30.4.13

Iron Man 3

USA/VR China 2013 (Iron Man 3) Regie: Shane Black mit Robert Downey jr., Rebecca Hall, Guy Pearce, Gwyneth Paltrow, Ben Kingsley, Don Cheadle 131 Min. FSK ab 12

Die Gefahr, dass der „Iron Man" Rost ansetzt, war groß im mittlerweile dritten Spielfilm der neuen Serie plus einem Gastauftritt bei den „Avengers". Doch Hauptdarsteller Robert Downey jr. holte sich zur Fortsetzung seines Mainstream-Comebacks Regisseur und Freund Shane Black mit ins Team. Der machte im Sinne der letzten gemeinsamen Produktion „Kiss Kiss, Bang Bang" kräftig Bang Bang, befreit Downey aber auch aus der engen Metallrüstung. Shane Black bekräftigt seinen guten Ruf als Autor cleverer Action-Unterhaltung von „Lethal Weapon" (1986) bis „Der letzte Action Held" (1993).

Nicht eine große Terror-Drohung, sondern ganz private Angst-Attacken quälen den reichen Erfinder und Industriellen Tony Stark (Robert Downey jr.), seit er als Iron Man in „The Avengers" mal wieder die Welt gerettet hat. Seine Hightec-Panzerhaut parkt zur Sicherheit vor der Bar zwischen den Harleys und selbst in den eigenen vier (oder vierzig...) Wänden schlüpft er manchmal in dieses Versteck. Als ein verzweifelter Selbstmord-Attentäter eine Party und ein neuer Gegner dann sein Hauptquartier in die Luft sprengt, katapultiert das Stark in eine neue Rolle...

Die Zerstörungs-Orgie, die den Superhelden ganz nach unten bringt, ist mehr als stark. Und laut. Und eindrucksvoll. Denn für diese Actionhelden-Routine des Niedergangs vor phoenixartiger Wiedergeburt braucht es im Falle des Iron Man enorme destruktive Gewalt. Dies schließt die Demontage des Körperpanzers ein, mit dem „Iron Man 3" wohl nur eine uninteressante Fortsetzung mehr gewesen wäre. Nun finden wir Tony Stark losgelöst von der Schutzhaut und seiner Vergangenheit, mit der Unschuld der Jugend und dem Zauber des Neu-Anfangs wieder. Der Hightec-Überflieger, der Superheld mit Elektroantrieb in der Brust und im Auto muss sich auf dem Land mit Baumarkt-Materialien im McGyver-Stil durchschlagen.

Außer diesem netten psychologischen Kniff unterhält „Iron Man 3" mit technischen Spielereien wie der holografischen Live-Projektion eines bösartigen Gehirns, mit dämonische Auftritten hochexplosiver Gestalten, die nicht nur sinnbildlich „in die Luft gehen", und mit Ben Kingsley in einem ganz neuen Outfit als Terrorist. Das steht ihm hervorragend, wirkt allerdings auch unfreiwillig komisch. Hinter dieser höllischen Bedrohung steckt ein bärtiger und asiatischer Bösewicht, der die USA damit terrorisiert, dass er immer wieder das TV-Programm unterbricht. Nebenbei droht er auch mit schlimmen Dingen. Dass die ganze Terror-Welle nur eine billige Inszenierung mit einem minderbemittelten, drogensüchtigen Schauspieler ist, um über den „Krieg gegen Terror" Jobs für ein paar machtgeile Brutalos zu schaffen, wird überraschend ironiefrei deutlich. Auch dass Kriegsveteranen tickende Zeitbomben sind, die unter dem Druck ihrer Traumata implodieren, gibt einen klaren Hinweis auf ganz reale Bedrohungen in Ländern, die mit Kriegseinsätzen Frieden schaffen wollen.

Während der Iron Man schließlich doch wieder mit seinem „Robin" Don Cheadle zumindest die USA und deren Präsidenten rettet, sorgt Robert Downey jr. mit viel augenzwinkerndem Spiel als Ironie-Mann dafür, dass der finale Overkill an elektronischen Ritterrüstungen als Albernheit ernst genommen wird. Wenn dann noch seine Beziehung zur blassen Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) ausgerechnet durch den Schurken Aldrich Killian (Guy Pearce) mehr Pfeffer bekommt, sind wir fast wieder beim verrückten Spaß von „Kiss Kiss, Bang Bang".

Saiten des Lebens

USA 2012 (A Late Quartet) Regie: Yaron Zilberman mit Philip Seymour Hoffman, Christopher Walken, Catherine Keener, Mark Ivanir, Imogen Poots 105 Min. FSK ab 6

Beethovens Streichquartett Nr.14 in Cis-Moll: Sieben Sätze ohne Pause dazwischen. Kein Nachstimmen der Instrumente erlaubt oder möglich. Eine Katastrophe! Was soll man machen, wenn zwangsläufig Verstimmungen auftreten? Einfach weitermachen?

Verstimmungen gibt es reichlich, als ein berühmtes, seit 25 Jahren bestehendes Streichquartett nach mehr als 3000 Aufführungen das erste Konzert einer neuen Spielzeit beginnt. Cellist Peter Mitchell (Christopher Walken), der älteste, bemerkte erste Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung. Nachdem er den Kollegen das wahrscheinliche Ende seiner Karriere verkündete, ergriff Robert Gelbart (Philip Seymour Hoffman) pietätlos und mit maximal schlechtem Timing die Gelegenheit, Veränderungen einzufordern: Er möchte auch mal die Erste Geige spielen! Wortwörtlich. Doch weder der humorlose Perfektionist Daniel Lerner (Mark Ivanir) noch Roberts gefühlskalte Frau Juliette Gelbart (Catherine Keener) unterstützten diesen Plan. Daraufhin überstürzten sich die Ereignisse: Nachdem eine jüngere Tänzerin (Liraz Charhi) beim Joggen im Central Park Roberts Konkurrenzgedanken mit sehr erotischem Stretching anfachte, ließ er sich zum Ehebruch verführen. Zu Verrat und Untreue gesellte sich eine heikle Beziehung von Daniel mit Alexandra (Imogen Poots), der Tochter von Robert und Juliette.

Wie das Bild der ehebrechenden Trapezartisten im Schwebezustand der Untreue zwischen Halt und Fallen, ist auch dieses Quartett eine starke Metapher für Freundschaft und Beziehungen. Das Einspielen von Beethovens Streichquartett ist dicht verwoben mit Gedanken über Zeit, vor allem der begrenzten: Für Beethoven, als er das Stück komponierte. Für Peter, dessen Hände es nun nicht mehr spielen wollen. Das erste Konzert der Saison soll sein Abschied sein.

Spätestens als die junge Flamenco-Tänzerin ihren Hintern Robert vor die Nase reckt, ist der Ablauf dieser „Saiten des Lebens" leicht vorhersehbar - aber doch im Detail sehr faszinierend! Der größte Applaus gilt den exzellenten Darstellern. Philip Seymour Hoffman („Synecdoche, New York") und Catherine Keener („Being John Malkovich") legen wieder ihr gewohnt unprätentiöses und extrem präzises Spiel hin. Christopher Walken darf - mal ohne Mätzchen - den in all diesem Gezänk einsam leidenden Peter geben, der dank guter Medikamente wieder spielen kann, und seinen Studenten lehrt, Differenzen freundlich auszutragen. Aber sein Quartett ist derweil völlig zerstritten. Dieser dramatische Höhepunkt ist auch einer der komischen Szenen mit sehr feinem Humor. So exzellent wie das Spiel zeigt sich das Zusammenspiel der Parallelmontagen, zudem wird das Drama über alte Filme und eine Affäre in Vergangenheit und Zukunft verlängert. Intensiv wie die bekannten Drei spielen Mark Ivanir und Imogen Poots. Ihre Tochter und Nachwuchs-Violinistin soll bei David erst einmal die dreibändige Autobiographie Beethovens lesen, bevor sie das Stück zu unreif angeht. Sie steht vor einer Entscheidung, die alle Mitglieder des Quartetts irgendwann treffen müssen: Weiter das eigene kleine Ego streicheln oder die Herausforderung annehmen, in einer Gruppe das Beste aus sich rauszuholen.

