31.1.13

David Sieveking porträtiert demenzkranke Mutter in „Vergiss mein nicht“

Film-Arbeit ist wie Trauerarbeit


Regisseur und Aachener Produzent Heisler im Eden-Kino

Aachen/Berlin. David Sieveking ist mit seinem sehr persönlichen Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht" der Mann der Stunde: Bei Lanz und vielen anderen Medien- und Festivalterminen erzählt der junge Filmemacher, wie er die letzten Monate mit seiner demenzkranken Mutter dokumentarisch festhielt. Die mutige, rührende und auch erschütternde Beschäftigung mit der Krankheit trifft überall auf ein breites Interesse. Am Samstag präsentiert Sieveking zusammen mit seinem aus Aachen stammenden Produzenten und Freund Martin Heisler „Vergiss mein nicht" sowie das gleichnamige Buch in Aachen. Günter H. Jekubzik sprach mit dem Regisseur.

Nach der Weltpremiere in der Kritikerwoche von Locarno im August tourte der Film „Vergiss mein nicht" rund um die Welt von Montreal bis Island, zuletzt war er beim Festival von Rotterdam zu sehen. Dabei freut David Sieveking vor allem, dass der Film „auch ohne Deutschkenntnisse als universale Liebesgeschichte emotional funktioniert". Menschen in verschiedenen Ländern und Kulturen würden Erfahrungen machen, die sie ihr Weltbild hinterfragen lassen. Vor allem hat der Film auch „einigen Leuten Mut gemacht, sich der Krankheit zu stellen."

Im Sohn Sieveking, der nun quasi seit Monaten mit dem Angedenken an seine Mutter durch die Welt tourt, kommen immer noch „starke Gefühle hoch" wenn er den Film wieder sieht. „Dann bin ich sehr gerührt. Die Film-Arbeit ist wie Trauerarbeit, das hat mir sehr geholfen." Er findet, „das ganz gesund, dass ich das gemacht hab" und positiv, „dass es mit anderen Leuten teilen kann."

Buch abstrahiert Unzeigbares
Das Buch „Vergiss mein nicht" war eigentlich nicht geplant, die Idee kam erst später hinzu: „Jetzt schreib ich alles das, was ich im Film nicht angesprochen habe". Doch es ist nicht das übliche „Buch zum Film", denn es kann als unabhängiges Werk „ganz andere Sachen erzählen, kann ergänzen".

Er konzentrierte sich auf die Momente, die ein Film nur schwer darstellen könne: „Die schleichenden Veränderungen, die privaten Aspekte, wo die Kamera nicht immer dabei sein kann." So schreibt Sieveking dort auch von den letzten sechs Monaten im Leben seiner Mutter, die im Film ausgelassen wurden, „mit den Sekundärkrankheiten und den Schwierigkeiten am Ende des Weges". Denn, „man kann mit der Kamera nicht auf der Intensivstation filmen oder zeigen, wie sie fast erstickt beim Essen". Schwierige Momente, ließen sich „erträglicher in einem Buch beschreiben, mit Hilfe einer gewissen Abstraktion".

Während der Film „mehr Liebes- und Lebensgeschichte" der Eltern ist, konzentriert sich das Buch auf die „Mutter-Sohn-Geschichte". Außerdem gäbe es für Leute, die sich für Demenz interessieren, mehr Anhaltspunkte.

Die erbitterte Diskussion um das Buch „Abschied von meinem Vater" von Tilman Jens, Sohn des ebenfalls demenzkranken Walter Jens, hat David Sieveking nicht direkt beim Schreiben beeinflusst. Er habe es viel liebevoller empfunden als man es nach den Kritiken erwartete. Eines hat den Regisseur besonders stark beeindruckt: Obwohl Walter Jens seinen Wunsch, zu sterben, in einer Patientenverfügung detailliert philosophisch begründet habe, waren „Frau und Sohn dann nicht fähig, den Wunsch zu erfüllen. Das hat mich beim Schreiben und in der Erfahrung mit meiner Mutter stark beeinflusst."

Freund als Produzent
Den aus Aachen stammenden und in Berlin arbeitenden Produzenten Martin Heisler lernte David Sieveking schon beim Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) kennen. Über die Zusammenarbeit bei „Vergiss mein nicht" und schon vorher bei „David wants to fly" zeigt sich der Filmemacher voll des Lobes: „Martin ist kein zynischer Producer-Typ, der Geld verdienen will. Zudem war er auch auf Grund einer ähnlichen Erfahrung in seiner Familie sehr einfühlsam, vor allem, als wir den Film für einige Monate auf Eis gelegt haben, weil es meiner Mutter plötzlich viel schlechter ging." So ist es auch nicht verwunderlich, dass bei den nächsten Projekten, die Sieveking plant, auch zwei zusammen mit Martin Heisler dabei sind.

„Vergiss mein nicht" Buchvorstellung und Filmvorführung
Eden-Palast, Franzstraße, Aachen
Sa. 2.2., 20 Uhr
mit Regisseur David Sieveking, Produzent Martin Heisler und Dr. med. Andreas Theilig (Vorsitzender der Alzheimergesellschaft Städteregion Aachen)

Das Buch
Buchtitel: Vergiss mein nicht

Sieveking, David
Vergiss mein nicht. Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und ich meine Eltern neu entdeckte.
Verlag Herder, 240 Seiten € 17,99

29.1.13

Willkommen in der Bretagne

Frankreich 2012 (Bowling) Regie: Marie-Castille Mention-Schaar mit Catherine Frot, Mathilde Seigner, Firmine Richard, Laurence Arné, François Bureloup 91 Min.

Auch wenn der Titel „Willkommen in der Bretagne" eine besonders dreiste Fehl-Übersetzung des Originals „Bowling" ist, in dieser Verengung auf ein Stereotyp französischer Kino-Komödien haben die deutschen Verleiher mal recht: Wieder wird ein Franzose in eine unbekannte Region mit ausgeprägten Charakteren als Bewohnern versetzt. Nach dem Briefträger von der Cote d'Azur, der nach Nordfrankreich musste, erwischt es diesmal die Pariserin Catherine (Catherine Frot) mit einem Auftrag in der Bretagne. Ihr Antritt vor der Belegschaft des lokalen Krankenhauses ist direkt peinlich, weil ihr Witz über die Bretonen überhaupt nicht zündet. Auch ansonsten kommt die Neue mit ihren Vorbehalten gegenüber der Provinz nicht besonders gut an. Trotzdem darf sie mit einer Clique von Hebammen bowlen und dort Solidarität wie Freundschaft finden.

Dabei war das Zusammenkommen nicht einfach, denn in der Person von Catherine trifft die Effektivitäts-Analyse von ausbeuterischen Beraterfirmen auf eine noch menschliche Arbeit im Krankenhaus. Im Ergebnis ist es jedoch nicht mehr gewinnbringend, auf diese Art Kinder zur Welt zu bringen. Deswegen soll die Geburtsstation aufgelöst und nach Brest verlegt werden. Eine Katastrophe für die Frauen in ihren jeweils eigenen schwierigen Lebensumständen. Doch die besonders kämpferischen Bretonen ergehen sich in Lokalpatriotismus und Widerstand.

Alles sehr vorhersehbar, wenn auch mit einer erstaunlich prominenten Darstellerriege ausgestattet. Die bleibt jedoch hinter ihren Möglichkeiten zurück. Vor allem in der Hauptrolle ist Catherine Frot weit von dem entfernt, was sie noch kürzlich als Köchin vom Präsidenten gezeigt hat. Doch ist es - wie erwartet - ein schöner Moment der Emanzipation, wenn Catherine mit ihrer Smily-Bowlingkugel die auch so fragilen Kunstwerke ihres rücksichtslosen Mannes abräumt. Eine solide Frauen-Emanzipations-Komödie ohne Überraschungen.

Vergiss mein nicht (2012)

BRD 2012 Regie: David Sieveking 88 Min.

„Vergiss mein nicht" heißt der neue Film des jungen Regisseurs David Sieveking, der sehr überraschend einen großen Erfolg hatte, als er sich für „David wants to fly" in einem Selbstversuch mit der Transzendentalen Meditation seines Vorbildes David Lynch auseinandersetzte. Die neue Dokumentation hat ein schwieriges Thema: Die Mutter des Filmemachers ist an Alzheimer erkrankt und der viel beschäftigte Sohn kehrt aus Berlin ins Frankfurter Elternhaus zurück, um dem Vater bei der Pflege zu helfen. Dieser ist, wie oft in solchen Pflegesituationen, völlig erschöpft und will drei Wochen Urlaub machen. Nun kümmert sich also David, und hat - mit Kamera und Tonmann im Gepäck - so seine eigenen Ideen. Parallel entdeckt der Sohn über Fotos und Briefe die Liebesgeschichte seiner Eltern, die eine sehr freie war. Im linken, alternativen Milieu gab es immer wieder andere Beziehungen und ganz bitter ist es, wenn die verwirrte, alte Frau nun wieder einige dieser Namen aufleben lässt.

Noch während des stellenweise rührenden und erschütternden Films stellt man sich die Frage, ob man einen nahen Menschen so im geistigen Verfall zeigen kann. Doch bei der begeistert aufgenommenen Premiere des Films in Locarno im August 2012 erwies sich die Idee von Regisseur Sieveking und seinem befreundeten Produzenten Martin Heisler als richtig, mit diesem Film auch Angst vor der Krankheit zu nehmen.

Und ironischerweise hat, während man sich noch um die Privatsphäre der Familie Sieveking Sorgen macht, gerade der Dreh ihr geholfen: Bei ganz offensichtlich für die Kamera inszenierten Szenen merkt man, dass selbstverständlich erscheinende Fragen wie die mögliche Unterbringung der Mutter in einem Pflegeheim bisher noch nicht besprochen wurden. Erst in der Aufnahmesituation lösen sich Spannungen und Konflikte auch mit Davids älteren Schwestern. Überhaupt scheint die Arbeit an dem Film sowie die erfolgreiche Festival- und Premieren-Tour der Familie gut getan zu haben. Weiterhin reist Sieveking Senior mit zu Filmpremieren. Mittlerweile hat der Regisseur unter dem gleichen Titel auch ein Buch herausgebracht, das die gleiche Geschichte und noch mehr über den Erzähler und sein Verhältnis zur Mutter erzählt.

