27.2.13

Sightseers

Großbritannien 2012 Regie: Ben Wheatley mit Alice Lowe, Steve Oram 92 Min. FSK ab 16

Britischen Humor von seiner schwärzesten Seite zeigt Regisseur Ben Wheatley mit seinen beiden Koautoren und Hauptdarstellern im blutigen Road-Movie „Sightseers": Er beginnt herrlich bitter mit einem Hundespießchen, als sich der liebe - und dämliche - Schoßhund Poppy freudig springend in ein Paar Stricknadeln stürzt. Da kann Frauchen Tina (Alice Lowe) der folgenden Depression und ihrer herrischen Mutter, bei der man die Stricknadel-Idee umdrehen möchte, nur entfliehen, indem sie mit ihrem Freund Chris (Steve Oram) per Camper eine Sightseeing-Tour durch England startet. Nun ist Chris ebenso reizvoll wie seine Reiseziele: Vom Straßenbahn- zum Bleistift-Museum und zwischendurch eine saftig grüne Wiese nach der anderen. Doch es gibt ja reichlich Mitmenschen, über die man sich aufregen, und dann ermorden kann. Der nerdige Chris erweist sich als Serien-Mörder und Tina greift seine tödliche Cholerik mit Begeisterung auf. Für kurze Zeit bringt es das Paar zusammen, dass sie als Gipfel der Spießigkeit durchaus verständliche Aufreger wie im Naturschutzgebiet weggeworfenen Papierchen, nervige Brautjungfern und eklig besserwisserische Reiseautoren brutalst abstrafen. Die makaber-komische Mordserie des Pärchens begibt sich von der Heftigkeit her auf die Spuren der „Natural Born Killers" Mallory und Mickey. Einige bösartig kleine Rachen der beiden debilen Typen sind im Ansatz sogar verständlich, in der Ausführung dann heftiger Splatter. Wie die Taten gerieten auch die Figuren schrill und überzeichnet, was eine Weile lang unterhält, bis sich der Mordsspaß totläuft. Dabei bleiben lohnt sich aber auch wenn die verrückten Ideen überdrehen, denn das fast romantische Ende ist noch mal ein Knaller.

Gold - Du kannst mehr als du denkst

BRD 2012 Regie: Michael Hammon 106 Min. FSK ab 12; f

Der Dokumentarfilm „Gold - Du kannst mehr als du denkst" von Michael Hammon begleitet über ein Jahr lang drei Spitzensportler auf ihrem Weg zu den Paralympics 2012 in London: Henry Wanyoike, ein blinder Marathonläufer aus Kenia, Kirsten Bruhn, die querschnittgelähmte Schwimmerin aus Deutschland, und Kurt Fearnley, ein australischer Rennrollstuhlfahrer.

Von aufwändigen und euphorischen Aufnahmen der drei Menschen bei ihrem Sport geht der Film zurück zu immer noch schwer zu äußernden Erinnerungen an den Anfang der Behinderung. Besonders hier gelingt es Michael Hammon, nicht die Behinderung, sondern den individuellen Menschen faszinierend zu schildern. Kirsten Bruhn meint, es hilft beim Weg zurück ins Leben, Leistungsschwimmerin gewesen zu sein, weil man da schon masochistisch veranlagt ist. Der betont unabhängige Einzelkämpfer Kurt Fearnley will alles machen können und überall durch - ein Spaziergang (sic!) des am Oberkörper mit Muskeln bepackten Mannes über Wiesen, Stacheldraht und durch einen Bach, zeigt seine Besessenheit am stärksten. In einem gleichen sie sich die drei jedoch wieder, im extremen Leistungswillen, der auch Sportler wie Lance Armstrong kennzeichnet. Während das Leben nach dem Sport hoffnungsvoll weitergeht, indem alle drei mittlerweile jüngeren Behinderten helfen, konzentriert sich der Film auf die eigentlich nicht so spannenden Sport-Finales in London.

26.2.13

The Crime

Scope. Großbritannien, 2012 (The Sweeney) Regie: Nick Love mit Ray Winstone, Ben Drew, Hayley Atwell, Steven Mackintosh, Paul Anderson 113 Min. FSK ab 16

Ein Stier, ein Tier, ein Bulle - womit mal nicht nur eine Berufsbezeichnung gemeint ist: Ray Winstone (Jack Regan) ist urzeitliche Gewalt im öffentlichen Dienst. Grob, ordinär, direkt. Der Leiter der Polizisten-Spezialtruppe „The Sweeney" hat sich nie unter Kontrolle und genau so tritt sein Team auf und zu, wenn es Räuber brutal mit Baseball-Schlägern aufmischt. „The Sweeney" jagen die Bösen, sind aber keine der Guten. Jack, das Tier in Job und Bett, vögelt seine junge, verheiratete Kollegin Nancy Lewis (Hayley Atwell), deren Mann Ivan Lewis (Steven Mackintosh) ausgerechnet diese Truppe wegen sehr begründetem Korruptionsverdacht untersucht. Doch der Bulle mit dem kantigen Schädel und einen deutlichen Bauchansatz droht nicht nur, er geht dem Konkurrenten direkt an die Kehle.

Dabei sollte die eigentliche Tätigkeit von „The Sweeney" nicht vergessen werden, im Kampf gegen das Verbrechen sind sie äußerst effektiv. Der Film startet so intensiv wie seine Hauptfigur und lässt eine britische TV-Serie aus den 70ern aufleben. Mit sehr intensivem Spiel von Ray Winstone („Sexy Beast", 2000) und Styling vom Besten in der blau-kalten Skyline von Londons City packt der harte Thriller auch das Publikum. Dabei wird das Duell der beiden Konkurrenten nach dem Tod der Geliebten, wenn der Witwer „den Dinosaurier ausrotten" will, leider nicht ausgespielt. Der Film dreht weiter die cholerische Schraube Jacks durch, zu konventionell verlaufen sein Rausschmiss und Comeback aus dem Knast. Bescheuertes Geballer mitten am Trafalgar Square und Ralleyfahren ohne Airbag im Camper-Park machen die sorgfältig aufgebaute Charakter-Spannung kaputt. Basierend auf dem Serien-Charakter der Vorlage findet der Film zudem kein richtiges Ende.

25.2.13

Hyde Park am Hudson

Großbritannien 2012 (Hyde Park on Hudson) Regie: Roger Michell mit Bill Murray, Laura Linney, Samuel West, Olivia Colman 96 Min.

Dass King George VI., der Stotterer aus „The King's Speech", beim ersten US-Besuch eines englischen Königs sensationell in einen Hot Dog beißt, ist eine Geschichte. Die Affäre des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, während 1939 über eine Kriegsbeteiligung der USA in Europa nachgedacht wird, eine ganz andere. Wie beides und mehr mit feinem Humor und sehr menschlich in ein paar Sommertagen auf dem Landsitz des Präsidenten zusammenfließt, ist das große Kunststück des sympathischen „Hyde Park am Hudson" mit ebenso unauffällig sensationellen Bill Murray und Laura Linney in den Hauptrollen.

Es ist noch die Zeit der Großen Depression, als Daisy (Laura Linney) zum Präsidenten Franklin D.Roosevelt (Bill Murray) gerufen wird. Der noch nicht mächtigste Mann der Erde braucht Entspannung und so zeigt er der Cousine fünften Grades seine Briefmarkensammlung. Tatsächlich wird aus den Ausflügen und Gesprächen erst später mehr, was inmitten lieblich blühender Wiesen Daisy genauso überrascht wie das Kinopublikum. Dieser durch eine Polio-Erkrankung schwer gehbehinderte Präsident, wirkt auf den ersten Blick wie ein harmloser, humorvoller und vor allem netter Onkel. Zwar gibt er mit seinem Wagen, eine Spezialanfertigung, kräftig Gas, doch vor allem will er Ruhe haben auf seinem Landsitz bei Hyde Park im Staate New York, wo er im Haus seiner Mutter lebt.

Für mächtig Unruhe sorgt der Besuch von King George VI., der erste offizielle Auftritt eines englischen Königs in den USA überhaupt. Der unsichere König „Bertie" wird als Clown eingeführt, wenn er auf der Fahrt durch die Felder anhält, um einen Bauer zu grüßen - der sich dafür überhaupt nicht interessiert. Das Protokoll unter dem Regime von Roosevelts herrischer Mutter holpert furchtbar, so hängen im Zimmer der Königin alte Schlachten-Bilder, die Engländer kräftig karikieren. Richtig durcheinander gerät es aber, als die scheinbar hochnäsigen Aristokraten die Verhältnisse der Roosevelts mitbekommen: Der Präsident wohnt in einem Zimmer bei seiner Mutter, des Präsidenten Frau im eigenen Haus, wo sie mit andere Frauen Möbel baut. In einer Nacht, die vielleicht über das Schicksal einer vor dem Krieg stehenden Welt entschied, ereignen sich noch eine Reihe anderer Dramen...

Aus den Briefen und Aufzeichnungen Margaret "Daisy" Suckleys, die man unter ihrem Bett fand als sie hundertjährig starb, entsteht ein sehr intimer Blick auf Menschen, die man nur als Figuren der Weltgeschichte kennt. Da fahren Präsident und König allein im Badeanzug zum Schwimmen - die Presse läuft hinterher und knipst nur, was sie soll. Was mit den arroganten Aristokraten und den ziemlich bodenständigen Amerikanern, mit einer Mutter, die dem US-Präsidenten den Alkohol verbietet, und einer ganzen Reihe von Geliebten, die miteinander umgehen müssen, eine Komödie der Peinlichkeiten sein könnte, zeigt sich in jeder Faser sehr menschlich. Der Stotterer und der Polio-Versehrte erzählen sich witzige Geschichten, klagen über ihre Frauen, vor allem aber verstehen sie sich ganz offen. Daisy bewegt sich verliebt und leicht naiv im Kreis von persönlicher Assistentin und burschikoser Ehefrau. Nicht Dienerschaft, nicht Beraterstab, nicht offiziell Familie. Weltpolitik und gebrochene Herzen haben in dieser Vollmondnacht ganz selbstverständlich den gleichen Rang. Derweil stehen Königs komödiantisch großartig am Fenster und beobachten stauend, wie Schürzenjäger Roosevelt seine vielen Liebschaften befriedet.

