28.2.11

Der Adler der Neunten Legion

Der Adler der Neunten Legion

GB, USA 2010 (The Eagle) Regie: Kevin MacDonald mit Channing Tatum, Jamie Bell, Mark Strong, Donald Sutherland 114 Min.

Die Neunte. Darunter verstand man bei den alten Römern scheinbar noch keine Sinfonie, sondern das schmähliche Verschwinden der 9. Legion in Nordbritannien 120 Jahre nach Beginn unserer Zeitrechnung. Als Marcus Aquila (Channing Tatum), der Sohn des damaligen Heerführers seinen Posten am Hadrianswall übernimmt, will er unbedingt die Ehre der Familie und der Römer widerherstellen. In ersten Schlachten mit bärtigen Gegnern (Islamisten? Nein: britische Druiden!) wird Marcus zum Held und wegen seiner Verletzungen direkt in den Ruhestand versetzt. Doch mit dem eingeborenen Sklaven Esca (Jamie Bell, der „Billy Elliot") wagt sich Marcus nördlich des Walls, wo angeblich kein Römer überleben kann, um die Standarte der Adler wiederzufinden...

Hier, in der neuen Welt wandelt sich das redlich inszenierte, exzellent gefilmte (Kamera: Anthony Dod Mantle) aber in der Hauptrolle von Channing Tatum schwach gespielte Sandalen-Filmchen. Wogen vorher ein paar intensive Kampfszenen die ärgerliche Propaganda eines gläubigen und ehrsüchtigen Kriegers, der unzivilisierten Horden (Bin Laden? Taliban?) gegenübertritt, kaum auf, findet nun ein leichter Wechsel der Perspektive statt: Die wilden Völker Britanniens werden unterscheidbar und erhalten eigene Sprachen mit Untertiteln. Da gibt es die nackten Wilden Krieger mit ihren Ganzkörper-Tattoos. Und auch einfache Bauern. Zwar ist die Verdrehung geradezu absurd, dass die alten Englänger fremde Dialekte bekommen, während die alten Italiener fließend English reden! (Während es heutzutage sinnvoll ist, dass die Amerikaner römische Eroberer spielen und die Briten Eroberte.) Doch vor allem der Seehund-Clan wirkt viel faszinierender als das ganze Römer-Geschepper vorher: Jäger, die mit Fellen bekleidet und mit grau angemalter Haut an schottischen Küsten leben.

Hier entdeckt Marcus die goldene Adler-Standarte und erkennt, dass sein Sklave und Begleiter Esca von diesem Volk stammt. Hier erfährt der Römer Freundschaft von einem, der von feindlichen Soldaten Mord, Vergewaltigung und Folter erfahren hat. Hier sagt einer der angeblichen Barbaren, man würde Gefangene menschlich behandeln, nicht wie bei den Römern. An diesem Ort hat der Film auch seine stärksten Momente, ein nächtliches, rituelles Fest hebt sich vom ansonsten braven Erzählgestus ab. Aber die Ernüchterung folgt bald. Marcus dankt die anständige Behandlung mit Morden und Schlachten, raubt den Gold-Adler und flieht. Allerdings rettet ihn nur die Hilfe vom Verräter Esca. Nun werden auch noch die Legions-Pensionäre der Neunten aus dem Wald gescheucht, um der „Ehre" noch mehr Menschen-Opfer zu bringen. Je mehr sich der Film wieder dem Hadrianswall als Grenze der „Zivilisation" nähert, desto übler verfällt er wieder dem Glorifizieren überkommener Ideale. Marcus darf als Protagonist herrisch dumm glänzen und erschreckend gnadenlos Kehlen - auch von Kindern - durchschneiden. Das berufliche Töten fürs Vaterland erhält hier keine posttraumatische Behandlung sondern ein unglaubwürdiges männerbündlerisches Happy-End. Die Romanvorlage von Rosemary Sutcliff (1920 - 1992) wurde von großen, durchaus talentierten Jungs, die mal einen echten Sandalen-Film machen wollten, ohne großes Nachdenken über den Sinn ihres Handelns ausgeschlachtet.

Unknown Identity

BRD, Großbritannien, Frankreich 2011 (Unknown Identity) Regie: Jaume Collet-Serra mit Liam Neeson, Diane Kruger, January Jones, Aidan Quinn, Bruno Ganz 111 Min

„Unknown Identity" ist ein mäßiger Action-Film, der trotz Hauptdarsteller Liam Neeson wohl nur auf DVD rauskäme, wenn man ihm nicht schon längst 4.778.860 € an deutschen (Steuer-) Geldern nachgeschmissen hätte! Das sind fast fünf Millionen Euro!

Dem DFFF (Deutscher Filmförderfonds) war das Autozerdeppern auf Berliner Straßen 4.208.860 € Steuergeld wert. Das Medienboard Berlin-Brandenburg legte noch einmal 450.000 € drauf - das Studio Babelsberg musste ja als Koproduzent beschäftigt werden! Dann gab es von der FFA - also von den Kinokarten - auch noch 120.000 € Verleihförderung und Medialeistungen! Als wenn man dem Film trotz Hofierung bei der Berlinale immer noch nicht zutraut, aus eigenem Vermögen ein wenig Kasse zu machen! Wenn Sie also meinen, irgendwer hätte gesagt, der Film sei doch ganz gut. Das haben vielleicht die 120.000 € gesagt!

Ansonsten, ist „Unknown Identity" wie der Titel schon sagt, eine wesentlich schwächere Ausgabe von „Born Identity": Ein Killer entdeckt, wer er eigentlich ist, und rächt sich an seinen Auftraggebern. Damit das Plagiat nicht sofort entdeckt wird, gibt es in Berlin ein Ablenkungsmanöver: Dr. Martin Harris (Liam Neeson) kommt mit seiner Frau Liz an, liefert diese im Hotel Adlon ab, um darauf hin noch mal ins Taxi zu steigen - ein Koffer wurde am Flughafen vergessen. Nach einem schweren Unfall rettet die Taxifahrerin Gina (Diane Kruger) den Doktor aus der Spree, Tage später erwacht Harris aus dem Koma, fährt zu seiner Frau, doch ein anderer hat schon seinen Platz bei ihr und beim hochrangigen Biotechnologie-Kongress eingenommen. Harris ist klug genug, seine Verwunderung zu verbergen, bald ist ein Killer auf seinen Fersen und nur Gina kann ihm weiterhelfen. Der Rest ist - wie gesagt - „Bourne Identity" im Schnelldurchgang, eine Menge Schrott bei Verfolgungsjagden auf Berliner Straßen und im Drehbuch. Zum Schluss wird auch noch das Adlon in die Luft gejagt, ein wunderbares Sinnbild für das Verheizen von Steuergeldern.

Am Anfang hofft man, „Unknown Identity" könnte die Berliner Version von Polanskis Paris-Thriller „Frantic" werden. Doch weder die wegen Vorhersehbarem schwache Spannung noch die sedierte Action erreichen dessen Niveau. Jaume Collet-Serras Mainstream-Debüt nach zwei mal Horror und einmal Fußball-Horror („Goal 2") fällt mehrfach enttäuschend aus. Liam Neeson ist ein Schatten seiner selbst, Kruger, die demnächst in „Barfuss auf Nacktschnecken" zeigt, dass sie doch schauspielern kann, macht hier wie üblich wenig aus ihrer Rolle. Sie brauchte es in Kollaboration mit einem schlechten Drehbuch sogar auf die peinlichsten Sätze der letzten Berlinale, die ihrer Figur irgendeine traumatische Vergangenheit anhängen sollen. Auffällig und gut ist nur Bruno Ganz als verschmitzter und sarkastischer Stasi-Agent Jürgen, dessen alte Seilschaften schnell für Klarsicht sorgen.

Big Mama's Haus - Die doppelte Portion

USA 2011 (Big Momma's: Like Father, Like Son) Regie: John Whitesell mit Martin Lawrence, Brandon T. Jackson, Jessica Lucas 106 Min. FSK ab 6

„Big Mama 3" hat als Krimi die Spannung und Originalität einer Nachmittags-Serie, doch dieser völlig unansehbare Film tritt bald zur Seite für noch Schlimmeres: Martin Lawrence, der nie wirklich komische Eddie Murphy-Ersatz,  zieht wieder ein Gummi-Kostüm an. Damit keiner merkt, dass niemand was Neues eingefallen ist, wird noch ein untalentierter Jungschauspieler in Kostüme gesteckt.

FBI Agent Malcolm Turner (Martin Lawrence) will ganz allein nächtens eine Russenbande mit einem Spitzel überführen. Dass lächerlich versteckte Mikro fällt auf, der Spitzel ist tot und Malcolms Stiefsohn Trent (Brandon T. Jackson) hat alles gesehen. In ebenso durchsichtigen Kostümen verstecken sich nun Stiefpapa und rebellischer Zögling im Mädchen-Internat. Sie hätten sich auch im Bart einwickeln können, den dieser Witz schon hat. 

Malcolm verhält sich nicht wie ein FBI-Agent, der Sohn nicht wie ein Jugendlicher mit Gehirn, aber komisch soll dieses dahingeschlampte Filmchen trotzdem sein. Lächerlich ist nur, wenn Papa nicht will, dass sein fast 18-jähriger Sohn eine nackte Frau sieht. „Big Mama 3" beschäftigt sich vor allem - und gewinnt den größten Teil seiner Scherze - aus der Verklemmtheit im Umgang der Geschlechter miteinander. Dieser ist ein einem Land, das Fünfjährige wegen eines Kusses im Kindergarten verhaftet, mindestens mittelalterlich. So sind auch die Scherze. Vorpubertär. Vorevolutionär. 

27.2.11

Unknown Identity

 BRD, Großbritannien, Frankreich 2011 (Unknown Identity) Regie: Jaume Collet-Serra mit Liam Neeson, Diane Kruger, January Jones, Aidan Quinn, Bruno Ganz 111 Min

 „Unknown Identity" ist ein mäßiger Action-Film, der trotz Hauptdarsteller Liam Neeson wohl nur auf DVD rauskäme, wenn man ihm nicht schon längst 4.778.860 € an deutschen (Steuer-) Geldern nachgeschmissen hätte! Das sind fast fünf Millionen Euro!

 Dem DFFF (Deutscher Filmförderfonds) war das Autozerdeppern auf Berliner Straßen 4.208.860 € Steuergeld wert. Das Medienboard Berlin-Brandenburg legte noch einmal 450.000 € drauf - das Studio Babelsberg musste ja als Koproduzent beschäftigt werden! Dann gab es von der FFA - also von den Kinokarten - auch noch 120.000 € Verleihförderung! Als wenn man dem Film trotz Hofierung bei der Berlinale immer noch nicht zutraut, aus eigenem Vermögen ein wenig Kasse zu machen! Wenn Sie also meinen, irgendwer hätte gesagt, der Film sei doch ganz gut. Das haben vielleicht die 120.000 € gesagt!

 Ansonsten, ist „Unknown Identity" wie der Titel schon sagt, eine wesentlich schwächere Ausgabe „Born Identity". Ein Killer entdeckt, wer er eigentlich ist und rächt sich an seinen Auftraggebern. Damit das Plagiat nicht sofort entdeckt wird, gibt es in Berlin ein Ablenkungsmanöver: Dr. Martin Harris (Liam Neeson) kommt mit seiner Frau Liz an, liefert diese im Hotel Adlon ab, um darauf hin noch mal ins Taxi zu steigen - ein Koffer wurde am Flughafen vergessen. Nach einem schweren Unfall rettet ihn die Taxifahrerin Gina (Diane Kruger) aus der Spree, Tage später erwacht Harris aus dem Koma, fährt zu seiner Frau, doch ein anderer hat schon seinen Platz bei ihr und beim hochrangigen Biotechnologie-Kongress eingenommen. Harris ist klug genug, seine Verwunderung zu verbergen, bald ist ein Killer auf seinen Fersen und nur Gina kann ihm weiterhelfen. Der Rest ist - wie gesagt - „Bourne Identity" im Schnelldurchgang, eine Menge Schrott bei Verfolgungsjagden auf Berliner Straßen und im Drehbuch. Zum Schluss wird auch noch das Adlon in die Luft gejagt, ein wunderbares Sinnbild für das Verheizen von Steuergeldern.