The Impossible

Spanien 2012 (Lo Imposible) Regie: Juan Antonio Bayona mit Naomi Watts, Ewan McGregor, Tom Holland, Samuel Joslin, Oaklee Pendergast, Sönke Möhring, Geraldine Chaplin 114 Min.

Selten wird es diesem Kritiker beim Filmsehen richtig schlecht - „The Impossible" schaffte noch mal das Unmögliche. Dabei ist der Tsunami-Film mit Naomi Watts und Ewan McGregor keineswegs selbst schlecht, höchstens in seiner Darstellung von Vernichtung und Zerstörung am menschlichen Körper zu drastisch. Und auf eine erstaunliche Weise so effektiv erzählt, dass man ihm das als zu viel des Guten auch noch übel nehmen könnte.

Das thailändische Urlaubsressort und die britische Familie, die Weihnachten 2004 in Südost-Asien Ferien machen, sind frisch aus dem Katalog geschlüpft. Das Familienglück von Maria (Naomi Watts), Henry (Ewan McGregor) und ihren drei Kindern, ein Homevideo mit den Weihnachtsgeschenken, Tauchbilder mit Nemo. Angekitscht wünscht man sich schnelles Vorspulen zur Katastrophe und schon schlägt die Welle extrem heftig zu. Der Film folgt Maria und ihrem ältesten Sohn Lucas (Tom Holland) im Strudel, lässt jeden Ast miterleben, der sich in die Rippen der Menschen bohrt, die hilflos von den Fluten mitgerissen werden, jeden Schlag, jedes Atemlosigkeit. Dann, als man sich in ruhigeren Gewässern glaubt, schwappt noch so eine Monsterwelle von der Seite heran.

Nach der sagenhaft und ausführlich inszenierten Flut lassen die Bilder der Katastrophe weiter staunen: Weit und breit eindrucksvoll verwüstete Landschaft. In diesem scheinbar menschenleeren Meer aus Schlamm und Trümmern zieht die heftig verwundete Maria eine Blutspur hinter sich her. Irgendwann klappt vor den Augen des nun nicht mehr pubertär zickigen Sohnes ein großer Hautlappen am Bein herunter. Sie finden zwischendurch Leichen oder eine Getränkedose, übernachten in einem Baum. Bewohner eines Dorfes finden sie, schleifen Maria unter extremen Schmerzen weiter, fahren sie vorbei an Leichen und verzweifelten Menschen. Das Krankenhaus ist keine Rettung, nur eine andere Vorhölle. Maria wird operiert, dann findet Lucas sie nicht mehr in ihrem Bett...

Die Umsetzung der Tsunami-Katastrophe einer Touristen-Familie nach einer „wahren Geschichte" ist der reine Horror und damit das Lieblings-Genre vieler Spanier. (Selbstverständlich sind die viel mehr betroffenen Einheimischen nur Statisten.) Schon „Vinyan" des Franzosen Fabrice Du Welz konnte dem Schicksal hunderter verschwundener und nach dem Tsunami entführter Kinder nur mit einem Horror-Film beikommen. So beginnt auch der in Barcelona geborene Juan Antonio Bayona („Das Waisenhaus") mit Schrecken und kann nicht von ihm lassen.

Während Lucas als Waise durch das völlig überfüllte Krankenhaus irrt, geht der Film zurück zu seinem Vater und den beiden kleinen Brüdern. Henry hat am Ressort überlebt und beginnt die Suche nach Maria, für die er auch die Kinder in die Obhut anderer Touristen gibt. Wie das Taumeln im Strudel der Naturgewalt ist auch die Familienzusammenführung extrem inszeniert, diesmal als extremer Spannungs-Kitsch. Liegt es daran, dass den Figuren kaum Eigenleben unabhängig von ihrer dramaturgischen Funktion gegönnt wird? So effektiv in der direkten Wirkung, so unsympathisch bleibt diese kalkulierte Gefühlsmanipulation im distanzierten Nachgeschmack. Der kaum erträgliche Leidensweg, aus dem sich der Film nur, wenn er die Schraube nicht noch mehr andrehen kann, mit Stille und klassischer Musik ausblendet, ist letztlich Katastrophen-Porno - er zeigt alles was er hat und kann. Wenn jemand die inszenatorische Gewalt dieses Regisseurs bremsen würde, könnte da etwas ganz Großartiges entstehen.

28.1.13

Zero Dark Thirty

USA 2012 (Zero Dark Thirty) Regie: Kathryn Bigelow mit Jason Clarke, Reda Kateb, Jessica Chastain, Kyle Chandler, Jennifer Ehle 157 Min.

Die Ausgangssituation ist historisch und emotional eindeutig: Mit diesen immer wieder erschütternden akustischen Symbolen, den Mailbox-Aufnahmen von Menschen, die am 11.9.2001 in den Twin Towers sterben werden. Zwei Jahre später kommt die CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) in Pakistan an und nimmt direkt an der Folter eines Gefangenen teil. Noch im schicken Hosenanzug, zu dem die anonymisierende Sturmhaube nicht so ganz passt. Die Pole dieser Geschichte sind in wenigen Minuten abgesteckt und die Skandalisierungs-Reflexe funktionierten in den USA wie erwartet: Die einen sahen in der Darstellung von Waterboarding Vaterlandsverrat, die anderen schrien bei der Verhaftung Osama Bin Ladens, um die sich der Film vor allem dreht, eine Glorifizierung von Selbstjustiz. Doch dies ist ein Film von Kathryn Bigelow, die für „Tödliches Kommando – The Hurt Locker" nicht nur als erste Frau überhaupt den Regie-Oscar erhielt, sondern mit dem Film über Bombenentschärfer im Irak auch ein kluges Bild des Krieges zeigte. Schon lange vor dieser politischen Phase erweis sie sich zu Beginn ihrer Karriere mit „Gefährliche Brandung" (1991), „Blue Steel" (1989) und „Near Dark" (1987) als ausgezeichnete Regisseurin und schlug als eine von wenigen Frauen im Action-Genre zu.

Nun zeigt die Regisseurin für Hartes eine CIA-Agentin mit dem Spitznamen Killer, die bei der Folter durch simuliertes Ertrinken ängstlich zuschaut. Auch für Maya sind die Erniedrigungen des Gefangenen schwer erträglich. Zwar werden in den nächsten zwei Kino-Stunden und den Jahren ihrer Recherche immer wieder Fotos und Video-Aufnahmen an diese, auch in europäischen US-Verstecken praktizierten Verhörmethoden erinnern, doch mit dieser Basis stürzt sich Maya versessen in kriminalistische Arbeit. Gegen die Einschätzung von Kollegen und Vorgesetzten verfolgt sie eine Spur, die letztlich zur Entdeckung und
Ermordung von Bin Laden führt.

Über diese fixe Idee verzichtet die Workaholic Maya auf Freunde oder Privatleben, das sie eigentlich nie hatte. Der Film verzichtet derweil bei seiner Recherche auf Verfolgungsjagden oder sonstige Action. Obwohl so Zeit für Kritisches bleibt, man Obama sagen hört, die USA foltere nicht, wird „Zero Dark Thirty" immer spannender. Auch wenn Bin Ladens Ermordung und ihr Zeitpunkt, den der Filmtitel mit dem militärischen Ausdruck für 0.30 Uhr beschreibt, klar sind, verfolgt man mehr und mehr gefesselt die Schritte geheimdienstlicher Arbeit. Dazu gehört auch ganz banal mal ein Lamborghini als Tauschobjekt für die Telefonnummer der Mutter eines Botengängers von UBL, wie der Gesuchte in der amerikanischen Abkürzung nur noch genannt wird. Ohne die üblichen Albernheiten inszeniert, packt „Zero Dark Thirty" und irritiert nachhaltig. Selbst als der Tod einiger Kollegen die Jagd auf UBL für Maya zu einer persönlichen Angelegenheit macht, behält der Film seine Distanz zu diesem durch den Star Chastain attraktiven aber auch deformierten Menschen.

Wenn im Finale die Waage anscheinend zur Seite der Macht ausschlägt, die Marines in Begleitung eindringlicher Bässe gravitätisch ihr Ziel in Pakistan anfliegen und man sich als Partei genommene Geisel in einem rechtlosen System glaubt, das erst schießt und dann fragt, wer man ist, verweigert Bigelow die patriotische und militaristische Jubel-Arie. Die entfärbten Bilder des nächtlichen Einsatzes, bei denen den USA wie damals im Iran wieder ein Hubschrauber schlapp macht, sind unheimlich intensiv. Unübersehbar aber auch, dass die Frauen im Versteck vom besonders zynisch „Geronimo" genannten direkt mit erschossen werden. Am Ende des Films, dessen Drehbuch wieder von Oscar-Gewinner Mark Boal („The Hurt Locker") stammt, bleibt statt Siegesgefühl oder befriedigter Rache nur Irritation. Wenn Maya ganz alleine im Laderaum eines Militärtransporters in die USA geflogen wird, hätte sie in ihrem Leben auch den Heiligen Gral oder eine Million Bonusmeilen jagen können - alles ebenso sinnvoll oder sinnlos.

Last Stand

USA 2012 (The Last Stand) Regie: Kim Ji-woon mit Arnold Schwarzenegger, Forest Whitaker, Johnny Knoxville, Rodrigo Santoro 107 Min. FSK ab 16

Was für ein Wahnsinn: Da wird ein Bodybuilder unglaublicherweise zum erfolgreichen Laien-Darsteller von Robotern und Kleiderschränken, dann zur Steigerung der Absurdität ein mehr oder weniger ernsthafter Politiker. Und jetzt ... dreht er wieder Filme! Das Comeback von Arnold „Governator" Schwarzenegger ist allerdings ein sehr bescheidener, hüftsteifer Auftritt.