Roger Michells, der bereits in „Notting Hill" ganz köstlich britisch-amerikanische Verhältnisse auslotete, gelingt in „Hyde Park am Hudson" eine ganz eigene Balance aus Romantik, Komödie und - etwas naiv - durchs Schlüsselloch beobachtete Weltpolitik. Bill Murray ist als nur vordergründig harmlos wirkender Franklin D. Roosevelt kaum wieder zu erkennen. Die Mätzchen seiner anderen komödiantischen Rollen treten zurück für ein Spiel mit ganz feinen Nuancen und Tönen. Laura Linney gibt ebenso faszinierend die spröde, unauffällige Schönheit in diesem unbedingt sehenswerten Film.

Get the Gringo

USA 2012 (How I Spent My Summer Vacation) Regie: Adrian Grünberg mit Mel Gibson, Daniel Giménez Cacho, Jesús Ochoa, Roberto Sosa 96 Min.

Wie gut Mel Gibson ohne religiösen Ballast sein kann, zeigt diese äußerst positive Überraschung im übervollen Kinoprogramm: Ein gradliniger Gangsterfilm, der mit originellem Setting und klarer Geschichte überzeugt. Einen Rassismus-Verdacht könnte man Gibson allerdings doch wieder draus drehen...

Es ist der grandios lakonische Kommentar der Hauptfigur, der dieser Geschichte ihre lässig komische Note verleiht. Klar, wenn ein Clown mit Vollgas in den Film rein rast, verfolgt von der texanischen Polizei das Auto im nur halben Looping durch die Grenzanlagen nach Mexiko crasht und dann recht frohgemut in eines der übelsten Gefängnisse weltweit stapft. Aus seinem Clowns-Kostüm geschlüpft, erweist sich der nur „Fahrer" Genannte (Mel Gibson) als guter Beobachter, der erst mal in Kauf nimmt, dass korrupte Cops die Zwei-Millionen-Beute einkassieren. Denn er hat selbst in diesem Gefängnis, das auch „das beschissenste Einkaufszentrum der Welt" sein könnte, einen Plan. Die „Location" ist gleichzeitig der Trumpf des Films: In der Knast-Kleinstadt leben Familien und Kinder mit den Inhaftierten, die es sich leisten können. Kleine und große Geschäfte werden vom Boss Javi kontrolliert, der nicht nur das Casino und die Drogen sondern auch den Gefängnisdirektor im Griff hat. Diese Haftanstalt ist ein Riesengeschäft, hinzu kommt ein ganz privater Organhandel. Für seine Leber, die er aktiv ruiniert, hält sich Javi einen kleinen Jungen als Spender mit der gleichen, äußerst seltenen Blutgruppe...

Wie der Gringo diesen Laden durchschaut und mit Hilfe des Jungen aufmischt, ist gute alte Action-Schule. Kein Übermaß an Verfolgungsjagden oder Schieß- und Prügelszenen. Selbst wenn Auftragskiller sich den Weg in das mexikanische Gefängnis kaufen, verläuft das Geballere genau so effizient, wie der Gringo immer handelt. Dass dieser so viel cleverer als all die Mexikaner ist, wirkt etwas überheblich - doch genauso führt er auch die weißen Gangster vor. Gibson, der auch Ko-Autor war, konzentriert sich gekonnt aufs Schauspiel und überlässt dem Debütanten Adrian Grünberg, der bei „Apocalypto" noch Regie-Assistent war, die Leitung. Da stimmt dann die Dosierung kleiner Scherzchen und eine herrliche Eastwood-Parodie hat auch noch Platz.

24.2.13

Invasion

Österreich, BRD 2012 Regie: Dito Tsintsadze mit Burghart Klaußner, Merab Ninidze, Heike Trinker 103 Min. FSK ab 16

Der in Berlin lebende und aus Georgien stammende Dito Tsintsadze macht sehr interessante Filme wie Schussangst (2003) und zuletzt 2006 „Der Mann von der Botschaft". Diese „Invasion" misslang jedoch als mühsame Wiederbelebung von zu offensichtlichen Politparabeln aus Sechzigern und Siebzigern.

Am Grab seiner Frau trifft der geknickte Rentner Joseph (Burghart Klaußner) eine andere, die vorgibt, eine Cousine der Verstorbenen zu sein. Übermäßig herzlich rennt Nina (Heike Trinker) bei dem zurückgezogen auf seinem wiedererlangten Familienbesitz im Osten hausenden Mann geschlossene Türen ein. Bald übernachtet nicht nur sie in dem verlassenen Riesenschuppen. Auch ihr Kampfsport ausübender und auch sonst seltsamer Sohn Simon zieht mit seiner rumänischen Frau und dem Kind aus einer anderen Beziehung ein. Richtig skurril wird es, als Ninas Partner Konstantin (Merab Ninidze) direkt das Büro von Joseph übernimmt und sehr zwielichtige Typen empfängt.

Es geriet manchmal nachvollziehbar, manchmal nur absurd, wie der in sich selbst versunkene, linkische Joseph immer wieder überredet und von neuen Gästen überrannt wird. Dass auch noch Verführung durch junges Fleisch und mörderische Eifersucht hinzukommt, bringt den Film vollends aus dem Gleichgewicht. Der anständige Langeweiler Joseph findet sich irgendwann mitten in einer wilden Party wieder. Und Konstantin spricht ihm die Moral des Films ins Gesicht: Ihr Westler müsst von den alten Kulturen lernen, ihr habt selbst keine eigene mehr. Und wehren könnt ihr euch gegen den Ansturm aus Osteuropa auch nicht!

Das klingt im Zusammenblick noch besser, als es als Film abläuft. Irgendwann wird aus der unkomischen Gesellschaftssatire Mord. Nächtens zieht man aus, die Opfer zu begraben und zuletzt bleibt ein Happy End übrig. Jedoch nicht für die Zuschauer. Burghart Klaußner spielt den Joseph annehmbar, bleibt aber weit hinter seinen Leistungen als „Der Mann von der Botschaft" oder als terrorisierender Pfarrer in „Das weiße Band" zurück. Diese „Invasion" ist nicht nur unglaubwürdig - oder als Parabel zu realistisch. Sie fällt vor allem atmosphärisch schwach aus, da wo Tsintsadzes Vorgänger „... von der Botschaft" gerade so wirkungsstark war.

Hänsel und Gretel: Hexenjäger

USA, BRD 2013 (Hansel & Gretel: Witch Hunters) Regie: Tommy Wirkola mit Jeremy Renner, Gemma Arterton, Famke Janssen 88 Min. FSK ab 16

Der Vorspann stimmt auf Schreckliches ein: Eine Hexefratze wie aus dem modernen Vampir-Film, das Knusperhaus bunt wie im Disney-Land. Bevor wir überhaupt an den beiden im dunklen Wald ausgesetzten Kindern Anteil nehmen können, brennt die abgestochene Hexe lichterloh. Auch die folgende Szene steuert wie ein alkoholisierter, arbeitsloser und frustrierter Hooligan im britischen Pub direkt auf erstbeste Prügelei zu. „Hänsel & Gretel: Hexenjäger" vom norwegischen Regisseur Tommy Wirkola spielt irgendwie in mittelalterlichen Augsburg, doch für die Ordnung sorgt ein Sheriff mit Hightech-Knarren und es könnte mit anderer Deko auch ein altbekannter Schwarzenegger- oder Stallone-Film sein. Nicht nur wegen der üblichen, lässigen Sprüche zum Mordgemetzel.

Die Hexen-Opfer der mittlerweile erwachsenen und in knackig schwarzem Leder ausgerüsteten Action-Helden, der zuckerkranke Hänsel (Jeremy Renner) und die gar nicht süße Gretel (Gemma Arterton), sind Fantasie-Monster und in fast jeder Szene spritzen Blut und Körperteile durch die Gegend. Abgesehen von einer überbordenden Ödnis im endlosen Metzeln und Abschlachten zeigt dieses absurd mit halbwegs bekannten Schauspielern (Famke Janssen als Ober-Hexe) und Ausstattungs-Millionen überfrachtete Schrottfilmchen eine unerträgliche Selbstjustiz-Mentalität: Gute und Böse sind klar abgegrenzt, erstere kommen direkt vom Photoshoppen beim Schönheits-Chirurgen, die Hässlichen darf man ausmerzen. Im Vergleich zu den beiden Schneewittchen-Filmen aus dem letzten Jahr ist dieser Hanswurst-Grimm eine absolute Nullnummer, selbst Terry Gilliams nicht sonderlich gelungener „Brothers Grimm" wirkt wie ein Meisterwerk gegen diesen Hexen-Dreck.

Da die minimale Handlung einer Kindesentführung hinterher schleicht, kommt zudem eine bedenkliche Realitäts-Ebene ins Spiel: Es wird sich wahrscheinlich wieder irgendein Idiot finden, der in Hänsel & Gretel-Kostüm demnächst einen Angeklagten hinrichten will.

