27.12.11

Und dann kam der Regen - También la lluvia

Spanien, Frankreich, Mexiko 2010 (También la lluvia) Regie: Icíar Bollaín mit Gael García Bernal, Luis Tosar, Karra Elejalde 103 Min.

Wenn der Film mit seinen großen Produktions-Teams kommt, freut sich jedes Städtchen wegen der eitlen 15 Minuten Ruhm und übersieht dabei, dass hier Ausbeutung stattfindet. Ganz in der Tradition des Kolonialismus, der sich die fremden Rohstoffe raubte und mit den eigenen Produktionsmitteln Gewinn machte. Wie pervers, wenn ausgerechnet ein Film über die grausame Goldräuberei von Kolumbus mit billigen Statisten in Bolivien den Etat klein halten will. Nur dumm, dass der aufbrausende Einheimische die Rolle des rebellischen Häuptlings bekommt, der sich gleichzeitig im Kampf gegen einen multinationalen Wasserkonzern engagiert.

Noch wirkt sie komisch, die Ignoranz des Produzenten Costa (Luis Tosar), der billige Andenbewohner als Statisten für die Ankunft von Columbus castet: Der engagierte Regisseur Sebastián (Gael García Bernal) weiß genau, dass diese Bevölkerung hunderte Kilometer von den Küstenbewohnern entfernt lebt, die Kolumbus zuerst erblickte - und sie sehen auch ganz anders aus! Doch das gefährliche Aufstellen eines Kreuzes von Hand spart noch mal zehntausende Dollar und die ersten Sprechproben im Hotelgarten verlaufen eindrucksvoll: Da bezieht der spanische Schauspieler des (italienischen) Kolumbus die staunenden einheimischen Kellner mit ins Spiel ein - in genau der Rolle, welche die Ureinwohner erleiden mussten. Die ist nur der erste Moment, in dem die Realität die Fiktion einholt, in dieser auf mehreren Ebenen äußerst raffinierten Reflektion von Ausbeutung.

Per Hand graben die Menschen hier einen über sieben Kilometer langen Kanal, um Wasser von einer Quelle zu den Häusern zu bringen. Denn die arme Bevölkerung muss jährlich 450 Dollar für Wasser an einen multinationalen Konzern zahlen und darf nicht mal den Regen einfangen, wie der bessere Originaltitel die Knebelverträge zitiert. Die mit Hilfe der Polizei blutig zerschlagenen Demonstrationen schaukeln sich zu Straßenschlachten auf, derweil das Filmteam bei Tafelwasser, Wein und Zigarren im Hotel diniert und der zynische Hauptdarsteller Marie Antoinettes Spruch vom Kuchen als Ersatz für das nicht vorhandene Brot der Armen in Wasser und Champagner umwandelt. Doch ein anderer Schauspieler schlüpft bei den Gesprächen kritisch in die Rolle seines radikalen Befreiungs-Priesters.

So zeigt sich eine Wechselwirkung zwischen den Ebenen von Film-im-Film, den Dreharbeiten und dem Making Off-Video einer Assistentin, das aufnimmt, was tatsächlich in diesem Land passiert: Die grausame Verstümmelung der Indios, wenn sie ihr Soll an Gold nicht abliefern, spiegelt sich in der Rettung von Belen, der mitspielenden Tochter des Rebellen-Führers Daniel, die ihr Bein nach einer Straßenschlacht zu verlieren droht. Hier zeigt der anfangs aufs Geld fixierte Produzent längst mehr Mitgefühl als der von seinem Film besessene Regisseur. Es ist lächerlich, wie sich diese filmischen Invasoren nur um ihr Werk kümmern, während um sie herum der Krieg ums Wasser tobt - selbst bei einem angeblich engagierten Film! Richtig pervers wird deren Handeln, als sie ihren indianischen Hauptdarsteller nur für dessen letzte Szene aus dem Knast holen und dabei der Miliz die Rückgabe versprechen. Mittlerweile liegt soviel Verlogenheit (und Tränengas) in der Luft, dass auch der Produzent anfängt zu trinken. Aber in dieser großen Finalszene holt die Realität die Fiktion noch einmal ein: Daniel wird noch im Kostüm von seinen Indianern gerettet. Nur die Eroberer tragen statt Rüstungen Demokratie vortäuschende Polizei-Uniformen. „Und dann kam der Regen" schlägt immer wieder den Bogen vom Kolonialismus des Kolumbus zum Kapitalismus unserer Zeit.

Nach ihrem erschütternden Plädoyer gegen häusliche Gewalt „Öffne meine Augen" (2003) gelang der spanischen Darstellerin und Regisseurin Icíar Bollaín erneut ein herausragendes Werk. Mit dem Star Gael García Bernal als Aushängeschild, aber vor allem mit einer äußerst klugen und bedenkenswerten Geschichte verändert sie die Sicht auf Film und Filmemachen nachhaltig.