29.12.10

Das Labyrinth der Wörter


Frankreich 2010 (La tête en friche) Regie: Jean Becker mit Gérard Depardieu, Gisèle Casadesus, Claire Maurier, Sophie Guillemin 82 Min.

„In Liebesgeschichten geht es nicht immer um die Liebe. Manchmal ist da nicht mal ein ‚Ich liebe dich’. Und doch lieben wir uns.“ Die große Liebesgeschichte eines einfachen Mannes ist dieses „Labyrinth der Wörter“ von Jean Becker, gespielt von Depardieu, dem großen Darsteller einfacher Figuren. Geht es um Mutterliebe? Um einen dyslexischen Hilfsarbeiter, der durch die Literatur zu einem anderen Menschen wird? Was auch immer man zu „Das Labyrinth der Wörter“ sagen kann, am Ende überwältigt die Rührung dieses liebe-vollen und schön altmodischen Meisterwerks.

Mit seinem Blaumann läuft er durch das kleine Dorf der französischen Provinz, schreibt seinen Namen immer wieder auf das Ehrenmal der Kriegstoten und verkauft die Früchte seines Gärtchens. Germain (Gérard Depardieu) ist nicht mehr der Jüngste, etwas einfältig. Nicht bekloppter als die anderen, aber netter. So lebt er bescheiden im Camper, der im Garten seiner verschrobenen Mutter steht, hat eine lockere Beziehung zu der viel jüngeren und attraktiven Busfahrerin Annette und trifft eines Tages auf einer Parkbank die 95-jährige Margueritte. Sie unterhalten sich über die Tauben, die für Germain wie eine Familie sind. Sie liest ihm aus Camus’ „Die Pest“ vor und in seiner (schwarz-weißen) Vorstellungen sterben die Ratten. Aus der Begegnung werden regelmäßige Treffen mit der alten Dame im rosa Kostüm, die Vorleserin bemerkt sein gutes auditives Gedächtnis. Doch Germain meint, er erinnere sich nur genau an das, was er gehört habe.

Es sind die Worte, die nicht recht zueinander finden, die dem imposanten Kerl das Leben so schwer und ihm zum Gespött der Leute machen. Das war schon in der Schulzeit so, wie einige Rückblenden zeigen. Zudem verhielt sich seine Mutter extrem lieblos, der Erwachsene leidet noch immer darunter, dass sie ihn als „das da“ bezeichnete. Nun liebt er in der alten Margueritte die Mutter, die er nie hatte. Der Umgang mit der alten Frau, die Germain schon recht poetisch als zierliche „40 Kilo Falten mit Regalen voller Bücher im Kopf“ beschreibt, veredelt diese Seele von Mensch. Und als die von ihrer Familie im Altersheim abgesetzte Margueritte erblindet, nimmt ihr Lese-Schüler die Sache in die Hand...

Der mittlerweile 77-jährige Jean Becker hat seit seinem Regiedebüt mit „Sie nannten ihn Rocca“ im Jahre 1961 nicht viele Kinofilme gemacht. Gerade einmal neun waren in Deutschland zu sehen, alle herausragend. „Dialog mit meinem Gärtner“, „Ein Sommer auf dem Lande“ und „Ein mörderischer Sommer“ gehörten dazu. Wenn man urteilt, Becker macht altmodische Filme, im positivsten Sinn des Wortes.

Die Verfilmung des Romans „Das Labyrinth der Wörter“ („La tête en friche“) von Marie-Sabine Roger ist vor allem wieder ein Becker-Film, der sich in den schönen, guten Seiten des Menschseins suhlt. Depardieu ist dabei vielleicht sogar zu sehr Depardieu, ab und zu denkt man bei dem Simpel Germain tatsächlich an den geistig verwandten Obelix und das gehört nun mal gar nicht hierhin. Aber darin liegt auch die Magie Beckers verborgen, der einem eigentlich simplen Film - die Musik komponierte beispielsweise Schlager-Spezialist Laurent Voulzy - ein ganz großes Herz gibt und ihn zu einer Perle des Gefühlskinos macht.

28.12.10

Immer Drama um Tamara


Großbritannien 2010 (Tamara Drewe) Regie: Stephen Frears mit Gemma Arterton, Roger Allam, Bill Camp, Dominic Cooper, Luke Evans 111 Min. FSK ab 12

Den englischen Schriftsteller Thomas Hardy (1840 – 1928) können auch Kinofans über die Verfilmungen „Tess“ (1979) von Roman Polanski, „Herzen in Aufruhr“ (1996, Original: „Jude“) und „Das Reich und die Herrlichkeit“ (2000, nach dem Roman „The Mayor of Casterbridge“) von Michael Winterbottom kennen. Aber es gibt auch die Comic-Serie  „Tamara Drewe“ von Posy Simmond, die auf Hardys melodramatischem Roman „Am grünen Rand der Welt“ beruht. Und nun hat Tausendsassa Stephen Frears („Die Queen“, „High Fidelity“, „Gefährliche Liebschaften“) die leichte Geschichte noch einmal zu einer ebenso lebensklugen wie schrägen Komödie veredelt.

Tamara Drewe (Gemma Arterton) schlägt in dem beschaulichen Dörfchen Ewedown in der englischen Grafschaft Dorset ein wie eine Bombe. Sex-Bombe auch, aber zudem hat es das ehemalige hässliche Entlein nach einem Nasenjob durchaus zu Ruhm, Geld und auch Intelligenz gebracht. Kein Wunder, dass sich die knackige Jugendliebe Andy (Luke Evans) Hals über Kopf noch einmal verliebt. Doch die Kolumnistin Tamara schnappt sich erst einmal den sehr peinlichen Drummer einer Indie-Band, was den aktuellen Dorfmädels völlig den Kopf verdreht.

Am Hügel gegenüber schwitzen angehende Autoren köstlich komisch bei einem Workshop, während der Gastgeber, der gefeierte Krimi-Autor Nicholas Hardiment (Roger Allam), seine devote Frau ein weiteres Mal betrügt und der neuen Nachbarin Tamara mit dem Fernglas hinterher starrt. Dieses Ensemble mit hohem Unterhaltungs-Potential stellt nur die Ausgangs-Formation einer Komödie dar, die zu einem tragischen Tod führt, bei dem man Miss Marple gleich im nächsten Zug erwartet. „Tamara Drewe“ könnte auf grün wogenden Hügeln eine Pilcher-Parodie sein, lässt zwei ausgeflippte Teenies das sich unabwendbar entwickelnde Chaos wie ein griechischer Chor kommentieren. Die Groupies des gleichermaßen peinlichen wie ekligen Star-Autors Hardiment sind da wesentlich alberner, während dessen Frau von einem tiefsinnigen Thomas Hardy-Verehrer mit Schreibblockade angehimmelt wird.

Der Western „The Hi-Lo Country“ (1998), die königliche Satire „Die Queen“ (2006), das bittere Sozialdrama „Kleine schmutzige Tricks“ (2003) mit Audrey Tautou und Sergi Lopez, die Komödie „High Fidelity“ (2000), „Mary Reilly“ (1995), die andere Seite von „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ mit Julia Roberts, „Gefährliche Liebschaften (1989) oder die Immigranten-Komödie „Sammy & Rosie tun es“ (1987)... Selbst wenn man von den vielen guten Filmen, die der 1941 geborene Stephen Frears seit seinem ersten Erfolg „Mein wunderbarer Waschsalon“ (1985) - und dem vergessenen Meisterstück „The Hit“ - bis zu der letzten Literaturverfilmung „Chéri“ (mit Michelle Pfeiffer) hingelegt hat, ein paar vergessen hat - es ist höchst erstaunlich, wie der Brite mit jedem Genre etwas anfangen kann, aus jedem Stoff etwas Interessantes zaubert. „Tamara Drewe“, diese manchmal sehr komische, aber auch sehr flache Geschichte mit ihrem makabren Ende hätten andere für das schnelle Vergessen runtergefilmt. Doch Frears wirft mit scheinbar leichter Hand Figuren und Situationen auf die Leinwand, die bei aller Albernheit mit nachhaltiger Tiefe gefallen. Ein leichtes, buntes Vergnügen mit einer Reihe eingestreuter Perlen...

