3.9.11

Venedig 2011 Soderberghs CONTAGION, Pacinos WILDE SALOME

Ansteckende Kunst

Venedig. Kunst kann es doch - die Welt verändern! Seit heute waschen sich in Venedig tatsächlich einige Herren der Filmbranche die Hände nach dem Toilettengang. Dazu brauchte es nur „Contagion", den sehr ansteckenden Wettbewerbs-Beitrag von Steven Soderbergh um eine neue Viren-Epidemie, die in ein paar Monaten 26 Millionen Menschen dahinrafft. Deshalb startet der Regisseur von „Oceans 11" und „Traffic" auch gleich mit mindestens elf Stars, denn einige werden auf der Strecke bleiben. Kate Winslet darf dabei einen Schwächeanfall haben: „Contagion" ist schon ihr dritter Film dieses Jahr in Venedig!

„16 Monate meines Lebens werden in 3 kurzen Tagen bewertet."
(Kate Winslet, die mit zwei großen Filmen und einer TV-Miniserie "Mildred Pierce" in Venedig ist)

Soderbergh ist ein einzigartiger Könner und so beginnt sein Film ebenso rasant wie der Ausbruch des Virus. Von Tag 2 an zeigt er die Opfer in Hongkong, Minnesota und Chicago. (Tag 1 und den ersten Patienten spart sich der Film bis zum bitteren, „schweinischen" Schlusspunkt auf.) Die Geschäftsreisende Beth (Gwyneth Paltrow) erwischt es zuerst, dann ihren Sohn. Der Ehemann (Matt Damon) scheint immun zu sein. Detektivisch versuchen Spezialisten, den Ursprung des extrem aggressiven Virus zu ergründen und ein Gegenmittel zu finden, während ein kapriziöser Blogger (Jude Law mit schiefem Zahn) Panik schürt und ein Naturheilmittel anpreist. WHO-Mitarbeiter erkranken (Kate Winslet), das öffentliche Leben stirbt, Chaos herrscht. Mehr als 130 Tage und zig Millionen Opfer später ist fast wieder alles gut, eine wissenschaftliche Heldentat führte zur richtigen Spur. Doch wer darf nun zuerst das rasch hergestellte Serum erhalten? In den USA gibt es eine Lotterie, in Asien entführt man West-Europäer (Marion Cotillard), um sein eigenes unwerteres Leben zu retten.

Hier ist Soderberghs „Contagion" kaum merklich sehr politisch geworden. Überhaupt ist sein Film vielleicht nicht so emotional-dramatisch wie „Outbreak", dafür viel umfassender, informativer, kurz: intelligenter. Und die Schutzanzüge sehen mittlerweile viel besser aus! Zwar verliert der Regie- und Kamera-Meister ein bis zwei Figuren - wortwörtlich, nicht im Euphemismus für das Sterben - und die WHO kommt etwas zu positiv weg, doch man gewinnt bei aller Spannung auch eine Menge Einsichten. Dazu bessert sich die Hygiene des Kinos schlagartig, weil man so schnell nicht wieder vergisst, wie einfach sich das Virus über Türklinken verbreitete.

Falsche Familien
Zu den großen Namen im Rennen um die Goldenen Löwen gesellte sich am Wochenende auch ein Außenseiter: „Alpis" des Griechen Yorgos Lanthimos („Dogtooth") zeigt ein Quartett unterschiedlicher Menschen, die sich Trauernden als Laienakteure der dahingegangen Lieben anbieten. Viele bizarre Situationen in dem zwischen Gangster-Geschichte und schwarzer Komödie angesiedelten Film führen zur Tragik einer Figur, die keine echte menschliche Bindung mehr kennt und völlig von ihren „Kunden" abhängig ist. Ein verstörender und fordernder Kandidat für Festivalpreise.

Al Pacino-Show
Reichlich Preise hat der gestandene Method Actor Pacino schon eingesackt, nun gibt ihm Venedig noch eine Goldene Uhr als „Glory to the Filmmaker Award" für seine Regie-Arbeiten mit. Schade, dass auch die dazu gestern präsentierte Dokumentation „Wilde Salome" nicht ohne die Egomanie des hervorragenden Darstellers auskommt. Im angeblichen Versuch, Oscar Wilde und sein Stück Salome zu verstehen, inszeniert sich Pacino als Herodes, als Filmregisseur, als Dokumentarist und sogar als verurteilter Wilde selbst: „Irgendjemand muss es ja tun!" (Stephen Fry hätte es sicher gerne noch mal und besser gemacht!) Das ist dann nicht mehr lustig sondern störend und nervig, wie schon bei „Al Pacino's Locking for Richard" (III). So wäre „Wilde Salome" ohne Pacino sicher besser, aber es gäbe ihn auch nicht ohne ihn. Nicht nur, weil der alte Selbstdarsteller in fast jedem Bild ist, er ist tatsächlich auch die treibende Kraft hinter diesem Projekt gewesen.