Sheriff Ray Owens (Arnold Schwarzenegger) hat einen freien Tag, sein Dorf an der mexikanischen Grenze ist ausgestorben, weil die Football-Fans sich auswärts prügeln und die depperten Assistenten Löcher in die Luft schießen. Doch dem ehemaligen Drogenschnüffler Ray droht Ungemach aus der verachteten Großstadt: Ein mexikanischer Junior-Drogenboss entkommt der schweren Bewachung vom FBI. Dann haut Gabriel Cortez (Eduardo Noriega - welch treffender Familienname für einen Drogenboss-Darsteller!) mit einem Auto-Modell ab, das mehr an Kfz-Steuer und Benzin verschleudert, als ein dicker Dealer ergaunern kann. Aber Cortez will selbst das Steuer in der Hand halten und Mexiko auf dem Landwege zurückerobern. Auf seinem Beifahrersitz fährt eine FBI-Agentin als Geisel mit.

Wieder einmal ist der Bösewicht die Rettung des Films: Mit viel mehr Charisma stellt er den Star Schwarzenegger in den Schatten. Denn während der Gangster auf einem Hochgeschwindigkeitskurs in Richtung Mexiko unterwegs ist, setzt der Sheriff gemächlich eine Brille auf, um die Eintrittsstelle einer Kugel zu entdecken. Seinen größten Moment hat der Ösi-Import Hollywoods als er eher zufällig einsieht, „alles ist verbunden"! Damit erreicht er die Geisteshöhe von „Twin Peaks"-Kommissar Dale Cooper. Doch ganz schnell ist es wieder basis-idiotisch, die Deppen seiner Truppe liefern sich schon ein Feuergefecht mit dem Gehilfen des Gangsters. Und wenn die Not am größten ist, darf die brachiale, rechtlose Gewalt Schwarzeneggers helfen. Er besiegt letztlich auch die typische Geringschätzung für den einfach gestrickten, lokalen Sheriff, die wir seit "High Noon" kennen. Ja, das Filmchen „Last Stand" maßt sich tatsächlich den Vergleich an und sieht damit noch schlechter aus.

Ärgerlich ist einerseits das schlampige Drehbuch, bei dem die Polizei an der mexikanischen Grenze beispielsweise kein Nachtsichtgerät im Hubschrauber hat! Schlimmer jedoch das Sponsoring der amerikanischen Waffenhersteller. Denn zu den A-Team-Routinen, die ab der zweiten Hälfte des Films ablaufen, gehört auch ein verrückter Waffennarr (Johnny Knoxville). Überhaupt werden bei dem sadistischen Gemetzel besonders dicke Colts in die Kamera gehalten und auch der Western-Satz „Ich bin der Sheriff" bekommt durch einen Kopfschuss besonderem Nachdruck. Brachial und einfallslos wie die Inszenierung handeln auch die Figuren. Dass wir es bei Kim Ji-woon mit einem angesagten Regisseur aus Korea zu tun haben, merkt man nur in Sekundenbruchteilen des Schlusskampfes. „Last Stand" bleibt ein reaktionärer Selbstjustiz-Trip. Mit solchen meist rassistischen, engstirnigen Dörflern will man nicht mal im Kino etwas zu tun haben.

22.1.13

Flight

USA 2012 (Flight) Regie: Robert Zemeckis mit Denzel Washington, Don Cheadle, Kelly Reilly, John Goodman, Bruce Greenwood 138 Min.

Was für ein Absturz! Beim frühen Flug aus Orlanda hat der Pilot Whip Whitaker (Denzel Washington) - der Name klingt wie ein Cocktail mit viel Sahne - wieder voll geladen: Alkohol, Koks und 102 Menschen in seinem Flieger. Doch sein permanenter, chemisch verstärkter Höhenflug verliert plötzlich den Boden unter den Füssen, als ein technischer Defekt die Maschine rasant abstürzen lässt. Noch spektakulärer fällt allerdings Whitakers Rettung aus: Kopfüber fängt er sich wieder, landet auf einem Feld und fällt ins Koma.

Nun ist Whip Whitaker ein Held, was ihm ausgerechnet sein übercool aus der Zeit gefallener Dealer (John Goodman) verklickert. Doch wie einst beim legendären Marco Pantani findet man nach dem Unfall Drogen im Blut, dem Piloten droht nun nicht Ruhm sondern Gefängnis. Noch bevor die Anklagen kommen, schmeißt er seine Drogen weg, den Alkohol, das Gras. Die Kollegen von der Fliegergewerkschaft und deren gerissener Anwalt Hugh Lang (Don Cheadle) schaffen, es den Vorwurf auszuräumen. Jetzt muss Whitaker nur noch bis zur offiziellen Anhörung nüchtern bleiben...

Regisseur Robert Zemeckis kehrt mit diesem Überflieger nach einer zwölfjährigen Abhängigkeit von furchtbaren Motion-Capture-Filmen eindrucksvoll zurück: Er inszeniert Washingtons Whitaker in den ersten Sekunden so wahnsinnig cool, wie der sich nach einer wilden Nacht mit Alk, Koks und Sex fühlen muss - nur ohne den Kater. Zum Durchstarten gibt es für den Alltags-Junkie mehr vom Gleichen und direkt ein atemberaubendes Abheben. Während der lustige Flieger die Passagiere beruhigt, kippt er sich noch zwei Wodka und macht ein Nickerchen mit Autopilot. Der Absturz dann ist ähnlich heftig wie der, den Zemeckis für Tom Hanks in „Cast Away - Verschollen" inszenierte. Noch sind keine 30 Minuten im Film vergangen!

Und auch diesmal kommt der Held ganz allein bei sich selber an: Sein Leben ist eine Katastrophe auf ganz hohem Niveau, so circa 30.000 Fuß über festem Boden. Erst eine richtige Katastrophe öffnet Whitaker die Augen dafür, dass seine Ehe gescheitert ist und sein Sohn nichts von ihm wissen will. Doch kann man sich einen schwierigeren Zeitpunkt denken, um sich den Alkoholismus einzugestehen? Um die Wahrheit zu sagen, wenn dafür einige Jahre Knast drohen. Denn Whitaker hat mit seinem Kunstflug tatsächlich vor allem viele Menschenleben gerettet. Nur sechs sind gestorben. Recht und Gerechtigkeit stehen mächtig auf Kriegsfuß.

Aus diesem psychologisch wie dramaturgisch genialen Dilemma (Buch: John Gatins) macht Robert Zemeckis einen intensiven und komplexen Film. Es geht um mehr und es gibt mehr. Etwa dieses fast mythische Raucher-Treffen auf dem Flur des Krankenhauses: Drei Menschen mit besonderer Nähe zum Tod sinnieren bei einer nikotin-geschwängerten Atempause, unter ihnen die drogensüchtige Nicole Maggen (Kelly Reilly aus „Sherlock Holmes - Spiel im Schatten"), die Whitaker bei aller Liebe auch nicht zu den AA-Treffen bewegen kann.

Dazu kommt immer wieder ein Gott ins Spiel. Mal ist seine Kirche bei der Landung im Weg. Baptisten, die gerade wiedergeboren werden wollten, laufen in ihren weißen Gewändern eher an aufgescheuchte Hühner als an Engel erinnernd, in den Trümmern rum. An einer Wand hängt das letzte Abendmahl. Dann ereifert sich noch der sehr mäßige Kopilot mit seiner religiösen Freundin in einer kruden Form von himmlischem Gerechtigkeitssinn. Whitaker zieht lange seinen eigenen Himmel vor und möbelt eine alte Cesna zur Flucht auf.

Aber es gibt keine einfache Lösung. Dieser filmische Höhenflug von einem oscar-reifen Zemeckis und mit einem ganz gewöhnlich sensationellen Denzel Washington bleibt seinem Dilemma treu wie der Trinker der Flasche. Ein hochgradig gut gemachtes und thematisch extrem spannendes Kino-Muss.

Lincoln

USA, Indien 2012 (Lincoln) Regie: Steven Spielberg mit Daniel Day-Lewis, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt, James Tommy Lee Jones 152 Min. FSK ab 12

Mit „Lincoln" kommt der perfekte Film zur Inauguration von Präsident Obama ins Kino. Obwohl sich nicht so geplant, gewinnt die historische Nahaufnahme vom Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffung der Sklaverei durch den aktuellen Bezug an emotionaler Stärke. Überhaupt ist der neue, gänzlich untypische Spielberg als Verfilmung von politischer Dialektik sehr gelungen, während er in der Glorifizierung von Abraham Lincoln eher schwer erträglich ist.

Man möchte nach diesem Film wie Lincoln sein, dies Textchen mit einer kleinen, scheinbar belanglosen Anekdote beginnen und am Ende alle von wirklich allem überzeugt haben. So jemand war der ehemalige Anwalt Abraham Lincoln (1809 -1865), der als Präsident der USA zu einer berühmten historischen Figur wurde. Der Bürgerkrieg, der fast seine gesamte Amtsperiode bestimmte, markiert auch den Anfang der vier Monate, die der Film „Lincoln" beleuchtet. Ein grausames Gemetzel im Schlamm, der den Unterschied zwischen blauen und grauen Uniformen fast egalisiert. Töten und Sterben als Handarbeit in Nahaufnahme. Diesen, für die Südstaaten zu Beginn des Jahres 1864 eigentlich schon verlorenen Krieg könnte Lincoln (Daniel Day-Lewis) mit Friedensverhandlungen beenden. Doch andererseits will der bereits wiedergewählte Präsident das Verbot der Sklaverei noch während seiner ersten Amtsperiode in die Verfassung einschreiben. Und die Mehrheit dazu kann er nur in einer durch Spaltung und Krieg terrorisierten Nation bekommen.

