der auf ganz andere Weise die Sklaverei anklagt.

In die Abfolge starker und erschütternder Szenen reiht sich auch die absurde Situation eines Kaffeekränzchen auf der Veranda eines Herrenhauses mit drei Schwarzen, die bitter zwischen Feld- und Haus-Sklaven unterscheiden. „12 years a slave" gibt der Unmenschlichkeit viele erschreckende Gesichter, dabei bleibt es immer unbegreiflich, wie man Menschen als Sklaven betrachten kann. Steve McQueen belegt nach dem Häftlings-Drama „Hunger" und der Sexsucht-Geschichte „Shame" (beides mit Fassbender) seine enorme Inszenierungskunst in vielen Formen und Facetten. Dabei arbeitet er diesmal konventioneller, ist aber deshalb auch Hauptfavorit für die anstehende Oscar-Verleihung.

Nebraska

USA 2013 Regie: Alexander Payne mit Bruce Dern, Will Forte, June Squibb, Bob Odenkirk 115 Min. FSK: ab 6

„Wenn der Vater mit dem Sohne…" - einige Jahrzehnte und viel Alkohol später: Der alte Mann (Bruce Dern), der sein Leben lang viel getrunken hat, glaubt tatsächlich der Werbe-Post von einem Millionen-Gewinn und will diesen unbedingt ein paar Staaten und 900 Meilen weiter in Lincoln, Nebraska abholen. Notfalls auch zu Fuß, Autofahren darf Woody Grant schon seit einer Weile nicht mehr. Also macht er sich auf den Weg und geht los - auf dem Highway. Nachdem der erwachsene Sohn David (Will Forte), dessen Leben nur aus Job und Fernsehen besteht, den Alters-Verwirrten mehrmals bei der Polizei abholen musste, beschließt er, einfach mit dem Vater loszufahren, so verrückt das Ziel auch scheint.

Die garstigen Gattin Kate und Mutter (June Squibb) ist froh, dass sie den ehemaligen Trinker, der seine Tabletten nicht nehmen will, eine Weile los ist. Mit einem Abstecher bei reichlich debiler Verwandtschaft im Geburtsort auf dem Lande kommen sich die beiden Männer in vielen komischen und auch peinlichen Situationen näher. Man klaut zwar keine Pferde, aber aus der Farm eines Bauern nach 40 Jahren einen Kompressor zurück. Nur leider ist es die falsche Farm. Die eigene Logik der alten und kauzigen Leutchen ist herzlich komisch. Doch Regisseur Payne schafft über rührende Szenen des späten Kennenlernens mit diesem Road Trip eine ganz besondere Familien-Geschichte und viel Hoffnung. Bruce Dern („Django Unchained", „Monster") erhielt in Cannes 2013 die Auszeichnung als Bester Darsteller des Festivals.

„Nebraska" ist nach „The Descendants" mit George Clooney wieder eine ganz andere Familiengeschichte und nach „About Schmidt" mit Jack Nicholson und dem weinseligen „Sideways" mit Paul Giametti wieder ein Road Movie. Dass der mit zwei Drehbuch-Oscars ausgezeichnete Payne nicht in diese Genre-Schubladen passt, machen direkt die amerikanischen Landschaften in Schwarz-Weiß deutlich: Es sind nicht berauschende Hintergründe eines Auf- und Ausbruchs, die vor der Windschutzscheibe vorbeiziehen. Solch dreckige Farblosigkeit ist ähnlich deprimierend wie die Grant-Familie aus lauter Couch-Potatos oder die Zimmerpflanze bei Sohn David, die im trostlosen Apartment keine Überlebens-Chance hat. Aber „Nebraska" macht als einfühlsame Tragikomödie vor allem Spaß. Wenn Woody Grant immer wieder - mal als Scherz, dann ziemlich ernst - sein Gebiss verliert, ist das der gleiche Humor, mit dem Payne einst Jack Nicholson als frischen Witwer ein Badezimmer vollpinkeln ließ.

Alle skurrilen und tristen Szenen spiegeln kitsch-frei einen schönen Weg der Annäherung zwischen Vater und Sohn. Der erfährt spät von der Vergangenheit der Eltern, von den Dingen „die einen in Wahnsinn treiben". Und so wird - auch wenn es in Nebraska nur einen Trostpreis gibt - die Heimreise zu einer Triumphfahrt, die das Vergnügen dieses Films wunderbar vollendet.