 Am Anfang hofft man, „Unknown Identity" könnte die Berliner Version von Polanskis Paris-Thriller „Frantic" werden. Doch weder die vorhersehbare Spannung noch die sedierte Action erreichen dessen Niveau. Aber Jaume Collet-Serras Mainstream-Debüt nach zwei mal Horror und einmal Fußball-Horror („Goal") fällt mehrfach enttäuschend aus. Liam Neeson ist ein Schatten seiner selbst, Kruger, die demnächst in „Barfuss auf Nacktschnecken" zeigt, dass sie doch schauspielern kann, macht hier erwartet wenig aus ihrer Rolle. Sie brauchte es in Kollaboration mit einem schlechten Drehbuch sogar auf die peinlichsten Sätze der letzten Berlinale, die ihrer Figur irgendeine traumatische Vergangenheit anhängen sollen. Auffällig und gut ist nur Bruno Ganz als verschmitzter und sarkastischer Stasi-Agent Jürgen, dessen alte Seilschaften schnell für Klarsicht sorgen.

22.2.11

Jack in Love

USA 2010 (Jack Goes Boating) Regie: Philip Seymour Hoffman mit Philip Seymour Hoffman, Amy Ryan, John Ortiz, Daphne Rubin-Vega 91 Min. FSK ab 12

Indem er den Broadway-Hit „Jack Goes Boating" (von Bob Glaudini) in seinem Regiedebüt mit fast der kompletten Besetzung auf die Leinwand brachte, gelang Philip Seymour Hoffman eine Komödie, wie sie Woody Allen in seinen ruhigsten Momenten machen würde: Jack (Philip Seymour Hoffman) und Connie (Amy Ryan) haben sich bei einer Single-Zusammenführung kennengelernt. Die erste Begegnung ist eine komplette medizinische Fallstudie auf ihrer Seite. Bei ihm meist Schweigen. Beide sind nicht sehr kommunikativ, dazu ziemlich unsicher. Ein Küsschen auf die Wange zum Abschied lässt ihn auf mehr hoffen, aber man wartet auf den Sommer. Dann könnte man ja mal Boot fahren. Jack stimmt mitten im New Yorker Winter zu, dabei hat er Angst vor dem Wasser. Später wird er ein gemeinsames Essen vorschlagen, sie meint, er wolle für sie kochen und ist völlig gerührt. Nun muss Jack nicht nur Schwimmen, sondern auch noch Kochen lernen.

Jack trägt seine Strickmütze sogar beim Essen, nur beim Schwimmunterricht wird sie durch die Bademütze ersetzt. Er lebt fast schon autistisch in seiner kleinen Welt, bekommt zwar mit, wie sich die Beziehung der aufopferungsvollen Freunde auflöst, hilft ihnen aber nicht.

„Jack in Love" - wer hat sich bloß wieder diesen Titel aus dem müden Hirn gedrückt? - ist ein toll gespieltes Stück mit mehr Stimmung als Handlung. Allen voran erfreut Philip Seymour Hoffman, dem man immer gerne zuschaut, auch wenn er wie hier das erste Mal gleich gekonnt Regie führt. Doch man merkt dem bis auf schöne Visionen Jacks recht statischen „Jack in Love" doch die Herkunft von der Bühne an. Es bleiben ein paar wunderschöne Lieder, einige schräge Situatiionen und berührende Momente der Empfindsamkeit, die nichts von der verlogenen Perfektion einer Bigger-than-life-Romantik aus Hollywood-Filmen hat.

The Green Wave

BRD 2010 Regie: Ali Samadi Ahadi mit Pegah Ferydoni , Navid Akhavan 82 Min.

Selten kam ein Film zeitlich perfekter in die Kinos: Ein paar Tage nach dem Berlinale-Erfolg des iranischen Films „Nader And Simin, A Separation" von Asghar Farhadi dokumentiert „The Green Wave" erschütternd und künstlerisch sehr gelungen die Grüne Revolution Irans, die Mutter all der Aufstände, die jetzt Nordafrika und Arabische Emirate in Unruhe stürzen.

„The Green Wave" lässt chronologisch noch einmal die Ereignisse vor und nach der Präsidentenwahl vom 12. Juni 2009 ablaufen. In den authentischen Stellungnahmen von Menschen, die bei der Grünen Revolution dabei waren, lebt noch einmal all die Leidenschaft und Hoffnung auf, die große Teile des iranischen Volkes bewegte. Doch in Originalaufnahmen von brutal niedergeschlagenen Protesten stirbt auch der Traum einer freieren Gesellschaft. Um Stellungnahmen von Krankenschwestern und Folteropfern zu anonymisieren sowie deren schreckliche Erlebnisse darzustellen, fügte Regisseur und Autor Ali Samadi Ahadi kunstvolle Animationen (vom Künstler Ali Reza Darvish) ein. Ein Verfahren, dass auch in „Waltz With Bashir" verfremdend und verstärkend wirkte.

Wie Bahman Ghobadis „Persische Katzen" und Hana Makhmalbafs „Green Days" ist auch „The Green Wave" ein stark berührender Film zum Traum eines anderen Irans. Der aus dem Iran stammende und seit seinem 12. Lebensjahr in Deutschland lebende Regisseur Ali Samadi Ahadi hatte vorher mit der Komödie „Salami Aleikum" (2008) und dem Dokumentarfilm „Lost Children - Verlorene Kinder" (2005) sehr positiv auf sich aufmerksam gemacht.

Meine erfundene Frau

 

USA 2011 (Just Go With It) Regie: Dennis Dugan mit Adam Sandler, Jennifer Aniston, Nick Swardson , Brooklyn Decker 116 Min.

 

Danny Maccabee (Adam Sandler) ist als Schönheits-Chirurg in Los Angeles Spezialist für die Oberfläche und Oberflächliches. Mit einem falschen Ehering und der erfundenen Geschichte seiner verpfuschten Ehe schleppt er reihenweise Frauen für eine Nacht ab. Der Ring, sie alle sie rumzukriegen, ist auch eine Versicherung, dass nicht mehr draus wird. Dann kommt Palmer Dodge (Brooklyn Decker), die Frau, die nach einer Nacht am Strand ganz sicher die richtige sein soll. Die Romantik zwischen den beiden funktioniert wie der ganze Film - gar nicht.

 

Als Palmer den unbenutzten Ring findet, windet Danny sich mit einer noch bescheuerteren Lüge heraus - nun muss er eine Ehe im Endstadium vortäuschen. Hilfreich auch dabei ist seine Sprechstunden-Hilfe Katherine Murphy (Jennifer Aniston), die sich frisch eingekleidet und extrem affektiert als Noch-Ehefrau aufspielt. Sie übertreibt ihre Rolle so sehr, dass auch noch zwei Kinder in das Spiel mit gezinkten Heiratsurkunden einbezogen werden. Ins Gepäck einer Kennenlern-Reise nach Hawaii kommt zudem der peinliche Freund Eddie (Nick Swardson), der einen Deutsch-Amerikaner faselt.

 

Selbstverständlich ist Jennifer Aniston als Sprechstundenhilfe Katherine Murphy die eigentlich Richtige für Danny. Der Film schwenkt völlig unauffällig seine Aufmerksamkeit von einem schauspielerischen Niemand (Decker) zu einer schauspielerischen Null mit TV-Star-Status (Aniston). Mit der klassischen Shopping-Montage des Büro-Mäuschens, das mit Hilfe von nur ein paar Tausend Dollar an Accessoires attraktiv wird. Ein äußerst raffinierter Schwenk - für ein Kindergarten-Publikum.

 

Dies arg verbogene Gerüst aus „Die Kaktusblüte" mit Walter Matthau und Ingrid Bergman wird von Sandlers Standard-Regisseur Dennis Dugan mit typisch Infantilem aufgepeppt: Der Ulk einer Frau, deren Augenbraue nach verpfuschter Schönheits-OP mit dem Haaransatz konkurriert. Dann ein paar Scherze um eine Penisverlängerung und überhaupt das Wartezimmer voller Monstrositäten aus der Ärztefehler-Abteilung der Schönheits-Chirurgen. Oder eine rabiate Schaf-Wiederbelebung - haha!

 

Adam Sandler kann gut rumalbern und sogar schauspielern. Auch wenn viel von seinem Talent in der Synchronisation flachfällt. Seine Partnerin - der Name glitt an der glatten Oberfläche ab - wirkt wie ein dreidimensionaler Werbeaufsteller in Blond für die Pubertierenden-Zielgruppe. Nicole Kidman begab sich für einen Dreh in Hawaii auf das Niveau der anderen Blondchen und ist lustig, weil sie ein paar Häschen-Zähne angeklebt bekam. Alle zusammen schaffen es tatsächlich, Jennifer Aniston so witzig wie noch nie in ihrer verzweifelten Leinwandkarriere aussehen zu lassen. Wobei dieser Minimal-Gewinn tragisch mit der totalen Peinlichkeit von Kidman bezahlt werden muss. Erwähnenswert sind noch die Werbeeinblendungen für einen Touri-Bunker auf Hawaii und auch die Musik betätigt sich kräftig an der Angleichung auf das kleinste gemeinsame Niveau. Die „Mash-Ups" aus zwei bekannten Stücken zu einem, passt perfekt zu diesem Mischmasch aus bekannten Versatzstücken zu irgendwas neuem Unnötigen.

21.2.11

True Grit

 

USA 2010 (True Grit) Regie: Ethan Coen, Joel Coen mit Jeff Bridges, Hailee Steinfeld, Matt Damon, Josh Brolin 110 Min. FSK ab 12

 

Der Dude macht den Duke

 

Angestaubt sind Western nicht nur, weil das klassische Genre seine Helden und Pferde gern mit Feinkörnigem bepudert. Das Genre ist aus der Mode. Und auch „True Grit" stellte einen Rückgriff dar - auf den John Wayne-Klassiker „Der Marshal" aus dem Jahre 1969. Als Film an sich ist der neue „Coen" trotzdem pures Vergnügen! Jeff Bridges („Big Lebowski", „Männer die auf Ziegen starren") und Matt Damon („Der Informant!", „Hereafter") konkurrieren in den Hauptrollen mit dem edlem Filmhandwerk der Coen-Brüder. Ihren bislang konventionellsten Film erzählen die texanischen Brüder erstmals komplett chronologisch. Wie sich ein junges, sehr resolutes Mädchen aufmacht, um den Tod ihres Vaters zu rächen, dabei aber ausgerechnet auf die Hilfe des größten Trunkenboldes und Rabauken rechnet, begeistert die Cineasten bereits weltweit.

 

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, ..." Dieses Mädchen hat nicht nur brav die Bibel gelesen und riecht schon einige Meilen gegen den Wind nach höherer Mädchenschule. Mattie Ross (Hailee Steinfeld) kann auch Pferde zureiten, Zigaretten drehen und einem gerissenen Pferdehändler Paroli bieten. Mattie hat es faustdick zwischen Ohren und gebrezelten Zöpfen.

 

Entschlossen stapft sie aus dem noch dampfenden Zug mitten in eine Western-Stadt. Sie holt hier ihren Vater ab, um ihn im Sarg nach Hause zu schicken. Vor allem will sie aber dessen Mörder, den feigen Tom Chaney sterben sehen. Dazu engagiert sie einen Mann mit Biss, mit „True Grit". Dass es ausgerechnet der einäugige Marshall Rooster Cogburn (Jeff Bridges) sein soll, verwundert. Denn wenn er nicht völlig besoffen im Koma liegt, muss er vor Gericht erklären, weshalb er wieder viel zu viele Halunken erschossen hat, ohne vorher zu fragen.

