23.11.10

Villa Amalia


Frankreich, Schweiz 2009 (Villa Amalia) Regie: Benoît Jacquot mit Isabelle Huppert, Jean-Hugues Anglade, Maya Sansa, Xavier Beauvois 94 Min. FSK o.A.

Schroff. Ruppig. So springt Regisseur Benoît Jacquot mittenrein in die Handlung seines neuen Films. So zieht die Pianistin und Komponistin Ann (Isabelle Huppert) einen Schlussstrich unter ihr Leben, nachdem sie ihren Partner Thomas (Xavier Beauvois) beim Fremdgehen sieht. Sie löst Wohnung und Konto auf, verkauft ihre drei Pianos, reagiert nicht auf die Anrufe ihres Ex-Freundes, verbrennt Bilder, Noten und CDs. Nur Georges (Jean-Hugues Anglade), ein Freund aus Jugendtagen, den sie genau im Moment des Seitensprungs traf, wird eingeweiht, bildet eine Zwischenstation auf der Flucht. Während einer sprunghaften Europa-Reise schneidet Ann - mit dem vielsagenden Künstlernamen „Hidden“ (dt. versteckt) - ihre Haare ab, wirft immer wieder alte Klamotten in den Müll, vernichtet ihr Handy. Dem Wechsel der Kleider folgen die Farben und immer wieder schreckt sie nachts auf. Die ruhelose Bewegung führt auf Ischia zu einer ein verlassenen Hüte hoch über der Steilküste inmitten von sehr viel Blau. Diese „Villa Amalia“ mit ihrer tragischen Geschichte wird zum Hort für die Frau, die nach einer Neugeburt im Meer nun Anna heißt und mit einer jungen Italienerin das Bett teilt.

Viel erklärt wird nicht bei Benoît Jacquots Verfilmung des gleichnamigen Romans von Pascal Quignard. Isabelle Huppert - wieder „Die Klavierspielerin“ - erscheint (im fünften Film mit Jacquot) ideal für die Rolle der unbestimmt gehetzten reifen Frau, wie sich schon Isild Le Besco in Jacquots “Hier und jetzt” treiben ließ. Der französische Star lässt keinen Zweifel aufkommen an dieser beeindruckenden Konsequenz, auch wenn diese Frau im einzelnen Moment eher anstrengt und ihr bester Freund öfters bemerkt, dass sie ja spinne. Anns nervös machenden Kompositionen gehen über in die Filmmusik von Bruno Coulais.

Erst im letzten Abschnitt, fast ein Epilog, bringt die Begegnung mit dem früh verschwundenen, jüdischen Vater beim Begräbnis der Mutter eine Menge Psychologie und Sentiment in die Figur. Der alte Musiker drückt ihr erstmals Bewunderung aus, man entdeckt Ähnlichkeiten im Fluchtverhalten und sieht plötzlich eine immer noch kleine Tochter, die noch viel zu lernen hat. Eine Erlösung, die dem schroffen Gesamtkunstwerk plötzlich einiges an Radikalität nimmt.