29.4.13

Passion (2012)

BRD, Frankreich 2012 (Passion) Regie: Brian de Palma mit Rachel McAdams, Noomi Rapace, Paul Anderson, Karoline Herfurth, Rainer Bock 105 Min. FSK ab 16

Wenn der Sponsor mit dem Handy zweimal klingelt ... gibt das noch längst keinen erotischen Thriller. Altmeister Brian De Palma hat wohl seinen Steuerberater auch mal einem Film machen lassen. Außerdem brauchte er ein neues Handy und die Filmförderung Berlin-Brandenburg warf ihm zusätzlich Geld hinterher. Das Ergebnis ist schrecklich: In einem weiblich dominierten Werbehaus beschäftigen sich Chefin (Rachel McAdams), Assistentin (Noomi Rapace) und deren Assistentin (Karoline Herfurth) mit Intrigen. Zeit für Arbeit kann da keine bleiben, deshalb muss auch Betrug im Spiel sein, um die Miete am Potsdamer Platz zu bezahlen. Mit Verführung zwischen den Frauen soll da auch was laufen, aber dies funktioniert ebenfalls nicht. Bis zum Mord vergehen mühsame 60 Minuten. Man staunt, was da für ein Krampf unter dem guten Namen De Palma läuft. Allein der Name Christine erinnert an Spannung, die Schauspielerin Rachel McAdams dahinter ist eine Witzfigur. Auch Noomi Rapace, die wieder mit Kamera ins Bett geht, spielt extrem schlecht. Dass unverschämtes Product Placement - auch für Berlin - raffiniert das Thema Werbung und Oberflächlichkeit spiegeln soll, kann man beim besten Willen nicht als Entschuldigung gelten lassen. In den besten Szene ist De Palma eine Parodie seiner selbst - in der Zeit als er der Epigone Hitchcocks war. Mit dieser Enttäuschung, die auf Alain Corneaus „Crime d'amour" aus 2010 basiert, sollte seine Karriere nicht zu Ende gehen.

28.4.13

Der Tag wird kommen (2012)

Frankreich, Belgien, BRD 2012 (Le Grand Soir) Regie: Gustave Kervern, Benoît Delépine mit Benoît Poelvoorde, Albert Dupontel, Brigitte Fontaine, Areski Belkacem, Bouli Lanners 92 Min.

We are Not Dead! Dieser ungemein kraftvolle Ausruf steht am Ende einer der verrücktesten Buddy-Komödien, die man sich vorstellen kann. Die ungleichen Brüder Benoît und Jean-Pierre Bonzini, der alte Punk und der angepasste Matrazenverkäufer, sind dabei noch weiter voneinander entfernt als ein Raumfahrer und ein Alien. Das auf internationalen Festivals gefeierte Regieduo Gustave Kervern und Benoît Delépine ist nicht erst seit „Louise hires a contract killer" und „Mammuth" berüchtigt für einen schrägen Humor mit Herz für die einfachen Arbeiter. Unter ihnen darf Benoît Poelvoorde, seit „Mann beisst Hund" das genialistische Enfant terrible des französisch-belgischen Films, eine seiner krassesten Rollen spielen.

Auf dem Kopf versucht ein Mini-Irokese noch bei fortgeschrittenem Alter und rückschreitender Haarlinie den Geist des Punk hochzuhalten: Benoît Bonzini (Benoît Poelvoorde) ist ein Fremdkörper in der Vorstadt-Konsumlandschaft, die wiederum ein Fremdkörper im Universum überhaupt ist. Hier lebt Benoît, der sich den Namen seiner Wahl „Not" in die Stirn geritzt hat, Widerstand mit kindlich naiver Anarchieaus. Dazu gehört auch, Alkohol aus billigen aber großen Dosen unter enormen persönlichen Einsatz zu vernichten. In Begleitung eines kleinen, treuen Hundes, der oft klüger wirkt als Benoît, findet er sich deshalb oft im Gebüsch des riesigen Parkplatzes wieder. Die gigantischen Einkaufsläden und Möbelhäuser auf dieser Brache des Lebens versuchen, den Eindringling mit Kameras und prekär bezahlten Überwachungskräften (großartig: Bouli Lanners!) zu kontrollieren.

Nur Mutters Geburtstag kann Benoît noch mit seinem Bruder Jean-Pierre (Albert Dupontel), einem angepassten Betten-Verkäufer, zusammenbringen. Erst als der Spießer den Druck von Job, Familie und Konsum-Terror nicht mehr aushält und in einer grandiosen Koma-Aktion (siehe "Hangover") ausrastet, landen die Brüder in einem Boot. Die Hilfsversuche des Bruders machen auch aus Jean-Pierre einen Punk, gezeichnet von einem üppigen Irokesen und dem neuen Kampfnamen DEAD auf der Stirn.

Diese kleine aber großartige Rebellion im Einkaufszentrum ist der fünfte und ein besonders gelungener Spielfilm des Regieduos Gustave Kervern & Benoît Delépine. Hier verbindet sich ihr ganz spezieller Spaß mit ernster und dringend notwendiger Gesellschafts- und Konsumkritik. Die Qualitäten des Teams sind wieder mannigfaltig: Es ist meisterlich darin, die Tristesse von schäbigen Kneipen und durch Stadtplaner versaute Gegenden einzufangen. Kleine Bildwitze am Rande und in den ausgesuchten Kadrierungen, herrliche Situationskomik, hintersinnig absurde Dialoge aber vor allem die perfekten Darsteller, auf die man immer wieder gerne zurückgreift. Der neueste Anschlag auf „nettes" Kino feierte in Cannes seine Weltpremiere und gewann den Spezialpreis der Jury. Treffende Sozialkritik mit Esprit und anarchischem Humor sind zum Glück NOT DEAD.

24.4.13

Eine Dame in Paris

Frankreich, Estland, Belgien 2011 (Une estonienne à Paris) mit Laine Mägi, Jeanne Moreau, Patrick Pineau 94 Min.

Obwohl ihre eigene Mutter nach langer Krankheit gerade verstorben ist, nimmt Anne (Laine Mägi), eine Frau aus Estland, ihren alten Pflege-Beruf wieder auf und kümmert sich in Paris um Frida (Jeanne Moreau). Nun will die alte, auch aus Estland stammende Dame allerdings keine Hilfe und hat schon einige Pflegekräfte verschlissen. Zickig bis biestig und auch mal bösartig tut sie alles, um Anne zu vertreiben. Trotz dieser verletzenden und auch mal ironischerweise ausländerfeindlichen Attacken bleibt Anne lange geduldig.

Stéphane, der geschäftige Café-Besitzer, der Anne engagierte, kommt selten vorbei - man kann ihn verstehen nachdem man das erste Gespräch der beiden mitbekommen hat. Doch schließlich ist auch Frida, die jedem Annäherungsversuch erst einmal mit gekonnter Abstoßung begegnet, nur ein einsamer Mensch, der sogar nach einem Selbstmordversuch unbedingt vom Arzneischrank ferngehalten werden muss. Aber Anne gelingt es mit Beharrlichkeit, dem Drachen näher zu kommen. Schließlich unterhalten sich die beiden sogar über Männer und Sex. Wobei sich Stéphane (Patrick Pineau) als ein früherer Liebhaber von Frida erweist, der einst das Café als Geschenk bekam. Je mehr die beiden sich annähern, desto mehr freut man sich, diesen stillen Film sehen zu können. In Locarno gab es dafür 2012 den Preis der Internationalen Filmkritik (FIPRESCI).

Jeanne Moreau als „Eine Dame in Paris" wieder zu sehen, ist nicht die Auffrischung eines schillernden Stars. Sie spielt einfach gut und eindrucksvoll die herrische Dame, die stolze und verletzliche Frau. Gleichwertig gibt Laine Mägi die Anna mit einer Sprödigkeit, wie man sie vielleicht eher von finnischen Stars kennt, und kräftigem Akzent. Anfangs frischte Anne ihr Französisch mit einem Chanson von Joe Dassin („Si tu t'appelle mélancolie") auf. Ihre einsamen Ausflüge ins nächtliche Paris sind mit Streichern und Saxophon unterlegt. Wie das zuerst dunkle und gelbliche Licht hellt sich auch die Stimmung zunehmend auf. Der estnische Regisseur Ilmar Raag („Klass") erzählt die Geschichte beider Frauen auf Basis der Erlebnisse seiner eigenen Mutter.