22.12.10

Vergissmichnicht


Frankreich, Belgien 2010 (L' âge de raison) Regie: Yann Samuell mit Sophie Marceau, Marton Csokas, Michel Duchaussoy 89 Min.

„Kinderspiele“ lautete der (Original-) Titel von Yann Samuells sagenhaftem Debüt „Liebe mich, wenn du dich traust“ (Jeux d'enfants) mit Marion Cotillard. Nun geht es um Kinderträume und wieder erkämpft sich das träumende Kind im Erwachsenen sein Recht, lehrt ihm wieder zu spielen und zu lieben. In der ewig mädchenhaften Sophie Marceau fand „Vergissmichnicht“ seine Idealbesetzung.

Die Welt der knallharten Geschäftsfrau Margaret (Sophie Marceau) besteht aus Zahlen und Charts. Jede Minute ist effektiv verplant. Dass die Chinesen das schrottige Atomkraftwerk der „Pandora Group“ (!) kaufen, ist gar keine Frage. Es geht nur noch darum, den Gewinn zu maximieren. Mitten in den Verhandlungen erhält Margaret zu ihrem 40. Geburtstag, den sie doch eigentlich völlig ignoriert, sieben Briefe aus der Vergangenheit. Ein kleines Mädchen schrieb ihr und erkundigt sich, was denn aus Margaret geworden ist: Wal-Ärztin? Astronautin? ... Vehement wehrt die Karriere-Frau diese Widerhaken der Erinnerung ab. Sie hat doch alles: Viel Geld, einen super Job und einen ähnlich ausgestatteten Mann. Als kleines Mädchen hingegen, so erzählen Rückblenden in warmen Farben, waren erst das Geld und dann der Vater weg. Nur die Fantasie blieb Margaretes Mutter, um ihre zwei Kinder wachsen zu lassen. Im Altern von sieben Jahren beendete das Mädchen seine Kindheit und die Armut...

Die graue Geschäftswelt lässt die Seele verdorren. Das einfache, auch arme Leben erstrahlt in den Farben des Glücks - das klingt nach Klischee, aber so fantastisch, so herzlich und liebevoll wie Yann Samuell die Erlebnisse der Kindheit präsentiert, vergisst man diesen Verdacht sofort. Die bunt gebastelten Briefe des Mädchens erobern nicht nur die Wohnung der Erfolgsfrau, sie übernehmen den ganzen Film und statten ihn mit viel Spaß und einer besonderen Eigenschaft der Samuell’schen Figuren aus: Liebe und Leidenschaft bedeuten nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sie tun auch mal weh. Doch hilfreich erweist sich immer, mit der Leichtigkeit und Verrücktheit der Kinder auch große Probleme anzugehen.

21.12.10

DREiPad: „Drei“. iPad-Edition


Die revolutionäre App zum Film

Ein äußerst flotter Medien-Dreier revolutioniert zum Start von Tom Tykwers neuer Regie die Palette der Begleit-Publikationen: Zum Film „Drei“ erscheint das übliche Buch zum Film sowie - das ist sensationell neu und gut - eine App(likation) für das iPad von Apple. Im Grunde ein audiovisuelles Presseheft, aber über 200 Seiten sowie auf vielen multimedialen Ebenen! „Drei“ auf dem Touchscreen vom iPad vermittelt mit seinen bewegten und bewegenden Bildern immer noch was von Science-Fiction oder vom «Daily Prophet» in Harry Potter.

Film-Lesen
Zu jeder der fast 200 Drehbuchseiten gibt es ein Film-still der Kamera von Frank Griebe, auch mal als Schuss/Gegenschuss oder beim Miteinanderschlafen als oben/unten der Akteure Sophie Rois und Sebastian Schipper. Was man als bei einer DVD/Blu-Ray als reichhaltiges Bonus-Paket begrüßen würde, ist hier nur ein Teil des fließend integrierten Angebots: Hintergrundinformationen zum zentralen Thema Gentechnik, ein ausführliches Gespräch mit dem Produzenten Stefan Arndt, zu einer Traumszene das passende Zitat aus DeSicas „Das Wunder von Mailand“, Filmausschnitte und vieles, vieles mehr.

Das klassische „Making of“ wird in einzelnen Szenen immer genau an den passenden Stellen angeboten. Oder auch ein Text von Ingeborg Bachmann, der Tykwer inspiriert hat. Ein Bild im Hintergrund, eine Erwähnung, ein Zitat - immer ist da auch die gewünschte Unterfütterung per digitaler Fußnote. Derart gerät das Drehbuch zu einem Rhizom, das so ähnlich im Kopf des Autors Tykwers wuchs. Ein Lese- und enzyklopädischer Text, quasi mit eingebautem Greenaway, der einem unzählige Details anbietet.

Die iPad-Edition öffnet auch der Filmanalyse neue Wege: Derartig viele Stils, parallel das komplette Drehbuch, Zusatzmaterialien des Autors, so eine im alten Sinne kritische Textedition mit modernem Medienmix ist der feuchte Traum jedes lustvollen Stöberns und Interpretierens. Genau so hat die Zukunft immer sein sollen! Für den stolzen Preis von 19,99 € könnte allerdings auch der Film dabei sein - wenigstens als Nachlade-Option zum DVD-Start. So toll diese App ist - die großen Erfolge in diesem Sektor werden mit kleinen Preisen und Riesenauflage gemacht.

„Drei. iPad-Edition“ (Tom Tykwer. Hrsg. Michael Töteberg) läuft auf dem iPad über den Kiosk der Frankfurter Rundschau. Dieser wird gratis geladen und bietet dann die App zum Stöbern oder in Vollversion für 19,99 € an.

Günter H. Jekubzik

Drei


BRD 2010 (Drei) Regie: Tom Tykwer mit Sophie Rois, Sebastian Schipper, Devid Striesow 119 Min. FSK ab 12

Nach Ausflügen in die internationale Film-Produktion mit „Heaven“, „Parfum“ und „The International“ drehte Tom Tykwer, einer der besten deutschen Regisseure, mit „Drei“ erstmals wieder einen eigenen Stoff in vertrauten Gefilden. Was zu seinem besten Film seit langem führte - kleine Perlen wie die Episode „Faubourg Saint-Denis“ aus „Paris, je t'aime“ ausgenommen. Der flotte Dreier „Drei“ setzt eine spannende, ungewöhnliche Geschichte, formal sehr reizvoll um und überschreitet dabei munter Grenzen des Beziehungseinerleis.

Die Verbindung klappt irgendwie nicht: Hanna (Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper) leben nebeneinander her, das Sexualleben ist noch kein Stellungskrieg, aber über die Frage „Unten oder Oben“ kommen sie nicht hinaus. Als bei Simon Hodenkrebs diagnostiziert wird und er sofort operiert werden soll, erreicht er die ahnungslose Hanna nicht, weil sie gerade mit dem vielfach begabten Gen-Forscher Adam (Devid Striesow) fremd geht. Bei der Genesung ist sie wieder keck liebevoll an Simons Seite, doch der hat bald eine erotische Begegnung im Schwimmbad - mit genau jenem Adam, der so sehr unschuldig aber auch souverän verführerisch schauen kann.