 

Der lallende Jeff Bridges - im empfehlenswerten Original kaum zu verstehen - ist die Idealbesetzung und der einzig denkbare Ersatz für John Wayne in dessen einziger Oscar-Rolle. Nur der Dude kann dem Duke etwas entgegensetzen! Dafür dass "True Grit" kein trockener Western wird, sorgt nicht nur das Zielwasser des einäugigen Gesetzeshüters. Der Ritt geht über die Prärie und vom Schnee bedeckte Pässe. Zeitweise ergänzt LaBoeuf das Duo - Matt Damon reitet als Texas Ranger, der eher nach Schreibtisch aussieht, während er von texanischen Heldentaten schwatzt. Cogburn säuft und schwatzt derweil noch mehr. Doch wie sie mit der 14-Jährigen schließlich einen ganzen Haufen Halunken aufscheuchen, ist beileibe keine Kindergeschichte. Dies ist ein Film von Joel und Ethan „Häcksler" Coen mit zünftigen Gemetzeln, die in der persönlichen Coen-Hitparade des Bodycounts weit oben angesiedelt sind.

 

Vor allem das große Orchester mit Musik des vertrauten Coen-Komponisten Carter Burwell ruft schnell das gute alte Gefühl von Aufbruch und Weite hervor. Den Brüdern Joel und Ethan gelang mit „True Grit" ein neuer alter Western. Es ist aber auch erstaunlich wie sehr der Gaul „True Grit" wie ein Coen-Film wirkt. Das liegt nicht nur an den Figuren, die den Weg des Marshalls und des Mädels kreuzen - sie sind gelinde gesagt seltsam. Man freue sich auf einen Medizinmann im Bärenfell ... und selbstverständlich auf den Marshall selbst. Egal ob man Cogburn als lächerlich oder tragisch sieht, die Kamera-Komposition (Roger Deakins) seines wehenden Mantels aus der Untersicht mit der Pistole zum Himmel gereckt, ruft danach, als Poster an den Wänden von Westernfans zu landen. Apropos Himmel, die Coens hatten schon immer einen leichten Drift ins Metaphysische, ins Jenseitige. So ist dieses Remake auch mehr als ein Scherz oder Stilübung. Als Mattie selbst in das Morden eingreift und sich auch jemand auf ihr Gewissen lädt, fährt sie sehr sinnbildlich in Höhle und Schlangengrube hinab. Aber wahrend der Texas Ranger als Bürokrat der Prärie sogar zahnlos für den Humor sorgt, reitet der Dude wie der Erlkönig mit dem Kinde - nur diesmal geht es gut aus.

Pina - tanzt, tanzt sonst sind wir verloren

 

BRD 2010 Regie: Wim Wenders mit Pina Bausch und dem Tanz-Ensemble des Wuppertaler Opernhauses 107 Min. 3D

 

So hat man Tanz noch nie gesehen! „Pina" von Wim Wenders ist eine Sensation und kommt direkt nach seinem Triumph bei der Berlinale, wo der Film mit stehenden Ovationen uraufgeführt wurde, in die Kinos. Die 2009 verstorbene Wuppertaler Tanzlegende Pina Bausch lebt hier tatsächlich in ihren Choreographien und den Fragmenten ihrer Tanzsprache weiter.

 

Wim Wenders wollte schon seit Jahrzehnten mit Pina Bausch einen Film drehen. Erst als er in Cannes die Konzert-Doku „U2 3D" sah, rief er noch aus der Vorstellung die Chefin des Wuppertaler Tanztheaters an. Mit dem neuen 3D-Verfahren wollte er seine Visionen umsetzen, aber kurz vor dem ersten Dreh verstarb Pina Bausch. Doch mit dem festen Ensemble sowie einem Senioren- und einer Junioren-Truppe setzte Wenders das Projekt fort. Zu Recht, denn Pina Bausch lebt so in ihren Choreografien und diesen Bildern weiter.

 

Die noch gemeinsam mit Bausch ausgesuchten Choreographien „Café Müller", „Le Sacre du printemps", „Vollmond" und „Kontakthof" bilden das Gerüst des Films. Schon die ersten Szenen einer Aufführung von „Le Sacre du Printemps" sind überwältigend. Der Tanzfilm erhebt sich aus der erdigen Fläche in atemberaubende Höhen der Kunst. Die verschwitzten, verdreckten Körper sah man nie zuvor in dieser Genauigkeit. Der Tanzraum wurde noch nie so intensiv erlebt. Diesem gewaltigen Eindruck, der neue Maßstäbe für den Tanz- und 3D-Film setzt, lässt Wenders weitere geniale Inszenierungs-Ideen folgen. Der Schnitt macht „Pina" in ganz besonderen Momenten zu einer magischen Zeitmaschine. Dann taucht bei aktuellen Inszenierungen für Sekunden Pina Bausch selber mitten in der Bewegung auf. Auch Jugendliche und Senioren, die neben dem festen Ensemble den „Kontakthof" tanzen, springen in der Montage dieses so treffenden Stücks über die Interaktion der Geschlechter mühelos zwischen den Generationen hin und her. Atemberaubend!

 

Dazu befragt die Kamera einzelne Ensemblemitglieder des Tanztheaters nach persönlichen Erinnerungen. Die Antwort ist immer ein kurzer Satz und dann eine in Wuppertal getanzten Szene. Von diesen manchmal reizvollen, mal witzigen, mal Stadtwerbung mit Schwebebahn betreibenden Einzelsätzen gibt es in der Mitte des Films, bevor „Vollmond" einen wieder hinweg trägt, vielleicht zu viele. Doch die meisten Tänzer vererben uns ihre ganz persönliche Lieblings-Bewegung, die sie in der einzigartigen Zusammenarbeit mit der extrem zurückhaltenden Bausch entwickelt haben. „Es war, als ob Pina in uns allen war. Oder andersrum: Als wenn wir alle ein Teil von ihr  waren", hört man aus der Truppe, mit mehr Respekt als Liebe, aber dafür mit unendlicher Bewunderung.

 

Wie schon mit „Hammett", bei dem Wenders Coppolas elektronisches Studio ausprobierte, und bei „Buena Vista Social Club", seinem ersten hochauflösenden digitalen Film, war der Technologie-Sprung enorm. Wenders hat - wie auch James Cameron mit „Avatar" - warten müssen, bis die Technik reif war. Wie rasant die 3D-Möglichkeiten sich entwickelten, sieht man daran, dass in der ersten Drehphase noch ein Kran-Ungetüm auf der auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses die zwei Kameras halten musste. Bei späteren Außenszenen gab es eine bewegliche Steadycam, die erst ein wirkliches Duett zwischen Apparatur und Tänzer erlaubte. Der Cannes-Sieger Wenders („Paris, Texas") wendet wieder Filmgeschichte, verschiebt Grenzen der Wahrnehmung und leuchtet die Zukunft des 3D-Kinos aus, während es auf das Schaffen der Tanzlegende Pina Bauch zurück blickt.

20.2.11

Berlinale 2011 Kommentar

 

Welch ein gesegnetes Land: Der Iran hat weltberühmte Regisseure - im eigenen Land, im Exil und jetzt sogar im Gefängnis! Abbas Kiarostami dreht mittlerweile in Frankreich, zuletzt mit der Binoche („Copie Conforme"), Rafi Pitts („Zeit des Zorns") produziert mit deutschem Geld, die ganze Makhmalbaf-Familie beglückt internationale Festivals. Jafar Panahi („Offiside") und Mohammad Rasoulof wurden zu Haft und Berufsverbot verurteilt. Und immer ist noch einer da, der wie jetzt bei Berlinale, den Hauptpreis des Festivals gewinnt. „Nader And Simin, A Separation" ist der erwartete und verdiente Sieger. Dass jedoch die Schauspieler des Films in ihrer weiblichen und männlichen Gesamtheit alle Silbernen Bären als Beste Darsteller erhielten, ist vor allem als politisches Signal zu verstehen. Die Riege ist klasse und der Kollege, der sich bei der Pressekonferenz erkundigt hat, ob die Schauspielerinnen Laien sind, sollte den Beruf wechseln. Aber es gab auch in anderen Wettbewerbs-Filmen hervorragende Akteure. So genossen vor allem die iranischen Frauen westliche Freiheit und Ignoranz.

 

Aber was ist mit der fast inquisitorischen Frage an den siegreichen Regisseur Asghar Farhadi, weshalb er sich nicht deutlicher für die verurteilten Kollegen eingesetzt hat? „Ich bin kein Held, Reden halten ist nicht meine Aufgabe, ich bin Filmemacher." Wer aus dem Kinosessel mit moralischer Überheblichkeit die innere Emigration eines sehr gebildeten und nachdenklichen Künstlers verurteilt, verwechselt die 90-minütige Dramaturgie eines Films mit dem echten Leben von Millionen, Filmblut mit wahrem Leid und echter Lebensgefahr. Gegen diese satte Wohlstandshaltung, die Regimes wie Schachfiguren stürzen will, könnten noch mehr von diesen klugen iranische Filme helfen.

18.2.11

Berlinale 2011 Abschluss

 

Wettbewerb verliert, Festival gewinnt 

Berlin. „Die Party ist vorbei!", so hieß es im ersten Film des Wettbewerbs, dem Börsen-Drama „Margin Call" mit Kevin Spacey und Jeremy Irons. Dass die Party namens Berlinale 2011 zumindest im Wettbewerb nie starten würde, hätte sich damals - vor 10 Tagen, gefühlten 100 Filmen und einem halben Leben im Dunkeln der Kinos - niemand vorstellen können. Nun, kurz vor Verleihung der Goldenen Bären am heutigen Abend, muss man dies feststellen, aber vorstellen kann man sich noch nicht mehr: Die Filme hier haben keine Visionen gebracht, den Horizont nicht merklich erweitert, haben weder Unbekanntes näher gebracht, noch den Blick auf Bekanntes verändert. Mit wenigen Ausnahmen. Da die Berlinale aber viel mehr als nur der Wettbewerb ist, war die Stimmung trotzdem gut.

 

Ist irgendwem schon mal aufgefallen, dass der Berlinale-Bär blind ist? Knuddelig kommt der Teddy daher, tapsig auf den Hinterbeinen stehend, doch weder auf den Postern, noch auf Festivaltaschen, nirgendwo hat Meister Petz Augen. Vielleicht fällt es auch erst in diesem Jahr auf, da man sich fragt, wer diesen Wettbewerb zusammengestellt hat. Klar, schon anfangs wurde aufgezahlt, wer alles seinen Film nicht rechtzeitig fertig bekommt: Aki Kaurismäki, Lars van Trier, Terrence Malick werden in Cannes auflaufen. Dass es aber so schlimm werden würde, dass vermutete niemand. Harmlos und nett sind die höflichen Vokabeln. „Belanglos" beschreibt schon deutlicher, was den Wettbewerb ausmachte.

 

Mit ein paar Ausnahmen: Eindeutiger Favorit ist „Nader And Simin, A Separation" vom Iraner Asghar Farhadi. Simin möchte mit ihrem Ehemann Nader und ihrer Tochter Termeh den Iran verlassen, hat schon die Visa. Doch Nader will seinen an Alzheimer erkrankten Vater nicht zurücklassen und sagt die Reise ab. Simin zieht aus der ehelichen Wohnung aus und kehrt zu ihren Eltern zurück. Nader engagiert für die Betreuung des Vaters eine junge Frau in Geldnot. Als Nader eines Tages nach Hause kommt, findet er seinen Vater angebunden und fast leblos neben seinem Bett. Der wütende Sohn beschuldigt die Pflegerin auch noch des Diebstahls und will sie aus der Wohnung werfen. Die Frau weigert sich, zu gehen, es kommt zu einer - religiös unstatthaften Berührung. Später erfahren Nader und seine Frau von einer Fehlgeburt der entlassenen Pflegerin. Im Krankenhaus attackiert sie deren grober und unsympathischer Mann. Danach klagt er Nader an, eine Kettenreaktion von Schuld und Anschuldigungen beginnt....

 

Mit der Preisverleihung wird sich wahrscheinlich der Kreis zum ersten Berlinale-Tag schließen, an dem gegen die Verteilung iranischer Regisseure protestiert wurde. Wie sich der bescheidene Jafar Panahi entschieden hätte, hätte er Gelegenheit gehabt, seinen Juryplatz einzunehmen, werden wir nicht erfahren. Sein Landsmann Asghar Farhadi, der 2007 für „About Elly" einen silbernen Bären erhielt, hatte einst im Interview gesagt, er wolle unter allen Umständen weiterfilmen. Bis auf Sätze wie „Was falsch ist, ist falsch, egal wer es sagt", wirkt das meisterhafte Drama um Schuld und Sharia auch nicht politisch.

