31.7.11

Plötzlich Star

USA 2011 (Monte Carlo) Regie: Thomas Bezucha mit Selena Gomez, Leighton Meester, Katie Cassidy 108 Min. FSK ab 6

Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich, diese Retorten-Stars von Disney. Deshalb nennt man es wohl auch Verwechslungs-Komödie, wenn die Sanges- und Hupfdohlen nach zig TV-Serien auch einen echten Kinofilm drehen dürfen. Aber eigentlich sind es diese Filme, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Denn Miley Ray Cyrus war brünett, Nachfolgerin Selena Gomez zwar ähnlich ausdruckslos, aber dunkelhaarig.

US-Teenies aus Texas reisen in ungewollter Besetzung nach Paris, beklagen sich mal nicht über europäische Sitten, geraten aber dank einer Verwechslung in High Society-Kreise und nach Monte Carlo. Witzig ist es nicht, wie sich die drei Mädels von der Reiseführer-Domina durch Paris hetzen lassen. Wirklich bewegend auch nicht, wie sich die beiden verhassten Stiefschwestern des Trios zusammenraufen. Und todlangweilig, wie sie sich als gutherzige und edle Wesen erweisen. Denn als Grace verzweifelt und durchnässt für ein paar Tage das Leben der ekligen und verwöhnten Doppelgängerin Cordelia übernehmt, führt sie gutes Benehmen in Gähn-Kultur vor. Spätestens jetzt hat der Höhere-Mädchenschulen-Film jeden Spaß für ein Romantik-Tripel über Bord geworfen. Die lahmen Uralt-Scherzchen vom Anfang vermisst man aber nicht. Das Disney-Retortenwesen Selena Gomez beansprucht ihr bescheidenes Schauspieltalent direkt mit einer Doppelrolle. Verwirrungen um den Personentausch und ein verschwundenes Collier bilden auch nur routiniert durchgezogenen Hintergrund für unechte Traumwelten, die kleinen amerikanischen Mädchen an der Kinokasse verkauft werden. So könnte der Titel für dieses sehr vorhersehbare Märchen auch „Plötzlich Prinzessin" lauten, aber das hatten wir schon mal und wenigstens beim Titel soll man diese Filmchen doch unterscheiden können.

Angèle und Tony

Frankreich 2010 (Angèle und Tony) Regie: Alix Delaporte mit Clotilde Hesme, Grégory Gadebois, Evelyne Didi 87 Min. FSK ab 6

„Angèle und Tony" ist ein französischer Film. Aber vor allem einer des exzellenten Freiburger Verleihers Koolfilm, der im Laufe der Jahre eine Schatzkiste ausgezeichneter Arthouse-Perlen wie „Nokan", Louise hires a contract killer" oder „Eldorado" versammelt hat. Dies ist schon die erste Empfehlung für den Erstling von Alix Delaporte. Die Geschichte einer Mutter, die um das Erziehungsrecht ihres Sohnes kämpft, wurde zwar schon oft erzählt, aber so gekonnt reduziert, mit so exzellenten Schauspielern vor rauer Küstenkulisse hat man sie noch nie sehen dürfen.

Angèle gewinnt nicht sofort Sympathien: Die junge, schlaksige Frau mit den stechend blauen Augen unter den roten Haaren besorgt sich mit schnellem Sex im Stehen eine Spielzeug-Actionfigur. Das von einer Kontaktanzeige eingeleitete Treffen mit Tony (Grégory Gadebois) klappt nicht. Der rundliche, ältere Fischer kommt zu spät und darf sie noch zur Arbeit in der Fabrik fahren. Dort stiehlt sie nur ein Fahrrad, um zum Kindergarten ihres kleinen Sohnes zu gelangen. Das Geschenk für den morgigen Geburtstag traut sie sich dann doch nicht persönlich zu übergeben und drückt das Spielzeug dem Schwiegervater in die Hand, bevor sie wieder unruhig verschwindet...

Chaotisch, ratlos, ängstlich. Das erkennt auch Tony, der gutmütige, ehrliche Kerl mit dem weichem Gesicht, der sich nichts vormacht und direkt meint, Angèle würde nicht zu ihm passen und brauche sowieso besser jemanden aus der Stadt. Trotzdem bleibt sie sehr direkt und zudringlich. Nicht nur körperlich, sondern auch was das Zimmer bei Tony und den Job im Fischhandel der Familie angeht. Sie tut alles, um ihren Sohn wiederzubekommen, den sie zwei Jahre lang nicht gesehen hat. Sie spielt Hausfrau und nimmt Fische aus. Will sie auch die Fischer-Familie ausnehmen, die vor einem halben Jahr ihr Oberhaupt verloren hat? Tony weiß nicht, was er mit ihr anfangen soll, und macht das einzig richtige - distanziert bleiben. Er spielt den Unnahbaren, weil er weiß, dass sie ihn nicht liebt, sie spielt daraufhin eifersüchtig und so finden sie doch zueinander.

Irgendwann erkennt man: Tony kein einfältiger Fischer mit Motorrad, sondern ein ziemlich cooler Typ. Ebenso wandelt sich der Film - anfangs rätselt man ein wenig, erwartet Dramen. Später lacht Angèle immer mehr und der Zuschauer lächelt mit. Autorin und Regisseurin Alix Delaporte erzählt in ihrem Debüt angenehm reduziert, nicht nur was die Länge betrifft. Die großen Emotionen und das warme Piano tauchen erst auf, als Mutter und Sohn zusammen auf dem Fahrrad unterwegs sind. Es gibt ganz tolle Momente gerade wenn die Handlung ruht und nur die Stimmung zwischen den Personen eingefangen wird. Zum Gelingen dieses außergewöhnlichen und schönen Films tragen die bemerkenswerten Schauspieler bei: Clotilde Hesme fiel schon in „Der fliegende Händler", damals mit schwarzen Haaren, auf. Grégory Gadebois ist Mitglied der angesehenen Comédie Française. Es gelingt beiden, eine große Anziehung spüren zu lassen, auch wenn sie noch den richtigen Moment finden muss.

30.7.11

Super 8

USA 2011 (Super 8) Regie: J.J. Abrams mit Kyle Chandler, Joel Courtney, Elle Fanning, Gabriel Basso, Noah Emmerich, Ron Eldard 112 Min. FSK ab 12

Nach der sensationelle TV-Serie „Lost" und seinen Spielfilmerfolgen „Mission: Impossible 3" sowie „Star Trek" begeistert Produzent, Autor und Regisseur J.J. Abrams auch mit seinem neuesten Spielfilm „Super 8".

Ferien 1979: Have a great summer - die vom Hollywood-Film so vertrauten Sommerferien der US-Kids und (wieder) die Geschichte eines hochspannenden Sommers: Joe Lamb (Joel Courtney) ist noch längst nicht über den Tod seiner Mutter hinweggekommen, die in der lokalen Fabrik verunglückte. Ablenkung bietet sein bester Freund Charles (Riley Griffiths), ein begeisterter Hobby-Regisseur von ziemlich guten Zombie-Filmchen auf Super 8-Material. Der einsame Joe, dessen Sheriff-Vater vor lauter Trauer und vor Sorge um das Städtchen keine Zeit für das eigene Kind hat, macht als Spezialist für Maske und Modelle mit. Völlig hin und weg ist er, als die reife und coole Alice Dainard (Elle Fanning) die einzige Frauenrolle spielt. Beim nächtlichen Dreh an einem verlassenen Bahnhof kriegen die Jungs angesichts von Alices Schauspielkunst den Mund nicht mehr zu. Nur ein Güterzug, der bald schier endlos endgleist, ist eine noch größere Sensation. Im allgemeinen Fliehen und Krachen läuft die Super 8-Kamera weiter, um sehr viel später ein Geheimnis zu enthüllen.