22.4.13

Side Effects - Tödliche Nebenwirkungen

USA 2013 (Side Effects) Regie: Steven Soderbergh mit Jude Law, Rooney Mara, Catherine Zeta-Jones, Channing Tatum 106 Min.

Der Countdown läuft: Mitte Mai zeigt Cannes den letzten Film eines der erfolgreichsten und vielseitigsten Regisseure unserer Zeit. Steven Soderberghs „Behind the Candelabra" ist die TV-Geschichte einer wilden Affäre des berühmten Pianisten Liberaces mit einem jüngeren Mann, gespielt von Matt Damon. Doch bevor der Regisseur, Autor und Kameramann, der nach eigener Meinung alles gemacht hat, was man machen kann, auf dem Höhepunkt seiner Kunst abtritt, kommt nun „Side Effect", der letzte richtige Kinofilm zu uns. In dem breiten Repertoire vom ersten Cannes-Erfolg mit „Sex, Lügen und Video" über Arthouse-Filme wie „Kafka" oder den völlig unbekannten „Schizopolis", der Jennifer Lopez-Entdeckung „Out of Sight", Riesenerfolgen wie „Erin Brockovich" und „Ocean's Eleven" gibt es also noch einmal einen exzellenten Genrefilm. Zu der erwarteten Thriller-Überraschung gesellt sich wieder so ein für Soderbergh typischer Perspektiven-Wechsel, der auch „Side Effects" zu einem ganz besonderen Film macht.

„Side Effects", deutsch: Nebenwirkungen, von Steven Soderbergh dreht sich um die junge, depressive Emily (Rooney Mara), die ihren Mann (Soderberghs „Nackttänzer" Channing Tatum) schlafwandelnd umbringt. Dass sie vorher eine ganze Palette von Antidepressiva durchprobiert hat und das neueste Produkt mit massiver Bestechung durch den Pharma-Produzent an die Patienten gelangt, ist mehr als ein Seitenhieb auf diese gierige Milliarden-Branche. Es stellt sich die Frage, ob Emily überhaupt für ihre Taten verantwortlich ist. Oder ist der eigentlich schuldige ihr Therapeut Dr. Jonathan Banks (Jude Law), der sich mit dem gefährlichen Medikament und sogenannten Patienten-Studien etwas mehr Luxusleben hinzuverdiente?

Alles klar also: Nachdem Soderbergh in „Contagion" (2011) eine weltweite Epidemie mit Fragen nach der medizinischen und politischen Ethik verknüpfte, nimmt er nun die korrupte Arzneimittel-Branche ins Visier ... scheinbar. Denn hätten wir bei Hitchcock und Co besser aufgepasst, wüssten wir, dass das Offensichtliche uns gerne mal zur Täuschung genau vor die Nase halten wird. Der geniale Regisseur lässt nicht nur seine Hauptfigur tricksen, er legt uns selbst rein und beschert damit doppeltes Filmvergnügen.

Denn wie der raffinierte, spannende und sehr sicher inszenierte Thriller die Bestechlichkeit von Ärzten mit der Gier von Börsen-Spekulanten und eines liebenden Paares verbindet, ist große Drehbuch-Kunst von Autor Scott Z. Burns. Jude Law spielt dabei elegant und glaubhaft den Psychiater Dr. Jonathan Banks, dessen reiches Leben durch diesen Fall zerstört wird. Detektivisch schlägt er zurück und aus der überraschenden Geschichte wird ein veritabler Hitchcock. Soderbergh hält sich zwar als Kameramann Peter Andrews - so sein Pseudonym - stilistisch zurück, doch das Publikum der letzten Berlinale war dankbar für die hochwertige Kino-Kost.

The Broken Circle Breakdown

Belgien / Niederlande 2012 (The Broken Circle Breakdown) Regie: Felix van Groeningen Buch: Felix van Groeningen, Carl Joos mit Johan Heldenbergh, Veerle Baetens, Nell Cattrysse 111 Min.

Ein überbordendes Maß an Gefühlen und eine deutliche politische Agenda sind die Extreme, zwischen denen der flämische Regisseur Felix van Groeningen („Die Beschissenheit der Dinge") eine leidenschaftliche Liebesgeschichte und einen dramatischen Krankheitsfall spannt. Alles begleitet und durchdringt die Bluegrass-Musik der Band, die Liebe, Leben und Leiden nicht nur vertont, sondern in besonders emotionalen Höhepunkten auf noch mehr Sinne loslässt. „The Broken Circle Breakdown" ist die Sensation nicht nur dieses Kinojahres.

Didier (Johan Heldenbergh) lebt wie ein „echter Cowboy" auf dem Land beim flämischen Gent und schwärmt von Bluegrass-Musik. Als die Tätowiererin Elise (Veerle Baetens) seine Band beim Konzert hört, verfällt sie ihm endgültig. Nach einer ekstatischen Zeit zu zweit, wird die junge, von Tattoos übersäte Frau Sängerin der Truppe. Die Schwangerschaft Elises verwirrt den hinter wildem Bart sensiblen Bären Didier zuerst, dann schnappt er sich einen Vorschlaghammer, um das Haus familiengerecht umzubauen. Dem Glück der Geburt folgt nach wenigen Jahren der Schmerz einer Leukämie-Diagnose. Ihre Tochter Maybelle (Nell Cattrysse) durchleidet eine Chemotherapie und dieser Schicksalsschlag belastet auch die große Liebe. Während Elise Sterben und Jenseits in kindgerechten Konstrukten vermitteln will, lehnt Didier den Glauben als Zuflucht ab. Zudem macht er konservative Politiker religiös verankerter Parteien dafür verantwortlich, dass die Stammzellen-Therapie noch nicht fortgeschritten genug ist, um seiner Tochter zu helfen. In einer verbitterten Klagerede mitten im Konzert schreit Didier seine Wut heraus. Eine Atheisten-Predigt, die Elise noch mehr von ihm entfernt. So leidenschaftlich wie ihre Liebe war, die in der Kneipe von einem Elvis-Parodisten für „gute wie für schlechte Zeiten" besiegelt wurde, so zerstörerisch ist ihr Ende.

„The Broken Circle Breakdown" ist nicht nur eine überwältigende Liebesgeschichte, nicht nur ein mitreißender Musikfilm, mit dem schärfsten Country-Paar seid Johnny Cash und June Carter. Es ist mehr als ein schmerzlicher Krankheitsfilm, der in seinen Chemo-Szenen sehr zurückhaltend bleibt. Die Fragen nach dem Sinn und Unsinn von Religionen, nach den Nutzen und Schaden von Kirchen, ziehen sich von kindlichen Erzählungen bis zu großen gesellschaftlichen Anklagen. Selbstverständlich haben auch die Songs des Films, die als Soundtrack in seiner Heimat die Hitparaden mit historischen einmaligen Platzierungen eroberten, auch dazu eine Meinung: „Will the circle be unbroken?" erklingt als Evergreen und als recht fröhlich klingendes Trauerlied über den „besseren Ort im Himmel". „The Broken Circle Breakdown" ist selbst für Nichtfans dieser Musik-Richtung eine Offenbarung

Mit seinen überbordenden Gefühlen ist das junge flämische Meisterwerk eigentlich ein Melodram, doch schafft die Inszenierung eine glaubwürdige Illusion von Natürlichkeit der Figuren, die mit beiden Beinen fest am Boden stehen. Hinzu kommt das ausgezeichnete Spiel von Heldenbergh, der diese Rolle schon auf der Bühne spielte, und von der in Freud und Leid zauberhaften Veerle Baetens. Aus allem ergibt sich eine Achterbahn-Fahrt der Gefühle, die nach riesigem Erfolg in Belgien auch die Berlinale eroberte.

Der nach „Die Beschissenheit der Dinge" (2009) und dem dazugehörigen Stunt nackter Fahrradfahrer auf der Croisette auch international renommierte Regisseur Felix van Groeningen ist mit dem Koautor Johan Heldenbergh befreundet, so konnte er sich früh die Film-Rechte sichern und sein eigenes Drehbuch erarbeiten.

17.4.13

I Am a Woman Now

Niederlande 2011 Regie: Michiel van Erp 80 Min.