 

Andres Veiels „Wer wenn nicht wir" sorgte für die politische Perspektiven-Verlagerung. In Zukunft wird man ein oder zwei Personen auf den RAF-Fahndungspostern mit anderen Augen sehen. „Pina" hatte als einziger Film grandiose, umwerfende Bilder. Wim Wenders gab mit den 3D-Aufnahmen epochaler Tanzstücke der Truppen von Pina Bausch einen Vorgeschmack auf die Zukunft des Kinos. Was die so, nämlich „The Future", benannte Beziehungs-Spielerei des Multitalents Miranda July („Ich und Du und alle, die wir kennen", 2005) nicht bot. Zu leicht, nur leicht.

 

In den letzten Jahren des Berlinale-Chefs Moritz de Haldelns (1980-2001) galt der Wettbewerb als Straflager, dann brachte Dieter Kosslick mit noch schlechterem Englisch und einnehmender Persönlichkeit viel Sehenswertes nach Berlin. Er kann sich nun vor allem auf die deutschen Filme verlassen, die er seit seinem Start vor zehn Jahren gepflegt hat. Die einheimische Branche floriert, die Nachwuchs-Filme in „Perspektiven" gehören zu den am meisten überrannten. Auch beim „European Film Market" herrschte „optimistische Stimmung" durch „einen deutlichen Zuwachs an Teilnehmern und Filmen". Selbst hier beim - in den Martin Gropius-Bau ausgelagerten - knallharten Geschäft um regionale Rechte sorgte der iranische Wettbewerbsbeitrag „Nader And Simin" für gute Verkäufe. Mit 300.000 verkauften Eintrittskarten blieb das Festival im Soll. Vielleicht auch, weil es weniger Plätze für Akkreditierte und mehr im Verkauf gab. Madonna war ohne Film in Berlin, Daniel Brühl machte woanders seine eigene Tapas-Bar auf. Festival-Ekstase kam nur beim Koreanischen Superstar Lim Soo-jung auf, dem Hauptdarsteller des Langeweilers „Kommt Regen, kommt Sonnenschein". Dass Moritz Bleibtreu bei der Pressekonferenz zu „Mein bester Feind" fehlte, aber bei der Filmparty und beim NRW-Empfang war, erscheint symptomatisch: Der Tanz ums goldene Kalb, beziehungsweise um die Goldenen Bären, ist im vollen Gange. Der Wettbewerb als Anlass interessiert immer weniger.

 

Cineastisch lohnte es sich deshalb mehr als je zuvor, ins Forums-Programm zu schauen. Was hier läuft, kommt selten ins Kino; es gibt einem aber etwas, was man sonst selten im Kino bekommt. „Auf der Suche" (Regie: Jan Krüger) nach guten Filmen, gab es hier die meisten Entdeckungen: „Hi-So" (R: Aditya Assarat) mit dem thailändischen Superstar Ananda Everingham erzählte von der Globalisierung des eigenen Lebens - so leicht und doch berührend, wie es im Wettbewerb niemand vermochte.

17.2.11

WER WENN NICHT WIR im Wettbewerb der Berlinale 2011

„Wir" im Wettbewerb

 

Die Anfänge deutschen Terrorismus als Liebesdrama

 

„Wer wenn nicht wir", der erste Spielfilm von Andrea Veiel

 

Berlin. Was ist privat, was politisch? Diese Frage beschäftigte und beschäftigt immer wieder politisch aktive Menschen, selbstverständlich auch den linken Protest der Sechziger und Siebziger in der Bundesrepublik. Die Themen in „Wer wenn nicht wir", dem komplexen Spielfilm-Debüt des ausgezeichneten Dokumentaristen Andres Veiel („Balagan", „Black Box BRD", „Der Kick"), sind Beziehung und Engagement von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, sind privat und politisch. „Wer wenn nicht wir" lief gestern Abend im Wettbewerb der Berlinale - quasi als Gegengift zu „Mein bester Feind" von Wolfgang Murnberger, die es als Komödie mit Moritz Bleitreu als jüdischer Kunsthändler in SS-Uniform schaffte, KZs, Holocaust und Weltkrieg fast völlig zu vergessen.

 

Die Szenen von Prügel-Persern und Polizei bei der Hofierung des Persischen Schahs 1967 in Berlin sind der Schnittpunkt von „Wer wenn nicht wir" mit Eichingers „R.A.F.". Doch Veiel blickt hinter die Klischees, hinter die Phrasen von der radikalisierten Pastorentochter (nein, nicht die, die Ensslin ist gemeint). Anfang der Sechziger siezst man sich noch an der Uni und auch sonst wo, selbst junge Männer (er-)tragen Krawatten und überall rauchen Zigaretten. Bernward Vesper (August Diehl) beginnt sein Studium in Tübingen, diskutiert und diniert mit Walter Jens. Der engagierte Student Vesper trägt allerdings eine schwere Last, sein verehrter Vater Will war Großschriftstellers der Nazis, schrieb Grußverse an den Führer. Während Bernward Papas Werke im nebenbei gegründeten Verlag wieder rausbringen will, begeistert er sich auch für linke Autoren und Ideen. Darin findet er sich mit der Kommilitonin Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis), die bald Mitbewohnerin, Freundin, Übersetzerin und Sekretärin wird. Eine andere Freundin zieht gleich mit ein, denn „warum muss ein Dreieck immer zur Geraden schrumpfen?" Mit solchen Sprüchen gibt sich Gudrun zwar offen, doch auf Bernwards Liebschaften reagiert sie immer wieder mit radikalen Selbstverletzungen. Nach 1964 sind Bernward und Gudrun in West-Berlin Teil der außerparlamentarischen Opposition. Doch dann ist da auf einer Party dieser Andreas Baader (Alexander Fehling). Ein frecher Prolet, ein Macho mit dickem Schlitten und Ego, ein Mann der Tat, während Bernward die Gesellschaft mit seinen Büchern verändern will.

 

„Wer wenn nicht wir" basiert auf dem Sachbuch „Vesper, Ensslin, Baader – Urszenen des deutschen Terrorismus" von Gerd Koenen. Exakt solche Urszenen zeichnet Veiel mit gelungener Inszenierung und tollem Schauspiel nach: Die Entwicklung junger Menschen. Gudrun Ensslin wirkt schon jung hart im Gesicht und im Ausdruck. Doch erst als Baader mit dem Telefonkabel die Verbindung zu ihrem Sohn aus der Wand reißt, endet Jahre später zumindest formal die Zerrissenheit der nun offiziellen Terroristin. Ganz ohne Dokumentation kommt Veiel auch diesmal nicht aus, die Einbettung in die Weltpolitik gelingt mit historischem Material und super Ausstattung hervorragend. Dabei beobachtet man aber vor allem die Nuancen der persönlichen und politischen Handlungen. Auch wenn der Film in der verzweifelten Tragödie eines Liebenden endet, sich politische Analyse und persönliches Mitfühlen die Waage halten, verschenkt Veiel diese detaillierte Nachzeichnung mit den Mitteln der Fiktion nie an große Gefühle, die andere als Maxim der Unterhaltung zentral setzen. Eine spannende Balance zwischen Politischem und Persönlichem, die wohl eher für deutsche Zuschauer interessant ist. Als großer Favorit auf den Goldenen Bären ragt weiterhin allein das Drama von Schuld und Scharia „Nader And Simin, A Separation" des Iraners Asghar Farhadi („About Elly") in der dürren Ebene eines kargen Wettbewerbes hervor.

 

16.2.11

The King's Speech

 

Großbritannien, Australien 2010 (The King's Speech) Regie: Tom Hooper mit Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Timothy Spall 118 Min.

 

Eine Rede! Ausgerechnet eine Rede! Diese Pest unserer Zeit, dieser artikulatorische Auswurf von institutionalisierter Eitelkeit, der in Kultur und Politik gefühlte Jahre an Lebenszeit vernichtet, Milliarden vom Bruttosozialprodukt raubt und so gut wie immer alle langweilt. Ausgerechnet eine Rede ist der Höhepunkt des absoluten Oscar-Favoriten „The King's Speech". Und was für ein Höhepunkt.

 

Doch zurück zum Anfang - einer Rede. Prinz Albert von York (Colin Firth) schreitet 1925 im Wembley-Stadion auf ein bedrohlich großes Mikrophon zu. Die nüchtern kalte Wand hinter ihm vermittelt sein Frösteln angesichts dieser Herausforderung, denn „Bertie", wie ihn Frau und Freunde nennen, kann selbst seinen beiden Töchter - die aktuelle Queen als kleines Mädchen - nur mit Mühen und stotternd etwas vorlesen. Eine Rede vor solch einer Menschenmenge ist eine Katastrophe - was sie denn auch wird. Eine Wand entsetzten Schweigens starrt ihn an. Albert erschrickt vor seiner eigenen Stimme. Sein Echo verlacht ihn.

 

Elizabeth (Helena Bonham Carter als später Queen Mum), die resolute Frau an seiner Seite, begibt sie sich als Mrs. Johnson in bürgerliche Abgründe, um mit selbstverständlicher Leichtigkeit und Spot eine Kur für das Sprechleiden zu finden. Nach vielen lächerliche Behandlungen und noch mehr Erniedrigungen für Albert, ist Lionel Logue (Geoffrey Rush) anders. In einer der mal wirklich zahllosen guten Szenen provoziert der einfache Australier den höchstrangigen Adeligen und will, um das Problem anzugehen, unter die Oberfläche dieser noblen Person. Es müsse nach seinen Regeln laufen und übrigens, hier wird nicht geraucht. Albert reagiert erst jähzornig, hat aber keine andere Wahl. So machen die beiden Witzfiguren bei Stimmübungen, atmen heiße Luft, denn „darum geht es doch bei öffentlichen Reden"!

 

Eigentlich geht es um einen übermächtigen Vater sowie einen spöttischen Bruder, den Thronfolger. Als der skandalöserweise eine geschiedene Amerikanerin heiratet, soll Albert nicht nur König werden, er muss sogar begnadeten Demagogen wie Hitler und Stalin entgegentreten. Dies auch noch in diese verdammten modernen Medien Film und Radio .

 

Die vielen Preise und Oscar-Nominierungen haben ausnahmsweise mal recht: Man weiß garn nicht, wo die Begeisterung für den wunderbaren, ausgezeichneten, in jeder Hinsicht gelungenen „King's Speech" ansetzen soll. Vielleicht damit, dass die sehr ausdrucksstarken Bilder mehr bieten als bei einem Oscar-Wohlfühl-Sieger üblich.

Es gibt mit Weitwinkel verzerrte Gesichter. Die Figuren sind zutiefst menschlich, sehen aber oft aus Karikaturen. Ihre Positionierung im Bild, die Verhältnisse von Vorder- und Hintergrund erzählen derart viel mehr als es „ausgewogene" Filme machen.

 

Der „Single Man" Colin Firth brilliert wie gewohnt, obwohl diese Präsenz, diese ernste Exaktheit immer wieder beeindruckt. Der australische Star Geoffrey Rush, bekannt aus „Shine" kann mühelos mithalten, wobei man sich die wunderbaren Dialoge mit Sprache über die Klassengrenzen nur im Original anhören sollte!

 

„The King's Speech" ist dabei durchaus sehr lustig, andererseits psychologisch ungeheuer spannend in der Rückkehr Alberts zum spielenden Kind, um an die Wurzel des Stotterns zu gelangen. So wurde aus Bertie König George VI., der bei Ausbruch des Krieges eine Rede für sein Volk halten muss. Dass die Redenproben mit Fluchen, Singen, Tanzen und vor allem mit Fluchen gelangen ist nun vergessen. Fast.