20.2.13

Der Hypnotiseur

Schweden 2012 (Hypnotisören) Regie: Lasse Hallström mit Tobias Zilliacus, Mikael Persbrandt, Lena Olin 122 Min. FSK ab 16

„Das ist krank!!" Die typische Düsternis skandinavischer Krimis und grausame Verbrechen begrüßen ihr Publikum auch in diesem schwedischen Krimi. „Der Hypnotiseur" Erik Maria Bark (Mikael Persbrandt) kommt sofort zur Sache, auch wenn die Titelfigur sich sträubt, als es gilt, die verschwundene Tochter einer fast komplett ermordeten Familie zu finden. Ihrem Bruder kann man schließlich doch selbst im Koma wichtige Hinweise entlocken. Kommissar Joona Linna (Tobias Zilliacus), ein Workaholic ohne Familie, drängt auf eine weitere Befragung des Patienten, als der Sohn des Hypnotiseurs entführt wird.

Die persönlichen Dramen bei allen Beteiligten und die dramatischen Ereignisse um den Fall wechseln sich nahtlos ab. Keine subtile Entwicklung bremst die Spannung aus, hinzu kommt eine durchgehend düstere Atmosphäre im Stockholm der Vorweihnachtszeit: Nirgendwo sieht es schön aus. Vielleicht mal eindrucksvoll, aber einladend nie. Selbst die Figuren tragen eine bedrohliche Aura mit sich herum. So zum Beispiel Bark, wenn er versteckt unter seiner schweren Kapuzenjacke auftritt.

Das fasziniert so sehr, dass man die Suche nach dem Mörder glatt vergisst. Und letztlich wollte man auch gar so genau wissen, was passiert ist, denn dabei zeigt sich der ganze Horror der bislang in mangelndem Licht, in Styling und Kleidung nur angedeutet wurde. Spätestens die letzte halbe Stunde ist „Der Hypnotiseur" keiner der üblichen TV-Krimis mehr, selbst nicht einer der schon sehr heftigen skandinavischen.

„Gilbert Grape"-Regisseur Lasse Hallström, dem man für konventionellere Literaturverfilmungen wie „Lachsfischen im Jemen" (2011) oder „Das Leuchten der Stille" (2010) schon mal „Lass es, Lasse" nachrufen wollte, gelingt hier ein hochwertiger und eindrucksvoller Thriller mit sehr guten Schauspielern. Vor allem Mikael Persbrandt als Bark und Lena Olin als seine Frau spielen besonders eindringlich bei einer Befragung, kurz nachdem ihr Sohn Benjamin entführt wurde: Die Spannung in der Ehe und die der äußeren Bedrohung schaukeln sich gegenseitig auf ein kaum erträgliches Maß hoch. Unauffälliger bleibt Kommissar Joona Linna. Doch gibt es bereits weitere Romane mit dieser Figur, also hat Darsteller Tobias Zilliacus wohl noch Zeit, sie zu entwickeln.

Hinter dem Pseudonym Lars Kepler stecken Alexander Ahndoril, geborener Gustafsson, und seine Frau, die Schriftstellerin Alexandra Coelho Ahndoril. Alexander Ahndoril, der nur mit seinen Buchtiteln ein wenig einfallslos erscheint, veröffentlichte 2006 bereits „Regissören" über den Regisseur Ingmar Bergman und 2009 „Diplomaten" über den Diplomaten Hans Blix. „Der Hypnotiseur" wurde mittlerweile in Deutschland von „Paganinis Fluch" (2011) und „Flammenkinder" (2012) fortgesetzt.

19.2.13

Ghost Movie

USA 2013 (A Haunted House) Regie: Michael Tiddes mit Marlon Wayans, Marlene Forte, Essence Atkins 86 Min.

Die Freundin Kisha zieht ein und überfährt zuerst den Haushund. Dann hat Malcolm (Marlon Wayans) ausführlich Sex mit „Ted", ansonsten zeichnet die Kamera in ihrem Schlafzimmer als „Paranormal Activity" nur ihre Fürze auf. Allerdings braucht der Film eine halbe Stunde, bis er sich wirklich an die Parodie der Geist-im-Haus-Filme ranarbeitet. Zuvor bekam der Swinger-Freund ebenso viel Raum wie der perverse Kamera-Installateur. Zwischen diesen mühsam vorbereitete Scherzen wird sitzt Kisha dann mal bei offener Tür auf der Klo-Schüssel und das Drehbuch führt weiße Rassisten vor.

Es gab Zeiten, in denen das Zucker/Abrahams-Team ihre Parodien wie „Kentucky Fried Movie", „Airplane!", „Nackte Kanone" oder „Scary Movie" mit einer sehr hohen Schlagzahl von Gags über die Runden rettete - irgendein Treffer war immer dabei, zudem genaue Kenntnis der verulkten Film-Genres. Marlon Wayans hingegen scheint sich multifunktional als Filmkünstler zu verstehen und spielt seine Scherzchen einschläfernd ausführlich aus. Das ist vor allem - ganz unabhängig vom häufigen Fäkal-Niveau - langweilig und völlig geistlos.

Warm Bodies

USA 2012 (Warm Bodies) Regie: Jonathan Levine mit Nicholas Hoult, Teresa Palmer, John Malkovich 97 Min.

Ein Zombie-Film aus der Perspektive der „anderen". Doch waren die Untoten nicht immer ziemlich dämlich? Vorsichtig ausgedrückt. Nun hören wir vom jungen Zombie R (den Rest seines Namens hat er vergessen), wie öde das Leben in der entfärbten Welt der Zombies ist. Als er mit einem Freund essen geht, ist der übliche Satz junger, gutaussehender Amerikaner auf dem Speiseplan. Jedoch erwischt R ausgerechnet den Freund der Blondine, in die er von nun an verliebt ist und sie direkt mal rettet. Diese Verliebtheit und die staunende Angst von Julie (Teresa Palmer) sind recht komisch. Auch wenn sie, um sich in der Zombie-Welt zu tarnen, mit viel Over-Acting auf lebendige Leiche macht, ist das ein Treffer, Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der beiden Lebensformen amüsieren ein paar mal.

R (Nicholas Hoult), mit dem Gesicht eines traurigen Jokers oder eines Goth-Fans, der unter die Brotschneidemaschine gekommen ist, lebt auf einem Flughafen, sammelt in seinem Flieger Schallplatten, Stereoskopie-Bilder und DVDs. Über das Gehirn von Julies Freund, das er zwischendurch immer wieder als Snack knabbert, zieht er sich Erinnerungen des Paares rein und hält dann in höchster Gefahr Julies Hand. Etwas, was ihr warmblütiger Freund nicht gemacht hat. Und jetzt erweisen sich die Zombies als echte Romantiker. Recht schematisch muss sich das neue R und Julie-Paar erst in seiner, dann in ihrer Welt beweisen, wo ausgerechnet ihr Papa (John Malkovich) den Anführer gibt.

„Warm Bodies" ist noch eine Variation des längst toten Zombie-Genres und gleichzeitig mit seiner Liebe über die Grenzen der Spezies hinweg Kopie von „Twilight". Dass die Zombies die besseren Menschen sind, wusste man schon länger. Dabei hat in Sachen Figurenzeichnung hat der Tote viel mehr Blut in den Adern als die meist Dümmliches brabbelnde Teenager-Frau. Am Ende stellt sich heraus, dass es schon hilft, den anderen zu akzeptieren. Und dass trotz ein paar gelungener Scherzchen sowie netten Figuren die Handlung wie ein Zombie auf vorhersehbaren Bahnen daher trottet.

Berlinale 2013 Die Preise Ein Kommentar

Sieg für Netzer! War da was? Genau: Nach unauffälligen, bewegungsarmen 90 Minuten kurz eine kaum wahrnehmbare Bewegung und die Entscheidung ist gefallen. Doch anders als beim Fußball-Netzer kam aus der entspannten Tiefe des Kino-Raums dieses Wettbewerbs nichts Geniales. Um im Fußball-Bild zu bleiben, entsprach die Jury-Entscheidung des Berlinale-Wettbewerbs einem mittelmäßigen Gestochere im Strafraum, bei dem der Einäugige unter den Lahmen die Entscheidung für sich herbeiführte. Dass der Laiendarsteller Nazif Mujić aus „An Episode in the Life of an Iron Picker" von Danis Tanović als bester Schauspieler ausgezeichnet wird, sagt eigentlich alles. Der rumänischen Regisseur Călin Peter Netzer zeigte im Sieger-Film „Child's Pose", wie die übermäßig fürsorgliche, ekelhaft reiche und korrupte Mutter eines automobilen Kinds-Mörders letztendlich ihr Ziel erreicht und der verwöhnte Raser der Gerechtigkeit entkommt. Diese nüchterne Beobachtung war genauso gut oder schlecht wie viele andere Filme im Wettbewerb. Wenngleich die besseren Sachen wie Bruno Dumonts „Camille Claudel 1915" unter den Jury-Tisch fielen, war nicht alles schlecht, was prämiert wurde. Der Silberne Bär für „Vic+Flo haben einen Bären gesehen" von Denis Côté, der Preis für die Beste Regie an David Gordon Green („Prince Avalanche") und ein Silberner Bär für die Kamera in „Harmony Lessons" des Kasachen von Emir Baigazin gehen in Ordnung. Die beste Entscheidung traf diesmal jedoch die Schwarm-Intelligenz des Publikums: „The Broken Circle Breakdown" war ihr plebiszitärer Favorit und auch die Jury internationaler Kinobesitzer entschied sich für dieses großartige Werk aus der stärkeren Nebensektion Panorama. Im Gegensatz zu den Bären-Siegern, mit denen sich die Berlinale einen Bären-Dienst erwiesen hat und die durchgehend in Vergessenheit geraten werden, läuft diese Sensation bald im Kino.