Ein eigentlich zynischer Vorgang, der in vielen treffenden Szenen detailliert als das Wesen von Politik dargestellt wird. Dem Lincoln von Daniel Day-Lewis ist es zu verdanken, dass dies schmutzige Geschäft keinen einzigen Flecken auf der Weste der historischen Glanzfigur hinterlässt. Lincoln ist ein humorvoller Mann, der sich ebenso um Rechtsstreitigkeiten der Bürger wie um das Leben eines 16-jährigen Soldaten kümmert, der aus Angst vor dem Kampf sein Pferd verletzt hat und gehängt werden soll - nach 600.000 Menschenleben, die der Krieg schon forderte. Ganz privat erzählt der liebevolle Vater seiner Frau Mary (Sally Field) im Weißen Haus von einem Traum, und auch ein Ehestreit der Lincolns über die Trauer um den verstorbenen Sohn wird eingeblendet.

Doch vor allem geht es darum, mit dem 13. Zusatz zur Verfassung die Sklaverei zu verbieten, auch wenn der republikanische Präsident dafür exakt 20 Demokraten, die bald ohne Parlamentssitz sein werden, grenzwertig legal mit Jobangeboten bestechen muss.

Sein schärfster Gegner kommt aus den eigenen Reihen: Der alte Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones), bissiger Redner und überlegener Denker, ist im Gegensatz zu Lincoln Idealist und Zyniker in einem. Er will viel mehr für die Schwarzen erreichen und das sofort. Doch auch ihn überzeugt der beinahe messianische Redner Lincoln. Das Prinzip der kleinen Schritte siegt über den alten Idealisten, der nur noch am Stock humpeln kann. Politik war ein einer Zeit, in der man noch mit einer Decke um die Schultern durch das unterheizte Weiße Haus laufen musste, ein schmutziges Geschäft. Nicht wegen der Spuknäpfe und heftigster Beleidigungen im Parlament, die sogar einen Wehner hätten erröten lassen.

Es ist eindrucksvoll inszeniert, wie Lincoln wieder mal eine seiner Anekdoten erzählt, zerstreut wirkt, doch dies nur als rhetorisch geschickte Einleitung nutzt, um beispielsweise aus einem Satz des Euklid über die Elemente die allgemeine Gleichheit der Menschen abzuleiten. Doch es ist gleichzeitig schwer zu ertragen, dass Lincoln in fast jeder Szene ein überlegen gerechter, weiser, gütiger und kluger Edelmensch ist. Dies ist die Abteilung Hagiografie, in der ein Präsident sich die Stiefel selbst putzt und schon am Ende der zweiten Szene ein Schattenriss seiner markanten Gesichtszüge zum Denkmal wird.

Den anderen, ungewöhnlicheren Film sollte man vielleicht zusammen mit „Hannah Arendt" oder dem Politik-Seminar sehen. Dies ist so gar kein üblicher Spielberg-Film, auch wenn beide hervorragend inszeniert sind und Daniel Day-Lewis so ausgezeichnet und völlig von sich selbst befreit spielt, dass man nach wenigen Minuten glaubt, bei Lincoln im 19. Jahrhundert zu sein. Bei haufenweise weisen Sprüchen fällt es einem ruppigen Tommy Lee Jones allerdings leicht, ihm einige Szenen zu stehlen. Und in dessen großartig rührender Schlussszene, die Stevens mit seiner schwarzen Haushälterin im Bett zeigt, lebt ein Funke ehrlicher, nicht korrumpierter Politik weiter.

21.1.13

Frankenweenie

USA 2012 (Frankenweenie) Regie: Tim Burton 87 Min. FSK ab 12

Tim Burton hat in seinen letzten drei Filmen „Klassiker" unterschiedlichster Art wiederbelebt: Mit „Alice im Wunderland" 2010 die Kindergeschichten von Lewis Carroll. Mit „Dark Shadows" 2012 eine legendäre TV-Serie. Und nun, in „Frankenweenie", seinem besten Film seit langem, einen Kurzfilm aus 1984 von Tim Burton. Wie muss dieser Mann mit Kreativität überladen sein, dass er so großartig sein eigenes Werk kannibalisieren kann!

In „Frankweenie" verpflanzt Tim Burton die Frankenstein-Geschichte in sein vertrautes Territorium amerikanischer Vorstädte, in die uniformen, klinisch reinen Siedlungen, die schon in „Edward mit den Scherenhänden" von der Avon-Beraterin heimgesucht wurden. Unter dem Mühlenhügel von New Holland lebt Victor Frankenstein. Ein Junge, der zu früh Horrorfilme gesehen hat und mittlerweile selbst mit Spielpuppen und Super-8 eigene Filmchen dreht. Hauptdarsteller ist sein geliebter Hund Sparky. Nachdem dieser als Kollateralschaden eines ungeliebten Baseball-Spiels unter ein Auto kommt, kann nur die von einem wahnsinnigen Physiklehrer inspirierte Wissenschaft Victors Trauer besiegen. Wie ein veritabler Frankenstein nutzt er das nächtliche Wetterleuchten von New Holland, um Sparky wieder einen Lebensfunken einzuhauchen - mit herrlich viel ingeniösem Getöse.

Zusammengeflickt und selbstverständlich mit den zwei unerlässlichen Elektroden ausgestattet, jagt der nur scheinbar einfältige Hund akkubetrieben wieder fröhlich seinem Bällchen nach, auch wenn ihm mal der Schwanz abfällt. Dem wissenschaftlichen Durchbruch jagen wiederum Victors eklige Mitschüler hinterher, die alle den Forschungs-Wettbewerb der Schule gewinnen wollen. Das Geheimnis des Lebens in den falschen Händen und Köpfen gebiert monsterhafte Kreaturen in Serie: Aus der Lieblingsschildkröte des Japaners Toshiaki erwächst ein Godzilla. Die „Sea Monkeys" aus der Tüte erweisen sich mit ein paar tausend Volt ausgebrütet als nicht so nett wie im Serviervorschlag der Verpackung. Die schon immer sehr seltsame Katze Wiskers eines noch seltsameren Mädchens wird ein Fledermaus-Monster. Und eine schon fast mumifizierte Ratte aufersteht als eines der vielen Horror-Wesen, die Burton in seiner Jugend gezeichnet hat.

Womit wir bei der seltsamsten Geschichte von allen wären: Mit dem in ganz vielen Kleinigkeiten autobiographischen „Frankenweenie" ist Tim auch anders wieder zuhause angekommen: Zu Anfang seiner Karriere zeichnete er für die Disney Studios in Burbank. So überzeugend, dass er einen eigenen Kurzfilm machen durfte. Dieser Realfilm war den lieben Disneys zu abstrus, sie feuerten Burton. Um nun das dicke Remake wieder als Studio zu produzieren und zu verleihen. Der verlorene Sohn darf sich darin auch über diesen scheinheiligen Laden lustig machen, indem er „Bambi" als aktuellen Kinostreifen im biederen Nest New Holland laufen lässt.

Doch derart grausame Tierquälerei wollen wir den Kinderlein nicht mehr zumuten. Im Gegensatz zu dem wundervollen Spaß „Frankenweenie", der auch neben dem historischen Exkurs zur Frankenstein-Geschichte (komplett mit Monster, Hexenjagd und brennender Mühle) auch Sprüche fürs Leben mitgibt: „Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen", lehren die falschen Lehrer, und „Manchmal wissen Erwachsene nicht, wovon sie reden" erkennt der gute Vater.

Dabei weiß Tim Burton, das große Kind, das seine Monster hegt und pflegt, auf fantastische und begeisternde Weise scheinbar immer, was er tut: Da hat die tote Schildkröte nicht nur eine harte Schale (engl. shell), sondern heißt selbstverständlich auch Shelley. Wie Mary, die Frankenstein geschrieben hat. Ebenso komplett und komplex genial, wie die Namensbedeutungen funktionieren die Bildzitate, Überblendungen und Schattenspiele in diesem geschlossen Universum. Da könnte aus Victor junger „Edward mit den Scherenhänden" oder Johnny Depp sein. Martin Landau gibt dem wunderbar wahnsinnigen Physiklehrer Mr. Rzykruski mehr als seine Stimme, und die Frisur der Pudeldame, in die sich Sparky verliebt, zeigt spätestens nachdem es gefunkt hat, Ähnlichkeiten mit der von Burtons Partnerin Helena Bonham Carter.

Auch wenn Burton die alten Leichen der Filmgeschichte mit derart viel Liebe re-animiert, dass selbst das toteste Genre wieder zu blühendem Leben erwacht, bei Burton erschöpfen sich Kenntnis und Begeisterung für das klassische Horror-Genre von Dracula, Hammer und Co nicht in Fantum. Aus gelebter Erfahrung klagt er immer wieder den (in-) humanistischen Kern von Ausgrenzung und Verdammung an. Mit unglaublich viel morbidem Spaß.

Gangster Squad

USA 2012 (Gangster Squad) Regie: Ruben Fleischer mit Josh Brolin, Ryan Gosling, Sean Penn, Emma Stone, Anthony Mackie, Giovanni Ribisi, Michael Peña, Robert Patrick, Nick Nolte 113 Min.

James Ellroys „L.A. Confidential" und Polanskis „Chinatown" sind großartige Filme. So was mit Gangstern im historischen Los Angeles wollte Regisseur Ruben Fleischer sichtlich auch mal machen. Zwar sieht sein Versuch gut aus, doch inhaltlich bleibt es eine Kompilation von Szenen, die man anderswo bereits gesehen hat. Da helfen auch die exzellenten Schauspieler in ihren schicken Kostümen nicht drüber hinweg.

John O'Mara (Josh Brolin) scheint 1949 der einzige Cop der Stadt zu sein, der sich nicht kaufen lässt. Besonders clever ist er allerdings nicht und steuert immer geradezu Ärger an. Etwa, wenn er als Ein-Mann-Kampfmaschine eine neu angekommene Blondine vor Vergewaltigung und Zwangsprostitution rettet. Das Lager-Gebäude zur „Abrichtung" von Frauen lag ausgerechnet im scheinbar rechtsfreien Raum des Gangsterbosses Mickey Cohen (Sean Penn). Doch der Krieg in L.A. geht erst richtig los, als John für Polizei-Präsidenten Bill Parker (ein sehr aufgequollener Nick Nolte) eine illegale Aufräumtruppe bildet, die gesetzlos gegen die Gesetzlosen vorgeht.