13.1.14

The Wolf Of Wall Street

USA 2013 Regie: Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey 180 Min. FSK: ab 16

Ein feistes Kerlchen mit gierig verzerrtem Gesicht - dieser DiCaprio ist ganz anders als sein großer Gatsby: Sein Zocker-Lehrling Jordan Belfort hat gerade die Lizenz als Börsenmakler an der Wall Street erhalten, als einer dieser Banken-Crashs (diesmal vom Oktober 1987) die Firma ruiniert, die vorher andere ruinierte. Doch ganz unten gründet er die Maklerfirma „Stratton Oakmont" und macht mit eindrucksvollem Verkaufs-Talent und erschreckender Rücksichtlosigkeit ein obszönes Vermögen. Es sind durch die Reihe systemrelevante Arschlöcher, die Jordan Belfort am Anfang in einer Autowerkstatt um sich versammelt. Denn der arbeitslose Zocker entdeckt, dass man mit Penny Stocks, also Billig-Aktien meist völlig wertloser Firmen, gleich fünfzig Prozent Provision kassieren kann. Von nun an werden mittellose Menschen um ihr Erspartes gebracht - „Müll an Müllmänner verkaufen".

Dabei gehören die großen Szene der ersten zwei Stunden seinen Mitspielern: Matthew McConaughey (mit neuer Perücke und dem gleichen Wahnsinn wie in Soderberghs „Magic Mike") kommt als Jordans erster Mentor Mark Hanna ganz nah an die Skurrilität eines Christopher Walken heran, wenn er mehrfach tägliche Selbstbefriedigung verschreibt und im edlen Restaurant ein Indianer-Rap anstimmt. Koks und Prostituierte gehören selbstverständlich zum Grundumsatz. Jetzt wissen wir wenigstens, wie unsere Steuer-Milliarden zum Erhalt der „systemrelevanten" Banker „verpulvert" wurden, die sich einen Wolf koksen.

Auch Jonah Hill („Cyrus", „Superbad") darf als Donnie Azoff, Jordans Geschäfts-Partner fast bis zum Ende, eine großartige Comedy-Nummer hinlegen. Und schließlich kann Margot Robbie („Alles eine Frage der Zeit") als zweite Frau Belfords mehr als nur die übliche weibliche Dekoration geben. Das ist immer noch viel weniger als Sharon Stone in „Casino", aber dieser „Wolf" heult halt auch viel zahmer als damals Robert De Niro.

Unverschämt viel Geld verdient Jordan Belfort. Mit 72.000 Dollar im Monat geht es los, später regt sich sein zwar zu recht „Mad Max" genannte, aber in diesem Umfeld sehr geerdete Vater über 300.000 Dollar-Rechnungen für Prostituierte und Gelage auf. Diese „Master of the Universe" pflegen durchgehend sehr deftige Sitten und eine ebensolche Sprache. Eine neue Strategie des Telefon-Verkaufs wird mit einer nicht jugendfreien Pantomime eingeführt (auch dieses Wort darf man sich derb dargestellt vorstellen).

Da Martin Scorsese diesmal die gleichnamige Autobiografie von Jordan Belfort verfilmt, überrascht es nicht, dass ein faszinierend uncharismatischer FBI-Agent (Kyle Chandler) mit seiner Beharrlichkeit letztendlich siegt. Der aberwitzige Versuch, Millionen über persönliche Kuriere - die osteuropäische Familie einer nicht sehr vertrauenswürdigen Blondine - endet mit einer deftigen Katastrophe: Es bedarf insgesamt des Todes der Strohfrau, des Untergangs einer Riesenjacht samt Helikopter und Jet-Skis sowie des Absturzes eines Rettungsfliegers, um die Hybris von Belfort endlich auf Grund laufen zu lassen. Dass man selbst befreundeten Bankern ebenso wenig trauen kann wie Mafia-Killern, ist ja mittlerweile Allgemeinwissen. Jeder verrät jeden, aber mit dem geklauten Geld ist selbst die Haft nicht so heftig. So erzählt es Belfort selbst, denn er ist auch der Erzähler, der mal mitten im Text die Farbe seines Lamborghini austauscht.