Was sich wie ein gradliniger Thriller-Plot anhört, ist an Geschichten, Figuren und Stilen wesentlich reicher: „Super 8" mischt nicht nur gekonnt die Sommergeschichte von „Stand by me" mit dem Kinder-Science Fiction „ET". Der Autor Abrams punktet gleich in mehreren Genres, auch im Horror-Film oder mit einem gigantischen Zugunglück auch bei den größten Katastrophen der Filmgeschichte - positiv gesehen! Schon das sorgfältige Setting gibt dem Film emotionales und intellektuelles Gewicht: Gerade sind auf Three Miles Island fast amerikanische Atommeiler in die Luft geflogen. Der Walkman war neu und noch nicht der vergessene Vorgänger vom bald vergessenen iPod. Sorgsam und liebevoll wird das Zeitkolorit der späten 70er-Jahre wachgerufen, Musik mit bekannten Songs der Epoche unterstützt das Gefühl. Doch vor allem ist „Super 8" spannend, hochmagnetisch und elektrisierend. Denn was bisher nur der Lehrer Dr. Woodward - ja, er heißt so wie der Bob von Watergate - wusste und was ihn veranlasste, den Zug entgleisen zu lassen, ist ein explosives Geheimnis: Die Armee hält ein Alien gefangen! Produzent Steven Spielberg, der den jungen Super 8-Filmer Abrams einst entdeckte, steht Garant dafür, dass diese unheimliche Begegnung der dritten Art letztlich eine friedliche ist. Das kann auch die Armee nicht verhindern, die das kleine Örtchen in Ohio abriegelt, unter viel Geheimniskrämerei evakuiert und schließlich völlig die Kontrolle über ihre Waffen verliert.

Mitten im groß inszenierten, kriegs-ähnlichen Chaos finden Joe und Alice als mutterlose Jugendliche zueinander. Denn auch Romantik darf in diesem kompletten und komplett gelungenen Film nicht fehlen. Elle Fanning („Somewhere", „Der seltsame Fall des Benjamin Button") spielt eindrucksvoll jemanden der sensationell gut spielt. Spätestens mit dieser einsamen weiblichen Super-Besetzung wird klar, dass der große J.J. Abrams die Regeln des kleinen Super 8-Filmers Charles beherzt: Eine attraktive Frau muss im Film sein und dazu eine ganze Menge „production values" in Form von purzelnder Güterzüge und gut ausgerüsteter Armeen. Dass eine gute Geschichte (Autor: J.J. Abrams) und die sorgfältige Inszenierung (Regisseur: J.J. Abrams) auch zu einem super Film gehören, erscheint ihm wohl selbstverständlich. 

Blue Valentine

USA 2010 (Blue Valentine) Regie: Derek Cianfrance mit Ryan Gosling, Michelle Williams, Faith Wladyka 112 Min.

Chet Bakers „My Funny Valentine" ist keineswegs funny, wie der Titel behauptet, sondern ein Evergreen, den der CD-Player gerade einmal spielt, bevor er dann schwermütig für Stunden den Dienst einstellt. Also völlig „blue" ist. Nun ein Film, der schon seine Traurigkeit im Titel führt. „Blue Valentine", das Ende einer Beziehung mit gegenläufig montiertem Anfang, ist kein lustiger Film. Aber gerade in dieser Montage und im Schauspiel ein guter.

Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams) führen mit ihrer kleinen Tochter ein unkonventionelles Familienleben. Sie sorgt als Krankenschwester für Geld und das Rechte, er hat Anstreicherjobs, bei denen er morgens schon betrunken sein darf. Es knirscht schon im Alltag, da muss der Film gar nicht erst den Familie-Hund mörderischen Rasern vors Auto werfen. Die Spannung zwischen der Rationalen und dem verrückten, verspielten Kerl eskaliert. Er entführt sie zum gemeinsamen Wochenende in einem schäbigen Sex-Hotel mit albernen Themen-Räumen. Man wählt den Raum namens „Zukunft". Sie sieht kalt und trüb aus.

Zwischendurch sehen wir den jungen Dean, der als Möbelpacker arbeitet und, während er das neue Zimmer eines Bewohners im Altersheim liebevoll dekoriert, die verrückte Enkelin der Seniorin von nebenan kennenlernt. Eine nette, leidenschaftliche Liebesgeschichte entsteht in diesen Rückblenden. Die Jetzt-Zeit beschwert das verzweifelte Bemühen, diese Liebe nicht verschütten zu lassen.

„Blue Valentine" bietet ein großartiges Script für zwei Schauspieler, sich in verschiedenen Facetten und Stimmungslagen zu zeigen. Ryan Gosling sieht mit Flieger-Brille und zurückgewichenem Haaransatz schmierig aus, ein ganz anderer Typ als der romantische Verführer mit Gitarre. So stehen sich auch die warmen Farben der ersten gemeinsamen Nacht und das kalte Blau eines Sex-Hotels gegenüber. „Blue Valentine" hat die unerbittliche und bleierne Beziehungsschwere eines Bergmans.

Die Kamera verfolgt Regungen und Gefühle ganz nah dran; die Musik von Grizzly Bear findet quer durch die Szenen ihren eigen Weg, wie die Gedanken oder Texte im Off, wie die liebes-philosophischen Gespräche Ryans mit einem Kollegen. Anfang und Ende, Hoffnung und Verzweiflung, Auf und Ab sind sehr raffiniert miteinander verschachtelt. Letztendlich schafft es der Film so, ein Happy und ein bitteres End innerhalb von Sekunden, nur von einem Schnitt getrennt zu zeigen. Ein schönes Kunststück, das den Film sehenswert macht, auch wenn es nicht wirklich ein Feel good-Movie ist. Mittlerweile dürfte der CD-Spieler auch wieder munter sein.

27.7.11

Cars 2

USA 2011 (Cars 2) Regie: John Lasseter 107 Min. FSK o.A.

Ein neuer Film von Pixar begeistert die Cineasten immer - fast immer. Denn eigentlich landen die Pixel-Pioniere und -Zauberer seit „Toy Story" einen Hit nach dem anderen. Doch „Cars" war deutlich schwächer. Und auch der zweite Teil ist zwar handwerklich auf höchstem Niveau, doch die Magie, die letztens noch „Oben" verzauberte, die fehlt erneut. Nach dem klassischer Rennfahrer-Film „Cars" geht es nun mit Vollgas ins Agenten-Genre...

Finn McMissile ist der Connery-James Bond unter den Auto-Geheimagenten, ein Aston Martin mit Schnäuzer, im Original gesprochen von Michael Caine. Und wie wir es von den Bond-Filmen kennen sorgt auch er für den actionreichen Auftakt, mischt mit seinen Magnet-Reifen eine ganze geheime Bohrinsel voller Schurken auf, taucht dann ab und erweist sich auch als schnittiges U-Boot.

Der rote Rennwagen Lightning McQueen kehrt derweil zu seinen Freunden nach Radiator Springs zurück, um vom einfältigen Kumpel Hook direkt in ein Duell mit dem arroganten italienischen Formel-Renner Francesco Bernoulli verwickelt zu werden. McQueen nimmt eher widerwillig am World Grand Prix teil und nimmt erstmals Hook im Mechaniker-Team mit. Schon bei der feierlichen Vorstellung in Tokio rollt der rostige Abschleppwagen in jedes Motorfettnäpfchen und gerät in die Schusslinie der Geheimagenten um McMissile. Der Einfalts-Ölpinsel Hook wird mit einem Agenten verwechselt, braucht Ewigkeiten, um zu raffen, warum es eigentlich geht.

Wie bringt Pixar es wieder fertig, in wenigen Szenen das ganze Feeling vom Agenten-Film wachzurufen? Ein paar Pupillen auf die Windschutzscheibe, die Stoßstange als Mund und fertig ist ein vollwertiger Charakter. Einige Szenen wirken dabei 1 zu 1 aus Bond kopiert. Die Büro-Mieze aus der Londoner Zentrale darf genauso über sich hinaus wachsen wie der alte Abschleppwagen als bester Freund sowie trotteliger und liebenswerter Sidekick. Dazu gibt es viel Sightseeing in Towkyo (sic!), Paris, Monaco, London.

„Cars 2" erfreut vor allem durch sehr viele nette, witzige und verrückte Details. Wie wäre es mit einem Metalldetektor am Flughafen für Autos. Metalldetektor für Autos? Genau, viele verrückte Ideen! Ansonsten dauert etwas, bis die beiden Handlungen zusammenkommen und der Film richtig Gas gibt. Die Renn-Routine langweilt eher mit völlig unrealistischem Verlauf - genau wie bei den Realfilmen dieses Genres. Da können auch die parallelen Verfolgungs-Jagden dramaturgisch nicht helfen.