So finden Hanna und Simon bei Adam, was ihnen miteinander fehlt. Schwierig, aber vielleicht muss man ja nur „Abschied nehmen vom deterministischen Biologie-Verständnis“, vielleicht sind wir ja alle pluripotente Stammzellen, wie der am Gen manipulierende Wissenschaftler routiniert formuliert. Auf jeden Fall ist das Paar, das weder vom Seitensprung noch vom gemeinsamen Bekannten weiß, begeistert: „Du siehst aber gut aus!“ lautet der Kommentar, bei dem „Drei“ die Komödien-Raffinesse von Schünzels / Blake Edwards „Viktor und Viktoria“ (1933 / 1982) erreicht.

„Drei“ ist - vor allem dank Sophie Rois - eine herrlich komische und erdige Komödie. Voller raffinierter Ecken, Kanten und Ebenen: Da erlebt die natürliche Fruchtbarkeit einen heftigen Rückschlag, während der Fortpflanzungs-Genetiker einen Höhepunkt hat. Dass Hanna als unübersehbare Tita von Hardenberg-Parodie im Ethik-Rat der Regierung sitzt, ist intellektuelles Hintergrundrauschen ebenso wie das kulturelle Gequatsche in allen Ecken der Berliner Szene oder ein Besuch von Robert Wilsons „Shakespeares Sonette“. Sophie Rois, der Volksbühnen-Star, hat endlich die richtige Rolle für ihr großes Können und ihren unvergleichlich herb-sensiblen Auftritt. Devid Striesow gibt mal nicht den fiesen oder miesen Deutschen und überrascht mit einem vielschichtigen Charakter. Sebastian Schipper hat als Regisseur der Wahlverwandtschaften-Variation „Mitte Ende August“ genügend Erfahrungen mit komplexer Beziehungs-Arithmetik und macht nachhaltig Eindruck.

Tykwer sucht in „Drei“ kongeniale Bilder für Beziehungssituationen. Da verlaufen zwei Überlandleitungen parallel zu dem wenig begeisterten Lebens-Kommentar eines Zugreisenden: „Harmonie, Friktion, Symmetrie, Parallelität, Trott, Flucht, Heimkehr, Fremdgehen, Bereuen ... Rheuma, doch Kinder, Fehlgeburt, weiter, Therapie, kein Sex, Älter, weiter, langsamer, weiter, du stirbst, ich auch.“ Dazu Tykwers typisch treibender Rhythmus auf der Tonspur. Wesentlich reizvoller symbolisiert ein schwarzes Tanz-Trio im weißen Raum die Dreier-Konstellation des Films - Anziehung und Eifersucht locken hier ebenso erotisch wie kunstvoll. Eine paradiesische Komödie!

Skyline


USA 2010 (Skyline) Regie: Colin Strause, Greg Strause mit Eric Balfour, Scottie Thompson, Brittany Daniel 92 Min.

Übermächtige Außerirdische landen in Amerika. Ein junges Paar versucht den mörderischen Wesen zu entkommen. Ein außergewöhnlicher, exzellenter Science Fiction! Sein Titel lautet „Monster“ und er ist so ziemlich in allem das Gegenteil vom unsäglichen „Skyline“. Also gehen sie an die Kinokasse und fragen nach „Monsters“. Falls er bei Ihnen nicht läuft, fragen sie nach den Gründen - vielleicht läuft er dann ja nächste Woche, wenn „Skyline“ in Rekordgeschwindigkeit aus dem Blick und dem Gedächtnis verschwunden ist.

Die Gründe, weshalb man „Monsters“ und auf keinen Fall „Skyline“ sehen sollte, sind so zahlreich wie die Tentakel der Aliens: Lächerliche Schauspieler, die anscheinend ihren Job im Porno-Geschäft verloren haben, also fleischgewordene unfreiwillige Witze geben die Figuren ab. Absurde Dialoge, die nur in einer Parodie passen würden, schmerzen Ohr und Hirn. Eine Handlung, die „Krieg der Welten“ und „Independence Day“ zusammenmixt und alles unvorstellbar viel schlechter macht. Dann die Tricks, das Spezialgebiet der beiden Regisseure: Den kleinen und großen Raumschiffen und Wesen sieht man viel Mühe beim Einkauf von blauen LEDs an. Ansonsten erinnert alles an eine geistlose Spielerei von ein paar Computer-Kids.

Der größte Witz bei all dem: Die Macher, die Brüder Colin und Greg Strause, haben sich nach ihrem letzten Film „Aliens vs. Predator 2“ bitter beschwert, das Studio hätte ihr Meisterwerk verhunzt. Jetzt versteht man, wie panisch und energisch ein Filmstudio reagieren muss, wenn sie so ein faules Strausen-Ei ins Nest gelegt bekommen. Liebe Zuschauer, bitte beendet diese Karrieren ganz schnell. PS: Ein wirklich exzellenter Film dieses Genres ist „Monsters“ …

14.12.10

Von Menschen und Göttern


Frankreich 2010 (Des hommes et des dieux) Regie: Xavier Beauvois mit Lambert Wilson, Michael Lonsdale, Olivier Rabourdin, Philippe Laudenbach, Jacques Herlin, Loïc Pichon 120 Min.

„Von Menschen und Göttern“ ist ein viel gelobter, in Cannes begeistert aufgenommener Film, der im Mai den Grand Prix des Festivals gewann. Aber es ist vor allem ein außergewöhnlicher Film, bei dem man stillstehen muss, vielleicht sogar - die Mönche des Films legen es nahe - im Geiste niederknien kann. Weil er Lebensweisen und Werte vorstellt, die gänzlich als aus der Zeit gefallen erscheinen, und weil Regisseur Xavier Beauvois zeitlose wie hochaktuelle Fragen meisterlich ins Bild bringt.

Sieben Trappisten leben in den Neunziger Jahren bescheiden im kleinen Klosters Tibhirine, im algerischen Atlasgebirge gelegen. Sie verkaufen die Früchte ihrer Felder, versorgen das nahegelegene, ärmliche Dorf mit medizinischem und juristischem Rat. Als das Militär 1992 den Wahlsieg der radikal-islamischen Heilspartei (FIS) verhindert, eskaliert im Land die Gewalt zwischen fundamentalistischen Gruppen und dem Militärregime. Ein Ultimatum der „Groupes Islamiques Armés“ verlangt, dass alle Ausländer das Land verlassen. Auch im Klosters Tibhirine wird die Bedrohung immer deutlicher. Kroatischen Bauarbeitern in der Nähe wird die Kehle aufgeschnitten. Die Mönche müssen sich entscheiden, ob sie bleiben, lehnen aber vor allem militärischen Schutz ab.

In den knappen Gesprächen der demütigen Sieben fallen zwar Sätze, die in ihrer Simplizität furchtbar aufregen wie „Partir, c’est mourir“. Doch gerade die Einfachheit des Lebens fasziniert auch. Der eher als Schauspieler bekannte Regisseur Xavier Beauvois („Villa Amalia“, „Ponette“) betont dies mit streng kadrierten Bildern vor grauen Wänden, zeigt immer wieder die gesungenen Gebete, die Gespräche um den kargen Tisch vor der Landkarte, die eine einige Welt zeigt. Das Verhalten der in ihrer Bescheidenheit und im Beharren auf das Dienen auch sehr dickköpfigen Mönchlein wirkt oft niedlich, wenn sie sich gegen den Lärm des Militärhelikopters über ihren Köpfen noch enger zusammenstellen und noch inniger singen.