In Abwesenheit der bei Scorsese üblichen, exzessiven Gewaltmomente wird einem klar, welche Wirkung diese Szenen in seinen bisherigen Filmen hatten. Das Leben eines Mittelständlers ähnelt im Verfilmen seiner hochkriminellen Biografie den bekannten Mafia-Berichten und wirkt doch anders, auf den ersten Blick nicht so packend. Unser Protagonist Jordan Belfort ist in vielen Momenten ein charismatischer Emporkömmling, ein grandioser Prediger des Börsen-Parketts. Aber halt kein berüchtigter Massenmörder. Jedoch verläuft die Wirkung des Films so wie die der sagenhaften Pillen Lemmon 714 die Jordan am liebsten einwirft: Erst ist man nicht besonders beeindruckt. Doch irgendwann, nach mehreren Stunden, kickt die Wirkung ein: Man erinnert nicht so sehr einzelne Szenen, sondern immer wieder das Gefühl dieser wahnsinnigen Horde Mittelklässler, dieses „Floors" habgieriger Wölflein in schlecht sitzenden Anzügen, die sich auf ihrem Abzock-Trip wie „Master of the Universe" fühlen. Denn auch ein mäßiger Scorsese ist immer noch ein großer Film. Und im Reigen von Dokus und Spielfilmen wie „Margin Call", von Theaterstücken wie Veiels „Das Himbeerreich" eines der deutlichsten Statements gegen den Wahnwitz der Investment-Banker, der uns alle Milliarden kostet.

7.1.14

Diana

Großbritannien, Frankreich, Schweden, Belgien 2013 (Diana) Regie: Oliver Hirschbiegel mit Naomi Watts, Naveen Andrews, Douglas Hodge, Geraldine James 113 Min. FSK: ab 0

Wer bislang öfters mal nichts Wichtigeres zu tun hatte, als sich für ein britisches Prinzeßchen zu interessieren - die aus Monaco sind ja so zickig geworden - muss nun noch einmal zwei Stunden Lebenszeit nachlegen, um auch den filmischen Nachklatsch dieser Boulevard-Story abzusitzen. Oliver Hirschbiegels „Diana" kann durchaus als Strafe verstanden werden: Die - wegen Öffentlichkeit, royaler Verwandtschaft und so - schwierige Beziehungskiste mit üblem Ausgang vermag so gut wie nie zu interessieren.

Drei Jahre nach der Trennung von Prince Charles und zwei vor ihrem tödlichen Unfall im Pariser Tunnel trifft die noch mit den Windsors verheiratete Lady Di (Naomi Watts) auf den Herz-Chirurgen Hasnat Khan (Naveen Andrews), der sie nicht wie eine Prinzessin behandelt. Wie ein verliebtes Mädchen nähert sich die in Schloss und Protokoll Gezwängte dem sehr entspannten Kultur-Menschen, besorgt sich ein medizinisches Handbuch und versucht für ihn zu kochen. Ein spaßiges erstes Date im Schloss mit Unsicherheiten auf beiden Seiten und baldiger Offenheit bei Wein, Burger und Sport im Fernsehen führt zu einer Beziehung, die trotz schicker Tarnung unter schwarzer Perücke nicht lange geheim bleiben kann. Der aus Pakistan stammende Hasnat Khan, der seinen mit Mühen erarbeiteten Beruf sehr ernst nimmt, scheut als zurückgezogen lebender Mensch die Öffentlichkeit sehr. Auch wegen seiner Familie, die Diana nur teilweise akzeptiert, zieht er sich aus dem Liebesverhältnis zurück. Um Hasnat eifersüchtig zu machen, inszeniert die unglückliche Prinzessin für die bisher verhassten Paparazzi eine öffentliche Affäre mit Dodi Al-Fayed. Wegen des tödlichen Autounfalls werden wir nie erfahren, ob es funktioniert hätte und sie bis an ihr Lebensende usw....

Hirschbiegel hat dem Kino einen „Untergang" beschert, die Größte Fatzkerei aller Kinozeiten mit dem schlechtesten Bruno Ganz seit Hitlers Gedenken. Nun verfilmt er das letzte Flackern vom berühmtesten Windlicht aller Boulevard-Spalten! Oh, Diana! Wirst du nie Ruhe geben, denken da Anti-Royalisten und Kindergärtnerinnen, die nicht jedem dahergelaufenen Möchtegern-König in den Rolls rauschen. Trotz der im Rahmen ihrer Figuren und Sätze gut spielenden Hauptdarsteller Naomi Watts und Naveen Andrews leiden alle an diesem Film. Vor allem die Australierin Watts muss einen Teil ihres schauspielerischen Vermögens darauf verwenden, Szenen mit der echten Diana nachzustellen. Dabei bleibt dem Film zwangsläufig zu wenig Zeit für eine irgendwie interessante Figur Diana.