Der Dokumentarfilm des Niederländers Michiel van Erp erzählt wunderschöne Geschichten von Menschen, die ihr Glück durch einen damals sensationellen Eingriff gefunden haben. Gemeinsam ist den fünf älteren Frauen, dass sie vor mehr als vierzig Jahren durch eine Operation des sagenumwobenen Dr. Georges Burou in Casablanca ihr Geschlecht wandelten. Burou war der erste Arzt überhaupt, der diesen Eingriff unternahm.

Alle Frauen hatten traumatische Erlebnisse in Kindheit und Jugend. Es gibt die Geschichten von Selbstmordversuchen und Zwangsbehandlungen vor dem rettenden Hormonbehandlung und Eingriff, der damals 180.000 Belgische Franc (etwa 5000 Euro) kostete. Das Pariser Showgirl Bambi war eine der ersten, die den Schritt wagten. Jahrzehnte später treffen wir beeindruckende Menschen, die von guten und dunklen Momenten erzählen. Denn der Regisseur bleibt nicht bei dieser bemerkenswerten historischen Entwicklung, er schaut genauer hin und wird mit berührender Offenheit belohnt. Die Suche nach dem richtigen Leben, nach Liebe oder wenigstens Anerkennung bleibt schwierig, das Alter fordert seinen Tribut. Die reiche und vielschichtige Doku gibt einem mit seinen Reisen, Erinnerungen und Begegnungen viel mehr Leben und Gefühl als so ein durchschnittlicher Jahresauswurf an Spielfilmen aus Hollywood.

You Drive Me Crazy

BRD 2012 Regie: Andrea Thiele 88 Min.

Sie sind Ex-Pats, Ausländer oder Aliens: Jake, der amerikanische Party-Macher in Tokio, wo der letzte Zug um Mitternacht fährt. Eine koreanische Familie in München, welche die Münchener Freiheit des Individualverkehrs erleben möchte, die fröhliche Musikwissenschaftlerin Hye-Won verschweigt allerdings einen schweren Unfall in Korea. Dann gibt es die sehr selbstbewusste Deutsche Mirela, die in Indien ein Modelabel startet, aber in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Der Witz dieser drei Porträts: Sie können alle Autofahren, haben bereits einen Führerschein, müssen aber diese Dokumente übersetzen lassen und Zusatzprüfungen machen. Teilweise auf Autos mit Schaltgetrieben, die in einigen Kulturen als vorsintflutlich gelten, aber vor allem nationale Eigenheiten, treiben sie in den Wahnsinn des Titels.

Nur die Deutsche in Mumbei treibt ihrerseits trotz haarsträubender Autos und Bedingungen ihre Fahrlehrer in den Wahnsinn. Allerdings fordern Geschwindigkeitsbegrenzungen und eine sehr detaillierte Zeichensprache ebenfalls ihre Geduld. Was das Zauberwort für Jake in Japan ist: Der lernt bei einem angeblich berühmten Fahrlehrer erst, wie man eine Türe öffnet und schließt - auf dem sicheren Verkehrsübungsplatz selbstverständlich. Das erinnert sehr an Zen-Meister in Kung Fu-Filmen für Teenager.

Auch wenn die kuriosen bis absurden Fahrstunden ein unerschöpflicher Quell für Heiterkeit sind - gelungen ist diese ungewöhnliche Dokumentation schon durch die Auswahl der Kandidaten. Sie lassen nicht nur die Haltung zu einer anderen Kultur miterleben, sondern durchaus auch dramatische Geschichten, wie die der Koreanerin, deren Mann zur Armee muss und deren Eltern daraufhin das Kind nach Korea holen.

16.4.13

Broken City

USA 2013 (Broken City) Regie: Allen Hughes mit Mark Wahlberg, Russell Crowe, Catherine Zeta-Jones, Jeffrey Wright 109 Min. FSK ab 12

Die Stadt ist pleite - das meint „Broken City" - und wer kennt das nicht? Deshalb sollte man vor allem zur Wahl gehen. Aber auch zu Wahlberg ins Kino? Die konventionelle Detektiv-Story „Broken Circle" reizt - wenn überhaupt - nicht mit Wahlbergs einfältigem Schnüffler, sondern mit der Faszination des bösen Bürgermeisters in Form von Russell Crowe.

Der New Yorker Polizist Billy Taggart (Mark Wahlberg) wird nach der Erschießung eines Verdächtigen zwar freigesprochen, muss aber trotzdem den Dienst quittieren. Sieben Jahre später macht er nur noch Jagd auf Ehebrecher. Was zum ganz schmutzigen Job wird, als ihn der Bürgermeister Nicolas Hostetler (Russell Crowe) beauftragt, seiner Frau Cathleen Hostetler (Catherine Zeta-Jones) nachzustellen. Die trifft sich tatsächlich mitten im Wahlkampf sehr privat mit dem Berater des in Führung liegenden Gegners. Nach einer Film-Stunde zeigen sich die Abgründe des herrischen Hostetler: Der politische und persönliche Nebenbuhler liegt ermordet auf der Straße, der Amtsinhaber hat wieder alle Trümpfe in der Hand.

Angesichts des schauspielerischen Gewichts erstaunt es, dass Mark Wahlberg als Koproduzent hier den wesentlich präsenteren Russell Crowe anheuert. Andererseits: Wahlberg selbst ist in der Hauptrolle nur mäßig, selbst wenn sie ganz auf seinen Typus des einfachen bis einfältigen Mannes zugeschnitten ist: In einem reizenden Gespräch mit dem Objekt seiner Untersuchung Cathleen Hostetler (Catherine Zeta-Jones) fragt diese mit spitzer Zunge treffend, ob der Detektiv katholisch oder dumm sein. Billy kann beides bejahen. Und ergänzt, er werde dafür bezahlt, Fotos zu machen, nicht zu denken.

Vor allem der sehr plötzliche Umschwung vom kleinen, braven Schnüffler zum Amok laufenden Säufer, nachdem er seine Freundin in einem Softporno gesehen hat, funktioniert nicht. Das liegt nicht nur an Wahlberg, auch andere Momente sehen nach holperigem Drehbuch oder Schnitt aus. Regisseur Allen Hughes hat hier erstmals ohne seinen Bruder Albert inszeniert, „The Book of Eli" gelang beiden noch eindrucksvoll. So ist beispielsweise die Vorgeschichte, in der Billy einen Vergewaltiger und Mörder in angeblicher Notwehr erschießt, routiniert erzählt. Doch schon das Ausspionieren der prominenten Verdächtigen wirkt nicht glaubhaft. Die große tragische Figur der Cathleen Hostetler steht Catherine Zeta-Jones gut, besser als die sexuell unterversorgte Soccer-Mom aus „Kiss the Coach".

Übersichtlich wie das Positive des Films ist auch die politische Aussage: Die Regierung verkauft wieder mal Sozialwohnungen - oder Wasser oder die Eisenbahn... und die Bestechungsgelder werden mit Preiserhöhungen finanziert. Letztendlich ist alles nur noch ein schmutziges Machtspiel, bei dem wahrscheinlich der eine korrupte Politiker durch den nächsten ausgewechselt wird. Irgendwie hat man das Gefühl, dass „Broken City" nur ein Notnagel ist, bis nächste Woche „Broken Circle", die Sensation des Jahrzehnts, die Kinos erobert.

Mama (2012)

Spanien, Kanada 2012 (Mama) Regie: Andrés Muschietti mit Jessica Chastain, Nikolaj Coster-Waldau, Megan Charpentier, Isabelle Nélisse 100 Min.

Mamma mia! Hier ist Horror wirklich mal unheimlich und zeigt nie was man erwartet - im Gegensatz zur Teenie-Abteilung des Genres! „Mama" ist zwar nicht ganz die Mutter aller Horror-Filme, aber unter Federführung des spanischen Meisters Guillermo del Toro („Hellboy" 2008, „Pans Labyrinth" 2006) ein schauriges Vergnügen mit Jessica Chastain, die mit unheimlicher Konstanz schon wieder eine grandiose Rolle hinlegt.

Wenn der Vater mit den Töchtern in eisiger Berglandschaft einmal rausfliegt, aus der Kurve, dann ahnt man schon nichts Gutes. Jucas schleppt sich und die kleinen Mädchen noch zu einer verlassenen Hütte, will erst sie und dann sich erschießen. Doch so ganz verlassen ist es hier nicht und eine schauerliche Fürsorge übernimmt die Erziehung für die nächsten fünf Jahre.

