12.8.11

Locarno 2011 - Der Preis der Piazza

Die „Nacht von San Lorenzo" sorgte von Freitag auf Samstag für besonders viele Sternschnuppen auch über dem Lago Maggiore. Der Sternen-Re(i)gen des 64. Internationalen Filmfestivals von Locarno (3.-13.8.) setzte sich mit Claudia Cardinale und Bruno Ganz fort, die für ihre Karriere geehrt wurden. Heute endet das Schweizer A-Festival mit der Verleihung der Goldenen Leoparden, für die es in einem interessanten Wettbewerb ohne Sensationen keine klaren Favoriten gibt.

Gar nicht divenhaft und sogar glaubhaft verlegen zeigte sich der 73-jährige Star Claudia Cardinale, als Festivaldirektor Olivier Père sie als die „schönste Schauspielerin der Filmgeschichte" bezeichnete. Die in Tunesien geborene Cardinale, die erst mit 16 italienisch lernte und mit „8 ½" von Federico Fellini und „Spiel mir das Lied vom Tod" von Sergio Leone zur Kinolegende wurde, spielte unter anderem mit David Niven, Burt Lancaster und John Wayne. Der hatte ein anderes Lob für seine Kollegin, die ritt und auch Stunts selbst machte: „Sie sind wie ein Mann!" Viele solcher Anekdoten bot die aufgeweckte „CC" in Locarno zum Besten, aber keine Details zu ihrem Privatleben. „Das ist meine Privatsache - ich will wegen meiner Arbeit beurteilt werden." So hat sie, um die sich einst Visconti und Fellini stritten, auch nie aufgehört zu arbeiten. Heute unterstützt sie auch junge Filmemacher und kleine Projekte, indem sie wie zuletzt gratis arbeitet. Ihr nächster Film wird „El artista y la modelo" von Fernando Trueba und mit Jean Rocheford sein. Vor der Preisverleihung am gestrigen Abend zeigte Locarno Fellinis Klassiker „8 ½".

Stiller verlief einen Abend zuvor die Ehrung von Bruno Ganz. Der Schweizer ist seit Generationen angesehen und beliebt: In Eric Rohmer's „Die Marquise von O...", Wim Wenders' „Der amerikanische Freund" und „Der Himmel über Berlin"oder in „Die Ewigkeit und ein Tag" von Theo Angelopoulos. Als Hitler in „Der Untergang" leistete er sich einen Missgriff, doch mit kleinen Rollen wie „Brot und Tulpen" gewann er die Herzen des Publikums. Festivaldirektor Olivier Père huldigte die „unverwechselbare physikalische und stimmliche Präsenz" des beliebten Darstellers, „die Kombination aus Sanftheit und Gewalt". Auch wenn das Tessin in vielen Dingen so ganz anders funktioniert als die Deutsch-Schweiz war es ein Heimspiel für den Charakterdarsteller. Das Heimspiel für seinen neuesten Film, die deutsch-schweizerische Produktion „Sport de filles" von Patricia Mazuy lud allerdings zum Fremdschämen ein. Bruno Ganz als Reiter-Legende, als ehemaliger Meister-Trainer und -Verführer, als Pferdeflüsterer war der Tiefpunkt dieser Piazza-Edition.

Dabei hat ein meist unvergesslicher Abend auf der Piazza Grande des Filmfestivals von Locarno seinen Preis. Ganz prosaisch sind es 32 Franken (32 €) für eine Doppelvorstellung. Dafür gibt es eine riesige Leinwand und Dolby-Sound unter Tessiner Nachthimmel. Der andere Preis für einen schönen, sorglosen Filmabend ist eine Zweiteilung des zweitältesten und mit renommiertesten Filmfestival Europas. Im zweiten Jahr unter dem neuen Festivaldirektor Olivier Père setzt sich ein Trend fort, der die Piazza zum populären Open Air-Event macht, während die Filmkunst in den Kinosälen drum herum Platz findet.

Insel der seligen Cineasten
So lief auch der Wettbewerb hauptsächlich für die Cineasten und auch sie wurden kaum mit brennenden Themen oder gewagter Ästhetik gefordert. Eine Doku über Schweizer Abschiebehaft („Vol spécial" von Fernand Melgar), eine Animation über einen beim Hungerstreik in polnischer Haft verstorbenen Rumänen („Crulic", Anca Damian), die universale Ausländerfeindlichkeit auch in Japan („Saudade", Katsuya Tomita) - nichts rüttelte ernsthaft auf. Im Mix aus jungen und erfahrenen Filmemachern gab es komplette Werke wie das berührende Schuld-Drama „Another Earth" (Kinostart 1. Dezember) und das Drei Schwestern-Drama „Abrir puertas y ventanas" der schweizerischen Argentinierin Milagros Mumenthaler. Dazu einige interessante Ansätze bei meist nur einem Thema pro Film. Die Hoffnung, dass Olivier Père seine Kontakte von der immer hervorragend bestückten Quinzaine aus Cannes mitbringt, konnte sich bislang nicht erfüllen. Der Piazza-Unterhaltungswert war hoch, die Entdeckungsreise Wettbewerb eher wenig befriedigend bei der 64. Locarno-Edition.