Die Geschichte ist nicht sonderlich komplex und auch nicht schwer umzusetzen: Diana allein mit ihrer Musik im Palast, allein beim Joggen im Garten, allein in der Oper. Was sie von ihrem untreuen Ex hält, wie sie ihre Kinder vermisst, etwas Küchenpsychologie bei der Akupunktur. Hirschbiegel versucht das Triviale zu überhöhen, deshalb folgen immer wieder Fahrten ihren Füßen durch Fluchten von Räumen und Gängen. Viel Aufhebens wird um ein berühmtes Fernsehinterview gemacht - was man wohl nur verstehen kann, wenn man dieser Real-Soap damals Aufmerksamkeit geschenkt hat. Spätestens hier funktioniert der Film nicht mehr eigenständig, „Diana" reduziert sich auf eine DVD-Beilage für Society-Schmuddelblätter.

Klingt der Name Hirschbiegel schon ein wenig wie Unfall mit Wildschaden, ist sein neuer Film „Diana" ein Musterbeispiel für ein sich zwischen ganz viel Stühle Setzen: Er hat ja einiges probiert, sogar mal Filmkunst mit auffälligem Kameraeinsatz. Handwerklich ist dem zum größten Teil deutschen Inszenierungs-Team (Regie, Kamera, Schnitt) auch nichts vorzuwerfen. Nur es funktioniert nichts! Selbst im großen kollektiven Moment der Trauer um Diana, bei dem man eigentlich aus dem riesigen Gefühls-Pool aller Gala- und Bunte-Leserinnen schöpfen kann und einfach nur nichts falsch machen darf, kommt mehr Verwunderung als Gefühl auf. Wobei es hier nicht im geringsten interessiert, ob Diana „richtig" wiedergegeben wurde.

Gescheitert ist somit auch das Melodram, weil es sich das große Gefühl verbaut. Wenn es überhaupt geplant war. Eine gewisse, absichtliche Distanz in der Anlage dieses Projekt sollte man Hirschbiegel zugute halten. Ansonsten ist der Film für alle möglichen Zielgruppen ein großer Unfall.

Die Pute von Panem - The Starving Games

USA 2013 (The Starving Games) Regie: Jason Friedberg, Aaron Seltzer mit Maiara Walsh, Cody Christian, Brant Daugherty, Ross Wyngaarden 83 Min. FSK: ab 12

Der Erfolg der „Tribute von Panem" zog zwangsläufig eine Parodie nach sich. Dass es so ein monothematischer Langeweiler wie „Die Pute von Panem" werden würde, ist die einzige Überraschung dabei.

Die sehr dumme Pute Kantmiss Evershot (Maiara Walsh) opfert sich für ihre Schwester, um ihr armes Dorf in den mörderischen Hunger Games zu vertreten. Als gute Bogenschützin überlebt sie und bietet dem Diktator President Snowballs (Diedrich Bader) die Stirn. Die Nacherzählung der „Hunger Games" mit ein paar absurden Twist kopiert einige Details eins zu eins, wobei in jedem Bild und in den erbärmlichen Tricks der billige Nachdreh erkennbar ist. So gibt es statt großem Publikum in Panem nur einen schäbigen Kinosaal. Im Rahmen der dreisten iGeräte-Werbung bekommt die Spracherkennung Siri als Game-Direktor eine wichtige Rolle und macht den sehr mäßigen Hauptdarstellern Konkurrenz.

Der Stinkefinger als Symbol des Widerstands ist noch das Harmloseste in einer Reihe von Obszönitäten, Furz-Scherzen, anderen Humor-Flatulenzen oder Splatter-Einlagen. Ist es ein akzeptabler Scherz, dass Oprah in einer vorherigen Ausgabe alle Konkurrenten aufaß? Wenn dann einer der Spott-Drosseln aus dem Logo des Films auf Kantmiss scheißt, muss das direkt eimerweise geschehen. Es gibt kein besseres Symbol für den auch nicht ansatzweise funktionierend getimten und abgemessenen Humor.