Schon bevor die Mädchen von ihrem Onkel Jeffrey (Nikolaj Coster-Waldau aus „Game of Thrones") wiedergefunden werden, deutet ein Berg von Kirschkernen auf eine ungewöhnliche Kinderstube hin. Wie sehr schnelle Tiere krabbeln Victoria (Megan Charpentier) und Lilly (Isabelle Nélisse) auf allen vieren herum. Das ist ein wenig „Nell", etwas Kaspar Hauser, aber vor allem extrem gruselig. Die an diesen Fällen sehr interessierten Psychologen meinen, die Kinder hätten in der Isolation eine eingebildete Mutter entwickelt. Victoria wirkt bald wieder wie ein kleines, sehr ernstes Mädchen, die jüngere Lilly erscheint auch äußerlich extrem verstört und behält ihre tierischen Verhaltensweisen bei. Jeffrey und dessen Freundin Annabel (Jessica Chastain) erhalten die Vormundschaft. Doch nach einem absoluten Horror-Unfall rafft es auch diese männliche Bezugsperson dahin. Annabel, die kein Kind haben wollte, ist jetzt mit mindestens zwei von ihnen sowie einem Monster allein zuhause. Denn man weiß, dass es böse wird, wenn sich zwei mit dem Anspruch, Mutter zu sein, um die Erziehung kümmern wollen. Wird es Victoria gelingen, Erziehungs- und die Erschreckensberechtigte auseinander zu halten?

„Mama" entstand auf Basis eines gleichnamigen Drei-Minüters vom Geschwisterpaar (sic!) Barbara und Andrés Muschietti, der nach etwas Suchen nicht überall auf Youtube von sogenannten Rechteinhabern gesperrt ist. Der vergilbte Farbton vom Lang-Remake verweist auf den Produzenten Guillermo del Toro, der in diesem Stil schon mit seinen früheren spanischen Meisterwerken „Pans Labyrinth" 2006 und „The Devil's Backbone" 2001 faszinierte. Auch der Verweis auf sein faschistisches Waisenhaus aus „Backbone" ist in einen herrlich grausigen Albtraum eingebaut.

Jessica Chastain spielt mit schwarzen Haaren und Riesen-Tattoo, mit biestiger Attitüde einer Punk-Bassistin so völlig anders als in „Zero Dark Thirty", aber wieder sehr, sehr eindrucksvoll. Unheimlich, wie souverän sie ihre Serie von Super-Filmen einfach mal fortsetzt. Aber auch die Inszenierung ist erstklassig: Sehr raffiniert taucht Mama lange nur als Schatten oder außerhalb des Bildes auf. So zieht irgendwer an Lillys Decke, obwohl diese allein im Zimmer ist. Schön unheimliche Geräusche ergänzen die filmische Geisterbahn. Nur die üblichen rationellen Erklärungen für außerhalb des Horror-Genres völlig unerklärliche Erscheinungen verlaufen etwas mühsam. Dafür liefert der Wechsel aus begeisterter Realität, Traum und Rückblenden traumhaft alptraumhafte Bilder. Bis hin zum unwahrscheinlichsten aller Finales, einer gigantischen Monster-Mutter-Rührszene am Abgrund zum Megakitsch. Aber das ist dann wieder ein anderer Grund zum Schaudern.

10.4.13

Mademoiselle Populaire

Frankreich, Belgien 2012 (Populaire) Regie: Régis Roinsard mit Déborah François, Romain Duris, Bérénice Bejo, Shaun Benson 111 Min.

Der Triumph der Sekretärinnen ist einerseits einfach eine Schreibmaschine namens Triumph, andererseits auch eine ganz spezielle Emanzipationsgeschichte zwischen Aufstieg und Ausbeutung, Spezialisierung und Sexismus. „Mademoiselle Populaire" nimmt das im 50er Jahre-Dekor alles sehr leicht und luftig komödiantisch: Die junge Rose schreibt zuerst ihren Namen im „Adler-Such-System" auf eine alte Triumph im Laden ihres Vaters. Das Prinzip „Ich tippe, also bin ich" setzt sich bei der Bewerbung für einen ersten Job fort. Mit dem Chef Louise ergibt sich beim Einstellungsgespräch eine schwierige Beziehung, man könnte auch sagen, es klickt sofort ... nicht. Aber es klappert, als Rose rasant in die Tasten haut und die exakte Kopie eines Briefes abtippt (in Zeiten lange vor Kopierer und Scanner), stellt er den suchenden Blick nach einer anderen Sekretärin ein. Dass sich dabei ihr Haar löst und das Kleid von der Schulter rutscht, gehört in die Abteilung des Sexual-Objektes Sekretärin. Bis es allerdings zu so einer Zusammenarbeit kommt, bleibt Zeit für viel Humor und ein kleines Drama.

Nach einem frustrierenden ersten Schnellschreib-Wettbewerb System, begleitet von flottem Franco-Rock, geht es zu Louis nach Hause, ins Trainingslager für Sekretärinnen. Als förderungswürdiges Talent sieht er sie vor allem, nach einem Fahrradsturz sorgt er sich erst um ihre Hände. Auf dem Weg zur französischen Meisterschaft bleibt er der Schüchterne, der sich nicht traut. Im umgedrehten Rollenspiel kocht und wäscht er für sie. Und auch sein Rumzicken auf Basis von Unsicherheit und falsch verstandener Fürsorge kompliziert die Liebesgeschichte. Allein macht Rose Karriere als Werbe-Ikone, bekommt eine rosa Schreibmaschinen-Serie und den „Tcha-tscha de la secrétaire" auf den Leib geschrieben. Autogramme tippt die nun populäre Werbefigur für die Schreibmaschine namens Populaire selbstverständlich mit Farbband und Typenhebeln. Mit neuem Team und vor allem ohne Louis auf dem Weg zur Weltmeisterschaft in New York, stimmt jedoch nichts mehr...

„Mademoiselle Populaire" bietet eine herrliche Retro-Inszenierung, bei der Anzüge, Kleider, Möbel, Autos und selbst die Bonbon-Farben des Films Spaß machen. So historisch situiert nimmt man dem Humor nicht übel, im Stile der Doris Day-Komödien auch auf Kosten der sympathisch tollpatschigen Heldin zu gehen. Denn auch Louis ist niedlich, wenn er nicht weiß wohin mit einem in der Waschmaschine vergessenen BH. Die nicht nur für ein Debüt exzellent gemachte Komödie hat bestechend komische Szenen, wie das Messerspielchen, mit dem Louis Piano-Unterricht für Rose herauspresst und sich eine Handverletzung zuzieht. Ab und zu wird es gar poetisch, wenn ein Windzug den ganzen Raum mit schwebenden Blättern um ihre wehenden Haare füllt. Die finale Liebeserklärung findet ein vielsprachiges Echo bei den Sekretärinnen aus aller Welt.

Der ansonsten immer wilde Romain Duris („Gadjo Dilo") ist als Büro-Chef im Anzug kaum wiederzuerkennen und man wünscht dem verklemmten Männlein einen Ausbruch wie in früheren Rollen. Ein Wiedersehen in Nebenrolle als Piano-Lehrerin Marie gibt es mit Bérénice Bejo, dem Star aus „The Artist". Allein, wenn es Rose scheinbar ungeliebt überhaupt nicht glücklich macht, eine „moderne Frau" zu sein und einfach nur Frau sein möchte, spielt ganz kurz der kulturhistorische Komplex hinein, den Friedrich Kittler so treffend und ähnlich unterhaltsam 1985 in seinen Buch „Aufschreibesysteme 1800 · 1900" beschrieb. So ist die leichte Komödie irgendwie auch eine gute Literaturverfilmung.