Man könnte über die Vermessenheit von Mission nachdenken und die melancholische Spät-Fürsorge der Franzosen für ihre alten Kolonien. Doch diese geschickt umgangenen Grundprobleme der Situation werden irgendwann nebensächlich angesichts der extrem intensiven Darstellung einer ungewöhnlichen (Lebens-) Haltung. In einer unglaublich gewaltigen und bewegenden Szene lässt der schwerkranke Arzt Luc (Michael Lonsdale) Tschaikowskis
Schwanensee erklingen und schenkt ausnahmsweise Rotwein aus. Für eine Abschiedsrunde, bei der die Kamera immer wieder auf diesen alten, ausdrucksstarken Gesichtern ruht - noch so ein wunderbarer Moment des Films, bei dem nicht nur die Brüder zu Tränen gerührt sind.

Dies war dann tatsächlich das letzte Abendmahl dieser Mönche, die danach entführt und ermordet wurden. Von den realen Trappisten, auf deren Geschichte dieser Film beruht, fand man nur noch die Köpfe - Beauvois lässt sie gnädig im winterlichen Nebel verschwinden. Dazu hört man den Abschiedsbrief des Priors (Matrix-Darsteller Lambert Wilson: beeindruckend!), der gleichzeitig das Vermächtnis des Films ist. Er spricht unendlich großherzig, milde und klug vom Unterschied zwischen Islam und Islamismus, von der Vorfreude zu hören, wie Gott die moslemischen Brüder sieht, und vom schweren Abschied von der Heimat, die Algerien den Mönchen war.

13.12.10

Die Chroniken von Narnia: Die Reise auf der Morgenröte


USA 2010 (The Chronicles Of Narnia: The Voyage Of The Dawn Treader) Regie: Michael Apted mit Georgie Henley, Skandar Keynes, Ben Barnes, Will Poulter, Tilda Swinton 115 Min.

Es scheint ein Fluch über Narnia zu liegen: „Die Reise auf der Morgenröte“ ist nun schon die dritte Kinoverfilmung der letzten Zeit. Doch weder der Charme noch der religiöse Subtext aus C.S. Lewis’ sieben Büchern „Die Chroniken von Narnia“ kommt im Film richtig rüber. „Die Reise“ sollte vor allem erröten, weil sie wie ein mit viel Materialaufwand lieblos runtergefilmtes Adventure wirkt. (Der Film wurde in 2D gedreht und nachträglich mit 3D aufgemotzt.)

Meistere sieben Aufgaben, sammle sieben Schwerter und du bist am Ziel. Klingt wie ein simples Brett- oder Computer-Spiel und ist auf fast 120 Filmminuten gestreckt arg ermüdend. Auch dieser Film hält sich an die Reihenfolge der Buchveröffentlichungen und nicht an die Zeitläufe von Narnia: Nur noch zwei der Pevensie-Geschwister gelangen über ein Meeres-Bild, das plötzlich überfließt, aus dem kriegsbedrohten England ins bekannte Märchenreich Narnia. Im Gepäck haben Lucy und Edmund ihren äußerst unsympathischen, hochnäsigen wie ignoranten Neffen Eustace Scrubb (Will Poulter, der „Son of Rambow“). Auf dem Schiff von König Kaspian steuern sie sieben Inseln an, um einen dämonischen gelben Nebel zu bekämpfen. Die Abenteuer erledigen sich ziemlich Hopplahopp, dann flott die nächste Insel angesteuert, eben noch die Gefahr einer Meuterei kurz angedeutet, doch dann ist leider keine Zeit mehr dafür. Eigentlich müssten sich alle Beteiligte ihrer persönlichen Herausforderung stellen, doch nur die gefallsüchtige Lucy blickt mal zu lange in den Spiegel und der herrschsüchtige Edward rangelt was mit Kaspian. Trotz großem Brimborium mit Seeungeheuer, grob animierten Seejungfrauen und viel Mummenschanz bekämpfen die britischen Kinderhelden nur gepflegtes Unheil. Narnia geht es zu gut. So hat schauspielerisch allein Will Poulter als Eustace eine Figur mit Entwicklungsmöglichkeiten. Immer wieder taucht dieser furchtbar gelassene Löwe Aslan auf und predigt Glaube. Am Ende begeht eine Maus fröhlich Selbstmord und man muss an der kreisenden Berg denken, wenn bei so viel Tara und Aufwand ein Mäuschen an Mehrwert zur schwachen Unterhaltung bleibt.

The Tourist


USA, Frankreich 2010 (The Tourist) Regie: Florian Henckel von Donnersmarck mit Angelina Jolie, Johnny Depp, Paul Bettany, Timothy Dalton, Steven Berkoff, Rufus Sewell 103 Min.

Zum Donnersmarck noch mal! Warum müssen die alle auf unseren Oscar-Jungen Florian rumhacken? Herr Henckel von Donnersmarck scheint ja persönlich kein Sympathiebolzen zu sein. Aber sein erster Hollywood-Film, fünf Jahre nach dem Oscar-Erfolg von „Das Leben der Anderen“, ist gar nicht so schlecht und eigentlich sogar ganz schön raffiniert. Wenn man mal richtig hinter die Fassade der femme jolie und des schönen Venedigs blickt.

Der Anfang ist schon eine Parodie aller Erwartungen: Ein Lieferwagen voller Überwachungsgeräte, Kameras und Mikrofone ... das ist so „Das Leben der Anderen“, so „Stasi“! Doch dann tritt Angelina Jolie aus dem Stadthaus, stöckelt auf hohen Absätzen durch Paris und man ist in einem anderen Film. Der Star, der erst einmal vor allem das ist, spielt Elisa Clifton-Ward. Diese ist als ehemalige Geliebte des flüchtigen Milliarden-Diebes Alexander Pearce im Fokus mehrerer Geheimdienste. Jetzt liest sie, während sie in einem Kaffee Hof hält, nach zwei Jahren einen Brief von Pearce mit der bitte um Verzeihung und mysteriösen Anweisungen: Sie solle den nächsten Zug nach Venedig nehmen und zur Tarnung mit irgendeinem Fremden, der ungefähr seine Statur habe, engen Kontakt aufnehmen. Das Ablenkungsmanöver misslingt schon bald, weil Scotland Yard den verbrannten Brief doch noch entschlüsselt. (Timothy Dalton verdeutlicht als Boss von Scotland Yard was mit ausgemusterten Bonds passiert.) Doch der von Pearce bestohlene Gangsterboss Ivan Demidov (Steven Berkoff) ist schon auf der Spur des von Elisa angeflirteten Frank Tupelo (Johnny Depp) und der Krimi unter den Dächern von Venedig nimmt seinen Lauf...

Frank Tupelo, dieser Mathelehrer aus Wisconsin, ist alles andere als erste Wahl für die durchgehend als Klasse- und Rasse-Frau präsentierte Elisa. Schlecht sitzen bei ihm nicht nur Haare und Klamotten, auch Sprache und Manieren sind ausbaufähig. Die ersten Lektionen übernimmt die Schöne, ebenso seine erste Nacht im Luxus-Hotel an der Seufzer-Brücke. Ein Kuss auf dem Balkon könnte allerdings sein Todes-Kuss sein.

Ebenso spannend wie die Fragen, wer der Tourist ist, wer Alexander Pearce und für wen sich Elisa entscheidet, scheint in Deutschland die nationale Frage zu sein, wie sich ein Oscar-Sieger bei seiner ersten star-geschwängerten Hollywood-Produktion hält. „The Tourist“ sieht gut aus, ist aber immer wieder zu lang geraten. Da scheint jemand ziemlich selbstverliebt in seine Bilder zu sein. Die Spannung des Thrillers geriet in ein paar Momenten anständig, aber nicht sensationell. Der Humor in Dialogszenen gelingt öfter (Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck, Christopher McQuarrie, Julian Fellowes), hier darf Johnny Depp ganz dezent den Spleen seiner anderen Figuren zurückhalten. Aber Personen kann er ganz gut, der Donnersmarck. Denn spannender als die zwei, drei Verfolgungsjagden sind die Momente des Zweifels bei Elise. Vom ersten Auftritt auf den Straßen von Paris an sieht sie aus wie eine klassische Marmor-Statue. Es geht um Schönheit und Äußerlichkeit. Die von Elise, die Venedigs, die des Schmucks und der Kleidung. Und trotzdem hat dieser langweilige Mathelehrer, dieser Tuppes Tupelo, etwas, was die Traumfrau anzieht. Und genau dieser schwer erklärbare, nicht äußerliche Reiz wird von Jolie und Depp reizvoll umgesetzt. Die von der Kritik geforderten Funken, die zwischen ihnen sprühen sollen, wäre fehl am Markusplatze. Konsequent entscheidet sich der sehenswerte Film am Ende für die einfachste Lösung und für die große, echte Liebe frei von allen Fesseln und Äußerlichkeiten.