127 Hours

 

USA, Großbritannien 2010 (127 Hours) Regie: Danny Boyle mit James Franco, Amber Tamblyn, Kate Mara 93 Min. FSK ab 12

 

Lernen Sie Aron Ralston (James Franco) kennen, einen verrückten Kerl, voll auf Adrenalin. Und der Film pumpt direkt eine satte Ladung davon in unsere Adern. Im rasenden Splitscreen geht es raus aus der übervölkerten Stadt. Irgendwo im Naturcamp ein paar Stunden Schlaf auf der Pritsche des SUV, dann mit dem Rad rein in den Canyonlands National Park. Aron ist ein Extrembiker, der sich von einem Sturz nicht aus der Bahn bringen lässt, darüber lacht. Ein Bergwanderer, der gerne auf einsamer Wolf macht.

 

Hier ist „127 Hours" längst ein berauschender Film: Unglaubliche Landschaften. Farben, die Danny Boyle schon in „Slumdog Millionär" wie einen Rausch auf die Leinwand brachte. Wer die wahre Geschichte von Aron Ralston kennt, die reichlich durch die Medien ging und unter dem Titel „Between a Rock and a Hard Place" veröffentlicht wurde, weiß was bald passiert und versteht die Andeutungen. Ein Schweizer Messer bleibt in Arons Wohnung liegen. Ein Wasserhahn lässt sein wertvolles Gut unbeachtet tropfen. Es sind - auch wenn „127 Hours" fast nichts mit dem Genre zu tun hat - die Tricks der Horrorfilme: Da streift die Hand selbstvergessen den Felsen. Klar, Aron Ralston ist ein angstfreier Kerl, der es liebt, die Natur zu erfahren (mit dem Bike), zu erleben und zu fühlen (mit seinen Händen)! Plötzlich rutscht er ab, ein Felsbrocken stürzt mit ihm in eine Bodenspalte und klemmt seinen Unterarm ein. Der Filmtitel „127 Hours" steht erst jetzt auf der Leinwand, das unglaubliche Drama beginnt.

 

Aron Ralston steckt in der Klemme, in einer tiefen und sehr abgelegenen Felsspalte im Niemandsland. Als kluger Survival-Typ

breitet er alles vor sich aus, was er dabei hat. Was könnte ihn retten? Und wieviel Wasser ist in der nur einen Trinkflasche? Er stoppt die Zeit, die er braucht, um mit dem Billig-Werkzeug vom Baumarkt ein paar Schrammen in den Fels zu kratzen. Denn keiner weiß, wo er hinging - Aron war schon immer konsequenter Einzelgänger - die Schattenseiten dieser Eigenschaft werden ihm jetzt klar.

 

James Franco, der Allen Ginsberg aus „Howl", der auch letztes Wochenende mit „The dangerous book for boys" als Autor in Erscheinung trat, hält mit seinem großartigen schauspielerischen Können diese beklemmende Solo-Nummer extrem spannend. Das Erstaunen im Blick auf die eingequetschte Hand nach dem Sturz, die Verzweiflung in den Handlungen - großartig und oscar-reif!

 

Danny Boyle („Trainspotting") gelingt es, aus dem an einem Ort festgelegten Open Air-Kammerspiel ein packendes Drama zu machen. Das Lichtspiel der Sonne in der gerade mal mannsbreiten Schlucht ist ein großes Schauspiel und wärmt Aron für ein paar Minuten. Und die wortwörtliche Zwangslage ist sogar komisch: Der dritte Tag der 127 Stunden Beklemmung beginnt auf der Tonspur unübertrefflich zynisch mit dem Song „Lovely Day", wobei die Anstrengungen alles andere als lieblich sind. Die Sehnsucht des Verdurstenden nach Flüssigkeit beantwortet der Schnitt mit sprudelnder Werbung. Aber es gibt auch Rückblenden ins bisherige Leben Arons, sowie mit fortschreitender Erschöpfung auch immer mehr wahnsinnige Visionen. Bis hin zum Wiedersehen mit seiner ganzen Familie - auf einem Sofa sitzend in der Schlucht.

 

Etwas unappetitlich wird es erst in der letzten Viertelstunde. Wobei - ganz nebenbei - dieser Film ein Antipode zu den ganzen Sadistereien der Horror-Reihe „Saw" darstellt: Hier fühlt man, was es bedeutet, sich selbst ein Körperteil abzutrennen. Hier durchlebt man eine existenzielle Abwägung und eine unfassbare Entscheidung für das Leben. Aron Ralston machte den Felsen zum Stolperstein seines Lebens, oder zum Scheideweg, um eine noch unpassendere Metapher einzuwerfen. Bis zuletzt bleibt er ein cooler Hund, der noch ein Foto von dem im Canyon zurückbleibenden Arm macht. (Kinder, bitte nicht zuhause nachmachen.) 

15.2.11

3faltig

 

BRD, Österreich 2010 Regie: Harald Sicheritz mit Christian Tramitz, Matthias Schweighöfer, Roland Düringer, Julia Hartmann, Adele Neuhauser, Alfred Dorfer 97 Min. FSK ab 12 Jahren

 

Eine respektlose und göttliche Komödie ist garantiert, wenn der Hage genannte Heilige Geist im Strip-Schuppen eines Alpen-Kaffs sein eigenes Musical „Holy Spirit Superstar" inszenieren will. Das immer übersehene dritte Rad an der Dreifaltigkeit wird allerdings davon brüskiert, dass die beiden anderen ohne Rücksprache die Apokalypse beschlossen haben. Ausgerechnet zur Musical-Premiere! Christian Tramitz trumpft als sehr weltlicher Heiliger Geist in dieser ebenso derb wie absurd gelungen Komödie auf.

 

Hage nennt er sich und lebt in irgendeinem Alpenwinkel. Er verkauft Devotionalien wie eine Blut spritzende Jungrau Maria („Bloody Mary"). Das wahrscheinlich schon etwas länger, denn Hage kommt von HG, die Abkürzung für „Heiliger Geist". Christl (Matthias Schweighöfer), ein ziemlicher Depp mit Bärtchen, kommt am 24.12., an seinem Geburtstag vorbei, um zu verkünden, dass am 31. Dezember die Apokalypse losgehen wird. Das hätten er und der „Pappa" zusammen beschlossen. Passt Hage (Christian Tramitz) gar nicht, denn gerade bereitet er die Premiere seines Musicals vor. Eine 2000 Jahre alte Geschichte mit Römern, Sklavinnen und Sandalen unter dem originellen Titel „Holy Spirit Megastar" soll es werden. Vor dem Welterfolg startet das Musical erst einmal in einer Stripp-Bar. Die Stangen werden ebenso kreativ integriert wie die Mädels des jähzornigen und brutalen Bar-Bosses Friedl Hanauer (Roland Düringer). Dass sich ausgerechnet Christl in Mona (Julia Hartmann), Hauptdarstellerin und das beste Pferd in Friedls Stall, verguckt, wäre schon ein größeres Problem. Dass der besoffene Christl die Mona bei seiner ersten Auto-Fahrstunde - nach 2000 Jahren! - nächtens über den Haufen fährt, ist eine Katastrophe! Zwar soll Christl ja immer für ein Wunder gut sein, doch momentan ist er ein „Auferwecker ohne Gebrauchsanleitung" - ziemlich nutzlos.

 

Leicht dialektös bewegt sich die ebenso respektlose wie göttliche Komödie „3faltig" zwischen dem Heimat-Humor von „Wer früher stirbt ..." und der treffenden Komik eines Bully Herwig. Manche Scherze haben den Absurditäts-Faktor von Monty Python, Respektlosigkeit gegenüber kirchlichen Ikonen und Einrichtungen ist garantiert. Der Humor ist immer wieder ruppig, ein Kurzauftritt von Christian Ulmen wird mit überzeugenden „Hau doch einfach ab, du Arschloch!" rechtzeitig beendet. Die Dialoge sind ansonsten ausgemacht zynisch und zeitweise umwerfend komisch. Nach dem nächtlichen Unfall schnauzt Hage den Christl angesichts der Apokalypse an: „Ich hätte nicht gedacht, dass du jeden einzeln umbringst...!" Zwar ist kurz vor der Apokalypse alles relativ, doch beim Eintritt in den Automobilclub werden die Prämienverhandlungen noch sehr erbittert geführt. So bleibt „3faltig" selbst wenn er einem schon mal zu blöd kommt, immer noch herrlich abstrus.

Auf der Suche nach Jan Krüger - Berlinale 2011

Berlin. Nach den ersten beiden Vorführungen des Berlinale-Starters „Auf der Suche" waren die Reaktionen sehr positiv. Unser Filmkritiker Günter H. Jekubzik traf den Autor und Regisseur Jan Krüger im Café der Forums-Sektion inmitten junger Filmemacher aus aller Welt, als Krüger gerade seine französische Darstellerin Valérie Leroy verabschiedet.

Auf der Suche“ erzählt von einer Mutter auf der Suche nach ihrem Sohn, der in Marseille verschwunden ist. Wie hast du den Stoff gefunden?

Der Auslöser war sehr konkret. Der Freund eines Freundes hatte sich umgebracht, wie im Film, in Marseille. Daraufhin habe ich dort einige Orte seines Lebens besucht, mit Bekannten gesprochen und aus dieser kraftvollen Inspiration die Geschichte entwickelt.

Wie empfindest du die Reaktionen jetzt hier in Berlin, nachdem du 2004 schon mit „Unterwegs“ beim Festival warst?

Das ist mir jetzt, nach den zwei ersten Vorführungen des Films, noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Das möchte ich erst noch mal auf mich einwirken lassen.

Was suchtest du in Corinna Harfouch, deiner sehr prominenten Hauptdarstellerin?

Das Projekt lief schon eine Weile, aber ich bin immer wieder bei Corinna Harfouch hängengeblieben. Ihr Filmtyp ist oft auch eine brüchige Frau. Ich wollte nicht, dass es jemand ist, der seine Gefühle zu leicht zeigt, dann drohte die Geschichte sentimental zu werden.

Wie fandest du die Arbeit mit Harfouch?

Vor dem Dreh sagte sie ganz klar: „Ich hab 80 Filme gedreht, lass mich mal machen!“ Letztlich hat es funktioniert, wenn ich Vorschläge gemacht hab, aber man musste drum kämpfen. Was auch nicht so leicht war, weil ich einen wahnsinnigen Respekt vor ihr hatte. Aber das Drehen funktioniert ja immer über das gemeinsame Andocken an die Geschichte.

An welchem Projekt versuchst du dich als nächstes?

Anders als bisher möchte ich mal von einer Figur ausgehen, die aus ihrem Alltag heraus eine Veränderung erfährt. Ohne Ortswechsel wie in „Unterwegs“ oder „Rückenwind“. Es wird die Geschichte eines Hausmeisters, eines einfachen Angestellten hier aus Berlin. Gleichzeitig entwickle ich ein Tatort-Drehbuch für den WDR - mit den Kölner Kommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär). Bei denen habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich verbiegen muss.

Welche Suche stellt der Film „Auf der Suche“ für dich persönlich dar?

Einerseits interessiert mich, zu sehen, dass Suchen seine Grenzen hat, dass man nicht immer klare Antworten finden kann. Zudem glaube ich - obwohl ich keine Selbstmordgedanken habe - dass manchmal nicht viel fehlt, um selber verloren zu gehen. Viele Leute können sich in dieser Erfahrung wiederfinden.

Jan Krüger wurde am 23. März 1973 in Aachen geboren. Er studierte an der RWTH Aachen und später an der Kunsthochschule für Medien, Köln. Seinen ersten Film drehte er 1999, das Musikvideo „Verführung von Engeln“; 2001 folgte der Kurzspielfilm „Freunde (The Whiz Kids)“, der den Silbernen Löwen der Filmfestspiele Venedig erhielt. Sein erster Langspielfilm „Unterwegs“ erhielt u.a. den Tiger Award in Rotterdam. Neben seiner Arbeit als Filmemacher ist Krüger seit 2006 als Dozent für Filmregie und Drehbuch an der KHM Köln tätig.

