2.5.11

Mitten im Sturm

BRD, Belgien, Frankreich, Polen 2009 (Within the whirlwind) Regie: Marleen Gorris mit Emily Watson, Ulrich Tukur, Ian Hart, Benjamin Sadler, Agata Buzek 100 Min.

Die niederländische Oscar-Preisträgerin Marleen Gorris („Antonia") verfilmte die autobiographische Leidensgeschichte der jüdischen Literatur-Professorin Eugenia Ginzburg, die 18 Jahre im sibirischen Gulag verbrachte. Der Ausschnitt aus einem Leben unter brutalem Staatsterror wird durch Emily Watsons ergreifendes Spiel nachfühlbar. Ein schauriger Einblick in eine ferne Lagerwelt, in der die Poesie Ginzburg beim Überleben half.

1937 erfüllen begeisterte Hymnen auf Russland die Hörsäle der Universität von Kasan, der Hauptstadt der autonomen sozialistischen Sowjetrepublik Tatarstan. Eugenia Ginzburg leitet energisch und leidenschaftlich ihre Literaturklassen, besucht als gutes Parteimitglied auch die Bauern, um ein politisches Attentat zu verdammen. Doch der Stalinismus schnürt mit der Geheimpolizei NKWD seinen Griff immer enger ums Leben. Ein Kollege wird verhaftet. Auch in die wohlhabende Intellektuellen-Familie der Eugenia Ginzburg schleicht sich die Angst. Während sich die selbstsichere Frau der absurden Logik politischer Verurteilungen widersetzt, bettelt ihr ängstlicher Mann im voraus eilenden Gehorsam um Gnade. Dann verleumdet ein Neider sie, die Masse der kriechenden und sich selbst bezichtigenden Mitarbeiter klatscht dazu Applaus. In der eisigen Zelle der Untersuchungshaft, wird die energische Frau bei höhnischen Verhören, angesichts von Verrat, Lüge und Meineid zu einem blassen Niemand mit einem Rest von unzerstörbarem, eigenem Willen. Die Verurteilung läuft als eine Farce in wenigen Minuten ab, trotz Ginzburgs klaren Gegenfragen und eines Alibis. Halb weinend und lachend begreift Eugenia, dass es kein Todesurteil wurde, sondern nur 10 Jahre Sibirien. Im Güterwagen geht es in den Osten, ein schwer fassbares Grauen beginnt.

Im Lager Kolyma, im Osten der Sowjetunion, müssen die Gefangenen schwerste Arbeiten in extremen Minustemperaturen verrichten. Die Nahrung ist kärglich, die Frauen sind den Brutalitäten der Soldaten ausgeliefert, aber auch der eigenen Hackordnung, in der Intellektuelle wie Ginzburg ganz unten stehen. Durch das Nacherzählen des Oblomow-Romans des russischen Dichters Iwan Alexandrowitsch Gontscharow (1812–1891) verschafft sie sich etwas Ansehen. Diese heftigen Frauen- und Gefangenenschicksale werden von Marleen Gorris, der Regisseurin starker Frauen, trotz Vergewaltigung durch die Wachen, trotz Selbstmorden und Tod durch Erfrieren im Vergleich zum kaum vorstellbaren wahren Grauen relativ harmlos dargestellt. Darin liegt auch eine Stärke des Films, der Schrecken erahnen lässt, ohne sein Publikum selbst abzuschrecken.

Während die Kleidung anfangs noch die darstellerischen Fähigkeiten Emily Watsons („Breaking the Waves") verdeckt, spielt sie in Lumpen und Baracken groß tragisch auf. Auch in anderen Szenen gelingt es Gorris („Lushins Verteidigung", „Mrs. Dalloway", „Antonias Welt") die Gefühlswelten ihrer Protagonistin indirekt zu vermitteln: In den poetischsten Momenten findet Eugenia immer wieder mitten im eisigen Grau Sibiriens die lila verpackte Bonbons des geliebten Sohnes Alyosha in ihrer Jacke. So ist „Mitten im Sturm" zwar auch ein „Gulag-Film" wie „The Way Back - Der lange Weg", rückt aber das innere Erleben ins Zentrum, während sich Peter Weirs Film als Flucht-Abenteuer mit der harschen Außenwelt anlegt.