12.12.10

Dann musst du ins Heim! - Wenn Kinder ein neues Zuhause brauchen (ZDF)


„Dann musst du ins Heim!“ - diese etwas altmodische Drohung erzählt viel von Stigmatisierung der Heimkinder. Die Aachener Filmemacher Miriam Pucitta und Michael Chauvistré zeigen in ihrer neuen Dokumentation, die sie für das anspruchsvolle ZDF-Format „37°“ drehten, die andere Seite des Heimlebens. Sie begleiteten drei Kinder aus dem Aachener Kinderheim Maria im Tann. „Dann musst du ins Heim!“ läuft am Dienstag, 14. Dezember, um 22.15 Uhr im ZDF.

Ein ganzes Jahr lang begleitete das berufliche und private Team Miriam Pucitta und Michael Chauvistré die beiden Halbbrüder Dominik und Kevin (10 und 12 Jahre alt) sowie die 18-jährige Eileen. Die junge Frau ist in „Maria im Tann“ aufgewachsen. Als sie mit 10 Jahren hierher kam, hatte sie schon schlimme Dinge erlebt. Mit Hilfe ihrer Erzieherin Irene gelang es ihr damals, sich einzugewöhnen. Durch Irene hat sie so etwas wie mütterliche Gefühle gespürt. Jetzt, mit 18, muss sie das Kinderheim verlassen. Davor hat Eileen Angst, der Abschied aus der vertrauten Umgebung fällt ihr nicht leicht.

Das Sende-Format "37°" erlaubt nicht den üblichen feinen Humor, der Chauvistrés Filme „Mit Ikea nach Moskau“ (2001) oder die Doku über Leih-Weihnachtsmänner „Schau mich nicht so böse an“ (1997). Doch bemerkenswert ist, wie vertrauensvoll sich die Protagonisten vor der Kamera verhalten. Das ermöglicht, diese jungen Menschen in ihrer speziellen Situation ganz offen kennenzulernen. Das ist auch die hohe Schule der guten Dokumentation.

Michael Chauvistré studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München in der Spielfilmabteilung, nachdem er in seiner Geburtsstadt Aachen Philosophie und Geschichte belegt hatte. 1988 gründete er die Produktionsfirma Happy Endings Film. Er besuchte Drehbuchseminare bei Doris Dörrie, Keith Cunningham und Tom Schlesinger sowie ein Schauspielseminar bei John Costopoulos. Seinen Abschlussfilm an der Filmhochschule, die Kurzgeschichte „Pax“, in der Menschen die berühmten Ikea-Möbel nutzen, um sich näher zu kommen, lief als Episode innerhalb des abendfüllenden Spielfilms „Midsommar Stories“. Die Dokumentation „Der Traum des Vaters“ über einen italienischen Wirt in München war 2006 der erste gemeinsame Film von Michael Chauvistré und Miriam Pucitta. Sie wurde 1964 in Bern als Kind italienischer Gastarbeiter geboren und studierte ebenfalls an der Hochschule für Fernsehen und Film Regie. Nach einigen Dokumentarfilmen, die in Italien gedreht waren, schloss sie die Filmhochschule mit dem abendfüllenden Spielfilm „Wenn du mich nicht willst“ ab.

Dass Chauvistré und Pucitta mit ihren Kindern vor einigen Jahren nach Aachen zogen, erweist sich nun als qualitative Belebung des euregionalen Filmschaffens. Die Nachbarn des überzogenen Tivoli-Projektes dokumentierten seltsame Vorkommnisse um die vermessenen Pläne eines lokalen Sportvereins. Inklusive einer unter ungeklärten Umständen abgebrannter Gaststätte - Michael Chauvistré war mit der Feuerwehr zur Stelle. Auch bei der Premiere von „Dann musst du ins Heim!“ am Sonntag werden beide Regisseure dabei sein. Wenn alles klappt, denn zur Zeit ist Michael Chauvistré in China und nimmt am Workshop „Crossing Borders“ über interkontinentale Dokumentarfilm-Arbeit teil und landet erst Sonntagmorgen wieder in Europa. In China bereitet er ebenfalls ein Projekt vor, in dessen Mittelpunkt die Aachener Gebrüder Schwichtenberg stehen, die seit Jahren in China Bier brauen.

10.12.10

Jahresbilanz 2010 Filmstiftung NRW


Köln. Ein „Goldener Bär“ für die NRW-Koproduktion „Bal“.  300 Mio. Euro mit Fördermitteln angeschobenes Produktionsvolumen - das beste Ergebnis seit Bestehen der Filmstiftung. 1.026 Drehtage in NRW mit Weltstars wie Helen Mirren, Keira Knightley und Juliette Binoche. Eine außerordentlich erfolgreiche Jahresbilanz konnte die Filmstiftung NRW gestern in Köln verkünden. Petra Müller, seit dem 1. September Geschäftsführerin und Nachfolgerin von Michael Schmid-Ospach, der sich neun Jahre leitend um die Filmförderung des Landes kümmerte, bilanzierte die Arbeit ihres Vorgängers. Müller war zur gestrigen Jahresbilanz exakt 100 Tage im Job. Eine Zahl die bei Filmprojekten, die oft Jahre vorbereitet werden, noch weniger sinnvoll als in der Politik ist. So galten ihre Worte des Dankes Schmid-Ospach und seiner Stellvertreterin Claudia Droste-Deselaers, „die das Filmland NRW in der zurückliegenden Dekade mit großem Engagement nach vorne gebracht haben.“

Es ist eine Zeit des Wandels für die Filmstiftung, NRW hat seit Mitte der Woche eine weibliche Dreierspitze in Sachen Filmförderung: Zur Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Filmstiftung NRW wurde Frauke Gerlach, die Vorsitzende der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), gewählt. Und letztendlich wird die Medienpolitik des Landes auch von der neuen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bestimmt. Ihr Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann kündigte an, die Filmstiftung deutlich zu stärken.

In Rahmen der Produktionsförderung unterstützte die Filmstiftung NRW 2010 insgesamt 122 Kino- und Fernsehproduktionen mit rund 33 Mio. Euro. Im Gegenzug gaben die Filmproduzenten 69,3 Mio. Euro an Rhein und Ruhr aus. Hier zeigt sich verstärkt, das Filmförderung auch Wirtschaftsförderung ist: Mehr als 1000 hoch arbeitsteilige und personalintensive Drehtage im Lande bedeuten zahllose Arbeitstellen. Doch die Filmstiftung schafft auch Kultur, wie man an den Highlights des Dreh-Jahres sieht: Stars wie Juliette Binoche oder Helen Mirren zeigten sich begeistert von den Bedingungen. Der türkische Film „Bal“, der sicher ohne NRW-Gelder und Unterstützung nicht entstanden wäre, erhielt bei der Berlinale 2010 den Hauptpreis.