14.2.11

Konkurrenzlos mäßiger Wettbewerb - Berlinale 2011

 

Unmut, Enttäuschung und Ärger - die Stimmungen einiger Berlinale-Filme pflanzen sich langsam im Publikum der Wettbewerbs-Sektion fort. Circa die Hälfte der nur 16 Starter hat sich gezeigt und Ratlosigkeit breitet sich aus angesichts eines sehr schwachen Niveaus, aus dem nur Wim Wenders' „Pina" - außer Konkurrenz - herausragte.

 

Kurz nachdem die Berliner keinen Volksaufstand, aber immerhin eine Volksabstimmung zu ihren Wasserrechten erfolgreich beendet haben, gab der berühmte Schauspieler Ralph Fiennes bei der Berlinale als Regisseur und Darsteller des martialischen Generals „Coriolanus" eine Lektion in Sachen Demokratie und Shakespeare-Verfilmung. Die ersten Bilder von Unruhen sind erschreckend aktuell, die Proteste gegen erhöhte Brotpreise im Maghreb sehen auch nicht anders aus. Zu den Bildern vom heute gibt es Shakespeares Originaltext von 1607 - der sich flüssig integriert. Rom im vierten Jahrhundert v. Chr: Das Volk hungert, die Reichen horten Getreide. Der hochmütige General Caius Martius Coriolanus (Fiennes) schützt die Stadt, verachtet aber die Plebejer und verhehlt dies nicht. Und irgendwie muss man ihm Recht geben, dass dies Völkchen sein Fähnchen sehr schnell in den Wind hängt. Doch ist die befürchtete Diktatur des Starken die einzige Lösung? Coriolanus wird verbannt und schließt sich dem Gegner an...

Mit schweren Waffen und lauter Action, aber insgesamt etwas zahmer als der blutrünstige „Titus" mit Anthony Hopkins, legte Fiennes sein Film-Stück an. Das rüttelt immer wieder wach und zeigt den Mimen, dessen kahlgeschorene Figur einen Friseurstuhl als Thron erhält, eindrucksvoll. Gerard Butler als sein Todfeind erweckt nicht viel Angst. Vanessa Redgrave als Mutter des sich schließlich selbst verschlingenden Kriegers legt einige grandiose Szenen hin.

 

Gutes Kulturkino, mit dem sich jedes Festival gerne schmücken kann - in Ergänzung ganz großer Werke. Nur die fehlen 2011 bislang. Das nützt auch „Les femmes du 6ème étage" von Philippe Le Guay, die kleine persönliche Revolution eines reichen Pariser Aktienberaters im Jahre 1962. Jean-Louis Joubert (Fabrice Luchini) verliebt sich in das neue spanische Dienstmädchen Maria (Natalia Verbeke) und kommt dabei den „Frauen der 6. Etage", den gesammelten Haushälterinnen des Gebäudes näher. Jean-Louis lebt auf wie nie zuvor und das Publikum amüsiert sich köstlich. Denn der etwas steife Bourgeois macht sich nicht lächerlich sondern locker.

 

Nur zwei Jahre später begann in Deutschland eine leichte Integrations-Komödie: Das Leben des Ein-Millionen-Ersten Gastarbeiters wird in „Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt - wortwörtlich. 1964 kommt Hüseyin nach Deutschland, um sein Familie im fernen Anatolien zu ernähren. Ein wechselhaftes Leben - von dem wir nicht viel erfahren - später hat er eine große Familie und überrascht diese mit der Nachricht, er habe ein Haus in „der Heimat" gekauft. Die Kinder und Enkel sollen alle zusammen in die Türkei um es aufzumöbeln. Während der Reise erzählt die Enkelin dem noch jüngeren Neffen eben diese Geschichte mit vielen Scherzen und eine witzigen Clou: Alle Türken reden deutsch und die Deutschen irgendein unverständliches Kauderwelsch. „Almanya", das Gemeinschaft-Produkt der Schwestern Samdereli, macht Spaß, aber ist generell im Wettbewerb fehlplaziert. Als harmlose Wohlfühl-Komödie ohne größere Probleme, aber auch ohne große Momente gehört sie ins Fernsehen.

 

Schwieriger, aber auch ästhetisch wesentlich interessant ließ Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" in der Konkurrenz um die Goldenen Bären keine Müdigkeit im Publikum aufkommen. Die erste Hälfte der „Schlafkrankheit" wirkt wie eine dieser gerade wieder modernen Ausbreitungen von Innerlichkeit auf der Leinwand. Diesmal mit dem dekorativen Hintergrund Afrika. Doch eine raffinierte Ellipse mit Perspektivenwechseln irgendwo in der Mitte, enttarnt eine sehr reizvolle Psycho-Story in der Tradition von Joseph Conrads „Heart of Darkness". Wie einst Colonel Kurtz in „Apocalypse Now" sich in Captain Benjamin L. Willard das eigene Exekutionskommando bestellte, holt sich der flämische Dr. Ebbo Velten jemanden von der Weltgesundheitsorganisation zur Evolution seiner sinnlosen Impfprojekte, weil er aus eigener Kraft nicht mehr von Afrika loskommt. Das Ende greift eine mythische Geschichte um ein Flusspferd wieder auf und erinnert an den thailändischen Cannes-Sieger „Onkel Boonmee". Das allein wird allerdings noch keinen Preis in Berlin bringen.

 

Konkurrenzlos mäßiger Wettbewerb - Berlinale 2011

 

Unmut, Enttäuschung und Ärger - die Stimmungen einiger Berlinale-Filme pflanzen sich langsam im Publikum der Wettbewerbs-Sektion fort. Circa die Hälfte der nur 16 Starter hat sich gezeigt und Ratlosigkeit breitet sich aus angesichts eines sehr schwachen Niveaus, aus dem nur Wim Wenders' „Pina" - außer Konkurrenz - herausragte.

 

Kurz nachdem die Berliner keinen Volksaufstand, aber immerhin eine Volksabstimmung zu ihren Wasserrechten erfolgreich beendet haben, gab der berühmte Schauspieler Ralph Fiennes bei der Berlinale als Regisseur und Darsteller des martialischen Generals „Coriolanus" eine Lektion in Sachen Demokratie und Shakespeare-Verfilmung. Die ersten Bilder von Unruhen sind erschreckend aktuell, die Proteste gegen erhöhte Brotpreise im Maghreb sehen auch nicht anders aus. Zu den Bildern vom heute gibt es Shakespeares Originaltext von 1607 - der sich flüssig integriert. Rom im vierten Jahrhundert v. Chr: Das Volk hungert, die Reichen horten Getreide. Der hochmütige General Caius Martius Coriolanus (Fiennes) schützt die Stadt, verachtet aber die Plebejer und verhehlt dies nicht. Und irgendwie muss man ihm Recht geben, dass dies Völkchen sein Fähnchen sehr schnell in den Wind hängt. Doch ist die befürchtete Diktatur des Starken die einzige Lösung? Coriolanus wird verbannt und schließt sich dem Gegner an...

Mit schweren Waffen und lauter Action, aber insgesamt etwas zahmer als der blutrünstige „Titus" mit Anthony Hopkins, legte Fiennes sein Film-Stück an. Das rüttelt immer wieder wach und zeigt den Mimen, dessen kahlgeschorene Figur einen Friseurstuhl als Thron erhält, eindrucksvoll. Gerard Butler als sein Todfeind erweckt nicht viel Angst. Vanessa Redgrave als Mutter des sich schließlich selbst verschlingenden Kriegers legt einige grandiose Szenen hin.

 

Gutes Kulturkino, mit dem sich jedes Festival gerne schmücken kann - in Ergänzung ganz großer Werke. Nur die fehlen 2011 bislang. Das nützt auch „Les femmes du 6ème étage" von Philippe Le Guay, die kleine persönliche Revolution eines reichen Pariser Aktienberaters im Jahre 1962. Jean-Louis Joubert (Fabrice Luchini) verliebt sich in das neue spanische Dienstmädchen Maria (Natalia Verbeke) und kommt dabei den „Frauen der 6. Etage", den gesammelten Haushälterinnen des Gebäudes näher. Jean-Louis lebt auf wie nie zuvor und das Publikum amüsiert sich köstlich. Denn der etwas steife Bourgeois macht sich nicht lächerlich sondern locker.

 

Nur zwei Jahre später begann in Deutschland eine leichte Integrations-Komödie: Das Leben des Ein-Millionen-Ersten Gastarbeiters wird in „Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt - wortwörtlich. 1964 kommt Hüseyin nach Deutschland, um sein Familie im fernen Anatolien zu ernähren. Ein wechselhaftes Leben - von dem wir nicht viel erfahren - später hat er eine große Familie und überrascht diese mit der Nachricht, er habe ein Haus in „der Heimat" gekauft. Die Kinder und Enkel sollen alle zusammen in die Türkei um es aufzumöbeln. Während der Reise erzählt die Enkelin dem noch jüngeren Neffen eben diese Geschichte mit vielen Scherzen und eine witzigen Clou: Alle Türken reden deutsch und die Deutschen irgendein unverständliches Kauderwelsch. „Almanya", das Gemeinschaft-Produkt der Schwestern Samdereli, macht Spaß, aber ist generell im Wettbewerb fehlplaziert. Als harmlose Wohlfühl-Komödie ohne größere Probleme, aber auch ohne große Momente gehört sie ins Fernsehen.

 

Schwieriger, aber auch ästhetisch wesentlich interessant ließ Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" in der Konkurrenz um die Goldenen Bären keine Müdigkeit im Publikum aufkommen. Die erste Hälfte der „Schlafkrankheit" wirkt wie eine dieser gerade wieder modernen Ausbreitungen von Innerlichkeit auf der Leinwand. Diesmal mit dem dekorativen Hintergrund Afrika. Doch eine raffinierte Ellipse mit Perspektivenwechseln irgendwo in der Mitte, enttarnt eine sehr reizvolle Psycho-Story in der Tradition von Joseph Conrads „Heart of Darkness". Wie einst Colonel Kurtz in „Apocalypse Now" sich in Captain Benjamin L. Willard das eigene Exekutionskommando bestellte, holt sich der flämische Dr. Ebbo Velten jemanden von der Weltgesundheitsorganisation zur Evolution seiner sinnlosen Impfprojekte, weil er aus eigener Kraft nicht mehr von Afrika loskommt. Das Ende greift eine mythische Geschichte um ein Flusspferd wieder auf und erinnert an den thailändischen Cannes-Sieger „Onkel Boonmee". Das allein wird allerdings noch keinen Preis in Berlin bringen.

 

13.2.11

Pina - erste Sensation der Berlinale

Deutscher Dreiklang

Gleich drei deutsche Produktionen im Wettbewerb in und außer Konkurrenz - die Berlinale nicht als Fenster zur Welt, sondern als Schaufenster nationalen Filmschaffens, hatte am Wochenende Tag der offenen Tür. Einmal Türkisch für Anfänger im Kino, dann gekonntes Autorenkino „Out of Africa" und ein künstlerisches wie technisches Highlight mit Wim Wenders 3D-Tanzfilm „Pina".

Wenders wendet wieder Filmgeschichte

„Pina" von Wim Wenders, der am meisten erwartete Film dieser Berlinale erwies sich als die erahnte Sensation. Ein Monument außerhalb des Wettbewerbes, das Grenzen der Wahrnehmung verschiebt und die Zukunft des 3D-Kinos ausleuchtet, während es auf das Schaffen der Tanzlegende Pina Bauch zurück blickt.

Der Düsseldorfer Cannes-Sieger („Paris, Texas") wollte schon seit Jahrzehnten mit der Tanzlegende Pina Bausch aus seiner Heimatstadt einen Film drehen. Erst mit dem neuen 3D-Verfahren jedoch konnte er seine Visionen umsetzen, aber ganz wenige Tage von dem ersten Testdreh verstarb Pina Bausch plötzlich. Doch mit dem festen Ensemble sowie einem Senioren- und einer Junioren-Truppe setzte Wenders das Projekt fort. Pina Bausch lebt so in ihren Choreografien und diesen Bildern weiter.

Genre- und grenzüberschreitend setzt „Pina" neue Maßstäbe für den Tanz- und 3D-Film. Schon die ersten Szenen einer Aufführung von „Le Sacre du Printemps" sind überwältigend und grenzüberschreitend. Der Tanzfilm erhebt sich auch der erdigen Fläche in atemberaubende Höhen der Kunst. Die verschwitzten, verdreckten Körper sah man nie zuvor in dieser Genauigkeit. Der Tanzraum wurde noch nie so intensiv erlebt.

