28.11.12

Silent Hill: Revelation (3D)

Frankreich, USA, Kanada 2012 (Silent Hill: Revelation) Regie: Michael J. Bassett mit Adelaide Clemens, Kit Harington, Carrie-Anne Moss, Sean Bean, Radha Mitchell 94 Min.

„Basierend auf dem Videospiel" ist wirklich keine Empfehlung fürs Kino - beim Horror „Silent Hill" ist der Mangel an innerer Logik grenzwertig für etwas, was sich noch Film nennt. Die einzige Konstante aus dem ersten „Silent Hill" von 2006 ist, dass etwas Übles ein jetzt 18-jähriges Mädchen zu einem horrenden Vergnügungspark oder Schlachthof oder Krankenhaus namens Silent Hill entführen will. Die erzählerischen Freiheiten, die sich „Silent Hill 2" im rasanten Wechsel zwischen Traum und Realität nimmt, sind fast reizvoll, doch irgendwann wirkt die Abfolge von Alptraum-Szenarien und Horror-Visionen zu wahllos. Wie Heather verstehen es auch die Zuschauer nicht, weshalb es gegen „dunkle Mächte" (unter Anführung von Carrie-Anne Moss) hilft, den Namen zu wechseln. Nach wenigen Minuten ist ihr Vater (Sean Bean) entführt und die Suche führt sie in den Horror-Park, wo die Angst-Szenarien wechseln - wie in einem Videospiel.

Die Altersfreigabe ab 16 für „Silent Hill: Revelation" ist ebenso grenzwertig. Nicht nur, weil Blut und Gemetzel reichhaltig vorhanden sind. Auch sind die Kreaturen und Visionen mal so - eigentlich „erfreulich" - fantastisch, dass sie tiefer in den Zuschauer eindringen können als die üblichen, „dummen" Horrorfilmchen. Der Rahmen ist mit Kurzauftritten von Malcolm McDowell, Martin Donovan und Deborah Kara Unger gut besetzt. Die Hauptdarstellerin Adelaide Clemens kann mehr als nur Schreien und ähnelt irritierend Michelle Williams. Eine Menge Qualitäten rund um die Abfolge von zeitweise eindrucksvollen Horror-Clips.

27.11.12

Die Hüter des Lichts

USA 2012 (Rise of the Guardians) Regie: Peter Ramsey 90 Min.

Mit viel (Werbe-) Aufwand drängen vier fantastische Gestalten auf die Kinoleinwand, die man in solcher Kombination nicht erwartet: Weihnachtsmann, Osterhase, Zahnfee und Sandmann müssen die Kindheit der Erde retten. Ausgerechnet Jack Frost, ein verspielter Einzelgänger, soll dabei Helfer und neuer Hüter des Lichts sein. Er ist der rebellische Teenager, der sich mit seiner Rolle, der Vergangenheit und der Vaterfigur aussöhnen muss.

„Die Hüter des Lichts" leiden einerseits unter ihrer gänzlich unoriginellen Idee und Konstruktion: Erzählerisch steckt hier etwas „Unendliche Geschichte", viel „Monsters Inc." sowie der Warp-Antrieb in Form einer Glaskugel drin. Komische kleine Zwerge und die Kolibri-Elfen der Zahnfee sind für den Sidekick-Humor da. Der dunkle - aus dem Horrorgenre stammende - Boogie-Man will endlich wieder mehr Macht haben und untergräbt mit seinen Alpträumen die Glückseligkeit der Kinder. Die ungewöhnlichen, aufeinander eifersüchtigen Verbündeten müssen nun den Glauben der Kinder an sie wiedergewinnen. Der Böse hat dabei sehr viel von Habumar aus dem poetischeren „Sandmännchen", dabei ist der Film so ganz anders: In jeder Haltung, in dem Herumfliegen wie Superman und in der musikalischen Begleitung ein Superhelden-Film.

Zudem werden die digitalen Animations-Möglichkeiten so übermäßig ausgespielt, dass Fantasie hier eher technisch wirkt. Die „Kamera" ist immer in Bewegung, immer auf der Suche nach dem nächsten Gag oder eindrucksvollen Blickwinkel. Auch weil es immer wieder auf steinzeitliche Prügeleien herausläuft, sieht „Hüter des Lichts" mehr aus wie eine der Marvel-Produktionen als wie eine fantasievolle Weihnachtsgeschichte. Da gibt es viele bessere Alternativen zum Licht dieser aufgeblasenen 20 Watt-Funzel.

The Man with the Iron Fists

USA, Hongkong 2012 (The Man with the Iron Fists) Regie: RZA mit RZA, Rick Yune, Russell Crowe, Lucy Liu, David Bautista 95 Min. FSK ab 16

Im China des 19. Jahrhunderts führt ein gewaltiger Goldtransport zu einer Ansammlung von Kämpfern, Killern und Kung Fu-Schlachten. Da gibt es Giftmischer, Helden in Kampfanzügen, mythische Figuren und schäbige Bosse. „The Man with the Iron Fists" ist Blaxploitation gemischt mit etwas Steam Punk. Russell Crowes Jack Knife ist mit seinem mechanischen Dosenöffner-Messer eher ein Jack the Ripper. Über allem liegt ein rauer Hiphop-Soundtrack, die eigentliche Spezialität von RZA, der hier sein Regiedebüt gibt. Der Schüler Tarantinos bastelt witziges und flottes Medley aus all den Filmen, für die er früher Musik machte: Von Jarmuschs „Ghost Dog: Der Weg des Samurai" (1999) über „Kill Bill", „Blade: Trinity" bis zu „Afro Samurai: Resurrection" (2009). Sogar Tarantinos „Jacky Brown" Pam Grier hat einen Auftritt als Jane. RZA selbst ist als schwarzer Blacksmith Waffenlieferant für alle. In seiner bisherigen Karriere war er als kreativer Kopf der einflussreichen HipHop-Band Wu-Tang-Clan, die nicht nur ihren Namen den Kungfu-Filmen aus Hong Kong entlehnten. So fügt sich alles wieder zusammen.

In Sachen Action-Choreografie und Parodie von Martial Arts-Filmen bietet „The Man with the Iron Fists" eine auch optisch tolle Mischung, die allerdings unter dem Ballast all der vielen Ideen und Figuren leiden. Erst dauert es zu lange, bis alle Super-Schlägertypen eingeführt sind, und auch danach bleibt es unübersichtlich. Als folgenloser Spaß ganz im Sinne von Blaxploitation und als Schritt in RZAs Karriere jedoch bemerkenswert.

Killing them softly

USA 2012 (Killing Them Softly) Regie: Andrew Dominik mit Brad Pitt, Scoot McNairy, Ben Mendelsohn, James Gandolfini, Vincent Curatola, Richard Jenkins, Ray Liotta, Sam Shepard 97 Min. FSK ab 16

Die beiden trotteligen Möchtegern-Gauner haben da etwas falsch verstanden, als Obama sagte, es sei Zeit für Veränderung - eine illegale Spielhölle ausrauben, um dann ins sonnige Florida abzuhauen, war wohl nicht gemeint. Doch die Deppen haben auch nicht gerafft, dass Markie Trattmans (Ray Liotta) Hinterzimmer-Casino unter scharfer Mafia-Kontrolle steht.

Es kommt, wie immer, wenn Idioten einen Raub planen: Alles geht schief und man sieht es sich je nach Gewalt-Toleranz gerne an. Doch genau so exakt, wie Autor und Regisseur Andrew Dominik die Abläufe protokolliert, mit denen das Syndikat seine „Gerechtigkeit" durchzieht, spiegelt er damit die echte Wirtschafts-Politik. Der Kontaktmann zum Aufsichtsrat ist ein fieser Anwalt (Richard Jenkins), der sich beschwert, das Bosse keine Entscheider mehr seien. Man müsse die Firmen vorsichtig an die Hand nehmen und wie Behinderte langsam führen. Überhaupt nicht vorsichtig geht der Meister-Killer Jackie Cogan (Brad Pitt) vor, seine Morde sind exakt, direkt und gnadenlos. Bei all den vielen Gesprächen mit jammernden Auftraggebern und dämlichen Hilfskräften fällt ein krasser Unterschied in Sachen Intelligenz und Auffassungsvermögen auf. Cogan ist der Einstein der Schlachthöfe, kommentiert im Off ebenso gnadenlos wie er killt, was ein besonderes Vergnügen bereitet. Zynisch und böse auch der Film bis in kleine Details: So muss der einst gute und jetzt versoffene und eklige Auftragsmörder Mickey (James Gandolfini) im Billigflieger zum Job kommen. Seine Figur reiht sich ein in präzise Karikaturen, die ebenso fesseln wie die Handlung, die Morde wie eine Einkaufsliste abhandelt.