18.2.13

Les Misérables (2012)

Großbritannien 2012 (Les Misérables) Regie: Tom Hooper mit Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Sacha Baron Cohen, Helena Bonham Carter 158 Min. FSK ab 12

Miserabel ist auf jeden Fall der Gesang dieses Musicals. Dass mit gutem Schauspiel und aufwändiger, aber auch stimmiger „Bühnen"-Kulisse ein krasser Gegensatz zu den peinlichen Musik-Einlagen entsteht, macht „Les Misérables" fast zu einem reizvollen Trash-Film ... für zig Millionen produziert und kühl auf die breite Kino-Masse kalkuliert.

Es ist eine großartige Trivialgeschichte, die dieses Musical aus Victor Hugos „Die Elenden" gemacht hat: Die Französische Revolution hat ihre Fans schon vor vielen Jahren verschlungen. Es herrscht wieder soziales Unrecht, Jean Valjean (Hugh Jackman) schuftet Jahre im Arbeitslager, weil er ein Brot geklaut hat. Aufseher Javert (Russell Crowe) verkörpert die grausame Macht, die von oben herab unschuldige Menschen verdammt. Auch nach seiner Entlassung bleibt Valjean vogelfrei, will wieder stehlen, doch ein guter Priester bekehrt ihn. Unter neuem Namen arbeitet sich der Ex-Sträfling zum Fabrikbesitzer hoch, doch - nicht zum letzten Male - stöbert Javert ihn auf. Parallel wird Fantine (Anne Hathaway), eine von Valjeans Arbeiterinnen, entlassen und landet innerhalb eines Liedchens geschoren und vergewaltigt im Bordell. Nur eine Melodie weiter haucht sie - singend! - den letzten Atemzug ihrem ehemaligen Arbeitgeber ins Gesicht, der von nun an aus lauter schlechtem Gewissen Fantines Tochter Cosette (Amanda Seyfried) wie ein eigenes Kind behütet. Was nicht einfach ist, mit Javert auf den Fersen und der Revolution von 1830 in den Straßen von Paris. Dazu hat sich Cosette ausgerechnet in einen der hitzköpfigen Barrikadenkämpfer verliebt. Doch ein paar Tote weiter geht alles gut aus.

In einem Liedchen zur Prostituierten, beim Geträller auch noch Haare geschoren und die Zähne für ein paar Münzen gezogen. Wie Fantine dann noch schnell abkratzt, ist eigentlich unfassbar krass. Wenn man übersieht, dass diese völlig unrealistische Realitäts-Reduzierung zur Gefühls-Optimierung im Wesen solcher Musicals liegt. Trotzdem schmeckt ein derartig obszönes Gefühls-Extrakt auf Augen, Ohren und auch in der Magengrube unangenehm nach Nescafé.

Besser erträglich sind da die lustigen Szenen mit „Borat" Sacha Baron Cohen und der schon durch Bartons „Sweeney Todd" musical-erfahrenen Helena Bonham Carter als Monsieur und Madame Thénardier, die verlogenen, heuchlerischen und grell gestylten Betreiber eines schäbigen Bordells. Überhaupt konstrastieren sehr gute Schauspieler die absurde Versuchsanordnung Film-Musical, auch wenn Hugh Jackman nie wie Wolverine mal seine Klauen zeigt, um dieses rührseelige, aber blutarme Spektakel aufzumischen.

Auch die Ausstattung und Inszenierung von Tom Hooper („The King's Speech") haben ein Niveau, das viel zu gut für den kläglichen Singsang und die Groschenroman-Handlung ist. Da fliegen wir mit der Kamera direkt in eine Anfangsszene hinein, die ein havariertes Schiff vor der Werft gewaltig wie ein Weltraum-Wrack erscheinen lässt. Die Barrikaden im Film-Paris hätten die ganze Occupy-Bewegung weltweit mit Material für Straßen-Blockaden versorgen können. Alles ganz eindrucksvoll - wenn sie doch nicht singen wurden, immer. Vor allem der Sprechgesang von Leuten mit dazu nicht ausgebildeter Stimme ist schwer erträglich und macht das kalkulierte Spektakel zur fast dreistündigen Qual.

The Master (2012)

USA 2012 (The Master) Regie: Paul Thomas Anderson mit Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Laura Dern 173 Min.

Die Rezeption eines Film ist im großen Maße auch immer davon abhängig, was in Kino an Wissen und Erwartung mitgebracht wird. „The Master" macht dies besonders deutlich: Wer die Biographie von L. Ron Hubbard und die Demontage seiner Scientology-Gruppierung erwartet, ist über weite Strecken im falschen Film, denn das war nicht beabsichtigt. Wer sich fünf Jahre nach „There Will Be Blood" auf einen neuen Film von „Magnolia"-Regisseur Paul Thomas Anderson freut, liegt richtig. In Venedig gab es für diesen herausragenden Film einen Silbernen Löwe für die Regie von Paul Thomas Anderson und einen weiteren Hauptpreis für die Darsteller Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix.

Joaquin Phoenix spielt den rastlosen Freddie Quell, der 1950 mit nervösen Störungen aus der Navy entlassen wird. Liegt es an den „Japsen", die er umgebracht hat? Oder an den Drinks, die er sich immer und aus allem Möglichen, sogar aus Torpedo-Brennstoff, zusammen mixt? Egal, denn Freddie gehört zu den Menschen, die sich darüber keine Gedanken machen. Rasch rafft der Film ein paar Stationen des lüsternen Säufers zusammen, bis er eher aus Versehen auf dem Schiff von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) landet. Der Autor und Sekten-Führer nimmt den wilden Streuner wie einen Sohn auf, denn Freddie ist „der mutigste Junge, den er je gesehen hat". Dodd interessieren nicht nur die Drinks des immer Betrunkenen, es geht dem freigiebigen, freundlichen und sympathischen Mann auch um die Zähmung seines neuen, ihn stimulierenden Protegés. Freddie wird in psychoanalytischen Sitzungen und Rückführungen zu vergangenen Leben das Versuchskaninchen Dodds, bleibt aber ein Schoßhündchen mit Tollwut. Bei Frau, Tochter, Sohn und Schwiegersohn vom „Master", ist der ungebildete Neue nicht gut gelitten. Vor allem weil er, immer wenn die Methode des Meisters angefeindet wird, einfach mal losprügelt. Dabei will die Gemeinschaft mit dem Namen „Cause" (Ursache) doch gerade durch Überwindung der Traumata aus früheren Leben solche „Millionen Jahre alten" Verhaltenweisen hinter sich lassen. Aber Dodd hält zu seinem Quell und in seinem bald veröffentlichten zweiten Buch kommt der Begriff „Quelle" auffällig häufig vor - ein sinnreiches Wortspiel, das im amerikanischen Original nicht ganz so offensichtlich ist...

Der lang erwartete neue Film von P.T. Anderson, dem Regie-Meister von „Punch-Drunk Love" (2002), „Magnolia" (1999) und „Boogie Nights" (1997), ist erneut großes, intensives Kino mit faszinierenden Bildern, Szenen und Stimmungen. Gedreht im königlichen 70mm-Format, für das sich wohl kaum noch ideale Abspielkinos finden lassen. „The Master" ist außerdem keine Abrechnung mit den Scientologen oder die Demontage eines Sekten-Führers. Dodds Ideen, etwa dass Nackenschmerzen von Verletzungen aus früheren Leben stammen können, haben mehr Gewicht als die engstirnigen Vorwürfe seiner Gegner. Philip Seymour Hoffmans Figur ist vor allem in der Beziehung zu Freddie tragisch (und wie immer ein Schauspiel-Leckerbissen). Freddie hingegen wird von Joaquin Phoenix mit Hasenscharte, schiefem Mund und krummen Rücken so kraftvoll deformiert gegeben, dass diese Nummer ein weiterer Grund ist, „The Master" noch mal zu sehen. Neben dem durchgehend unterliegenden, mal irritierenden, mal in Schwebezustände versetzenden Score von Jonny Greenwood und den Bildern von Mihai Malaimare Jr.

Wieso bei Dodds Methode aus dem „recall" (erinnern) ein kreatives „imagine" (sich vorstellen) wird, kann man sich dann in Ruhe überlegen. Auch, ob an der herrlichen Geschichte des beleidigten Masters, er und Freddie hätten einst in einem von den Preußen belagerten Paris erfolgreich Postballon verschickt, etwas dran ist. Pur genießen kann man Dodds Abschiedslied für seinen Seemann, „I'd love to get you on a slow boat to China, All to myself alone"...

16.2.13

Berlinale 2013 Goldige Einzelkämpfer-Party


Martin Heisler, Berliner Produzent aus Aachen, schwamm zum Ende der Berlinale in Gold: An der Premieren-Party zu seinem neuen Film „Einzelkämpfer“ (Regie: Sandra Kaudelka) nahmen auch alle vier ruhmreichen DDR-Sportler teil, die Protagonisten der Dokumentation sind: Olympiasiegerin Marita Koch ist die beste 400-Meter-Läuferin aller Zeiten. Sie erzielte fünfzehn Weltrekorde, ihr letzter ist bis heute ungebrochen. Die Sprinterin Ines Geipel wollte die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles nutzen, um aus der DDR zu fliehen. Brita Baldus war ehemals beste Wasserspringerin der DDR. Der Kugelstoßer Udo Beyer wurde Olympiasieger und dreifacher Weltrekordler und blieb jahrelang Kapitän der DDR-Leichtathletikmannschaft.