Doch bewährt detailverliebt animiert Pixar ein komplett wiederbelebtes Automobil-Museum, bei dem - typisch protestantisch kapitalistisch - die richtig schönen Volks-Oldtimer meist Schurken sind und Luxus-Kisten guten Charakter unter der Motorhaube haben. Das ist aber auch der Clou der Geschichte, eine verbitterte Rache der Rostlauben und der im Design verunglückten Modelle. Versteckt sich hinter dem deutschen Schurken-Professor Zündapp mit Monokel vielleicht Gert Fröbe? Wobei hinter allem wieder die Öl-Industrie steckt, die saubere Brennstoffe sabotieren will. Wie das Erdöl ist die alte Geschichte einer Freundschaft jedoch zu abgestanden, um alleine „Cars 2" zu einer üblichen Pixar-Sensation zu machen.

26.7.11

Green Lantern

USA 2011 (Green Lantern) Regie: Martin Campbell mit Ryan Reynolds, Blake Lively, Peter Sarsgaard, Mark Strong 114 Min. FSK ab 12

Der ewige Kampf der Grünen gegen die gelbe Gefahr - nein, es geht nicht um deutsche Parteienpolitik. Ein alter DC Comic, Jahrgang 1940, der bei unseren Vätern auch schon mal „Die grüne Laterne" genannt wurde, hebt an, um ein neues Francise aufzumachen. Leider passiert in diesem seelenlosen Film-Spektakel aus Action und Effekten vieles, um Fortsetzungen vorzubereiten, statt um das Erzählen einer guten Geschichte willen. Aller Anfang ist schwer erzählt...

Testpilot Hal Jordan (Ryan Reynolds) ist ein Überflieger im Job und bei den Frauen. Der Top Gun eines privaten Waffenproduzenten schießt vor lauter Wagemut sogar die computergesteuerten Superjäger der eigenen Firma vor versammelter Käuferschar ab und gefährdet damit das Unternehmen. Seine Chancen bei der Junior-Chefin Carol Ferris (Blake Lively) sind dadurch im Steilflug, schon vorher störte sie, dass er noch mehr Frauen als Düsenflieger fallen lies. Doch ein neuer Job lässt nicht lange auf sich warten. Ein Job im Ausland quasi - im Universum: Dort schaut eine grüne Gilde von Mega-Verkehrspolizisten aller Völker nach dem Rechten, wird aber vom gelben Staubmonster, dem gefallenen Engel Parallex angegriffen. Einer der besiegten grünen Superhelden geht über den Jordan und sucht sich vorher seinen Nachfolger ausgerechnet im Erdling Hal Jordan, obwohl diese unterentwickelte Rasse noch nie bei den grünen Männlein mitmachen durfte. Nach Verleihung des grünen Rings, der Ladestation Grüne Laterne und einiger mitgelieferter Superkräfte nutzt Hal die erst einmal, um Carol zu beeindrucken. Als diese jedoch nicht drauf reinfällt, entscheidet sich der mit grünem Latex neu eingekleidete Kerl, das Universum zu retten. Ganz im Trend von Home-Office darf er auf der Erde einen von Parallex infizierten Wissenschaftler bekämpfen.

Es gibt ja immer mehr Superhelden auf der Leinwand, mal super (der letzte „X-Men"), mal super schlecht. Doch diese Grüne Laterne ist eher die Rote Laterne der Reihe. Wenn das eindrucksvolle grüne Leuchten in seiner Wirkung nachlässt, erweist sich „Green Latern" als so ein typisches Aufwärmteil für - diesmal wohl kaum - erfolgreiche Kino-Serien: Superhelden-Training und endlose Erklärungen. Dann dauert es noch über eine Stunde, bevor die Handlung halbwegs losgeht. Ein paar mal zu oft wird betont, dass Hal Jordan ja noch nicht erwachsen sei. Er selbst sagt dazu in jedem zweiten Satz, er habe keine Angst. Die wenig überraschende Moral lautet dann auch, man muss sich seine Angst eingestehen, bevor man sie überwinden kann. Tatsächlich sollte der Zuschauer ruhig Angst vor dem Gefühl haben, welches derart schlechte Filme auslösen können.

Sogar Regisseur Martin Campbell (Casino Royale) konnte nicht verhindern, dass „Green Lantern" in dieser Glätte all den Charme des ursprünglichen Comics verliert. „Was soll all das Grün?", fragt sich da der Held selbst angesichts des groß angelegten grünen Zentral-Planeten mit Supermännern aus aller Helden Länder. Der Erdling mit den Schweinsäugelchen nimmt die ganze Sache nicht ernst, da sind wir mit ihm einer Meinung. Dazu sehen die anderen Laternen wirklich zu albern aus.

Obwohl Warner und DC Comics große Mühe darauf verwandt haben, alles für eine Fortsetzung vorzubereiten, hätte man als beste Voraussetzung zuerst einen guten Film machen sollen. Auch wenn sich in den letzten Bildern der Verräter Sinestro den gelben Ring überstreift und etwas Hinterlistiges von Steuerbefreiung faselt - so etwas will man nicht noch mal sehen - dazu ist die Superhelden-Konkurrenz zu groß und reizvoll.

Nichts zu verzollen

Frankreich 2010 (Rien à déclarer) Regie: Dany Boon mit Benoît Poelvoorde, Dany Boon, Julie Bernard 108 Min. FSK ab 12

Grenzwertiger Humor, der die Geschmackskontrolle umgeht? Keine Spur! Auf dem Weg zu Weltfrieden wanderte Dany Boon von den „Sch'tis" der nordfranzösischen Küste landeinwärts und trifft auf den dickköpfigen Stamm der Belgonen. Die gelungene und in Frankreich wieder enorm erfolgreiche Komödie vereinigt diesmal nicht nur entfernte Dialekte des geliebten Frankreichs, sie pazifiert gleich zwei französische Länder (wir einverleiben gleich mal das benachbarte wallonische Belgien). Ab hier befinden wir uns auf gefährlichem Territorium, so wie der französische Grenzer, der den wallonischen „Dialekt" nachäfft und sich der Wut des belgischen Rassisten Vandevoorde (Benoit Poelvoorde) aussetzt, der all die Camemberts sowieso hasst. Wenn jetzt noch der liebe, harmlose Franzose (Dany Boon) in Zoll-Uniform die Schwester des rassistischen Kollegen auf der anderen Seite der Grenze liebt, ist die Melange aus „Willkommen bei den Frittenfressern" und „Romeo und Julia auf dem Grenzdorfe" komplett.

Der gemütliche belgische Grenzbeamte Bruno Vanuxem (Bouli Lanners) trinkt nicht im Dienst - nur ein Bierchen, das zählt ja nicht! Willkommen bei den Zöllnern von Courquain/Koorkin. Dass sich draußen vor dem Schlagbaum ein ellenlanger Stau bildet, liegt hingegen an Vanuxems pedantischen Kollegen Ruben Vandevoorde, der vor allem verhindern will, dass die verhassten Franzosen in das wunderbarste Land der Welt eindringen. Dazu versetzt er nächtens auch schon mal ein paar Grenzpfähle mitten im Acker und lässt sich nicht von seinem klügeren Sohnemann irritieren, dem auffällt, dass eine Vorstellung vom schönsten Sternenhimmel über Belgien nicht mit dem aktuellen Weltbild einer sich drehenden Erdkugel übereinstimmt. Der extreme Nationalist Vandevoorde wirft ständig mit Beleidigungen um sich und zückt schnell seine Pistole - selbst gegen die französischen Kollegen, mit denen er in einer Dauerfehde liegt. Ansonsten ist er ein netter Kerl.