Das Genre „Schöner Morden", dekoriert mit einem politischen und einem prominenten Zuckerguss, bedient der Australier Andrew Dominik mit seiner Gangster-Komödie "Killing them softly" nach George V. Higgins' Roman „Cogan's Trade". Wie schon bei seinem faszinierenden Western „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" im Jahre 2007 spielt die wiedergeborene Werbe-Ikone Brad Pitt die Hauptrolle. Der zeitweise extrem brutale Gangsterfilm ist ein Kino-Kunststückchen und einer wenig subtil aufgedrängten Botschaft. Die Ermordung von Schuldigen und auch Unschuldigen ist Routine. Besonders sind die Gespräche dazwischen: Vom Anwalt mit Cogan, von Cogan mit seinem ekelhaften Kollegen Mickey und von den beiden Räubern, den größten Trotteln in dieser Versammlung der IQ-Tiefflieger. Über allem plärrt aus Radio und TV Wirtschaftskrise und US-Wahlkampf mit den jeweiligen Phrasen von Bush und Obama. Man muss schon schwerhörig sein, um nicht den Bezug von Politik, Wirtschaft und Gangsterwelt zu verstehen. Ganz deutlich wird der letzte Monolog Pitts: Schon der Verfassungs-Vater Jefferson log, als er von der Chancengleichheit jedes Amerikaners faselte, während er mit seiner Sklavin Kinder zeugte. „Amerika ist nicht ein Volk. Es ist ein Geschäft." Das hat was, wie auch der Film starke, witzige und brutale Momente hat. Brad Pitt gibt den einzigen Denker im Brachland der Intelligenz lässig und überlegen. Nur subtil und kohärent wie „Jesse James" erzählt Andrew Dominik nicht mehr.

Ruby Sparks - Meine fabelhafte Freundin

Ruby Sparks - Meine fabelhafte Freundin

USA 2012 (Ruby Sparks) Regie: Jonathan Dayton, Valerie Faris mit Paul Dano, Zoe Kazan, Antonio Banderas, Annette Bening, Elliott Gould 105 Min. FSK ab 6

Am Anfang war das Wort und dann kam gleich die Freundin. Genauer hat der blasse, schüchterne Jungautor Calvin Weir-Fields (Paul Dano) zuerst von Ruby Sparks geträumt, dann seine Schreibblockade überwunden und was er - gemäß Empfehlung seines Psychiaters - aufs Papier fantasierte, steht plötzlich verliebt in seiner überdimensionierten Luxusvilla: „Wo warst du heute Nacht?".

Calvins erster Roman galt als neuer „Fänger im Roggen", doch dieser Erfolg ist schon zehn Jahre her. So lebt der einsame, schüchterne Spät-Teenager ziemlich verloren vom und im frühen Ruhm. Erstaunt wie ein kleiner Junge reagiert er, als seine literarische Schöpfung Ruby wirklich da ist und bleibt. Seine Verwirrung ist ebenso komisch wie die Tests, ob Ruby real ist. Aber ja, sie beginnt fließend Französisch zu sprechen, sobald er ihr das zuschreibt. Die Liebe bricht zaghaft aus, wird mit einem schönen Unterwasserballett und Plastic Bertrands „Ca Plane Pour Moi" gefeiert. Calvin / Paul Dano blickt nun immer so drein, als wenn er vor Glück und Rührung heulen könnte.

„Ruby Sparks" ist Ovids Pygmalion in modernen Literatur-Zirkeln, vermischt mit der unreifen Beziehungsgeschichte eines weinerlichen Jungmannes. Der kreative Funke der Schöpfung geht diesmal von einer Olympia-Schreibmaschine aus, die sehr dem Modell Woody Allens ähnelt. Weiß Autorin und Hauptdarstellerin Zoe Kazan, dass auch E.T.A. Hoffmanns Maschinenfrau aus „Der Sandmann" Olimpia heißt? (Ein Coppola verkauft dort übrigens Sehinstrumente!)

Diese Beseelung einer Kunstfigur per Farbband und Papier hat jedoch nur am Anfang die Magie von Allens „The Purple Rose of Cairo". Romantische und verrückte Momente weichen nach den ersten Wochen, als nicht mehr alles an Ruby süß und super ist, einer veritablen Beziehungskrise. Calvins „Fair Lady" wird plötzlich sehr selbständig, sodass er die Schreibmaschine wieder rausholt und sie näher an sich bindet. Allerdings lässt sie ihn jetzt gar nicht mehr los - selten wurde Klammern enger und witziger dargestellt. Im nächsten Schritt zum Abgrund schreibt Calvin seine Eliza debil glücklich, worauf sie mit einem reiferen Neider in den Pool springt. Es folgt die größte in einer Reihe von Gemeinheiten, mit einem sadistischen Spiel zerstört er die Liebe endgültig. Dass es ihm weh tut, macht es nicht besser. Erst der wieder romantische Schlusspunkt macht ganz deutlich, was sich andeutete: Liebe braucht Freiheit.

Zoe Kazan, Jahrgang 1983, ist tatsächlich die Enkelin des berühmten Regisseurs und berüchtigten „Hollywood 10-Verräters" Elia Kazan („Die Faust im Nacken", „Jenseits von Eden"). Ganz nebenbei spielt sie selbst die Hauptrolle der Ruby Sparks, eine leere Chiffre, die sich formen lässt. Ihr Film ist reich an kleinen, literarischen Anspielungen. Lebenserfahrungen, die das emotionale Drama breiter ausfächern, sind nicht so sehr zu erkennen. Die hätten von Jonathan Dayton und Valerie Faris kommen müssen: Das Regisseur-Ehepaar von „Little Miss Sunshine" (2006) nahm vor allem Paul Dano als Hauptdarsteller ihrer sympathischen Erfolgskomödie mit. Bis auf ein paar großartige Nummern - wie Annette Bening als Calvins unheimlich spirituelle Mutter in einer Big Sur-Hippie-Parodie - fällt „Ruby Sparks" hinter den sonnigeren, komischeren und dichteren Vorgänger zurück. Die Frage, was das Autoren-Genie Charlie Kaufman („Synecdoche, New York", „Adaption") daraus gemacht hätte, verlässt endgültig den Kriterienkatalog netter Unterhaltung.

26.11.12

Parked - gestrandet

Irland, Finnland 2011 (Parked) Regie: Darragh Byrne mit Colm Meaney, Colin Morgan, Milka Ahlroth, Stuart Graham, David Wilmot 94 Min. FSK ab 12

Fred (Colm Meaney) ist mit seinem Auto auf einem Parkplatz an Dublins Küste gestrandet. Der Blick durch die beschlagenen Fensterscheiben ist großartig, seine Aussichten sind es nicht. Nach der Entlassung in England hat er keinen Job, keine Wohnung, keine Unterstützung. Sozialzahlungen, die er in besseren Zeiten leistete, zählen nicht mehr. Die Behörden haben nur Kopfschütteln übrig. Weil er keinen festen Wohnsitz hat, bekommt er keine Sozialunterstützung und weil er die nicht hat, auch keine Wohnung. Da hilft auch der Hinweis auf das fahrende Volk Irlands nicht. Die haben zwar auch keine Adresse, seien aber eine Minderheit.

Fred lebt im Auto, macht mit spießiger Regelmäßigkeit fast alles aus diesem Auto heraus. Die sorgfältigen Pflegeabläufe wirken anfangs kurios, die Härte der Situation stellt sich erst später heraus. Der scheue, kauzige Typ öffnet sich im Gespräch mit einem jungen „Nachbarn". Cathal (Colin Morgan) „parkt" hier auch, freundlich, gut gelaunt. Zusammen mit ihm kommt Fred endlich mal aus sich heraus, findet mehr Spaß am Leben. Der Junge wird zum Freund, wegen aller Unterschiede vielleicht eher zu so etwas wie Sohn. Doch Cathal ist auch ein Junkie mit Schulden beim lokalen Dealer. Während der sehr gepflegte, ältere Obdachlose -mit Jules (Milka Ahlroth), der finnischen Zufallsbekanntschaft aus im Schwimmbad flirtet, schlagen die Gangster den Abhängigen zusammen.

Fred und Cathal sind zwei gegensätzliche Typen, die einander gut tun. Der Junge sagt dem Spießigen, dass er sich nicht immer selbst geringschätzen soll und wird selbst motiviert, die Drogen aufzugeben. Dabei gibt der bekannte Schauspieler Colm Meaney („Star Trek - Deep Space Nine", „Bel Ami") den aus dem System Gefallenen als unauffälligen, nicht besonders attraktiven Typen. Freds Geschichte ist eine kleine mit begrenztem Drama. Sein sehr kontrollierter, besonnener und aus Nichtigkeiten bestehender Alltag vermittelt nur eine Ahnung von dem Elend auf der Straße oder auf einem Parkplatz. Das wahre Drama von „Parked" liegt bei dem anfangs so fröhlichen Jungen und seinem Kampf, den Colin Morgan viel eindrucksvoller verkörpert.

„Parked", der Sieger des Festivals Mannheim-Heidelberg 2011, erzählt voller Mitgefühl von seinen sympathischen Figuren. Dass Fred am Ende nur ein ganz kleines Glück in Händen halten darf, könnte man dem arg bescheidenen übel nehmen, wenn er nicht eben in seiner kleinen Existenz so unerschütterlich und sympathisch wäre.

19.11.12

Der Aufsteiger

Frankreich, Belgien 2011 (L' exercice de l'etat) Regie: Pierre Schoeller mit Olivier Gourmet, Michel Blanc, Zabou Breitman, Laurent Stocker, Sylvain Deblé 115 Min.