Im rauen Ambiente der Volksbar am Rosa-Luxemburg-Platz wirkt Marita Koch im dezenten Abendkleid verlorener als auf dem Siegertreppchen. Eine Kette mit kleinem Gold-Medaillon erinnerte wohl absichtslos an die vielen Goldmedaillen, die der Sprint-Star in der ersten Hälfte der Achtziger gewonnen hat. Bild-Zeitung sei dank bekam der Film „Einzelkämpfer“ mit der Titel-Schlagzeile über ein angebliches Doping-Geständnis von Kugelstoßer Udo Beyer viel falsche Aufmerksamkeit. Regisseurin Sandra Kaudelka selbst wurde durch den Fall der Mauer 1989 vom ungeliebten Leistungssport befreit. Hoffentlich färbt trotzdem etwas Gold auf die Karriere des Films ab, für den Martin Heisler einen kleinen Start im Herbst anpeilt.

14.2.13

Berlinale 2013 Dead actors society

Zu den Kuriositäten der 63. Berlinale gehört, dass gleich in zwei aktuellen Filmen bereits verstorbene Darsteller zu sehen sind. Beide wurde auch noch von niederländischen Regisseuren inszeniert: Heute ist im Wettbewerb außer Konkurrenz „Dark Blood“ von George Sluizer zu sehen. Nach dem plötzlichen Tod des Hauptdarstellers River Phoenix 1993 fiel das Filmmaterial an die Versicherung. Jahre später vollendete Regisseur George Sluizer den Film, indem er die fehlenden Szenen aus dem Drehbuch vorlesen ließ. Dagegen jemanden auf der Leinwand zu sehen, der erst kürzlich gestorben ist, gibt einer bewegenden Geschichte noch mehr zum Schlucken: Der 1962 in Maastricht geborene, auch an deutschen Bühnen engagierte Theater- und Filmschauspieler Jeroen Willems starb im Dezember. In „Oben ist es still“, einer auch in NRW produzierten Literaturverfilmung von Nanouk Leopold („The Brownian Movement“) spielt er eindrucksvoll einen verschlossenen, homosexuellen Bauern, der seinen bettlägerigen Vater pflegt.

Berlinale 2013 Ehrenbär für Claude Lanzmann

Der „Goldene Ehrenbär für das Lebenswerk“, den die 63. Berlinale heute an französischen Dokumentarfilm-Regisseur und Produzenten Claude Lanzmann verleiht, ist eine ganz besondere Ehrbekundung in der Flut zahlloser Filmfestivals. Mit seiner neuneinhalbstündigen Dokumentation „Shoah“ über den Völkermord an den europäischen Juden hat Lanzman Filmgeschichte geschrieben. Er zeigt in diesem Werk ausschließlich Interviews mit Überlebenden und Zeitzeugen der Shoah, darunter auch Täter, sucht die Orte der Vernichtung auf und vergegenwärtigt den unermesslichen Schrecken des Völkermords im Nationalsozialismus. Dabei steht das eindrucksvolle und erschütternde Meisterwerk, das 1986 im Forum der Berlinale gezeigt wurde, auch für das Gesamtschaffen des Franzosen, der ein wichtiger Bestandteil der filmischen Erinnerungskultur wurde.

Keine Festivalstadt ist passender für solch eine Ehrung: Das Holocaust-Denkmal liegt nur ein paar Schritte vom Festivalzentrum am Potsdamer Platz entfernt. Der Wannsee am Stadtrand erinnert wie viele andere Orte Berlins an die planmäßige Ermordung von Millionen Juden. Die Berlinale selbst hat sich in ihrer Geschichte immer wieder der Erinnerung und Mahnung des Holocausts gewidmet.

Claude Lanzmann wurde 1925 als Sohn jüdischer Eltern in Paris geboren, kämpfte in der Résistance, studierte später in Frankreich und Deutschland Philosophie. 1948/49 hatte er eine Dozentur an der neugegründeten Freien Universität Berlin. Bis Anfang der 70er-Jahre war Lanzmann vor allem als Journalist tätig und ist bis heute Herausgeber der von Jean-Paul Sartre begründeten Zeitschrift „Les Temps Modernes“. 1972 entstand seine erste filmische Arbeit, die Dokumentation „Warum Israel“, deren Vorführung sogar noch vor kurzem zu anti-israelischen Protesten führte. In dem Film „Tsahal“, der 1995 im Berlinale-Forum lief, porträtiert er Frauen und Männer, die in der israelischen Armee dienen. Zu Claude Lanzmanns Filmschaffen gehören weitere Werke, die sich mit dem Völkermord an den europäischen Juden und mit den Zeitzeugen auseinandersetzen.

Heutzutage redet Lanzmann nicht mehr gerne nur über „Shoah“. Dass dieser Film und seine mutige wie schwierige Methode, auch die Täter zu befragen, weiterlebt, zeigte eine aktuelle Dokumentation im Panorama: „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer befragt auf die gleiche Weise Täter, die nach dem indonesischen Militärputsch 1965 innerhalb eines Jahres über eine Million sogenannter Kommunisten umgebracht haben.

Verbunden mit der heutigen Verleihung des Goldenen Ehrenbären ist eine Hommage mit Vorführungen seines kompletten Werkes, inklusive einer komplett restaurierten Version von „Shoah“. Glücklicherweise ist es dank eines kleinen, engagierten Verleihers seit 2010 in einer weltweit einzigartigen Gesamtausgabe auf DVD erhältlich. Besonders erfreut äußerte sich Lanzmann, dass nach der Verleihung „Sobibor, 14. Oktober 1943“ aus dem Jahre 2001 gezeigt wird, der von einem Häftlings-Aufstand im Lager Sobibor erzählt.

Berlinale 2013 An Episode in the Life of an Iron Picker


Was das Festival immer wieder leistet, sind kleine Wunder wie die Vorführung von „An Episode in the Life of an Iron Picker“ (Eine Episode im Leben eines Eisensammlers) von Oscar-Sieger Danis Tanovic („No man’s land“): Hunderte Menschen verfolgten im Berlinale-Palast gebannt, wie eine Roma-Frau in Bosnien-Herzegowina Hilfe gegen ihre lebensgefährlichen Unterleibsblutungen sucht. Ohne Krankenschein muss die Mutter von zwei kleinen Mädchen fast 1000 Mark für die rettende Operation zahlen. Ein Vermögen für den Mann, wenn das Ausschlachten eines ganzen Autos gerade mal 150 bringt und im heftigen Winter täglich Holz gehackt werden muss. Ohne Geschrei, ohne Tränen inszeniert, mit einer Handkamera, die nicht ganz so gut, wie die der Dardennes ist, erzählt Tanovic seine Geschichte und viele Menschen im Anzug, die ansonsten anderes wichtiger finden würden, sind dabei.

12.2.13

Berlinale 2013 Camille Claudel 1915


Großartig ist Juliette Binoche in Bruno Dumonts „Camille Claudel 1915“. Sie spielt die Bildhauerin und ehemalige Assistentin von Rodin, die zwanzig Jahre nach dieser Zeit von ihrer Familie in eine Irrenanstalt bei Avignon abgeschoben wurde und nach weiteren 29 Jahren dort auch sterben wird. Dumonts stilles Porträt einer an der Gesellschaft gescheiterten Künstlerin ist ein raues, karges Meisterwerk, dass lange mit ganz wenigen Worten auskommt. Das Gesicht der Binoche in vielen, so noch nicht gesehenen Nuancen und die Laiendarsteller mit geistiger Behinderung um sie herum, beeindrucken ebenso nachhaltig wie die wunderbaren Bildkompositionen. Ein Favorit nicht nur für den Darstellerpreis.

Berlinale 2013 Broken Circle Breakdown


Begeistern, erschüttern, bewegen und noch vieles mehr vermochte „Broken Circle Breakdown“ im Panorama: Die Geschichte von Didier und Elise ist die einer wunderbaren Liebe, eines großen Glücks und einer kleinen Tochter, die an Leukämie stirbt. Es ist die Frage, was nach dem Tod passiert, ob ein Glaube helfen kann, oder ob die Gläubigen gar das Wohlergehen der Menschheit verhindern. Stichwort: verhinderte Stammzellen-Therapie und tausende Aids-Tote durch päpstliches Kondomverbot. Und dann macht einen der Film von Regisseur Felix van Groeningen noch zum Fan von Bluesgrass-Musik, die Didier und Elise spielen. Wobei der Banjo-Spieler immer von Amerika träumte und die leidenschaftliche, mit Tattoos übersäte Frau als Sängerin die großartigen Musikeinlagen in Freude und Leid komplettiert. Der beste Film der Berlinale läuft - im flämischen Original - bereits im Maastrichter Lumiere.

Berlinale 2013 Side Effects


„Side Effects“, deutsch: Nebenwirkungen, von Steven Soderbergh dreht sich um die junge, depressive Emiliy (Rooney Mara), die ihren Mann (Channing Tatum) schlafwandelnd umbringt. Dass sie vorher eine ganze Palette von Antidepressiva durchprobiert hat und das neueste Produkt mit massiver Bestechung durch den Pharma-Produzent an die Patienten gelangt, ist mehr als ein Seitenhieb auf diese gierige Milliarden-Branche. Wie der raffinierte, spannende und sehr sicher inszenierte Thriller dies mit der Gier von Börsen-Spekulanten und eines liebenden Paares verbindet, ist große Drehbuch-Kunst von Autor Scott Z. Burns. Jude Law spielt dabei elegant und glaubhaft den Psychiater Dr. Jonathan Banks, dessen reiches Leben durch diesen Fall zerstört wird. Detektivisch schlägt er zurück und aus der überraschenden Geschichte wird ein veritabler Hitchcock. Soderbergh hält sich zwar als Kameramann Peter Andrews - so sein Pseudonym - stilistisch zurück, doch das Presse-Publikum war dankbar für die hochwertige Kino-Kost.