Erster Kandidat ist Polizeikollege Jerry Wooters (Ryan Gosling): Auch einer, der Ärger sucht, aber ganz anders. Etwa, indem er eine Affäre mit der Geliebten (Emma Stone) von Mickey Cohen anfängt. Die anderen Kämpfer in diesem Guerilla-Krieg gegen die Besatzung durch das Verbrechen sind ebenso schematisch wie die Szenen ihrer Kür. Giovanni Ribisi ist der empfindsame Tüftler, Robert Patrick als stoischer Scharfschütze ein wandelndes Western-Museum. Die Bilder zeigen dazu mit der bunten Neonwerbung der Vergnügungsviertel einen schillernden Glanz über dunklem Abgrund. Klingt alles ganz gut, sieht auch toll aus und funktioniert trotzdem nicht.

„Ich will mehr" ist das Motiv des gierigen Bosses, der die Stadt schon besitzt, sich jetzt aber auch mit den Gangstern aus Chicago anlegt. Das treibt heute auch Banken und Konzerne an, damals hatte das Verbrechen allerdings noch ein Gesicht. Sean Penn gibt den sadistischen, alten Gangster. Einen jüdischen Ex-Boxer, der nun den italienischen Mob aufmischt. Das muss Penn wie bei den Figuren aus „Sin City" hinter einer überzeichneten Fratze tun. Dabei kann der Mann schauspielern wie nur wenige. Die Maske verhindert das allerdings größtenteils. Auch die anderen Darsteller bleiben einsame Monolithen in einer uninteressanten Handlung, während die Chemie der ungleichen Kumpel John und Jerry nicht funktioniert.

Auch die Geschichte der Kriegsveteranen, die nicht aufhören können zu kämpfen, bekommen wir überdeutlich, diesmal aufs Ohr gedrückt. Man versteht schnell und weiß, was passieren wird, ahnt, was das werden sollte. Eine harmlosere, nicht so anspruchsvolle Version von „L.A. Confidential". Zwar auch brutal, aber mit einer dumpfen Brutalität, die nicht so unter die Haut geht. Regisseur Ruben Fleischer, der nach seinem erfreulichen Debüt mit „Zombieland" (2009) schon mit der dünnen Gauner-Komödie „30 Minuten oder weniger" enttäuschte, droht als Spezialist für Kopien in die Parodie abzurutschen.

16.1.13

Das Lied des Lebens

BRD 2012 Regie: Irene Langemann 92 Min.

Der Komponist und Musiker Bernhard König aus Korschenbroich arbeitet zusammen mit Senioren. Er ist Musik-Therapeut mit unendlicher Geduld, aber auch Historiker, wenn er Kindheits- und Kriegserinnerungen der alten Menschen erfragt. Auf Basis dieser Erzählungen komponiert er moderne und sogar experimentelle Musiken, die wiederum von den Senioren selbst (mit fachkundiger Unterstützung) umgesetzt werden. In einem Stuttgarter Altenheim und bei einem experimentellen Chor in Köln eröffnen sich harte Geschichten und Schicksale: Der Komponist, der durch einen Schlaganfall aus seinem Leben gerissen wird, die Frau, die in ihrer Schwangerschaft täglich von der Mutter geschlagen wurde und die blinde Dame, die eigentlich im Alter all ihre Bücher endlich mal lesen wollte.

Auf dem Weg zu einem Konzert in der Philharmonie Essen, bei dem die tollen Musikstücke bejubelt werden, lässt sich viel lesen in den Gesichtern dieses rührenden Films der Regisseurin Irene Langemann („Rubeljovka – Straße der Glücksseligkeit"): Die Lebensfreude beim Musizieren, bei der späten Entdeckung oder dem Wiederfinden eigener Fähigkeiten.

Die Nacht der Giraffe

Indonesien, BRD, Hongkong, VR China 2012 (Kebun Binatang / Postcards from the Zoo) Regie: Edwin mit Ladya Cheryl, Nicholas Saputra, Adije Nur Ahmad, Klarysa Aurelia Raditya 96 Min. FSK ab 12

Ein kleines Mädchen läuft suchend durch einen nächtlichen Zoo, doch wir sorgen uns nicht. Wunderbar märchenhaft bewegt es sich auch an den nächsten Tagen auf den Wegen und in den Gehegen. Wie ein organisches Ganzes reagiert der Zoo Jakartas: Immer wieder laufen auch kleine Tiere weg, schlüpfen unter Gittern durch. So wie die vielfältigen Besucher und Bewohner. Da sind Obdachlose, die hier campen, einige für immer, andere für eine Zeit. Unter ihnen wächst Lana auf, versorgt die Tiere, freundet sich mit ihnen an, wie fast meditative Szenen zeigen. Leise, verspielte Musik verstärkt den Eindruck eines Märchens.

Das sorglose Fließen bleibt selbst, als ein Mann Lana aus dem Zoo entführt: Nicht ein Ritter auf weißem sondern ein Cowboy auf schwarzem Pferd verzaubert sie mit Magier-Tricks und entreißt sie dem paradiesischem Zustand. So erlebt sie ihre „Auswilderung". Wie vorher die Tiere beziehen sich auch Texteinblendungen zu solchen zoologischen Begriffen leicht verständlich auf Lana. Als der Cowboy auf magisch-mysteriöse Weise verschwindet, bringt ein Gangster die junge Frau ins Bordell, wo sie für Liebesdienste abgerichtet wird. Doch selbst jetzt scheint es Lana nicht zu treffen. Vielleicht weil ihre Seele noch im Zoo ist? Oder wie erklären sich die Zwischenschnitte von ihr zwischen den Tieren und Pflanzen? So wird sie wie selbstverständlich hierhin zurückkehren, mit einem dieser bunten Touristen-Züge, die auch Kindergruppen durch den Tiergarten fahren. Ein kleines, sehr schönes, ganz außergewöhnliches Filmwunder.

Tarantino XX DVD-Box

Regie: Quentin Tarantino

Universum

Werkschau

Diese Packung wird den kleinen Quentin erfreuen, der ja fast in der Videothek aufgewachsen ist. Was er dadurch vielleicht an sozialem Umgang und humanistischer Bildung verpasst hat, macht er mit umfassendem Filmwissen wett. Dass er besonders gerne aus der Schundecke zitiert, bei seinem neuen Film „Django Unchained" etwa den Italo-Western, und ein sagen wir mal ungezwungener Umgang mit Gewalt, macht ihn nicht gerade zum Vertreter für Hochkultur. Doch Cannes schätzt ihn ebenso wie seine Fans. Und der nächste Fan-Boy kann sich auf die komplette Werkausgabe namens „Tarantino XX" stürzen. Da steht das XX wohl ebenso als Andeutung für nicht Jugendfreies wie für eine zwanzigjährige Karriere seit dem sensationellen Auftakt „Reservoir Dogs" (1992). Mit Tony Scotts „True Romance" (1993) für den Tarantino das Drehbuch schrieb, folgte der am meisten unterschätzte Film des Golden Globe- und Oscar-Preisträgers, der 1963 in Knoxville, Tennessee geboren wurde. Sein ganz großer Hit „Pulp Fiction" (1994) hingegen wird bis heute überschätzt. Monatelang bastelte die Filmgemeinde an der verschachtelten Reihenfolge der Szenen rum, doch es bleibt letztlich nur „Pulp" - ein teuer produzierter, billiger und lässiger Spaß mit viel Geballer. Aber hier beginnt bereits die erweiterte Diskussions- und Kampfzone um Tarantino, die dem Schlachtfeld im japanischen Garten von „Kill Bill Vol. 2" ähnelt. Überzeugungshilfe liefert die umfassende Box mit allen sieben Regiearbeiten und „True Romance" auf dem Blu-ray-Bonus „Kritiker im Gespräch": Fast sechs Stunden erörtern zahlreiche Kritiker Tarantinos Bedeutung als einer der einflussreichsten Drehbuchautoren und Regisseure unserer Zeit.

Leider fehlen drei interessante Filme nach Tarantino-Büchern: Das Vampir- und Hayek-Gemetzel „From Dusk till Dawn" (1996) vom der zweischneidigen Schlachtaxt Rodriguez/Tarantino und mit George Clooney! Dann die fast blutarme Nettigkeit „Four Rooms" (1995) von vier Regisseuren mit Tim Roth als Hotelpagen. Neben QT sind Allison Anders, Alexandre Rockwell und
Robert Rodriguez dabei, was Tarantino schön als Speerspitze der Independent-Bewegung verortet, die 1992 parallel zu der Premiere von „Reservoir Dogs" beim Sundance Festival so richtig ins Rollen kam. Aber vor allem fehlt Oliver Stones medienkritisches Erdbeben „Natural Born Killers" (1994), für das große Filmkind Quentin das Originaldrehbuch schrieb - ein schockierender Wahnsinns-Trip, heftiger als drei Tarantinos zusammen, intellektuell ergiebiger als die ganze XX-Box. Wenn man nur Filme sieht, kommt als größte Weisheit halt auch nur ein Filmzitat raus. Aber der Meister hat ja noch ein paar Jahre vor sich, vielleicht kommt da noch was bis zur IV-Box. Mit dem schon enthaltenen „Inglourious Basterds" (2009) und „Django Unchained" (2013), der gerade im Kino läuft, sowie der deutlichen politischen Stellungnahme darin geht es in eine gute Richtung.