Ich bin der Minister, der Verkehr bin ich! Auch wenn der französische Verkehrsminister Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) keiner aus der Riege von Absolventen der Elite-Unis ist, klingt er zeitweise nach Sonnenkönig, zumindest nach König der Route de Soleil. Die Strafe der Götter folgt auf dem Fuße, als er eigenmächtig über eine noch nicht eröffnete Autobahn abkürzen will, kostet ein schrecklicher Unfall seinem Chauffeur das Leben. Das ist dann schon der zweite Unfall in diesem Film, der die Karriere des Ministers weiterbringt. Denn die Götter strafen vielleicht, aber der Wähler - und deshalb auch der Präsident der Republik - goutiert solche Wiedergeburten. Kennt man von Schröder auf dem Deich und Obama bei Sandy.

Was man nicht kennt, sind Filme wie diese: „Der Aufsteiger" macht nicht auf Polit-Thriller, nicht auf Enthüllung oder Demaskierung wie Morettis „Kaiman". Man folgt dieser erstaunlichen Figur Bertrand Saint-Jean bei Ränken, bei der Arbeit und bis in seine skurillen Träume. (Die Sache mit der nackten Frau und dem Krokodil kam zwar aufs Plakat, gibt aber den Film gar nicht wieder.) In den wenigen Stunden dazwischen besäuft der Minister sich auch mal am eigenen Hochzeitstag mit Aushilfschauffeur und dessen Frau in deren Wohnwagen. Denn Bertrand Saint-Jean hat 4000 Kontakte und keinen Freund. Ein Unmensch ist er nicht, auch kein Idiot. „Um Verzeihung bitten, das ist mein Job", denn „die Narren haben die Kathedrale" besetzt. Sätze wie aus Sesslens „Blödmaschinen" passen ebenso in diese ungewöhnliche und nie plakative Analyse der Republik wie Menschliches in unerwarteten Momenten.

Ein schwer zu fassender, aber durchgehend interessanter Film, der von zwei unscheinbar genialen Schauspielern getragen wird. Neben den Ardennen als dem Ort des ersten Unfalls bringen die Lütticher Produzenten-Brüder Dardenne auch ihre Entdeckung Olivier Gourmet („Le fils") mit in den Film. In der Hauptrolle zeigt er ein neues, viel dynamischeres Gesicht. Michel Blanc könnte als sein Sekretär ganz souverän ein eigener Staat im Staate sein und auch die Hauptrolle. Frankreich führt hier vor, dass auch intellektuelles Kino fesseln kann.

Love Is All You Need

Dänemark, Schweden, Italien, Frankreich, BRD 2012 (Den skaldede frisør) Regie: Susanne Bier mit Pierce Brosnan, Trine Dyrholm, Molly Blixt Egelind, Sebastian Jessen, Paprika Steen 116 Min. FSK o.A.

Man könnte glatt bierselig werden, wenn man sich an all die sagenhaft guten Filme von Susanne Bier erinnert: Vor allem „Nach der Hochzeit" mit Mads Mikkelsen, aber auch „Open Hearts" oder „Brothers", der von Jim Sherridan ein US-Remake bekam. „Love is all you need" ist nun eine dieser leicht scheinenden Komödien, die doch tiefer gehen, ohne dass man es merkt: Bei der Hochzeit eines jungen Paares verlieben sich Philip (Brosnan), der verschlossene Vater des Bräutigams, und Ida (Trine Dyrholm), die Mutter der Braut, in einer traumhaften Villa mitten im Olivenhain der noch traumhafteren Amalfi-Küste. Der eher steife Brite und reiche Chef eines Obstgroßhandels lebte mit seiner verstorbenen Frau hier. Die gradlinige Friseuse Ida, die sich oft um Kopf und Kragen redet, wurde gerade von ihrem Mann verlassen, der während ihrer Chemotherapie fremdging. Jetzt gewinnt Ex-Agent Brosnan derart gekonnt Herzen, dass man nur noch sagen kann: „Mamma Mia!" Noch ein Familienfest mit Schwierigkeiten, noch eine Hochzeit für Bier, doch zusammen mit ihrem vertrauten Autor Anders Thomas Jensen sorgt sie dafür, dass sich dieser wohl abgewogene Wohlfühlfilm nie falsch anfühlt. Die dänische Regisseurin Susanne Bier vermeidet in der lebensechten Romanze alle Klischee-Klippen. Der Titel hat recht: „Love is all you need" - und eine gute Dosis Lebensfreude und Humor.

Cold Blood

USA, Frankreich 2012 (Deadfall) Regie: Stefan Ruzowitzky mit Eric Bana, Olivia Wilde, Charlie Hunnam, Kris Kristofferson, Sissy Spacek, Kate Mara, Treat Williams 94 Min. FSK ab 16

Der erste US-Film vom Österreicher Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher") ist ein Knaller: Nur wenige Minuten vergehen, schon knallt ein Auto derart heftig (inszeniert) in eine Schneewehe und von der Straße, dass einem das Popcorn im Hals stecken bleibt. Schlag auf Schlag geht es weiter: der flüchtige Räuber Addison (Eric Bana) erschießt den ersten Polizisten gleich am Unfallort. Dann zieht er mit seiner Schwester Liza (Olivia Wilde) und einer Menge Geld zu Fuß weiter Richtung kanadischer Grenze. Derweil legt Jay Mills (Charlie Hunnam), der Silbermedaillen-Gewinner im Boxen von Beijing, jemanden mit den Fäusten um, kaum dass er aus dem Knast ist. Also flieht auch er in die gleiche Richtung, allerdings zum Elternhaus, wo sich Mama (Sissy Spacek) sorgt und Papa (Kris Kristofferson) grollt. Auf der Strecke nimmt Jay die anscheinend halb erfrorene Liza mit und beim Zwangsstopp in einem Motel kommen sie sich näher.

Wir haben einen guten Kerl und echte Verbrecher auf der Flucht. Eine gute und eine böse Frau. Einen Psychopath auf Mordtrip, einen Killer und Möchtegern-Engel. Den Vater-Sohn Konflikt beim gefallenen Helden und das Gleiche mit Vater und Tochter bei der aufsteigenden Polizistin. Dazu zieht perfekt getimt ein schwerer Schneesturm auf.

Stefan Ruzowitzky schrappt mit „Cold Blood" inhaltlich zwar scharf am B-Picture vorbei, doch formal zeigt er, was er kann: Die Snowmobil-Action ist spannend, die Topshots sehen gut aus. Vor allem bekommt der Österreicher einen ganz starken Cast mit: Eric Bana gibt den Killer wahnsinnig fies. Sissy Spacek, Kris Kristofferson und Treat Williams als Senioren dabei zu haben, kann nie schaden. Letzterer gibt den sexistischen Dorfsheriff, dessen Tochter Hanna (Kate Mara) es nicht nur als einzige Frau unter den Polizisten schwer hat. Sie ist auch einzige mit Verstand und Ahnung vom Job. Bis alle im Haus von Jays Eltern zusammen kommen und sich eine Menge Familiendrama auf der kleinen Farm ballt, entblättern die Figuren brav Vergangenheiten und Traumata.

Mit „Cold Blood" kopiert Ruzowitzky nicht seine einfühlsamen „Fälscher" (2006) oder die revoltierenden „Siebtelbauern" (1998). Das hier ist voll die Genre-Schiene, wie bei seinen Horrorfilmen „Anatomie" und „Anatomie 2" (1999, 2002) - so überdeutlich und vorhersehbar, dass es schon wieder Spaß macht. Zwar kein Punktsieg im (Film-) Traumland Amerika, aber eine Punktlandung allerdings für weitere Filme. Hoffentlich mit etwas weniger Genre-Korsett.

15.11.12

Breaking Dawn - Biss zum Ende der Nacht (Teil 2)

USA 2012 (The Twilight Saga: Breaking Dawn - Part 2) Regie: Bill Condon mit Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Billy Burke, Peter Facinelli ca. 120 Min.

Wir wissen nicht, was Vampire alles an Hormonen riechen würden bei so einer fast rein weiblichen Twilight-Abschiedsvorstellung, aber akustisch ist ein Abend „Breaking Dawn 2" schon sehr Hühnerhof mit all dem Gegackere. Damit hat sich der Kritiker direkt diskreditiert. Er konnte noch nie was mit diesem Vampir-Schmachten um Bella und Edward anfangen, von dem es jetzt noch mal eine sehr dicke Ladung gibt. Dazu liefert selbst der sehr verehrte Regisseur Bill Condon („Gods and Monsters") nur einen dieser schematischen Finalfilme ab, die halt vorhersehbar auf das finale Gemetzel hinlaufen. Mit einer reizvollen Volte, die wir vielleicht am Ende preisgeben...

„Breaking Dawn 2", dieser Teil 2 von Teil 4 ist nichts für Anfänger, deshalb hier die Zusammenfassung: Ja, Highschool-Mädel Bella braucht jetzt kein Puder mehr für ihre Emo-Rolle, ihr niemals strahlender Vampir-Lover Edward hat sie nicht nur geheiratet, sondern auch gebissen. Jetzt erlebt sie natur-blass die kraftvolleren Sinne und die maßloseren Kräfte der Untoten - das ist längst nicht mehr Kitsch, das ist schon Parodie: Per Zeitraffer geht es durch Wald, das liebe Mädel mit Blutdurst erlegt direkt den Puma statt das Reh. Dazu gibt es noch beider Baby - oooooh!!! Das Glück des Cullen-Clan ist eine Mischung aus Bausparkassen-Werbung und Ikea-Katalog. Der Vampirsex läuft mit Weichzeichner ab statt mit Trümmern. Kurz: Laaaaangweilig!