Die Katastrophe für alle Beteiligten lautet Schengen. Ein Aufschrei hallt ins Universum, als bekannt wird, dass in Europa am 1.1.1983 die Schlagbäume fallen sollen. Nicht nur drohen die Grenzer ihren Job zu verlieren, der bei vielen auch tiefes, persönliches Bedürfnis war. Vandevoorde muss stattdessen sogar mit einem französischen Kollegen am Experiment einer mobilen Einheit teilnehmen. „Mobil" ist dabei allerdings aus finanziellem Mangel weder der klapprige R4 noch das Telefon ohne Kabel, das die Größe eines Briketts aber nie Empfang hat. Die Vorstellung, freiwillig mit dem rassistischen Choleriker in einem Boot oder Auto zu sitzen, löst bei den französischen Zöllnern einen Lachanfall aus. Nur Mathias Ducatel (Dany Boon) meldet sich tatsächlich. Seit einem Jahr ist er heimlich mit Vandevoordes Schwester Louise (Julie Bernard) zusammen und schmeichelt sich nun mit kleinen Lügen beim schwierigen Schwager ein. Mit einigem Erfolg. Doch als die Wahrheit herauskommt, blickt Mathias in den Lauf einer belgischen Dienstpistole...

Dany Boons „Nichts zu verzollen" ist vor allem eine Typenkomödie, die mit einem selten dämlichen Wirt und einem unfassbar bescheuerten Schmuggler auch die nötige Dosis Klamauk enthält. Des Erfolgsregisseurs lachende Lehrstunde in Sachen Rassismus tut niemandem weh. Die Vorurteile sind sehr allgemein gehalten - trotz allem Engagement, das der mit Poelvoorde genial besetzte Vandevoorde in seine frankophoben Tiraden legt. Wie schon bei den „Sch'tis" ist dieser Humor Geschmackssache und nicht mal mit Untertiteln übersetzbar. So vergröbert die deutsche Synchronisation den Spaß noch mehr. Boon kann bei seiner Aufgabe, sich über kleine Unterschiede lustig zu machen und Verschiedenheit zu vereinigen, zumindest wieder einen Kassen-Erfolg verbuchen.

24.7.11

Winnen op Alpe d’Huez

Winnen op Alpe d'Huez

 Da heißt jemand Siegen und siegt zwei mal bei einer der legendären Bergankünfte der Tour de France. Dieses Wortspiel ist den Niederländern mit Peter Winnen gegönnt, der 1981 und 1983 als erster die 14 Kilometer lange Steigung bezwang. „Winnen op Alpe d'Huez" ist den auch der Titel einer Sendung der NOS-Serie „Andere tijden Sport".

Die Geschichte eines arbeitslosen Lehrers aus Limburg, der auf seiner ersten Tour de France direkt Alpe d'Huez gewinnt, ist schon schön genug. Zusätzlich bemüht sich der Beitrag in 45 Minuten, Winnen, der mittlerweile Gedichte schreibt, mit bedeutungsvollen und schönen Bildern auch in Sachen Radsport-Poesie gerecht zu werden. (Winnen brauchte etwas länger für die 21 Kehren. Der Rekord von Pantani steht bei 37 Minuten. Der Autor dieser Zeilen meint, in jugendlichen Tagen 1.15 verbucht zu haben, kann sich aber nur an die Verzweiflungsschreie des Mitfahrers erinnern.)

Während Winnen mit dem alten Koga und der alten Übersetzung 30 Jahre später den Berg noch einmal angeeht, sieht man die Gesichter seiner Gegner bei betrachten der historischen Aufnahmen: Tour-Sieger Berhard Hinault wünscht immer noch, er hätte die 8 Sekunden Rückstand im Schlusssprint aufholen können. Der belgische Bergkönig Lucien van Impe, der viele Bergankünfte gewonnen hat, aber nie Alpe d'Huez, betont dauernd, dass Winnen ja kein richtiger Bergfahrer sei - so wie er!

 Am Ende sitzt oben ein zufriedener Mann. Liegt es am Vitamin B15 und Gelee Royal, den Experimenten des alten Teamarztes, der auch besucht wird, die sauber (sic!) notiert in Winnens Tagebuch notiert wurden. Der Held und Poet Winnen sieht heute gesünder, entspannter aus als Hinault, der mittlerweile so etwas wie der Kronprinz der Tour-Organisation ist.

 

19.7.11

Insidious

USA 2010 (Insidious) Regie: James Wan mit Patrick Wilson, Rose Byrne, Ty Simpkins, Lin Shaye, Barbara Hershey 102 Min. FSK ab 16

Seit drei Monaten liegt Dalton (Ty Simpkins) im Koma, die Eltern mit den beiden kleinen Geschwistern fühlen sich nicht nur deswegen sehr unwohl im neuen, großen und dunkles Haus mit seinen knarrenden Treppen. Das ist noch nicht ganz „gothic" aber nahe dran. Die Lamberts hören fremde Stimmen, eine blutige Hand zeigt sich auf dem Bettlaken des komatösen Jungen, weitere unerklärliche Ereignisse tauchen auf. Renai (Rose Byrne), die zierliche aber sehr mutige Mutter, sie sieht einen Mann hinter der Wiege ihres Babys. Der Alarm schrillt laut, aber Gestalten sind schon längst im Haus. Renai hat mittlerweile selbst Angst vor ihrem Sohn, ihr Mann Josh (Patrick Wilson) kommt immer später nach Hause.

Obwohl Regisseur James Wan mit der „Saw"-Reihe berühmt und reich geworden ist, schockt „Insidious" jetzt nicht nur und dauernd. Der Horrorfilm erzählt auch eine Geschichte und das recht gut. Der Schrecken beginnt mit einer Familie mitten im normalen Leben, aber nach einer halben Stunde findet man es gut, dass sie sich eine neue Wohnung suchen. Der schleichende Schauer, auf der Tonspur eindrucksvoll begleitet (Musik: Joseph Bishara) zeigt seine Wirkung. Die Handlung wird halbstündig angetrieben von neuen Wendungen, so wie die Szenen im Schnitt mit vielen kleinen Sprüngen beschleunigt werden. So verträgt die originelle Geschichte (Buch: Leigh Whannell) selbst komische Ghostbusters, die zusammen mit dem Medium Elise (Lin Shaye) das Geheimnis der Dämonen ausleuchten. Dieser fast altmodische Horror überrascht bei James Wan und wird die Freunde des Genres ohne Blutströme und Gewaltorgien

Win Win

USA 2011 (Win Win) Regie: Tom McCarthy mit Paul Giamatti, Alex Shaffer, Amy Ryan, Bobby Cannavale, Jeffrey Tambor, Burt Young 106 Min. FSK ab 6

Der Schauspieler Tom McCarthy hat sich mit seinen beiden bisherigen Filmen als Regisseur einen enormen Ruf erspielt: „Ein Sommer in New York - The Visitor" (2007) und „Station Agent" (2003) begeisterten durch besonders glaubwürdig geschriebene und gespielte Figuren, die man irgendwann unweigerlich in sein Herz schloss. Nun spielt Paul Giamatti die Hauptfigur in einem solchen Menschen-Reigen. Sein Anwalt Mike Flaherty ist zwar eine andere Version als „Barney" im Film von Richard J. Lewis, doch auch diesmal kein Macher. Der Baum vor dem Haus wird wohl eher gnädig zur richtigen Seite fallen, bevor Mike ihn fällt. Der Heizkessel im Keller der Kanzlei gibt immer öfter erschreckend Laut, doch auch dies Problem wird ignoriert - das Geld reicht nicht. Nur in seiner Freizeit als Trainer einer Ringer-Mannschaft der lokalen Highschool lebt der Familienvater etwas auf. Obwohl seine Jungs nur als Verlierer gut sind.

Als Mike angesichts des dementen Klienten Leo Poplar (Rockys Schwager Burt Young ) einmal Initiative ergreift, verändert dies eine Reihe von Leben. Vor Gericht schnappt sich Mike die Vormundschaft von Leo, was ihm 1500 Dollar im Monat einbringt, verfrachtet den Senior aber dann doch gegen dessen selten geäußerten Willen in ein Pflegeheim. Vor der verlassenen Wohnung sitzt kurz darauf Leos Enkel Kyle (Alex Shaffer). Ein blaues Auge ist das Abschiedsgeschenk vom Freund der drogenabhängigen Mutter. Ratlos nehmen Mike und seine Frau Jackie (Amy Ryan) den stillen Jungen mit dem laut blondierten Haar im Eminem-Stil auf. Der erweist sich als sensationell guter Ringer und fühlt sich im Kellerzimmer der Familie ganz wohl. Bis seine Mutter auftaucht und auch Mikes kleiner Betrug ans Licht zu kommen droht...