10.2.13

Berlinale 2013 The Necessary Death of Charlie Countryman


Til Schweiger auf der Berlinale klingt wie Elefant im Porzellan-Laden. Doch der deutsche Selbst-Darsteller fiel neben hochrangigen Schauspielern wie Shia LaBeouf, Evan Rachel Wood und Mads Mikkelsen in dem romantisch bis magischen Action-Film „The Necessary Death of Charlie Countryman“ nicht negativ auf. Ansonsten unterhielt die Geschichte um einen amerikanischen Touristen in Bukarest dank großer Kinomomente und stark antreibender Musik über einige Klischees hinweg. Die Klasse eines echten Wettbewerbs-Starters hat Fredrik Bonds Film allerdings nicht, woran Schweiger ausnahmsweise mal unschuldig ist.

Berlinale 2013 Promised Land

Gegen den Gold-Rausch von heute, der „Fracking“ heißt, wendet sich Matt Damon als Autor, Produzent und Darsteller im Goldbär-Konkurrenten „Promised Land“. Nur die Inszenierung überließ er seinem alten Regie-Kumpel Gus van Sant. 1998 bekam Damon als noch unbekannter Schauspieler für Sants „Good Will Hunting“ einen Silbernen Bären als Drehbuchautor und Darsteller. Nun spielt er einen raffinierten Vertreter der Gas-Industrie, der erst langsam die Gefahren des „Frackings“ und die miesen Machenschaften dieser Branche erkennt. Der gute Kerl auf der falschen Seite ringt sich durch, das richtige zu tun. Ein gut gespieltes und inszeniertes Stück Polit-Kino mit viel Herz und etwas wenig echtem Sant-Stil.

Berlinale 2013 Handy-Film Preis


 
Wim Wenders spielte überzeugend die Werbe-Ikone einer Elektronikfirma, die als Sponsor der Berlinale sechs von bekannten Regisseuren realisierte Handy-Filme vorstellte. Das filmische Spielkind erzählte bei der Präsentation im Babylon-Kino Moderatorin Katrin Bauerfeind von seiner ersten digitalen Kamera aus dem Jahre 1979, die 64 Pixel hatte. Eine hohe Promidichte mit unter anderem Jürgen Vogel, Meret Becker und Wilson Gonzalez Ochsenknecht interessierte sich für die Kurzfilme ebenso wie die beiden mit Aachen verbundenen Regie-Jans: Schomburg, der seine ersten Jahre hier verbrachte, und Krüger, der an der RWTH studierte. Letzterer versetzte mit seinem Beitrag „Hänsel & Gretel“ ins Berliner Nachtleben. Ebenfalls stark der Beitrag „Not more than an agreement“ von Claudia Lehmann mit der Band „Hands Up - Excitement!“, die auch zum Event ausspielte. Dieter Kosslicks launiger Kommentar „Thematisch waren wir in der Toilette und dann im Darkroom“ war dabei vielleicht nicht so förderlich für den Sponsor.

Berlinale 2013 Gold

Gold für Deutschland ist schon mal erledigt - wenn auch nur mit dem Filmtitel von Thomas Arslans Auswanderer-Western „Gold“. Mehr ist im Wettbewerb nicht drin für das dünne Filmchen mit (Nina) Hoss und Reiter. Eine Truppe gescheiterter Auswanderer aus Deutschland will 1898 beim Goldrausch mitmachen und zieht über eine unwegbare Strecke in Richtung Clondike. Zum Golde drängt alles, doch nur eine kam durch. Das filmische Erlebnis, dieses Vertreters der Berliner Schule evozierte die Metaphern „Marterpfahl“ und „sattelwund gesessen“. Ein unfreiwilliges „Hossa“ ging durch Publikum, als einem der Abenteurer (Uwe Bohn) nach einem Tritt in die Bärenfalle mit stumpfer Säge das Bein amputiert wird. Diese Szene bleibt in Erinnerung. (

8.2.13

Berlinale 2013 Gala Les Misérables


 
Heute Abend wird der frisch verfilmte Musical-Erfolg „Les Misérables“ (Regie: Tom Hooper) als „Gala“ der Berlinale kurz vor dem kommerziellen Kinostart für viel Wirbel sorgen. Kein Wunder, ist die musikalische unterlegte Illiteraten-Version von Victor Hugos „Die Elenden“ doch mit Hugh „Wolfen“ Jackman, Russell „Gladiator“ Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Helena Bonham Carter und Sacha „Borat“ Baron Cohen ausgesprochen prominent besetzt. Allerdings schlug ein Musik-Fachmann völlig zu Recht als Titel „Des Kaisers neue Kleider“ vor, weil niemand erwähne, dass die hervorragenden Schauspieler schlicht nicht singen können. So sind die dank dickem Produktions-Etat eindrucksvollen Kulissen und Kostüme der Revolutions-Schmonzette wegen der Tonspur nur ganz schwer erträglich. Die Veranstaltung kann heute Abend in verschiedenen Kinos (unter anderem Eden, Aachen) live verfolgt werden.
Wenn Amanda Seyfried, hier als Ziehtochter des Helden nur lieblich, in einem anderen Berlinale-Starter die seit „Deep Throat“ legendäre Porno-Darstellerin Linda Lovelace spielt, ist ein wesentlich spannenderer und Berlinale-gerechterer Film zu erwarten.

Solche „miserablen“ Gala-Veranstaltungen müssen eindeutig im Zusammenhang mit Kürzungen gesehen werden, die dazu führen, dass Filmfestspiele vermehrt über Eintrittskarten finanziert werden. Dadurch erfährt beispielsweise auch die filmhistorische Retrospektive über den Einfluss von Filmemachern der Weimarer Republik eine gewisse Banalisierung mit populären Werke wie „Casablanca“, die man sowieso schon kennt.

Berlinale 2013 Don Jon's Addiction



Was macht eigentlich ... Joseph Gordon-Levitt? Der junge und sensationelle Premuim-Hauptdarsteller von „Looper“, „50/50“ und „Premium Rush“ (alles in 2012) hat nebenbei noch ein Drehbuch geschrieben, dass immer größer wurde, durfte es selbst inszenieren und stellt „Don Jon's Addiction“ heute als Panorama Special vor. Dass er auch als Regisseur kein kleiner Junge ist - obwohl er noch so aussehen kann - beweisen schon seine Mitspielerinnen Scarlett Johansson und Julianne Moore. Ach ja: selbstverständlich spielt der Überflieger Joseph Gordon-Levitt selbst auch mit: Er inszeniert sich in der sehr spritzigen Komödie als selbstverliebter, porno-süchtiger Geck. Für die von Scarlett Johansson sehr schön billig gespielte Freundin Barbara gab er sogar die One Night-Stands auf, doch niemals den virtuellen Sex. Erst die Begegnung mit einer älteren, etwas verrückt wirkenden Hippiefrau bringt ihn von diesem Egotrip ab und gibt dem flotten Spaß ganz überraschend lebens- und liebesweise Tiefe. Julianne Moore spielt diese sensible und sinnliche Frau mit einer nochmals eindrucksvolleren Darstellung. Eine raffinierte Dramaturgie, sich lachend schmerzlichen Wahrheiten anzunähern.

Berlinale 2013 Paradies: Hoffnung


Regie: Ulrich Seidl

Wettbewerb

Nein, da half auch nicht die Nachfrage beim hochverehrten Kollegen, der den Film schon am Schneidetisch gesehen hatte und darin Trash-Qualitäten entdeckte.... (Berlinale ist ... an jeder Haltestelle wartet nicht nur ein weiterführendes ÖPNVsmittel sondern auch ein ebensolches Gespräch ...) Die Hoffnung auf ein gutes oder sogar der Glaube an ein gesteigertes Ende der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl verflogen nach wenigen Minuten.

Was bisher geschah: Eine frustrierte, üppige Krankenschwester findet auch mit gekauften Loverboys im Afrika-Urlaub nicht das „Paradies: Liebe“ (Cannes 2012). Ihre Schwester findet zwar durch Einführung eines Kreuzes mit dem Lieben Herrn Jesu und Kasteiung davor oder danach Befriedigung, doch der Ex-Mann, der im Rollstuhl zum strammen Muslim wurde, nimmt dem „Paradies: Glaube“ zumindest das Alleinstellungsmerkmal und auch irgendwie die Reinheit der ausgestellten Barmherzigkeit (Venedig 2012).

Nun muss Melanie, die übergewichtige Tochter der Krankenschwester, rein in ein Diät-Camp und raus kommt ein dünner Film. Die Teenie-Gespräche der 13-Jährigen mit anderen Häftlingen der Österreicher Völksangehörigkeit könnten nur als Parodie noch interessieren. Die Verliebtheit in den schleimigen Arzt, ein naiver Kleine-Mädchen-Casanova, könnte zu einem spannenden Konflikt führen, doch alles läuft derart unterkomplex ab, dass erst die fast letzte Szene mit der coma-betrunkenen „Melli“ und dem auf einer Waldlichtung an ihr herumschnüffelnden Arzt die Abstrusität üblicher Seidl-Geschichten hat. Der militärische Drill des schmierigen Sportlehrers und die immer wieder in albernen Formationen ins Bild gebrachte Kindergruppe des Guantanamo-Light-Imitats irgendwo in den Voralpen ist höchstens dekorativ und nur beim ersten Mal unterhaltsam. Bis auf ein paar Insider-Scherze bringt die Verbindung der drei „Paradies“-Filme auch keinen Mehrwert, die Bezeichnung Trilogie ist dafür stark übertrieben.