Zum Glück gibt es ja noch die Volturi, die Obervampire. Weil die als Rassisten immer alle anderen umbringen wollen und weil ihr Boss Ago von Michael Sheen, dem einzig guten Schauspieler weit und breit, gespielt wird. Kristen Stewart überschreitet derweil ihre darstellerischen Grenzen. Wenn sie als Vampir die langsamen Bewegungen eines Menschen imitieren soll, ist das erschreckend schlecht und nicht komisch. Auch ansonsten halten all diese schönen Edel-Vampire meist die Gesichter für Star-Poster hin. Wenn sich eines dieser heroischen Porträts in einen Leni Rieffenstahl-Gedenkkalender verirrte, es fiele nicht auf!

Handlung oder Drama gibt es derweil immer noch nicht. Erst werden noch Truppen versammelt, dann Trainings-Einheiten eingelegt. So läuft auch jeder Asterix, Herr der Ringe oder Krieg der Knöpfe ab. Nur Fans langweilen sich da nicht. Der ganze Entscheidungs-Schmacht ist wenigstens eine Weile lang komisch. Wenn Jake als Schwiegersohn seiner ehemaligen Liebe Bella nicht willkommen ist (das Halbblut-Kind wächst wundersam schnell, kann fliegen und Klavier spielen) oder seinem Ex-Rivalen Edward das Papa anbietet.

Ein im wahrsten Sinne kopfloses Rennen und Prügeln schließt das Elend ab. Mit der schönen Schleife, als fast alle tot sind und Edward in einen Höhlenschlund gefahren ist, zu sagen: Ätsch, war doch ganz anders. Die Irritation ob solcher hypermoderner Erzählformen besänftigt der Rest dann in den letzten, pazifistischen Minuten mit einer Belohnung für mehr als 10 Stunden Festbeißen in diesen reaktionären Stoff für Klosterschülerinnen von Autorin Stephenie Meyer: Ein Best Of-Clip wie von Youtube, auf einer Magritte-Wiese persönlich von Bella zusammengebastelt! Dann noch mal im Abspann alle Namen und Gesichter der ganzen Chose mit einem Riesen-Seufzer aus dem Publikum. Aus der Schmacht!

13.11.12

Nemesis

BRD 2012 Regie: Nicole Mosleh mit Ulrich Mühe, Susanne Lothar, Janina Sachau 83 Min.

„Nemesis" ist ein Film, dessen Hintergrund spannender ist als er selbst: „Nemesis" entstand vor sechs Jahren als Debütfilm von Nicole Mosleh. Jahrelang konnte die Low Budget-Produktion nach dem Tod von Ulrich Mühe im Sommer 2007 aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden. Jetzt, nachdem mit Susanne Lothar auch die Hauptdarstellerin verstarb, kommen diese fiktiven „Szenen einer Ehe", eindrucksvoll besetzt mit dem Ehepaar Lothar/Mühe endlich ins Kino.

„Nemesis" beginnt hart mit einem Mord. Dann gibt Mühe nicht den Pathologen, jedenfalls nicht für die Leiche, höchstens für seine Ehe mit Claire als Robert. Bei einem Abend unter Freunden schockt Claires Ankündigung der Trennung ebenso wie das pubertäre miteinander rummachen der doch schon älteren Herr- und Frauschaften. Das Paar verkauft ihr italienisches Haus „in der besten Lage" an einen Amerikaner, der es abreißen will. Wie ein Abrissgelände sieht auch die Beziehung aus. Der Tod ihrer Schwester und Vorgängerin bei Robert lastet auf Claire. Sie kippen reichlich Alkohol, die mühevolle Selbstzerfleischung bekommt mit der Frage nach dem Mörder ein wenig Richtung. Denn beide verhalten sich sehr verdächtig, zudem tauchen immer wieder Dinge aus der Vergangenheit auf. Unter anderem eine Hand in der Tiefkühltruhe. Claire und Robert halten sich im Beziehungs-Würgegriff, verdächtigen sich nicht nur des Ehebruchs, sondern auch des Mordes. Bei einigen, nicht immer eindeutig zu verortenden Rückblenden, klärt sich nicht viel. Der emotionale Schlagabtausch wirkt statisch, bei anderen Regisseuren beeindrucken die beiden Stars Mühe und Lothar, die schon in „Funny Games" ein Paar unter extremen Bedingungen gespielt haben, wesentlich mehr.

Cloud Atlas

USA, BRD, Hongkong, Singapur 2012 (Cloud Atlas) Regie: Lana & Andy Wachowski, Tom Tykwer mit Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Doona Bae, Ben Whishaw, James D'Arcy, Zhou Xun, Keith David, Susan Sarandon, Hugh Grant 172 Min. FSK ab 12

David Mitchells Roman „Cloud Atlas" spannt sich mit unterschiedlichsten Figuren auf mehreren Kontinenten über 500 Jahre, so gewaltig, dass er als unverfilmbar galt. Der parallele Dreh von Tom Tykwer („Lola rennt", „Das Parfum") sowie den Machern der Matrix-Trilogie Lana und Andy Wachowski mit einem sehr eindrucksvollen Star-Ensemble steigerte die Erwartungen weiter. Zu Recht, denn der fertige „Wolkenatlas" beschert drei äußerst kurzweilige Stunden, die in den besten Sequenzen einen regelrechten Strudel der Ereignisse erzeugen.

Faszinierend hierbei, wie organisch alles ineinandergreift, was schon in der Nacherzählung ein unübersichtliches Knäuel von Erzählungen zu sein scheint: Im Jahre 1849 reist der amerikanische Anwalt Ewing auf hoher See zurück nach San Francisco und kann sich den Vergiftungen eines hinterhältigen Quacksalbers (Tom Hanks) nur durch die Hilfe eines entflohenen Sklaven erwehren, den er zuvor rettete. Den Reisebericht Ewings liest 1936 der junge, schwule Komponist Robert Frobisher (Ben Whishaw), mit dessen Hilfe ein alterndes Genie (Jim Broadbent) ewigen Ruhm erlangen könnte. Frobishers Briefe findet 1973 die Journalistin Luisa Rey (Halle Berry), die eine Atom-Intrige enthüllt. 2012 versucht Jim Broadbent als verschuldeter Verleger einem zwangsweisen Aufenthalt im Altersheim zu entfliehen, genau wie 2144 in Neo-Seoul eine geklonte Kellnerin bei ihrer Flucht ein Bewusstsein entwickelt, das sie zur Widerstandsheldin macht. Die wird noch 2346 in einer post-apokalyptischen Welt angebetet, als ein einfältiger Hirte (Hanks) Kontakt mit der Vertreterin einer höheren Zivilisation (Berry) aufnimmt.

Thriller trifft hier auf Komödie, Drama und Science Fiction. Es ist geradezu großartig, wie tatsächlich alle Geschichten im keineswegs so chronologisch erzählten „Cloud Atlas" über ähnliche Entwicklungen, Knotenpunkte oder Auflösungen ineinander verflochten funktionieren. Zwar taucht auch - um ein niederes Filmbeispiel zu nennen - der „Highlander" in verschiedenen Zeiten immer wieder auf. Doch beim grandiosen Werk von Tom Tykwer, Lana und Andy Wachowski ist der Wiedererkennungs-Effekt unter ganz extremen, manchmal fast albernen Masken nur eine Randerscheinung. Es sind die Themen, die alle Zeiten durchlaufen: Versklavung und Unterdrückung von „Anderen", das Streben nach Freiheit, die Entscheidung, das Richtige zu tun.

Andy Wachowski sagte dazu: „Der Schlüssel ist die Erkenntnis, dass es eben nicht sechs verschiedene Geschichten sind. Es ist nur eine einzige. Im Verlauf des Films bedingen und beeinflussen sich diese Handlungen und Zeiten gegenseitig – jede Einzelne."

Tom Hanks und Hugh Grant spielen in jeweils sechs großen und kleinen Rollen. Dabei ist es nicht einfach so, dass Hanks vom Giftmischer über den Atom-Wissenschaftler und Proll-Autoren bis zum Hirten eine stringente Entwicklung mitmacht. Die Raffinesse von „Cloud Atlas" im Vergleich zu etwas wie „Highlander" ist dass Wiedergeburt, Weiterentwicklung und Vererbung von Ideen durch unterschiedliche Figuren, gezeichnet mit dem Muttermal in Form eines Kometen, geschieht. Wenngleich Hugh Grant vor allem als Teufel in ferner Zukunft immer für die Kraft steht, die stets verneint. Und Hugo Weaving setzt seinen Agent Smith aus der „Matrix" fort, mal als Killer, mal als diktatorische Altenpflegerin.

Der Rollenwechsel über Geschlechts-Konventionen hinweg, ist eine spezielle der vielen gefeierten Grenzüberschreitungen und Ausbrüche. Denn Lana Wachowski lebt erst seit vier Jahren öffentlich als Frau und nannte sich vorher Larry. Überhaupt haben die Geschwister Wachowski vor allem dem Science Fiction im Neo-Seoul des Jahres 2144 mit seiner weiblichen Messias-Figur deutlich den Stempel von „Matrix" und in Tron-artigen Verfolgungen auch von „Speed Racer" aufgedrückt. Tom Tykwer ist als Ko-Regisseur und Ko-Autor kaum zu erkennen, im Gegensatz zur Landschaft Mallorcas.

