24.4.12

Das Leben gehört uns

Frankreich 2011 (La guerre est déclarée) Regie: Valérie Donzelli mit Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, César Desseix, Gabriel Elkaïm 100 Min. FSK ab 6

Ungewöhnlich lebendig konfrontiert dieser sensationell erzählte Film mit schwerer Krankheit: Ein junges Paar kämpft in Paris um das Überleben ihres krebskranken kleinen Sohnes. Die autobiographische Geschichte der Autoren und Hauptdarstellern trifft ohne Larmoyanz ins Herz.

Stark schon die Rückblende auf ein sehr romantisches Kennenlernen von Romeo und Juliette, die tatsächlich so heißen. Ein Sommer mit Paradies-Äpfeln und Zuckerwatte, dann wird Adam geboren. Die als ganz groß gefühlten Probleme des ersten Kindes und das junge Glück mit begrenzten finanziellen Mitteln sind humorvolles Vorspiel. Irritierend eingeblendete Mikroskop-Aufnahmen von wachsenden Zellen und Körperinnerem deuten zunehmend bedrohlich voraus. Auch der ernste Blick der ansonsten hochkomödiantisch eingesetzten Kinderärztin trifft direkt. Der kleine Adam hat einen riesigen Tumor im Kopf, muss operiert werden.

Wie sich die schreckliche Nachricht in der Familie (mit Elina Löwensohn Schwester Juliettes) verbreitet, ist noch so eine grandiose Szene - diesmal wählt die breit gefächerte Musikklaviatur intensive Klassikbegleitung. Die Zusammengehörigkeit des räumlich getrennten Paares drückt sich direkt danach durch ein Liebesduett im Stile eines Musicals aus. Dann wird es verrückt romantisch, wenn Romeo und Juliette aus dem Marseiller Krankenhaus abhauen, um am Meer zu spazieren. Einem aufgepeitschten, grauen Meer.

„Das Leben gehört uns" ist autobiographisch inspiriert: Valérie Donzelli und Jérémie Elkaïm waren ein Paar und hatten ein Kind, das schwer krank wurde. Zusammen schreiben sie das Drehbuch. Donzelli inszenierte und beide spielten sich nun selber. Also ein Volltreffer in Sachen Authentizität, doch notwendige Bedingung für guten Film war dies noch nie. Was diese „Kriegserklärung" (so der Originaltitel) an die Krankheit zu einer Sensation macht, ist die eindrucksvolle Beherrschung der filmischen Mittel. Vieler verschiedener filmischer, musikalischer, inszenatorischer und erzählerischer Mittel. Valérie Donzelli zeigt ein enorm kraftvolles Kino, wie es Leo Carax früher machte. Gleichzeitig verspielt und fein. Da öffnen sich runde Blenden, die Truffaut in den Antoine Doinell-Filmen gebrauchte, auch die sachliche Off-Erzählung ist eine schöne Referenz in diese Richtung. Adams Spieluhr klimpert mit der Internationalen, überhaupt ist alles anders als man bei den üblich kitschig-rührseligen Filmen ähnlicher Thematik wie etwa „Lorenzos Öl" erwartet. Beim ersten CT-Scan wird Juliettes äußerst expressives, panisches Rennen von einem gescratchten Sound begleitet. „Der Triumph des Lachens" lautet eine Zeitungs-Schlagzeile und der Film baut auf diese Hilfe in schwersten Lebenslagen: In der Nacht vor der Operation erzählen sich Romeo und Juliette von ihren Ängsten: Dass Adam erblindet. Dass er taub wird. Und stumm, kleinwüchsig, schwul, schwarz und noch Front National wählt.

Derweil werden die Diagnosen nur noch schlimmer, die Chemotherapie härter. Auch wenn sich die beiden auf einen langen Kampf vorbereitet haben, kommen sie an ihre Grenzen. Lakonisch folgen Besuche in Adams sterilem Krankenzimmer und kurze Ausflüge aufeinander. Dann ziehen sie in ein Elternheim direkt beim Krankenhaus, verkaufen ihre Wohnung. Beiläufig wird dann von der Trennung erzählt, während Romeo und Juliette auf dem Karussell über Paris fliegen und Lori Anderson „O Superman" singt. Superkräfte haben sie keine, doch diese außergewöhnlich und doch ganz normale Geschichte, berührt und beeindruckt enorm mit dem Überleben an sich.