Der Schauspieler, Autor und Regisseur Tom McCarthy macht ruhige Filme. Diesmal braucht er besonders lange, bis er in die Gänge und man seinen Figuren näherkommt. Es sind wie Giamattis Mike keine Übermenschen, sondern richtige Menschen mit Schwächen und Stärken. Das macht Spaß, wenn sich Mikes Freund und Ex-Ringer Terry beim ersten Anzeichen von Erfolg ins Team drängt und eine alberne Eifersucht der Assistenz-Trainer hervorruft. Und es funktioniert, weil neben Giamatti nur hervorragende Schauspieler zu sehen sind. So gelang McCarthy zwar nicht sein bester, aber noch immer ein sehr sympathischer Film mit leisem Humor. „Win Win" ist ein Gewinn für das Publikum, so wie sich die vertrackte Situation durch eine erstaunliche Ansammlung von gutem Willen zu einem Gewinn für alle entwickelt.

Brautalarm

USA 2011 (Bridesmaids) Regie: Paul Feig mit Kristen Wiig, Maya Rudolph, Rose Byrne, Wendi McLendon-Covey, Ellie Kemper 125 Min. FSK ab 12

Jungs, greift zu! So viel Spaß werdet ihr nie wieder in einem Frauenfilm haben! Wenn „Pie"-Produzent Judd Apatow seine Romantische Komödie mit heftigen Heldinnen genüsslich durch den Fettnäpfchen-Parcours zieht, ergibt sich eine Romantische Rüpelkomödie mit rüdem Darmhumor in Damenrunde. „Saturday Night"-Star, Ko-Produzentin und Autorin Kristen Wiig sorgt mit klasse Komik für die Sympathie-Werte, ein netter Verkehrspolizist regelt die Romantik.

Wie verzweifelt muss frau sein, wenn sie sich noch vor seinem Aufwachen schnell schminkt und dann so tut, als sei sie gerade mit voller Gesichtsmontur aufgewacht? Doch die schlechte Bett-Bekanntschaft von Annie (Kristen Wiig) bekommt sowieso nichts mit. Wie gut, dass es die beste Freundin Lillian (Maya Rudolph) gibt. Wie doof, dass diese ihre baldige Heirat verkündigt und die ebenso neue wie neureiche Helen (Rose Byrne) den Posten der Besten Freundin brutal vereinnahmt. Süße Ideen für die Gestaltung von Polterabend - Verzeihung: Polterreise - werden geklaut und megamäßig übertroffen. Die geschmackvolle Wahl der Brautjungfer-Kleider ist zugegeben auch von Annies Geldbeutel beeinflusst, doch der Overkill an Exklusivität und Eleganz den Helen auffährt, ist einfach nur zum Kotzen. Was das ganze Rudel an Freundinnen denn auch im herrlichen Synchron-Speihen erledigt! Das von Annie ausgesuchte Restaurant ist nicht schuldlos am üblen Einfärben der vormals unglaublich weißen Brautmoden-Boutique.

Nun trägt Annie nicht nur schwer am erfolglosen Beziehungsleben und dem schlechten Gewissen gegenüber Lillian. Ein Rauswurf aus dem Job kommt noch hinzu, denn die trübe bis üble Stimmung war einfach Gift für ein Schmuckgeschäft: „Sind sie sicher, dass wir Für Immer in die Hochzeitsringe gravieren sollen?" Doch die grobe Übersicht einer Handlung, in der Annie immer für Lacher und Fettnäpfchen-Volltreffer sorgt, gibt nicht den speziellen Charme dieses Zusammenpralls aus „Bridget Jones" und „Hangover" wieder. Ein grandioser vom Alkohol angefeuerter Zickenkrieg auf der Verlobungsfeier wechselt sich ab mit romantischem Radar-Fallen stellen. Die Gag-Frequenz ist atemberaubend, die meisten Jede der Freundinnen ist ein besonderer Knaller, einige sind besonders besonders und von analen Waffen-Holstern bei Flight-Marshalls fasziniert! Dann gibt es noch unter den debilen Mitbewohnern Annies den Little Britain-Star Matt Lucas, was wiederum die enorme Spannweite des Humors verdeutlicht.

Kristen Wiig spielte schon in „Paul - Ein Alien auf der Flucht" bemerkenswert die Rolle der Ruth. In „Brautalarm" gewinnt die Ausnahme-Komödiantin Herzen und erobert Lachmuskeln. Auch wenn sich „Brautalarm" mehrmals völlig aus der Kategorie Frauenfilm katapultiert, schwenkt die gelungene wilde Komödie doch wieder zu den beiden Freundinnen um. Die übliche „Jetzt wird es kompliziert"-Schleife verdirbt aber nie lange den Spaß.

13.7.11

Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2

Großbritannien, USA 2011 (Harry Potter And The Deathly Hallows - Part II) Regie: David Yates mit Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson, Ralph Fiennes, Alan Rickman 130 Min.

Es ist vollbracht: Der gigantische Potter-Wal der Kinder- und Jugend-Literatur hat sein friedliches Ende gefunden, driftet ab ins Privatleben, wo er unbehelligt von den Millionen Fans weiterleben kann. Vorerst. Denn eine digitale Fortsetzung der Gelddruckmaschine „HP", zu der Autorin J.K. Rowling nie mehr etwas schreiben wollte, deutet sich bereits an. Doch dieses Phänomen beschreiben zu wollen, wäre Eulen nach Hogwarts tragen. Deshalb hier ausnahmsweise Warentest statt Werkkritik, die nüchterne Bestandsaufnahme eines langen, effektreichen zweiten Teils des letzten Teils von einem Kritiker-Muggel.

Während der erste Teil von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" die reichlich genommene Zeit überraschenderweise den Figuren Harry, Hermine und Ron widmete, verschleudert der achte Film der zehnjährigen Kino-Serie seine Mittel für eindrucksvolle Effekte und mit dem Zauberstab fuchtelnde Action. Schnell wird die Jagd auf die restlichen Horkruxe fortgesetzt, um Lord Voldemort vernichten zu können, derweil dieser mit seinen Heerscharen das Zauberinternat Hogwarts belagert. Es ist die Phase des Krieges in der Geschichte einer düsteren Diktatur, wobei ein geschwächter Voldemort durchaus das belegte Wort „Endkampf" nahelegt. Die Figur ist kaum noch dämonisch, wodurch ihr Darsteller Ralph Fiennes Raum bekommt, endlich eindrucksvoll zu spielen. Viele „bekannte und liebgewonnene Figuren" (O-Text Werbung) tauchen wieder auf, einige rafft die Handlung gleich wieder dahin. Nicht nur Voldemort geht im apokalyptischen Kampf über Leichen, die Handlung versammelt ein erschreckend wirken wollendes Lazarett aus Verwundeten und Verschiedenen.

Auch die gealterten gefeierten Schauspieler beziehungsweise Figuren Daniel Radcliffe (Harry Potter), Rupert Grint (Ron Weasley), Emma Watson (Hermione Granger) könnten kaum einen Film tragen. In ihrem Rennen und Fuchteln kommen leider auch die wirklichen Stars zwischen Todessern, Dementoren, Riesen, Elfen, Drachen und Schlangen zu kurz. Zu den besten Szenen gehört das nun enthüllte Lebens-Drama verschiedenen Schattenseiten von Severus Shape (Alan Rickman) im Gegensatz zur Wahrheit über Dumbledore, der sich als fieser Strippenzieher erweist. Wahrscheinlich, damit ihn nicht alle immer mit Gandalf, dem Grauen verwechseln.