„Cloud Atlas" gehört zu den Filmen, die über ihre Atmosphären, über die neu geschaffenen Welten in Erinnerung bleiben. Nicht über ein paar wenige, bewusst herausgestellte Szenen, so wie es unter anderen Spielberg gerne macht. Und über eine ganze Wolke aus philosophischen Andockstellen, die eine ähnliche Diskussion hervorrufen werden, wie es „Matrix" tat. Nicht die schlechteste Nachwirkung für drei Stunden packende, faszinierende und erstaunende Unterhaltung!

Das Geheimnis der Feenflügel

USA 2012 (Tinkerbell - The Secret of the Wings) Regie: Peggy Holmes, Bobs Gannaway 75 Min. FSK o.A.

Tinker ist ein fröhliches Feen-Mädchen und neugieriger als all ihre angepassten Altersgenossen, dazu recht belesen. Die kleine Fee, die den Herbstwald, die Sommerwiese und den Frühling kennt, zieht jedoch etwas zum verbotenen Winterland hinter der kleinen Brücke. Nach einem kurzen Ausflug dorthin, bei dem ihre Flügel wie Polarlicht zu leuchten begannen, forscht sie weiter - auch wenn ihr keiner glaubt. Leider hat ein Bücherwurm die entscheidenden Worte im Lexikoneintrag zu den leuchtenden Flügeln angeknabbert, so macht sie sich selbst auf den Weg und trifft auf ihren Feen-Zwilling, eine bislang unbekannte Schwester, im gleichen Baby-Lachen geboren. Aber der verbotene Grenzübertritt hat Folgen, der Film wird sehr abenteuerlich, die ganze Feen-Welt ist schließlich bedroht. Nur mit vereinten Kräften und Fähigkeiten, mit technischer Hilfe aber vor allem mit Magie und Feen-Staub helfen sich die beiden Seiten gegenseitig.

Auch wenn die simplen Figurenzeichnungen in diesem Trickfilm befürchten lassen, hier startet noch so ein völlig auf bieder gebügelter Farb- und Zeichentrickrausch wie der „Winx-Club", überrascht „Das Geheimnis der Feenflügel" stellenweise doch: Mit atemberaubenden Landschaften, wobei effektheischende Höhen und Weiten (fürs 3D) wichtiger sind als detaillierte Zeichnungen. Auch die Verständigung unterschiedlicher Welten punktet didaktisch. Das merkt man spätestens, wenn die blödeste der Freundinnen mit der Winterfee redet, als wäre diese geistig behindert. Die Besuche über die Frostgrenze hinweg haben etwas von den Verwandtschaftsbesuchen in der DDR, aber das brauchen wir den Kleinen vielleicht noch nicht zu erklären. Völlig von den Farben und Feen-Staub berauscht, könnten die „Feenflügel" auch ein Liebesfilm mit Feen-Lesben sein, aber auch das heben wir uns vielleicht für später auf, wenn die Kleinen fragen, weshalb Kyle Minogue die Green Fairy ist.

12.11.12

Im Nebel

BRD, Russland. Lettland, Weißrussland, Niederlande 2012 (V Tumane) Regie: Sergej Loznitsa mit Vladimir Svirski, Vlad Abashin, Sergei Kolesov 127 Min.

In seinem zweiten Spielfilm nach dokumentarischen Arbeiten beweist Regisseur Sergei Loznitsa („Mein Glück", 2010) nicht nur sein enormes Können, er erzählt auch eine packende und bewegende Geschichte auf der Basis einer Novelle von Wassil Bykau (1924-2003): Während der deutschen Besatzung Weißrusslands wird der Eisenbahnarbeiter Sushenya (Vladimir Svirski) in einer Winternacht aus seiner bescheidenen Hütte geholt. Ein Widerstandskämpfer lässt seinem vertrauten Gefangenen etwas Zeit für den Abschied von der Frau, bevor die beiden Männer im Wald auf einen dritten treffen und zur Hinrichtung schreiten. Nun will Sushenya nicht im Sumpf erschossen werden, der ernsthafte, stille Weg zu einem besseren Ort zum Sterben gibt dem Schicksal Gelegenheit für ein paar Kapriolen und dem Film Zeit für genau drei Rückblenden in die Vergangenheit der Männer.

Der schon immer nachdenkliche Sushenya will eigentlich nicht, dass Schienen zur Sabotage der deutschen Armee gelöst werden. Man wisse ja nicht, wen es noch trifft. Nun, ausgerechnet seine Mitarbeiter werden von der Wehrmacht gehängt, ihn lässt der Kommandant frei - eine besonders perfide Strafe. Denn jetzt verdächtigt ihn jeder und der Widerstand kann in der bekloppten Logik des Feinddenkens nur die Todesstrafe ausführen. Die Freilassung ist das Todesurteil. Seine beiden Henker Burov und Voitik schlossen sich aus ganz unterschiedlichen Gründen den Partisanen an, dem einen wurde der Laster enteignet, der andere erlebte die Ermordung einer ganzen Familie, die ihm Brot gegeben hatte.

Bevor die Hinrichtung erfolgen kann, kommt es zum Gefecht mit weißrussischen Kollaborateuren. Ein Partisan wird schwer verletzt, doch Sushenya nutzt keine der vielen Gelegenheiten zur Flucht. Obwohl niemand ihm glaubt, bewahrt er sich seine Integrität und Humanität, auch wenn es ihm das Leben kostet. So schleppt er den Verwundeten durch den Wald, verfolgt mit grausamer Konsequenz selbst das Urteil gegen ihn.

Der 1964 geborene Sergei Loznitsa erzählt von dieser nur in Moral und Charakter fundierten Zwangsläufigkeit in einem hypnotisch ruhigen Stil und sparsamen, langen Einstellungen. Es ist eine literarische Exaktheit, in diesen Figuren und Umständen, die intensiv fesselt. Mehr als Erklärungen oder Gespräche spiegelt Natur innere Zustände wieder. Ganz in der Tradition Andrej Tarkowskis bis zum ergreifenden Schlussbild, einem Standbild der Seele wie in dessen „Nostalgia". „Im Nebel" ist der Gewinner des Kritikerpreises von Cannes 2012.

Dredd 3D

Großbritannien, USA, Indien 2012 Regie: Pete Travis mit Karl Urban, Olivia Thirlby, Lena Headey 96 Min. FSK ab 18

Nein, auf den alten Dredd mit seinem tiefkehligen Selbstjustiz-Spruch „Das Gesetz bin ich", hatte ich nicht noch mal Lust. Sylvester Stallone reizte mit seinem Senioren-Spott „The Expendables" das Interesse an seinen Remakes derart aus, dass man auch seine Figuren nicht mehr sehen will. (Außerdem ist der Satz geklaut: „Die Kritik bin ich!") Doch die erneute Verfilmung einer Comic-Geschichte um einen zukünftigen Polizisten und Richter in einer, martialisch bewehrten Figur namens Dredd, überrascht. Die erwartete, nicht jugendfreie Gewaltorgie wurde gradlinig inszeniert, das Nischen-Produkt verballert viele gute Action-Ideen.

In der Zukunft sind die USA ein gigantisches urbanes Katastrophen-Gebiet namens Mega City One mit 800 Millionen Einwohnern, gerne gestapelt in überdimensionierten Hochhäusern. Eines dieser Silos heißt Peach Trees, obwohl weit und breit nicht mal mehr ein Strauch zu sehen ist. Hier herrscht von einem der oberen Stockwerke her Mama (Lena Headey), die ehemalige Prostituierte, deren Rachezug immer mehr Gangs erliegen. Als drei gehäutete Menschen in den Innenhof des Komplexes stürzen, kommt Judge Dredd (Karl Urban) zum Einsatz. In Begleitung einer Anfängerin: Cassandra Anderon (Olivia Thirlby) fiel zwar durch die Polizei-Prüfung, ihre Mutanten-Fähigkeit, Gedanken lesen zu können, ist allerdings so wertvoll, dass sie im Außen-Einsatz eine letzte Chance bekommen soll. Der dauer-mürrische Dredd grunzt nur kurz sein Missfallen und schon wird zufällig einer der Handlanger von Mama festgenommen. Die schließt darauf hin den Wohnkomplex hermetisch ab und setzt eine Kopfprämie auf die Judges aus...

Das abgeschlossene Spielfeld eines Hochhauses, 96 Prozent Arbeitslosigkeit, Kriminalität und die Vertreter des Gesetzes auf verlorenem Posten. Man befürchtet, „Dredd 3D" läuft ebenso Videospiel-schematisch ab wie kürzlich der indonesische Actionfilm „The Raid". Doch bei bescheidener Charakterentwicklung - von Dredd sind nur meist schweigsame Mundwinkel zu sehen - legt sich die Ästhetik-Abteilung besonders ins Zeug: Von Badeschaum-Tropfen in 3D bis zum intensiven Höhentrip über viele Top Shots kickt hier das 3D in der Sonderausführung 3Düster richtig gut. Die neue Droge, um die sich alles dreht, heißt nicht nur SloMo, wie die Zeitlupe auf Englisch. Das Zeugs täuscht dem Gehirn auch vor, alles liefe extrem langsam ab - ein gefundenes Fressen für Action-Effekte.