9.4.13

Thor - Ein hammermäßiges Abenteuer

Island, BRD, Irland 2011 (Hetjur Valhallar - Þór) Regie: Óskar Jónasson, Toby Genkel (Co-Regie), Gunnar Karlsson (Co-Regie) 86 Min. FSK ab 6

Der Schmied-Lehrling Thor, ein angeblicher Sohn Odins, liest Comics und findet, Papa solle endlich mal auf die Opfergaben antworten. Ganz ungewollt fällt ihm daraufhin ein magischer Hammer, die mächtigste Waffe der Welt, zu Füßen, den der auf mehr als einem Auge blinde Gott auch verschmäht. Erst als dem Himmel die Opfergaben ausgehen, bequemen sich die hohen Herrschaften, getrieben vom Kohldampf, mal wieder auf die Erde. Im bald folgenden Hin und Her zwischen Götter- und Unterwelt, Odin und seiner frostigen Ex-Geliebten Hel, Riesen und einem erfindungsreichen, dicken Elfen findet der anfangs tollpatschige Thor seine Bestimmung. Dazu ist allerdings hartes Training im Hammerwerfen und eine Lehrstunde in Demut erforderlich. Erst das Eingeständnis eines Fehlers samt Tränchen lässt die in handliche Würfel eingefrorenen Freunde auftauen.

„Thor", diese schon etwas angestaubte Kinder-Animation, steckt voller witziger Ideen - für jeden und jedes Alter ist da was dabei. Zwar wurde die Mimik nicht besonders ausgearbeitet, die Landschaften und Kulissen geben viel mehr her. Aber originelle Figuren, Dialoge und Handlungen wiegen das auf. Besonders der mächtige und sprechende Hammer, der lange als normales Schmiede-Werkzeug missbraucht wird, ist als klassischer Sidekick ein hammermäßiger Volltreffer. Bei den Gegnern gibt es den gar grimmigen, aber auch besonders dämlichen Reithund Hels, der mitten in der Schlacht mal Stöckchen holen geht und beim Marsch auf Walhalla unter Verstopfung leidet. Auch sonst passiert ganz schön viel, was aus der üblichen Disney-Welt rausfällt: Thor, der in einem Kampf um Jahrzehnte altert etwa, ist eine gute Portion Mythos, von dessen nordischer Abteilung hier eine Menge zu erfahren ist. Zudem sind die Abenteuer eines alleinerzogenen Sohnes in Zeiten von Patchwork-Familien richtig realitätsnah. Das ist vor allem etwas für Jungs, die noch coole Posen üben wollen ... oder Mädels, die solch seltsames Gebaren als getarnte Unsicherheit verstehen wollen.

Ginger & Rosa

Großbritannien, Dänemark, Kanada, Kroatien 2012 (Ginger & Rosa) Regie: Sally Potter mit Alice Englert, Elle Fanning, Alessandro Nivola, Christina Hendricks 90 Min.

Die Explosion der Atombombe über Hiroshima und gleichzeitig die Parallelgeburt (siehe „Mitternachtskinder") zweier Mädchen in London ist der Beginn einer innigen Freundschaft: Nachdem in wunderschönen, kurzen Szenen ihre zusammengefasste Kindheit abläuft, finden wir die rothaarige Ginger (Elle Fanning) und ihre Freundin Rosa (Alice Englert) im London des Jahres 1962 wieder. Die tiefe Freundschaft (fast wie in Peter Jacksons „Heavenly Creatures") zeigt sich beim gemeinsamen Jeans-Schrumpfen in der Badewanne, auch wenn Ginger dabei Simon de Beauvoir und die andere in der Mädchenzeitschrift Girl liest. Der Gleichschritt in gleichen Klamotten zum Erwachsensein erlebt eine Zerreißprobe, als Ginger bei ihrem Vater Roland (Alessandro Nivola) einziehen möchte und Rosa sich gleichzeitig in ihn verliebt.

Die rebellische Teenager-Zeit im London Anfang der 60er wird aufgeladen vom Kampf gegen die drohende atomare Vernichtung, die über allem schwebt. Nicht die durch Kraftwerke wie heute, sondern durch „die Bombe". Wobei sich die Frage stellt, was die größere Krise ist: Die um Kuba oder die eines jungen Menschen, der weder bei Vater noch bei Mutter und - am schlimmsten - auch nicht bei der besten Freundin Halt findet. Ginger und Rosas Lebenswege trennen sich auf ins Politische und das Private: Die eine will die Welt retten, die anderen einen „seelisch verletzen", älteren Mann.

Sally Potters erlesener Film mit betörend schönen Bildern (Kamera: Robbie Ryan) und wie immer bei Potter, ausgewählt guter Musik (Monk, Miles Davis, Django Reinhardt, Gershwins „The Man I love", auch von Christina Hendricks gesungen!) ist die berührende Abrechnung Gingers mit dem Vater Roland und die Geburt einer Autorin
aus dem Schmerz der Verlassenheit. Roland enttäuscht als bewunderter Freiheits-Kämpfer und -Autor, der sein verantwortungsloses Privatleben mit kämpferischen Politphrasen verteidigt. Er nutzt links-intellektuell unterfütterte Freiheiten, um Frau und gleichzeitig die Tochter zu betrügen. Eine besonders miese Variante von linkem Machismo. Gleichzeitig erzählt „Ginger & Rosa" vom Generationskonflikt zwischen Mutter, die den Krieg tatsächlich erlebte, und der Jugendlichen, die von der Bombenstimmung vor Kuba bedrückt wird.

Oberflächlich begeistert „Ginger & Rosa" mit tollen Gesichtern und Schauspielern: Alice Englert, die in „Beautiful Creatures" noch das Beste war, hat als Rosa in der Rand-Hauptrolle viel Leinwand-Präsenz. Dazu ist der sehr schön warm fotografierte Film bis in kleinste Nebenrollen nicht nur prominent, sondern auch mit Schauspielern wie Timothy Spall, Oliver Platt, Annette Bening, trefflich besetzt. Christina Hendricks, die Joan Holloway aus der Fernsehserie Mad Men, spielt Gingers Mutter.

„Ginger & Rosa" ist nicht nur schön, sondern auch klug. Selbst wenn Potter, die Regisseurin des epochalen „Orlando" (1992), sich und ihre anderen, im Geschlechter-Diskurs verankerten Filme wie „Tango Lessons" (1997) auf den Arm nimmt, wenn sie sagt, man sollte nicht zu viel denken. Annette Benings humorlose Feministin Bella jedenfalls gehört nicht zu den sympathischen Figuren des Films. Diese, vor allem die beiden schwulen Paten Mark und Mark 2, empfehlen immer wieder: „Entspann dich und genieße deine Jugend". So entspannt, emotional, aber immer noch klug hinschauend, gelang Sally Potter ihr bester Film seid langem. Und einer des sehenswertesten zur Zeit.

Kiss the Coach

USA 2012 (Playing for keeps) Regie: Gabriele Muccino mit Gerard Butler, Jessica Biel, Noah Lomax, Dennis Quaid, Uma Thurman, Catherine Zeta-Jones, Judy Greer 106 Min.

Gerald Butler und Romantische Komödie? Wer den Mann einmal als Spartaner mit albernen Tanga in Zeitlupe 300 zu lange Sekunden hat grölen sehen, kriegt das nicht zusammen. Das passt wie USA und „european football" - also nicht. Eine Erfahrung, die Butlers Figur, der ehemalige schottische Fußballstar George in den USA machen muss, wo er wegen der Liebe strandete: Der unreife aber gut gebaute Typ hat weder Job noch Frau und Kind, weil vor allem die geliebte Stacie (Jessica Biel) was Solides statt Verrücktes wollte. Als George eher aus Verlegenheit das Training der Fußball-Mannschaft seines kleinen, vernachlässigten Sohnes übernimmt, rennen ihm die Frauen die Tür ein. Nicht nur sinnbildlich. Dass führt zum besten unter vielen albernen Gags, dass alle Frauen seine Wohnung im Nebenhaus mit dem Haupthaus seines Vermieters verwechseln. Bis ins Schlafzimmer!

Ansonsten bleibt die Geschichte unterkomplex wie ein schlechter Kinderfilm. Dass Papa wieder einen Termin mit dem Sohn verschusselt ist ebenso klar, wie das wiedervereinigte Familienglück am Ende. Auf alberne Weise überbesetzt sind Georges Betthupferl mit Uma Thurman, Catherine Zeta-Jones und Judy Greer. Dennis Quaid darf einen nicht anständig ausgearbeiteten neurotischen Gönner geben. Aber auch das ist egal. weil ja sich ja selbst die Entwicklung der Hauptfigur nach dem unerlässlichen Sportfinale (einer Meisterschaft, die vorher nie interessierte!) auf die Entscheidung zwischen Beruf und Familie beschränkt. Ein peinliches Eigentor für alle Beteiligten.