Insgesamt enthält die sehr schön gestaltete 9er-Box mit einer Leporello-Collage aus Filmmotiven drei (DVD) beziehungsweise acht Stunden (Blu-ray) neue Extras. Beginnend mit dem Zweistünder „20 Years of Filmmaking", einer Dokumentation über Tarantinos Karriere. Zahlreiche Mitarbeiter, Stars und Filmgrößen kommen dabei zu Wort. Eine besondere Ehrung erhält Tarantinos treueste Mitarbeiterin, Sally Menke. In einer Diskussion zu „Jackie Brown" gibt es Einblicke von Quentin Tarantino, Robert Forster und Hauptdarstellerin Pam Grier. Die fünf Trailer zu „Django Unchained" verbuchen wir unter Werbung, denn mit oder ohne dieses entfesselte „Tarantino unchained"-Begleitpaket, sollte man sich den aktuellen Kinofilm auf jeden Fall ansehen.


Inglourious Basterds (2009)
Death Proof (2007)
Kill Bill Vol. 2 (2004)
Kill Bill Vol. 1 (2003)
Jackie Brown (1999)
Pulp Fiction (1994)
True Romance (Drehbuch, 1993)
Reservoir Dogs (1992)

15.1.13

50. FICXixón

50 Jahre Nachwuchs in Gijón - das Festival International de Cine de Gijón

Mit 50 Ausgaben läuft Gijón den großen europäischen Festivals etwas hinterher. In Spanien wird es als dritt- oder viert-wichtigstes Filmevent geführt und gilt mit Fokus auf die „Independents" als spanisches Sundance. Die nachhaltige Wirkung dieser Festivalgeschichte war bei der Jubiläumsausgabe vom 16.-25. November nicht zu übersehen: Raúl García, Jurymitglied der neuen Animation-Sektion „Animaficx", erlebte beispielsweise das Festival, das sich seit 1963 auf Kino- und TV-Filme für Kinder und Jugendliche konzentrierte, bereits im Alter von 15 Jahren. Später war er erster spanischer Animator bei Disney überhaupt und steht momentan mit einem animierten Kurzfilm zu Poes „House of Usher" auf der Shortlist für die Oscars. Für die erste Animation eines Cornelia Funke-Romans (Kleiner Werwolf) sucht der freie Produzent und Regisseur gerade Partner. Bis zu 12.000 Kinder und Jugendliche jährlich bevölkern weiterhin vormittags die Festivalkinos der asturischen Küstenstadt und entdecken neue Perspektiven in einer ehemaligen Bergarbeiter-Region. Doch die Banken-Krise erreichte auch diese kulturell reiche Ecke Nordspaniens: Schulen protestieren gegen Kürzungen und konnten teilweise den Trip zum Festival nicht mehr finanzieren.

Der neue Festivalleiter Nacho Carballo, der den seit 1995 verantwortlichen José Luis Cienfuegos unter Protesten einiger spanischer Filmschaffender ablöste, setzt die Tradition mit der Reihe „Enfants terribles" fort, konnte aber auch einen starken internationalen Wettbewerb präsentieren, der sich seit 1986 etabliert hat. Einen weiteren Festivalerfolg verbuchte dabei „Epilogue", das bewegende Porträt zweier verarmter Rentner in Tel Aviv vom israelischen Regisseur Amir Manor. Kurzsichtige Proteste anlässlich des parallel stattfindenden israelischen Angriffs auf den Gazastreifen ließ die Festivalleitung zu, aber verteidigte die Freiheit der Filmvorführungen eines ausgesprochen linken Regisseurs und Kriegsgegners. Eindrucksvoll auch der Gewinner des FIPRESCI-Preises und afghanischer Oscar-Kandidat „The Patience Stone", in dem Atiq Rahimi („Erde und Asche", 2004) seinen eigenen Prix Goncourt-Roman „Syngué Sabour. Pierre de patience" („Stein der Geduld") über eine schmerzliche Emanzipation zwischen afghanischen Kriegsfronten zusammen mit Jean-Claude Carrière (Drehbuch) verfilmte. Bei den Kurzfilmen sorgte der Linzer Michael Rittmannsberger mit dem in Spanien unaussprechlichen Titel „Abgestempelt" und zwei Hauptpreisen für Aufsehen. Auch er landet damit auf der Oscar-Shortlist.

http://en.fic.gijon.es/

14.1.13

House at the End of the Street

USA, Kanada 2012 (House at the End of the Street) Regie: Mark Tonderai mit Jennifer Lawrence, Elisabeth Shue, Max Thieriot 101 Min. FSK ab 16

Gespenstig: Eben lag Elisabeth Shue in „Mavericks" noch bis Mittags im Bett und ihr Surfer-Sohn hatte Probleme, sie zur Arbeit zu scheuchen. Jetzt ist sie für den leicht zynischen Teenager Elissa (Jennifer Lawrence) sorgende Mutter. Und macht Jennifer Lawrence selbst nicht im Kino nebenan Handstände, um den bipolaren Bekannten rumzubekommen („Silver Linings - Wenn du mir, dann ich dir"). Kurios, aber auch ein Zeichen, dass „House at the End of the Street" nicht so spannend sein kann, wenn solche Gedanken Platz finden.

Elissa (Jennifer Lawrence) und Sarah (Elisabeth Shue) ziehen nach der Scheidung in ein neues Haus. Absoluter Horror sind die bigotten Nachbarn, normal in diesem Genre dagegen das leere Haus am Ende der Straße, in dem die Tochter ihre Eltern umbrachte und verschwand. Nur der überlebende Bruder Ryan taucht ab und zu mal im Gebäude auf und interessiert Elissa sehr. Nach einer halben Stunde, also sogar eher als Elissa dürfen wir schon in das vermeintliche Geister-Haus blicken und entdecken, dass Ryans Schwester gar nicht verschwunden, sondern von ihm mit Medikamenten ruhiggestellt dort haust. Und Böses will!

Das sorgt für etwas Spannung der üblichen Sorte: Dunkelheit und schiefe Geigen auf der Tonspur. Die Romanze wird vom Verbot der Mutter und netten Liedchen angefeuert. Die wahnsinnige Auflösung kommt dann früh mit etwas Psycho und keiner großen Überraschung. Jennifer Lawrence ist wieder einmal sehr präsent, während sie auf die zweite Folge der „Tribute von Panem" wartet. Derweil kann man diesen Film ruhig vergessen.

Django Unchained

USA 2012 (Django Unchained) Regie: Quentin Tarantino mit Jamie Foxx, Christoph Waltz, Leonardo DiCaprio, Samuel L. Jackson, Kerry Washington 165 Min. FSK ab 16

Schultz schießt schneller

Quentin Tarantino wird noch einen Friedensnobelpreis an den Hals gehängt bekommen, wenn er so weiterdreht: Erst jagt der Freiheitskämpfer im Regiestuhl eine ganze Nazi-Bande in die Luft und schreibt mit „Inglourious Basterds" Geschichte neu. Nun knüpft er sich die Aufknüpfer, die weißen Sklavenhalter und Rassisten vor und rechnet gnadenlos ab. Bei diesem filmischen Tänzchen zu Blut und Bleikugeln ist Christoph Waltz als deutscher Kopfgeld-Jäger Dr. King Schultz derjenige, der führt.

Der frisch gebackene Globe-Gewinner, einstiger und vielleicht auch zukünftiger Oscar-Sieger, wird grandios eingeführt als verrückter Deutscher der mit seinem Pferd Fritz und einer mobilen, bedrohlich schaukelnden Zahnarztpraxis im Western unterwegs ist. Erst entschuldigt er sich für seinen Dialekt, aber vor allem für seine gedrechselte Sprache, bei der jeder Satz ein Leckerbissen ist. (Wie das in der Synchronisierung rüberkommen soll, bleibt abzuwarten.) Dann verschaukelt er, knochentrocken und so sachlich, dass sich die Kinobalken biegen, im nächtlichen Auftakt ein paar grobe Sklavenhändler. Auch die greifen, ganz Ami, erst mal zum Gewehr, doch Schultz schießt schneller. So kommt der höfliche und immer korrekte Mann zu seinem Helfer Django (Jamie Foxx). Der soll zuerst ein paar üble Brüder identifizieren, die ihn und seine Frau einst ausgepeitscht haben. Doch der Mann erweist sich als ein derartiges Naturtalent in Sachen Abknallen und Kopfgeld kassieren, dass er nach ein paar geschmacklichen Unsicherheiten in Sachen Bekleidung Schultzens Partner wird. Alles andere ist Staffage und der Film hier fast Klamotte: Selbst ein ganzer Haufen von Kukluxern kommt nur angeritten, um sich lächerlich zu machen. Deren Diskussionen um in Heimarbeit schlecht geschnittene Kapuzen erinnert irgendwie an Kassenprüfung bei der NPD oder Weihnachtsfeier der V-Leute beim Verfassungsschutz. Ein Haufen Chaoten ohne Hirn.

Lässig schießen und quatschen sich Schultz und Django durch die Prärien und über die Berge. Man hat den Eindruck, die Ortswechsel finden nur statt, damit Tarantino diese großen Western-Landschaften vor die Kamera bekommt und findet es gut. Begleitet von schmissigen Songs aus schäbigen Spaghetti-Western - unter anderem des Meisters Ennio Morricone - ist der Winter des Abknallens und Absahnens zu kurz, als dass aus Männer-Freunden längerfristig Schultz & Schulz werden könnte. Django will mit dem Kopfgeld seine Frau freikaufen und in den freien Norden ziehen. Schultz bleibt an seiner Seite.

Beim großen Schauspiel-Duell zwischen Schultz und dem sadistischen Sklavenschinder Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) gewinnt Waltz auf ganzer Linie, auch wenn er irgendwann auf der Strecke bleibt. Selbst Samuel L. Jackson, der coole Killer aus „Pulp Fiction", macht in seiner sehr ambivalenten Rolle als schwarzer Haus- und Hofmeister mehr Punkte als der ganz große Star. Klüger als sein Boss benutzt er diese Position als Einflüsterer - devot aber einflussreich. Jackson zeigt, wenn er seine unsolidarischen Drohungen direkt in die Kamera spricht, dass nicht der Mensch des Menschen Wolf ist. Nein, der eine Schwarze ist der Mörder der anderen. Das wird nochmals für Diskussionen sorgen.