Wo sich andere schwache Genre-Parodien mit der Fülle von durch den Kakao gezogenen Filmen über die Zeit retten, gibt es hier zusätzlich nur einen verspäteten „Avatar"-Scherz („Stolzes und altes Volk von James Cameron geschaffen"). Das einzige Positive ist die angenehme Kürze der „Pute von Panem" im Vergleich zum Original. Dass dabei eine Konzentration auf das Gemetzel stattfindet, stößt wiederum mächtig ab. Auch hier herrscht Einfallslosigkeit, wenn die Hunger-Spiele wie beim Football mit Kommentatoren und Chearleadern aufgepeppt werden. So etwas gehört zu den vielen Referenzen, die man nicht versteht, wenn man nicht täglich in den USA vor dem Fernseher hängt.

All is lost

USA 2013 (All is lost) Regie: J.C. Chandor mit Robert Redford 106 Min. FSK: ab 6

Der alte Mann Redford und das Meer halten einen in J. C. Chandors Ein-Mann-Drama „All is lost" für fast zwei Stunden gefangen: Das Drama eines einsamen Hochseeseglers, der zuerst von einem herumtreibenden Container gerammt, dann von einem heftigen Sturm in die Mangel genommen und schließlich auf eine Rettungsinsel flüchtet, ist ein durch und durch gelungenes Stück eigentlich unwahrscheinlichen Kinos.

1700 Meilen vom nächsten Stückchen Land, also so mitten im Indischen Ozean, wie man es sich schwer vorstellen kann, segelt ein alter Mann. Der Abschied von der Familie liegt acht Tage zurück, da kracht ein verwaister Container voller Kinderschuhe in das Boot. Diese eigentlich absurde Situation eines ungleichen Zusammenstoßes im Nirgendwo fängt der aus dem Schlaf im kniehohen Wasser erwachende Skipper mit einer erstaunlichen Ruhe auf. Auch der Film macht jetzt nicht auf Drama oder Panik, die Tonspur hält sich extrem zurück. Man darf dem sichtlich erfahrenen Seemann beim Denken und Handeln zusehen. Dabei verzichtet „All is lost" bis auf eine, eindrucksvolle Ausnahme komplett auf Sprache. Wir hören also nicht wie bei John Sturges' Klassiker „Der alte Mann und das Meer" (1958 nach einem Roman von Ernest Hemingway) die Gedanken des einsamen Kämpfers. Dafür sehen wir die sicheren Handgriffe, die das große Loch in der Schiffswand provisorisch mit Kunstharz flicken und ohne dass dauernd Haiflossen umherschwimmen (die kommen später), ist diese fast dokumentarische Nähe am Agieren fesselnd.

Rechtzeitig vor einem herannahenden Sturm, den man auch ohne die abgesoffenen Navigationshilfen nicht übersehen kann, ist wieder klar Schiff und noch Zeit sich zu rasieren. Im Kino sollte man sich jetzt anschnallen, denn nach einer veritablen Eskimorolle mit einer Zwölf-Meter-Jacht bewundert man Robert Redford nicht nur für sein schauspielerisches Können in dieser Solonummer, sondern auch für den extremen Einsatz des 76-Jährigen im Wassertank. Regisseur J.C. Chandor („Der große Crash - Margin Call" , 2011) manövrierte den Film mittlerweile in einen Hurrikan der Hochspannung, und dass ganz ohne billige Dramaturgie-Kniffe.

Das schließlich sinkende Schiff tauscht der Kapitän gegen eine Rettungsinsel und auch bald steht er mit der kopf. Mit einer immer erstaunlicheren Ruhe, in die sich nur langsam ängstliche Blicke schleichen, navigiert der alte Mann mit schnell angelesenem Wissen und Behelfs-Sextanten zu den einzigen Schifffahrtslinien weit und breit. Am Ende fackelt er sogar sein Rettungsboot ab, aber die Hoffnung geht zuletzt unter...

„All is lost" begeistert mit der geballten Schauspielkunst von Robert Redford und immer wieder unaufdringlich wechselnden Kameraperspektiven. Die Unterwasser-Bilder sind zwar nicht poetisch wie bei Ang Lees „Schiffbruch mit Tiger", aber auch auf ihre Art packend. J.C. Chandor war 2012 mit „Der Große Crash – Margin Call" für das Beste Original-Drehbuch Oscar-nominiert. Diesmal weiß man gar nicht, was besser ist: Das mutige und konsequente Buch oder die gegen alle elementaren Gefahren eines Ein-Personen-Stücks bravourös gelungene Inszenierung. Im Vergleich zu „Zwei vom alten Schlag", der im Kino nebenan läuft, ein herausragendes Alterswerk.