Das Wochenende

BRD 2012 Regie: Nina Grosse mit Sebastian Koch, Tobias Moretti, Barbara Auer, Sylvester Groth, Robert Gwisdek, Katja Riemann 96 Min. FSK ab 12

Und wieder naht ihr euch, traurige RAF-Gestalten, die ihr früher Feuer und Flamme gegen das System wart, und euch jetzt für feine Schokoladen-Confiserie begeistert. Für das ZDF versammeln sich teilweise sehr gute deutsche Schauspieler - Sebastian Koch, Tobias Moretti, Sylvester Groth - vor matten Farben (Kamera: Benedict Neuenfels), um Widerstand einst und jetzt durchzusprechen. Eine bleierne Filmzeit von über neunzig Minuten quält hauptsächlich mit träger Inszenierung statt mit politischen Stacheln und verstärkt so die innere (Schein-) Sicherheit, dass es doch schon gut ist, wie es ist.

Jens Kessler (Sebastian Koch) wird nach 18 Jahren aus der Haft entlassen. Er war so aktiv im linken Widerstand, dass sein Porträt auch eines der legendären Fahndungsposter ziert. Weil seine weinerliche Schwester Tina (Barbara Auer) nun Angst hat, mit ihm alleine zu sein, lädt sie Freunde ins Ferienhaus im Osten ein, das man sich gemeinsam vom Erbe der Eltern leisten konnte. Anwesend im heruntergekommenen Anwesen samt angegliedertem deutschen Wald sind vor allem die aus dem inneren Kreis von damals: Die Geliebte Inga (uninteressant: Katja Riemann), die Jens verließ, als sie von ihm schwanger wurde und er nicht aussteigen wollte. Der wie ein verliebtes Groupie ihn bewundernde Henner (Sylvester Groth), der lieber ein Buch schrieb, als weiter zu kämpfen. Während der Anhang dieser Aussteiger provokant bis respektlos dem von der Zeit frisch Befreiten gegenübertritt, steht eine Frage immer im Raum: Wer hat Jens damals an die Polizei verraten?

Die in groben Zügen interessante Konstellation dieses Wochenend-Ausflugs in Sachen „Black Box BRD" auf Basis von Bernhard Schlinks Romanvorlage erweist sich als zu kurz gedacht und betrachtet. Auch die - wohl geplante - konzentrierte Einzelstudie, in der sich Zeiten und Haltungen widerspiegeln sollen, bleibt trotz des hervorragenden Spiels von Sebastian Koch unbefriedigend. Stolz und Zusammenbruch eines nur aus der Haft, nicht aus Vergangenheit und Verantwortung Entlassenen, wäre ein guter Auftakt gewesen. Der Film danach, die Stille nach dem Aufschluss, bleibt aus. In Erinnerung bleibt die Konfrontation des nur familiär rebellischen Sohnes, der Jahre ohne Vaterliebe einklagt. Das wirkt dann fast so widerwärtig wie das dauernde Vollstopfen mit Delikatessen der anderen. Noch bevor der konsequente RAF-Kämpfer zu einem neuen Leben finden kann, wird er durch die selbstverliebt im privaten Sumpf jammernden Gestalten und Generationen drumherum fast zu einem großen Helden. Dieser Film empfiehlt das Wiedersehen mit Petzolds „Die innere Sicherheit", Veiels „Black Box BRD" oder - thematisch verwandt, aber viel intensiver - mit „Es kommt der Tag" und der großartigen Katharina Schüttler als Tochter einer RAF-Aussteigerin (Iris Berben) in Frankreich.

6.4.13

Hannibal 2013

„Roter Drache" von Michael Mann war schon immer besser als der ganze Hannibal Lector-Kram, der nachher kam. Selbst als „Schweigen der Lämmer". Nun geht es wieder zurück zum Roman „Roter Drache" von Thomas Harris, der zusammen mit Bryan Fuller „Hannibal" entwickelte und schrieb. Die US-Serie schickt den FBI-Agenten Will Graham zusammen mit Dr. Hannibal Lecter auf die Jagd nach Serien-Mördern. „Hannibal" packt von Anfang an mit einer rückwärtslaufenden Szene, die eher an Lynch als an Kubrick erinnert (was ein Artikel referiert). Leichenfunde in einer Hieronymus Bosch-Szenerie, ein wenig Bach Cello-Suite, pulsierender Ambient-Sound, dann schwebende Opfer in den Albträumen Grahams neben ihm im Bett ... der Auftakt verspricht sehr viel!

Hugh Dancy gibt den üblichen autistischen oder sonstwie sozial geforderten Untersucher mit faszinierender analytischer Präzision. Dass seine Rekonstruktion der Ereignisse auch für uns sichtbar ist, gibt es auch in „Unforgettable". Dass man ihn allerdings dabei in der Rolle des Mörders sieht, ist ganz klar „Element of Crime"- und Hannibal Lecter-Stoff. Auch dass man als Hinweis auf eine Verschwundene diese direkt in ihrem Kinderzimmer findet, ist höchst originell.

Laurence Fishburne als FBI-Vorgesetzter Grahams ergänzt die sehr starke Darstellerpräsenz noch bevor Mats Mikkelsen auftritt. Dieser ist zuerst auffällig nur über die Retroklamotten seines Dr. Lecter. Richtig sympathisch der dänische Dialekt, eindrucksvoll ein kleines Duell mit dem Profiler Graham. Aber ganz groß schon das schauerlich genüssliche erste Abendmahl des Kannibalen. Zum nächsten Arbeits-Treffen bringt er dann sein ausgewähltes Essen in Tupperdosen mit. Horrend sind auch die Details, die Graham mit großer Empathie über den Täter herausfindet. Den einen, für diese Folge. Denn mit dem anderen arbeitet er zusammen...

„Hannibal" ist bei der ProSiebenSat.1-Gruppe voraussichtlich für die TV-Season 2013/2014 angekündigt.

3.4.13

Der unglaubliche Burt Wonderstone

USA 2013 (The incredible Burt Wonderstone) Regie: Don Scardino mit Steve Carell, Steve Buscemi, Olivia Wilde, Jim Carrey, James Gandolfini, Alan Arkin ca. 100 Min.

Film und Zaubershows haben viel gemeinsam, nicht nur weil sie beide einst Jahrmarkts-Attraktionen waren. Eine Satire über Las Vegas-Zauberer ist deshalb naheliegend und mit Steve Carell, Steve Buscemi, Olivia Wilde, Jim Carrey, James Gandolfini und Alan Arkin dick besetzt, fast zum Erfolg verdammt: In ihrer Kindheit als Außenseiter finden Burt und Anton mit einer besonderen Begeisterung für Zaubertricks zusammen. Jahrzehnte später legen sie in einem großen Vegas-Kasino technisch eindrucksvolle Nummern hin, aber hinter den Kulissen sind die beiden wie ein altes, zerstrittenes Ehepaar. Und auch sonst nicht nett: Die Assistentin wird während einer Umbau-Pause ausgewechselt. dabei ist die Neue, Jane (Olivia Wilde), nicht gewillt, sich im Stahlschrank, der gerade von Säbeln durchlöchert wird, anmachen zu lassen. Damit verpasst sie was, denn Burt hat für seine One-Night-Stands im zehn Meter breitem Bett sogar ein Eingangs-Formular, das vor allem Beißen und Kratzen ausschließt. Da ihr Publikum ähnlich fidel ist, wie das des ZDF, muss was Neues her, doch der Versuch eines modernen Akts wird zum Fiasko. Der arrogante Burt hält keine zwanzig Minuten in dem Glaskubus aus, der an einem Kran über der Stadt schwebt. Alles fällt auseinander und Burt muss erfahren, dass die Welt draußen keine Minibar ist.

„Der unglaubliche Burt Wonderstone" sollte wahrscheinlich so absurd auftreten, wie einst die Catwalk-Parodie „Zoolander". Das suggerieren zumindest Plakat und die peinlich gelackte wie überschminkte Glitter-Aufmachung (siehe Siegfried & Roy) der Zauberer Burt und Anton. Die richtig durchgeknallten Sachen bringt jedoch Jim Carry als langhaariger, obskurer Konkurrent Steve Gray: Tagelanges Starren ohne Blinzeln trotz Pfefferspray, ewiges Anhalten des Urins oder sich eine Zauberkarte aus der geschwollenen Backe schneiden, sind die harmloseren Zauber-Akte, die eigentlich unter gefährliche Selbstverstümmelung firmieren müssten.