Action gibt es reichlich und vom härtesten, in dieser von der Tonspur dumpf dröhnenden Dystopie mit aus „Blade Runner" übrig gebliebenen Falt-Tierchen: Die totalitäre Selbstjustiz lebt sich in martialischen Hinrichtungen aus, „Dredd 3D" gerät zur Anatomie-Stunde und reißt mehrfach die „unter 18"-Hürde. Das verleidet einem auch alles andere: Die sehr reizvollen Psycho-Duelle zwischen Cassandra und einem gefangenen Killer, die mehr Raum in den Köpfen und im Film einnehmen könnten. (Der fehlende Helm Cassandras ist weniger ihren telepathischen Fähigkeiten als den weiblichen Schauwerten geschuldet.) Zwar versucht Regisseur Pete Travis sogar optisch revolutionär den 3D-Guckkasten zur Seite hin zu öffnen, gedanklich bleibt die Verknüpfung von Exekutive (Polizei) und Judikative (Gerichte) in einer hämisch mordenden Person als der Schrecken jeder Demokratie und als Anfang von Diktaturen sträflich unterbelichtet.

6.11.12

Harodim - Nichts als die Wahrheit?

Österreich 2012 (Harodim - Look closer) Regie: Paul Finelli 95 Min. FSK ab 16

Das Regie-Debüt des Drehbuchautoren Paul Finelli quält als nicht sehr lebendiges Rededuell. Ein Kammerspiel von Entführer und Gefangenem um Rache für 9/11 zwingt einem fast laienhaftes Schauspiel auf, das ebenso nervt, wie die eingestreuten Bildblitze, die meist nur verdoppeln, was schon gesagt wird. Dass es um die Anschläge gegen das World Trade Center geht, zeigte schon der Vorspann. Nach 15 Minuten wird auch der im Gesicht konstant ausgestellte Grimm des Entführers, eines Ex-Soldaten, erklärt: „Sie haben meinen Vater ermordet." Der Gefangene mit dem arabischen Akzent soll Bin Laden im Anzug und ohne Bart sein. Er hat eine Geschichte parat, seine Biographie, dazu eine der vielen Verschwörungstheorien um die Anschläge. Der Film kommentiert sich noch einem langen Monolog selbst: „Absurdeste Scheiße, die ich je gehört habe!" „Nicht subtil" ist die wichtigste Eigenschaft dieses Films - weder Schauspiel, noch Montage, Dialog oder Inhalt können auf den Holzhammer verzichten. So was darf sich an Filmhochschulen zur Diskussion stellen, aber es sollte nicht für gutes Geld ins Kino kommen. Ach ja, Peter Fonda ist als Vater, der doch noch lebt, nicht besser als der Rest.

Süßes Gift - Hilfe als Geschäft

BRD 2012 Regie: Peter Heller 92 Min.

Dokumentation

Die Analyse ist simpel, aber vielleicht zu schockierend, als das sie akzeptiert wird: 600 Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe für afrikanische Länder und Regionen in den letzten fünfzig Jahren haben nicht geholfen. Den Menschen geht es eher schlechter.

„Süßes Gift - Hilfe als Geschäft" fasst zur Unterfütterung dieser Kritik, die in den letzten Jahren auch immer lauter von Afrikanern geäußert wurde, verschiedene Phasen und Philosophien der Entwicklungshilfe zusammen. Angefangen bei den Lebensmittel-Lieferungen, die abhängig und passiv machten. Nebenbei zerstören sie auch Industrie, Landwirtschaft oder Handwerk vor Ort. Ein Schelm, wer böse Absichten der Industrie-Nationen dabei mitdenkt. Danach kam die Erkenntnis, dass ein Netz hilfreicher sei, als Fischlieferungen.

Dazu passt als Fallbeispiel der norwegische Versuch, Turkana-Nomaden zu Fischern zu machen. Die mühevoll Umgesiedelten kauften sich vom Gewinn wieder Vieh und zogen zurück. Vom Scheitern zeugt eine überdimensionierte, nun leere Fischfabrik. Oder der generös geförderte Damm, der letztlich von deutschen Firmen gebaut wurde, die massiv vom Geschäft Entwicklungshilfe profitierten. Die Schulden bleiben auf jeden Fall auf afrikanischer Seite.

Zeugen sind die Betroffenen und ein einheimischer, schwarzer Entwicklungshelfer, der in Deutschland studiert hat, ein norwegischer Entwicklungshelfer, der sein Scheitern eingesteht und eine deutsche Helferin, bei der man sich fragt, worum sie eigentlich unbedingt anderen helfen muss.

Eingesponnen in größere Zusammenhänge werden diese Beispiele aus Kenia, Mali und Tansania durch einen kleinen Seitenblick auf eine Militärparade mit dem Ex-Kolonial-Liebling Gaddafi, haufenweise Generälen und auch einem Bischöflein auf der Tribüne. Oder der Abhängigkeit verödeter Felder vom Weltmarkt-Preis der Baumwolle.

Zwar hat Regisseur Peter Heller in dreißig Jahren und vielen Filmen enorme Kenntnis seiner Materie angesammelt, doch fehlt den Bildern zwischen den Talking Heads eine Kraft, die über das Illustrative hinausgeht. Sie vermitteln einen historischen Querschnitt einiger Langzeitprojekte, aber all das sagt der Regisseur auch in ein paar Absätzen seiner Hintergrund-Information zum Film.

Auch wenn Heller wie den Entwicklungshelfern der gute Wille nicht abzusprechen ist, setzt er in guter, westlicher Tradition die Produktion von Binsenweisheiten fort. Die machen vielleicht schlechtes Gewissen, informieren die sowieso schon interessierten und bewegen ansonsten nicht viel. „Süßes Gift - Hilfe als Geschäft" zeigt alles nett auf, aber am Ende des Films wird niemand Dirk Niebels Beschäftigungs-Büro für FDP-Mitglieder (im Volksmund auch Entwicklungshilfe-Ministerium genannt) stürmen oder wenigstens mit Emails beschießen. Schockierend ist vor allem, wie gefasst alle das Unfassbare vortragen.

Fraktus

BRD 2012 Regie: Lars Jessen mit Devid Striesow, Heinz Strunk, Rocko Schamoni, Jacques Palminger 95 Min. FSK ab 12

Wer erinnert sich nicht an die Ohrwürmer der Band Fraktus? Diese Klassiker des Elektro-Pops, die eine ganze musikalische Epoche beeinflusst haben? Ihre Hit-Alben „Automate" oder „Tut Ench Amour"? Nein, keine Erinnerung? Kein Wunder: Fraktus ist eine fiktive deutschen Band und die fiktive Dokumentation „Fraktus" über ihre Wiedervereinigung einer der witzigsten Musikfilme überhaupt.

„Das letzte Kapitel der Musikgeschichte" rollt die kurze Karriere der 1980 aus Freakazzé hervorgegangenen Band Fraktus auf, bis 1982 ein Konzert in Hamburg zur Katastrophe wurde - der Club brannte komplett ab. Dass die drei schrägen Köpfe tatsächlich Einfluss hatten, bezeugen noch heute bekannte Größen wie Jan Delay, Yellows Dieter Meier, Blixa Bargeld, Stephan Remmler und Peter „Formel 1" Illmann.

Nun will Regisseur Roger Dettner (Devid Striesow), Journalist mit Stromberg-Touch, die drei verkrachten Existenzen wieder zusammenbringen. Dabei ist ihm die Kamera immer auf den Fersen. Schnell wird klar, die älteste Techno-Band der Welt hat schon etwas Rost angesetzt. Torsten Bage (Heinz Strunk), der einzige von ihnen, der Noten lesen konnte, macht mit DJ Ötzi-Strick auf dem Kopf in Hierro de Puta (sic!) jetzt Balearen-Hits, die völlig Banane sind. Frontmann Dirk „Dickie" Schubert (Rocko Schamoni), der Tiefflieger in Sachen IQ, begeistert sich im schäbigen Internet-Café über eine Beatbox aus dem Wasserhahn. Der Schrägste von ihnen, Klang-Experimentator Bernd Wand (Jacques Palminger), ist wieder Optiker im Familienbetrieb. Mit gebrauchten Kloschüsseln in der Auslage und zwangsverpflichteten Eltern bei neuen musikalischen Versuchen. Diese Sammlung extremer Individualität, ist schon mit der Allgemeinheit ziemlich inkompatibel. Als Trio kann das niemals funktionieren. So erweisen sich denn auch die Aufnahmen für einen neuen Hit als hochgradig peinlich. Nur noch übertroffen vom echten Profi, der aus all dem Mist wirklich was macht, was vielen echten Chart-Hits frappierend ähnelt.

„Mokumentarys" über erfundene Bands sind ein beliebtes Genre. Zu den Klassikern gehören der Hardrock-Lacher „This Is Spinal Tap" (1984) von Rob Reiner und die Beatles-Parodie „The Rutles" (1978) von Monty Python Eric Idle. Die Musikbranche scheint sich für diesen Spott besonders zu eignen und so ist es auch dem Gesamtprojekt „Studio Braun" mit seiner intimen Kenntnis der Szene zu verdanken, dass „Fraktus" so ein Hit ist. Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger, so die „echten" Pseudonyme der Studio Braun-Besetzung, arbeiteten sich über Telefonstreiche, Musik und Texte, Live-, Radio- und TV-Show zu einer Theater-Inszenierung und nun diesem Film hoch.