Zwei vom alten Schlag

USA 2013 (Grudge Match) Regie: Peter Segal mit Sylvester Stallone, Robert De Niro, Kevin Hart, Alan Arkin und Kim Basinger 113 Min. FSK: ab 12

„Raging Bull" gegen „Rocky". Das ist wie „Schmetterling" Muhammad Ali gegen Volldampf-George Frazier. Filigrane Technik gegen ewig gleiche Dampfhammer-Dramaturgie. Wenn nun die alten Protagonisten beider bemerkenswerter Filmerscheinungen Jahrzehnte später im Ring aufeinandertreffen, ist das vor allem auf der Meta-Ebene eine interessante Geschichte. Robert De Niro, der „Raging Bull" von Martin Scorsese, gegen Sylvester Stallone, ein „Rocky" und „Rambo" der Filmgeschichte, der einfach nicht aufhören will, die Leinwand zu belästigen. Höchste Schauspielkunst gegen ein halbseitig gelähmtes Gesicht in einer anständigen Komödie nach routiniertem Rezept.

„Wie ein wilder Stier" - so der deutsche Titel von „Raging Bull" - säuft, flucht und hurt der ehemalige Box-Champion Billy „The Kid" McDonnen (Robert De Niro) nur noch rum. Dreißig Jahre ist es her seit, seit ein legendäres Ring-Duell gegen Henry „Razor" Sharp (Sylvester Stallone) über zwei Kämpfe unentschieden ausging. Vor der entscheidenden Revanche beendete Henry ohne Begründung seine Karriere, was ihm Billy nie verzieh. Allerdings gab es auch eine Frau zwischen den beiden.

Während sich der einfache und ehrliche Stahl-Arbeiter Henry mit seinem wortwörtlich stillen und bescheidenen Leben zufrieden gibt, lässt der wohlhabende und laut lärmende Autoverkäufer Billy die Sache nicht ruhen. Als Entlassungen, die Pflegeheimkosten des alten Trainers Lightning (Alan Arkin) und der nervige Box-Promoter Dante Slate Jr. (Kevin Hart) den Ring-Ruheständler doch zu einem Comeback-Kampf zwingen, lernen die Veteranen erst einmal, was virales Marketing ist: Ihre schwelende Feindschaft bricht bei jeder Begegnung aus, was zu sehr erfolgreichen Klöppereien auf YouTube führt.

Wenn die alten Herren in albernen Overalls für ein Videospiel vor Blue-Screen schattenboxen, wenn Trainer Lightning seinen Schützling mit dem Senioren-Scooter abhängt oder wenn sich alle über hüpfende Männerbrüste beim Seilchen-Springen („Bad Bay Watch") amüsieren, läuft der Schlagabtausch durchaus gelungen als Komödie ab. Kim Basinger rettet als alte Liebe Henrys und als Mutter von Billys Sohn B.J. (Jon Bernthal) die mäßig romantischen Szenen, in denen Stallone als tollpatschiger Opa nur mit Zurückhaltung überleben kann. Was ihn rettet, sind die exzellenten Dialoge mit klasse Sprüchen im Minutentakt (Buch: Tim Kelleher). Der beste Gag und die Hauptattraktion des Film haben ihre Referenz-Punkte in der auswärtigen Filmgeschichte, in den Verweisen auf andere, bessere Werke, etwa wenn Stallone diesmal nicht wie Frazier und Rocky auf Rinderhälften eindreschen darf.

Robert De Niro ist körperlich längst nicht mehr der Jake La Motta aus Martin Scorseses „Raging Bull" („Wie ein wilder Stier") von vor über dreißig Jahren. Doch beide Senioren machen „oben ohne" im unvermeidlichen Prügel-Finale eine erstaunlich gute Figur, wobei Stallone in Shorts gewinnt und DeNiro unter blutiger Matschgesicht-Maske etwas an Ausdruck verliert. „Zwei vom alten Schlag" ergeben längst noch keinen Boxerfilm vom alten Schlag, aber dank toller Texte und Nachhilfe in Sachen Sentiment durch gute Nebenfiguren (Kim Basinger, Alan Arkin, Jon Bernthal) zumindest nette Unterhaltung.