Die Heimweg-Begegnung hatte „Trash“ als Antwort. Diät-Film trifft es besser.

7.2.13

Berlinale 2013: Matar extraños

Matar extraños
Killing Strangers

Mexiko / Dänemark 2013, 63 Min

REGIE: Jacob Secher Schulsinger, Nicolás Pereda
DARSTELLER: Gabino Rodríguez, Esthel Vogrig, Tenoch Huerta, Harold Torres

Wie gut, dass es das Forum gibt. Da wird der mainstreamig abgeschliffene Blick noch mal durchgeschüttelt, da werden mit in alle Richtungen auspendelnden Werken die Eckpunkte des filmischen Erzählens weit nach draußen verlagert und unbekanntes Seh-Land öffnet sich.

Perfektes Beispiel dafür am Berlinale-Starttag: „ Matar extraños“ von Jacob Secher Schulsinger und Nicolás Pereda. Zur Beschreibung klaue ich mal was aus dem guten Katalog-Text: „In einem museal anmutenden Wohnzimmer findet eine Reihe von Castings statt. Unterschiedliche Männer improvisieren oder sprechen vorgegebene Texte nach, studieren Gesten und Parolen ein, zielen mit einer Waffe, brechen sterbend zusammen. Immer wieder geht es dabei um Revolution. Dazwischen Szenen in einer Wüstenlandschaft. Drei Männer, die sich der mexikanischen Revolution zu Beginn des letzten Jahrhunderts anschließen wollen, haben sich verlaufen.“

Dass die Wohnzimmer-Texte auch in der Wüste auftauchen - oder umgekehrt? - scheint noch greifbar als ein Spiel mit den Erzählebenen. Doch da gab es auch (als Vorwort?) einen Stanislawski-Text über das Schauspielen, mittendrin Zitate aus Revolutionstexten von Arendt bis hin zu Beatles „Revolution“. Wenn dann einer der Laien (wirklich?) beim Casting ganz dramatisch die Geschichte von „Kevin allein zuhaus“ als sein Kindheitserlebnis referiert, mit der Erzählung doch wieder bei den drei Männern in der Wüste landet, ist das mit dem Entschlüsseln nicht mehr ganz so einfach. Stört das Handy beim Vorsprechen? Nein, denn man kann aus der Muschel einen Text aus der Wüste identifizieren!

Was ist hier Meta-Metaebene? Casten für Godot? Eigentlich egal, weil man das Schauspiel(en) zu durchschauen meint, weil man statt einer Folie ein Rhizom vor sich hat und sich gerne darin verliert. Die letzte Szene, ein ganz, ganz langsames Ausblenden am Lagerfeuer (ritt im Hintergrund nicht Jarmuschs „Dead Man“ vorbei?), ist eigentlich ein überlanger Hohn, doch auch eine wunderbare Ironie. Wie sehr der Film wirkt, mehr man erst beim nächsten, wenn da jemand versucht, mit dem üblichen Spiel aus eindeutigen Abbildern und Symbolen zu erzählen und man denkt: Mit mir nicht (mehr)!

(für Lars ;-)

Berlinale 2013 The Grandmaster


Der Meister Wong Kar Wai erteilte allen anwesenden Filmemachern mit „The Grandmaster“ eine Lektion. Selbst wenn man nicht übermäßig viel für asiatische Klöppereien übrig hat, hier wird Martial Arts zum Ballet, zum atemberaubenden Bewegungs- und Bilder-Fluss. Die lange Geschichte ist schnell erzählt: Ip Man (Tony Leung), ein überlegener, aber bescheidener Kämpfer des Kung Fu aus dem Süden, wird zum Nachfolger des ganz großen und vereinigenden Meisters Gong, indem er es sogar mit dessen Tochter, der Zauberin der 64-Schlag-Technik, aufnimmt. Dieser ausgesprochen romantische „pas des deux“ sollte fortgesetzt werden, doch der Einmarsch der japanischen Armee trennt die Liebenden. Erst nach vielen Jahren und politischen Umwälzungen treffen sie sich im inzwischen britischen Hong Kong wieder. Doch Frau Gongs Gelübde, dass ihr half, den Mörder des Vaters zu besiegen, steht der Erfüllung im Wege.

Es ist ein typischer Wong Kar Wai, der einen Moment nicht erfüllter Liebe über Jahrzehnte und mehrere Filmstunden aufs Wunderbarste zerdehnen kann. Kurze Zeitlupen, schwebende Rauchwölkchen, zitternde Schneekristalle, Tropfen, die für ihr perfektes Perlen reihenweise Oscars erhalten müssten... Das schmerzlich süße Schmachten kann niemand so gut in Filmform bringen, wie man seit „In The Mood For Love“ weiß. Dazu Tableaus, die an Rembrandts Gilden-Gemälde erinnern oder aus einem Bordell in Süd-China „Eine Bar In den Folies-Bergère“ im Stile Manets machen. Dass in der unvereinbaren Liebe zwischen dem verschneiten Norden und dem warmen Süden nebenbei chinesische Geschichte und in der Zusammenführung unterschiedlicher Kampfstile durch Ip Man etwas Wesentliches für den Kung Fu erzählt wird, ist da fast Nebensache. Denn wie etwa anhand des aufmerksamen Kochens einer Suppe Lebensweisheiten vermittelt werden, äußern die Figuren zwar wenig, aber Treffendes. Fachjournale mögen entscheiden, ob die Geschichte des Lehrers von Bruce Lee korrekt wiedergegeben ist. Als einfacher Zuschauer überlegt man sich, doch irgendwie berühmt zu werden, nur damit Wong Kar Wai vielleicht auch mal dieses Leben auf betörend schöne Weise gestalten möge.

3.2.13

Renoir

Frankreich 2012 (Renoir) Regie: Gilles Bourdos mit Michel Bouquet, Christa Theret, Vincent Rottiers 111 Min.

Bei einem Malerfilm will man Bilder und Farben sehen, was „Renoir" vortrefflich erfüllt: Die Farben der Palette Pierre-Auguste Renoirs (1841 - 1919) stimmen, die provencalen Natur-Settings auch, in denen der berühmte Maler seine letzten Lebensjahre bei Cagnes-sur-Mer verbringt. Den Alten (Michel Bouquet) interessiert nur noch Schönheit, zur Inspiration kommt deshalb als neue „Muse" die junge Andrée Heuschling (Christa Theret) täglich zu Renoir. Ungezwungen, fast respektlos begegnet die Tänzerin und Schauspielerin dem Mann im Rollstuhl, der von allen als „patron", als Meister, angesprochen wird.

Es ist ein beschaulicher, scheinbar ewiger Sommer im goldenen Licht an Cote d'Azur. Der Erste Weltkrieg deutet sich mit ein paar beurlaubten Soldaten an, die Toter Mann im Meer spielen, und mit Verstümmelten am Wegesrand. Mehr will auch der Film nicht mit Hässlichem zu tun haben. Dafür umso mehr sanft gleitende Kamerabewegungen, nebenbei mal kleine Körperstudien verspielt im Spiegelbild festgehalten. Das Verlaufen von Andrées roten Haaren auf ihrem Rücken gedoppelt mit der gleichen Pinselfarbe im Wasserglas. Auch wenn Renoir von seiner weiblichen Dienerschaft getragen werden muss, streift der Film mit großer Leichtigkeit immer wieder durch die Wiesen um sein Atelier, ununterbrochen rauscht es in den Gräsern und den Bäumen. Als eine Böe mal die Damen des Picknicks am Fluss durcheinanderwirbelt, ist der Ausruf „Verdammt, wie schön!" schon das Kräftigste am ganzen Film.

Dazu selbstverständlich Akt-Posen, die zu bekannten Gemälden werden. (Selten lief übrigens jemand konstant so unausgezogen durch einen Film, der mit Jugendfreigabe ist.) Zwischendurch ein Stillleben, wenn die Damen seines Haushalts das Essen bereiten. Gemächlich und undramatisch bleibt es selbst, als der Sohn Jean Renoir (Vincent Rottiers) kriegsverwundet nach Hause kommt. Die Begegnung der beiden großen Künstler erfolgt nicht wirklich ehrerbietig: Der eine im Rollstuhl, der andere wegen seiner Verletzung an Krücken. Während Jean beim Malen assistiert, will man alles aufnehmen, was der alte Meister der Malerei dem kommenden Meister der Regie erzählt. Es ist nicht viel. Auch wenn Andrée Jeans Geliebte wird, bleibt selbst der Vater-Sohn-Konflikt ein gepflegtes Gespräch zwischen dem leicht idealistischen Jungen, der wieder in den Krieg will, und dem reifen Mann, den nur noch das Fleisch interessiert. Nicht sein eigenes, widerspenstig schmerzendes, sondern das seine Modelle.

In Cannes' Festivalpalast hing einst ein wunderschönes Nebeneinander von Renoir-Bildern und Renoir-Filmstills mit ähnlichen Motiven zu dieser erstaunlichen Fügung, dass eine Künstlerfamilie zwei ganz verschiedene Epochen mit großartigen Bildergestaltern prägt. Das war mehr an kunstgeschichtlicher Interpretation als diese fast zwei Stunden Film nach dem Buch „Le tableau amoureux" von Jacques Renoir (Urenkel des Malers und Neffe des Filmregisseurs). Denn „Renoir" ist keinesfalls ein Schlüsselfilm für das Alterswerk von Auguste oder die Anfänge von Jean. Ein paar Andeutungen, einige skizzierte Sätze, Erinnerungen und Träumereien - mehr nicht.