Dass Medien in NRW nicht nur Film und Fernsehen sind, zeigte vergangene Woche der „Deutsche Entwicklerpreis“, bei dem Games-Entwickler und Institutionen aus NRW mit fünf Preisträgern das stärkste Medienland vertraten. Dabei erhielt der Dürener Games-Publisher „Headup Games“ den Preis für das Beste Actionspiel 2010. Dazu Petra Müller: „Die Förderung von Filmen für Kino und TV bleibt unser Kern–geschäft. Aber wir werden uns öffnen für die neuen Medienbranchen, für Aufgaben im Stand–ort–marketing und der Standortentwicklung.“ Dazu kommt die Kinoförderung, 18 Kinos erhielten 500.000 Euro Unterstützung für die Digitalisierung ihres Betriebes.

Immer wieder profitiert auch die Euregio mit einigen Drehtagen von den Fördermillionen. Der auch in Hückelhoven aufgenommene  „Vorstadtkrokodile 2“ belegte mit  684.000 Besuchern ersten Platz in der Box Office Liste NRW-geförderter Kinoproduktionen 2010. Insgesamt sahen 3,4 Millionen Besucher NRW-geförderte Filme im Kino.

8.12.10

Kites - Auf der Flucht (DVD + Blu-Ray)


Indien 2010

Regie: Anurag Basu

Rapid Eye Movies

Bollywood

Das unverändert boomende Bollywood-Kino ist mit seinem enormen Hunger nach exotischen Schauplätzen in Mexiko gelandet: Superstar Hrithik Roshan („In guten wie in schweren Tagen“) spielt den Tänzer J, der in Las Vegas lebt und betrügt. Nebenbei hat er mit sagenhaften elf Ehen illegalen Einwanderinnen zu einer Greencard verholfen. Nun winkt auch ihm wenn nicht das große Glück doch das große Geld in Form der schwer verliebten Gina (Kangana Ranaut), der Tochter eines schwerreichen mexikanischen Casino-Bosses und Gangsters. Als Gina Bruder Tony heiraten will, erkennt J in dessen zukünftiger Braut Natasha (Barbara Mori) seine elfte Frau und verliebt sich heftigst. Mit dem Machoschwager und dessen krimineller Energie kann das nicht gut gehen...

„Benny & Joon“, „Bonnie und Clyde“ - der Mex-Mix mit dem indischen Kino dreht viel Bekanntes durch den Bollywood-Wolf, fügt eine Menge Verfolgung sowie extrem aufwendige Verschrottung hinzu, bleibt aber für Genre-Fans auffällig untertanzt. Zwar geriet „Kites“ herrlich melodramatisch und kitschig, wie man es von Bollywood erwartet. Doch diesmal ist man dankbar, dass die Blu-Ray auch eine für den amerikanischen Markt um 30 Minuten verkürzte Schnittversion von Regisseur Brat Rattner („X-Men - Der letzte Widerstand“) als „Kites“-Remix enthält.


7.12.10

Tulpan


BRD, Kasachstan, Polen, Russland, Schweiz 2008 (Tulpan) Regie: Sergej Dwortsewoi mit Askhat Kuchinchirekow (Askhat), Tulebergen Baisakalow , Samal Esljamowa 100 Min. FSK ab 6

Mit Boney M’s „Rivers of Babylon“ durch die kasachische Steppe steppen - das ist der komische Pol in Sergej Dwortsewois Debüt „Tulpan“, das auf allen Festivals überaus begeistert aufgenommen wurde. Andererseits ist die Geschichte eines jungen Mannes, der dringend eine Braut finden muss, um eine eigene Herde zu bekommen, auch eine wunderbare Dokumentation des bedrohten nomadischen Lebens in Kasachstan.

Wegen zu großer Ohren lehnt das Mädchen Tulpan den ehemaligen Matrosen Askhat ab - dabei sitzt sie bei der traditionellen Brautwerbung hinter einem Vorhang. So muss er weiter in der engen Jurte des Schwagers mit dessen Familie leben. Draußen sterben die Lämmer, weil es nicht genug Gras gibt.

Schafe, Kamele, ein kleiner Hund. Viel Tierleben, eindrucksvolle Landschafts- und Naturaufnahmen hat Dwortsewoi so weit wie möglich im Bild und ohne Schnitt inszeniert. Das führt zu langen, fast dokumentarischen Szenen, in denen immer ein schneidender Wind weht. Zwischen Schlöndorffs „Ulzhan“ und Michalkows „Urga“ angesiedelt, vermittelt „Tulpan“ an einer kleinen, netten Geschichte ganz beiläufig das Leben der Hirten, dass von Abwanderung und Veränderung der Umwelt bedroht ist.

6.12.10

Was will ich mehr


Italien, Schweiz 2010 (Cosa voglio di piu) Regie: Silvio Soldini mit Pierfrancesco Favino,  Alba Rohrwacher,  Guiseppe Battiston 126 Min.

Silvio Soldini zeigt ein paar Jahre nach „Brot und Tulpen“ eine nicht so sanft und beglückend verlaufende Affäre: Anna (Alba Rohrwacher) lebt mit ihrem lieben, aber nicht besonders attraktiven Mann zusammen. Die junge Frau hat einen guten Job in Mailand, irgendwann will ihr Freund auch ein Kind mit ihr. (Man sollte dem guten, rundlichen Kerl mal erzählen, dass man dafür im Bett nicht nur lesen darf.) Plötzlich tritt ein einfacher Kellner aus dem Süden des Landes in ihr Leben. Ohne viel Nachzudenken stürzen sich Anna und Domenico (Pierfrancesco Favino) aufeinander, ihre Leidenschaft entwickelt einen enormen Sog. Doch Domenico hat Frau, Kinder und immer Geldprobleme.

Die Figuren in Silvio Soldinis neuem Film machen nichts Überraschendes, sie sind eigentlich Klischees in dem, wie sie ihrem eingefahrenen Leben entfliehen wollen. Recht nüchtern entwirft „Was will ich mehr“ das Porträt einer unerfüllten Frau, die sich mit einer letztlich unerfüllten Affäre ablenken will. Die hervorragende Alba Rohrwacher gibt dem unspektakulären Verlauf einer ziemlich alltäglichen, aber dicht inszenierten Geschichte etwas Substanz.

Das Kreative Universum


BRD 2010 Regie und Buch: Rüdiger Sünner 83 Min.

Ausgehend von 9/11, das als Ausdruck eines Kampfes zwischen der Wissenschaft und Religion interpretiert wird, sucht der Regisseur Sünner in dieser misslungenen Dokumentation nach einem Graben zwischen Wissenschaft und Spiritualität auch im Alltag. „Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die Raum für die Annahme eines Göttlichen, Heiligen oder Transzendenten lassen?“ Dazu befragt er in zahlreichen Interviews Quantenphysiker, Philosophen, Biologen, Evolutionsbiologen und andere Wissenschaftler. Im Umfeld des Cerns wird der Gedanke aufgewärmt, dass Quantenphysik einen Übergang von Wissenschaft zur Spiritualität denkbar macht.

Statt der versprochenen Suche reiht Sünner wie bei einem Schulfilm Interviews aneinander und lässt - ohne wissenschaftliches Vorwissen - Schwerverständliches zu grauenvoller Musik auf die Zuschauer los. Auch wenn einzelne Inhalte der aufgereihten Themen spannend sein mögen, in dieser Form werden sie unerträglich langweilig rübergebracht.

Nowhere Boy


Großbritannien, Kanada 2009 (Nowhere Boy) Regie: Sam Taylor-Wood mit Aaron Johnson, Kristin Scott Thomas, Anne-Marie Duff, Thomas Brodie Sangster 98 Min.