Hauptdarsteller Steve Carell ist erst wirklich gut, wenn er ganz unten angekommen ist, wenn er stoisch im Supermarkt mit kleinen Zaubertricks Küchenrollen anpreist und im Altenheim für greise Entertainer zu schnell durchschaut wird. Dass er dort einen alten Meister trifft und wahre Magie wiederentdeckt, ist einer der ältesten Tricks der Filmdramaturgie. Eine kleine Liebesgeschichte mit der Veronica genannten Jane riecht so muffig wie ein im Hut vergessenes Kaninchen. Lahmer ist nur noch das finale Duell der Zauberer. Steve Buscemi überzeugt mit einer subtilen Beklopptheit, die hungernden Kindern Zaubertricks statt Essen bringt. Wobei das Kaninchen aus dem Hut sofort auf den Grill kommt. Bemerkenswert in dieser nicht durchgehend lustigen Komödie und der Runde sehr prominenter US-Schauspieler ist noch der Auftritt von Michael "Bully" Herbig als Zauberer Lucius Belvedere, der von einem seiner Tiger und einem heftigen Dialekt angefallen wurde.

2.4.13

Beautiful Creatures - Eine unsterbliche Liebe

USA 2013 (Beautiful Creatures) Regie: Richard LaGravenese mit Alden Ehrenreich, Alice Englert, Jeremy Irons, Emma Thompson 124 Min. FSK ab 12

Der Tod erscheint dem 16-jährigen Ethan (Alden Ehrenreich) der einzige Ausweg aus seinem US-amerikanischen Provinznest. Dass sich sein Wunsch erfüllen wird, verdanken wir der Modewelle von Fantasy-Romanzen für pubertierende Teenager: Man sollte es gar nicht zu sehr verlachen, dass die noch unbekannten Wesen vom anderen Geschlecht gleich rudelweise als liebe Wölfe oder handzahme Vampire daherkommen. Ethan bekommt es mit einer attraktiv nonkonformistischen Hexe zu tun, die noch viel mehr als er Außenseiter in der Schule ist. Schnell häufen sich übernatürliche Ereignisse, seine Träume aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges bekommen eine Erklärung über einen alten Fluch, der ausgerechnet der Liebe zu Lena (Alice Englert) entgegensteht. Die erwartet mit ihrem 16. Geburtstag eine Entscheidung, ob sie zu einer guten oder dunklen Hexe mutieren wird.

„Was ist das?" fragt man sich öfters bei „Beautiful Creatures". Melodram, Fantasyfilm oder Thriller? Da hört man anfangs Dylan („Look Out Kid you're gonna get hit") und fährt mit einem alten Mercedes durch die schaurigen Wälder. Doch spätestens wenn die Hexerei mit billigen Effekten losgeht, ist es vor allem B-Picture und auseinander bröselnder Mumpitz. Dann helfen die frischen Gesichter in den Hauptrollen nicht mehr und man kann sich nur noch an den starken Auftritten der bekannten Stars am Rande erfreuen: Jeremy Irons zeigt endlich mal wieder Ecken und Kanten, vor allem aber Emma Thompson ist großartig in einer herrlichen Doppelrolle als Oberhexe und besonders bigotte Dame der Kirchengemeinde. Letztendlich lässt sich die Verfilmung eines Teils der Romanreihe „Beautiful Creatures" („Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe") von Kami Garcia und Margaret Stohl nur als noch eine „Twilight"-Kopie abhaken.

Ein freudiges Ereignis

Frankreich, Belgien 2011 (Un heureux événement) Regie: Rémi Bezançon mit Louise Bourgoin (Barbara "Babs" Dray), Pio Marmaï, Josiane Balasko, Thierry Frémont, Gabrielle Lazure 110 Min. FSK ab 12

Die schöne Philosophin und der schluffige junge Mann aus der Videothek finden schnell Gefallen aneinander, ihr originelles Kennenlernen läuft ganz ohne Dialog, nur über die Filmtitel ab, die sie sich gegenseitig über die Theke reichen: „In the mood for love", sein „Rendez-vous" wird mit „Träumen" beantwortet, aber am Ende leiht sie „Catch me if you can" aus. Eine wortwörtlich filmische Romanze beginnt, voller witziger Momente, jede Szene eine Pointe oder vielleicht auch ein Filmzitat. Gut sieht das aus, ist mit Humor inszeniert, selbst das bald gezeugte Kind macht da mit. Der Vorspann von Raumschiff Enterprise wird zu einem animierten Embryo im Weltall, die Ultraschall-Aufnahme läuft auf Großleinwand in der Videothek. Das große Spielkind Nico sucht sich selbstverständlich einen Ferrari-Kinderwagen aus, der sich in drastisch gezeigten Dummy-Tests als Buggy des Todes erweist. So wie die Szenen sehen auch die Menschen gut aus: „Das Mädchen aus Monaco" Louise Bourgoin als Philosophiestudentin Barbara und Pio Marmaï als Nico könnten einer Werbung entlaufen sein. Die Begeisterung über einzelne Szenen, der Spaß an vielen gelungenen Scherzen und lustigen Vibratoren in Tierform, sie bleiben an der Oberfläche. Die Ängste während der Schwangerschaft, die wachsenden Probleme mit dem Sex, der Kampf mit der Schwiegermutter werden unter altbekannt abgehakt. Obwohl scherzhaft philosophisch unterfüttert - da kommt ihr Studium über Wittgenstein mit Querverweisen zu Kafkas Verwandlung gerade recht - hat man das Gefühl, dies alles zu kennen, alles schon mal gesehen zu haben.

Doch nach der Geburt der Tochter werden die Scherze bitter, die Farben wechseln zu Grau und Braun, „Ein freudiges Ereignis" gerät gar für Sekunden zum Horrorfilm. Bei der Visite im Krankhaus starrt ein ganzer Jahrgang von Studenten auf die Nähte einer sehr schmerzhaften Geburt, die Intimzone wird zum Durchgangsbereich in der pointierten Schilderung der Verfilmung von Éliette Abécassis' Roman „Ein freudiges Ereignis" („Un heureux événement"). Damit ist der Sex gestorben und statt Nitzsche wird „Die Diktatur des Babys" gelesen. Aber es dauert noch eine leidvolle Weile, bis die kluge Intellektuelle Barbara erkennt, dass es nur theoretisch das pure Glück ist, Mutter zu sein.

Der grausame Niedergang einer Beziehung, der den Titel höhnt, findet seinen Tiefpunkt in ihrer dunkel pessimistischen Erkenntnis, sie kenne kein Paar mit Kindern, das noch glücklich sei. Nun ist man für jeden der Gags, die Anfangs im Überfluss kamen, dankbar. Denn sie helfen, das große Melodram des kleinen Alltags zu ertragen. Das Leben hat sich in den romantischen Film-Traum reingefressen. Jetzt haben die Figuren alle Aufmerksamkeit und unser ganzes Mitgefühl. Mutter und Kind wachsen zusammen, Mann und Frau auseinander, bis zur Trennung. Doch es gibt ein Wiedersehen in einer dieser klassischen Einstellungen des großen Kinos, bei der sich das Leben durch und fortsetzt.

Schon im sehenswerten, hervorragend besetzten Vorgänger „C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben" (Le premier jour du reste de ta vie) aus 2008 über eine große Familie hatte Regisseur und Drehbuchautor Rémi Bezançon etwas zu sagen und vermittelte es mitfließend auf filmische Weise. (Der Nachfolger von „Ein freudiges Ereignis" lief übrigens schon bei uns: „Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa", eine sehr schöne Animation, deren Giraffe in diesem Film als Kinderspielzeug vorkommt.) Dass das Leben manchmal wegen eines „freudigen Ereignisses" in ganz unterschiedliche Phasen und Farben auseinanderfällt, kann man diesem ungewöhnlich, aber jede seiner Weisen einnehmend gemachten Film nur zugute halten. Eine sehens- und überdenkenswerte persönliche Sicht auf Leben, Liebe, Beziehung und dann wieder das Leben.