„Renoir" schmeichelt Augen, Ohren und angegriffene Seelen, macht aber erstaunlicherweise weder Lust auf einen Museumsgang zu Renoir noch auf die Filme des Jüngeren. Nur die Abspann-Fakten über Andrée Heuschlings weitere Karriere, die tatsächlich in den ersten fünf Filmen Renoirs mitspielte um daraufhin vergessen zu werden, wecken etwas Neugierde, diese in einem Detail neu zu sehen.

1.2.13

Parker

USA 2012 (Parker) Regie: Taylor Hackford mit Jason Statham, Jennifer Lopez, Michael Chiklis 118 Min.

Zieht euch warm an, ihr Krimifans. Dieses neue Mäntelchen aus einem Richard Stark-Stoff lässt einen trotz des Heist-Settings im sonnigen Palm Beach eindeutig kalt. Vielleicht wird dieser auf den Action-Eisblock Jason Statham zugeschnittene „Parker" den Genre-Freunden passen, aber bei zielgerechter Lieferung des Erwarteten sitzt an den entscheidenden Stellen etwas schief. Und an vielen dieser Stellen steht Jennifer Lopez deplatziert vor der Kamera.

Parker, der nach dem Ableben seines Autors Donald E. Westlake - mit Pseudonym Richard Stark - im Jahre 2008 endlich wie in den Romanen Parker heißen darf, bleibt immer cool und ungerührt. Selbst wenn bei einem großen Raubzug eine Sicherheitskraft in Panik gerät, redet der als Priester verkleidete Gangster (Jason Statham) dem Mann zu beruhigend zu, dass alles glatt verläuft. Bis zum Streit mit den Kumpanen im Fluchtauto. Am Ende liegt Parker geschunden auf der Straße, bekommt noch einen Gnadenschuss und wird in den Graben gerollt.

Doch er wird wieder aufstehen - nicht zum letzten und auch nicht zum ersten Mal. Am folgenden, gnadenlosen und unbeirrbaren Rachetrip des Todgeglaubten erkennt man den Autor Richard Stark wieder. Obwohl diesmal der Roman „Flashfire" („Irgendwann gibt jeder auf") Vorlage war, ähnelt die Handlung sehr dem Film „Point Blank" aus 1967 nach dem frühen Parker-Roman „The Hunter". Das dauernde Wiederauferstehen könnte man messianisch überinterpretieren, würde dann allerdings doch dieses Stöffchen überstrapazieren. Denn außer altmodisch sind die Geschichten vor allem übersichtlich. Auch der neue „Parker" rechnet der Reihe nach mit allen seinen Gegnern ab, wobei die Menge an schweren Verwundungen, die er einsteckt, eher an die Spielfigur Action-Jim als an Jesus erinnert.

Doch diese stringente Rache-Action ohne Schnickschnack, ausgeführt von einer unerschütterlichen Männerfigur kommt an. Selbst übel zugerichtet noch zielgerichtet - so entspannt möchte Mann sein, wenn im Supermarkt das Honigglas runterscheppert, das Smartphone schwungvoll hundert Meter über den Asphalt schliddert oder die Beziehungskrise das Wochenende versaut. Jason Statham transportiert Parker ganz gut. Er treibt den Minimalismus im Mimen-Spiel nicht auf die Spitze (siehe Lee Marvin in „Point Blank"), aber ganz schön weit.

Das wäre soweit so ok, wenn da nicht auch noch J-Lo ins Spiel käme. Gerade so coole Jungs wie Parker und sein Publikum wollen nicht eine Zicke (Jennifer Lopez) sehen, die ihm das Drehbuch ohne erotische oder romantische Chemie ans Bein geschrieben hat. Denn wahrscheinlich ist das Leben zuhause schon schwer genug. Das ist ein heftiger Stilbruch, der Einbruch eines Realitäts-Klischees ins Super-Männer-Genre. Das geht nicht!

J-Lo also als geschiedene, ausgenommene und frustrierte Immobilien-Maklerin in Palm Beach. Das würde mit den kleinen Frustrationen, wenn Parker sie auszieht, nur um nach Mikros zu suchen, mit den anderen Abweisungen, weil sie ja ach so unattraktiv ist, und mit den nervigen Zickereien in einer Komödie halbwegs funktionieren. Doch hier passt das zum Film, wie ihre Figur zum simplen, reduzierten und unterkühlten Parker.

Bevor dies nun ein Essay darüber wird, was gute Regisseure aus mäßig begabten Schauspielern machen, nur kurz der Soderbergh-Exkurs: Nie war Jennifer Lopez so gut wie 1998 in Steven Soderberghs „Out of Sight". Der Mann kann sogar eine Thaiboxerin zur Landwand-Ikone verwandeln, wie Gina Carano in „Hay Wire"! Seitdem noch mal von der Frau gehört? Genau! (Die tragische Geschichte, dass aus dem ersten Teil vom „Bennifer"-Traumpaar der gefeierter Regisseur Ben Affleck und das „-ifer" Lopez in der Hölle der Mittelmäßigkeit schmort, wird jetzt nicht weiter ausgebreitet.)

Der ultimative Vergleich mit Lee Marvin und „Point Blank", „der" Parker-Verfilmung, wäre ein unfairer, denn da war John Boorman der Regisseur. Auch wenn Taylor Hackford, der „Im Auftrag des Teufels" (1997), „When We Were Kings" (1996), „Dolores" (1995) oder „Ein Offizier und Gentleman"(1982) inszenierte, ein guter ist, dem man solche Serienarbeit nicht zumutete, er macht nichts Besonderes aus dem auch nicht wirklich vielschichtigen Material. Jason Statham will jedoch angeblich weiter machen und noch mehr Parker produzieren.

Cirque du Soleil - Traumwelten

USA 2012 Regie: Andrew Adamson (Cirque du Soleil: Worlds Away) mit Erica Linz, Igor Zaripov, Matt Gillanders 91 Min. FSK ab 6

Verträumtes Staunen ist Programm bei Cirque du Soleil, der legendären, zum Unterhaltungs-Unternehmen gewordenen Zirkus-Truppe, die ihre Akrobaten-Nummern mit einem poetischen Gespinsel aus fantastischen Kostümen und Geschichten umwebt. Nun, im ersten großen Kino-Film von Cirque du Soleil, bildet eine kleine Liebesgeschichte den dünnen Handlungsfaden, an dem wir durch die Show-Elemente der internationalen Truppe geführt werden: Mia, Besucherin eines bescheidenen Zirkus', versinkt durch den Manegen-Boden in eine Traumwelt, wo ein Conferencier sie auf ihrer Suche nach dem Trapez-Künstler begleitet.

Dank dieses Vorwands sehen wir ein Ballett auf und unter Wasser oder eine atemberaubend avancierte Barren-Übung auf einem pendelnden Luftschiff. Wie aus Ang Lees „Tiger & Dragon" entführt schweben dann asiatische Kämpfer an Drahtseilen auf einer senkrechten, interaktiven Bühnenwand, die Robert Lepage mit gewaltiger Hydraulik ähnlich in seinem Ring des Nibelungen an der Met einsetzte.

Doch schnell weiter, denn es gibt noch viel mehr zu Staunen für Alice oder Mia im Zirkusland: Ein putzmunteres Dreirad Be- oder Aufsitzer wird ihr Begleiter, führt sie zu Superhelden, die Trampolins rocken, und in ein Beatles-Medley mit Sgt. Pepper-Hommage. Hier ist Lucy wirklich in the Sky mit Diamanten-Kostüm, danach jongliert ein falscher Muskelmann ebenfalls in luftiger Höhe mit einem Kubus.

So um die 20 verschiedene Cirque du Soleil-Shows mit insgesamt mehr als 5000 Artisten sind weltweit in hunderten Städten zu sehen. Der Umsatz des Unternehmens wird bestimmt bald die Milliarden-Grenze erreichen, doch auch Entlassungen von mehreren Hundert Mitarbeitern tauchen im Wirtschaftsteil auf. Doch das Verzaubern beherrscht dieses McDonalds des Zirkuswesens immer noch:

Die Shows des Films in riesigen, hoch technisierten Bühnenkästen sind zeitweise bombastisch und vielfältig wie einst Robert Wilsons „Civil Wars". Während die Musik bei ihren Ausflügen zu bulgarischen Frauenchöre mit afrikanischer Männer-Solis auch mal nervig übertreibt, kommen viele wirklich erstaunliche Show-Nummern zu kurz. Die Abfolge wirkt gehetzt, man vermisst Applaus und Würdigung der tollen Leistungen. Auch stillere Programmpunkte gibt es in diesem Film nicht.

Für die 3D-Wiedergabe von Bühnen-Nummern ist Wim Wenders' „Pina" zum Maßstab geworden. Der wird durch diesen „Cirque de Soleil" trotz laut verbreiteter Mitarbeit von James Cameron nicht erreicht. Nie ist man mittendrin im Gewusel poetischer Einfälle. Höchstens manchmal näher dran, aber dann auch schneller wieder weg als gewünscht. Gerade der Versuch, den Raum mit seiner Tiefe und den vielfältigen Handlungen einzufangen, scheitert durch sprunghaften Schnitt. Nur das finale in den Seilen Hängen der Verliebten, die sich endlich gefunden haben, ist zu lang. Auch wenn man die kitschige Romanze tatsächlich dringend zum Auslüften raushängen muss.

Letztendlich ist die circensische Nummern-Revue mit vielen Höhepunkten aber auch mit Albernheiten in Form von Synchronschwimm-Klischees ein schöner und nicht allzu langer Trailer für die Bühnenshow. Vielleicht gar keine schlechte Marketing-Idee.