Beginnend mit dem Action-Auftakt in einer Bad Elfenbank mit rasanter Achterbahnfahrt funktioniert das 3D gut, vor allem für die Kinokasse - ein wirklicher Qualitäts- oder narrativer Gewinn ist nicht zu verzeichnen. Zu den großen Abwesenden im Düster-Finale gehören auch Spiel und Spaß. Kaum ein Scherz kommt über die Lippen des todgeweihten Harry, dafür darf der unscheinbare, aber sympathische Verlierertyp Neville Longbottom die klassische Rede halten. Zu weit, so unoriginell. Trotzdem ist „HP 8" als kurzweilige Unterhaltung durchaus gelungen. Die Inszenierung von David Yates setzt für den Schlusspurt noch mal Energien frei, alle geben richtig Gas. Zwischendurch findet jeder Potter sein Deckel, was mit zwei Küssen flott und unromantisch abgehandelt wird. Denn schnell muss wieder mit den vereinzelten und verkrüppelten Sushi-Stäbchen zu Zauber-Latein in extremis rumgewedelt werden. Der Muggel fragt sich öfter, weshalb jetzt wieder kreischend rumgerannt wird und kein entsprechender Spruch das Feuer löscht, doch mit dieser Logik sollte man gar nicht erst anfangen. Lieber die vielen digitalen Dinge bewundern, die zwar kein großes, aber zumindest ein überwältigendes Kino liefern.

12.7.11

Nader und Simin - Eine Trennung

Iran 2011 (Jodaeiye Nader Az Simin) Regie: Asghar Farhadi Laila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Sareh Bayat, Sarina Farhadi 123 Min.

Der gefeierte Siegerfilm der letzten Berlinale belegt erneut den Reichtum des iranischen Films: Auch wenn die Regierung zwei Regisseure wegsperrt, beziehungsweise unter Hausarrest setzt (wo sie trotzdem weiterfilmen), gibt es noch viele andere hervorragende Filmemacher. Asghar Farhadis Drama „Nader und Simin" gehört nicht zu den offensichtlich politischen Filmen - doch plakativ waren die iranischen Kunstwerke selten. Auf jeden Fall zeigt der Film ein hochspannendes moralisches Dilemma im heutigen Iran.

Nüchtern erklärt Simin ihre Gründe dem Richter beziehungsweise der Kamera, die sich genau in dessen Position befindet. Sie möchte mit ihrem Ehemann Nader und ihrer Tochter Termeh den Iran verlassen, hat schon die Visa. Doch Nader will seinen an Alzheimer erkrankten Vater nicht zurücklassen und sagt die Reise ab. Simin zieht aus der ehelichen Wohnung aus und kehrt zu ihren Eltern zurück. Die schon recht reif agierende Termeh bleibt beim Vater, um die Eltern wieder zusammen zu bringen. Nader engagiert für die Betreuung des Vaters eine junge Frau in Geldnot. Razieh muss mit ihrer kleineren Tochter zweieinhalb Stunden zum neuen Job reisen, ihr Ehemann darf nichts davon wissen. Als Nader eines Tages nach Hause kommt, findet er seinen Vater fast leblos und angebunden neben seinem Bett. Der wütende Sohn beschuldigt Razieh auch noch des Diebstahls und will sie aus der Wohnung werfen. Die Frau weigert sich, zu gehen, es kommt zu einer - religiös unstatthaften Berührung, irgendwann geht sich doch. Später erfahren Nader und seine Frau von einer Fehlgeburt der entlassenen Pflegerin. Im Krankenhaus attackiert sie deren grober und unsympathischer Mann. Danach klagt er Nader an, eine Kettenreaktion von Schuld und Anschuldigungen beginnt....

Der iranische Regisseur, der 2007 für „About Elly" einen silbernen Bären erhielt, hatte einst im Interview gesagt, er will unter allen Umständen weiterfilmen. So ist die Suche nach der Wahrheit, die genaue Beobachtung der (exzellent gespielten) Menschen und ihrer Motive an sich ein Grund, diesen Film unbedingt zu sehen. Dass selten Sätze fallen wie „Was falsch ist, ist falsch, egal wer es sagt, lässt einen über die schwierige Situation von künstlerischem Widerstand und innerer Immigration nachdenken.

Barneys Version

Kanada, Italien, 2011 (Barney's Version) Regie: Richard J. Lewis mit Paul Giamatti, Dustin Hoffman, Rosamund Pike, Minnie Driver 134 Min. FSK ab 12

Der perfekte, erwachsene Film für alle, die Harry Potter mit Ignoranz und vielen fiesen Schimpfworten bedenken. Und für alle, die Paul Giamatti („Sideways" 2004, „American Splendor" 2003) schätzen. Obwohl diesmal seine Kunst darin besteht, einen Mann fast ohne gute Eigenschaften zu spielen, während um ihn herum die faszinierendsten Figuren glänzen. Neben Dustin Hoffman in einer super Rolle, begeistert Rosamund Pike als perfekte Frau.

Der TV-Produzent Barney Panofsky (Paul Giamatti) hat nicht nur Freunde und in einem Polizisten einen echten Intimfeind. Der hat gar ein Buch über Panofskys Leben und Töten geschrieben. In den Erinnerungen sehen wir den jungen Barney während seiner wilden Jahre in Rom. Ein anständiger Kerl, der seine schwangere Freundin heiratet, ein zu gutherziger Typ, der nicht nur betrogen sondern auch noch reingelegt wird. Die erste von drei Ehen erledigt sich damit rasch, dann lernt der mittlerweile als Spendensammler in der jüdischen Gemeinschaft Montreals aktive Mann eine reiche Braut mit schwierigem Vater kennen. Die zweite Mrs. Panofsky (ungewöhnlich: Minnie Driver) erweist sich als ebenso verliebt wie nervig. Was vielleicht auch daran liegt, dass sich Barney noch während der Hochzeitsfeier unsterblich in Miriam Grant (Rosamund Pike) verliebt. Die bleibt allerdings ernsthaft distanziert - so ziemlich das Gegenteil des saufenden und dauerpaffenden Produzenten erbärmlicher TV-Filmchen. Doch sein beharrliches Werben hat Erfolg als ausgerechnet sein bester Freund Boogie (Hugh Jackman-Double Scott Speedman) mit der noch aktuellen Mrs. Panofsky ins Bett hüpft. Weshalb Boogie danach verschwindet und wie Barney die Liebe Miriams wieder verliert, klärt sich erst spät.. 

Der CSI- Produzent und Regisseur Richard J. Lewis verfilmte Mordecai Richlers gleichnamigen Roman (dt. „Wie Barney es sieht") und gestaltete die Versionen etwas übersichtlicher. So ergibt sich die Biographie einer Witzfigur, und einer tragischen. Aber auf jeden Fall eines „Mensch", wie es jiddisch in einem der vielen Seitenhiebe auf seine Religion heißt. Die Hauptfigur erscheint als charakterliche und persönliche Leerstelle, die nur über eine große Liebe lebt, das gibt dem Leben Panofskys eine reizvolle, bittere Note. Und es lässt Raum für das grandiose Schauspiel von beispielsweise Dustin Hoffmann, der als Vater und Ex-Cop ein Knaller ist. Auch ansonsten wurde alles hervorragend besetzt, bis in die Statisterie, wo die kanadischen Arthouse-Regisseure Atom Egoyan und David Cronenberg kurz Schund-Macher spielen dürfen. Ein gelungener und schöner Erwachsenen-Film wie eigentlich schon die Songs von Nina Simone und Cohen ausweisen.

Swans

BRD, Portugal 2011 Regie: Hugo Vieira da Silva mit Kai Hillebrand, Ralph Herforth, Maria Schuster 126 Min.