Derweil schweigt Django vor allem, er bekommt seinen Auftritt später: Ab dem Moment, wo Tarantino selbst im Film auftaucht, gibt es ein gerüttelt Maß an Leichen und einige Blutfontänen. So ist „Django Unchained" ein Drittel mit entfesselter Waltz, dann ein Kammerspiel mit und gegen DiCaprio bis im letzten Teil Black Power die Leinwand im Tarantino-Blutrausch rot färbt und ein cooler Django beim Rachezugs etwas Hiphop mit auf den Weg bekommt. Oder für die neutralen Österreicher: 20 Prozent Gewalt und 80 Prozent Ge-Waltz.

Bei allem Western- und Filmspaß zeigt Tarantino in seiner fast linearen Erzählung ein schockierendes Bild von Rassismus und Unterdrückung. Der Spaß an der Gewalt funktioniert hier nicht als Selbstzweck, der große Fan-Boy hält sich zurück. Bis zum Finale, wenn er das weiße Herrenhaus in die Luft jagt, wie er es mit der Nazi-Bagage gemacht hat. Fast durchgehend ist der lange aber kurzweilige Film nicht auf die großen Szenen hin inszeniert, davon gibt es nur ein paar. Tarantino kann auch anders unter- und Spannung halten.

Mavericks

USA 2012 (Chasing Mavericks) Regie: Curtis Hanson, Michael Apted mit Gerard Butler, Jonny Weston, Elisabeth Shue, Abigail Spencer, Leven Rambin 116 Min. FSK ab 6

Curtis Hanson und Michael Apted - zwei Regisseure zum feucht werden noch bevor man von den ersten Wellen weggerissen wird. Curtis Hanson hat in seiner bisher kreativsten Phase von 1997 bis 2001 die Eminem-Bio „8 Mile", die tiefsinnige Lebens-Komödie „Die WonderBoys" und den gefeierten Thriller „L.A. Confidential" gedreht. Michael Apted beeindruckte in seiner langen Karriere seit „Gorky Park" (1983), mit Meilensteinen wie der Dokumentation „Sting - Bring on the Night", „Gorillas im Nebel - Die Leidenschaft der Dian Fossey", dem „Native American"-Drama „Halbblut" und zum gleichen Thema auch eine Doku, den ungewöhnlichen Geschichten „Nell" und „Blink" sowie zuletzt dick im Mainstream „James Bond 007 - Die Welt ist nicht genug" und „Die Chroniken von Narnia: Die Reise auf der Morgenröte". Die Lebensgeschichte des berühmten Surfers Jay Moriarity (1978 – 2001) wird also hoch aufgehängt. Mit „Mavericks" gelang den Regie-Stars überraschend ein Jugendfilm ohne Klischees und ein Surferfilm, der atemberaubend hohe Wellen schlägt.

Wie der erste Satz in der Literatur, kann auch die erste Szene eines Films schon alles erzählen: Als der kleine Jay beim Wellenzählen und einer ritterhaften Rettungsaktion für seine Freundin Kim von den Wellen erfasst wird, zieht ihn wie die Hand Gottes der Surfer Frosty Hesson auf sein Brett. Von nun an ist der vaterlose Junge dem Surfsport ebenso verfallen wie dem legendären Nachbarn. Als 15-Jähriger hängt sich Jay stundenlang an dessen Auto, um die geheime Bucht mit den legendären Superwellen, den Mavericks, zu entdecken. Damit qualifiziert er sich als Wellenreiter-Lehrling bei Frosty. Eine harte Schule des Lebens, die aus dem Surferfilm eine ernsthafte Geschichte abseits von Beach Boy-Songs und Casting-Abkürzung macht.

Trotzdem bleibt das Surfen auf den Wellen und den Straßen eine ultracoole Fortbewegung. Während allerdings die anderen, also auch seine große, abweisende Liebe Kim (Leven Rambin), feiern, arbeitet und trainiert Jay. Jeden morgen paddelt er unglaubliche Distanzen von zig Kilometern über die Meeresbucht, studiert Strömungen und Wellenbewegung, übt das Luftanhalten. Nebenbei bringt er seine Mutter (Elisabeth Shue) dazu, regelmäßig aufzustehen und zu arbeiten. Die größte Angst hat er allerdings nicht vor den Haien sondern vor einem ungeöffneten letzten Brief des Vaters, der sich vor Jahren verdrückt hat. Auch die muss Jay angehen, bevor die Saison der Superwellen ins Finale geht und er endlich in die haushohen, lebensgefährlichen Mavericks darf.

Passend zum hier vorgezeigten Charakter Jays verläuft „Mavericks" äußerlich angenehm undramatisch. Für seine Besessenheit von der Monster-Welle macht Jay eben keine große Welle sondern arbeitet diszipliniert und konzentriert. Frosty gibt seinem zugelaufenen Sohn etwas Philosophie auch für den Rest des Lebens mit. Das kommt glaubhaft rüber, obwohl Gerard Butler nicht der beste Darsteller für solche anspruchsvollen Rollen ist. Wie auch der Jungdarsteller Jonny Weston als Jay Moriarty nicht die charismatisch Entdeckung des Jahres werden wird. Doch die Chemie stimmt, alles ist mehr als solide inszeniert und als Sahnehäubchen gibt es reichlich Surf-Szenen mit wirklich eindrucksvollen Wellen. Wie diese überschlug sich Kameramann Bill Pope und erreicht die Qualität grandioser Dokumentationen. Die Intensität von Kathryn Bigelows „Gefährliche Brandung" wäre bei der Lebensgeschichte von Jay Moriarity unpassend. Ihn bestimmt bei angedichteter Vorahnung eines kurzen Lebens nicht das wahnsinnige Sich-Verschwenden sondern ein konzentriertes bewusstes Erleben.

7.1.13

Der Geschmack von Rost und Knochen

Frankreich, Belgien 2012 (De rouille et d'os) Regie: Jacques Audiard mit Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Armand Verdure, Céline Sallette, Corinne Masiero, Bouli Lanners 127 Min. FSK ab 12

„Der Geschmack von Rost und Knochen" kommt als erste Sensation des neuen Filmjahres über die deutschen Kinos wie Erdbeben, Orkan und Tsunami zusammen: Leid, Leidenschaft, Lebenslust springen einen in der rauen und sinnlichen amour fou zwischen den Figuren von Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts mit aller Grausamkeit und Schönheit an.

Die großartige Marion Cotillard spielt im neuen Film vom Cannes-Sieger Jacques Audiard („Ein Prophet") eine Orca-Trainerin, der bei einem Unfall beide Beine abgebissen werden. Das ist extrem heftig inszeniert und tatsächlich wichtiger als ihre unbedeckten Brüste, die das Boulevard interessierte. Noch wichtiger eigentlich die andere Hauptrolle vom Flamen Matthias Schoenaerts („Bullhead"), der den Kickboxer Ali spielt. Er kann sich weder um die am Boden zerstörte Frau noch um seinen kleinen Sohn kümmern - außer wenn er seine Fäuste einsetzen muss, um den ins Eis eingebrochenen Kleinen zu retten. Zwischen den Extrempolen Côte d'Azur und verschneiten Ardennen, zwischen großen Namen und intensivstem Autoren-Drama packt der sehr starke Film in fast jeder Szene. Stärker noch, er haut um, schockt, bewegt, erschüttert.

Die erste kurze Begegnung wäre längst vergessen: Ali (Matthias Schoenaerts) hat einen Job als Türsteher einer Disco und bringt die zickige Stéphanie (Marion Cotillard), die sich hemmungslos betrunken hat, in Sicherheit und nach Hause. Irgendwas stimmte schon da nicht bei ihr. Doch erst Monate später ruft sie bei ihm an. Denn den eindrucksvollen Bildern von der grausamen Dressur riesiger Killerwale in einem Freizeitpark, folgen unklare Szenen vom Blutrausch dieser tatsächlichen Killer. Noch heftiger ist, wie die Dressur-Chefin Stéphanie irgendwann ganz alleine aus dem Koma erwacht und erkennt, dass ihr die Unterschenkel amputiert wurden. Von einer Versicherung gut ausgestattet, haust sie fortan im Dunkeln ihrer barrierefreien Wohnung. Sie will nicht mehr, nichts mehr, nur sich umbringen.

Dass nun ausgerechnet der emotional behinderte Ali helfen soll, der nicht in der Lage ist, für seinen Sohn zu sorgen und sein Leben nur in der Obhut der älteren Schwester ein wenig auf die Reihe bekommt, erstaunt. Doch nur seine Gefühlskälte lässt Stéphanie an sich ran. Der kantige Typ darf sie ins Meer tragen, wo sie wieder Lebensmut findet. Selbst sehr sachlichen Sex lässt sie zu, für den gut gebauten Muskelmann ein rein pragmatischer Gefallen. Genauso gut vergisst er sie in einer Disco inmitten tanzender Frauen für eine mit auffällig langen Beinen. Näher kommt sie ihm nur über einen Umweg: Durch seinen zwielichtigen Arbeitskollegen Martial (Bouli Lanners) wird Ali zum neuen Star einer illegalen, extrem brutalen Kickboxer-Szene. Als Martial wegen der Installation verbotener Überwachungskameras in Supermärkten fliehen muss (und vorher Alis Schwester damit um das Auskommen als Kassiererin bringt) übernimmt Stéphanie den Trainerjob, gewinnt mit metallischen Prothesen schnell als „Robocop" Achtung. Vor allem gibt ihre Präsenz ihm Kraft, auch wenn er schon in seinem eigenen Blut liegt.

Genauso effektiv „umhauend" inszeniert wie ein blutiger Zahn auf dem Asphalt während dieser brutalen Faustkämpfe ist eine unfassbare Begegnung zwischen der verstümmelten Dompteurin und dem riesigen Monster an der Glasscheibe des Aquariums. Das heftige Melodram „Der Geschmack von Rost und Knochen" ist ein Film voller atemberaubender Momente um auf unterschiedliche Weise verstümmelte Menschen. (Und nebenbei die einzig wahre Antwort auf „Free Willy".)