Sind die Klamotten aus den 80ern (Hemden mit Streifen aus Isolierband) sowieso schon ein Brüller, setzt sich die Lachnummer auch in zig Details fort. Besonders schön, die unausweichlichen „selbstkonstruierten Instrumente", unter anderem „ein nach dem Prinzip der Quantenfluktuation arbeitender Klangerzeuger" und der elektrische Dudelsack aus Fön und Blockflöte. Die Kreativität der Autoren hört auch bei den erfundenen Krankheiten des Hypochonders Bernd nicht auf: Wie wäre es mit dem besonders sch(m)erzhaften Harn-Riss.

Das Comeback mit „Flöte und Techno" wandelt sich in eine Parodie des Dokumentarfilmens. Dabei fallen die Scherze auch mal so deftig aus wie das gigantische Arsch-Geweih von Torsten, aber die Ideen gehen dem Film nie aus. Die mehr als grottigen Studio-Aufnahmen vermischen sich mit einer Swinger-Party nebenan. Dettner bekommt ein Blade Runner Zitat, sitzt mit der Taube in der Hand auf dem Dachfirst - eines Formule 1-Billighotels, nachdem er beim Amoklaufen mit Döner-Spieß unter Jürgen Drews-Fans gewütet hat. Dass man mit drei herrlich dämlichen Typen ein derart große Nummer machen kann, ist vielleicht der definitive Stinkefinger in Richtung Pop-Industrie.

5.11.12

Winterdieb

Schweiz, Frankreich 2011 (L'enfant d'en haut | Sister) Regie: Ursula Meier mit Léa Seydoux, Kacey Mottet Klein, Martin Compston, Gillian Anderson 97 Min.

Falls sie letztlich das Gefühl hatten, im Schweiz-Urlaub ausgenommen zu werden, könnte das andere Gründe als den extrem starken Schweizer Franken haben: In Ursula Meiers starkem Berlinale-Film „Winterdieb" fährt der zwölfjährige Simon (Kacey Mottet Klein) jeden Tag mit dem Lift zur Bergstation, um eifrig und unverfroren Ski und Zubehör zu klauen. Seine Beute verkauft er im Tal des Ostschweizer Verbier-Wintersportgebietes den Kindern der Gegend. Trotz Hunderter, die durch seine Hand gehen, haust Simon mit der etwas älteren Louise (Léa Seydoux), die er auf Englisch „Sister" nennt, in einer kleinen, billigen Wohnung. Auch die „Schwester" sieht mit kurzem Rock billig aus. Mit Männern stellt sie sich dämlich an, was ein blaues Auge belegt, ansonsten auch. Simon, körperlich noch ein Hänfling, lässt derweil den Macker raushängen. Bei der Schwester und einer englischen Touristin (Gillian Anderson). Als sich ein etwas netterer Typ ernsthaft für Louise interessiert, lässt Simon die Bombe platzen: Sie ist meine Mutter!

Die verdrehte Familiensituation, in der ein frühreifes Kind den Versorger der immer ratlosen Mutter spielt, hat verdientermaßen bei der Berlinale 2012 einen Silberner Bären erhalten. „Winterdieb", der im Original „L'enfant d'en haut" (Der Junge von oben) und später auch mal „Sister" hieß, klingt nicht nur wie „L'enfant" (Das Kind) der Dardennes. Simon ist tatsächlich eine Schweizer Variante des Lütticher Sozialfalles „Rosetta": Irgendwie durchs soziale Netz gefallen, was in der reichen Schweiz schwer vorstellbar ist und heftig als unrealistisch angegriffen wurde. Aber auch im Sozialverhalten deutlich neben der Spur. Die Wohnung dieser „Familie" liegt neben einer Schnellstraße. Genau wie in „Home" dem französisch-schweizer Vorgänger von Ursula Meier, in dem eine Familie im surrealen Kampf mit einer Autobahn zerbricht. Isabelle Huppert spielte dort die Hauptrolle. Nun hat Gillian „Scully" Anderson eine prominente Nebenrolle als reiche Touristin. Doch Léa Seydoux übertrifft dies und beeindruckt als grandios schlampige und ordinäre Louise.

Das Schwergewicht

USA 2012 (Here comes the boom) Regie: Frank Coraci mit Kevin James, Salma Hayek, Henry Winkler, Bas Rutten 105 Min. FSK ab 12

Das schleicht sich einer verspätet in die Klasse, indem er übers Fenster einsteigt. Da es der Biologie-Lehrer ist, kann man vermuten, „er ist mit dem Klammerbeutel gepudert", wie es in ganz alten Pennäler-Filmen heißt. Dass er sich im Verlauf dieser mäßigen Komödie sogar regelmäßig auf den Kopf schlagen lässt, um den Lehrkörper zu finanzieren, zeichnet ein trostloses Bild öffentlicher US-Bildungseinrichtungen.

Scott Voss (Kevin James) ist konsequent Egoist und gemütlicher Beweis dafür, dass auch ein angestellter Erwachsener kaloriensparend herumhängen kann. In einem unerklärlichen Moment von Mitleid oder Trotz meint Scott, alle Kollegen sollten für den alten Musiklehrer Marty Streb (Henry Winkler) sammeln, dem Vaterschaft und Entlassung droht. Doch niemand macht mit, außer Salma Hayek, die sich als Krankenschwester Bella Flores (sic!) fehlbesetzt auf diese notleidende Schule verirrt hat. Über einen kantigen Holländer, den Scott bei Einbürgerungskursen unterrichtet, kommt der dickliche und schlaffe Lehrer schmerzlich mit Mixed Martial Arts in Berührung. Weil man bei diesem brutalen Kampfsport selbst als Verlierer mehr verdient, als in der Erwachsenenbildung, lässt sich das Weichei etwas unfitter machen und heftig verprügeln. Der Rest ist langweilig und wird nur vom typisch amerikanischen Kampf-Sport-Finale unterboten.

Jedem Kind ein Instrument und jedem Lehrer ein Kampfsport-Nebenjob - diese Lösung riecht nach Buschkowsky oder Sarrazin, obwohl der Unterricht mit weichgeklopfter Birne sicher nicht besser wird. Für „Dickie als Rocky" hat der Durchschnitts-Komödiant Kevin James kräftig abgenommen, die Konzentration von Witzfigur zu Figur gelang jedoch nicht. Komischerweise sind alle seine Mitspieler besser und witziger als die unwahrscheinliche Hauptfigur. Nur Hayek kommt diesmal mit den Albernheiten ihrer Rolle gar nicht zurecht- die Drogen-Königin in „Savages" steht ihr wesentlich besser. Ob Kevin James' Karriere mit diesem Film (nach eigenem Drehbuch!) nachhaltig Schaden genommen hat und er wieder als Paketausträger in Queens arbeiten oder die Hauptrolle in „Million Dollar Baby 2" übernehmen muss, wissen wir noch nicht. Dass vor allem Neil Diamonds Song „Holly Holy" hängen bleibt, spricht nicht für den Film, der mit mehr Sorgfalt eventuell erträglich gewesen wäre.

Pietà

Südkorea 2012 Regie: KIM Ki-Duk mit LEE Jeong-jin, CHO Min-soo 104 Min.

Handwerk hat blutigen Boden in „Pietà", dem 18. Werk von Kim Ki-Duk, der den Goldenen Löwen beim Filmfestival von Venedig gewonnen hat: In einem alten Baracken-Viertel, das Immobilien-Spekulanten platt machen werden, steht den kleinen Handwerkern die Panik im Gesicht. Denn ein eiskalter Kredithai geht um und Kim Ki-Duk setzt all die Walzen, Pressen und Stanzen in den schummrigen Verschlägen schon so ins Bild, dass sich die Fantasie selbst grausame Strafen ausmalt. Doch die Methode des jungen Geldeintreibers mit dem gemein weichen Gesicht ist besonders pervers: Er verkrüppelt die Schuldner, die nicht das oft Zehnfache der Ausgangssumme zahlen können, um von der Versicherung das Geld zu kassieren. Ein schwer erträglicher Automatismus - und Alltag für den Herzlosen, der sich immer mit einem lebendigen Tier für seine Mahlzeiten belohnt. Ein paar brechen aus, bevor ihnen die Beine unwiederbringlich gebrochen werden: Einer springt vom Hochhaus, ein anderer ist vor lauter Vaterfreuden ganz versessen darauf, seine Hand zu opfern und bietet auch noch die zweite an.

Ist dies schon ein christliches Motiv in Anlehnung an die „andere Wange"? Kim Ki-Duk ist in seinen Arbeiten christlich, auch wenn diesem Glauben in Korea nur eine Minderheit anhängt. Als eine geheimnisvolle Frau auftaucht und dem sadistischen Killer erzählt, sie sei seine Mutter, wird das klassische Pietà-Motiv ganz neu durchkonjungiert. Die Prüfungen des misstrauischen Mannes sind extrem, schockierend und pervers. Doch irgendwann glaubt er, lässt sich mit Essen und Haushaltsarbeit bemuttern, zeigt eine plötzliche Sehnsucht nach Liebe, wo er doch vorher auch beim Sex mit sich selber allein blieb. Parallel wird in einem der Handwerks-Schuppen die Geschichte eines verzweifelten Schuldners erzählt, der seiner Mutter einen letzten Brief schreibt. Die Gnade der Pietà vermischt sich mit kalt geplanter Rache...