Er hatte seine Mutter nie gesehen. Nun liegt sie in der Kälte eines Berliner Krankenhauses und im Koma vor ihm. Der Teenager Manuel (Kai Hillebrand) wuchs mit seinem deutschen Vater Tarso (Ralph Herforth) in Portugal auf und kam mit diesem nur widerwillig in den kühlen Norden. Das distanzierte Verhältnis zum Vater, die Verlorenheit in einer fremden Stadt und die Überforderung angesichts der Todesnähe eines unbekannten Körpers machen den Jungen noch verschlossener. Dass der mit Schlaflosigkeit kämpfende Tarso jeden Abend vor einem Sportsender auf der Couch dahindämmert, befördert die Kommunikation der beiden Männer auch nicht sehr. In Portugal hatte Manuel bereits eine eigene Wohnung, bekam väterlichen Vertrauensvorschuss und finanzielle Förderung für ein künstlerisches Projekt, von dem er nicht erzählen will. Nun hocken beide zusammen in der Wohnung der Mutter. Deren mysteriöse Freundin Kim, eine Stewardess, ist so gut wie nie zu sehen. Dafür im Zimmer geheimnisvolle, sexuelle Accessoires wie Masken und Latex-Anzüge. Sexualität erscheint ebenso wie die Stadt ein fremdes Territorium zu sein. Mehr als Ventil denn als Attitüde lässt sich so auch die HipHop-Szene verstehen, zu der es Manuel zieht. An das nächtliche Skaten, Sprayen und den deutschen Rap kann der entwurzelte und haltlose Junge aus Lisabon andocken

Eine Spray-Aktion führt zur Verhaftung. Tarso muss dem Polizisten eine unkonventionelle familiäre und staatsbürgerliche Situation erklären. Gleichzeitig soll eine esoterisch angehauchte Akupressur Petra (Maria Schuster), die von der konventionellen Medizin aufgegeben wurde, noch erreichen. Und auch Manuel sucht über körperlichen Kontakt Nähe zur fremden Mutter, was heftige Reaktionen hervorruft.

„Swans", der das diesjährige Forum der Berlinale eröffnete, ist ein atmosphärisch kühler, aber auch starker Film über Männer und ihre blockierte Körperlichkeit. Nieman(n)d kann hier seine Gefühle einfach ausdrücken oder Nähe zeigen. „Be tough" steht auf dem Hoodie, dem Kapuzenpullover von Manuel. Der Winter in der Stadt verstärkt das unwirtliche Empfinden. Das plötzliche Koma einer Freundin und die Schwierigkeiten mit diesem Zustand umzugehen, inspirierten Hugo Vieira da Silva ebenso zu diesem Film, wie die Eindrücke beim ersten Berlin-Aufenthalt des Portugiesen. Der körperliche Kontakt zu einem nach medizinischen Kriterien empfindungslosen Wesen verwirrte den Regisseur nachhaltig.

6.7.11

Kleine wahre Lügen

Frankreich 2010 (Les Petits Mouchoirs) Regie: Guillaume Canet mit François Cluzet, Marion Cotillard, Benoît Magimel, Gilles Lellouche 154 Min.

„Freunde", das ist nicht erst seit Facebook ein dehnbarer Begriffe. Um die Welt zwischen „sich verlassen" und „verlassen werden" spannt der bekannte Schauspieler Guillaume Canet als Regisseur in seiner dritten Regie nach „Kein Sterbenswort" (2006) und „Bad, Bad Things" (2002) einen schönen Bogen sommerlicher und komischer Szenen mit anrührendem Tiefgang.

Ludo (Jean Dujardin) wird nach einer heftigen Party auf einer Kreuzung in Paris voll vom Laster erwischt. Dieser schockende Auftakt mit einem verunstalteten Freund auf der Intensivstation wird auch den Urlaub der Gruppe seiner Freunde beeinflussen. Wieder hat der betont großzügige Restaurantbesitzer Max (François Cluzet) ans Cap Ferret geladen. Nach kurzem Überlegen - man könne ja doch nichts für Ludo tun - zieht man die Reisepläne durch.

Doch der Urlaub in traumhafter Dünenlandschaft zeitigt immer wieder Probleme und Reibungen. Ausgerechnet der gönnerhafte Max regt sich an einem wunderbaren Tag in schönster Umgebung über nicht gemähten Rasen auf und nutzt auch die Marder unterm Dach als Auslöser für albern angespanntes Verhalten. Liegt es daran, dass der unglücklich verheiratete und vielleicht schwule Physiotherapeut Vincent (Benoît Magimel) dem gestressten Restaurantchef vorher ein heikles Geständnis machte? In einem der vielen komischen Momente strandet Max bei Ebbe ausgerechnet mit Vincent, den er bislang krampfhaft mied. Sechs Stunden verbringen sie zusammen alleine auf dem Boot, wobei Max beim Versuch abzuhauen, noch seine Hose im Wasser verliert.

Auch noch in die Kategorie Spaß gehören die Verzweiflung vom sich cool gebenden Éric (Gilles Lellouche) und dem nervigen Antoine (Laurent Lafitte) sowie ihre Unfähigkeit, eine Trennung zu akzeptieren. Die dauernd reisende Ethnologin Marie (Marion Cotillard), die mit ihren wechselnden Männer- und Frauen-Nächten viele Herzen gebrochen hat, muss ihrerseits erst einmal eine Verbindung akzeptieren. Kurz - alle Freunde könnten etwas Veränderung gebrauchen. Sie sind hedonistische Menschen, die Partnerschaft locker betrachten und auch offen darüber reden. Dabei gehen sie sehr herzlich und körperlich miteinander um. Berührend ist der uneingeschränkte Zusammenhalt einer Gruppe, bei der jeder ziemlich viel Blödsinn anstellt. Aber auch erschreckend, dass sie meinen, ja doch nichts für Ludo tun zu können und einen Monat lang ans Meer fahren.

Aus kleinen Liebesdramen, albernen und sehr menschlichen Geschichten entwickelt Autor und Regisseur Guillaume Canet ein Panorama des Lebens, das zu sehr mit der eigenen kleinen Welt beschäftigt ist, um sich um einen schwerkranken Freund zu kümmern. Im Reisegepäck der Freunde sind lauter Lügen, wie ihnen ein unbestechlicher lokaler Seemann vorhält. „Kleine wahre Lügen" lässt sich Zeit für den leichten Spaß, ein paar Geständnisse und sehr emotionale Momente. Ein großer Film voller Leben und guter Gedanken über das, was wirklich wichtig ist, ähnlich wie „Wer mich liebt, nimmt den Zug" von Patrice Chéreau (1998).

Die „Lügen" begeistern mit einem enorm eindrucksvollen Ensemble, berührend schönen Songs, hervorragend in Szene gesetzt und von der Kamera Christophe Offensteins eingefangen. Allein das Wiedersehen mit Marion Cotillard („Inception", „La vie en rose", „Mathilde - Eine große Liebe") lohnt. Guillaume Canet ist vor allem als Schauspieler bekannt, er stand bei „Zusammen ist man weniger allein" (2007), „Merry Christmas" (2005) oder „The Beach" (1999) in der ersten Reihe.

5.7.11

Willkommen in Cedar Rapids

USA 2011 (Cedar Rapids) Regie: Miguel Arteta mit Ed Helms, John C. Reilly, Anne Heche, Sigourney Weaver 87 Min. FSK ab 12

„Cedar Rapids" stellt neben „Company Men" noch so eine Ansammlung von Americana dar, deren einziger Sinn das amüsierte Betrachten des seltsamen Verhaltens seltsamer Amerikaner zu sein scheint. Unsere Exemplare der untersuchten Spezies sind eigentlich aus dem Paarungs-Alter herausgewachsen. Sie ernähren sich davon, anderen Leuten Geld abzunehmen und ihnen etwas Metaphysisches namens „Versicherung" aufzuschwatzen. Hier erleben wir eine geballte Ansammlung von Versicherungsvertretern bei einem jährlichen Kongress. Besonders seltsam - oder noch halbwegs normal? - verhält sich der junge Tim Lippe (Ed Helms). Er durfte kommen, weil der Superstar seiner Agentur erhängt aufgefunden wurde. Ob Sex-Unfall oder Selbstmord ist nur für Außenstehende ein Rätsel. Tim, der langweile Nerd, teilt sein Hotelzimmer mit gleich zwei der schlimmsten Kongress-Kings.

Hier teilt man sich auch Toilette und Verdauungsdetails, denn viel von seinem Humor gewinnt „Cedar Rapids" aus der Verletzung typisch amerikanischer (Körper-) Distanz. Da häufen sich Fremdschäm-Momente wie eine Nacktumarmung durch den Präsidenten des Versicherungs-Verbandes, überhaupt gleicht die Talentshow dieses Vereins einer Zusammenballung von Peinlichkeiten. Tim, für den Versicherungs-Vertreter noch Helden sind, die im Schadensfall für die Kunden kämpfen, muss einiges lernen, eine Crack-Party überleben und sich von seiner älteren, strengen Geliebten (Sigourney Weaver) emanzipieren. All dies Gehabe ist eine Weile erträglich, weil sich hier jemand entwickelt. Aber mal ehrlich: Wer will wirklich die Innenansicht irgendeiner Konferenz kleiner Geister sehen? Wenn sie nicht wirklich böse durch den Kakao gezogen wird? Dieser Film ist wie Tim: Auf den ersten Blick ziemlich abschreckend, aber selbstverständlich hat er ein gutes Herz und trägt extrem unattraktiven Schießer-Feinripp beim nächtlichen Ausflug in den Pool.