Cotillard fasziniert nach „La vie en rose", „The Dark Knight Rises" und „Inception" wieder mit der ganzen Palette ihres Ausdrucks von feiner Empfindsamkeit bis zu enorm starker Präsenz. Matthias Schoenaerts setzt seine Rolle als kastrierter Anabolika-Choleriker aus „Bullhead" fort. Der Belgier beeindruckt in diesem zu nicht unwesentlichen Teilen belgischen Film: Koproduzent sind die Lütticher „Les Films de Fleuve" der Brüder Dardenne. Bouli Lanners, Regisseur und Darsteller aus Lüttich, bekommt als Kampfmanager Martial endlich mal eine ernste Rolle.

Bela Kiss: Prologue

BRD 2012 Regie: Lucien Förstner mit Kristina Klebe, Rudolf Martin, Fabian Stumm, Ben Bela Böhm 106 Min.

Der Horror! Furchtbare Dialoge, schlechtes Schauspiel, dürftige Handlung - aber die Spezialeffekte! Dieser Debüt- und Low Budget-Film führt fünf Bankräuber in ein so abgelegenes Hotel, dass man sich dort als großer Böser Wolf und Rotkäppchen eincheckt. In eifrig stilisierten Rückblenden, für die es Fleißkärtchen gibt, läuft die Geschichte eines ungarischen Serienmörders aus dem letzten Jahrhundert drohend auf die Gegenwart zu. Dieser Bela Kiss hinterließ zwanzig Fässer mit Frauenleichen, als er in den 1. Weltkrieg zog und danach nicht mehr gesehen wurde.

Quälend uninteressant geifert „Bela Kiss" eher untalentiert dem Trend hauptsache ultrabrutaler Splatterfilme nach. Das fleischfressende Hotel ist mehr "Hostel" als vermeintlich lüsterne Absteige. Dabei sehen die fünf Protagonisten aus, als wenn sie nicht mal Förmchen im Sandkasten mopsen könnten, geschweige denn eine Bank berauben. Ihre Dialoge sind ebenso schlecht gesprochen wie geschrieben. Das Debüt spritzt eifrig mit Blut rum, versucht mit heftiger Gewalt aus dem Trauerspiel einen Thriller zu machen, es mit drastischen Darstellungen und sexuellen Andeutungen aufzuladen. So ein Filmversuch mag für ein Nischenpublikum auf DVD funktionieren. Im Kino grenzt derart miese Qualität schon an Betrug.

Mysteriös bei all dem ist nur die Dauer-Einblendung einer großen Zahl mitten im Bild. Aber das kann auch eine Unverschämtheit des Filmverleihers bei der Presse-DVD sein.

6.1.13

Hannah Arendt

BRD, Frankreich, Israel, Luxemburg 2012 Regie: Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Klaus Dieter Pohl, Michael Degen 113 Min. FSK ab 6

Margarethe von Trottas filmische Rehabilitation der deutsch-amerikanischen Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) konzentriert sich auf Arendts Reportage vom Eichmann-Prozess im Jahr 1961 und die Folgen ihrer Artikelserie dazu, die unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen" als Buch veröffentlich wurde. Verständlich, hat sie doch geprägt, wie wir diese Szenen und den Menschen Eichmann sehen, hat mit ihrer Analyse den Typus des Schreibtischtäters als das moderne Gesicht des Bösen herausgeleuchtet. Vorwissen ist hier - wie immer - vorteilhaft, aber nicht notwendig

Die Chefredaktion des New Yorkers hilft uns 1961 auf die Sprünge, was für eine hoch verehrte Denkerin und Autorin Hannah Arendt (Barbara Sukowa) ist. Sie reist im April dieses Jahres nach Jerusalem, um für das renommierte Magazin über den Prozess zu berichten. Eichmann, kurz zuvor vom israelischen Mossad in Argentinien gefangen genommen, war im Reichssicherheitshauptamt zuständig für die Organisation der europaweiten Deportation und somit mitverantwortlich für den Mord an sechs Millionen Juden in den Konzentrationslagern. Die Originaldokumente aus dem Gerichtssaal, die auch schon in unterschiedlicher Form künstlerisch bearbeitet wurden, bleiben bei von Trotta in Schwarzweiß. Das immer noch horrende „Ich habe nur Befehle ausgeführt" und das Entsetzen in Arendts Gesicht bei den Zeugenaussagen von Überlebenden, vermittelt eine Ahnung von der Wirkung dieses Ereignisses, das nicht nur ganz Israel gebannt verfolgte.

Arendts Versuch, Eichmann nicht nur als Monster zu verurteilen, sondern ihn und seine Funktion zu verstehen, sowie eine Randbemerkung über die vielleicht zu bereitwillige Mitarbeit der Judenräte an der Vernichtung, setzt sie heftigster Kritik aus. Während sich Freundinnen solidarisieren, verabschieden sich einige Männer aus dem Kreis der deutsch-jüdischen Emigranten New Yorks. Gegen die Versuch der Uni-Leitung, die sie zum Schweigen bringen will, hält Arendt vor jungen Stunden eine Verteidigungsrede zur ihrer Sicht auf die „Banalität des Bösen". Wie in den Rückblenden zu ihrer eigenen Studienzeit und der fatalen Affäre mit Martin Heidegger, sitzt wieder eine faszinierte junge Frau im Publikum - die Kontinuität des freien und exakten Denkens darf erhofft werden.

So dankbar man Margarethe von Trotta sein muss, dass sie nach Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen (beide mit Sukowa) wieder ein wichtiges historisches Frauenporträt auf die Leinwand bringt, zeigt sie nur das Erwartete. „Hannah Arendt" ist kein Film, der sich künstlerische Freiheiten erlaubt oder eine Annäherung versucht, die mehr als illustrierend und historisch stimmig anmutet. Als ideales Gegenbeispiel wäre wieder Derek Jarmans Biografie „Wittgenstein" zu empfehlen, dessen auch sicherlich nicht unkomplexes Gedankengebäude mit begeisternden filmischen Visionen umgesetzt wurde.

Neben den „Standards" um den Eichmann-Prozess und dem nicht sehr ergiebigen Versuch, Arendts Beziehung zu Heidegger, der als philosophierender Hanswurst und späterer Nazi-Unterstützer nur ein paar Sätze bekommt, zu ergründen, wird die Philosophin vor allem als eine Frau mit Gefühlen gezeigt. Während ihre universitären Kritiker sie beispielsweise als „Hannah Eichmann" und als arrogant bezeichnen. Sie ist ein streitbarer, aber von vielen geliebter und von noch mehr geschätzter Mensch. Barbara Sukowa („Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen") überzeugt in der Hauptrolle nicht unbedingt, nie kann sich die Figur Arendt vom bekannten Gesicht der Schauspielerin lösen. Bemerkenswert in den Nebenrollen sind vor allem Axel Milberg als ihr Ehemann Heinrich Blücher und als Hannah Arendts Sekretärin Lotte Köhler die „Sophie Scholl" Julia Jentsch.

4.1.13

Ritter Rost

Ritter Rost

BRD 2013 Regie: Thomas Bodenstein mit den Stimmen von Rick Kavanian, Christoph Maria Herbst, Carolin Kebekus, Tom Gerhardt, Detlev Redinger 85 Min.

Ritter Rost aus dem Schrottland ist nicht der cleverste, ziemlich ungeschickt und zuhause in seiner bescheidenen Burg ein rücksichtsloser Macho. Was vor allem seine zu gutherzige Mitbewohnerin Bö zu spüren bekommt, wenn er für einen defekten Pferde-Motor mal eben ein Zahnrad aus ihrer geliebten Nähmaschine entwendet. Zusammengebaut aus alter Registerkasse, mit Windfähnchen auf dem Helm lassen Einsicht und Besserung „Rostis" noch etwas auf sich warten. Zuerst gewinnt der Tollpatsch mit geklautem Motor das große Turnier gegen den ekligen Prinz Protz (Christoph Maria Herbst pur), um deswegen Rittertitel und Burg zu verlieren. Während Ritter Rost, begleitet von Drache Koks und Pferd Feuerstuhl, als Obdachloser wie weiland Erec und Tristan in eine klassische „âventiure" zieht, dabei Gauner sowie Drache erlegt und Burgfräulein rettet, entführt Prinz Protz die beleidigte Bö. Sein pöser Plan macht dabei nicht mal bei der Eroberung des Königreiches halt. Denn der Verschwender, der immer nur das Neueste vorführt und als veritabler Blaubart selbst seine Frauen schnell ausmustert, will das Prinzip Recycling komplett in die Tonne treten.

Die Figur Ritter Rost ist in Sachen Kinderliteratur längst ein großer Erfolg: Über 1,2 Mio. verkaufte Bücher und CDs müssen unbedingt im Kino recycelt werden! Das sieht trotz oder gerade wegen der leichte gedeckten Bonbonfarben hervorragend aus: Mit eigenem Touch, ein paar einfachen Liedchen, witzigen Figuren und Ideen kann die deutsche Animation begeistern und überzeugen. Burgmauern, Trolley-Koffer und Jungfrauen-Spitzhüte, ja bis hin zu den Regenwolken mit Duschkopf ist alles metallisch mit Nieten versehen und auch im Detail originell gezeichnet. Endlich lernt man da böse Kolbenfresser persönlich kennen. Toaster-Kühe blockieren die Rennbahn für das frisierte Pferd mit Moped-Gasgriff an der Stirn. Bei den kölschen Doppelkopf-Drachen und „Feuerzangenbrüdern" Brutus und Brenner macht das Sprechtalent von Tom Gerhardt und Detlev Redinger den Spaß komplett. Auch die fiese Stromberg-Stimme Christoph Maria Herbsts oder die sympathisch geerdete von Carolin Kebekus als Bö sind außergewöhnlich treffend. Ein netter, lebendig und flotter Kinderspaß, der bei altersgerechtem Spannungsbogen auch genügend Schauwerte für Erwachsene auffährt.