Wie schon mit „Hammett", bei dem Wenders Coppolas elektronisches Studio ausprobierte, und bei „Buena Vista Social Club", seinem ersten hochauflösenden digitalen Film, war der Technologie-Sprung enorm. Wenders hat - wie auch James Cameron mit „Avatar" - warten müssen, bis die Technik reif war. Wie rasant die 3D-Möglichkeiten sich entwickelten, sieht man daran, dass in der ersten Drehphase noch ein Kran-Ungetüm auf der auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses die zwei Kameras halten musste. „Café Müller", „Le Sacre du printemps" und „Vollmond" waren die Stücke dabei. Bei späteren Außenszenen, die Soli mit einzelnen Tänzern zeigen, gab es eine bewegliche Steadycam, die erst ein wirkliches Duett zwischen Apparatur und Tänzer erlaubte.

Seh(n)sucht Afrika

In der Konkurrenz um die Goldenen Bären war bei Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" keine Müdigkeit im Publikum zu erkennen. Der 1969 in Marburg/Lahn geborene Regisseur lebte 1974-79 mit seiner Familie in Zaire, heute Kongo. Nach seinem Spielfilmdebüt „Bungalow" (2002) kehrt er mit einer überraschenden Geschichte nach Afrika zurück: Die erste Hälfte der „Schlafkrankheit" wirkt wie eine dieser gerade wieder modernen Ausbreitungen von Innerlichkeit auf der Leinwand. Diesmal mit dem dekorativen Hintergrund Afrika. Oder versucht sich hier jemand an die Dickschiffe belgischer und französischer Kolonialgeschichten ranzuhängen? Doch eine raffinierte Ellipse mit Perspektivenwechseln irgendwo in der Mitte, enttarnt eine sehr reizvolle Psycho-Story in der Tradition von Joseph Conrads „Heart of Darkness". Wie einst Colonel Kurtz in „Apocalypse Now" sich in Captain Benjamin L. Willard das eigene Exekutionskommando bestellte, holt sich der flämische Dr. Ebbo Velten jemanden von der Weltgesundheitsorganisation zur Evolution seiner sinnlosen Impfprojekte, weil er aus eigener Kraft nicht mehr von Afrika loskommt. Der anfängliche Besuch seiner Tochter, die zwei Jahre lang in einem Internat war, kann nachträglich auch als Befreiungsversuch gesehen werden. Der jedoch scheiterte: Velter ließ Frau und Tochter nach Deutschland vor-fliegen und blieb selbst in der völlig leer geräumten Wohnung für den Leiter mehrerer Kliniken. Das Ende greift eine mythische Geschichte um ein Flusspferd wieder auf und erinnert an den thailändischen Cannes-Sieger „Onkel Boonmee". Das allein wird allerdings noch keinen Preis in Berlin bringen.

Türkisch für Anfänger im Kino

Das Leben des Ein-Millionen-Ersten Gastarbeiters wird in „Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt - wortwörtlich. 1964 kommt Hüseyin nach Deutschland, um sein Familie im fernen Anatolien zu ernähren. Ein wechselhaftes Leben - von dem wir nicht viel erfahren - später hat er eine große Familie und überrascht diese mit der Nachricht, er habe ein Haus in „der Heimat" gekauft. Die Kinder und Enkel sollen alle zusammen in die Türkei um es aufzumöbeln. Während der Reise erzählt die Enkelin dem noch jüngeren Neffen eben diese Geschichte mit vielen Scherzen und eine witzigen Clou: Alle Türken reden deutsch und die Deutschen irgendein unverständliches Kauderwelsch. Hier endet auch schon die Festivalgeschichte dieses Films, der im Ausland doppelt unverstanden bleiben wird, weil man nicht versteht, dass man etwas nicht versteht. Somit ist „Almanya", das Gemeinschafts-Produkt der Schwestern Samdereli, generell im Wettbewerb fehlplaziert. Dass die harmlose Wohlfühl-Komödie keine größeren Probleme, aber auch nur wenige große Momente und Bilder hat, also generell eher ins Fernsehen gehört, spielt dann eher am Rande eine Rolle.

12.2.11

Schlafkrankheit (Berlinale 2011)

In der Konkurrenz um die Goldenen Bären war bei Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" keine Müdigkeit im Publikum zu erkennen. Der 1969 in Marburg/Lahn geborene Regisseur lebte 1974-79 mit seiner Familie in Zaire, heute Kongo. Nach seinem Spielfilmdebüt „Bungalow" (2002) kehrt er mit einer überraschenden Geschichte nach Afrika zurück: Die erste Hälfte der „Schlafkrankheit" wirkt wie eine dieser gerade wieder modernen Ausbreitungen von Innerlichkeit auf der Leinwand. Diesmal mit dem dekorativen Hintergrund Afrika. Oder versucht sich hier jemand an die Dickschiffe belgischer und französischer Kolonialgeschichten ranzuhängen? Doch eine raffinierte Ellipse mit Perspektivenwechseln irgendwo in der Mitte, enttarnt eine sehr reizvolle Psycho-Story in der Tradition von Joseph Conrads „Heart of Darkness". Wie einst Colonel Kurtz in „Apocalypse Now" sich in Captain Benjamin L. Willard das eigene Exekutionskommando bestellte, holt sich der flämische Dr. Ebbo Velten jemanden von der Weltgesundheitsorganisation zur Evolution seiner sinnlosen Impfprojekte, weil er aus eigener Kraft nicht mehr von Afrika loskommt. Der anfängliche Besuch seiner Tochter, die zwei Jahre lang in einem Internat war, kann nachträglich auch als Befreiungsversuch gesehen werden. Der jedoch scheiterte: Velter ließ Frau und Tochter nach Deutschland vor-fliegen und blieb selbst in der völlig leer geräumten Wohnung für den Leiter mehrerer Kliniken. Das Ende greift eine mythische Geschichte um ein Flusspferd wieder auf und erinnert an den thailändischen Cannes-Sieger „Onkel Boonmee". Das allein wird allerdings noch keinen Preis in Berlin bringen.


Schlafkrankheit | Sleeping Sickness

R: Ulrich Köhler

Deutschland, Frankreich, Niederlande 2011

D: Pierre Bokma,  Jean-Christophe Folly,  Jenny Schily,  Hippolyte Girardot,  Sava Lolov

Wettbewerb

91 min

Almanya - Willkommen in Deutschland (Berlinale 2011)

Türkisch für Anfänger im Kino

Das Leben des Ein-Millionen-Ersten Gastarbeiters wird in „Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt - wortwörtlich. 1964 kommt Hüseyin nach Deutschland, um sein Familie im fernen Anatolien zu ernähren. Ein wechselhaftes Leben - von dem wir nicht viel erfahren - später hat er eine große Familie und überrascht diese mit der Nachricht, er habe ein Haus in „der Heimat" gekauft. Die Kinder und Enkel sollen alle zusammen in die Türkei um es aufzumöbeln. Während der Reise erzählt die Enkelin dem noch jüngeren Neffen eben diese Geschichte mit vielen Scherzen und eine witzigen Clou: Alle Türken reden deutsch und die Deutschen irgendein unverständliches Kauderwelsch. Hier endet auch schon die Festivalgeschichte dieses Films, der im Ausland doppelt unverstanden bleiben wird, weil man nicht versteht, dass man etwas nicht versteht. Somit ist „Almanya", das Gemeinschaft-Produkt der Schwestern Samdereli, generell im Wettbewerb fehlplaziert. Dass die harmlose Wohlfühl-Komödie keine größeren Probleme, aber auch nur wenige große Momente und Bilder hat, also generell eher ins Fernsehen gehört, spielt dann eher am Rande eine Rolle.


Almanya - Willkommen in Deutschland | Almanya

R: Yasemin Samdereli

Deutschland 2010

D: Vedat Erincin,  Fahri Yardim,  Aylin Tezel,  Lilay Huser,  Demet Gül,  Denis Moschitto,  Petra Schmidt-Schaller

Wettbewerb außer Konkurrenz

97 min

11.2.11

Aus der Suche (Berlinale 2011)

Aus Prinzip keine Antwort, sondern ganz bewusst eine Frage, eine Suche präsentierte der aus Aachen stammende Jan Krüger mit seiner ersten großen Produktion „Auf der Suche" in der cineastisch hochgeschätzten Nebensektion „Forum". Die bekannte und exzellente Corinna Harfouch spielt darin eine Mutter, die in Marseille ihren anscheinend verschwundenen Sohn Simon sucht. Zu Hilfe holt sie sich dessen Ex-Lover (Nico Rogner), den sie allerdings vor Jahren nicht besonders freundlich behandelt hat. So verläuft die Suche nicht nur wegen der Sprachschwierigkeiten der Mutter holperig. Hier müssen sich Menschen finden und jeder hat ein anderes Bild von Simon. Jan Krüger gelang ein in seiner Form konsequenter Film, mit wenigen kriminalistischen, einigen dokumentarischen und vielen zwischenmenschlichen Elementen. „Auf der Suche" soll im Spätsommer oder Herbst in unsere Kinos kommen.


Auf der Suche | Looking for Simon

R: Jan Krüger

Deutschland, Frankreich 2011

Deutsch, Französisch

Untertitel: (E)

D: Corinna Harfouch,  Nico Rogner,  Valérie Leroy,  Mehdi Dehbi

Forum

89 min

Margin Call (Berlinale 2011)

Der Wettbewerb macht Kassensturz. Das passiert ansonsten am Ende, diesmal wird direkt mit dem ersten Film die Rechnung serviert. Man zahlt gerne mit seiner Zeit: Sag es einfach! Mehr als einmal hörte man diesen Satz in dem Börsenkrisen-Film „Margin Call" von JC Chandor. Wieso ist damals eigentlich die Blase geplatzt, für die wir und einige Generationen nach uns noch Milliarden abbezahlen müssen. Es braucht nicht das geballte Schauspieltalent von Kevin Spacey, Jeremy Irons, Demi Moore, Paul Bettany und Zach Quinto um uns die Hintergründe klar zu machen. Aber sie schaffen es immerhin, einen Film zu diesem tödlich trockenen und hochkomplexen Thema spannend zu machen. Es ist der Tag Eins der Wirtschaftskrise, Ground Zero der Bankenpleiten. Wieder einmal werden bei einer Bank haufenweise Leute entlassen. Einer hinterlässt einem jungen „Überlebenden" einen Datenstick mit brenzligen Analysen. Seit Wochen schon schießt die Bank mit ihren Verlustschwankungen weit über alle Alarmsignale hinaus. Das Minus allein der Risikomanagement-Abteilung ist größer als der Börsen-Wert der gesamten Bank. Was tun? Fragte einst Lenin und jetzt Jeremy Irons als Banken-Boss, der einige Hundert Millionen im Jahr verdient. „Um zu hören, wann die Musik aufhört zu spielen..." Die Party ist jetzt vorbei und nur noch der dümmste Anfänger fragt weiter jeden, was er denn so im Jahr macht. Innerhalb einer Nacht wird entschieden, ob die Blase platzt. Jeder trifft dabei auch persönliche Entscheidungen und keiner kommt mit einer reinen Weste aus dem Banken-Gebäude. Selbst Kevin Spacey, der als Senior Sam scheinbar Moral verkörpert, lässt sich für seinen Verrat gut bezahlen. „Margin Call" erklärt zwar nicht, warum wir alle für die Gewinne der Zocker und die Gehälter der Bänker zahlen müssen, aber für den Preis einer Kinokarte kann man diesen Wahnsinn einfach mal genießen.