John C. Reilly ist großartig mit gegeltem Haar und Anzug: Laut und peinlich, herrlich verrückt mit Mülltonnen-Deckel als Helm. Die Musik von (Christophe) Beck ist wieder eher unauffällig. Anne Heche verkörpert als Frau das Prinzip all dieser tragischen Gestalten, einmal im Jahr den Alltag zu fliehen, der sie anödet. Dass sich im märchenhaften Happy End Loyalität und gute Arbeit auszahlen, verdirbt direkt den mäßigen Spaß dieser seltsamen Americana.

4.7.11

Was du nicht siehst

BRD 2009 Regie: Wolfgang Fischer mit Ludwig Trepte, Frederick Lau, Alice Dwyer, Bibiana Beglau 89 Min.

Der Frankreich-Urlaub des 17-jährige Anton mit seiner Mutter Luzia und deren Liebhaber Paul entwickelt sich durch die Begegnung mit einem provokanten und mysteriösen Pärchen zu einem Thriller zwischen äußeren Bedrohungen und inneren Verführungen. Das Spielfilm-Debüt von Wolfgang Fischer gefällt durch ausgeprägten Stil und seine dichte Atmosphäre.

Das Auto komprimiert auf französischen Landstraßen Erwartungen und andere Gefühle der kleinen Patchwork-Familie auf dem Weg in den Urlaub. Luzia will mit dem fast erwachsenen Sohn Anton noch einmal gemeinsam in die Ferien. Dabei tragen beide schwer am plötzlichen Tod von Ehemann beziehungsweise Vater. Luzias neuer Freund Paul wird von Anton ebenso skeptisch betrachtet, wie der große schwarze Hund, den der Neue mitbringt. Dann fliegt aus Versehen der Zigarettenanzünder aus dem Autofenster und bleibt gefährlich in Großaufnahme vor der Kamera liegen. Ein mit vielen Reizen aufgeladenes Psycho-Spiel deutet sich an.

Die schicke Ferienwohnung im Pinienwald verspricht Ruhe und Klarheit. Mit Blick aufs Meer ist sie an den Außenwänden komplett verglast. Nur ein innerer Kern lässt sich nicht durchschauen. Eine Situation, die vor allem nachts nach anonymen Anrufen immer bedrohlicher wird. Doch auch Anton lugt heimlich durch die Gardinen auf ein schlafendes Paar nebenan. Er lernt die Deutschen David und Katja bei einer Reihe ungewöhnlicher Treffen kennen. Mal als verführerische Frau im Pool. Mal beim erschreckend brutalen Auftreten Davids gegenüber aggressiven französischen Jugendlichen. Zu dritt erleben sie einen Pilztrip im benebelten Wald, zwischen Spiel und Ernst wirft man sich in einen Teich und Anton darf den beiden, die sich auch mal als verwaiste Geschwister ausgeben, bei sehr feuchten Küssen (neu-) gierig zuschauen.

Der - vielleicht etwas zu alt gecastete - Protagonist Anton steht zwischen naivem Kind, das in alten Urlaubserinnerungen mit der behütenden Mutter schwelgt, und einem (erstaunlich) unerfahrenen Jugendlichen, der eine verführerische, aber auch scheinbar gefährliche Art des Lebens ohne Eltern entdeckt. Ein Hauch von Rebellion gegen das Etablierte, gegen „die Familie" lebt hier direkt nebenan. Eine reizvolle Alternative zum schwierigen Arrangieren mit Mutters Neuem. Anton verliert sich im immer weiter verschwimmenden Wechsel zwischen Surrealem und klaren Ereignissen. Nicht alles ist eindeutig einzuordnen, doch das angedeutete Untergehen wird im dramatischen Finale wohl tödlicher Ernst.

Wolfgang Fischer, der Film und Video an der Kunstakademie in Düsseldorf und auch an der Kunsthochschule für Medien Köln studierte, wollte mit seinen Spielfilm-Debüt „Was du nicht siehst" einen „sehr archaischen und emotionalen Film (...) voller dunkler und rätselhafter Momente" realisieren. Das ist ihm mit einen deutlichen Stil, mit eindringlicher Atmosphäre, perfekten Sets und guter Schauspielführung durchaus gelungen.

Company Men

USA, Großbritannien 2010 (The Company Men) Regie: John Wells mit Ben Affleck, Tommy Lee Jones, Chris Cooper, Kevin Costner 104 Min.

Wieder werden Stars arbeitslos: Nach Tom Hanks in der - Ben Affleck gegen die Identitätskrise, keinen Job mehr zu haben. Regisseur und Autor John Wells hat die Situationen genau geschildert und gut zum Einfühlen dargeboten, doch der in Ansätzen analytisch gelungene Film wird einem Schema amerikanischen Filmemachens und der Fixierung auf die Starrollen geopfert.

Stillleben großen Überflusses laufen unter dem Vorspann. Satt und strahlend verbreitet auch Bobby Walker (Ben Affleck) seinen morgentlichen Golf-Score, während alle entsetzt bereits von den Massen-Entlassungen wissen. Ein paar Tausend werden beim Werften- und Transport-Konzern „gehengelassen", wie es amerikanisch euphemisiert wird. Der Exodus der gefeuerten Menschen mit ihrem Kartons persönlicher Sachen zu den Luxuswagen auf dem Firmenparkplatz hat fast was Apokalyptisches. Es ist Rezession, „wir arbeiten jetzt für die Aktionäre" kommentiert der Firmen-Boss Salinger (Craig T. Nelson), der sich jährlich ein paar Hundert Millionen leistet und den Laden schlanksparen will, um beim großen Ausverkauf mehr Reibach zu machen. Die überlebende Hälfte soll noch härter arbeiten und den Kindern sagen, sie hätten jetzt zwar gar keine Zeit mehr, aber noch einen Job.

Die Kündigung bekommt auch das 60-jährige Firmen-Urgestein Phil Woodward (Chris Cooper ) und schließlich sogar der älteste Freund und Studiengenosse des Bosses, der Aufsichtsrätler Gene McClary (Tommy Lee Jones ). Vor allem Walker will seinen Status, den Porsche und das Golfen nicht verlieren. Er weigert sich, den Realitäten ins Auge zu sehen, will auch keinen Job beim Schwager, der als Zimmermann Häuser baut und dabei sogar manchmal draufzahlt. Hier hören wir von der altmodischen moralischen Instanz Kevin Costner erstmals das Loblieb auf ehrliche Arbeit als Gegensatz zu den obszön hohen Löhnen der unfähigen Manager.

Die Stars spielen engagiert ernsthaft, die Kamera von Roger Deakins erstellt fast zu gute Bilder, auch die Musik von Aaron Zigman gefällt. Trotz einiger Qualitäten bleibt es aber fraglich, ob die „Company Men" in deutschen Kinos gefragt sein werden. Der wesentlich spannendere und systematisch komplexere „Margin Call" lief bei der Berlinale und seitdem nicht mehr oft. Michael Moore legt in seinen Film den anklagenden Finger wirklich in die Wunde und macht noch Spaß dabei. Von den britischen Sozialkomödien ganz zu schweigen!

Während Wells noch sehr gut die Verzweiflung der gerade noch so stattlichen Erfolgs-Männer einfängt, zeigt er weder Weg noch Widerstand gegen die Finanz-Gewinnler, Heuschrecken und millionenschweren Schlipsträger auf. Er vergisst in seiner dramatischen Konzentration auf die Hauptfiguren selbst, dass es auch noch andere Dinge im Leben gibt - Familie, Freunde, Hobby. Das sehr naive Happy End will auf den Ruinen der guten, alten Zeiten wieder echte Werte schaffen

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