Auch wenn der Film geschickt zum 8.12.2010, dem 30. Todestag von John Lennon gestartet wurde: „Nowhere Boy“ ist weniger ein Schlüsselfilm für Werk und Person des Ex-Beatles, des „Nowhere Man“-Schreibers Lennon. Er erzählt vielmehr auf schöne und bewegende Weise das Drama von zwei sehr unterschiedlichen Schwestern, deren eine die Mutter und die andere die Pflegemutter eines Jungen namens John aus Liverpool waren. Wobei die Umsetzung der Erinnerungen einer Halbschwester von Lennon (Julia Baird: „Imagine This. Growing Up With My Brother John Lennon“) dann letztendlich doch eine Erklärung für die zerrissene Persönlichkeit dieses kreativen Menschen liefert. Im seinem Song „Mother“ heißt es: „Mother, you had me / but I never had you“

In den 50er-Jahren war Rock’n’Roll noch keine Bewegungs-Therapie für Ü60-Musiker sondern DIE Ausdrucksform für jugendliche Rebellion. So hört der immer trotzige und freche John Lennon (Aaron Johnson) selbstverständlich Jerry Lee Lewis, während seine Tante Mimi Smith (Kristin Scott Thomas), bei der er aufwächst, korrekt gekleidet die Klassiksendungen der BBC verfolgt. Lederjacke und Gel im Haar sind John genauso wichtig wie die Rhythmen. Auf dem Dach der Doppeldecker durch Liverpool zu fahren, war der Vorläufer des S-Bahn-Surfens. Eine normale Jugend also, bis John erfährt, dass seine richtige Mutter Julia Lennon (Anne-Marie Duff) um die Ecke wohnt. Immer öfter geht er heimlich zu ihr. Er lernt, dass es beim Rock’n’Roll meist um Sex geht, und auch das Banjo zu spielen. Während die Zerrissenheit zwischen der exzentrischen Julia, die wie ein Kumpel ausgelassen mit ihm feiert, und der strengen Mimi wächst, stürzt sich John in die erste eigene Band, die „Quarrymen“.

Ganz eingebildetes Großmaul „erwählt“ sich John seine Bandmitglieder. Erst nach einer Weile taucht ein eher stiller, schmächtiger Paul (Thomas Brodie Sangster) auf, der allerdings schon richtig Gitarre spielen kann. John schreibt Geschichten und Gedichte - „leg eine Melodie drunter und du hast einen Song“, empfiehlt Paul. Doch das ist nur Begleitmusik zum Drama der beiden Schwestern. Die psychisch instabile Julia muss John wieder gehen lassen und in einem heftigen Streit an seinem Geburtstag erfährt der verwirrte Junge, wie er als Fünfjähriger von seiner Mutter zurückgelassen wurde...

„Nowhere“, da sei es sicher voller Genies, „dann gehöre ich dort hin“, meint der Schüler John auf den tadelnden Lehrer-Spruch „Damit kommst du nirgendwo hin.“ Doch sein großes Problem ist das Gefühl, nirgendwo hinzugehören. Das Dach über dem Kopf gewährt ihm die nach außen gefühlskalte Tante, die selbst beim Tod ihres Mannes keine Träne zulässt. Die Begeisterung für Musik und das leidenschaftliche Leben erfährt er bei der psychisch labilen Julia, die ihren Jungen behalten möchte, aber nicht die Kraft dazu hat. Besonders diese von Anne-Marie Duff so ungemein lebenslustig und herzlich, aber auch extrem traurig gespielte Frau bestimmt diese Geschichte. Kristin Scott Thomas brilliert mit der Zerrissenheit Mimis, die immer stark sein will und ihrer Schwester nur schwer ihre Liebe zeigen kann. Dazwischen - eher am Rande - ein einsamer junge, der nirgendwo ein zuhause hat, aber wie Elvis sein will. Mit seiner Brille sieht er noch aus wie Harry Potter oder Buddy Holly und reist am Ende des Films nach Hamburg. Das ist eine andere Geschichte - auch als die von Iain Softleys „Backbeat“, der die gleiche Prä-Beatles-Zeit wesentlich schwungvoller zeigt.

Rapunzel - Neu verföhnt


USA 2010 (Tangled) Regie: Nathan Greno, Byron Howard 100 Min.

Der animierte Märchenfilm aus dem Disney-Studio frischt Rapunzel von Jakob und Wilhelm Grimm sowohl in der Gestaltung als auch bei der Küchenpsychologie peppig auf. Ein flotter Zeichentrickspaß für Kinder, bei dem auch die Begleitpersonen nicht zu kurz kommen.

Das haben nicht mal die Brüder Grimm gewusst, dass die Hauptfigur bei Rapunzel eigentlich ein gemeiner Dieb war: Flynn Rider klaut ein Krönchen aus dem Königsschloss und stolpert bei der atemberaubenden Flucht vor der Palastwache und dem unermüdlichen Palastwachen-Hengst Maximus quasi den verlassenen Turm hoch, in dem Rapunzel gefangen ist. Nun glaubt die verschleppte Prinzessin wie jeder Teenager, von der bösen Mutter eingesperrt zu sein und dauernd die große Welt zu verpassen. Wobei im Falle von Rapunzel die böse Mutter eigentlich eine Hexe ist, die mit durchaus bekannten Argumenten das geraubte Kind raffiniert an sich bindet. Denn die Haare des Mädchens leuchten wie Glasfaserkabel, haben Zauberkraft und verjüngen die böse Seniorin, die Cher sehr ähnlich sieht.

Da kommt Flynn Rider wie gerufen und wird von der plötzlich recht selbständigen Rapunzel gezwungen, sie zu den fernen Lichtern zu bringen, die jedes Jahr an ihrem Geburtstag den Himmel erleuchten. Bevor die Eltern in größter Rührung ihr Kind samt feschem Schwiegersohn in die Arme schließen können, hat das Drehbuch (Buch: Dan Fogelman) ihnen eine Menge garstiger Räuber, Schandtaten der Hexe und eine Bewährungsprobe in den Weg gezeichnet. Rapunzel emanzipiert sich von der falschen Mutter und wird zur Pferdversteherin. Die paar holperig übersetzten Liedchen wirken in der Synchronisation sehr altbacken. Für den unerlässlichen Humor sorgen ein Pferd mit Verfolgungswahn sowie ein Chameleon als Rapunzels Freund und spaßiger Unterhalter. Das ist denn auch die Nachricht an alle Eltern: Ein bisschen Rebellion, ein bisschen Abenteuer, das gehört zum Erwachsenwerden!

Auch wenn die Figuren in 2D lebendiger wirken - 3D ist hier mal zurückhaltend und mit umso größerer Wirkung beim emotionalen Höhepunkt des Films eingesetzt.

Monsters


Großbritannien 2010 (Monsters) Regie: Gareth Edwards mit Whitney Able, Scoot McNairy 93 Min. FSK ab 12

Schon früh rumorte es um diesen Film, der sogar auf seriösen Filmfestivals wie Locarno startete: Unheimliche Wesen, Spannung, Science Fiction, aber nicht aus der üblichen, billigen Schreck- und Horror-Maschinerie, die seit Jahren die Kinos verstopft. Und so entsprach die Dramaturgie, mit der sich „Monsters“ näherte, der mit welcher die Monster im außergewöhnlichen Werk von Gareth Edwards fast entspannt näher kommen...

Am Anfang gibt es einige Nachtaufnahmen von panischen schießenden Soldaten. Riesigen Kreaturen, gegen die sich der Kampf richtet, sind nur aus der Ferne zu erahnen. Wir sind in Mexiko, südlich einer „Infizierten Zone“. Dort herrschen nach dem Absturz einer Weltraum-Sonde außerirdische Lebewesen und nur brutalste Bombardements mit Sprengstoff und Gas fallen den Militärs als Gegenmaßnahmen ein. Mit den üblichen „Begleitschäden“ bei der Bevölkerung, die es auch gibt, wenn man Tanklaster vor Dieben schützt. Im Fernsehen lehren schon Trickfilme die Kinder, wie sie die Gasmasken aufsetzen müssen, wenn die Kreaturen auftauchen und Militärflugzeuge am Himmel erscheinen.

