6.11.11

Eine dunkle Begierde

Kanada, BRD, Großbritannien, Schweiz 2011 (A Dangerous Method) Regie: David Cronenberg mit Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen, Vincent Cassel 100 Min. FSK ab 16

Keiras Kiefernkrampf - Psycho hinterm Wortvorhang

Wer Gelegenheit hatte, vor ein paar Wochen „Nachtmeerfahrten", die Jung-Doku für Anfänger, zu sehen, wird sich „Eine dunkle Begierde", den Spielfilm über ein spannendes Personen-Dreieck in der Geschichte der Psychoanalyse nicht entgehen lassen. Freud gegen den jüngeren Jung und als Frau dazwischen die in der Wissenschaftsgeschichte legendäre erste Patientin Jungs, Sabina Spielrein. Eine fesselnde Geschichte - auch ohne die paar SM-Szenen. Nur Hardcore-Fans von David Cronenberg könnten enttäuscht sein, dass sich menschliche Abgründe allein im wissenschaftlich abgesicherten Gespräch zeigen.

Die russische Jüdin Sabina Spielrein (Keira Knightley) war in der Geschichte der Psychoanalyse Carl Gustav Jungs (Michael Fassbender) erste Patientin in der vor hundert Jahren sensationell neuen Methode der Gesprächsanalyse. Jung ist 1904 noch der talentierteste Schüler des bereits berühmten Sigmund Freud (Viggo Mortensen). In einer Schweizer Klinik erkennt Jung die Schläge von Sabinas Vater als Ursache ihrer Probleme, aber auch ihrer Lust. Der von seiner reichen Frau unterstützte Familienvater und Wissenschaftler verleugnet lange die Anziehung zu seiner Patientin. Auch weil ihm nicht gefällt, dass Freud, mit dem er auch über diesen Fall korrespondiert, alles auf die Sexualität zurückführt. Doch es kommt unweigerlich zu einer SM-Affäre, die sich im Laufe der Jahre und nach einer heftigen Krise zu einem wissenschaftlichen Austausch mit der studierten Schülerin Spielrein wandelt. Parallel dazu bricht die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Freud und Jung. War der „Fall" Spielrein der Auslöser, wie es der Film mehr als andeutet? Die Verschiedenheit zwischen dem kinderreichen, nicht unbedingt reichen Juden Freud und dem gegenüber Antisemitismus (hier noch nur) ignoranten, sehr wohlsituierten Christen Jung?

Dem Drehbuch des vielfach ausgezeichneten Christopher Hampton liegt sein eigenes Bühnenstück „A Most Dangerous Method" sowie John Kerr Buch „Eine gefährliche Methode: Freud, Jung und Sabina Spielrein" („A Dangerous Method") zugrunde. Cronenberg erzählt damit vielschichtig - über Schichten im Bewusstsein, in der Gesellschaft, im Zwischenmenschlichen. Seine gepflegte Analyse der Psychoanalyse endet vor 1914, der „Große Krieg" ist erst eine dunkle Ahnung für Jung. Ebenso das Mythische, dessen Erforschung in späteren Jahren immer mehr Raum einnimmt und von Freud gar nicht mehr toleriert werden kann. Damit spielt der Titel „Eine dunkle Begierde" zwar auf das „dunkle Unbewusste", einen Schlüsselbegriff Jungs an. Der Film an sich ist allerdings selten dunkel. Eher sehr erhellendes Kopfkino, das nicht mal unbedingt die Herzen packt. So leidet das handwerklich hervorragende und nicht uninteressante Werk an der gleichen Verwandlung von Lust in Kreativität, die auch Jung zur tragischen Gestalt macht. Das überrascht besonders beim Horror-Meister Cronenberg, der bei „Naked Lunch", „Die Unzertrennlichen" oder auch bei dem sehr psychoanalytischen „Spider" immer bewegende Bilder für extreme Seelenzustände fand. Diese für das Publikum un-gefährliche Methode, dieses Freud-volle, intellektuelle Spiel um die Väter der Psychoanalyse bleibt gepflegt - bis auf Keiras ausrastenden Kiefer, wenn sie wieder ihr Gesicht verzerrt, um die Hysterie der Spielrein zu verkörpern.