 Margin Call

R: JC Chandor

USA 2010

Englisch

Untertitel: (D)

D: Kevin Spacey,  Jeremy Irons,  Demi Moore,  Paul Bettany,  Zach Quinto

Wettbewerb

110 min

10.2.11

Berlinale 2011 Eröffnung


Filmischer Parforce-Ritt

Berlin. 385 Filme in 14 Reihen an 11 Tagen - dies sind ab heute die nüchternen Zahlen, um die sich Entdeckungen, Diskussionen, Star-Aufläufe und sicher auch mindestens ein Skandal drehen werden. Das Gesamtpaket namens Berlinale kann sich in der 61. Ausgabe, im Jahr eins nach dem Jubiläum, wieder komplett auf Filme, Künstler und Stars konzentrieren. Zum Aufgalopp präsentiert Festivaldirektor Dieter Kosslick heute Abend mit „True Grit" einen neuen alten Western. Angestaubt ist der nicht nur, weil das klassische Genre seine Helden und Pferde gern mit Feinkörnigem bepudert. Das Remake des John Wayne-Klassikers „Der Marshal" aus dem Jahre 1969 (siehe Kinoseite) läuft bereits ein paar Wochen in den USA, ist also nicht unbedingt ein Reißer in Festivalkreisen. Als Film an sich jedoch pures Vergnügen! Jeff Bridges („Big Lebowski", „Männer die auf Ziegen starren") und Matt Damon („Der Informant!", „Hereafter") konkurrieren in den Hauptrollen mit dem edlem Filmhandwerk der Coens. Ihren bislang konventionellsten Film erzählen die texanischen Brüder erstmals komplett chronologisch. Wie sich ein junges, sehr resolutes Mädchen aufmacht, um den Tod ihres Vaters zu rächen, dabei aber ausgerechnet auf die Hilfe des größten Trunkenboldes und Rabauken rechnet, begeistert die Cineasten bereits weltweit.

Heute Abend hat auch die Internationale Jury unter der Leitung von Isabella Rossellini ihren ersten großen Auftritt auf dem Roten Teppich am Potsdamer Platz. Zudem wird „The Dude" Jeff Bridges die Atmosphäre anheizen. Er reist mit den Coen-Brüdern an. Später werden für eine Special-Vorführung des Oscar-Favoriten „The Kings Speech" auch Colin Firth und Helena Bonham Carter erwartet. Kevin Spacey, Jeremy Irons und Liam Neeson stehen ebenfalls auf der Gästeliste.

Mit „Almanya - Willkommen in Deutschland" von Yasemin Samdereli, „Schlafkrankheit" von Ulrich Köhler und dem 3D-Tanzfilm „Pina" von Wim Wenders laufen am ersten Wochenende direkt drei deutsche Wettbewerbsbeiträge. Auch „Auf der Suche" von Jan Krüger feiert am Sonntag seine Weltpremiere. Der aus Aachen stammende Film-Regisseur, der zuletzt ein Sybille Berg-Stück am Theater Aachen erfolgreich inszenierte, drehte mit Corinna Harfouch die Geschichte einer Mutter, die in Marseille ihren verschwundenen Sohn sucht.

Politisches Statement

Der morgige Tag steht im Zeichen der Unterstützung für die zu 20 Jahren Haft verurteilten iranischen Regisseure Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof. Um die Aufmerksamkeit auf das nicht anwesende Jury-Mitglied Jafar Panahi zu lenken, wird die Berlinale in mehreren Sektionen jeweils einen Film des weltweit anerkannten Regisseurs präsentieren. Am 11. Februar, dem Jahrestag der Iranischen Revolution, läuft der Berlinale-Preisträger „Offside". Eine Vielzahl prominenter Gästen hat sich angekündigt, um ihre Solidarität zu bekunden.

Der rote Bär, das Logo des Festivals, bestimmt schon seit Tagen die Stadt. Vor den Verkaufsstellen für die Kinokarten stehen lange Schlangen. Flächendeckend ist die Berlinale 2011 nicht nur durch die erfolgreiche Initiative „Berlinale im Kiez", die Festival-Flair in viele Stadtteile bringt. Auch die Aktion „Forum Expanded" gestaltet künstlerisch raumgreifend die Hauptstadt: 42 Künstler, Filmemacher, Performer und Musiker aus 16 Ländern präsentieren filmische Arbeiten in Ausstellungen, in Screenings, im Radio und auf der Bühne. Neben Filmen gibt es Audiobeiträge im Deutschlandradio Kultur, Videointerviews mit Festivalgästen oder in der Botschaft von Kanada und im Filmhaus Guy Maddins „sHauntings" – Videos über Gespenster der Filmgeschichte. Die Gespenster, Sensationen, Entdeckungen der Filmgegenwart schlummern noch in ihren Filmdosen oder Festplatten. Heute Abend werden sie losgelassen.

8.2.11

Lola

Philippinen 2009 (Lola) Regie: Brillante Mendoza mit Anita Linda, Rustica Carpio, Tanya Gomez, Jhong Hilario 110 Min. OmU 

Brillante Mendoza hat die Philippinen erneut auf die filmische Weltkarte gebracht: Mit seinen Filmen „Kinatay" (2009) und „Serbis" (2008) schockierte er das Festivalpublikum, amüsierte und faszinierte aber auch. Dabei wirkt sein Stil sehr dokumentarisch, Mendoza entführt auch immer in verschiedene soziale Milieus, bis hin zum brutalen Verbrechertum, bei dem Menschenleben nur sehr wenig zählen. Ein wenig zahmer, wenn auch nicht weniger erschütternd, zeigt sich „Lola": Eine alte Frau muss die Leiche ihres Enkels an der Polizeistation identifizieren. Danach führt sie eine mühsame Odyssee durch Manila, denn sie muss Geld für die Beerdigung zusammensammeln, dabei viele Klinken putzen, mit vielen Menschen reden. Schon in der Polizeistation kreuzte sich ihr Weg mit dem der Großmutter des Mörders. Auch diese „Lola" versucht Geld zu sammeln...

 

Die Kinder von Paris

Frankreich 2010 (La Rafle) Regie: Roseyln Bosch mit Jean Reno, Mélanie Laurent, Gad Elmaleh, Raphaëlle Agogué , Hugo Leverdez  120 Min. FSK ab 12

Montmartre 1942, Paris-Romantik pur. Mit ein paar Flecken. Die sind gelb und auf ihnen steht „Juif", Jude. Das Leben in den Viertel versucht nach dem Einmarsch der Deutschen wie gewohnt  weiterzulaufen. Die Kinder amüsieren sich mit Hitler-Parodien und wundern sich über den Gestank der Deutschen. Ein Priester trägt aus Solidarität den Judenstern. Doch während die Familie des trotzkistischen Handwerkers das Ende von Sabbat erwartet, verkauft die Pariser Polizei alle Juden der Stadt an die Nazis - mit der Versicherung „sich um alles zu kümmern".

Der lieblich klingende „Die Kinder von Paris" heißt im Original „La Rafle" und damit verbindet man in Frankreich „La grande rafle du Vél d'Hiv". Mehr als 13.000 Juden wurden am 16. und 17. Juli 1942 verhaftet. Zwar verbannte man sie in den Tagen vorher von der Akademie, von den Spielplätzen, trotzdem können sich die Menschen, die einst vor den Kosaken aus Polen flohen, nicht vorstellen, dass die Franzosen unter Petain zu ähnlich barbarischen Handlungen fähig wären. Doch diesmal nehmen sie sogar die Kinder mit! Das Entsetzen ist enorm, aber es wächst und wächst auf dem Weg dieser Menschen ins Verderben. Die Familien werden in einer riesigen Sporthalle interniert, ohne sanitäre Einrichtungen, ohne ausreichende medizinische Versorgung, sogar ohne Wasser. Als einziger Arzt müht sich Dr. David Sheinbaum (Jean Reno) um alle Kranken, vom Operationstisch Verschleppten und aus Krankenhäusern Abtransportierten.

„Die Kinder von Paris" verfolgt dabei verschiedene Schicksale: Die Tochter eines reichen Professors. Den niedlichen Junge, der seine Mutter sucht, die am ersten Tag der Deportation gestorben ist. Die nicht-jüdische Krankenschwester, die sich dem Kinderzug anschließt. Regisseurin und Drehbuchautorin Roseyln Bosch zeigt immer wieder Menschen, die sich entscheiden können. Für die Menschlichkeit oder für die Befehle. Neben der großen Erschütterung angesichts der grausamen und systematischen Ermordung, angesichts des Abtransportes der Kinder (ähnlich wie bei Wajdas polnischem Kinderarzt „Korczack") thematisiert der eindrucksvolle Film vor allem die Rolle der Franzosen, die sich zu gerne dienstbar machten und nicht nur gnadenlos, sondern sogar mit sadistischem Vergnügen rumkommandierten. Was führt diese Menschen zu schwer erträglicher Brutalität, mit der sie nicht nur Wertgegenstände rauben, sondern am Ende auch noch die Kinder von ihren Müttern trennen.

Belanglos und einziger Ausfall des Films ist Hitler als Kinderfreund auf dem Berghof, während er die Tötung von 100.000 Juden anordnet, wärmt sich am Herdfeuer, während Krematorien geplant werden. Diese Szenen wirken eher peinlich. Bei der Razzia, bei der 24.000 Juden auf den Listen von Bevölkerungszählungen standen, konnten 10.000 durch Hilfe von Nachbarn entkommen. Dass dies überhaupt geschehen konnte, wurde nach „La Rafle" in Frankreich heftig diskutiert. 


7.2.11

Tucker & Dale vs Evil

Kanada 2010 (Tucker & Dale vs. Evil) Regie: Eli Craig mit Tyler Labine, Alan Tudyk, Katrina Bowden, Jesse Moss 88 Min. FSK ab 16

Debile Dörfler werden durch jahrelangen Inzest zu Zombies und Kannibalen – das ist der Stoff aus dem Teenie-Horrorfilme gemacht werden. Etwas Angst vor der Fremde und dem Anderen schlummert in jedem Reisegepäck. Man kann sich die USA als ein Land vorstellen, das kurz außerhalb der Stadtgrenzen in Blutbädern kurt. So floriert das erfolgreiche Horror-Subgenre von Klassikern wie John Boormans Flussfahrt mit Mord „Beim Sterben ist jeder der Erste" (1972, Deliverance) bis Schockern wie „The Hills have Eyes - Hügel der blutigen Augen". Die Zeit war reif für eine Parodie - also schmeißen wir alberne College-Studenten und tumbe Dörfler in den Fargo-Häcksler...

Der erste Schocker schreckt schon auf dem Highway: Die Studenten auf dem Wochenend-Trip nach Arizona haben das Bier vergessen! Bei der nächsten Tankstelle empfangen sie dumpf blickende Dörfler. Der an sich ganz nette Dale (Tyler Labine) will die jungen Leute begrüßen, lernt aber schnell: Es lauft nichts mit den Frauen, wenn man mit der Sense in der Hand smalltalken will. Über einen Haufen dummer Gags holpert die Handlung zu ihrem genialen Clou: Während die Studentin Allison beim nächtlichen Nacktbaden verunglückt, retten sie zwei voyeuristische Angler - Tucker und Dale. Die panischen Kids verstehen alles gemäß ihrer Horrorfilm-Sozialisierung, also völlig falsch. Von nun an versuchen sie äußerst ungeschickt und immer wieder tödlich, ihre Freundin zu befreien, während sich die ahnungslosen Retter wundern, weshalb sich die jungen Leute wie die Lemminge vor ihrer Nase umbringen. Bis zum kräftigen Sprung in den Häcksler...

Wer ist debiler? Die Inzest-Brut vom Lande oder die geklonten College-Kids, die sich ihre kleinen Hirne bei Partys weggesoffen haben? Netter sind auf jeden Fall Tucker und Dale. Ihr Film zückt immer mal wieder die Motorsäge - allerdings nur, um Bienen zu verscheuchen. Derweil hat der Sheriff ein Brett vor dem Kopf, mit dicken Nägeln in der Stirn.

Ein paar gute Ideen, wie man ein Genre auf den Kopf stellt, werden in „Tucker & Dale vs Evil" mit viel Blut verwässert. Mörderische Männer, die eine softe Gesprächstherapie probieren, sind schon zum Schreien („Sream!"), doch spätestens wenn es ernst wird, wird es auch langweilig. Denn auch hier ereignete sich wie immer vor 20 Jahren etwas Grausames. So sind die Scherzchen im Trailer fast schon die besten des Films.