Mittendrin versucht der nord-amerikanische Fotograf Andrew Kaulder (Scoot McNairy) die Tochter seines Herausgebers zu retten. Samantha Wynden (Whitney Able) soll auf die letzte Fähre, die durch den Golf von Mexiko um die infizierte Zone schifft. Dabei erweist sich erst einmal der Tequila in der Nacht vor der Abfahrt als größte Bedrohung. Sam und Andrew kommen nicht aufs Schiff und können sich gerade so eine illegale Passage durch die Zone erkaufen. Die ersten 30 Minuten sind eine recht entspannte Reise, bei der nur am Rande die Vernichtungen der Außerirdischen auftauchen und sich die Bedrohung lounge-mäßig anfühlt. Der Weg per Boot und Jeep durch den Dschungel wird gefährlicher, aber es dauert fast eine Stunde, bis bei einem nächtlichen Angriff alle Begleiter von Sam und Andrew von den hochhaus-großen Riesenkraken zerfetzt werden. Viel ist nicht zu sehen, die weitere Flucht gleicht einer Urwald-Wanderung bis die monumentale Grenzbefestigung der USA auftaucht. Doch die ist längst überwunden, ein Teil von Texas bereits evakuiert. Während die Flüchtlinge auf Rettung warten, kommt es zu einer Begegnung der anderen Art...

Eher unbekannte, aber sehr gute Schauspieler. Ein britischer Filmemacher, der das Buch für sein Debüt selber inszenierte, gestaltete und auch filmte. Das Erfolgsrezept für einen guten Film scheint recht einfach zu sein. Vor allem baut Gareth Edwards auf eine Spannungs-Dramaturgie weit weg vom Prinzip der zehn kleinen Afro-Amerikanerlein. Das Grauen zieht in sicherer Entfernung vorüber wie bei Willards Flussfahrt in „Apocalypse Now“. Sam und Andrew haben Zeit für sich, es passiert mehr als ständiges Erschrecken. Nur eingestreut sind Momente, an denen sich eine abgehobene Interpretation aufhängen ließe: Der Verteidigungswall der USA ähnelt unübersehbar der Mauer, die gegen Einwanderung aus dem Süden hochgezogen wurde. Und wenn die Flüchtenden auf einem alten Inka-Tempel rasten, ist auch noch genügend Ruhe, um zu überlegen, wie die Ureinwohner wohl die spanischen Aliens auf ihren Galeeren und in ihren Metallrüstungen wahrgenommen haben. Am Ende bleiben die fremden Wesen mysteriös, ebenso wie das weitere Schicksal von Sam und Andrew.

Ein Mann von Welt


Norwegen, 2010 (En Ganske Snill Mann) Regie: Hans Petter Moland mit Stellan Skarsgård, Bjørn Floberg, Gard B. Eidsvold, Jorunn Kjellsby, Jan Gunnar 111 Min. FSK  ab 12

Nach der Entlassung schlagen ihm tristes Grau und ein eisiger Wind ins Gesicht. Auf Ulrik (Stellan Skarsgård) wartet niemand am Gefängnistor. Auch in der Stammkneipe gibt es nur Tee, keine warmen Worte. Worte sind sowieso knapp bei Ulrik und seiner Umgebung. Noch knapper als das Geld. Doch scheinbar großherzig bietet ihm der Boss Jensen Wohnung und Job an. Die Bleibe ist ein Kellerloch mit Matratze bei Karen Magarete, der älteren Schwester vom auch nicht mehr ganz jungen Boss. Der Job ist eine Autowerkstatt, in der Chef Sven nach dem langen Eingangsmonolog über die Ethik der Zweiten Chance nicht mehr viel redet. Ach ja, Ulrik solle die Finger von der Sekretärin Merete lassen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass der frisch Entlassene für die Alimente, die sein Jensen während der Haftzeit an Ulriks Frau und Sohn zahlte, einen Mord erledigen soll. Während seiner kläglichen Versuche, an die alten Familienbande anzuknüpfen, reift aber sein Entschluss, nicht noch einmal wegen Mord hinter Schwedischen Gardinen zu landen.

Nicht der dramatische Versuch, eines Gefallenen, wieder auf die Füße zu kommen macht den Kern dieser Geschichte aus. Der humoristische Reiz dieses „Mannes von Welt“ und seiner Mitmenschen liegt darin, dass bekloppte Typen ihre Dämlichkeit in herrlich hirnrissigen Dialogen darbieten. Großartig ist schon der Auftritt vom Boss, der erst einmal das Auto demoliert, das seine historische S-Klasse eingeparkt hatte und dann noch die Fahrerin in einen Müllcontainer schmeißt.

Bei seiner Ex-Frau erhält Ulrik Fastfood und schnellen Sex. Bei der Vermieterin im Kellerloch polnisches Fernsehen, ein Abendessen und auch Sex, der mit grotesken Gebärden eingefordert und eher unbeschreiblich durchgezogen wird. Zarte Liebesbande mit der vom Leben und vom Ex-Mann geschlagenen Werkstatt-Sekretärin erhalten auch den nötigen Gag-Pepp durch skurriles, aber irgendwie doch auch verständliches Verhalten. So steht der eher lethargische Ulrik plötzlich mit zwei Liebhaberinnen, einem Enkel und moralischem Konflikt dar.

Der schwedische Hollywood-Star Stellan Skarsgård setzt seinen Kurs zwischen Mainstream („Piraten der Karibik“) und Arthouse weiter fort. Diese Rolle des Schweigers Ulrik ist vom Mut zur Selbstdemontage annähernd vergleichbar mit Depardieus „Mammuth“. Ungepflegtes. langes Haar, ein Auftreten, das eher debil als heroisch wirkt - dem aber trotzdem eine gewisse Coolness anhaftet. Das wirkt allerdings im Vergleich zu ähnlich situierten Filmen von Kaurismäki oder eben den „Mammuth“-Machern Benoît Delépine und Gustave de Kervern etwas aufgesetzt. Die gesuchte Skurrilität unterhält, aber eher oberflächlich, ohne den Figuren große menschliche Tiefe zu geben.

1.12.10

Bergfest


BRD 2008 Regie: Florian Eichinger mit Martin Schleiß, Peter Kurth, Anna Brüggemann, Rosalie Thomass 88 Min. FSK ab 12

Das Wiedersehen von Vater und Sohn nach acht Jahren war nicht geplant und erweist sich als sehr schwierig. Hannes (Martin Schleiß) und Ann (Anna Brüggemann) wollten ein paar Tage in der abgeschiedenen und eingeschneiten Berghütte verbringen. Doch da vergnügt sich schon sein Vater Hans-Gert (Peter Kurth) mit seiner sehr jungen Freundin Lavinia (Rosalie Thomass). Während sich Hannes liebevoll um die körperbehinderte Ann kümmert, überspielt der Senior laut alle Spannungen. Will doch der Theaterregisseur auf absteigendem Ast durch eine gemeinsame Produktion mit dem begehrten Schauspieler-Sprössling sein Engagement sichern. Das Kammerspiel wird noch durch einige andere psychologische „Päckchen“ angereichert, sexuelle Spielereien kommen hinzu.

Florian Eichinger gibt seinen Figuren einiges an Konfliktstoff mit. Eine Herausforderung, die von den Darstellern weitestgehend gut gelöst wird. Obwohl einige alte Wunden zu gesetzt wirken, ergibt sich doch ein stimmiges Berg-Wochenende in schlechter Stimmung.