Das Gegenstück zur bekannten Ikonografie der Pietà mit Maria als „Mutter Gottes", die den toten Jesus im Schoß hält, ist bei Kim Ki-Duk ein Dreier im Grab: Leben und Tod nebeneinander, ebenso Mutter und Sohn - einmal echt, einmal falsch. Ein grausiges Bild, das nur noch von der sehr langen Schlusseinstellung übertroffen wird. Eine weitere Mutter schleift unwissentlich eine atemberaubend lange Blutspur durch die Straßen, der wohl längste und makaberste Bußgang der neueren Filmgeschichte. Ja, auch dieser, der 18. Kim Ki-Duk („Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling", „Bin-Jip") ist brutal wie seine frühen Filme - für Neueinsteiger in sein Werk mehr als für die bereits Bekehrten. Der Südkoreaner, der alles gewonnen hat und eine schwere Depression zuletzt in „Arirang", der Dokumentation seiner selbst verarbeitete, realisierte eine besonders raffinierte Form von Schuld und Sühne. Im großen Ganzen und im Detail: Dass ein freigelassenes Kaninchen auf der Straße überfahren wird, ist ebenso bitter wie das hässliche und gemeine Wrack, das aus dem einst freudigen Vater wurde. Solch bis in die Nuancen gebrochene Reflektionen lassen Kategorisierungen wie Kapitalismus-Kritik, Immobilien-Spekulation oder Gangster-Film zu kurz kommen. Wenn auch in seinen digitalen Bildern nicht so kunstvoll wie der buddhistische „Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling", zeigt sich „Pietà" erzählerisch und im mutigen Spiel mit religiösen und kulturellen Klischees als Meisterwerk, das den Preis und den Applaus von Venedig voll und ganz verdient.

More than honey

Schweiz 2012 Regie: Markus Imhoof 92 Min.

Ein veritabler Alm-Öhi stapft den Berg hinauf, um nur durch Pfeife und Hut geschützt, er einen ausgeflogenen Bienenstock vom Baum zu pflücken. Hier in der Schweiz beginnt die autobiographische Geschichte vom Regisseur Markus Imhoff, der den Imker nicht nur fast im Namen trägt. Es ist die Geschichte vom Großvater, dem Patriarchen, dessen Konservenfabrik zwar pleite ging, ihm blieben aber die Bienen. In seinen Worten „die Liebesboten der Blumen, die ja nicht über die Wiese laufen und sich umarmen können". Für den Imker von „Miller Honey Farms" ist das Summen der Bienen hingegen „the sound of money".

Die kalifornischen Mandelplantagen reichen bis zum Horizont. Da begreift man, dass sich dieses Geschäft in Mallorca mit den kleinen Parzellen nicht mehr lohnt. (Der Mandel-Mogul heißt auch noch Paramount, genau wie der Filmkonzern, der mit solchen Leuten wie Autoren-Filmern wie Imhoff selten was zu tun hat.) Während Mastroianni als „Der Bienenzüchter" von Angelopoulos noch einen alten Laster für seinen Zug mit den Jahreszeiten nutzte, werden die Stöcke in Nordamerika mit riesigen Trucks über 2700km durchs Land gefahren.

„Ein Drittel, von dem was wir essen, sei von den Bienen abhängig", meint der Film und erstaunt mit vielem anderen. Markus Imhoof begab sich auf eine Weltreise, um die Gründe des verbreiteten Bienensterbens zu finden. Was das Thema Pflanzengifte mit diesem fröhlichen amerikanischen Massen-Imker macht, vermittelt das Ausmaß dieser Bedrohung. Die Aufnahmen unter einem Gift-Pelz qualvoll langsam sterbender Bienen tun ihr übrigens. Milben sind andere Feinde und es ist der reine Horror, dies in Großaufnahme zu sehen. Ganze Völker verschwinden - ein Rätsel und auch Science-Fiction, wenn sich Wissenschaftler das Bienenvolk als einen einzelnen Organismus vorstellt. Gegen diese Gefühle einer großen Familie schneidet Imhoff dann die maschinelle Ernte der Waben, bei dem auf dem Fließband keine Rücksicht auf die einzelne zerquetschte oder zerrissene Biene genommen wird. Diese Aufnahmen sind ähnlich verstörend wie „Unser täglich Brot". Die Quintessenz von weiteren Ausflügen nach China und Australien ist ähnlich: Die Bienen sterben an der Summe von allem, sie sterben am Erfolg der Zivilisation, am Menschen. „Auch wer sich vegetarisch ernährt, ist abhängig von industrieller Tierhaltung."

Von unglaublichen Luftaufnahmen der Paarungen bis zum banalen Verpacken und Versenden von handverlesen gezüchteten Königinnen mit der Post (60 € das Stück) zeigt sich die sehr aufwändige Produktion „More than honey" mit ihrem prägnant verstärkende Score (Musik: Peter Scherer) auf einer Höhe mit aktuellen Naturfilmen. Die mit vielen faszinierenden Informationen eröffnete Gedankenwelt hebt sich allerdings sehr positiv von der üblichen Vermenschlichung und dem pseudo-religiösen Gebrabbel ab.

1.11.12

Argo

USA 2012 (Argo) Regie: Ben Affleck mit Ben Affleck, Bryan Cranston, Alan Arkin, John Goodman, Victor Garber 120 Min. FSK ab 12

Nicht der Film imitiert das Leben, sondern das Leben den Film. Dieser beliebte Kalauer wird einem immer wieder von Woody Allen oder auch von verkannten Alles-Zitierern unter die Nase gerieben. Dass sich Film auch als Leben verkleidet, um Geschichte zu schreiben, bleibt bemerkenswerte Ausnahme. So verabschiedete sich Erich Kästner mit einem echten Schelmenstreich vom nicht aufhören wollenden Naziregime: Mit einem Filmteam machte sich der verbotene Dichter Anfang 1945 aus dem zerbombten Berlin zu vorgetäuschten Dreharbeiten ins Tiroler Mayrhofen auf, um dort das Kriegsende abzuwarten. Ebenso erfunden, wenn auch bislang nicht ganz so bekannt, war der Science Fiction "Argo" - ein völlig fiktiver Filmdreh, nur vom CIA inszeniert, um sechs Amerikaner aus dem Iran Khomeinis zu schmuggeln. Die banale Militärgeschichte hingegen, mit der andere amerikanische Geiseln unter Jimmy Carter befreit werden sollten, ging als Operation Eagle Claw mit abgebrannten und in der Wüste zurückgelassenen Helikoptern in die Pleiten-Historie us-amerikanischer Außenpolitik ein.

Eine kurze Geschichte des Persischen Reiches bis zur Islamischen Revolution führt direkt in die amerikanische Botschaft Teherans. Es ist der 4. November 1979, der Hass auf die USA, die ihnen den Schah als Marionette der Ölfirmen vorgesetzt haben, kocht rasend schnell hoch. Noch scherzen die Amis, dann bricht die Menge ins Gebäude und nimmt alle Amerikaner in Geiselhaft. Quasi durch die Hintertür fliehen sechs von ihnen unbemerkt in die kanadische Botschaft und die ratlose CIA in Washington stimmt dem verrückten Plan von Tony Mendez (Ben Affleck) zu. Mit einem Satz Visitenkarten, Poster, Filmtitel und Drehbuch behauptet man für eine kanadische Produktion namens Argo Drehorte im Iran besichtigen zu wollen. Bei der Rückreise sind dann die sechs Flüchtlinge allesamt - mit gefälschten Pässen ausgestattete - Fachleute des kanadischen Teams. Statt Potemkin'scher Fassaden verkleidete Kanadier. Für die von der CIA finanzierte, billige Star Wars-Kopie wird in Hollywood eine Lesung mit Schauspielern in fantastischen Kostümen abgehalten. (Argo hat dabei nichts mit dem Goldenen Vlies und den Argonauten zu tun. Es erstaunt, dass überhaupt jemand in Hollywood diese Geschichte kennt.) Der legendäre Maskenbildner John Chambers (John Goodman) und der zynische Alt-Produzent Lester Siegel (Alan Arkin) sind vom CIA eingeweiht. Was hier noch eine Parodie mit dem Schwung und Spaß von Ernst Lubitsch ist, wird nach der Ankunft von Tony Mendez im Iran immer spannender. Die Zensoren und Revolutionsgarden sind vor allem misstrauisch und nur heimlich Filmfans...

Ben Affleck überzeugt nach seinen beiden Sozial- und Heimatfilmen „Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel" sowie „The Town – Stadt ohne Gnade" nun auch in diesem ungewöhnlichen, fast stillen Polit-Thriller. Obwohl mit großem Aufwand inszeniert und historisch rekonstruiert, wird der historische Hintergrund nicht zum Thema. Das Mitgefühl für die sechs Gefangenen hält sich auch in Grenzen. Trotzdem packt einen „Argo" mehr und mehr. Wenn die öffentliche Leseprobe mit den Bildern von Verhören und Schein-Exekutionen parallel montiert werden, wenn der überlappende Ton die Handlung antreibt, ist das nicht mehr nur aufmerksam gelerntes Handwerk, sondern eine starke Handschrift des Regisseurs. Als Schauspieler hält sich Affleck - hinter ungewöhnlichem Vollbart - zurück. Sein Spezialist für solche Befreiungsaktionen ist kein Bond, kein MacGyver, sondern ein geschiedener Vater, der seinen kleinen Sohn vermisst. Auch für den gibt es ein Happy End, wenn zwischen den Star Wars-Figuren eine Skizze eines Films steht, den es bis zur Veröffentlichung der Geschichte 1997 nie gegeben hat.