5.6.12

Knistern der Zeit - Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso

BRD, Österreich 2012 Regie: Sibylle Dahrendorf mit Christoph Schlingensief, Diébédo Francis Kéré, Aino Laberenz 111 Min.

Die Idee war wahnsinnig und so typisch Schlingensief: Ein Operndorf im (materiell) armen afrikanischen Staat Burkina Faso, „ein Raum an dem Leben und Kunst zusammen gehören." Denn wenn der Regisseur, Multivisions-Künstler und Provokateur nach langer Location-Suche überglücklich auf seinem auserwählten Hügel steht, erklärt der sich so oft naiv Gebende, dass es explizit kein Grüner Hügel sein soll. „Knistern der Zeit" ist einerseits eine Langzeit-Dokumentation über Schlingensiefs Projekt Operdorf zwischen Mai 2009 und Oktober 2011, andererseits ein letzter Blick auf diesen ungemein kreativen Menschen, der am 21. August 2010 in Berlin an seiner Krebserkrankung verstarb. Während er inmitten seiner Entourage durch das Steppen-Gras stapft, sinniert der Todkranke, dass es doch mehr als diesen Körper geben muss, dass da irgendwas weiterleben muss. Sein Operndorf beispielsweise, obwohl man (wie so oft bei ihm) nie genau weiß, ob das mit der Hinterlassenschaft für die Nachwelt ernst gemeint ist.

Nach ersten Visionen, die Schlingensief mit dem in Burkina Faso und Berlin lebenden, weltweit ausgezeichneten Star-Architekten und Entwicklungsaktivisten Diébédo Francis Kéré erarbeitet, zeigt sich der Deutsche bei den Mühen der Ebene immer ungeduldiger. Der Bau der Schule, die als Erstes entstehen soll, stockt. Es gibt Gespräche mit den Offiziellen, Streit mit dem Architekten. Aber auch es entsteht auch „Via Intolleranza II", im April 2010 in Ouagadougou gedreht, in der Hamburger Kampnagel Fabrik im Mai 2010 aufgeführt.

Dann schlägt die natürliche Dramaturgie auch im Film zu: Schlingensief ist tot. Die Baustelle steht für mehrere Monate still, doch schließlich wird im Oktober 2011 die Schule eröffnet. Ein Krankenhaus soll folgen, denn bei dieser auf Jahrzehnte angelegten Vision stellte sich der Schöpfer den Schrei eines Neugeborenen mitten in einer Arie als Höchstes aus Kunst und Leben vor.

Gelungen ist „Knistern der Zeit" von Sibylle Dahrendorf, die seit 1998 Christoph Schlingensief in vielen Projekten filmisch begleitete, als Mischung aus lebendigem Gedenken und Protokoll eines sehr speziellen deutsch-afrikanischen Kulturprojektes. Kluge Seitenblicke erzählen auch vom afrikanischen Leben, eine kritische Analyse der Operndorfes, die Schlingensief selbst in Textzeilen vom „perversen Europäer mit der eingebildeten Nächstenliebe" einbringt, muss vielleicht einer späteren oder mehr außenstehenden Beobachtung vorbehalten bleiben.